A 1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht
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Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 3 — le-tex 3 A 1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht Sylvia Heilmann Prof. Dr.-Ing. Sylvia Heilmann Ingenieurbüro Heilmann Burglehnstraße 13, 01796 Pirna Seit 1999 Prüfingenieurin für Brandschutz und seit 2000 öffentlich bestellte und ver- eidigte Sachverständige für baulichen Brandschutz. Studium des Bauingenieurwesens an der Technischen Hochschule Leipzig, Vertie- fung konstruktiver Ingenieurbau, Promotion. Seit 1997 eigenes Ingenieurbüro für Brandschutz und Baustatik. Ab 2006 Lehrauftrag Brandschutz an der TU Dresden, ab 2016 dort Honorarprofessorin für Brandschutz. Seit 2008 Mitarbeit im DIN- Normenausschuss Bau 005-52-21, AG Basisnorm. Bauphysik-Kalender 2021: Brandschutz. Herausgegeben von Nabil A. Fouad. © 2021 Ernst & Sohn GmbH & Co. KG. Published 2021 by Ernst & Sohn GmbH & Co. KG.
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 4 — le-tex 4 A1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen der Brandschutzentwicklung 5 4 Brandschutz in der Moderne (19.–20. Jh.) 12 1.1 Einführung 5 4.1 Gesellschaft und Brandschutz 12 1.2 Grundformen der Gesetzgebung 6 4.2 Brandschutz in Länderhoheit 13 1.3 Zeitabschnitte der Brandschutzentwicklung 6 4.3 Der verwaltete Brandschutz 13 4.4 Terminologie der Ordnungen 14 2 Brandschutz im Späten Mittelalter 4.5 Beginn der deutschen Brandschutznormung 14 (13.–15. Jh.) 7 4.6 Brandschutztüren und Brandschutzglas 15 2.1 Gesellschaft und Brandschutz 7 2.2 Brandschutz im spätmittelalterlichen Landrecht 8 5 Erkenntnisse 15 2.3 Brandschutz im spätmittelalterlichen Stadtrecht 8 6 Literatur 16 3 Brandschutz in der Frühen Neuzeit (16.–18. Jh.) 9 3.1 Gesellschaft und Brandschutz 9 3.2 Städtische Feuerordnungen als Motor der Brandschutzentwicklung 10 3.3 Territorialmacht und Landesherrliche Gebote 11 3.4 Die Brandmauer 11
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 5 — le-tex Grundlagen der Brandschutzentwicklung 5 1 Grundlagen in [1] nachzulesen ist, was insbesondere die vollstän- der Brandschutzentwicklung digen Primärquellenlisten und konkreten Fundstellen betrifft. 1.1 Einführung Seit Beginn der kollektiven Schadenserfahrung kämpft die Gesellschaft darum, in brandfreien Zeiten für die Die Geschichte des Brandschutzes wird anfangs aus- Brandkatastrophe vorzubeugen. Ein Kampf, der of- schließlich von der Wahrnehmung der Brandkatastro- fensichtlich nicht in jedem Fall gewonnen wurde und phen (Mittelalter) geprägt. Es folgen Erklärungsversu- manchmal mehrere Jahrhunderte dauerte. Und so che und erste präventive Maßnahmen (Frühe Neuzeit) neigt auch der moderne Staat des 21. Jahrhunderts da- bis die Moderne schließlich überzeugte Versuche der zu, Ressourcen anderweitig als im Brandschutz einset- direkten Einflussnahme auf die Brandsicherheit brach- zen zu wollen, was legitim ist, aber mit Sorgfalt und te. Begleitet wird diese Entwicklung vom Glauben an Weitsicht abgewogen werden muss. die Vermeidung von Brandkatastrophen. Dieser Glau- Das Brandrisiko ist ein systemimmanentes Risiko. Es be, Gefahren reduzieren und Risiken beherrschen zu ist untrennbar mit dem menschlichen Leben verbun- können, wurde geboren nach der kollektiven Schadens- den. Es hat seinen Ursprung im menschlichen Han- erfahrung und er ist gewachsen mit den technischen deln. Solange der Mensch kann, handelt er und erzeugt und logistischen Möglichkeiten im Bau- und Löschwe- so Brandgefahren. Kein menschliches Handeln ist feh- sen. Dieser Glaube hatte am Beginn der Brandschutz- lerfrei oder frei von Optionen, sodass der Mensch mit geschichte viel mit Gott zu tun, später mit Technik und jeder Tat ein Risiko eingeht, dem allerdings auch ei- Innovation. ne Chance gegenübersteht. Einerseits besteht das Ri- Die Brandschutzentwicklung im Bauordnungsrecht zu siko, einem Brandgeschehen ausgesetzt zu werden und kennen und zu verstehen ist gerade heute von so gro- Werte oder gar das Leben zu verlieren und andererseits ßer Bedeutung, weil im Zuge von staatlicher Deregulie- die Chance, durch zielgenaues, aber gefahrenbehafte- rung, gesetzlicher Vereinheitlichung oder gar von Ab- tes Handeln Werte zu schaffen. Es ist das Risiko, dem schaffung sicherheitsrelevanter Vorschriften einfache Fragen im Raum stehen, die zu beantworten sind: – Kann man sicherheitsrelevante, technische Gesetze abschaffen ohne Risikoerhöhung? – Schaffen wir sie ab, weil wir sie nicht mehr brauchen? Oder schaffen wir sie ab, weil wir sie nicht mehr be- zahlen wollen? – Wenn wir sie heute nicht mehr brauchen, haben wir sie in der Vergangenheit gebraucht? – Was hat sich geändert, dass wir sie heute nicht mehr brauchen? – Wer hat Auswirkungen und Folgen im gesamtgesell- schaftlichen Blick und welchen Einfluss hat die Träg- heit der Brandschutzgesetze? Um diese Fragen zu beantworten, ist die Kenntnis der historischen Brandschutzalgorithmen sehr hilfreich, mehr noch, sie ist essentiell. Denn Brandschutz ge- hört zu den ältesten Ordnungssystemen der Mensch- heit. Er bestimmt seit dem Mittelalter das öffentliche Bauen und die innere Sicherheit. Brandschutz ist damit seit Anbeginn Teil der staatlichen Ordnung. Sein Er- folg oder Misserfolg muss sich anhand von „Staatsak- tivitäten“ und der Fortentwicklung der Brandschutz- gesetze nachweisen lassen. Denn die Geschichte des Brandschutzes ist eng verbunden mit der obrigkeitli- chen, später staatlichen Durchsetzung der präventiven Sicherheitsmaßnahmen. Die folgenden Erkenntnisse resultieren also aus ei- ner empirischen Untersuchung der rechtshistorischen Brandschutzvorschriften (Gesetze, Edicte, Ordnun- gen), die als Primärquellen, auch in digitalen Samm- lungen, zur Verfügung stehen. Sekundärquellen, wie Geschichtsdarstellungen oder Dissertationen zum Brandschutz oder zum Bauordnungsrecht, vervoll- ständigen das Bild, das fortführend und ausführlich Bild 1. Die Aneignung des Feuers, 1547, Johann Petrejus [1]
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 6 — le-tex 6 A1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht sich der Mensch täglich seit Jahrhunderten aussetzt; in eine Gefahrensituation zu kommen oder ihr auszuwei- chen. Der handelnde Mensch erlebt dieses Wechselspiel und entscheidet kontrolliert oder unkontrolliert, beeinfluss- bar oder unausweichlich, abhängig oder ohne Rück- sicht, bewusst oder unbewusst über „Wohl und We- he“ seines Daseins. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, ein lange erfahrenes und stetig steigendes „Wohl“ allzu leicht und ohne Not zu opfern, indem er Bewährtes in Frage stellt oder alternativlose Sicherheit durch Einsparungen, Unachtsamkeit oder gar Unbe- dachtheit gefährdet. Dies lässt sich einerseits aus dem obrigkeitlichen Handeln, aber auch aus der örtlich sehr differenten Durchsetzung der Gesetze und Regeln er- kennen. Schauen wir also zunächst auf die drei Grund- formen der Gesetzgebung. Bild 2. Heidelberger Sachsenspiegel aus dem 14. Jh. (aus [1]) 1.2 Grundformen der Gesetzgebung Die Geschichte des Brandschutzes ist vor allem eine Geschichte des Brandschutzrechtes. Eine Darstellung der Brandschutzgeschichte muss sich also damit befas- sen, welche Normen und Regeln in der Gesellschaft für die Brandsicherheit sorgten, wer sie in Kraft setzte und wer deren Einhaltung kontrollierte. Drei Grundformen der Gesetzgebung sind daher für die Bewertung der Rechtskraft und Verbindlichkeit der Brandschutzvorschriften von Bedeutung: 1. Das Weistum ist die älteste Gesetzesform (Privat- rechtsbuch, siehe Bild 2). Sie umschreibt die „natür- liche Ordnung des Lebens“. Sie stand über dem Ein- zelnen, dem Volk und auch über dem König. 2. Die Satzung ist eine Absprache, eine „willkürliche“ Einigung zwischen Rechtsgenossen (Beispiele sie- he Bild 3). Es handelt sich um ein Rechtsgeschäft, Bild 3. FeuO Nürnberg 1616 und Braunschweig 1677 (aus [1]) in dem die einzuhaltenden Regeln und gleichzei- tig die Rechtsfolgen für die Rechtsgenossen in ei- ner Schwurgemeinschaft benannt sind. Gebunden ist der, der durch Eid zugestimmt hat. 3. Das Gebot ist ein von der Obrigkeit gegebener Be- fehl. Er erfordert einseitig Gehorsam. Ein Gebot hat umfassende Verbindlichkeit für jeden (Bild 4). Natürlich trieben auch Bauwirtschaft und Bautechnik den Brandschutz voran und durch die Möglichkeiten der Löschtechnik wurde er gelegentlich sogar beflü- gelt. Aber Taktgeber der Entwicklung waren immer die kollektive Schadenserfahrung und die darauffolgenden gesetzlichen Präventionen. 1.3 Zeitabschnitte der Brandschutzentwicklung Nach [1] kann die Brandschutzentwicklung drei Zeit- abschnitten zugeordnet werden, die jeweils markan- te Veränderungen sowie sichtbare Tendenzen umfas- sen, wobei keine scharfe Grenze zu ziehen ist, sondern Überschneidungen erkennbar sind, die einerseits loka- le, andererseits aber auch gesellschaftspolitische Ursa- Bild 4. Preußisches ALR, 1794 (aus [1]) chen haben können.
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/1/25 — Seite 6a — le-tex Erhöhter Trittschallschutz Mixed-use in Perfektion heißt Vielseitigkeit ohne Kompromisse. Mit REGUPOL sind der gemischten Nut- zung von Gebäuden so gut wie keine Grenzen gesetzt. Ein L’n,w von 27dB und somit die sichere Einhaltung der TA-Lärm gewährleistet in den Gravensteiner Arkaden Frankfurt ein konfliktfreies Miteinander von Wohnen und Arbeiten. akustik@regupol.de www.regupol.com Deutscher Ausschuss für Mauerwerk e.V. (DAfM) (Hrsg.) Schlitze und Aussparungen in Mauerwerk DAfM Richtlinie – Nr. 2 Schlitze und DAfM Richtlinie Nr. 2 Aussparungen in Mauerwerk - vorl. Abb. aktuelle Regelungen zusammengefasst, erläutert und grafisch aufgearbeitet 12 / 2020 · ca. 24 Seiten · Diese Richtlinie behandelt Schlitze und Aussparungen in tragenden und ca. 4 Abbildungen · ca. 7 Tabellen nichttragenden Wänden aus Mauerwerk mit Hinweisen und Erläuterun- Softcover gen in Bezug auf DIN EN 1996-1-1 bzw. DIN EN 1996 1 1/NA. Ergän- ISBN 978-3-433-03322-7 zend werden brand-, schall- und wärmeschutztechnische Gesichts- ca. € 24,90* punkte angesprochen. Bereits vorbestellbar. BESTELLEN +49 (0)30 470 31–236 marketing@ernst-und-sohn.de www.ernst-und-sohn.de/3322 * Der €-Preis gilt ausschließlich für Deutschland. Inkl. MwSt.
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Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 7 — le-tex Brandschutz im Späten Mittelalter (13.–15. Jh.) 7 Romanik Sachsen- viele Stadt- Buchdruck Ende Westfälischer Aufklärung Trennung Hitler- DDR- Bauordnung spiegel gründungen Amerika Lehnwesen Frieden Fortschritt Justiz und Regime Regime Landesgebot (Weistum) Verwaltung 1 ung 1 Satz Brandschutz t als trech verankert im ... Stad Landrecht als Gebote Landrecht als Weistum Reichsrecht 0 12. Jh 13. Jh 14. Jh. 15. Jh. 16. Jh. 17. Jh. 18. Jh. 19. Jh. 20. Jh. 21. Jh. 0 R Dt. N Dt. Reich WR 3.R Heiliges Römisches Reich Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation bis 1806 B Bund B 1871-1918 -´33 -´45 DDR Bundesrepublik Spätmittelalter Frühe Neuzeit Industrialisierung = Moderne Hochmittelalter 1. Zeitabschnitt 2. Zeitabschnitt 3. Zeitabschnitt Bild 5. Zeitstrahl zur Brandschutzentwicklung bezogen auf das Stadt-, das Land- und das Reichsrecht 1. Zeitabschnitt der Brandschutzentwicklung im Sinne Staatsgebiet der DDR existierte. Die Visualisierung des Gemeinnutzes dieser Entwicklung zeigt Bild 5: Der 1. Abschnitt umfasst das Späte Mittelalter Zusammenfassend ist erkennbar: vom 13. bis 15. Jahrhundert und ist geprägt von 1. Zeitabschnitt: Brandschutz erscheint als Weistum der Kodifikation des Gewohnheitsrechtes, also dem 2. Zeitabschnitt: Brandschutz ist Satzungsrecht schriftlichen Zusammenführen der zumeist münd- 3. Zeitabschnitt: Brandschutz wird Gebotsrecht lich verbreiteten Gewohnheits- und Ordnungsregeln (Stammesrecht, Volksrecht). Brandschutz erscheint als Weistum im Landrecht. Erste städtische Feuer- ordnungen entstehen. Wichtigstes Vorschriftenwerk 2 Brandschutz im Späten Mittelalter dieser Zeit ist Der Sachsenspiegel. (13.–15. Jh.) 2. Zeitabschnitt der Brandschutzentwicklung im Zei- 2.1 Gesellschaft und Brandschutz chen der Gefahrenabwehr Der 2. Abschnitt umfasst die Frühe Neuzeit vom 16. Die Gründung der Hanse 1254 sorgte zwar für einen bis 18. Jahrhundert. Er ist geprägt von der Präzisie- Handelsaufschwung, aber Lesen, Schreiben und Rech- rung und Erweiterung der Brandschutzvorschriften nen waren nur wenigen kirchlichen Bildungsträgern als Satzungen, welche zunehmend den vorbeugen- zugänglich. Die Menschen kämpften permanent um den baulichen Bandschutz zum Inhalt hatten. Das ihr Überleben: Bürgertum löste sich in den Städten immer mehr – Missernten und Naturkatastrophen führten zu Hun- von der Gottesgnade und praktizierte zunehmend gersnöten. eine vorbeugende Gefahrenabwehr, forciert von den – Mitte des 14. Jh. wütete in den Städten die Pest. technischen Errungenschaften im 18. Jahrhundert. – Es folgte die Agrarkrise, die zur Landflucht und zur 3. Zeitabschnitt in der Brandschutzentwicklung im Überbevölkerung in den Städten führte. Kontext der Staatsfürsorge Das Leben in der spätmittelalterlichen Stadt war zwar Der 3. Abschnitt umfasst die Moderne des 19. und erstrebenswert, weil es sicher und sättigend schien, aber 20. Jahrhundert. Brandschutz erscheint hier über- es war auch brandgefährlich. Die einfachen Hütten aus wiegend als Gebot im Landesrecht. Dieser Entwick- Holz wurden durch schmale Gassen getrennt, die mit lungsabschnitt ist geprägt vom technischen Fort- Müll und Stroh gefüllt waren. Die Fenster waren mit schritt und von der Konzentration der Werte. Einzel- Ölpergament verhangene Luken. Die Dächer bestan- brände verursachen nun hohe Schäden, obwohl die den aus Stroh und waren zueinander geneigt. Räume Bau- und Feuerverordnungen im Zuge der Staats- wurden mit Tierhaardecken getrennt. Stiegen aus Holz fürsorge immer dichter werden. Wir sehen im 18. erschlossen die Obergeschosse. Dazu kam der perma- bis zur Mitte des 19. Jahrhundert die größte Rege- nente Umgang mit offenem Feuer im Haus und au- lungsdichte (ca. 1600 Bauordnungen im deutschen ßerhalb. Das Handwerk barg zudem unberechenbare Reich [1]), was schließlich 1880 zur Vorlage der Zündquellen. Ein Hausbrand war so nicht beherrsch- ersten gesamtdeutschen Bau- und Brandschutzord- bar. Fachten starke Winde das Feuer an, war der Stadt- nung führte, die jedoch nie rechtskräftig wurde. Ein- brand unausweichlich. zig die DDR zentralisierte den Brandschutz, so- Die gesellschaftlichen Reaktionen auf Stadtbrände wa- dass für 40 Jahre eine Deutsche Bauordnung für das ren indes im Mittelalter überwiegend christlich ge-
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 8 — le-tex 8 A1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht Bild 6. Reaktionen im Mittelalter auf Brandkatastrophen (aus [1]) prägt, denn das Heil der Seele wurde über das Heil frühesten und wichtigsten Rechtstexte im Enumerati- der Körper gestellt. Zahlreiche Brandpredigten, seiten- onsprinzip, in dem drei Grundsätze mit brandschutz- lange Gebete und Klagelieder über Buße und Schuld technischer Wirkung enthalten sind (Bild 7): liegen als Primärquellen vor. Sie alle verlangten nach einer Brandkatastrophe uneingeschränkten Gehorsam § 49 (1): „[. . . ] kein Fenster zum Hof eines anderen ha- und Demut, um Gottes Wohlwollen zu erlangen. Aber ben.“ auch magischem Handeln (Feuerlöschung, Feuerban- Der § 49 (1) verlangt die Abtrennung durch Fenster- nung, Feuerbeschwörung) wurde vorbeugende Kraft losigkeit zum Nachbarn. So sollte der Übertritt eines zugetraut (siehe weiter in [1]). Aus der Quellenlage Feuers ausgeschlossen werden. lassen sich aber auch humane Reaktionen (medizini- § 53 (1): „Backofen, Abort und Schweinestall sollen drei sche Versorgung, Unterkunft, Essen, Trinken, Spen- Fuß von dem Zaun entfernt sein.“ den, steuerliche Hülfen), strafrechtliche (Anklage, Kla- Der § 53 (1) behandelt die spätmittelalterliche Ab- ge) und weltliche Reaktionen (Vorsorge durch Gesetze) standsfläche von 3 Fuß. Sie verhindert ebenfalls einen erkennen (Bild 6). Brandüberschlag auf nachbarliche Gebäude. In allen Reaktionen zeigt sich der unbändige Wunsch nach Sicherheit vor der Brandgefahr! § 53 (2): „Jeder soll [. . . ] auf seinen Backofen und auf seine Feuermauer achten, damit ihm nicht Schaden da- durch erwächst, dass die Funken in den Hof eines anderen 2.2 Brandschutz im spätmittelalterlichen fliegen.“ Landrecht Und schließlich kann der § 53 (2) mit der Forderung Durch das ausgeprägte Fehdewesen war das Alte Reich nach allgemeiner Achtsamkeit als Generalklausel der zersplittert und territorialen Interessen ausgeliefert. Gefahrenabwehr des Spätmittelalters gelten. Dies zeigt sich auch im normativen Brandschutz; er ist zerworfen und lokal verschieden. Es gab im Spät- Diese drei Grundsätze – Abtrennung, Abstand, Acht- mittelalter keinen einheitlichen Brandschutzstandard, samkeit – gelten unverändert auch noch heute! keine einheitliche Entwicklungstendenz. Das änderte sich erst nach dem 30jährigen Krieg, als Staatsordnung 2.3 Brandschutz im spätmittelalterlichen und Bildung einzogen, Gesetze reformiert und vor al- Stadtrecht lem durchgesetzt wurden. Der Sachsenspiegel, der als in seiner Zeit repräsenta- Die rechtsfähigen Städte verkündeten städtische tivstes Vorschriftenwerk gilt, wurde im privaten Auf- Feuerordnungen. Die Brandbekämpfung wurde so trag um 1235 als heimisches Gewohnheitsrecht zu- durch den Eid höchste Bürgerpflicht. Die Rechtsfol- sammengetragen. Von Repgow schuf damit einen der ge bei Nichteinhaltung wurde darin genau definiert.
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 9 — le-tex Brandschutz in der Frühen Neuzeit (16.–18. Jh.) 9 Bild 7. Bilderhandschriften zum Brandschutz aus dem Heidelberger Sachsenspiegel aus dem 14. Jh. (aus [1]) Die Strafen waren drastisch, häufig malefizisch [1]. rung Steinbau, Vorschriften Kommunwände) als auch Die Feuerordnungen folgten dem Enumerationsprin- mit abwehrenden und organisatorischen Brandschutz- zip, also der fortlaufenden taxativen Aufzählung der maßnahmen (Regeln zum Umgang mit Feuer, Organi- erforderlichen Maßnahmen. Die in [1] untersuchten sation des Löschwesens und der Löschmittel) das bau- städtischen Feuerordnungen beschreiben meist kos- liche Sicherheitsrecht bis weit ins 18. Jahrhundert präg- tenlose Bürgerpflichten für den Brandfall. Frauen wur- te und damit den nächsten Zeitabschnitt der Brand- den ebenso zur Brandbekämpfung herangezogen wie schutzentwicklung einleitete. Männer. Vorbeugende Aufmerksamkeit erhielten die Feuerstät- ten. Die Ratsmitglieder setzten vor allem auf die Kon- trolle der Feuerstätten durch Fewer-, Baw- oder Vier- 3 Brandschutz in der Frühen Neuzeit telsmeister. Eine umfassend befugte Feuerpolizei, wie (16.–18. Jh.) sie dann ab Mitte des 19. Jh. in den Quellen zu finden ist, gab es aber im Spätmittelalter noch nicht. 3.1 Gesellschaft und Brandschutz Aus den mittelalterlichen Stadtrechten heraus entwi- Den Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neu- ckelte sich aufgrund der städtischen Branderfahrun- zeit kennzeichnen maßgebende gesellschaftliche Ver- gen ein Vorschriftenwerk, das sowohl mit baulichen änderungen: (Feuerstätten, Verbot Strohdach, Kellerhälse, Förde- – Das aufstrebende Bürgertum in den Städten und das Ende des Lehnwesens sorgten für eine florierende Geldwirtschaft. – Die Erfindung des Buchdruckes führte ab 1450 zu einer schnellen Verbreitung der Schriftlichkeit, ins- besondere von Rechtsschriften, Edicten, Gesetzen, Verordnungen. – Amerika wurde 1492 entdeckt. – Der Fernhandel blühte und brachte den Handels- städten Reichtum, Kultur und Wissen. Die Städte entwickelten sich rasant, vor allem nach dem 30jährigen Krieg. Mit Luthers neuer Christlich- keit wich auch der „Glaube“ in Brandschutzdingen zunehmend weltlicher Logik. Das selbstbewusste Bür- gertum verlangte im Zeitalter der Vernunft nach einer vernünftigen Lebensgestaltung unter würdigen Lebens- bedingungen, die sich zunehmend von der religiösen Verbundenheit und vom Gottesgnadentum lösten, was einen rationalen Umgang mit dem Brandrisiko förder- te. So entwickelten sich aus den mittelalterlichen Feuer- ordnungen, die Verhaltensregeln zur Brandverhütung und Vorgaben für die Brandbekämpfung umfassten, im zweiten Zeitabschnitt Bauordnungen mit vorbeugen- den baulichen Maßnahmen, von denen eine schützen- de Wirkung im Brandfall zu erwarten war. Sie lassen auf eine kluge und vorausschauende Gefahrenabwehr Bild 8. Feuerordnung Nürnberg, 1449 („Feuerpüchl“) (aus [1]) und weitsichtige Schadensminimierung schließen.
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 10 — le-tex 10 A1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht Bild 9. Stadtbrand Alten Dreßden, 1685 (aus [1]) Bild 10. Stadtbrand Aachen, 1656 (aus [1]) Allerdings blieb das Brandrisiko nach wie vor sehr groß 3.2 Städtische Feuerordnungen als Motor und die Zahl der Flächenbrände (Bilder 9 und 10) stieg der Brandschutzentwicklung bis zur Mitte des 19. Jh. weiter an [2], da Vorräte, Vieh Die Städte waren in der Frühen Neuzeit Motor der und das Handwerk auf engem Raum innerhalb der Brandschutzentwicklung. Die städtischen Feuerord- Stadtmauern untergebracht waren. Diese zunehmende nungen entwickeln sich ab dem 16. Jahrhundert in Bevölkerungs- und Lebensdichte erforderte eine star- Bezug auf inhaltliche Vorsorgemaßnahmen tendenzi- ke polizeiliche Autorität – die gude Policey. Sie diente ell einheitlich, was auch den frühneuzeitlichen Mög- dem Gemeinnutz, der notturft, der Wohlfahrt der Bür- lichkeiten der Löschtechnik entspricht. Erkennbar sind ger und damit auch der Brandsicherheit in den Städten. folgende Gemeinsamkeiten: Sie war in diesem Sinne Hüter der Ordnung, Verteidi- – Feuerordnungen werden im Enumerationsprinzip ger der Sitte, der Märkte und der Preise und sie war sporadisch ernewert, meist nach Stadtbränden. auch Bewahrer vor der Feuersnot. – Sie wachsen mit jeder Novellierung. Sie werden de- Die gude Policey des 16. und 17. Jh. steht für die Einheit taillierter und umfänglicher. aus innerer und äußerer Ordnung, was eine Trennung – Die Feuerordnungen beinhalten konkrete weltliche von privatem und öffentlichem Recht ausschließt [3]. Schutzmaßnahmen, vergessen jedoch niemals das Die Trennung des privaten vom öffentlichen Recht Gottesgebot. wird erst ein Resultat der Justizreform des ausgehen- – Es kommt zunehmend zu einer Vermischung und den 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts sein. Und Dopplung von baulichen und abwehrenden Maß- diese Trennung wird dann auch, bevor die Feuerpolizei nahmen in Feuerordnungen und Bauordnungen. im Verlauf des 19. Jahrhunderts in ganz Deutschland – Die Feuergefährlichkeit des Handwerks wurde er- einen Siegeszug hält, der Beginn des Überganges von kannt und zunehmend reglementiert. policeylichen Aktivitäten zur Durchsetzung der Bau- – Ab dem 18. Jh. werden Feuerordnungen nach dem und Feuerordnungen hin zur Bau- und Brandschutz- Brandverlauf strukturiert. Sie haben meist drei verwaltung sein, wie wir sie heute kennen und prakti- (Wächter- und Alarmierungsdienst, Vorsorgemaß- zieren. nahmen, Löschdienst) aber auch bis zu fünf Titel mit Doch zunächst wurde aus der „guden Policey“ bis jeweils zugeordneten Paragrafen. zum Ende des 18. Jh. eine autoritäre Sicherheitspoli- Große Bedeutung und ein umfangreiches Reglement zei. Diese obrigkeitliche Autorität beflügelte die feu- werden den Feuerstätten, ihrer Aufsicht und ihrer Vi- erschutzrechtliche Gebotsgebung. Im Brandschutz er- sitation gewidmet, was logisch ist, bedenkt man die goss sich nun eine ungebremste Gesetzesflut über die von den Feuerstätten ausgehenden Gefahren. Typische Bürger. Zahlreiche Gesetze, Ordnungen, Edikte, De- frühneuzeitliche Brandschutzregeln sind: krete, Mandate, Reglements, Reskripte zum Brand- – Sicherheit und bauliche Ausführung der Feuerstät- schutz entstanden im Zuge dieser „Sozialdisziplinie- ten, rung“, beispielsweise Edicte – Wachstand und Alarmierung (Gerüft) und Zueilen – gegen das Tobackrauchen und zum Feueranmachen, zur Brandstelle, – zum Umgang mit Bettwärmern und Zündhölzern – Verbot Holz- und Strohdächer, hölzerne Altane, – oder zum sittlichen Verhalten im Wirtshaus. hölzerne Dachrinnen, Dachverkleidungen und Am Ende der Frühen Neuzeit kündigte sich „der aktive Dachüberhänge in den Gaten/Bauwich/Ehgraben, Polizeistaat“ an und an die Stelle der guden Ordnung – Verbannung der Scheunen vor die Stadtthore, trat nun der Zweck.
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 11 — le-tex Brandschutz in der Frühen Neuzeit (16.–18. Jh.) 11 Bild 12. Auszug I, 8, § 66 ALR von 1794 (aus [1]) Bild 11. Einreißen der Häuser aus der Revidirte Feuerordnung Bild 13. Auszug I, 8, § 69, 70 ALR, 1794 (aus [1]) der Stadt Elbing von 1633 (aus [1]) – Verbot über die Lagerung von Stroh und Heu für Zunächst im § 66 die Generalklausel des Bauord- Thiere sowie Verbot der Holzlagerung, leerer Bier-, nungsrechtes, die ganz allgemein dem Schaden, der Wein-, Brandtweinfässer sowie Verbot der Aufbe- Verunstaltung und der Unsicherheit Einhalt gebot wahrung von Asche im Haus, (Bild 12): – Verhaltensregeln für Gasthäuser, Brauhäuser, holz- In Brandschutzdingen waren es die Feuerstätten, de- verarbeitende Handwerker, Schuster, Lohgerber, ren Errichtung eine obrigkeitliche Erlaubnis benötigte Seiler, Fackelmacher, Seiffensieder, Fleischer, (Bild 13), und schließlich das Fenster- und Lichtrecht, Schweffelzieher usw., das einen Abstand von 6 Fuß zum nachbarlichen Zim- – Regeln für die Benutzung der Waschkessel, Um- mer verlangte. gang mit Feuer, Branntweinbrenner, Pech-Fackeln usw., 3.4 Die Brandmauer – Bereithalten von Wasser in Gefäßen vor dem Haus oder auf dem Dachboden, Neben dem Kampf gegen die brennbaren Stroh- oder – Duldung des Hausabrisses (Bild 11). Holzschindeldächer ist die Brandmauer eine der ältes- ten und auch heute noch gültige bauliche Vorsorge- maßnahme im Brandschutz. 3.3 Territorialmacht und Landesherrliche Gebote Am Anfang war der Giebelstand (Bild 14). So entstand Nach dem Ende des 30jährigen Krieges lag die Haupt- das Grabendach, bei dem sich zwei brennbare Dach- aufgabe der deutschen Reichsfürsten in einer funkti- flächen gegenüberliegen. Diese Dachform wird heute onsfähigen Landesverwaltung. Neben der Sicherung noch in den aktuellen Bauordnungen der Bundeslän- und Herstellung der öffentlichen Ordnung, wozu der der ausführlich reglementiert. Brandschutz zweifellos gehörte, waren die Neuord- Die Brandmauer entwickelte sich erst später aus der nung des Justizwesens sowie der nachhaltige und wirk- Kommunwand, die wiederum erst mit Zusammenrü- same Vollzug des Rechts von besonderer Wichtigkeit. cken der Gebäude (also nach dem Verzicht auf den Auch der Brandschutz kam nun in „obrigkeitliche Für- Bauwich, Bild 15) ausschließlich bis zum Traufbereich sorge“, welche, kaum merklich, im Zuge der territo- als gemeinsames Bauteil zweier Gebäude entstand. rialen Brandschutzgesetzgebung die mittelalterlichen Zwischen den giebelständigen Häusern entstehen städtischen Feuerordnungen mit Satzungscharakter in schmale Abstände – der Bauwich, in dem sich meist landesherrliche Rechtsgebote meist gleichen Namens Müll und Vieh befand. Der Bauwich verschwand im transformierte [1]. Die städtische Feuerordnung wur- Zuge der Stadtverdichtung und nach Stadtbränden so- de dabei zum gutmütigen Bindeglied zwischen der mit- wohl aus Brandschutzgründen als auch aus hygieni- telalterlichen Stadtsatzung und dem Brandschutzgebot schen Gründen. Die giebelständigen Häuser rückten im absolutistischen Verwaltungsstaat der Frühen Neu- aneinander. Es entstand die echte Kommunwand, die zeit. bis zum Traufbereich ein gemeinsames Bauteil zweier Höhepunkt dieser Entwicklung war das Allgemei- Gebäude wurde. Beide Hauseigentümer waren nun ei- ne Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 ne „Interessengemeinschaft“, die ein Reglement erfor- (Bild 4). Es gilt als einfaches Gebotsrecht mit über derte. Daher finden sich in allen Feuer- und Bauord- 19000 Paragraphen. Erstmals in der Rechtgeschichte nungen detaillierte Vorschriften zur Bauweise und zu wird das Amt der Polizey auf den Erhalt der öffent- Rechten und Pflichten an der Kommunwand. lichen Sicherheit und Ordnung und auf die Abwen- Eine weitere Entwicklungsstufe war dann die First- dung von Gefahren beschränkt. Auch Brandschutzre- schwenkung, bei der aus dem Giebelstand der Trauf- geln sind im ALR zu finden: stand wurde. Sie musste hauptsächlich aus Brand-
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 12 — le-tex 12 A1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht Bild 14. Stadtansicht von Dresden mit vollständigem Giebelstand um 1521 (aus [1]) Rauchabzug Scheidemauer Grabendach ver- Grabendach oder Rauchgatt (Holzfachwerk, auch schwand im Zuge (aus Holz und bei Firstschwenkung) Firstschwenkung anfangs nicht über Dach) hölzerne Regenrinne Hof Überhang aus Holz Rauchmantel (auch Busen) Vorbau Rauchhut aus Holz Glintmauer Wangelstein (Hofmauer) Feuerstelle Kommunmauer mit rückseitiger (gemeinsame Trennwand) Bauwich, Feuermauer Stadtverdichtung Dornse Ehgraben (auch Feuergiebel) verdrängte den Bauwich (beheiz- und unterstützte so die bare Truppenfall Firstschwenkung Kellerhals Stube) Straße Beischlag (Regenfallrohr (auch Utlucht; aus Holz) preußisch Hakenbude) © Dr.-Ing. Sylvia Heilmann Bild 15. Skizze zur Darstellung der Hausteile, insbesondere der gemeinsamen Kommunmauer, die erst entstehen konnte, als die Häuser zusammenrückten und der Bauwich verschwand (© Dr. -Ing. Sylvia Heilmann) schutzgründen erfolgt sein, da die Grabendächer aus 4 Brandschutz in der Moderne Stroh bei einem Stadtbrand nicht beherrschbar wa- (19.–20. Jh.) ren. Die Kommunwand wurde bei der Firstschwen- kung durch ein neues Giebeldreieck, meist als Holz- 4.1 Gesellschaft und Brandschutz fachwerk, ergänzt. Später wurde auch das Holzfach- werk in der Brandmauer auf der Grundstücksgrenze Die Prävention im Späten Mittelalter umfasste vor al- verboten, denn die Stadtbrandgefahr konnte nur durch lem christliches und magisches Handeln, in der Frü- steinerne Trennwände zwischen den Häusern verhin- hen Neuzeit zunehmend auch weltlich-pragmatisches dert werden. Handeln und wandelte sich erst in der Moderne zu einem bewusst vorbeugenden Handeln. Die Entwick- lung wurde dabei wesentlich vom technischen Fort-
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 13 — le-tex Brandschutz in der Moderne (19.–20. Jh.) 13 Bild 16. Stadtbrand Hamburg, 1842 (aus [1]) schritt, der Intensivierung der Produktivität und der Konzentration der Nutzung und Werte geprägt. Flä- chenbrände verursachten im 19. Jh. immer noch große Schäden, z. B. in Löbau 1846 oder auch in Hamburg 1842 (Bild 16), obwohl die Feuerpolizei die Brandsi- cherheit exzessiv kontrollierte. Die Trägheit des Feuer- schutzsystems (siehe dazu weiter in [1]) mag hier ein Grund sein, aber auch die mangelnde Löschorganisa- tion, die im Wesentlichen von der Bürgerschaft getra- Bild 17. Das im königlichen Sachsen geltende Baurecht samt Feuerschutz, 1846 (aus [1]) gen wurde. Es war aber auch die Erkenntnis, dass dem abwehrenden Brandschutz, also der Menschenkraft im Kampf gegen das Feuer Grenzen gesetzt sind, die fort- der Landesfürsten bis schließlich 1934 die Souveränität an zu einem verstärkten baulichen Brandschutz in den der Länder von Hitler vollständig aufgehoben wurde. Gesetzen führte. Die Bestrebungen, erstmals eine reichseinheitliche Die Erfindung der Dampfmaschine, der mechanische Brandschutzgesetzgebung im Deutschen Reich einzu- Webstuhl und die Stahlproduktion waren zwar Säu- führen, scheiterten nur knapp am Kriegsgeschehen. So len einer starken wirtschaftlichen Entwicklung, sie trie- blieb der Brandschutz in Deutschland bis zum Neube- ben jedoch das Brandrisiko in die Höhe. Auch die ginn 1949 weiter im Länderbaurecht verankert und das Bauwirtschaft boomte um die Jahrhundertwende und ist, von der rigorosen Abschaffung der Länder und der neue Technologien in der Stahlproduktion und dem Einführung einer Deutschen Bauordnung im DDR- Stahlbetonbau erlaubten einen effektiven Geschoss- Regime abgesehen, bis heute so. bau. Die Löschtechnik wurde mechanisch und Lösch- erfolge stellten sich ein. Der Brandschutz entwickelte 4.3 Der verwaltete Brandschutz sich nun rasant. Am Ende des 19. Jahrhunderts exis- tierte ein umfangreiches Brandschutzreglement, vor al- Ein wesentliches Ergebnis der Revolution von 1848 lem in den preußisch regierten Ländern. Die logischen war die Trennung von Regierung, Verwaltung und Jus- Folgen sind ein steigender Sicherheitsstandard und die tiz. Dies war gerade in Brandschutzdingen von Bedeu- ab 1870 signifikant sinkende Anzahl der Stadtbrän- tung, denn der absolutistische Polizeistaat führte zu ei- de [2]. Aber erst nach dem zweiten Weltkrieg, der vie- ner ungebremsten und nie wieder erreichten Flut von le deutsche Städte mit großen Brandschäden hinterließ feuertechnischen Mandaten, Edicten und Verordnun- und ab 1945 zum Wiederaufbau der zerstörten Städte gen. Zudem fehlte die Rechtsaufsicht. Dem Erforder- führte, war das mehr als 800 Jahre währende Zeitalter nis nach rechtmäßigen und widerspruchsfähigen Ent- der Stadtbrände beendet; die Stadtbrandgefahr kann scheidungen konnte der Polizeibefehl nun nicht mehr endgültig gestoppt werden. gerecht werden. So „wandelte“ sich der willfährige Po- lizeibefehl zum hoheitlichen Verwaltungsakt, aus der Baupolizei wurde die Bauaufsicht und letztlich war die 4.2 Brandschutz in Länderhoheit Feuerpolizei überflüssig geworden. Seit dem Westfälischen Frieden von 1648 wurde der Brandschutz in von Monarchen erlassenen Landesge- Abgrenzung der Verantwortlichkeiten setzen verankert. Allerdings bestimmt die Reichsver- Feuerpolizei: verantwortlich für die Art der Gefahr fassung von 1871, dass die Reichsgesetze den Landes- Baupolizei: verantwortlich für den Anlass der gesetzen vorgehen. Damit beginnt die Entmachtung Gefahr
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 14 — le-tex 14 A1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht Polizeistaat des ausgehenden 18. Jh. wurden aus den mittelalterlichen Feuer- und Bauordnungen nun Bau- und Feuerpolizeiordnung. Diese „verwirrende Verwen- dung“ des Polizeibegriffes für das bauordnungs- und feuerschutzrechtliche Reglement ist typisch für die ab 1850 erlassenen Baupolizei(ver)-ordnungen [1]. Sie be- inhalten jedoch in großem Umfang den vorbeugenden baulichen Brandschutz und entsprechen in ihrem We- sen und ihrem Inhalt bereits den Bauordnungen der Länder. Die moderne Verwaltung begann dann im 19. Jh. mit einer Systematisierung des Brandschutzes. Letztlich ge- hen die Feuerlöschordnungen in den Katastrophen- Bild 18. Centralblatt der Bauverwaltung, 1882 (aus [1]) schutzgesetzen der Bundesländer auf. Und aus den kurzfristig existierenden Bau- und Feuerpolizeiverord- nungen wurden nach dem 2. Weltkrieg wieder die „al- ten“ Bauordnungen, die noch heute im 21. Jh. den bau- lichen Brandschutz der deutschen Bundesländer regeln. 4.5 Beginn der deutschen Brandschutznormung Bis 1919 wurde die Feuerqualität eines Bauteils mit massiv, feuerfest oder feuersicher beschrieben. Der preußische Verwaltungsstaat führte dann mit der Ein- heitsbauordnung von 1919 die noch heute gültigen Rechtsbegriffe feuerbeständig und feuerhemmend ein. Erst 1925 wird die feuerbeständige und feuerhem- mende Bauweise durch spezifische Konstruktions- und Zeitangaben (Bild 20) näher bestimmt. Damit war der Grundstein für die erste technische Brandschutz- Bild 19. Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich norm DIN 4102 gelegt, die 1934 veröffentlicht wurde Sachsen, 1836 (aus [1]) (Bild 21). Die nunmehr fast 90jährige Geschichte dieser Brand- schutznorm und die noch heute gültige Einheitstem- Abgrenzung der Aufgaben peraturzeitkurve rechtfertigen es sicher, von einem be- Feuerpolizei: präventiv tätig, durch Erkennen der deutenden Meilenstein in der Brandschutzgeschichte Gefahrenart bei örtlichen Kontrollen zu sprechen. Baupolizei: repressiv tätig, da Beseitigung baulicher Defizite veranlasst wird; aber auch präventiv tätig, da Erlass von Baugenehmigungen Der Brandschutz blieb aber auch mit der Reichsgrün- dung von 1871 weiter in Länderhoheit. 4.4 Terminologie der Ordnungen Aus der Primärquellenlage nach [1] ist eine sehr diffe- rierende Terminologie der Ordnungen zu erkennen. Of- fensichtlich konkurrieren Baupolizeiordnung mit Bauordnung, Feuerpolizeiordnung mit Feuerordnung, Feuerordnung mit Bauordnung, Feuerordnung mit Feuerlöschordnung. Zunächst waren Feuer- und Bauordnung zeitgleich als städtische Satzungen am Start (siehe Abschnitt 2.3). Nach einer Phase der Vermischung und Verteilung der Ordnungsbereiche Löschen und Bauen folgte der Bild 20. Einheitstemperaturkurve von 1934, DIN 4102-Blatt 3 Übergang in landesherrliche Rechtsgebote (18. Jh.). Im (aus [1])
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 15 — le-tex Erkenntnisse 15 5 Erkenntnisse Die Geschichte des Brandschutzes ist ein Stück Rechts- geschichte. So ist die Brandschutzentwicklung eng mit der Geschichte der Gesetzgebung verbunden, welche durch die jeweilige rechtspolitische Gesamtsituation im Deutschen Reich flankiert wird. Doch der Brand- schutz ist eindeutig technisch-konstruktiven Ursprun- ges, der sich den Moralgesetzen völlig entzieht [4], aber sehr wohl „bis zum Inneren des Menschen“ vordringt und das menschliche Dasein in seiner ganzen Viel- falt beeinflusst. Allein seine bis heute gültige Veranke- rung im deutschen Recht erfordert es, bei technischen Fragen immer wieder den Bezug zur Rechtsquelle zu finden, gleichwohl wissend, dass daraus in weit grö- ßerem Maß bauliche und statisch-konstruktive Aus- wirkungen resultieren. Daher bleibt die baurechtliche Brandschutzpraxis bis heute den Feuerwehren, den In- genieuren, den Architekten und Baumeistern vorbe- halten, auch wenn die Koexistenz von Recht und Tech- nik den handelnden Personen nicht immer leichtfällt, was insbesondere bei Nachweisen zum Bestandsschutz deutlich wird. Denn auch für diese spezielle Nachweis- führung, die heute im Einzelfall den Bestand schützen kann, ist die Kenntnis und Auswertung baurechtshisto- rischer Quellen bedeutsam. Zusammenfassend erken- nen wir: 1. Brandschutzgesetze gehören zu den ältesten Sicher- heitsgesetzen. 2. Das gesellschaftliche Risikobewusstsein folgt immer der Schadenserfahrung. Brandschutzgesetze besit- zen damit eine empirisch erzeugte Logik. 3. Brandschutz ist Teil der öffentlichen Ordnung und deshalb seit Anbeginn eine Staatsaufgabe. 4. Brandschutz ist aber dennoch unpolitisch, macht- strategisch unberührbar und gleichzeitig systemim- Bild 21. DIN 4102-Blatt 1:1934 (aus [1]) manenter Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. 5. Damit ist die Brandsicherheit konkurrenzlos. Sie kennt keine Rivalität. 4.6 Brandschutztüren und Brandschutzglas 6. Die Brandsicherheit ist unteilbar. Es ist nicht mög- Vielfältige Bauteile entwickelten sich nun im Zuge der lich, Einzelne von dieser Sicherheit auszuschließen. Industrialisierung auch unter der gesetzlichen Maßga- 7. Brandschutz orientiert sich seit Jahrhunderten allein be, feuersicher sein zu müssen. 1910 galt beispielsweise an den technischen und personellen Möglichkeiten eine Türe als feuerhemmend, wenn sie und an den monetären Ressourcen der Gesellschaft. – aus 4 cm dicken Eichenholz besteht, 8. Brandschutzgesetze sind träg. Diese Trägheit er- – und mit Stahlblech ummantelt ist, laubt keine unmittelbare Vergleichbarkeit von gel- – selbstständig zufällt und tender Schutzmaßnahme und eingetretenem Scha- – rauchdicht schließt. den. Vielmehr ist der Erfolg einer „eingeführten“ Von diesen Türkonstruktionen im Bild 22 wurde erwar- Schutzmaßnahme erst Jahre später festzustellen. tet, dass sie 30 Minuten einem Feuer standhalten. Brandschutz fühlt sich heute an, wie ein Theater bau- Bereits im Jahre 1887 beginnt Otto Schott mit der Ent- en und dann keine Vorstellung geben. Man fragt sich, wicklung von hitzbeständigem Borosilikatglas. Im Jahr wofür haben wir eigentlich das Theater? Die sinken- 1918 folgte dann die Massenproduktion feuersicherer de Schadenserfahrung verringert heute unser Risiko- Gläser. Insbesondere das Siemensche Drahtglas oder bewusstsein genauso, wie die erlebten Stadtbrände der das Elektroglas galten als bis zu 1000 °C temperaturbe- Frühen Neuzeit zur verstärkten Vorsorge führten. Seit lastbar und damit als feuersicher (Bild 23). Der bauli- gut 100 Jahren gibt es keine Flächenbrände mehr che Brandschutz wurde durch diese feuersicheren Bau- und seit 40 Jahren sinkt die Zahl der Brandtoten in teile und Bauweisen in den Gesetzen sehr konkret und Deutschland. Aber ist das allein ein Fingerzeig, die materiell. offensichtlich bewährte Brandvorsorge zu reduzieren?
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/2/15 — Seite 16 — le-tex 16 A1 Entwicklung des Brandschutzes im Bauordnungsrecht Bild 22. Geprägtes, 0,5 mm dickes Eisenblech mit Holzfüllung (aus [1]) Bild 23. Brandschutzglas aus 6 mm bzw. 3 mm dicken Glasscheiben (aus [1]) Wir müssen beachten, dass Brandschutzgesetze nur 6 Literatur mit großer Trägheit wirksam werden, bevor wir die mühsam über Jahrhunderte erkämpfte Brandsicher- [1] Heilmann, S. (2020) Entwicklung des Brandschutzes heit leichtfertig aufgeben! Ob nun die Fensterlosig- in Deutschland vom Späten Mittelalter bis zur Moderne. keit in Kommunwänden oder die Notwendigkeit des 2. Auflage in Vorbereitung. Pirna: vfbp. 2. unabhängigen Rettungsweges in Frage stehen: Wir [2] Zwierlein, C. (2011) Der gezähmte Prometheus. Göt- müssen zurückschauen, wenn wir den Brandschutz der tingen: Vandenhoek & Ruprecht GmbH & Co. KG. Zukunft definieren! Denn aus der Entwicklung des Brandschutzes vom Späten Mittelalter bis zur Moder- [3] Stolleis, M. (1988) Geschichte des öffentlichen Rechts ne sehen wir, dass die Brandsicherheit ein fragiles und in Deutschland, Reichspublizistik und Policeywissenschaft, teuer erkauftes Gut ist, dass nicht allein durch Hoff- 1. Band: 1600–1800. München: Verlag C.H. Beck. nung und Glauben zu substantivieren ist. [4] Fehr, H. (1927, 1928) Recht und Wirklichkeit, Einblick in Werden und Vergehen von Rechtsformen, Band 1. Pots- dam: Müller & Kiepenheuer Verlag, Zürich, Bern: Orell Füssli Verlag.
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/1/25 — Seite 16a — le-tex Newsletter Der kostenlose, monatliche Ernst & Sohn Newsletter informiert Sie über neue Bücher, interessante Zeitschriften-Artikel und Branchennews. www.ernst-und-sohn.de/nl ANMELDEN www.ernst-und-sohn.de/nl
Nabil A. Fouad: Bauphysik-Kalender — 2021/1/25 — Seite 16b — le-tex Heinz-Martin Fischer, Martin Schneider Handbuch zu DIN 4109 – Schallschutz im Hochbau Grundlagen – Anwendung – Kommentare - Normungsauslegung durch Normenmacher – - aus erster Hand Erläuterungsbedarf wegen kompletter - Neufassung der Norm – nun in 9 Teilen Schallschutzniveau und Mindestanforderun- - gen waren und sind heiß umstritten viele, juristisch aufwändige Streitfälle - in der Praxis einziges aktuelles Handbuch Das Handbuch zu DIN 4109 ist ein umfassendes Kompendium zur Norm. Es führt in die Grundlagen der Bauakustik und der Planung des baulichen Schallschutzes ein und erläutert die praktische 2019 · 766 Seiten · 195 Abbildungen · A nwendung der neuen Berechnungsverfahren, Anforderungen und 83 Tabellen Nachweisverfahren von DIN 4109. Hardcover ISBN 978-3-433-01835-4 € 108* eBundle (Print + PDF) ISBN 978-3-433-03230-5 € 140.40* BESTELLEN +49 (0)30 470 31-236 marketing@ernst-und-sohn.de www.ernst-und-sohn.de/1835 * Der €-Preis gilt ausschließlich für Deutschland. Inkl. MwSt.
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