Bakteriell bedingte Geschlechtskrankheiten

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PRAXIS                           Schweiz Med Forum Nr. 38 17. September 2003   898

Bakteriell bedingte
Geschlechtskrankheiten: Teil 1
Stephan Lautenschlager

                                  Einleitung                                        STD dokumentiert werden [3]. Seit 1995 wird
                                                                                    nun jedoch in mehreren Ländern eine Trend-
                                  Sexuell übertragbare Krankheiten (STD) stellen    umkehr beobachtet [4]. Beispielsweise kam es
                                  weltweit ein bedeutendes Problem für die          in Grossbritannien zwischen 1995 und 2000 zu
                                  Medizin und das öffentliche Gesundheitswesen      einem Anstieg der Gonorrhoe-Inzidenz um
                                  dar. Insbesondere in den Entwicklungsländern      102% mit der grössten Zuwachsrate zwischen
                                  Südostasiens, Afrikas und Lateinamerikas          1999 und 2000. In Frankreich war sogar eine
                                  gehören sexuell übertragbare Infektionen (STI)    Zunahme um 170% zwischen 1997 und 1998
                                  zu den häufigsten Krankheits- und Todesur-        zu verzeichnen. Ähnliche Trends wurden auch
                                  sachen und haben nicht nur erhebliche gesund-     in Holland, Finnland, Schweden und Griechen-
                                  heitliche, sondern auch bedeutende soziale        land dokumentiert, wo auch gleichzeitig ver-
                                  und wirtschaftliche Konsequenzen. Weltweit        mehrt resistente Erreger gefunden wurden.
                                  sind mehr als 30 sexuell übertragbare Erreger     Nachdem initial ein bedeutender Wiederan-
                                  bekannt, die Bakterien, Viren, Pilze, Protozoen   stieg der Syphilis seit 1994 in den Staaten der
                                  und Ektoparasiten umfassen (Tab. 1). Alleine      ehemaligen Sowjetunion beobachtet werden
                                  seit 1975 sind zwölf Erreger neu entdeckt         konnte [5], liessen sich Ausbrüche ab 1999
                                  worden [1]. Am häufigsten sind Infektionen mit    auch in Grossbritannien, Irland, Frankreich,
                                  humanen Papillomviren, Herpesviren, Chlamy-       Holland und Norwegen registrieren [4], die
                                  dien und Trichomonaden, während Infektionen       meist homosexuelle Männer betrafen, wovon
                                  mit Hepatitis B, HIV, Syphilis oder Gonorrhoe     einige mit einer bekannten HIV-Infektion. Be-
                                  seltener auftreten. Gemäss Schätzungen der        sorgniserregend ist die Zunahme der STD, weil
                                  Weltgesundheitsorganisation (WHO) erfolgen        sie mit einer erneuten Zunahme der sexuell
                                  weltweit über 333 Millionen bakteriell bedingte   akquirierten HIV-Infektion korreliert, die in
                                  STI pro Jahr [2]. Bei adäquater Diagnostik und    Westeuropa zwischen 1995 und 2000 um 20%
                                  Therapie sind diese Krankheiten mit wirk-         anstieg [4].
                                  samen Antibiotika heilbar. Dazu gehören die       Zur Erfassung der Inzidenz von STD stehen in
                                  als klassische Geschlechtskrankheiten be-         der Schweiz zwei Meldesysteme zur Verfügung.
                                  kannte Gonorrhoe, Syphilis, das Ulcus molle       Einerseits werden im Rahmen des Melde-
                                  und das Lymphogranuloma venereum. Eine            systems für Infektionskrankheiten durch das
                                  ungenügende Diagnostik und Therapie der           Bundesamt für Gesundheit positive Labor-
                                  STD kann gravierende Auswirkungen auf Er-         meldungen von Gonokokken und Chlamydien
                                  krankte, aber auch auf Schwangerschaften und      registriert. Seit Jahren sind bei der Gonorrhoe
                                  Neugeborene haben. Als wichtigste Komplika-       jährlich steigende Zahlen zu verzeichnen. Seit
                                  tionen sind die aufsteigende Infektion, Infer-    1996 kam es mit 254 registrierten Fällen zu
                                  tilität, Extrauteringravidität und schwerste      mehr als einer Verdoppelung der Fälle bis 2002
                                  neurologische Langzeitfolgen zu nennen. Da        (531 Fälle); dieser zunehmende Trend zeichnet
                                  weltweit wieder ein Anstieg der STD zu ver-       sich auch für das laufende Jahr ab. Ebenfalls ist
                                  zeichnen ist und diese Erkrankungen typi-         eine Zunahme der positiven Laborresultate
                                  scherweise mit Hautveränderungen einherge-        der Chlamydien zu verzeichnen, die seit 1999
                                  hen, wird im folgenden auf die charakteristi-     (2132) jährliche Zuwachsraten aufweisen und
                                  sche Klinik, die erforderlichen Abklärungs-       2002 3133 Fälle umfassen. Die tatsächliche
                                  schritte und die adäquate Therapie der klassi-    Prävalenz liegt jedoch um ein Vielfaches höher
Korrespondenz:                    schen STI eingegangen.                            [6]. Nachdem die Inzidenz der Syphilis in der
PD Dr. med.                                                                         Schweiz seit 1989 bis 1997 kontinuierlich
Stephan Lautenschlager                                                              rückläufig war, wurde die Meldepflicht für
Chefarzt Dermatologisches         Epidemiologie                                     Syphilis aufgehoben, obwohl eine Trendum-
Ambulatorium Triemli
                                                                                    kehr 1998 noch festgehalten werden konnte.
Herman Greulich-Strasse 70
CH-8004 Zürich
                                  Im Rahmen von AIDS-Präventionskampagnen           Somit kann der weltweite Trend der erneuten
                                  konnten in mehreren westeuropäischen Län-         Zunahme der Syphilis aufgrund fehlender
stephan.lautenschlager@triemli.   dern Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre      Laborkollektiv-Meldungen für die Schweiz
stzh.ch                           eine deutlich abnehmende Inzidenz klassischer     nicht analysiert werden.
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                                 Tabelle 1. Sexuell übertragbare Krankheiten und assoziierte Erreger.

                                 Bakterien
                                 Bakterielle Vaginose              Gardnerella vaginalis, Mycoplasma hominis, Mobiluncus spp
                                                                   und andere vaginale Anaerobier
                                 Enteritis (v.a. bei MSM*)         Shigella spp, Campylobacter spp, Branhamella, Helicobacter spp (?).
                                 Gonorrhoe                         Neisseria gonorrhoeae
                                 Granuloma inguinale               Calymmatobacterium granulomatis
                                 Lymphogranuloma venereum          Chlamydia trachomatis Serotypen L1–L3
                                 NGU**                             Chlamydia trachomatis, Ureaplasma urealyticum,
                                                                   Mycoplasma genitalium (?) und hominis (?)
                                 Syphilis                          Treponema pallidum
                                 Ulcus molle                       Haemophilus ducreyi
                                 Viren
                                 AIDS                              HIV
                                 Condylomata acuminata             Humane Papillomviren
                                 Hepatitis                         Hepatitis A-, B- und C-Virus
                                 Herpes genitalis                  Herpes simplex Typ 1 und 2
                                 Kaposi-Sarkom                     Humanes Herpesvirus Typ 8
                                 Molluscum contagiosum             Molluscum-contagiosum-Virus (Poxviren)
                                 Mononukleose                      Zytomegalievirus, Epstein-Barr-Virus
                                 Pilze
                                 Vulvovaginitis, Balanitis         Candida spp
                                 NGU**
                                 Protozoen
                                 Trichomoniasis, NGU**             Trichomonas vaginalis
                                 Giardiasis (MSM*)                 Giardia lamblia
                                 Amöbiasis (MSM*)                  Entamoeba histolytica
                                 Ektoparasiten
                                 Pediculosis pubis                 Phthirius pubis
                                 Skabies                           Sarcoptes scabiei
                                 MSM* = «males who have sex with males» (homosexuelle Männer)
                                 NGU** = nicht-gonorrhoische Urethritis

Abbildung 1.
Extragenitaler syphilitischer
                                                                                     fasst werden. Die Gründe für die Zunahme der
Primäraffekt.                                                                        STD sind vielfältig. Einerseits muss eine nach-
                                                                                     lassende Bereitschaft zu «safer-sex» genannt
                                                                                     werden und – insbesondere bei jüngeren Er-
                                                                                     wachsenen, die die ersten Präventionskampa-
                                                                                     gnen nicht miterlebt haben – besteht ein Infor-
                                                                                     mationsmangel. Weiter haben die Fortschritte
                                                                                     in der HIV-Therapie und der Postexpositions-
                                                                                     prophylaxe zu einem ungerechtfertigten blin-
                                                                                     den Vertrauen sowohl bei HIV-negativen als
                                                                                     auch bei HIV-positiven Personen geführt [8]. In
                                                                                     grösserem Umfang ist jedoch der oro-genitale
                                                                                     Infektionsweg für die Zunahme verantwortlich.
                                                                                     Die Übertragung dieser STD bei ungeschütztem
                                                                                     Oralsex erfolgt meist in Unkenntnis des Risikos
                                Das zweite Meldesystem betrifft das Schweize-        [9], da von vermeintlich «safer-sex» ausgegan-
                                rische Netzwerk der sechs Dermatologischen           gen wird, was jedoch nur für die HIV-Präven-
                                Polikliniken, das die HIV-Prävalenz bei Patien-      tion gilt.
                                ten mit einer Geschlechtskrankheit seit 1990
                                erfasst [7]. Im Rahmen dieser Erhebung konnte
                                ebenfalls ein ansteigender Trend der STD er-
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                                Tabelle 2. Differentialdiagnose
                                                                                 Genitale Ulzerationen
                                genitaler Ulzera.
                                                                                 In den letzten Jahren hat sich der Begriff des
                                                                                 Genitalulkus-Syndroms (genital ulcer disease)
                                Infektiös
                                                                                 eingebürgert und umfasst alle Krankheiten bei
                                Viral: Herpes-simplex-Virus, Zytomegalievirus,   sexuell aktiven Personen, die mit Ulzera bzw.
                                Epstein-Barr-Virus, HIV-Primärinfektion
                                                                                 Erosionen ano-genital mit oder ohne Lympha-
                                Bakteriell: Lues, Lymphogranuloma venereum,      denopathie einhergehen. Die Tabelle 2 zeigt
                                Donovanose, schankriforme Pyodermie,
                                                                                 das Spektrum der Differentialdiagnose. Die
                                Fournier’sche Gangrän, Tuberkulose, Ekthyma
                                                                                 drei überwiegenden infektiösen Ursachen sind
                                Mykotisch: Candida
                                                                                 Herpes genitalis, Ulcus molle und der syphili-
                                Nicht infektiös                                  tische Primäraffekt. Die Inzidenz der unter-
                                Pyoderma gangraenosum                            schiedlichen Erreger ist je nach geographischer
                                Morbus Behçet                                    Verteilung sehr unterschiedlich. In den west-
                                Medikamentös                                     lichen Industrieländern überwiegt ursächlich
                                z.B. Foscarnet
                                                                                 der Herpes genitalis gefolgt von primärer
                                                                                 Syphilis, während in den meisten afrikanischen
                                Traumatisch
                                                                                 Staaten das Ulcus molle für ano-genitale Ulze-
                                Neoplastisch
                                                                                 rationen verantwortlich ist.
                                z.B. Spinaliom, Basaliom

                                                                                 Syphilis
                                                                                 Die Syphilis – verursacht durch Treponema
Abbildung 2.
                                                                                 pallidum – ist durch den stadienhaften Verlauf
Roseola syphilitica.
                                                                                 charakterisiert, wo Perioden mit Krankheits-
                                                                                 symptomen von teilweise sehr langen asympto-
                                                                                 matischen Phasen (Latenzphasen) unterbro-
                                                                                 chen werden. Die Inkubationsperiode beträgt
                                                                                 durchschnittlich 3 Wochen, kann jedoch zwi-
                                                                                 schen 9 bis 90 Tagen variieren. Die Übertra-
                                                                                 gung erfolgt in der Regel durch sexuellen Kon-
                                                                                 takt mit einer infizierten Person, die eine Früh-
                                                                                 syphilis (Stadium I oder II) aufweist. Das Risiko,
                                                                                 sich bei einem einmaligen Kontakt mit einer
                                                                                 infizierten Person anzustecken, schwankt
Abbildung 3.
                                                                                 zwischen 10 und 60%, durchschnittlich kann
Corona veneris bei sekundärer                                                    von einer Ansteckungsrate von 30% ausgegan-
Syphilis.                                                                        gen werden [10]. Eine Spätsyphilis weist nur
                                                                                 ein minimales Übertragungsrisiko auf. Die
                                                                                 primäre Manifestation der Syphilis ist ein
                                                                                 schmerzloses Ulkus an der Inokulationsstelle.
                                                                                 Meist entwickelt sich aus einem lokalisierten
                                                                                 Erythem innerhalb von Tagen ein isoliertes
                                                                                 Ulkus, das klinisch durch derb infiltrierte Rän-
                                                                                 der und eine schmierig belegte Basis charakte-
                                                                                 risiert ist. In 5 bis 14% besteht ein extragenita-
                                                                                 les Ulkus, das am häufigsten oral lokalisiert ist
                                                                                 und dann typischerweise sehr schmerzhaft
                                                                                 sein kann [11] (Abb. 1). Gelegentlich bestehen
Abbildung 4.                                                                     atypische Primäraffekte wie multiple oder wei-
Plaques muqueuses der Zunge
                                                                                 che Ulzera oder nur knotige Verhärtungen. Ge-
bei sekundärer Syphilis.
                                                                                 legentlich kann ein Primäraffekt gänzlich feh-
                                                                                 len oder asymptomatisch verlaufen (v.a. zervi-
                                                                                 kal oder rektal). Wenige Tage nach Auftreten
                                                                                 des Primäraffekts kommt es zur meist beidsei-
                                                                                 tigen schmerzlosen regionären Lymphknoten-
                                                                                 schwellung. Ein ano-rektaler Primäraffekt
                                                                                 kann eine ähnliche Symptomatik wie eine Anal-
                                                                                 fissur mit schmerzhafter und blutig-tingierter
                                                                                 Defäkation verursachen; eine gleichzeitig be-
                                                                                 stehende Induration und inguinale Lymph-
PRAXIS                           Schweiz Med Forum Nr. 38 17. September 2003   901

Abbildung 5.                                                                     men [13]. Lokalisierte Papeln im Kapillitium
Braunrote, serpiginöse                                                           können zur Mottenfrass-ähnlichen Alopecia
tertiäre Syphilis am Rücken.
                                                                                 areolaris führen. Dieser Haarausfall kann sel-
                                                                                 tener auch Augenbrauen, Wimpern und Bart-
                                                                                 haare betreffen. Wenn die papulösen Syphilide
                                                                                 in intertriginösen Arealen lokalisiert sind, kann
                                                                                 es durch Mazeration zu flachen, feuchten Lä-
                                                                                 sionen, den sogenannten Condylomata lata
                                                                                 kommen. Das Sekret dieser erodierten Papeln
                                                                                 ist sehr erregerreich, weshalb diese Manifesta-
                                                                                 tionen die höchste Kontagiosität aufweisen. Bis
                                                                                 knapp die Hälfte der Patienten entwickelt auch
                                                                                 Schleimhautveränderungen, am häufigsten die
                                                                                 Plaques muqueuses (Abb. 4) und die Angina
                                                                                 specifica. Ebenfalls können lokalisierte Enan-
                                                                                 them- oder Perlèche-artige Veränderungen
                                                                                 (split papules) im Mundwinkel bestehen [11].
                                                                                 Rezidivexantheme können während Monaten
                                                                                 auftreten bis die Erkrankung ohne Therapie in
                                                                                 die Latenzphase übertritt (Lues latens). Diese
                                                                                 Latenzphase tritt meist zwischen dem zweiten
                                                                                 und dritten Stadium auf und ist charakterisiert
                                                                                 durch eine positive Serologie in Abwesenheit
                                                                                 von Symptomen. Die Lues latens wird arbiträr
                                                                                 in eine Früh- und Spätlatenz eingeteilt. Die CDC
                                                                                 (Center of Disease Control, Atlanta) hat eine
                                                                                 Infektionsdauer von bis zu einem Jahr als in-
                               adenopathie sollte jedoch diagnostisch weg-       fektiöse Frühlatenz eingeteilt, während eine
                               weisend sein. Die primäre Symptomatik heilt       Infektion über einem Jahr als Spätlatenz und
                               innerhalb von durchschnittlich sechs Wochen       als nicht mehr infektiös beurteilt wird. Die
                               ab. Noch im Primärstadium, meist aber erst        Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die
                               nach der dritten Woche, werden die Seroreak-      Trennlinie dieser Stadien auf zwei Jahre fest-
                               tionen positiv. Unbehandelt kommt es bei der      gelegt. Ohne Therapie geht ein Drittel der Pa-
                               Hälfte der Patienten nachfolgend zu Sympto-       tienten in eine tertiäre Syphilis über. Dieses
                               men des zweiten Stadiums, während die an-         dritte Stadium, das heutzutage in der west-
                               dere Hälfte direkt in die Latenzphase eintritt    lichen Welt nur noch sehr selten angetroffen
                               [12].                                             wird, ist gekennzeichnet durch eine zelluläre
                               Die grosse klinische Variabilität des zweiten     Abwehrreaktion bei gleichzeitiger Erreger-
                               Stadiums hat der Lues den sprichwörtlichen        armut. Mehrere Jahre nach der Primärinfek-
                               Ruf der «grande imitatrice» verliehen. Der        tion können insbesondere die Haut, das Zen-
                               Beginn dieser Krankheitsphase findet 6 bis        tralnerven- und das kardiovaskuläre System
                               8 Wochen nach Auftreten des Primäraffekts         betroffen sein. Weniger häufig finden sich
                               statt. In knapp einem Drittel kommt es zu über-   Manifestationen an Knochen, Augen, Muskula-
                               lappenden Symptomen der beiden Stadien.           tur und viszeralen Organen. Gummen sind die
                               Das zweite Stadium tritt infolge hämatogener      klassischen Läsionen und treten am häufigsten
                               Dissemination von T. pallidum auf. Allgemein-     an Haut und Schleimhaut auf. Dabei handelt es
                               symptome umfassen Fieber, Malaise, Hals- und      sich um schmerzlose Knoten von bis zu mehre-
                               Kopfschmerzen, Myalgien sowie eine generali-      ren Zentimetern Grösse aus zentral verkäsen-
                               sierte, nicht dolente Mikrolymphadenopathie.      dem tuberkuloidem Granulationsgewebe mit
                               In 80% der Patienten findet sich eine Haut- und   einer charakteristischen gummiartigen Konsi-
                               Schleimhautsymptomatik [13]. Häufig besteht       stenz. Prädilektionsstellen umfassen Gesicht,
                               initial ein asymptomatisches, makulöses, oft      Kapillitium, Unterschenkel und die sternoklavi-
                               sehr zartes, hellrotes Exanthem seitlich am       kuläre Region. Im Verlauf kommt es zur Ein-
                               Thorax (Roseola syphilitica, Abb. 2), das nach    schmelzung und wie ausgestanzt wirkenden
                               2 Wochen wieder verschwindet. Im weiteren         Ulzerationen, die unter ausgeprägter Narben-
                               Verlauf kommt es zu den charakteristischen        bildung abheilen. Als weitere charakteristische
                               makulo-papulösen oder papulo-squamösen            Hautveränderungen finden sich flache, braun-
                               Exanthemen mit scharfer Begrenzung, etwas         rote, gruppierte, oft serpiginös konfigurierte,
                               dunklerer Farbe und Prädilektionsstellen pal-     plattenartige oder knotige Läsionen, die soge-
                               moplantar, Stamm, Gesicht (Abb. 3) und auch       nannten Spätsyphilide der Haut (Abb. 5). Sie
                               Extremitäten. Pustulöse, granulomatöse oder       weisen ebenfalls eine Neigung zu Ulzerationen
                               nodöse Varianten können ebenfalls vorkom-         und Narbenbildung auf und sind insbesondere
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                                am Rücken, an Armen und im Gesicht lokali-        trolle. Diese Antikörpertiter sollten sich typi-
                                siert.                                            scherweise innerhalb von 6 bis 12 Monaten um
                                                                                  das Vierfache reduzieren, um nach mehreren
                                Diagnostik                                        Jahren die Nachweisgrenze vollständig zu un-
                                Da der kulturelle Nachweis von T. pallidum        terschreiten [15]. Spezifische Antitreponemen-
                                nicht möglich ist, beruht die Diagnostik der      Antikörper korrelieren nicht mit der Krankheits-
                                Syphilis mehrheitlich auf den charakteri-         aktivität und bleiben trotz adäquater Therapie
                                stischen Seroreaktionen. Es ist jedoch zu         meist lebenslang nachweisbar. Im Rahmen
                                berücksichtigen, dass der Primäraffekt 1 bis      einer sekundären Syphilis sind sämtliche Tests
                                3 Wochen vor einer serologischen Antwort be-      positiv, während im dritten Stadium die unspe-
                                stehen kann. Infolgedessen ist es in dieser       zifischen Tests negativ oder nur schwach posi-
                                Phase unumgänglich, eine Dunkelfeld-Unter-        tiv sein können.
                                suchung des läsionären Exsudates oder allen-
                                falls eine fluoreszenzmikroskopische Unter-       Therapie
                                suchung zum Direktnachweis der Spirochäten        Während bald 50 Jahren erweist sich Penicil-
                                durchzuführen. Diese Untersuchung erfordert       lin bei ausbleibender Resistenzentwicklung
                                jedoch eine grosse Erfahrung und kann falsch      und unverminderter Wirksamkeit als Therapie
                                negative Resultate infolge der Anwendung          der Wahl [16]. Zur Therapie der primären,
                                topischer Antibiotika oder Einnahme nur ge-       sekundären und frühen Lues latens wird eine
                                ringer Mengen systemischer Antibiotika liefern    einzige intramuskulär zu verabreichende Dosis
                                [14]. Testverfahren auf Basis der Polymerase-     von Benzathin-Penicillin G (2,4 Mio. Einheiten)
                                Kettenreaktion (PCR) zum Nachweis trepone-        empfohlen. Bei Therapieversagen (5 bis 10%
                                maler DNS aus klinischen Proben sind vielver-     der Patienten) werden nach Ausschluss einer
                                sprechend, aber noch nicht routinemässig          Neurosyphilis drei Dosen Benzathin-Penicillin
                                verfügbar. Serologisch werden spezifische und     G zu 2,4 Mio. Einheiten in wöchentlichen Ab-
                                nichtspezifische Tests unterschieden. Von den     ständen empfohlen. Eine späte Lues latens
                                spezifischen serologischen Testverfahren eig-     sowie eine tertiäre Syphilis werden in gleicher
                                net sich insbesondere der TPHA (Treponema-        Weise mit drei Injektionen therapiert [16]. Pa-
                                pallidum-Haemagglutinationstest)      aufgrund    tienten mit einer bekannten Penicillin-Allergie
                                seiner einfachen Handhabung und günstigen         können mit Doxycyclin, Erythromycin oder
                                Preises als idealer Screeningtest. Zur Bestäti-   Azithromycin behandelt werden. Unabhängig
                                gung ist der FTA-ABS (Fluorescent-T.-palli-       von der Wahl des Antibiotikums kann es ins-
                                dum-Antikörper-Absorptionstest) aufgrund der      besondere bei der Therapie der Frühsyphilis zu
                                höheren Spezifität geeignet. Nur selten kommt     einer akuten febrilen Reaktion, der sogenann-
                                es beispielsweise bei Leberzirrhose, Kollageno-   ten Jarisch-Herxheimer-Reaktion kommen, die
                                sen, Diabetes mellitus oder in der Schwanger-     sich mit Muskelschmerz, Schüttelfrost und
                                schaft zu falsch reaktiven Befunden. Die unspe-   Kopfschmerzen als grippale Symptomatik ma-
                                zifischen Tests weisen sogenannte Reagine         nifestieren kann. Eine Prophylaxe kann mit
                                (Autoantikörper gegen Phospholipide der Mito-     einer einmaligen Dosis von 50 mg Prednison
                                chondrienmembran) nach; ihr Titer ist ein         erfolgen. Sexualpartner von Patienten im Sta-
                                grobes Mass der Krankheitsaktivität und eignet    dium I mit Kontakt innerhalb von drei Monaten
                                sich infolgedessen gut für eine Therapiekon-      vor Symptombeginn (im Stadium II sechs Mo-
                                                                                  nate und im Stadium der Frühlatenz ein Jahr)
                                                                                  sollten untersucht und allenfalls therapiert
                                                                                  werden [16].
                                                                                  Zahlreiche Interaktionen sind zwischen Syphi-
                                                                                  lis und HIV bekannt. Wie die übrigen ulzerie-
Quintessenz                                                                       renden STD ist auch die Syphilis mit einer er-
                                                                                  höhten Transmission und Akquisition von HIV
 Bakteriell bedingte Geschlechtskrankheiten weisen weltweit eine steigende
                                                                                  infolge einer günstigen Eintrittspforte verge-
  Tendenz auf. In der Schweiz ist eine deutliche Zunahme von Chlamydien-
                                                                                  sellschaftet. Aufgrund dieser Assoziation sowie
  Infektionen, Gonorrhoe und Syphilis zu verzeichnen.
                                                                                  gemeinsamer Risikofaktoren sollte dem Patien-
 Neben einer nachlassenden Bereitschaft zu «safer-sex» und einem                 ten – wie generell bei STD-Patienten – eine
  ungerechtfertigten blinden Vertrauen in die HIV-Therapie ist in grösserem       gleichzeitige HIV-Testung empfohlen werden.
  Umfang ungeschützter Oralsex für die Zunahme verantwortlich.                    Obwohl die Mehrzahl der koinfizierten Patien-
                                                                                  ten den typischen Verlauf einer Syphilis aufwei-
 Infolge des häufig nicht diskriminierenden klinischen Bildes muss bei
                                                                                  sen, sind sowohl atypische Verläufe mit multi-
  genitalen Ulzera eine Erregerabklärung vorgenommen werden.
                                                                                  plen primären Ulzera, häufigere überlappen-
 Während bei der Syphilis Penicillin bei fehlenden Resistenzen immer noch        den Stadien, häufiger Allgemeinsymptome
  das Mittel der Wahl darstellt, muss die Resistenzlage insbesondere bei          sowie atypischen Manifestationen der sekun-
  Gonokokken beachtet werden.                                                     dären Syphilis (lichenoide und noduläre Syphi-
                                                                                  lide und Lues maligna) zu verzeichnen [17, 18].
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Ebenfalls besteht eine häufigere und schnellere                 gleichzeitiger HIV-Infektion eine aggressivere
Entwicklung einer Neurolues und gelegentlich                    Therapie mit drei Injektionen Benzathin-Peni-
eine erschwerte serologische Beurteilung [19].                  cillin G empfohlen [16].
Infolgedessen wird von einigen Autoren bei

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