A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE

Die Seite wird erstellt Stefan-Nikolas Lindemann
 
WEITER LESEN
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen
Code AVL FIRE®
Reinhard Tatschl

A1.1 Einführung

Wirkungsgrad und Schadstoffemissionen von Verbrennungsmotoren werden in hohem
Maße durch die dreidimensionale turbulente Zylinderinnenströmung, die Kraftstoffein-
spritzung sowie durch den eigentlichen Verbrennungsprozess bestimmt. Aufgrund der
starken räumlichen und zeitlichen Variabilität der Temperatur und Ladungszusammen-
setzung im Brennraum während eines Motorzyklus liefern die klassische Zylinderdruck-
analyse und Abgasmessungen nur in begrenztem Umfang Informationen über den Einfluss
von Brennraumgeometrie, von Parametern des Einspritzsystems und des Brennverfahrens
auf die Motorcharakteristik und das Emissionsverhalten.
    Vor dem Hintergrund zunehmend strenger werdender gesetzlicher Auflagen und
Umweltvorgaben ist ein vertieftes Verständnis der Interaktion von Strömung, Kraft-
stoffeinspritzung und Verbrennung von wachsender Bedeutung. Angesichts innovativer
Brennverfahren und der zunehmenden Vielfalt alternativer Kraftstoffe, gewinnt die com-
putergestützte dreidimensionale Strömungssimulation (Three-dimensional Computatio-
nal Fluid Dynamics, 3D-CFD) der innermotorischen Ladungsbewegung, Gemischbildung,
Verbrennung und Schadstoffentstehung bei der Entwicklung von Verbrennungsmotoren
weiter an Bedeutung.
    Schon seit mittlerweile einigen Jahren ergänzt die 3D-CFD Simulation innermotori-
scher Prozesse erfolgreich die bewährten Messtechnik-basierten Werkzeuge der Motoren-
entwicklung, wie beispielsweise die Zylinderdruckanalyse und die optische Gemischbil-
dungs- und Verbrennungsdiagnostik (siehe Abschn. 9.2 bzw. 9.4). Die erzielbare Genauig-
keit der Berechnungsergebnisse und damit der mögliche Beitrag, den die 3D-CFD Simu-
lation für die Entwicklung von Brennverfahren liefern kann, hängt in hohem Maße von
der Verlässlichkeit der Modelle ab, die für die Abbildung der im Brennraum stattfinden-
den physikalischen und chemischen Prozesse, wie beispielsweise Düseninnenströmung,
Einspritzstrahlausbreitung, Zündung und Verbrennung sowie die Schadstoffentstehung,
herangezogen werden. Als Ergebnis intensiver weltweiter Forschungs- und Entwicklungs-

Dr.-techn. Reinhard Tatschl B
AVL LIST GmbH, Graz, Österreich
e-mail: Reinhard.tatschl@avl.com
G. P. Merker und R. Teichmann (Hrsg.), Grundlagen Verbrennungsmotoren,            1085
ATZ/MTZ-Fachbuch, DOI 10.1007/978-3-658-03195-4,
© Springer Fachmedien Wiesbaden 2014
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
1086                            A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

arbeit in den vergangenen Jahrzehnten steht heute zu diesem Zweck eine Vielzahl von
Ansätzen zur Verfügung, die sich durch unterschiedliche Modellierungstiefe und Vorher-
sagegenauigkeit auszeichnen. Einen Überblick über den theoretischen Hintergrund der
verschiedenen Modelle und Modellierungsansätze für die 3D-CFD Simulation von Ver-
brennungsmotoren findet der Leser in den Kap. 14, 15 und 16.
   Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick über die heute in der ingenieurwissen-
schaftlichen Praxis gebräuchliche 3D-CFD Methodik zur Simulation der Vorgänge in Ver-
brennungsmotoren. Die Beschreibung der einzelnen Arbeitsschritte bei der 3D-CFD Mo-
dellierung von Motoren, sowie die Angaben zum Strömungslöser und den einzelnen zur
Anwendung gelangenden Teilmodellen, und die in diesem Kapitel gezeigten Berechnungs-
ergebnisse basieren auf dem kommerziellen 3D-CFD Code AVL FIRE®.
   Zunächst wird in grundlegenden Zügen die allgemeine 3D-CFD Berechnungsmetho-
dik dargelegt, die aus den entsprechenden Pre- und Post-Processing Werkzeugen und dem
Strömungslöser besteht. Anschließend werden die Modelle beschrieben, die zur Simulation
der Düseninnenströmung, der Kraftstoffeinspritzung, der Zündung und Verbrennung so-
wie der Schadstoffbildung verwendet werden. Zur Veranschaulichung der Anwendbarkeit
der Modelle auf unterschiedliche Fragestellungen der Brennverfahrensentwicklung und
den damit verbundenen Teilaufgaben werden ausgewählte, repräsentative Berechnungs-
ergebnisse aus den Bereichen Gemischbildung, Verbrennung und Schadstoffentstehung
gezeigt. Beispielhaft werden Berechnungsergebnisse fallweise auch experimentell gewon-
nenen Daten gegenübergestellt, um den Genauigkeitsgrad darzustellen, der mit den heute
verfügbaren Modellansätzen erzielt werden kann.

A1.2 3D-CFD Simulationsmethodik

Der Arbeitsablauf bei der 3D-CFD Simulation der in Verbrennungsmotoren ablaufenden
Prozesse lässt sich in drei grundlegende Schritte unterteilen: die Generierung der Gitternet-
ze, die zur Abbildung des Strömungsbereichs über das relevante Kurbelwinkelintervall be-
nötigt werden; die Festlegung der Anfangs- und Randbedingungen sowie der Einstellungen
des Strömungslösers und der physikalischen und chemischen Modelle, die bei der Simula-
tion der maßgeblichen Prozesse im Motor verwendet werden; und schließlich die Nachbe-
arbeitung und Interpretation der Simulationsergebnisse. Für die Abbildung der Geometrie
der Ladungswechselorgane und des Brennraums inklusive der bewegten Ventile und Kol-
ben in Form von flexibel adaptierbaren Gitternetzen stehen in AVL FIRE® Werkzeuge und
Verfahren zur Verfügung, die für alle Arten von fremdgezündeten und kompressionsge-
zündeten Motoren anwendbar sind. Die Technologie des verwendeten Gleichungslösers er-
möglicht die effiziente Berechnung reaktiver, turbulenter Mehrphasenströmungen auf die-
sen die Kolben- und Ventilbewegung abbildenden Gitternetzen. Geeignete Post-Processing
Werkzeuge erlauben das Monitoring des Berechnungsvorgangs sowie die Auswertung und
Analyse der Ergebnisse. Die Werkzeuge, die für die Bearbeitung der oben erwähnten Ar-
beitsschritte verwendet werden, um eine 3D-CFD-Berechnung für Verbrennungsmotoren
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                             1087

auszuführen, sind im vorliegenden Fall über eine vollständig interaktive grafische Benut-
zeroberfläche zugänglich.

A1.2.1 Pre- und Post-Processing
Das Pre-Processing Modul von AVL FIRE® bietet verschiedene Werkzeuge zur Generie-
rung von Berechnungsnetzen, um die komplexen Geometrien von Verbrennungsmotoren
mit ihren beweglichen Teilen, wie Kolben sowie Ein- und Auslassventilen, darzustellen.
Die flexible, automatisierte Arbeitsumgebung ermöglicht die zuverlässige und präzise Git-
tergenerierung für die komplexen dreidimensionalen Berechnungsgebiete. Um den Satz an
Berechnungsnetzen zu generieren, der für die Erfassung des gesamten Arbeitsspiels not-
wendig ist, wird ein Ausgangsgitter, das in der Regel für die Kolben- und Ventilstellung am
oberen Totpunkt generiert wird, automatisch entsprechend der Kolben- und Ventilbewe-
gung adaptiert, so dass die geometrischen Verhältnisse für das betrachtete Kurbelwinkel-
intervall abgebildet werden.
   Um die Erfordernisse hinsichtlich Genauigkeit und damit Verlässlichkeit der Berech-
nungsergebnisse zu erfüllen, muss die Qualität der Gitternetze bestimmten Anforderun-
gen genügen. Neben einer sinnvollen räumlichen Gesamtauflösung zur Darstellung des
Zylinderinnenraums, einschließlich der ausreichend genauen Auflösung der wandnahen
Schichten, bedarf es insbesondere einer präzisen Modellierung der Ventil- und Kolbenbe-
wegung für die korrekte Abbildung der Motorkonfiguration in der 3D-CFD Simulation.
Dabei können vom Benutzer verschiedene Herangehensweisen gewählt werden, die sich
hinsichtlich ihres Automatisierungsgrades und der Beeinflussbarkeit der Charakteristik
der Gitternetze durch den Nutzer voneinander unterscheiden.
   Die Möglichkeit, mit benutzerdefinierten geometrischen Teilbereichen arbeiten zu kön-
nen, erlaubt die effiziente Gittervernetzung komplexer Geometrien bei gleichzeitiger Bei-
behaltung einer hohen Gitterqualität, Abb. A.1. Topologie, Zellausrichtung und Gitterauf-

Abb. A.1 Gitternetz einer
Ottomotorkonfiguration, be-
stehend aus Teilnetzen für
Einlasskanal, Ventilsitzbereich
und Brennraum
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
1088                           A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

lösung in kritischen Bereichen, wie zum Beispiel kleinen Spalten, lassen sich durch den
Anwender mühelos steuern. Mit Hilfe nicht-konformer und/oder konformer Schnittstel-
len kann die jeweilige Geometrie leicht in verschiedene Bereiche, wie zum Beispiel Ein-
lasskanal, Ventilsitzbereich und Brennraum, aufgeteilt werden, wodurch die wechselseiti-
ge Interaktion verschiedener Teile in Bezug auf Gittertopologie und -verzerrung infolge
der Bauteilbewegung vermieden wird. Dadurch wird die Komplexität der Netzgenerie-
rung für das Gesamtberechnungsgebiet auf die Generierung einfacher Teilnetze reduziert,
die sich problemlos kombinieren und austauschen lassen, um in einfacher Art und Weise
Geometrievariationen oder Änderungen von Ventilhubcharakteristik und Ventilsteuerzei-
ten vorzunehmen. Für die Gitternetzgenerierung der einzelnen Bauteile stehen wiederum
hochspezialisierte Verfahren zur Verfügung. Für den Ventilspaltbereich kann beispielswei-
se in einfacher Art und Weise ein polar-strukturiertes Gitter generiert werden, das durch
optimale Gitterqualität und Gitterbewegungseigenschaften gekennzeichnet ist.
    Für minimale Durchlaufzeiten bei der Erstellung von Berechnungsnetzen bei maxima-
ler Anwenderfreundlichkeit steht darüber hinaus ein Verfahren zur automatisierten Gene-
rierung von einteiligen Gitternetzen für die Gesamtgeometrie zur Verfügung, Abb. A.2. Die
automatisch generierten Gitternetze bestehen dabei überwiegend aus Hexaeder-Elementen
mit einer kleinen Anzahl von Tetraedern, Prismen und Pyramiden in den Übergangsberei-
chen von Gebieten mit unterschiedlicher räumlicher Auflösung. Die Wandbereiche beste-
hen ausschließlich aus Hexaeder-Elementen und Prismen, wobei die Anzahl der wandna-
hen Schichten bzw. deren Dicke durch den Benutzer vorgegeben werden kann. Intelligente
Technologien zur lokalen Gitterverfeinerung und Algorithmen für eine automatische Auf-
lösung geometrischer Details bieten ein Maximum an Flexibilität für alle relevanten Git-
tergenerierungsaufgaben.
    Die dynamische Gitteranpassung zur Abbildung von Kolben- und Ventilbewegung ba-
siert auf einer Interpolation zwischen Gittern identischer Topologie und Elementanzahl,
die für zwei unterschiedliche Kolben- und Ventilpositionen erstellt werden. Damit können
Gitter für praktisch jede Stellung der bewegten Bauteilkomponenten, die zwischen den Po-
sitionen der beiden Ausgangsgitter liegen, dargestellt werden. Relevante Extrempositionen
der bewegten Bauteile, wie beispielsweise obere und untere Totpunktstellung des Kolbens
oder maximaler Ventilhub, werden automatisch detektiert und die jeweiligen Gitter ohne
weiteres Zutun des Anwenders generiert. Da die Gitternetze für ein einziges repräsentati-
ves Oberflächenmodell erstellt werden, sind auch vom Benutzer frei definierbare Ventil-
und Kolbenstellungen als Ausgangspositionen für die Interpolation möglich. Kommt es
während der Expansion oder Kontraktion des Gitters infolge der Kolben- und Ventilbe-
wegung zu einer Überschreitung zulässiger Werte für die Gitterqualität, wie beispielsweise
für das Seitenverhältnis der Zellen oder des minimal/maximal erlaubten Öffnungswinkels
zweier Zellflächen, etc., so werden sogenannte Rezones, d. h. Wechsel der Netztopologie
und -auflösung durchgeführt. Damit wird sichergestellt, dass eine optimale Verteilung und
Qualität der Zellen über das gesamte betrachtete Kurbelwinkelintervall gewährleistet sind.
Das Rezoning-Verfahren kann auf Geometrien beliebiger Komplexität und frei definierba-
rer Anzahl bewegter Bauteile angewendet werden.
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                             1089

Abb. A.2 Automatisch generiertes Berechnungsnetz für Brennraum und Ein-/Auslasskanäle eines
Ottomotors

   Infolge der oft symmetrischen Anordnung von Einspritzdüse und Kolbenmulde, wie
es in der Regel bei modernen Dieselmotoren der Fall ist, werden Analyse und Opti-
mierung des Einspritz- und Verbrennungsprozesses üblicherweise mittels Simulation
eines Brennraumteilbereichs ausgeführt. Der untersuchte Strömungsbereich ist dann auf
den Brennraumabschnitt um einen einzelnen Kraftstoffstrahl herum beschränkt. Unter
Verwendung geeigneter Anfangs- und Randbedingungen wird dabei das Kurbelwinkel-
intervall vom Schließen des Einlassventils bis zum Öffnen des Auslassventils simuliert.
In diesem Fall kann die Generierung des Gitternetzes auf parametrisierte, zweidimen-
sionale Kurven gestützt werden, welche die Geometrie des Brennraums und optional
der Einspritzdüse beschreiben. Anhand dieser Ausgangsdaten wird die Generierung
der Gitter, die für den Simulationsintervall zwischen dem Schließen des Einlassventils
und dem Öffnen des Auslassventils benötigt werden, automatisch ausgeführt, Abb. A.3.
Das Gittergenerierungsverfahren erstellt dabei eine von der Kolbenstellung unabhängi-
ge Gitternetztopologie für den Einspritzstrahlbereich mit einer festgelegten Anzahl und
Orientierung der Berechnungszellen entsprechend der Lage der Einspritzstrahlachse. Dies
stellt später in der Berechnung ein Höchstmaß an erzielbarer Genauigkeit bei der Berech-
nung der Einspritzstrahlausbreitung und Strahlverbrennung sicher.
   Die Benutzerschnittstelle von AVL FIRE® ESE Diesel bietet darüber hinaus alle Funk-
tionen zum Einrichten und Ausführen der gesamten Berechnung des Einspritz- und
Verbrennungsprozesses von Dieselmotoren sowie zur Durchführung aller relevanten
anwendungsspezifischen Aufgaben betreffend dem Post-Processing der Berechnungs
ergebnisse.
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
1090                           A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

Abb. A.3 AVL FIRE® Engine Simulation Environment (ESE) Diesel – Benutzerumgebung für Git-
ternetzerstellung und Simulation von Dieselmotoren

Abb. A.4 Visualisierung von
Simulationsergebnissen für
den Einspritzstrahl in einem
DI-Ottomotor

   Die Online-Monitoring und Post-Processing Funktionalitäten von AVL FIRE® bieten
zahlreiche Funktionen, die unter anderem eine detaillierte Überwachung des Berech-
nungslaufes sowie der Ergebnisvisualisierung bereits zur Laufzeit gestatten. Während
der Simulation ist damit eine Kontrolle des Konvergenzverhaltens und der Ergebnisent-
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                              1091

wicklung möglich, indem der Verlauf von Indikatoren der numerischen Lösung sowie
ausgewählte Berechnungsergebnisse in übersichtlicher Form zugänglich gemacht wer-
den. Das Post-Processing Modul ermöglicht darüber hinaus die Generierung von zwei-
und dreidimensionalen Schnitten zur Visualisierung von skalaren und Vektorgrößen als
Iso-Linien, Iso-Werte und Iso-Flächen. Darüber hinaus ist die Anzeige von Tropfen, Par-
tikelstromlinien und Partikelspuren möglich, Abb. A.4.
   Für die Analyse der Ergebnisse bietet das Post-Processing darüber hinaus die Möglich-
keit der Weiterverarbeitung dreidimensionaler Ergebnisdaten, Makro- und Formelfähig-
keiten sowie den Import ausgewählter Prüfstanddaten. Für die Präsentation der Ergebnisse
verfügt das Post-Processing auch über Schattierungs-, Misch- und Texturierungsoptionen
und ermöglicht das Variieren der Objektbeleuchtung, das Zuordnen von Farben, das Einfü-
gen von Text und vorgefertigten Textvariablen, die Generierung farbiger Plots in verschie-
denen Formaten sowie die Generierung von Animationen der Berechnungsergebnisse.

A1.2.2 Strömungslöser und Lösungsalgorithmus
Der Rechenkern des 3D-CFD Codes AVL FIRE® löst die allgemeinen Erhaltungsgleichun-
gen von Masse, Impuls und Energie sowie weitere Transportgleichungen für Turbulenz-
größen, für die Erhaltung chemischer Spezies und – je nach Art der verwendeten physika-
lischen und chemischen Teilmodelle – zusätzliche skalare Größen, wie zum Beispiel den
Reaktionsfortschritt, die Flammoberflächendichte, etc.
    Das Lösungsverfahren basiert auf einer vollständig konservativen Finite-Volumen-
Methode. Alle abhängigen Variablen für Impuls, Druck, Dichte, turbulente kinetische
Energie, Dissipationsrate und skalare Größen, wie zum Beispiel chemische Spezies, wer-
den an den Mittelpunkten der Rechenzellen berechnet (Demirdzic et al. 1993). Aufgrund
der Verwendung unstrukturierter Gitter kommt der numerischen Genauigkeit des verwen-
deten Algorithmus besondere Aufmerksamkeit zu. Für die integrale Approximation wird
die Mittelpunktregel zweiter Ordnung, für alle Werte an der Zellfläche eine lineare Ap-
proximation zweiter Ordnung verwendet. Für die Diskretisierung des Konvektionsterms
stehen zahlreiche Verfahren zweiter und höherer Ordnung zur Verfügung.
    Um im Hinblick auf Struktur und Topologie der verwendeten Gitternetze ein Maximum
an Flexibilität zu gewährleisten, kann jede Rechenzelle aus einer beliebigen Anzahl von
Zellflächen zusammengesetzt sein. Zur Behandlung dieser polyhedralen Berechnungsvo-
lumina stehen entsprechende Konnektivitäts- und Interpolationsverfahren für Gradienten
und Zellflächenwerte zur Verfügung.
    Die zeitliche Änderungsrate wird unter Verwendung eines impliziten Euler-Ansatzes
höherer Ordnung diskretisiert. Das Lösungsverfahren selbst ist iterativ und basiert auf der
Semi-Implicit Method for Pressure-Linked Equations (SIMPLE), das auf turbulente Strö-
mungen bei beliebigen Geschwindigkeiten bis hin zu Überschallströmungen anwendbar
ist, Abb. A.5.
    Zum Lösen der großen linearen Gleichungssysteme, die sich aus der Diskretisierung der
zugrunde liegenden Gleichungen ergeben, kommen effiziente Konjugierte-Gradienten-
Verfahren mit Präkonditionierung zur Anwendung. Das symmetrische Gradienten-
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
1092                           A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

Abb. A.5 Strömungsgeschwindigkeiten und Turbulenzverteilung während des Ansaugtaktes in ei-
nem DI-Dieselmotor

Verfahren dient dem Lösen von Gleichungen mit symmetrischer Matrix, das bi-konjugierte
Verfahren wird für Gleichungen mit asymmetrischer Matrix verwendet. Beide Verfahren
werden entweder mit der Unvollständigen Cholesky-Zerlegung oder der Präkonditionie-
rungstechnik nach Jacobi angewendet. Als ein überaus effizientes Verfahren zum Lösen
großer dünnbesetzter linearer Systeme bietet AVL FIRE® auch das Algebraische Multigrid-
Verfahren (AMG) an.
   Für die Durchführung der Berechnung stehen verschiedene Arten von Anfangs- und
Randbedingungen zur Verfügung, die entsprechend der Zielsetzung des jeweiligen Strö-
mungsproblems ausgewählt werden können. Der Gleichungslöser ist speziell abgestimmt
auf verbrennungsmotorische Anwendungen und ist in der Lage, Rechenmodelle komple-
xester Geometrie mit bewegten Grenzen zu bearbeiten. Entsprechend den Erfordernis-
sen unterschiedlicher Anwendungen können transiente Simulationen auf Kurbelwinkel-
oder Zeitschrittbasis durchgeführt werden. Für die Ausführung auf einer Mehrprozessor-
Hardware wird die Methode der Parallelisierung durch Gebietszerlegung verwendet, wel-
che eine zeiteffiziente Lösung von Problemstellungen, die eine große Anzahl von Rechen-
zellen umfassen, ermöglicht.

A1.3 Turbulente Strömung und Wärmeübergang

Bei der überwiegenden Anzahl von Strömungsvorgängen im Bereich der Verbrennungs-
motoren handelt es sich um turbulente Strömungen. Für eine genaue Berechnung der
realen Strömungsverhältnisse ist es daher notwendig, das Phänomen der Turbulenz
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                            1093

möglichst zutreffend modellieren zu können. Das ist deshalb wichtig, weil turbulente
Verwirbelungen nicht nur die Details der Fluidströmung selbst bestimmen, sondern auch
einen erheblichen Einfluss auf die während der Gemischbildung und der Verbrennung
stattfindenden Mischungs- und Reaktionsprozesse ausüben. So ist zum Beispiel in Ver-
brennungsmotoren die turbulente kinetische Energie ein entscheidender Einflussfaktor für
die Ausbreitung und Verdampfung der Tröpfchen eines eingespritzten Flüssigkraftstoffs
und die anschließende Verbrennung des Kraftstoff-Luft Gemisches. Neben den üblichen
bekannten Turbulenzmodellen, wie zum Beispiel k-ε, Spalart-Allmaras, Reynolds Stress
etc., bietet AVL FIRE® auch das k-ζ-f Turbulenzmodell an, das speziell für die Strömungs-,
Wärmeübertragungs- und Verbrennungsprozesse in Verbrennungsmotoren entwickelt
und validiert wurde (Basara 2006).
   Im Zusammenhang mit der Strömungsmechanik von Verbrennungsmotoren liefert das
k-ζ-f-Modell genauere Ergebnisse als die einfacheren Modelle vom k-ε Typ und bietet
zugleich einen hohen Grad an numerischer Stabilität bei komplexen Strömungen. In Kom-
bination mit einer hybriden Wandbehandlung, wie sie von Popovac und Hanjalic (2005)
vorgeschlagen wurde, wobei die Integration bis zur Wand mit gängigen Wandfunktionen
kombiniert wird, ist das k-ζ-f Turbulenzmodell universell auf allgemeine Gitternetze und
Strömungssituationen mit beliebigen, sinnvollen Werten von y+ in Wandnähe anwendbar.
   Heute ist der k-ζ-f Ansatz das Standardmodell für die Modellierung von turbulenter
Strömung und des turbulenten Wandwärmeübergangs in verbrennungsmotorischen An-
wendungen von AVL FIRE®. Von besonderem Vorteil ist dabei die Verlässlichkeit des Mo-
dells bei der Berechnung von Problemstellungen mit bewegten Bauteilen und bei hochver-
dichteten Strömungen, wie man sie in Verbrennungsmotoren findet. In Verbindung mit
der hybriden Wandbehandlung garantiert das k-ζ-f Modell die optimale Lösung für alle
Gitternetze im Hinblick auf Verlässlichkeit, Rechenzeit und Genauigkeit, Abb. A.6.

Abb. A.6 Berechnete Stromli-
nien und Turbulenzverteilung
während der Einlassströ-
mung in einem Ottomotor
unter Verwendung des k-ζ-
f-Turbulenzmodells (Tatschl
et al. 2006)
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE
1094                           A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

A1.4 Mehrphasenströmung in der Einspritzdüse

Die größte Herausforderung bei der Simulation von Düseninnenströmungen sind die auf-
tretenden Mehrphasenprozesse, die in AVL FIRE® auf der Grundlage eines Multifluid-
Ansatzes und anhand von Teilmodellen für die Berechnung verschiedener Phänomene,
wie zum Beispiel Kavitation, Flash-Boiling, etc., modelliert werden. In diesen Simulatio-
nen werden die Eigenschaften des Einspritzsystems durch Offline- oder Direkteinbindung
der CFD-Methodik in eindimensionale Hydrauliksimulationen berücksichtigt (Chiavola
und Palmieri 2006; Caika et al. 2009).
    Die Berechnung der Düseninnenströmung in AVL FIRE® stützt sich auf den allgemeins-
ten Ansatz zur Simulation mehrphasiger Strömungen, das Eulersche Multifluid-Verfahren.
Die einzelnen Fluide werden dabei als kontinuierliche Phasen angesehen, wobei auf je-
des Fluid die entsprechenden Erhaltungsgesetze angewendet werden. Die mikroskopischen
Grenzflächen werden mittels einer Ensemblemittelungstechnik approximiert. Dies führt
zu makroskopischen Erhaltungsgleichungen, die ihren einphasigen Gegenstücken analog
sind, sich aber dadurch unterscheiden, dass die neue Variable Volumenfraktion sowie wei-
tere Austauschterme zwischen den Phasen eingeführt werden (Drew und Passmann 1998).
In seiner gegenwärtigen Umsetzung ist der verwendete Mehrphasen-Ansatz in der Lage, je-
de beliebige Anzahl von Phasen zu verarbeiten.
    Aufgrund der zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten des Multifluid-Verfahrens wer-
den die Phasenaustauschterme entsprechend den verschiedenen Arten von Simulations-
problemen, wie zum Beispiel Kavitation, Flash-Boiling, etc., flexibel modelliert. Der Mas-
senaustausch aufgrund von Kavitation wird mittels der Rayleigh-Gleichung approximiert,
wobei ein gleichförmiges Druckfeld für alle Phasen und – je nach Art des gewählten Kavita-
tions-Teilmodell – eine monodisperse oder polydisperse Größenverteilung der Kraftstoff-
dampfblasen angenommen wird (Wang et al. 2005). Optional werden die bekannten, um
Mehrphasenanteile erweiterten k-ε oder k-ζ-f Turbulenzmodelle verwendet, wobei für je-
de Phase separate Erhaltungsgleichungen gelöst werden. Mit Hilfe des Multifluid-Ansatzes
ist es möglich, Strömungen in Diesel- und Benzineinspritzdüsen numerisch zu simulieren,
wobei Kavitationsphänomene sowohl im Düsenloch- als auch im Nadelsitzbereich berück-
sichtigt werden können.
    Anhand der Simulationsergebnisse kann festgestellt werden, in welchen Bereichen Ka-
vitation auftritt, bzw. kann die Form und Ausdehnung von kavitationsinduzierten kraft-
stoffdampfhaltigen Regionen untersucht werden, Abb. A.7. Darüber hinaus können die
Auswirkungen verschiedener Düsengeometrien und Düsenkonfigurationen, wie zum Bei-
spiel des Düsentyps (VCO, SAC, etc.), oder Variationen des Düsenlochdurchmessers, des
Durchmesser-Längen Verhältnisses sowie der Einspritzstrategien auf einfache Weise ana-
lysiert werden (Chiatti et al. 2007).
    Die errechneten Ergebnisse geben auch detaillierte Informationen zur Geschwindig-
keit, Turbulenzintensität und zur Volumenfraktion des dampfförmigen Kraftstoffs am Aus-
tritt der Einspritzdüse. Diese Informationen können entweder für eine direkte Beurtei-
lung der Primärzerfallseigenschaften des die Düse verlassenden Kraftstoffstrahls (Tatschl
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                            1095

Abb. A.7 Berechnete Kavi-
tationscharakteristik in einer
Dieseleinspritzdüse

et al. 2000a), oder als Eingangsbedingung für eine anschließende Simulation des Kraftstoff-
strahls im Brennraum von Verbrennungsmotoren für Dieseleinspritzvorgänge (Chiavola
und Palmieri 2006), und Benzineinspritzung (Greif et al. 2005), verwendet werden.
    Darüber hinaus kann die Vorhersage von Kavitationsphänomenen im Kontext der Ana-
lyse und Optimierung von Einspritzdüsen und Komponenten von Einspritzanlagen in Be-
zug auf das Auftreten von kavitationsinduzierter Erosion (Greif et al. 2005), und für die
numerische Untersuchung der thermischen Bedingungen in Dieseleinspritzdüsen (Leuthel
et al. 2008), verwendet werden.

A1.5 Kraftstoff-Spray und Wandfilm

In Verbrennungsmotoren mit direkter oder indirekter Kraftstoffeinspritzung hängt die Ge-
nauigkeit der Berechnungsergebnisse in Bezug auf die zeitliche und räumliche Verteilung
des Kraftstoff-Luft Gemisches und damit die Genauigkeit der anschließenden Verbren-
nungssimulation in hohem Maße von der Vorhersagefähigkeit der eingesetzten Modelle
ab, die für die Ausbreitung des Kraftstoffstrahls, sowie die Bildung und den Transport des
Wandfilms verwendet werden (Bianchi et al. 2006; Bianchi et al. 2007; Musu et al. 2006).
AVL FIRE® enthält ein umfassendes Modellpaket für die Berechnung der Flüssigkraftstoffe-
inspritzung, der Kraftstoffzerstäubung, des sekundären Aufbrechens der Tröpfchen, der
Verdampfung, der Tröpfchen-Wand Interaktion, etc. Der vorliegende Abschnitt gibt eine
Übersicht zu den Modellen, die für die Simulation der bei Diesel- und Benzineinspritz-
strahlausbreitung stattfindenden Prozesse zur Verfügung stehen.
1096                           A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

Abb. A.8 Tröpfchenvertei-
lung und Dampfkonzentration
während der Kraftstoffein-
spritzung im Brennraum eines
DI-Dieselmotors

A1.5.1 Diskrete Tröpfchen-Spray Methode
Das Spraymodell, das derzeit vorzugsweise für die Simulation der Einspritzstrahlausbrei-
tung und Gemischbildung in Verbrennungsmotoren genutzt wird, basiert auf der Lagrang-
schen „Discrete Droplet Method“ (DDM) (Dukowicz 1980). Während die kontinuierliche
Gasphase durch die Eulerschen Erhaltungsgleichungen beschrieben wird, wird der Trans-
port der dispersen Phase durch Nachverfolgung der Trajektorien repräsentativer Tröpf-
chenpakete berechnet. Ein solches Paket besteht dabei aus einer Anzahl von Tröpfchen,
welche alle die gleichen physikalischen Eigenschaften besitzen und sich in der gleichen
Weise verhalten, wenn sie sich bewegen, aufbrechen, auf eine Wand treffen oder verdamp-
fen. Die Berechnung der Paketbewegung erfolgt mittels eines Teilzyklusverfahrens inner-
halb der einzelnen Zeitschritte des Gasphasenlösers unter Berücksichtigung der Kräfte, die
durch die Gasphase auf die Pakete ausgeübt werden, sowie des damit verbundenen Wärme-
und Massenübergangs, Abb. A.8. Die Kopplung zwischen der Flüssig- und der Gasphase
erfolgt mittels Quelltermaustausch für Masse, Impuls, Energie und Turbulenzinteraktions-
vorgänge.
   Wenn Tröpfchenpakete in den Strömungsbereich eingebracht werden, so werden als
Anfangsbedingung Informationen zur Startposition und -richtung, Größe, Geschwindig-
keit und Temperatur benötigt. AVL FIRE® unterstützt die Einbringung von Tröpfchen,
welche die Düse in Form eines Sprühstrahls (Spray) verlassen, unter vom Anwender fest-
gelegten Bedingungen oder alternativ unter Bedingungen, die als Ergebnisdaten einer vor-
ausgegangenen Düseninnenströmungssimulation bereitgestellt werden. Der zweite Ansatz
ermöglicht es, die Auswirkungen der Düseninnenströmung auf das Primärzerstäubungs-
verhalten des aus der Einspritzdüse austretenden flüssigen Kraftstoffs zu erfassen und da-
mit auf die anschließende Sprayform und die Entwicklung der Tröpfchengrößenverteilung
in vollem Umfang zu berücksichtigen (Tatschl et al. 2000b; Chiavola und Palmieri 2006).
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                             1097

    Für die Modellierung der Primärzerstäubung bietet AVL FIRE® zwei grundlegende
Optionen innerhalb des DDM. Der erste Ansatz basiert auf der Einbringung einer Reihe
großer Tröpfchen von der Größe des Düsenlochdurchmessers, die den kohärenten Flüssig-
keitsstrahl repräsentieren, wobei ihr Durchmesser sich anschließend gemäß der aus dem
Primärzerfallsmodell errechneten Massenablösungsrate verringert (Fink et al. 2009). Der
zweite Ansatz basiert auf der Berechnung der Erosion der aus dem Spritzloch austretenden
kohärenten flüssigen Kraftstoffsäule auf Basis eines separaten Teilmodells sowie der daran
anschließenden Freisetzung von Tröpfchenpaketen stromabwärts der Düse, wobei dabei
die freigesetzten Tröpfchen bereits deutlich kleiner als der Düsendurchmesser sind (v. Berg
et al. 2005).
    Beide Modelle nutzen detaillierte Informationen aus vorangegangenen Simulationen
der kavitierenden Düseninnenströmung zum Berechnen der Rate des Primärzerfalls und
der daraus resultierenden Ligament- oder Tröpfchengröße. Diese Vorgangsweise erlaubt
eine direkte Verknüpfung der Einspritzstrahlsimulation mit den Düseninnenströmungsbe-
dingungen, was sich für eine präzise Sprayinitialisierung und die anschließende Simulation
der Gemischbildung in Dieselmotoren als entscheidend erwiesen hat (Masuda et al. 2005;
Nagaoka et al. 2008). Die Schnittstelle von Düseninnenströmungs- und Einspritzstrahlsi-
mulation erfolgt dabei über den Austausch von geometrischen sowie detaillierten zeitlich
aufgelösten Strömungsdaten im Querschnitt des Düsenaustritts.
    Der Sekundärzerfall der Kraftstofftröpfchen ist ein an den primären Strahlzerfall an-
schließender Prozess innerhalb des Sprühkonus, der infolge Interaktion mit der Gasströ-
mung auf die einzelnen Tröpfchen wirkt, bis eine stabile Tröpfchengröße erreicht ist. Die
Zerfallsregime, die durch entsprechende Modelle erfasst werden, sind Deformationszer-
fall, Blasenzerfall, Grenzschichtablösung, Kapillarwellenablösung und Totalzerfall durch
Raleigh-Taylor-Instabilität (v. Künsberg Sarre und Tatschl 1998).
    Das turbulente Dispersionsmodell behandelt die Interaktion der einzelnen Tröpfchen
mit den lokalen turbulenten Wirbeln des Strömungsfeldes. Jede Interaktion wirkt auf die
Tröpfchen entsprechend der Momentangeschwindigkeit der Wirbel und der Trägheit des
Teilchens. Kollisions- und Koaleszenzmodelle beschreiben die Wahrscheinlichkeit und die
Auswirkungen des Aufeinanderprallens von Tröpfchen anhand einer Wahrscheinlichkeits-
dichtefunktion, welche die Häufigkeit und die Art von Kollisionsereignissen bestimmt.
Eine Entwicklung jüngeren Datums berücksichtigt auch Randkollisionen und Splashing-
Effekte (Stralin 2006).
    Verzerrungs- und Luftwiderstandsmodelle berücksichtigen schließlich die Verformung
der Tröpfchen aufgrund aerodynamischer Bedingungen und den daraus resultierenden
Einfluss auf den Luftwiderstandskoeffizienten des Tröpfchens.
    Für die korrekte Berechnung von Verdampfungsprozessen existieren verschiedene An-
sätze zum Modellieren der Tröpfchenerwärmung und des Stoffübergangs von der Flüs-
sigkeit ins Gas, Abb. A.9. In der ursprünglichen Form der Modellansätze werden sphäri-
sche Tröpfchen, quasi-stationäre Bedingungen an der Tröpfchenoberfläche, eine homogene
Tröpfchentemperatur und Zirkulation im Inneren angenommen. Wärme- und Stoffüber-
tragungskoeffizienten werden entsprechend den physikalischen Gesetzen für jedes Modell
1098                              A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

Abb. A.9 Kraftstoffstrahlausbreitung und Verteilung des Kraftstoff-Luft Verhältnisses in Wandnähe
während des Kaltstarts eines DI-Dieselmotors 20° Kurbelwinkel (links) und 30° Kurbelwinkel (rechts)
nach dem oberen Totpunkt

Abb. A.10 Kraftstofftröpfchenverteilung und Wandfilmbildung in einem DI-Ottomotor

individuell angesetzt. Zusätzlich stehen Korrekturfunktionen zur Verfügung, um die oben
genannten Simplifikationen für Wärmeübergang, Tröpfchenverformung oder Zirkulation
im Inneren zu kompensieren. Darüber hinaus ist ein Mehrkomponenten-Verdampfungs-
ansatz verfügbar, der die Berechnung des Verdampfungsprozess von Tröpfchen ermöglicht,
die aus einer beliebigen Anzahl einzelner Komponenten bestehen (Brenn 2007). In der Pra-
xis hat es sich als zielführend erwiesen, in Verbrennungsmotoren eingesetzte Kraftstoffe
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                             1099

durch etwa vier bis sechs Spezies darzustellen, um ihr durch die Flüchtigkeit der einzelnen
Komponenten bestimmtes Verdampfungsverhalten ausreichend genau zu approximieren.
   Wandinteraktionsmodelle beschreiben das Verhalten eines auf eine Wand auftreffen-
den Kraftstofftröpfchens in Abhängigkeit von Parametern wie Tröpfchengeschwindigkeit,
Durchmesser, physikalische Eigenschaften, Rauigkeit der Wandoberfläche und Tempera-
tur. Bei sehr geringen Aufprallgeschwindigkeiten haften die Tröpfchen an der Wand oder
gehen in den Wandfilm über, Abb. A.10. Mit zunehmender Aufprallgeschwindigkeit wird
eine Dampf- oder Gasgrenzschicht unter den Tröpfchen gebildet und verursacht ein Ab-
prallen der Flüssigkeit bei Annäherung an eine Wand. Während des Abprallens werden
Teile der kinetischen Energie dissipiert, und die Geschwindigkeit des abprallenden Tröpf-
chens ist gewöhnlich niedriger als seine Annäherungsgeschwindigkeit. Eine weitere Zu-
nahme der Geschwindigkeit hat entweder das Ausbreitungs- oder das Splashing-Regime
zur Folge. Tröpfchen-Splashingmodelle sind erst vor kurzem dahingehend erweitert wor-
den, dass die Wandtemperatur zur Bestimmung des anzuwendenden Splashing-Regimes
berücksichtigt wird (Birkhold et al. 2007).

A1.5.2 Euler Spray Modell
Das oben beschriebene Diskrete-Tröpfchen-Modell eignet sich besonders für verdünnte
Sprays, hat aber Limitierungen in Bezug auf die Modellierung dichter Sprays nahe dem
Düsenaustritt (wo Gas- und Tröpfchenphase eng miteinander gekoppelt sind) und die sta-
tistische Konvergenz im Zusammenhang mit lokaler Gitterverfeinerung. Ein alternativer
Ansatz zum DDM basiert auf der Verwendung eines Eulerschen Verfahrens, das verschie-
dene Größenklassen der Spraytröpfchen als separate, einander durchdringende Phasen
betrachtet. Das aktuell verfügbare Modell basiert auf dem Eulerschen Mehrphasen-Ansatz,
der durch Ensemblemittelung der maßgebenden Erhaltungsgleichungen abgeleitet ist (Ala-
jbegovic et al. 1999). Für jede Phase werden Impuls- und Energieerhaltungsgleichungen
sowie entsprechende Gleichungen für die turbulente kinetische Energie und deren Dissi-
pationsrate berechnet. Innerhalb jeder Rechenzelle sind die Tröpfchenphasen durch eine
bestimmte Volumenfraktion und einen bestimmten Durchmesser sowie optional durch die
Tröpfchenanzahl beschrieben (v. Berg et al. 2001).
    Alle Austauschprozesse im Zusammenhang mit der Tröpfchengröße oder der spe-
zifischen Oberfläche der Tröpfchenphasen werden entsprechend modelliert, d. h. die
physikalischen Eigenheiten der relevanten Prozesse werden durch grenzflächenbezoge-
ne Austauschterme zwischen den Phasen berechnet. Dazu werden spezifische Modelle
für die Berechnung von Zerfalls- und Verdampfungsprozessen angewendet. Bei den Zer-
fallsprozessen wird wieder unterschieden zwischen primärem Strahlzerfall, bei dem das
Aufbrechen des zunächst kohärenten Strahlkerns in großskalige Ligamente und weiter
in individuelle Tröpfchen betrachtet wird, und dem Sekundärzerfall, bei dem das Auf-
brechen großer, instabiler Tröpfchen infolge aerodynamischer Wechselwirkungskräfte in
kleine, stabile Tröpfchen erfolgt. Des Weiteren beeinflussen Luftwiderstandskräfte und
turbulente Dispersionskräfte die Impulswechselwirkung zwischen der gasförmigen und
der flüssigen Tröpfchenphase, welche entsprechend modelliert werden. Schließlich be-
1100                            A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

Abb. A.11 Chimera-Gitter (links) und Berechnungsergebnis der ACCI-gekoppelten Euler/Lagrang-
schen Berechnung der Einspritzstrahlausbreitung (rechts) (Edelbauer et al. 2006)

schreibt ein Verdampfungsmodell den Stoff- und Wärmeaustausch zwischen Flüssig- und
Gasphase (v. Berg et al. 2003; Vujanovic et al. 2008).
    Der Spritzlochaustritt wird vollständig durch das Eulersche Spraygitter aufgelöst, wes-
halb es zweckmäßig ist, die Einlassrandbedingungen aus einer separaten Düsenströmungs-
berechnung abzuleiten, welche die Strömungsfelddaten an der Düsenöffnung bereitstellt.
Der entsprechende Datensatz enthält Information zur Geometrie des Düsenauslasses und
die Strömungsdaten in ausreichender zeitlicher Abfolge, die das Eulersche Spraymodell
als Randbedingung für die Flüssig- sowie im Fall von Kavitation für die Dampfphase ver-
wendet. Die Turbulenzinformation aus der Düseninnenströmungssimulation wird im Pri-
märzerfallsmodell für die Berechnung der Zerfallsrate und des sich einstellenden stabilen
Tröpfchendurchmessers herangezogen. Die Verbindung des Eulerschen Spraymodells mit
der Berechnung des dispersen Kraftstoffstrahls und der Verbrennung im Brennraum wird
über ein Chimera-Gitterverfahren realisiert, Abb. A.11, das mit dem AVL Code Coupling
Interface (ACCI) arbeitet (Edelbauer et al. 2006; Suzzi et al. 2007).

A1.5.3 Wandfilmtransport
Das in AVL FIRE® verfügbare Wandfilmmodell ermöglicht die Simulation der Filmbildung,
des Filmtransports und seiner Verdampfung, Abb. A.10. Es berücksichtigt die Wandfilm-
Interaktion mit der Gasströmung und dem Flüssigkraftstoffstrahl sowie die Auswirkun-
gen der Oberflächenrauigkeit auf den Filmtransport. Der verwendete Modellierungsan-
satz basiert auf der Annahme, dass die Gas- und die Wandfilmströmung als separate ein-
zelne Phasen betrachtet werden können. Die numerische Realisierung des Wandfilmmo-
dells verwendet ein zweidimensionales Finite-Volume-Verfahren zur Diskretisierung der
Wandfilmgleichungen an den Wänden der betrachteten Brennraum- und Kanalgeometri-
en (Stanton und Rutland 1998).
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                            1101

    Die Kopplung der Gasphase und des flüssigen Wandfilms erfolgt über einen Massen-
und Impulsaustausch zwischen dem Film und der Gasphase an der Filmoberfläche unter
Verwendung semi-empirischer Beziehungen. Dabei wird angenommen, dass die Filmober-
fläche parallel zur Wand verläuft und dass die Filmdicke im Verhältnis zu den Abmessun-
gen der Gasströmungsregion klein ist. Unter der Annahme eines dünnen Films dominieren
Wandreibung und Scherkräfte an der Grenzfläche zwischen Film und Gasströmung das
Filmverhalten stärker als Trägheitskräfte und seitliche Scherung. Die relevanten physika-
lischen Effekte, die Einfluss auf die Filmbildung und die Filmströmung haben, wie zum
Beispiel das Mitreißen des Films (Reißen oder Abscheren an der Oberfläche aufgrund der
hohen Scherkräfte), die Interaktion mit dem auftreffenden Kraftstoffstrahl, der Wärme-
übertragung zwischen Film, Wand und Gasphase, die Filmverdampfung (einschließlich
des Verdampfens von aus mehreren Komponenten bestehenden Kraftstofffilmen) sowie
Scherkräfte zwischen den Phasen und Schwerkraft werden über entsprechende Teilmodel-
le approximiert (Ishii und Mishima 1989; Birkhold et al. 2006, 2007).

A1.6 Verbrennung

Die Modellierung der Verbrennungschemie und der Interaktion von Turbulenz und Che-
mie während der Oxidation von Kohlenwasserstoffen ist die entscheidende Herausforde-
rung bei der Simulation von turbulenten, reaktiven Strömungsprozessen. Die reaktionski-
netischen Vorgänge typischer Kohlenwasserstoff-Kraftstoffe beinhalten Hunderte von Zwi-
schenspezies, und ihre Reaktionspfade umfassen gewöhnlich mehrere hundert bis mehrere
tausend Reaktionsschritte. Weder sind die Reaktionsdetails und die zugehörigen Raten-
koeffizienten relevanter Kohlenwasserstoff-Kraftstoffe ausreichend bekannt, noch wäre es
aufgrund des zu bewältigenden Rechenaufwandes möglich, sämtliche Reaktionen in einer
3D-CFD Berechnung zu berücksichtigen.
   Die enge Koppelung zwischen der Reaktionschemie und den Strömungsfeldgrößen er-
gibt sich aus der ausgeprägten Nichtlinearität der chemischen Reaktionsraten in Verbin-
dung mit den lokalen stochastischen Fluktuationen der Temperatur- und Konzentrations-
felder. In der Praxis wird üblicherweise ein Mittelungsverfahren verwendet, das die mo-
mentanen Strömungsfeldgrößen durch seine mittleren und fluktuierenden Komponenten
ersetzt. Mathematisch führt dies zum Auftreten von Termen in den Erhaltungsgleichun-
gen, welche statistische Korrelationen von fluktuierenden Komponenten enthalten, die auf
der Grundlage bekannter mittlerer Strömungsgrößen ausgedrückt werden müssen.
   In den vergangenen Jahrzehnten wurde eine große Vielfalt von Modellen unterschiedli-
cher Komplexität entwickelt, um die Selbstzündungs- und Verbrennungschemie von Koh-
lenwasserstoffen und darauf aufbauend die mittlere Reaktionsrate in den relevanten Er-
haltungsgleichungen quantitativ zutreffend zu modellieren. Abhängig vom spezifischen
Brennverfahren und damit den zugrunde liegenden Verbrennungsregimes werden spezifi-
sche Modelle benötigt, um die bestimmenden physikalischen und chemischen Prozesse in
ausreichender Genauigkeit zu erfassen.
1102                           A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

  Im Folgenden werden die Modelle, die in AVL FIRE® für die Berechnung von Zünd-
und Verbrennungsprozessen in kompressions- und fremdgezündeten Motorkonfiguratio-
nen zur Verfügung stehen, im Überblick kurz vorgestellt.

A1.6.1 Dieselverbrennung
Für die Berechnung des Verbrennungsprozesses in Dieselmotoren unterscheidet das heute
gebräuchlichste Verbrennungsmodell zwischen den drei Hauptregimen, die während der
kompressionsgezündeten Verbrennung eine Rolle spielen: Selbstzündung, Verbrennung
mit vorgemischter Flamme und nicht-vorgemischte Diffusionsverbrennung, Abb. A.12.
Die Vorreaktionen der Selbstzündung werden innerhalb der vorgemischten Zylinderla-
dung, bestehend aus Kraftstoff, Luft und Restgas berechnet, wobei der Zündverzug durch
die lokale Temperatur, den Druck, das Kraftstoff-Luft Verhältnis und die Menge an Restgas
bestimmt wird. Auf die lokale Selbstzündung folgt die vorgemischte Verbrennung des Ge-
misches aus Kraftstoff, Luft und Restgas, das im Zeitraum zwischen Einspritzbeginn und
Einsetzen der Selbstzündung gebildet wird. Das dritte Regime ist das der Diffusionsver-
brennung, bei der die chemischen Reaktionen in einer dünnen Zone, die Kraftstoff und
Sauerstoff trennt, ablaufen. In dem aktuellen Modell wird angenommen, dass die chemi-
schen Zeitskalen in der Reaktionszone kleiner sind als die Zeit, die für den Diffusions-
prozess benötigt wird. Infolgedessen wird die Reaktionsrate während der Diffusionsver-
brennung durch die turbulente Mischung von Kraftstoff und Verbrennungsluft bestimmt,
Abb. A.13. Die Mischungsintensität wird dabei auf Basis einer charakteristischen Zeitskala
berechnet (Colin und Benkenida 2004).
   Dank dieser klaren Trennung der verschiedenen Zünd- und Verbrennungsregime ist das
vorliegende Modell besonders für die konventionelle aber auch für die alternative Diesel-
verbrennung geeignet (Tatschl et al. 2007; Priesching et al. 2007). Im Fall konventioneller
Dieselverbrennung kann davon ausgegangen werden, dass der größte Teil der Verbren-
nung vom Diffusionstyp ist, Abb. A.14. Im Fall alternativer Verbrennung wird der Kraftstoff
im vorgemischten Selbstzündungs- und Verbrennungsregime verbraucht, Abb. A.15. Auf-

Abb. A.12 Kraftstoff-
tröpfchen, Temperatur-
Iso-Oberfläche und
Temperaturverteilung in ei-
ner Schnittebene entlang der
Einspritzstrahlachse während
der DI-Dieselverbrennung
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                                                            1103

Abb. A.13 Kraftstoffdampfkonzentration (links) und Temperaturverteilung (rechts) in einem DI-
Dieselmotor in einem Schnitt durch den Brennraum 10° Kurbelwinkel nach dem oberen Totpunkt

                       120                                                      100
                                Pressure Measurement
                                Pressure Calculation
                       100

                                                                                      Rate of Heat Release [J/deg]
                                Rate of Heat Release Measurement                80
                                Rate of Heat Release Calculation
                        80
      Pressure [bar]

                                                                                60
                        60
                                                                                40
                        40

                                                                                20
                        20

                         0                                                     0
                          640           680             720          760    800
                                                 Crank Angle [deg]

Abb. A.14 Vergleich des errechneten und gemessenen Zylinderdruckverlaufs und Wärmefreiset-
zungsrate für konventionelle Dieselverbrennung (Tatschl et al. 2007)

grund seiner generischen Natur kann das Modell für alle Arten von Kraftstoffen verwendet
werden, die für heutige und zukünftige Verbrennungskonzepte von Verbrennungsmotoren
von Bedeutung sind.
    Für die Vorhersage der Selbstzündung werden vorberechnete Zündverzugsdaten ver-
wendet, die in so genannten Look-Up Tabellen gespeichert sind und die in AVL FIRE® für
die heute gebräuchlichen Kraftstoffe abgerufen werden können. Die Erstellung dieser Ta-
bellen basiert auf der Grundlage reaktionskinetischer Berechnungen unter Verwendung
komplexer Reaktionsmechanismen (Curran et al. 1998). Die tabellierten Werte werden
als Funktionen der Parameter Druck, Temperatur, Kraftstoff-Luft Verhältnis und Restgas-
gehalt gespeichert. Die Bandbreite dieser Parameter ist so gewählt, dass die relevanten
Bedingungen für Druck, Temperatur und Zusammensetzung des Ladungsgemisches im
1104                                        A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

                       100                                                              600
                                Pressure Measurement
                                Pressure Calculation

                                                                                              Rate of Heat Release [J/deg]
                        80      Rate of Heat Release Measurement
                                Rate of Heat Release Calculation                        450
       Pressure [Pa]

                        60
                                                                                        300
                        40

                                                                                        150
                        20

                         0                                                              0
                          640         680             720            760             800
                                                Crank Angle [deg]
                                                                                                                             

Abb. A.15 Vergleich des errechneten und gemessenen Zylinderdruckverlaufs und Wärmefreiset-
zungsrate für die HCCI-Dieselverbrennung (Priesching et al. 2007)

Zylinder vor der Verbrennung erfasst werden können. Für die eigentliche Bestimmung des
Selbstzündverzuges in der CFD-Simulation wird eine Transportgleichung für eine Indika-
torspezies gelöst, wobei deren Bildungsrate aus den tabellierten Werten abgeleitet wird. So-
bald der lokale Wert der Indikatorspezies einen bestimmten Schwellwert erreicht, wird die
Selbstzündung eingeleitet. Die Kraftstoffabbrandrate wird dann durch eine charakteristi-
sche chemische Zeitskala gesteuert, die eine schnelle Verbrennung nach der Selbstzündung
gewährleistet (Colin et al. 2005).
    Der Prozess der Kohlenwasserstoffoxidation während der Hochtemperaturverbrennung
wird in der Berechnung in drei Hauptreaktionsschritte unterteilt. Kraftstoff wird zunächst
teilweise zu CO und zu CO2 oxidiert, in der Folge reagiert CO in Verbindung mit weiteren
Reaktionen unter der Teilnahme von O, H und OH Radikalen, erfasst über einen chemi-
schen Gleichgewichtsansatz, und führt schließlich zur finalen Spezieszusammensetzung,
vornehmlich dominiert von den stabilen Produkten der Verbrennung, CO2 und H2 O. Die
oben beschriebenen Verbrennungsreaktionen erfassen den für innermotorische Verbren-
nungsvorgänge relevanten Bereich der Gemischzusammensetzung von mager bis fett sowie
die in der Praxis auftretenden Restgasgehalte. Neben der Wärmefreisetzung in der Flam-
me und den stabilen Endprodukten der Verbrennung, stellt der verwendete Ansatz alle
relevanten Informationen über CO und Radikalspezies bereit, die für die anschließende
Berechnung der Schadstoffe wichtig sind.
    Neben der oben beschriebenen Verbrennungsmodellierung bietet AVL FIRE® eine
breite Vielfalt weiterer Modelle für spezielle Anwendungen im Bereich der Analyse kom-
pressionsgezündeter Verbrennungsabläufe, wie zum Beispiel ein Modell der turbulenten
Verbrennung, das in Kombination mit einem geeigneten Selbstzündungsmodell auf die
A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®                             1105

herkömmliche Dieselverbrennung (Tatschl et al. 1998; Dahlen und Larsson 2000; Cipolla
et al. 2007) sowie auf HCCI-Verbrennungskonzepte (Priesching et al. 2003), anwendbar
ist. Das Modell der charakteristischen Zeitskala kann im Kontext des ursprünglichen An-
satzes nach Kong et al. (1995) oder in Kombination mit detaillierten Mechanismen der
chemischen Kinetik, wie für die HCCI-Verbrennung in Priesching et al. (2003) gezeigt,
verwendet werden.
    Zur direkten Berechnung detaillierter Reaktionskinetik gelangt ein Ordinary-Differen-
tial-Equations (ODE) Löser zur Anwendung, der direkt in den Basisalgorithmus des Strö-
mungslösers integriert ist, wodurch eine stabile und schnelle Lösung der gekoppelten Glei-
chungssysteme gewährleistet wird. Zur Erfassung der lokalen reaktionskinetischen Pro-
zesse werden die chemischen Reaktionen in jeder Rechenzelle berechnet, wobei turbulen-
te Mischungsvorgänge über den Ansatz der charakteristischen Zeitskalen berücksichtigt
werden. Die detaillierten Mechanismen der chemischen Kinetik können über das übliche
CHEMKIN-Datenformat eingelesen werden. Der Anwender kann darüber hinaus über of-
fene Software-Schnittstellen in vollem Umfang auf die Berechnung der Quellterme und des
Turbulenzinteraktionsmodells zugreifen, um beispielsweise eigene Teilmodelle zu imple-
mentieren (Wang et al. 2006).

A1.6.2 Benzinverbrennung
Die Charakteristik der vorgemischten Flammausbreitung während der Verbrennung in
einem Ottomotor wird überwiegend durch die turbulente Strömung im Zylinder, die lo-
kale Verteilung der Gemischzusammensetzung und die im Zylinder herrschenden Druck-
und Temperaturbedingungen in der unverbrannten Ladung vor der Flamme geprägt. Die
lokale Geschwindigkeit der turbulenten Flammenausbreitung wird bestimmt durch die
kraftstoffspezifische laminare Flammengeschwindigkeit und durch die lokale Turbulen-
zintensität des Strömungsfeldes. In Ottomotoren findet die turbulente Verbrennung in der
Regel unter vorgemischten Bedingungen statt.
   Die turbulente ottomotorische Verbrennung wird heute üblicherweise mit einem Mo-
dell erfasst, welches die turbulente Reaktionsfront als gefaltete laminare Flammenfront
betrachtet. Das Modell basiert auf dem Lösen einer Transportgleichung für die Flammo-
berflächendichte, wobei Quellterme die Zunahme der Flammenoberfläche aufgrund der
Faltung der Flamme durch Turbulenzeffekte sowie die Abnahme der Flammoberfläche auf-
grund der chemischen Reaktionen berücksichtigen, Abb. A.16. Die Version des Modells
der kohärenten Flamme, das in AVL FIRE® realisiert ist, berücksichtigt in vollem Umfang
Inhomogenitäten des Kraftstoff-Luft Verhältnisses und des Restgases auf die Flammaus-
breitungseigenschaften, wodurch auch die Berechnung einer Schichtladungsverbrennung
ermöglicht wird (Duclos et al. 2000; Georjon et al. 2003; Patel et al. 2003).
   Die Informationen zur laminaren Flammgeschwindigkeit, die im Modell der kohären-
ten Flamme benötigt werden, erhält man entweder aus empirischen Korrelationen, wie
zum Beispiel Metghalchi und Keck (1982), oder aus detaillierten reaktionskinetischen Be-
rechnungen und Tabellierung der Daten der laminaren Flammgeschwindigkeit als Funk-
tion von Temperatur, Druck, Luft/Kraftstoff Verhältnis und Restgasgehalt (Bogensperger
1106                           A1 3D-CFD Simulation mit dem kommerziellen Code AVL FIRE®

Abb. A.16 Form und Lage der Flammfront in einem 4-Ventil Ottomotor 15° Kurbelwinkel (links)
und 25° Kurbelwinkel (rechts) nach dem oberen Totpunkt

et al. 2008). Die detaillierten Berechnungen der Reaktionskinetik und die Tabellierung der
Daten der laminaren Flammgeschwindigkeit werden getrennt vor der eigentlichen CFD-
Berechnung ausgeführt. Sobald die tabellierten Daten einmal für eine spezielle Kraftstoffart
generiert wurden, stehen sie für alle weiteren Berechnungen innerhalb von AVL FIRE® zur
Verfügung. Ein schneller Interpolationsalgorithmus zum Abrufen der tabellierten Flamm-
geschwindigkeitsdaten gewährleistet eine CPU-effiziente Verwendung der detaillierten In-
formationen zur chemischen Kinetik innerhalb der Verbrennungsberechnung.
    Zur Beschreibung der Kraftstoffoxidation in der Flamme können beliebig komplexe
Mechanismen der chemischen Kinetik im Verbrennungsmodell verwendet werden. In der
Praxis ist aber die Anzahl der Spezies, die in einer mehrdimensionalen Simulation berück-
sichtigt werden, durch die verfügbaren CPU-Ressourcen bestimmt. Demzufolge werden
in der Praxis reduzierte Reaktionsmechanismen in Verbindung mit chemischen Gleich-
gewichtsansätzen verwendet, um den Hochtemperaturoxidationsprozess im Flammenbe-
reich und in der Nachoxidationszone zu erfassen, Abb. A.17.
    Zur Modellierung der Funkenzündung und des frühen Flammkernwachstums stehen
sowohl semi-empirische als auch komplexe Modelle zur Verfügung, die in vollem Um-
fang die Charakteristik des Zündsystems, die Wärmeverluste an die Zündkerze und den
Einfluss von Ladungsinhomogenitäten und Strömungseinflüsse auf das frühe Flammkern-
wachstum berücksichtigen (Duclos und Colin 2001).
    Das Arc and Flame Kernel Tracking (AKTIM) Zündmodell, Abb. A.18, besteht aus vier
Teilmodellen. Eines beschreibt die sekundäre Seite des elektrisch-induktiven Systems, wor-
aus die für die Zündung verfügbare elektrische Energie und die Dauer des Zündfunkens
errechnet werden. Der Funke selbst wird durch einen Satz Partikel modelliert, die entlang
der Funkenstrecke angeordnet werden. Der Flammenkern wird durch Lagrangsche Mar-
kerpartikel beschrieben, die durch die turbulente Strömung transportiert werden und die
Energie aus dem Stromkreis erhalten und Energie aufgrund von Wärmeleitung an die Elek-
Sie können auch lesen