Aktuelle Biotechnologie - scienceindustries

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Aktuelle Biotechnologie - scienceindustries
POINT NEWSLETTER NR. 224 – FEBRUAR 2021

   Aktuelle Biotechnologie

  INHALT

  Pflanzenzüchtung
  Blitzschnelle Domestizierung von Wildreis durch «Genome Editing»   2

  Gentherapie
  Behandlungserfolg schwerer erblicher Blutkrankheiten mit
  CRISPR/Cas9                                                        3

  Industrielle Biotechnologie
  Bioplastik aus Cyanobakterien                                      4

  Forschung Schweiz
  Sieben Jahre Freilandversuche mit Gentech-Pflanzen auf der
  «Protected Site»                                                   5

  Gentech-Moratorium
  Anpassung des Gesetzesrahmens für neue Technologien gefordert      6

Wirtschaftsverband
Chemie Pharma Life Sciences

                                                                         1
Aktuelle Biotechnologie - scienceindustries
PFLANZENZÜCHTUNG

Blitzschnelle Domestizierung von
Wildreis durch «Genome Editing»

      Der weiter steigende globale Nah-               Die Forscher wählten eine besonders
rungsbedarf bei immer schwierigeren klima-      gut für moderne Züchtungsansätze und ver-
tischen Bedingungen stellt die Pflanzen-        schiedene Labormethoden geeignete Vari-
züchtung vor grosse Herausforderungen.          ante von Oryza alta aus, PPR1 («polyploid
Schrittweise, kleine Verbesserungen durch       rice»). Sie erstellten das genetische Inventar
klassische Züchtungsansätze reichen nicht       der Pflanzen durch Sequenzierung ihres
mehr aus, um mit der zunehmenden Nach-          Erbgutes. Dabei stellten sie fest, dass die
frage Schritt zu halten. Es wurde daher vor-    Wildreissorte über etwa 20'000 Gene ver-
geschlagen, neuartige Nahrungspflanzen          fügt, die keine unmittelbare Entsprechung in
mit deutlich verbesserten Eigenschaften als     Kulturreissorten haben, darunter viele Re-
Ergänzung zu den bereits verfügbaren Nutz-      sistenzgene gegen Krankheiten. Dies lässt
pflanzenarten zu entwickeln. Die Verfügbar-     eine grössere genetische Flexibilität bei der
keit innovativer Züchtungsverfahren lässt       Anpassung an verschiedene Umweltbedin-
diese Möglichkeit in greifbare Nähe rücken.     gungen erwarten. Ausserdem konnten Un-
                                                terschiede in mehreren für die Domestizie-
      Reis ist Grundnahrungsmittel für          rung wichtigen Genen gefunden werden.
etwa die Hälfte der Weltbevölkerung, daher
fallen Verbesserungen bei der Reis-Produk-            Mit einer ganzen Batterie der neuen
tivität besonders ins Gewicht. Das Erbgut       Verfahren zur Genomeditierung (CRISPR/
von Kultur-Reispflanzen besteht aus zwei        Cas9, Base Editing, Multiplex Editing) pass-
Chromosomensätzen (je einen von beiden          ten die Wissenschaftler sechs agronomisch
Eltern), die Pflanzen werden als diploid be-    besonders relevante PPR1-Wildreis-Gene so
zeichnet. Viele wichtige Nutzpflanzen, wie      an, dass sie domestizierten Kulturreissorten
Weizen, Zuckerrohr und Erdbeeren sind po-       entsprechen. So erhielten sie in kurzer Zeit
lyploid und haben mehr als zwei Chromoso-       tetraploide Reispflanzen, welche wichtige
mensätze. Dies trägt zu kräftigerem Wuchs       Eigenschaften den etablierten Kulturreissor-
und einer höheren Widerstandsfähigkeit bei,     ten aufweisen. Damit konnten sie die ur-
vor allem wenn sich die Chromosomens-           sprüngliche Domestizierung von Reis über
ätze unterscheiden. Dies erhöht die geneti-     einen Zeitraum von etwa 10'000 Jahren im
sche Vielfalt im Erbgut. Allerdings existiert   Schnelldurchlauf nachvollziehen.
keine einfache Möglichkeit, eine etablierte
diploide Reis-Sorte in eine polyploide Sorte          Bevor der neue PPR1-Reis als neue
umzuwandeln.                                    Pflanzenart eine Rolle für die Versorgung
                                                der Menschheit spielen kann, sind noch
      Ein grosses Forscherteam aus China        grosse Anstrengungen erforderlich. So sol-
hat daher einen alternativen Ansatz ge-         len weitere genetische Veränderungen die
wählt. Sie identifizierten die tetraploide      optimale Anpassung der Pflanzen an ver-
Wildreisart Oryza alta mit vier Chromoso-       schiedene Anbauregionen erleichtern. Die
mensätzen, die vor langer Zeit durch Hybri-     Forscher konnten aber einen mit den heute
disierung von zwei unterschiedlichen Reis-      verfügbaren Methoden gangbaren Weg auf-
sorten entstanden war. Diese Pflanzen sind      weisen, um das Spektrum der menschlichen
robust und kräftig, aber es fehlen ihnen        Grundnahrungsmittel mit einer neuen Kul-
viele der wichtigen Eigenschaften, die Kul-     turpflanzenart zu erweitern.
turreissorten im Lauf der Domestizierung
                                                Quellen: Hong Yu et al. 2021, A route to de novo
erworben haben. Dazu gehören kompakter
                                                domestication of wild allotetraploid rice, Cell
Wuchs, die Form der Ähren, grosse Körner,       (online 03.02.2021, doi:10.1016/
die nach der Reife nicht zu Boden fallen,       j.cell.2021.01.013); Caixia Gao 2021, Genome en-
                                                gineering for crop improvement and future agri-
und die Reisqualität.                           culture, Cell (online 12.01.2021, doi:10.1016/
                                                j.cell.2021.01.005)

                                                                                                   2
GENTHERAPIE

Behandlungserfolg schwerer erblicher
Blutkrankheiten mit CRISPR/Cas9

      Mutationen im menschlichen HBB-            Geburt des Menschen durch das adulte Hä-
Gen für den roten Blutfarbstoff Hämoglobin       moglobin ersetzt wird.
lösen ernste Erbkrankheiten aus. Die Beta-
Thalassämie ist eine Blutarmut, die in                 Der Verlust der BCL11A-Funktion in
schweren Fällen mit lebenslangen Infusio-        den Blutstammzellen führt zur Reaktivie-
nen von roten Blutkörperchen behandelt           rung der Produktion des fetalen Hämoglob-
werden muss, und jährlich etwa 60'000            ins, welches die Funktion des durch den er-
Menschen neu betrifft. Eine bekannte Muta-       erbten Gendefekt beeinträchtigten roten
tion löst die Sichelzellkrankheit aus, bei der   Blutfarbstoffs übernehmen kann. Die ge-
sich rote Blutkörperchen verformen und ver-      nomeditierten Blutstammzellen wurden an-
klumpen. Das führt zu äusserst schmerz-          schliessend in den Patienten gegen die Zel-
haften, zum Teil lebensbedrohlichen Durch-       len mit der defekten Hämoglobin-Version
blutungsstörungen. Eine direkte Behand-          ausgetauscht, vermehrten sich dort und be-
lung für die etwa 300'000 neu Betroffenen        gannen, rote Blutkörperchen mit funktionie-
pro Jahr existiert nicht.                        rendem fetalem Hämoglobin zu produzie-
                                                 ren. Nach dem belastenden Stammzell-Aus-
      Jetzt wurden erstmals die Resultate        tausch besserte sich der Zustand der Pati-
eines gentherapeutischen CRISPR/Cas9-An-         enten deutlich. Ihre schweren Krankheits-
satzes im angesehenen New England Jour-          symptome waren verschwunden, und kehr-
nal of Medicine veröffentlicht. Im Rahmen        ten auch nach 16 – 20 Monaten nicht zu-
klinischer Versuche in den USA, in Kanada        rück. Dies führte zu einer enormen Verbes-
und Europa unter Begleitung durch ein gros-      serung der Lebensqualität, wie Victoria Gray
ses Ärzteteam wurden dabei mehrere Pati-         berichtet: «Es ist besser, als ich es mir hätte
enten mit der CTX001™-Gentherapie des            vorstellen können. Ich habe das Gefühl,
Schweizer Unternehmens CRISPR                    dass ich jetzt tun kann, was ich will».
Therapeutics und des US Unternehmens
Vertex behandelt. Die bisherigen Resultate             In der Fachzeitschrift werden die Re-
geben Anlass zu grossen Hoffnungen.              sultate für je einen Patienten mit Beta-Tha-
                                                 lassämie oder der Sichelzellkrankheit be-
      Den Patienten wurden ihre eigenen          schrieben. Mittlerweile wurde die Behand-
Blutstammzellen mit dem Gendefekt ent-           lung von 19 oder mehr Patienten begonnen,
nommen. Im Reagenzglas erfolgte dann die         für mindestens zehn liegen schon ermuti-
Genomeditierung mit CRISPR/Cas9. Dabei           gende Zwischenresultate vor.
wurde allerdings nicht versucht, den HBB-
                                                 Quellen: Haydar Frangoulet al. 2021, CRISPR-
Gendefekt zu reparieren, das wäre nur mit
                                                 Cas9 Gene Editing for Sickle Cell Disease and β-
der Schneidefunktion der Nuklease schwie-        Thalassemia, New England Journal of Medicine
rig. Stattdessen wurde die Funktion des          384:252-260; CRISPR Therapeutics and Vertex
                                                 Present New Data for CRISPR/Cas9 Gene-Editing
BCL11A-Gens durch eine gezielte Spaltung         Therapy, CTX001™, , 05.12.2020; 1st Patients To
des Erbmaterials ausgeschaltet. Das Pro-         Get CRISPR Gene-Editing Treatment Continue To
                                                 Thrive, National Public Radio NPR, 15.12.2020;
dukt dieses Gens unterdrückt die Produk-         Panagiotis Antoniou et al. 2021, Base and Prime
tion des fetalen Hämoglobins, das nach der       Editing Technologies for Blood Disorders. Front.
                                                 Genome Ed. 3:618

                                                                                                    3
INDUSTRIELLE BIOTECHNOLOGIE

Bioplastik aus Cyanobakterien

      Plastik ist aus unserem Alltag nicht      PHB-Ausbeute in den Zellen deutlich zu
mehr wegzudenken. Ob als Werkstoff,             steigern.
Dämmmaterial, Textilfaser oder Verpa-
ckungsmaterial – fast überall sind wir da-             Zum einen entfernten sie das Regula-
von umgeben. Allerdings werden Kunst-           tor-Protein PirC durch Ausschaltung des da-
stoffe trotz vieler hervorragender Eigen-       zugehörenden Gens. PirC drosselt die PHB-
schaften zunehmend auch kritisch beurteilt.     Synthese, ohne PirC wird sozusagen eine
Viele von ihnen sind in der Umwelt nur          Bremse für die Biokunststoff-Synthese ge-
schwer abbaubar, und können sich so zum         löst. Zusätzlich wurden noch zwei Gene aus
Beispiel in den Weltmeeren anreichern.          Cupriavidus necator-Bakterien in die
Auch wird ein Grossteil der Kunststoffe aus     Cyanobakterien eingeschleust, welche
Erdöl hergestellt. Sowohl bei der Verbren-      ebenfalls die PHB-Produktion stimulieren.
nung als auch bei einer Zersetzung gelangt      Unter geeigneten Wachstumsbedingungen
so fossiler Kohlenstoff in die Atmosphäre,      produzierten diese genetisch veränderten
und trägt zur Klimaerwärmung bei.               Cyanobakterien grosse Mengen an PHB,
                                                und reicherten bis zu 81% ihres Eigenge-
      Biobasierte Kunststoffe können hier       wichts davon an – der höchste Gehalt des
einen wichtigen Beitrag zu mehr Nachhal-        Biopolymers, der je für Cyanobakterien be-
tigkeit leisten. Die Vermeidung fossiler Roh-   schrieben wurde.
stoffe schont das Klima, und die Eigen-
schaften neuer Kunststoffe lassen sich                 Ein wesentlicher Vorteil der Produk-
massschneidern, so dass sie nach Erfüllung      tion in Cyanobakterien ist, dass diese mit
ihrer Aufgabe einfach rezykliert oder in der    Hilfe der Photosynthese Lichtenergie zur
Umwelt abgebaut werden können. Polyhyd-         Umwandlung von Kohlendioxyd zu organi-
roxyalkanoate (PHA) sind eine Klasse von        scher Materie verwenden können. Sie kön-
Biopolymeren, die zunehmend Interesse fin-      nen nur mit Wasser, CO2 , Sonnenlicht und
den. Hierbei handelt es sich um natürliche      anorganischen Nährstoffen Bioplastik pro-
Polyester. Zu ihnen gehört das biologisch       duzieren. Pflanzliche Rohstoffe, wie bei der
abbaubare Polyhydroxybutyrat (PHB), das         herkömmlichen Produktion durch Fermen-
ähnliche Eigenschaften wie der Kunststoff       tation, sind nicht mehr erforderlich – damit
Polypropylen aufweist. PHB wird aktuell         fällt auch die mögliche Konkurrenz zwi-
durch Fermentation von pflanzlichen Roh-        schen der Verwendung von Pflanzen als Le-
stoffen durch spezielle Bakterien gewon-        bensmittel und als Rohstoff für die Kunst-
nen, kann aber aufgrund seines hohen Prei-      stoffproduktion weg.
ses ausser in Nischenmärkten nicht mit
erdölbasierten Kunststoffen konkurrieren.              Bis zu einer industriellen PHB-Produk-
                                                tion im grossen Massstab müssen noch
      Forschende von der Universität Tü-        viele Faktoren optimiert werden. Die hier
bingen (D) unter Leitung von Professor Karl     präsentierten Resultate zeigen aber deutlich
Forchhammer haben jetzt einen vielverspre-      das grosse Potential der Cyanobakterien für
chenden Ansatz präsentiert, um PHB in ho-       eine nachhaltige industrielle Produktion von
her Ausbeute mit Hilfe von Cyanobakterien       Bioplastik auf.
(Blaualgen) zu produzieren. Diese bilden
                                                Quellen: Cyanobakterien könnten die Plastikin-
von Natur aus geringe Mengen von PHB als
                                                dustrie revolutionieren, Medienmitteilung Univer-
Speichersubstanz, aber viel zu wenig, um        sität Tübingen, 02.02.2021); Tim Orthwein et al.
wirtschaftlich interessant zu sein. Eine        2021, The novel PII-interactor PirC identifies
                                                phosphoglycerate mutase as key control point of
gründliche Analyse der Stoffwechsel-Vor-        carbon storage metabolism in cyanobacteria,
gänge in den Cyanobakterien ermöglichte         PNAS 118(6):e2019988118; Moritz Koch et al.
                                                2020, Maximizing PHB content in Synechocystis
den Wissenschaftlern jetzt, gezielte geneti-    sp. PCC 6803: a new metabolic engineering strat-
sche Veränderungen einzuführen, um die          egy based on the regulator PirC, Microb Cell Fact
                                                19:231 (2020

                                                                                                    4
Krautfäuleresistente cisgene Kartoffeln mit Wildkartoffel-Resistenzgenen und anfäl-
                                          lige herkömmliche Sorte im Agroscope-Freilandversuch (Photo: Susanne Brunner)

FORSCHUNG SCHWEIZ

Sieben Jahre Freilandversuche mit Gen-
tech-Pflanzen auf der «Protected Site»

      Auf etwa 13 % der weltweiten Acker-           Hektaren können dort unter strengen Si-
fläche wachsen gentechnisch veränderte              cherheitsvorkehrungen Freilandversuche
Nutzpflanzen, sie sind in manchen Ländern           mit gentechnisch veränderten Pflanzen
seit Jahrzehnten zu einer Selbstverständ-           durchgeführt werden. So wird sowohl die
lichkeit in der Landwirtschaft geworden.            Umwelt gegen eine unerwünschte Ausbrei-
Auch in der Grundlagen- und anwendungs-             tung von Versuchsorganismen geschützt,
orientierten Forschung gehören Freilandver-         als auch die Forschungsfreiheit durch einen
suche mit gentechnisch veränderten Pflan-           Schutz vor Störungen der wissenschaftli-
zen ausserhalb Europas zur Routine. Allein          chen Arbeiten durch Vandalen. Die Protec-
in den USA wurden 2020 etwa 350 derartige           ted Site nahm ihren Betrieb im Jahr 2014
Versuche gemeldet. Im Gegensatz dazu ist            auf. In der Zeitschrift «Agrarforschung
die Zahl angemeldeter Freisetzungsversu-            Schweiz» geben die Agroscope-Forschen-
che in der EU aufgrund ungünstiger politi-          den Susanne Brunner, Jörg Romeis, Andrea
scher Rahmenbedingungen von über 100                Patocchi und Roland Peter jetzt einen Über-
im Jahr 2009 auf gerade einmal fünf im              blick über sieben Jahre Freilandversuche
Jahr 2020 zurückgegangen.                           mit gentechnisch veränderten Pflanzen
                                                    (GVP).
      Die Schweiz mit ihrem langen for-
schungspolitischen Horizont möchte sich                    Bereits 1991 und 1992 fanden die
dagegen von den globalen Entwicklungen              ersten Feldversuche mit GVP in der Schweiz
der Pflanzenforschung und- Züchtung nicht           statt, mit virusresistenten Kartoffeln in
völlig abkoppeln, und bietet ihren Forschen-        Changins. Seither wurden in der Schweiz
den eine europaweit einzigartige Infrastruk-        verschiedene Freisetzungsversuche durch-
tur an: die «Protected Site» an der staatli-        geführt, aber leider wiederholt durch tech-
chen Forschungsanstalt Agroscope am                 nologie-kritische Vandalen beschädigt. In
Standort Reckenholz. Auf etwa drei                  der EU waren solche Angriffe ein Grund für

                                                                                                                      5
den starken Rückgang von Freilandversu-           führten hier zu einem weitgehenden Schutz
chen mit GVP, da die Budgets von Grundla-         gegen Infektion mit dem Erreger Phytoph-
genforschenden in der Regel nicht ausrei-         thora infestans, auf einen Einsatz von Fungi-
chen, um aufwändige Schutzmassnahmen              ziden konnte bei den cisgenen Kartoffeln
zu finanzieren. In der Schweiz bestand der        weitgehend verzichtet werden (siehe Foto
politische Wille, die Forschungsfreiheit zu       auf Seite 5).
schützen, und das Parlament bewilligte
2012 die erforderlichen Finanzmittel für den            Trotz der guten, von Agroscope be-
Aufbau und Betrieb der Protected Site. Dort       reitgestellten Infrastruktur verlangen Frei-
finden Wissenschaftler seit 2014 günstige         landversuche mit GVP für die Forschenden
Arbeitsbedingungen vor, und können sich           einen grossen administrativen Aufwand.
auf ihre Arbeiten konzentrieren. Agroscope        Anträge für neue Versuche sind umfang-
stellt den Schutz der Versuchsfelder, die ag-     reich (ca. 80 Seiten) und erfordern fast ein
ronomische Betreuung, die fachliche Koor-         halbes Jahr Arbeit. Auch ist der Ablauf des
dination und die Kommunikation gegenüber          Bewilligungsverfahrens schwer vorausseh-
der Öffentlichkeit sicher. Dabei spielt die ei-   bar, oft kommt es zu unerwarteten Verzöge-
gene Website www.protectedsite.ch eine            rungen. Das erschwert die Planung der For-
wichtige Rolle.                                   schungsarbeiten deutlich.

      Nach Inbetriebnahme der Protected                 Dennoch stellen die Forschungsmög-
Site wuchs die Zahl der Freisetzungsversu-        lichkeiten an der Protected Site eine wich-
che rasch, und seit 2017 laufen parallel vier     tige Voraussetzung dar, um GVP unter Pra-
Versuche mit unterschiedlichen Kulturen           xisbedingungen zu untersuchen – sowohl
und Fragestellungen. Bis auf einen Versuch        agronomische Eigenschaften als auch As-
mit Winterweizen mit erhöhtem Ertragspo-          pekte der Biosicherheit können im Labor nur
tential ging es dabei immer um Untersu-           unzureichend geprüft werden. So können
chungen zur Verbesserung der Krankheits-          auch Kompetenzen der Schweiz auf diesem
resistenz von Pflanzen. So wurden Mehltau-        Gebiet erhalten und weiter ausgebaut wer-
resistenz bei Sommerweizen, Feuerbrandre-         den. Es ist damit zu rechnen, dass in der
sistenz bei Apfelbäumen, und seit 2020            Zukunft auch Grundlagenforschung mit ge-
auch Pilzresistenz von Mais und Gerste            nomeditierten Pflanzen auf der Protected
durch den Einbau eines Weizen-Resistenz-          Site stattfinden wird.
gens untersucht.
                                                  Quellen: Susanne Brunner et al. 2021, Protected
                                                  Site: Sieben Jahre Freilandforschung mit gen-
      Eindrucksvolle Resultate ergaben            technisch veränderten Pflanzen, Agrarforschung
Versuche zur Krautfäuleresistenz bei Kar-         Schweiz 12:9–15; «Protected Site»: Standort für
                                                  Feldversuche mit gentechnisch veränderten
toffeln. Resistenzgene aus Wildkartoffeln         Pflanzen, www.protectedsite.ch, Agroscope

GENTECH-MORATORIUM

Anpassung des Gesetzesrahmens für
neue Technologien gefordert

      Im November 2020 hatte der Schwei-          Moratoriums erweitern. Neu soll es auch für
zer Bundesrat vorgeschlagen, das aktuell          alle mit neuen Züchtungsverfahren wie der
geltende Zulassungs-Moratorium für den            Genomeditierung entwickelte Pflanzen gel-
Anbau gentechnisch veränderte Pflanzen            ten. Deren rechtliche Einordnung ist aktuell
ein viertes Mal zu verlängern, diesmal bis        nicht eindeutig geklärt.
Ende 2025. Eine entsprechende Vorlage
wurde bis zum 25. Februar 2021 in die Ver-              Verschiedene Organisationen haben
nehmlassung geschickt (POINT 221, No-             ihre Stellungnahme zu der Vorlage bei Re-
vember 2020). Zugleich möchte der Bun-            daktionsschluss bereits veröffentlicht. sci-
desrat auch den Geltungsbereich des               enceindustries betont die Chancen der

                                                                                                    6
neuen Technologien wie der Genomeditie-           neuer gentechnischer Verfahren unter das
rung, auch für Gebiete ausserhalb der Land-       bisherige Gentechnikrecht entbehre einer
wirtschaft. Die Verlängerung des Gentech-         rechtlichen Grundlage, daher solle der Bun-
Moratoriums bis 2025 wird entschieden ab-         desrat den rechtlichen Status von neuen
gelehnt, weil dadurch Innovationen für eine       gentechnischen Verfahren klären.
nachhaltigere Landwirtschaft blockiert wer-
den, z. B. die Entwicklung krankeitsresisten-           Die Grünliberalen fordern eine diffe-
ter Nutzpflanzen. Zugleich wird die Anpas-        renzierte Regelung: während sie eine Mora-
sung der rechtlichen Rahmenbedingungen            toriumsverlängerung für klassische Formen
für neue gentechnische Verfahren an den           der Gentechnik unterstützen, sollen neue
wissenschaftlichen Fortschritt gefordert,         Methoden des Genome Editing nicht mehr
um die Chancen der neuen Technologien             dem Gentech-Moratorium unterstellt, son-
auch für die Schweiz nutzbar zu machen.           dern separat reguliert werden.

      economiesuisse unterstreicht, dass                Es fällt auf, dass es zu der Frage der
die Moratoriums-Verlängerung wissen-              Moratoriumsverlängerung verschiedene Po-
schaftlich nicht gerechtfertigt sei, und lehnt    sitionen mit unterschiedlichen Argumenten
sie ab. Ein Moratorium würde die notwendi-        gibt. Weitgehende Einigkeit scheint jedoch
gen zukunftsweisenden rechtlichen Anpas-          darin zu bestehen, dass für die neuen gen-
sungen im Bereich der Gentechnik weiter           technischen Verfahren möglichst bald ge-
verzögern. Die Rahmenbedingungen für in-          eignete rechtliche Rahmenbedingungen
novative genetische Technologien müssten          ausgearbeitet werden sollten, um Rechtssi-
jetzt geregelt werden.                            cherheit zu schaffen. Bereits 2018 hatte der
                                                  Bundesrat differenzierte, dem Risiko ange-
      Der Schweizer Bauernverband SBV             passte Regelungen für neue Technologien
begrüsst eine Verlängerung des Moratori-          angekündigt, bisher aber immer noch keine
ums, denn damit könne das Erfolgsmodell           Vorschläge dazu präsentiert. Die Rückmel-
der gentechnikfreien Schweizer Landwirt-          dung zur Vernehmlassung erteilen hier ei-
schaft auch in Zukunft gelebt werden. Er          nen klaren Arbeitsauftrag.
fordert allerdings, die offenen Fragen zur
                                                  Quellen: GVO-Anbau: Bundesrat will Moratorium
Regulierung der neuen Züchtungsverfahren
                                                  verlängern, Medienmitteilung des Bundesrats, 11.
zu klären, da diese auch Chancen bieten           11. 2020; Erläuternder Bericht zur Änderung des
könnten.                                          Gentechnikgesetzes (Entwurf November 2020);
                                                  Gentech-Moratorium: Technologieverbote verhin-
                                                  dern Chancen, scienceindustries Medienmittei-
      Die Eidgenössische Kommission für           lung, 24.02.2021; scienceindustries Stellung-
                                                  nahme zur Verlängerung des Gentech-Moratori-
Konsumentenfragen EKK begrüsst eine               ums, 24.02.2021; economiesuisse Stellung-
Moratoriumsverlängerung, um die Positio-          nahme (Gentech-Moratorium), 15.02.2021;
                                                  Schweizer Bauernverband SBV Stellungnahme,
nierung der EU abzuwarten. Die EKK emp-           26.01.2021; Eidgenössische Kommission für
fiehlt jedoch, die Diskussion um die Chan-        Konsumentenfragen EKK (Stellungnahme),
                                                  28.01.2021; Grünliberale Stellungnahme (Morato-
cen und Risiken der Gentechnik in der Öf-         rium) 24.02.2021
fentlichkeit zu fördern und die Anliegen der
Bevölkerung zu klären. Die Unterstellung

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Text und Redaktion: Jan Lucht, Leiter Biotechnologie (jan.lucht@scienceindustries.ch)

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