Stahlmarkt Länderkontingent entlastet die - Branche Seite 6 - Baublatt
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www.baublatt.ch AKTUELLE INFORMATIONEN FÜR DIE SCHWEIZER BAUBRANCHE 22. Februar 2019 Nr. 8 CHF 12.50 Stahlmarkt Hanfstein Länderkontingent Scheinbarer Abfall entlastet die wird zu neuem Branche Seite 6 Baumaterial Seite 10 ung E - R echn Die GC. der H rieren! t regis ng Jetzt e-rechnu ch/ hgc. KLICKEN, BAUEN, FERTIG. shop.hgc.ch www.hgc.ch
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Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019 tä g li c h e www.bau B au-News u nter blatt.ch INHALT BRANCHE Bild: Ben Kron Elisabethenkirche in Basel Achtung, Einsturzgefahr! 5 Stahlmarkt Leichte Entspannung, aber keine Entwarnung 6 Gestaltet Streetart im Geisterdorf Der Bau- und Gestaltungs- Kunst kann Doel nicht retten 8 experte Lorenzo Gregori setzt Bild: agracier, CC BY-SA 3.0, Wikimedia.org auf mineralische, biozidfreie Putze. Eines seiner Vorzeige objekte ist der EM2N-Neubau in der Zürcher Greencity (Foto), der als Meilenstein der Putzarchitektur gilt. SEITE 18 Bild: Basler & Hofmann AG PRAXIS BAUMATERIALIEN / BAUVERFAHREN Geschult Baustoff Hanfstein Der Alleskönner vom Acker 10 Die Digitalisierung bietet bereits heute Vorteile in der Fassade und Putz operativen Bauausführung. Der Mann fürs Oberflächliche 18 Doch zum Durchbruch von BIM Wärmedämmung für Holzhäuser & Co. auf der Baustelle braucht Brandschutz aus Altpapier 24 es vor allem eines: überzeugte Mitarbeiter und Partner. Ein Digitalisierung auf der Baustelle neues Kursangebot vermittelt Vorteile statt Vorurteile 26 Digitalisierungswissen und hilft Ängste und Widerstände Industriedenkmal abzubauen. SEITE 26 Die verwunschenen Kohle-Inseln von Nagasaki 30 MANAGEMENT Bild: zvg Chefsache: Markus Mettler «Vertrauen, getrauen, betrauen» 34 Im nächsten Baublatt 36 Gefragt SERVICE «Vertrauen, getrauen, Bauprojekte 38 betrauen»: So lautet der wichtigste Führungsgrundsatz Baugesuche 40 von Markus Mettler, CEO Baubewilligungen 56 der Halter AG. In der neuen Bauarbeitsvergaben 70 Interview-Serie «Chefsache» Amtliche Infos 71 nimmt er Stellung zu Fragen rund um das Thema Führung. Stellenmarkt 73 SEITE 34 Rätsel, Impressum 74 Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019 baublatt 3
BRANCHE spruchsberechtigt, wie das BFE am Donnerstag Bild: Tici23, Public domain, Wikimedia Commons / Redaktion Stefan Gyr Am Lago Ritom (hinten) ist ein neues Wasserkraftwerk geplant. mitteilte. Die zugesicherte Beitragssumme von 101,2 Millionen Franken entspreche 34 Prozent der anrechenbaren Investitionskosten. Die drei Grosswasserkraftanlagen produzieren künftig ins- gesamt 423,1 Gigawattstunden. Zudem werde eine insgesamt verbesserte Steuerbarkeit der Energieproduktion erzielt, schreibt das BFE. Das durchschnittliche Verhältnis der Mehrproduktion zum Investitionsbeitrag entspreche 75 Rappen pro Kilowattstunde. Seit dem Inkrafttreten des revidierten Energie- gesetzes am 1. Januar 2018 werden neue sowie wesentlich zu erweiternde oder zu erneuernde Grosswasserkraftanlagen mit Investitionsbeiträ- gen gefördert. Der Beitragssatz beträgt für Neu- anlagen und erhebliche Erweiterungen maximal 35 und für erhebliche Erneuerungen maximal 20 Prozent der anrechenbaren Investitionskos- Energie ten. Für die Investitionsbeiträge stehen jährlich Millionen für Grosswasserkraft rund 50 Millionen Franken aus dem Netzzu- schlagsfonds zur Verfügung. Dieser wird durch den Netzzuschlag finanziert, den die Verbraucher D as Bundesamt für Energie (BFE) hat drei Betreiberfirmen Investitionsbeiträge von ins- gesamt 101,2 Millionen Franken für Grosswasser- die zur Verfügung stehenden Mittel vollständig ausgeschöpft. Gemäss Prüfung sind die drei Grosswasserkraftanlagen Robbia / Repower AG, pro konsumierte Kilowattstunde bezahlen. Das Förderinstrument Investitionsbeiträge ist bis 2030 befristet. Der nächste Stichtag für die Einreichung kraftwerke zugesprochen. Damit hat die Behörde Ritom / Ritom SA und Mottec / Gougra SA an- von Gesuchen ist der 30. Juni 2020. (sda / bb) Der Wolf, das Pferd und die Kuh Kolumne Schweizer Kiesunternehmer erzielen dank ihren cyclingplätzen und Deponien stehen. Diese Nähe diversifizierten Rohstoffquellen europaweit die ist aber erforderlich, um erkennen zu können, höchsten Recyclingquoten. ob und – wenn ja – welches Recycling respek- Martin Weder ist Nicht alle Behörden erkennen aber im Unter- tive welche Entsorgung nachhaltig sinnvoll ist. Direktor des nehmer den erfolgreichen «Karren-Zieher». Im Der Unternehmer soll sich deswegen auch in Fachverbands der Schweizerischen Kies- Rahmen der Vollzughilfen zu der Verordnung Zukunft im Bereich «Schliessen der minerali- und Betonindustrie über die Vermeidung und Entsorgung von Ab- schen Stoffkreisläufe» einbringen können. Wir (FSKB). fällen (VVEA) sollen beispielsweise künftig nicht plädieren deswegen dafür, dass die Unterneh- mehr die Unternehmer, sondern die Behörden men im Versorgen und Entsorgen der Bauwirt- entscheiden, wann und wie Rückbaustoffe und schaft mit mineralischen Rohstoffen weiterhin M anche Leute halten den Unternehmer für einen räudigen Wolf, den man totschlagen müsse. Andere sehen in ihm eine Kuh, die man Aushub zu verwerten sind. Das aktuelle unter- nehmerische Verwertungsgebot, das den Unter- nehmer auffordert, Rückbaumaterialien und wie das Pferd den Karren ziehen dürfen und die Behörden sich mehr darauf konzentrieren, dass das Pferd möglichst wirksam den Karren zie- ununterbrochen melken könne. Nur wenige Aushub falls möglich zu verwerten, soll trotz hen kann, und weniger darauf, dass die Kuh für erkennen in ihm das Pferd, das den Karren seinem positiven Leistungsaus- die Finanzierung der Bürokratie zieht.» Winston Churchills Zitat hat auch heute weis durch ein bürokratisches ununterbrochen gemolken wird. noch seine Berechtigung. Kaskaden-Obligatorium ersetzt Bezogen auf die mineralische Seit den frühen 90er-Jahren ziehen bei- werden. Churchills «Karren-Zieher» Rohstoffversorgung und -entsor- spielsweise verschiedene innovative Schweizer sollen totgeschlagen werden. gung bedeutet dies, dass die Unternehmen im Bereich «Schliessen der Stoff- Dafür wird der Unternehmer in Unternehmen weiterhin auf der kreisläufe» den Karren. Frühzeitig haben sie er- Zukunft noch stärker aufgefordert, Basis der Eigenschaften der kannt, dass sich Kies mehrfach rückbauen und über Steuern und Abgaben den für Rückbaustoffe und des Aushubs rezyklieren lässt und unser Gebäudepark so- den Vollzug des Obligatoriums be- entscheiden dürfen, ob, wann mit eine wichtige zusätzliche Rohstoffquelle nötigten Verwaltungsapparat zu finanzieren. und wie die einzelnen Stoffe verwertet werden. darstellt. Sie investierten riesige Beträge, um Diese behördlichen Vorschläge verkennen, Ich bin überzeugt, so gewinnen alle – die Be- möglichst bald in die Lage zu kommen, die ent- dass die Pulte der Behörden zu weit weg von hörden, die Unternehmer, die Gesellschaft und sprechenden Technologien zu beherrschen. Die den Baustellen, Kiesgruben, Steinbrüchen, Re- die Nachhaltigkeit. ■ 4 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
Elisabethenkirche in Basel Gegen Quote für erneuerbares Gas Die Basler Regierung will keine Quote für Achtung, Einsturzgefahr! erneuerbares Gas im Netz des kantonalen Versorgers IWB. Sie lehnt eine SP-Motion mit dieser Forderung ab. Sie begründet ihre Ab- D er Turm der Basler Elisabethenkirche befin- lehnung mit hohen Kosten, da in der Schweiz Bild: Norbert Aepli, CC BY 2.5, Wikimedia Commmons det sich in einem schlechten Zustand. Es nur sehr teuer und mit zusätzlichen Anlagen bestehe die Gefahr, dass Sandsteinelemente ab- ausreichend Biogas für den Basler Bedarf her- brechen, in die Tiefe fallen und dort Menschen zustellen wäre. Zudem wären Zertifikate für ernsthaft gefährden, meldet die «BZ Basel». Auf grünes Gas primär im Ausland erhältlich. Empfehlung von Fachingenieuren sei der Turm Grünes Gas sei auch regulatorisch benachtei- für die Öffentlichkeit gesperrt worden. Münster- ligt und darum preislich unattraktiv. (sda) baumeister Andreas Hindemann hat gemäss dem Bericht am vorhandenen Sandstein Schäden fest- Bosshard übernimmt Bruma gestellt, «die exponentiell zunehmen». Alle drei Die Zuger Bossard-Gruppe kauft in Deutschland Monate würden spezialisierte Kletterer Baustel- zu. Das auf industrielle Verbindungs- und Mon- lenkontrollen und Sicherungsmassnahmen durch- tagetechnik spezialisierte Unternehmen über- führen. Demnächst soll die Turmpyramide mit nimmt die Bruma Schraub- und Drehtechnik Netzen umspannt werden, damit keine Steine her GmbH mit Sitz in Velbert in der Nähe von Düs- unterfallen können. Selbst die Kirchenglocken seldorf. Mit der Übernahme baue man die Prä- werden nicht mehr geläutet, um die Baumasse senz im Geschäft mit Spezialteilen für die Auto- nicht in Schwingung zu versetzen. industrie weiter aus, teilt Bossard mit. Zum Der Sandstein an der Elisabethenkirche habe Kaufpreis wurden keine Angaben gemacht.(sda) nicht die gleiche Qualität wie zum Beispiel jener am Basler Münster, wird Hindemann zitiert. Er sei Alte Deponie La Pila wird saniert in sich schlechter gebunden und deshalb scha- Die Elisabethenkirche wurde 1857 bis 1864 erbaut. Für die Sanierung der ehemaligen Deponie La densanfälliger. Die letzten Restaurierungen wur- Pila vor den Toren der Stadt Freiburg liegen den vor rund 25 Jahren durchgeführt. Jetzt wird Ausstattung ein Zeugnis des Historismus dar. Die vier Varianten auf dem Tisch. Der Bund hat sich laut dem Bericht an einem Sanierungskonzept von Christoph Merian und Margarethe Merian- für die Variante eines teilweisen Aushubs der und der Finanzierung gearbeitet. Daran könnten Burckhardt gestiftete Kirche wurde von 1857 bis Deponie mit Kosten von 110 bis 195 Millionen sich neben der evangelisch-reformierten Kirche 1864 erbaut. Die Sanierungskosten werden auf Franken ausgesprochen. Die Altlastensanierung Basel-Stadt auch der Kanton, die Denkmalpflege 13,2 Millionen Franken geschätzt. Restauriert ist seit Jahren ein Thema. In den Jahren 2016 und der Bund beteiligen. Die Elisabethenkirche werden soll dabei die ganze Kirche – dies in und 2017 wurden Zusatzuntersuchungen durch- gilt als die bedeutendste neugotische Kirche der Etappen, damit der Betrieb der Offenen Kirche geführt, um zu klären, wie sich die Sanierungs- Schweiz und stellt gleichzeitig in Architektur und Elisabethen aufrechterhalten werden kann. (bb) massnahmen auf die Saane auswirken. (sda) Fachhochschul-Campus Gericht spricht Biel umstrittene Parzelle zu E in Immobilienbesitzer und die Stadt Biel lie- gen sich wegen der Enteignung einer Parzelle für den Bau des Bieler Fachhochschul-Campus enhäusern, die sich auf der fraglichen Parzelle befinden. Entscheidend für das Recht der Stadt auf Enteignung der Parzelle ist laut dem Gericht ungsordnung hervorging, wurde 2013 an der Urne angenommen. Zudem befindet sich die Par- zelle in einer Zone für öffentliche Nutzung. Nicht in den Haaren. Derzeit obenauf im Ringkampf das Vorhandensein einer Zone mit Planungs- Gegenstand des Verfahrens war das Enteignungs- liegt die Stadt Biel. Das geht aus einem Urteil pflicht. Diese Zone, aus der später eine Überbau- verfahren an sich, das noch hängig ist. (sda) des bernischen Verwaltungsgerichts hervor. Um- stritten ist ein Entscheid des Vizepräsidenten der Bilder: Pool Architekten Der geplante Neubau auf dem kantonalen Enteignungsschätzungskommission. Fachhochschul-Campus in Biel. Er entschied im vergangenen Oktober, die Stadt Biel werde im November 2018 vorzeitig Besitze- rin der Liegenschaft. Mit einer Appellation gegen diesen Entscheid ist der Immobilienbesitzer nun beim kantonalen Verwaltungsgericht abgeblitzt. Es hat entschieden, dass die Stadt Biel per 15. März dieses Jahres Besitzerin der Parzelle wird, die es zum Bau des Campus Biel der Ber- ner Fachhochschule braucht. Ab diesem Datum wird die Stadt somit Vermieterin von 20 Mietwoh- nungen in zwei zusammengebauten Mehrfamili- Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
Bild: Worldsteel, Posco Stahlmarkt Leichte Entspannung, aber keine Entwarnung Im Zollstreit ist die Stahlbranche zwischen die Fronten geraten. Die Massnahmen der EU brachten die Hersteller vor allem im Güteraustausch mit europäischen Ländern in eine schwierige Lage. Seit Anfang Monat hat sich die Situation etwas entspannt. Doch Unsicherheiten bleiben bestehen. Von Stefan Schmid A nfang Februar ist Bewegung in den Zoll- Globalquote mit Nebenwirkungen ser Länder Kontingentmengen wegschnappen streit gekommen, nachdem im März letz- Die EU leitete in der Folge eine Untersuchung ein, können. Die Drittstaaten werden alle gleich be- ten Jahres die USA Importe von Stahl- und um abzuklären, inwiefern die US-Zölle innerhalb handelt und mit Zusatzzöllen bestraft, sobald die Aluminiumprodukten mit Schutzzöllen belegt hat- des Kontinents beim Stahlmarkt zu veränderten vorgegebene Importschwelle überschritten wird. ten. Im Visier hatten die USA mit den protek- Materialflüssen führen und sich daraus Markt- Mit der Massnahmen hat die EU die Umlenkungs- tionistischen Massnahmen vor allem China. Des- störungen und Preisverzerrungen ergeben. Um ströme im Gefolge der US-Zölle vorerst blockiert. halb waren in einer ersten Phase Kanada, Me- die eigenen Hersteller vor Importen zu schützen, xiko, Australien, Argentinien, Brasilien und die EU sehen die Regeln der World Trade Organisation Justierung der Kontingentierung bis zum 1. Mai 2018 provisorisch von den Zöllen (WTO) in diesem Fall die Möglichkeit von Mass- Durch stark ansteigenden Stahleinfuhren aus ausgenommen. Südkorea erhielt als einziges nahmen vor in Form von temporären Schutz- Drittstaaten in die EU könnten die Globalkontin- Land eine dauerhafte Ausnahme für Stahl- zöllen oder Einfuhrkontingenten vor. Die EU gente aber rasch ausgeschöpft sein. Aufgrund produkte. Das Ausnahmeprovisorium wurde für musste schliesslich mit Schutzmassnahmen re- der provisorischen Massnahmen waren laut An- die Ländergruppe bis am 1. Juni verlängert, sollte agierten, da die Gefahr bestand, dass Produ- gaben des Verbands der schweizerischen Ma- danach aber definitiv eingeführt werden. Auf ver- zenten aus China, Indien und Russland wegen schinen-, Elektro- und Metallindustrie (Swiss- schiedene Produktkategorien von Stahl (Section der US-Zollschranken mit den Stahllieferungen mem), in der Schweiz die Kontingente jeweils bei 232) verhängten die USA einen Zollzuschlag von vermehrt nach Europa ausweichen und damit sechs von acht Produktkategorien schnell aufge- 25 Prozent, bei Aluminiumprodukten von zehn Preise und Margen unter Druck setzen könnten. braucht. In den Kategorien Betonstahl, Walzdraht Prozent. Zwar wurden die Zölle mit der nationa- Die EU weitete im Juli letzten Jahres deshalb und bei Hohlprofilen wurden die Kontingente so- len Sicherheit begründet, dienten aber wohl dem ihre provisorischen Schutzmassnahmen mit ei- gar zu 100 Prozent erreicht. Beim Stahlwerk Ger- Schutz des Heimmarkts. Von den Massnahmen ner Dauer von maximal 200 Tagen auf diese Län- lafingen reichten bei Stäben, Ringen und Walz- in Mitleidenschaft gezogen wurden in der Schweiz der aus. Sie erlaubte Einfuhren aus diesen Dritt- draht im Dezember und im Januar die Kontin- alle Produktkategorien, auch Bewehrungsstahl. staaten bei einer Reihe von Produktkategorien gente nicht mehr aus, sodass das Werk nicht Direkt betroffen war zwar der Handel mit den USA, nur noch im Rahmen globaler Importquoten. Die mehr exportieren konnte. für die Schweizer Stahlbranche ist jedoch der Gü- kontingentierten Mengen richteten sich nach den Die EU hat die Globalkontingente nun durch teraustausch mit europäischen Ländern viel wich- durchschnittlichen Importen der letzten drei länderspezifische Kontingente ersetzt. Als tiger. 98 Prozent des Stahls importiert die Schweiz Jahre. Volumen von Stahleinfuhren, die über Massstab für die Festlegung der Kontingent- aus der EU, 95 Prozent der Exporte gehen dort- den Kontingenten lagen, wurden mit einem Zoll mengen pro Land und Produktgruppe dient neu hin. Deshalb war entscheidend, wie die EU auf von 25 Prozent belegt. Der Nachteil von Global- der Durchschnitt der Importe in die EU der Jah- die protektionistischen Interventionen reagierte. quoten besteht darin, dass Stahlexporteure die- re 2015 bis 2017. Das Jahreskontingent der 6 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
BRANCHE Schweizer Stahlproduzenten liegt fünf Prozent Zurückhaltung, wobei für die EU der Schutz der ist für die USA, das Handelsbilanzdefizit abzubau- über diesem Durschnitt. Seit Anfang Februar eigenen Industrie im Vordergrund stand und en. Die amerikanische Regierung will dieses redu- gelten die EU-Schutzzölle definitiv bis 2021. Die weniger die Absicht, der Schweiz zu schaden. zieren, da sie es als Wachstumsbremse ansieht. länderspezifischen Quoten und die Liberalisie- Die Bemühungen um eine Ausnahmeregelung rungszuschläge von jeweils fünf Prozent haben haben offenbar Früchte getragen, denn auch die Zölle für mehr Wachstum? beim Stahlwerk Gerlafingen wieder zu mehr Kon- EU will laut eigenen Angaben die «etablierten Noch im letzten Jahr war das Handelsdefizit das tinuität im Geschäft geführt. Seit Anfang Februar Handelsströme» erhalten. fünfte Mal in Folge gestiegen, im Oktober sogar sind Exporte wieder möglich. Eine Ausnahme von den Zöllen erwirken wollte auf den höchsten Stand seit zehn Jahren. Vor Insgesamt haben aber sowohl die länder- die Schweiz auch mit den USA. Für die Klage vor allem das politisch heikle Handelsminus gegen- spezifischen und globalen Kontingente im Markt der WTO wäre ein Streitschlichtungsverfahren in über China erhöhte sich auf einen Rekordwert. zu einer Preisstabilisierung geführt. Zudem hat Frage gekommen, etwa auch im Verbund mit Der Saldo zwischen Einfuhren und Ausfuhren war das Vorgehen der EU zur Konsequenz, dass es in den USA letztmals 1975 positiv. Der Grund auch künftig weniger Raum für billige Importe ist, dass vor allem der amerikanische Staat in der aus Ländern ausserhalb der EU geben wird, vor Vergangenheit über seine Verhältnisse Schulden allem türkische Stahlwerke werden weniger nach anhäufte, weil die Nation mehr investierte als zu Europa exportieren können. Länderspezifische und sparen. Wenn nationale Ersparnisse für Investi- Nach den jüngsten Entscheidungen zeichnet globale Kontingente tionen nicht ausreichen, müssen die Zusatzin- sich im Zollstreit für die Schweizer Stahlbranche bringen eine Preisstabili- vestitionen fremdfinanziert werden, wobei auch eine Entspannung ab. Dadurch kann die Versor- die Stärke des Dollars sowie der Wechselkurs gung mit Bewehrungsstahl langfristig gewährleis- sierung in den Markt. zu berücksichtigen sind. Entsteht ein Bedarf nach tet werden, zumal die Stahlwerke in der EU in den Devisen und ein Überangebot an inländischer letzten Jahren ihre Produktionskapazität erwei- Währung, kann dies zu einer Abwertung führen, tert haben. Auch die Auslastung der Stahlwerke die einen positiven Effekt auf die Exporte hat, dürfte mit der länderspezifischen Lösung wieder anderen Ländern. Schutzzölle gegenüber den USA da das Ausland Güter günstiger importieren besser werden. Allerdings bestehen nicht für alle kamen für die Schweiz aber nicht in Frage, weil kann. Schliesslich ergibt sich auf diese Weise Produktkategorien eine länderspezifische Quote. lediglich Preiserhöhungen bei Stahlprodukten die allmählich ein Ausgleich der Handelsbilanz. Aufgrund von vielfältigen Verflechtungen der Folge gewesen wären und sich die USA dadurch Weltweit ist der Stahlmarkt von einem Über- Schweiz mit den europäischen Ländern müssen wohl nicht allzu sehr hätten beeindrucken lassen. angebot geprägt. Die in den letzten zehn Jahren auch bei Fabrikationsprozessen Regelungen ge- In der Schweiz wären im schlimmsten Fall Stüt- weltweit aufgebaute Produktionskapazität stellt funden werden, beispielsweise wenn Metallteile zungszahlungen für die Industrie oder Anmeldun- vor allem die exportorientierten Schwellenländern für einen Prozessschritt in ein EU-Land ausge- gen von Stahlkäufen zur Diskussion gestanden. vor grosse Herausforderungen. Insgesamt kommt führt und für die Endmontage vor einer Wieder- Die Branche hat positiv auf die länderspezifische die Schweizer Stahlbranche dem Vernehmen nach ausfuhr importiert werden. Regelung reagiert, zumal die Kontingentmengen mit den Kontingenten beim Bewehrungsstahl gut beim Bewehrungsstahl gewisse Spielräume öff- zurecht – zumindest schmerzen sie nicht mehr Erfolgreiche Verhandlungen nen, wenn auch die Lage bei den veredelten so sehr wie das mit dem bisherigen Zollregime Diesen Frühling will die EU-Kommission eine Zwi- Stahlprodukten für die Autoindustrie als schwie- der Fall war. ■ schenbilanz ziehen und allenfalls weitere Anpas- riger eingeschätzt wird. Grundsätzlich ist man in sungen am Zollregime vornehmen. Vorgesehen der Branche der Ansicht, dass protektionistische ist, dass ab Juli dieses Jahres die Kontingent- Massnahmen wie Handelshemmnisse, Import- mengen um zusätzliche fünf Prozent erhöht werden. Denn vor allem in Wachstumsphasen von zölle oder die Kontrolle von Warenflüssen die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bremsen. Stahlwerke Volkswirtschaften könnten die Kontingente für Trotz der leichten Entspannung kann noch Der Stahlausstoss in der Schweiz beträgt einzelne Länder nicht ausreichen. Gemäss Staats- keine Entwarnung geben werden, wie die Aus- pro Jahr 1,2 bis 1,3 Millionen Tonnen, wo- sekretariat für Wirtschaft Seco müssen «diese sagen amerikanischer Regierungsvertreter bei bei der Anteil von Bewehrungsstahl bei etwa Kontingente genügend gross ausgestaltet sein, der Münchner Sicherheitskonferenz von letzter 40 Prozent liegt. Die beiden grössten damit der bilaterale Handel uneingeschränkt Woche zeigen. Wieder führten die USA die Be- Schweizer Stahlproduzenten sind das Stahl- weitergeführt werden kann». Allerdings hat sich drohung der nationalen Sicherheit ins Feld, die- werk in Gerlafingen und Swiss Steel in Emmenbrücke. Das zur Beltrame Group ge- die Konjunktur in der Eurozone sowie jene der ses Mal durch europäische Autos. Das US-Han- hörende Stahlwerk Gerlafingen beliefert vor Konjunkturlokomotive Deutschland abgekühlt. delsministerium hat dazu einen Prüfbericht er- allem die Bauwirtschaft und Industrieunter- Der Status als Drittland führte dazu, dass auch stellt und diesen dem Präsidenten übergeben. nehmen in der Schweiz und Europa. Als Teil Schweizer Stahlprodukte von den Zusatzzöllen Trump hat nun 90 Tage Zeit, ob er auf Basis des des Stahlkonzerns Schmolz + Bickenbach betroffen waren. Bereits kurz nach Inkrafttreten Berichts Zölle von bis zu 25 Prozent auf Autoim- stellt Swiss Steel Spezialprodukte für beson- der US-Zölle war der Bundesrat wegen der Aus- porten einführen will. Die amerikanische Auto- dere Einsätze her. wirkungen des Zollstreits in Brüssel vorstellig branche spricht sich wegen der Preissteigerungen Insgesamt beträgt der Wert der Stahl- geworden, um zu erreichen, dass die Schweiz von und der negativen Auswirkungen auf die Investi- exporte rund 1,1 Milliarden Franken. Die allfälligen Schutzmassnahmen der EU ausge- tionen gegen Zölle aus. Die nationale Sicherheit Stahlexporte machen etwa ein Prozent der nommen wird. Trotz enger wirtschaftlicher Ver- ist ein dehnbarer Begriff, wenn es um wirtschafts- Güterausfuhren der Schweiz aus. (sts) flechtungen stiess man aber auf eine gewisse politische Interventionen geht. Zweck der Zölle Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019 baublatt 7
Pavillon der Serpentine Galleries Sommerliche Schieferhöhle M it Zaha Hadid hatte alles angefangen: 2000 war sie die erste eines illustren Reigens von Architekten, die mit dem Design des temporären Sommerpavillons der Serpentine Galleries be- auftragt worden sind. Nach ihr waren unter an- derem Peter Zumthor, Herzog & de Meuron, Bjarke Ingels oder Francis Kéré für das Museum in den Londoner Kensington Gardens tätig. Dieses Jahr ist Junya Ishigami die Ehre zuteil geworden: Der japanische Architekt hat ein Gebilde aus Schiefer entworfen, dass aus dem Rasen zu wachsen scheint und gleichzeitig an ein Dach erinnert. Un- ter seiner sanft ansteigenden Fläche befindet sich eine Höhle, die als «Hort der Einkehr» ge- dacht ist. «Mein Entwurf spielt mit unseren Pers- pektiven der gebauten Umgebung vor dem Hin- tergrund einer natürlichen Landschaft», sagt Ishigami über sein Projekt. Es sei «ein Versuch, traditionelle Architektur mit modernen Methoden und Konzepten zu ergänzen» und so eine «noch nie dagewesene Landschaft» zu schaffen. Bevor Ishigami 2004 sein eigenes Büro grün- dete, hatte er für SANAA gearbeitet. 2010 hat er in Venedig für sein Werk den goldenen Löwen der Architektur Biennale erhalten. Ishigami ist be- kannt für beinahe unwirklich anmutende und oft minimalistische Bauten, die sich in ihrer Umge- bung aufzulösen scheinen und an Landschaften, Wälder oder Wolken erinnern. (mai) Streetart im Geisterdorf Kunst kann Doel nicht retten S eit bald Jahrzehnten zieht sich das Ende von Streetart-Werke, die sich über Mauern und ver- Doel hin: Bereits 1999 war das Dorf von rammelte Fenster ziehen oder an Wänden hinter den Behörden zum Abbruch freigegeben worden. wucherndem Grün hervorlugen. Die Palette ist Dies, um für den nahegelegenen wachsenden Ha- gross: psychedelisch-bunte Bilder, überdimen- fen von Antwerpen Platz zu sionierte Tiere wie Ratten, schaffen. Proteste konnten Vögel und Hasen oder düste- das Ende bislang hinaus- zögern. Aber mittlerweile LINKTIPP re Schablonengraffiti. Dass das Dorf zur Leinwand Auf baublatt.ch/doel dürfte es kaum mehr zu mutiert ist, verdankt es der sehen Sie eine Bilderstrecke. verhindern sein. Denn im Gruppe «Doel 2020». Ihre Laufe der Zeit sind laut Me- Mitglieder hatten die Idee, dienberichten bis auf 20 Einwohner alle ausge- den Ort zu retten, indem sie Streetart-Künstler zogen. Der Ort ist verwaist und seine Bauten ver- einluden, sich auf Doels Bauten zu verewigen. Sie fallen zusehends. Trotzdem sind in den letzten sind zwar gekommen, aber es hat offenbar nichts Jahren immer wieder Touristen und Kunstinteres- genutzt. Denn während auf Instagram Bilder aus sierte nach Doel gepilgert. Grund sind die vielen Doel Likes sammeln, verfällt der Ort weiter.(mai) 8 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
BRANCHE Immobilienwerbung Andermatt ist «kleines» Kino D ie Menschen, die in Andermatt zu Hause sind, und die Faszination des Ortes ist Thema der zwölfteiligen Videoserie «Mystic Bilder: Junya Ishigami + Associates / Kecko, Flickr, CC / manfredrichter, Pixabay / loranger, Flickr, CC / Redaktion: Silva Maier Mountains». Hinter den Kurzfilmen steckt die Andermatt Swiss Alps AG von Samih Sawiris, der auch darin zu Wort kommt. «Die Kraft dieser Granitberge», schwärmt er. «Man kann sie spüren, wenn man von Göschenen nach Andermatt hinauf kommt.» Sawiris erinnert sich, wie er von Andermatt im Gespräch mit dem Schweizer Botschafter erfahren hatte, der ihm erzählte hatte, dass die Armee das Dorf verlässt. Dass keiner vorhabe, ein so grosses Stück Land zu nutzen, das nur eine Stunde von Zürich und eineinhalb Stunden von Mailand liege, habe er sich nicht vor- stellen können. – Mit den dokumentarisch an- gehauchten Videos bewirbt Andermatt Swiss Alps den Ort und zeichnet gleichzeitig den starken Wandel Andermatts der letzten Jahre nach. Die Filme sollen nach und nach in den Sozialen Medien gestreut werden. (mai) Erste drei Folgen auf www.andermatt-swissalps.ch/ andermatt/mystic-mountains Strassenbelag aus ausgedienten Autoreifen Unterwegs auf alten Pneus J edes Jahr landen Millionen von Pneus auf dem Müll oder sie rotten in Lagern vor sich. Öko- logischer ist es, sie für die Herstellung von Weg gefunden, wie sich solches verhindern lässt. Sie haben im Rahmen einer Untersuchung fest- gestellt, dass Mischungen aus gemahlenem Rei- Kautschukasphalt zu verwenden. Deshalb ist der fenkautschuk mit besonderen Polymeren – Trans- Gummi ausgedienter Reifen in rund der Hälfte der Isopren oder Polybutadien – im Verhältnis 3 : 1 Bundesstaaten der USA Bestandteil von Asphalt- mit Asphalt die besten Ergebnisse lieferten. Bei mischungen. Solchem Strassenbelag wird eine solchen Gemischen ist die Dichte des gemahle- bessere Leistung als herkömmlichem Asphalt nen Reifenkautschuks geringer und sie ähneln nachgesagt, ebenso, dass er kostengünstig und damit Asphalt. Das heisst, der Gummi setzt sich umweltfreundlich ist. im Verlauf der Zeit nicht ab und das Material ist Allerdings haben derartige Beläge zwei Nach- formbeständiger. Und kann es laut den Forschern teile, die ihren Einsatz einschränken: Sie neigen einfacher verarbeitet werden. Zudem seien die dazu, sich im Laufe der Zeit in Gummi- sowie Polymeradditive billiger, heisst es in der Medien- Bitumenschicht zu trennen, und sie verformen mitteilung des ACS. Im Vergleich zu herkömm- sich relativ schnell. Wissenschaftler von der Ame- lichem Asphalt könnten etwa 7 bis 10 Prozent der rican Chemical Society (ACS) haben nun einen Ausgaben eingespart werden. (mai/mgt) baublatt 9
PRAXIS Bau eines Hauses mit Hanfsteinen im Südtirol: Das Material dämmt Temperatur und Schall, reguliert Feuchtigkeit und Klima, reinigt die Luft, hält Schimmel und Schädlinge fern – und sein Rohstoff lässt sich auf jedem Rübenacker anbauen. Baustoff Hanfstein Der Alleskönner vom Acker Aus Nutzhanf lassen sich nützliche Dinge herstellen: Lebensmittel, Medikamente, Kleider. Und aus Hanfschäben, dem Abfall dieser Produktion, ein Baustein, dessen positive Eigenschaften nachhaltig verblüffen. Von Ben Kron D ie Weltbevölkerung wächst ungebremst, Häuser und Infrastrukturen bauen und erhalten, Materialien und Dehnungen. Daraus ergeben sich und auch die Belastung der Umwelt nimmt und sie muss neue Baupraktiken finden, da die über kurz oder lang Schwachpunkte mit Kondens- weiter zu. Die Politik denkt und handelt konventionellen Methoden unhaltbar werden. wasserbildung, Schimmel, Bakterien. Die durch- aber vorwiegend im Sinne kurzfristiger, wirtschaft- Diese greifen auf problematische Materialien schnittliche Nutzungsdauer eines Hauses in licher Bilanzen, weshalb keine griffigen interna- und Praktiken zurück, oder wie es der Wiener Europa beträgt etwa 30 Jahre, danach ist es tionalen Klimaschutz-Abkommen möglich sind. Architekt Dietmar Steiner formuliert: «Wir bauen Sondermüll, da sich unter anderem die einzelnen Doch gerade in der Wirtschaft selbst wächst den grössten Sondermüll der Baugeschichte.» Schichten kaum mehr voneinander lösen lassen. die Einsicht, dass nachhaltige Lösungen gefragt Und die Energie, die bei der Produktion und Ent- sind, um das Leben auf dem Planeten lebenswert Spareffekt verpufft sorgung eines Gebäudes verbraucht wird, ver- zu erhalten. Das gilt auch für die Baubranche: Heutzutage ist es üblich, bei Neubauten mit ursacht dabei weit mehr CO2-Ausstoss, als man Diese muss für die wachsende Anzahl Menschen vielen Schichten zu arbeiten, mit verschiedenen in der Lebensdauer sparen kann. 10 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
Deshalb werden alte Materialien und verges- Schönthaler, dessen Familie seit 1964 ein Ge- sene Techniken wiederentdeckt: Wir bauen ver- schäft mit Baustoffen betreibt, musste drei Jahre mehrt mit Holz, stellen Stahlersatz aus Bambus- lang probieren, mischen, Misserfolge erzielen und fasern her, dämmen Gebäude mit Stroh, Jute, von vorne beginnen, bis er die richtige Mischung Kokos oder Schafwolle und ersetzen energiefres- und Trocknung gefunden hatte, um die Bausteine sende Klimaanlagen durch bioaktive Lehmputze. produzieren zu können. Hierfür werden die Hanf- Auch Dämmstoffe aus Hanffasern sind bei uns schäben mit besonderen Naturkalken und Mi- auf dem Vormarsch (siehe «Hanf als Dämmstoff», neralien gemischt, in einer Ziegelmaschine in Seite 14). Formen gepresst und luftgetrocknet. Heraus kommen Hanfsteine in diversen Stärken, die nach Einstreu für Kleinnager einem Monat Trocknungszeit verbaut werden Bei der Gewinnung dieser Hanffasern bleiben die können. «Die Produktion benötigt zwar eine gros- holzigen Anteile der Pflanze, die Schäben, übrig. se Maschine, ist wegen der natürlichen Trock- Dieser wurde bisher meist als Einstreu für Meer- nung aber äusserst schonend für die Umwelt.» schweinchen und Hamster genutzt. Der Südtiro- ler Bauberater Werner Schönthaler hat dieses Zwei Hektar für ein Haus scheinbare Abfallmaterial nun aber zu einem Bau- Das gilt auch für den Anbau der Pflanze selbst. stoff entwickelt, indem er es mit Kalk kombiniert. «Hanf wächst wie Unkraut», weiss Werner Kalk kannten schon die alten Römer als lang- Schönthaler, «rund 50 Mal schneller als Holz und lebigstes aller Bindematerialien, und Hanf ist eine auf einer Höhe bis 1900 Meter. Die Pflanze rege- der ältesten Nutzpflanzen der Welt. «Durch sein neriert den Boden, ist äusserst robust, braucht schnelles Wachstum enthält der Hanf viel Sili- weder Dünger noch Pestizide. Und ein Feld von Bilder: zvg zium, was sich optimal mit dem Naturkalk ver- zwei Hektaren reicht, um daraus das Material bindet, mineralisiert und so zu einem Stein wird.» für ein Haus zu gewinnen.» FORTSETZUNG AUF SEITE 12 Der Hanfstein in Nahaufnahme. Am Ende seiner Nutzung lässt sich der Baustoff auf denkbar einfache Weise rezyklieren: das Naturmaterial ist kompostierbar. Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019 baublatt 11
PRAXIS Bild: zvg Befestigung der Hanfsteine mit herkömmlichen Wanddübel-Systemen in Flims: Das Vorzeigeobjekt «Café Lieto» in Flims wurde seinerzeit sogar in der Pendlerzeitung «20 Minuten» vorgestellt. Das Café ist seit Ende letzten Jahres offen und sehr gut besucht. Warum aber soll man überhaupt mit dem Hanf- reicht man einen U-Wert von 0,18, was dem Weiter haben Hanfsteine die Eigenschaft, Wärme stein bauen, der mehr Kosten verursacht als höchsten Klimahausstandard entspricht. Mit zu dämmen, zu speichern und zu reflektieren. herkömmliche Baustoffe? Zum einen verleiht die 45 Zentimetern erreicht man Passivhausstandard. «Dadurch bringen sie behagliche Wärme im Win- Hanffaser dem Baumaterial beeindruckende Die Steine widerstehen zudem Temperaturen ter und Kühle im Sommer. Sie dämmen Schall bauphysikalische Eigenschaften: Wer mit Hanf- von über 650 Grad Celsius und sind schwer ent- und regulieren die Raumakustik. In der Wirkung steinen baut, kann auf jede Dämmung verzich- flammbar. Auch Insekten oder Nagetiere beissen auf die Raumluft sind Hanfsteine dem Lehm sehr ten: Mit einer Mauerdicke von 40 Zentimetern er- sich an ihnen die Kiefer und Zähne aus. ähnlich. Sie nehmen die Luftfeuchtigkeit auf, durch den hohen PH-Wert des Kalks wird die Luft gereinigt und desinfiziert und wieder an den Raum abgegeben.» Die Folge ist eine reine Raumluft Bild: zvg mit Regulation der Luftfeuchtigkeit, bei der man sich behaglicher fühlt. Natürliche Klimaanlage Der Hanfstein neutralisiert des Weiteren Gerüche, und durch die Kondensationsenergie, also das Aufnehmen und Abgeben der Luftfeuchtigkeit, entsteht eine natürliche Klimaanlage, die im Winter Wärme und im Sommer Kühle freisetzt, ganz ohne den Einsatz von Energie und Technik. Ein weiterer Pluspunkt ist die Wiederverwert- barkeit des Materials: Hanfsteine können nicht nur kompostiert, sondern komplett als Baumate- rial wiederverwendet werden, bilden also einen «Cradle to Cradle»-Kreislauf. Die Ökobilanz des Materials schliesslich ist atemberaubend: Be- rechnet man gemäss Norm alle Einflüsse von der Produktion bis zur Entsorgung akribisch, erzielt der Hanfstein eine CO²-Bilanz von minus 60 Pro- zent. Man spart mit dem Bau eines Hanfhauses Hanfstein-Produktion: Das in der Pflanze reichlich vorhandene Silizium verbindet sich mit dem also mehrere Tonnen Kohlendioxyd. Kommt der beigefügten Kalk ideal. Hanf von einem naheliegenden Feld, verbessert 12 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
sich die ohnehin sehr gute Ökobilanz des Baus Bild: Archiv Baublatt noch einmal erheblich. Was den Stein als Material interessant macht, denn die Normen und Labels gehen immer stär- ker in Richtung emissionsarmer und naturnaher Bauweise. So wird die EU mit den «Nearly zero- energy buildings» ab 2020 bei jedem Bau die Produktion und Entsorgung der Materialien in die Ökobilanz einberechnen. In den skandinavischen Ländern ist dies heute vorgeschrieben. «Bauten mit Hanf-Kalk werden dem Anspruch heute schon gerecht», unterstreicht Werner Schönthaler. Wiederentdeckung in Mitteleuropa Neben der Südtiroler Firma haben auch andere den Hanf als Baumaterial wiederentdeckt. «In Frankreich wird seit rund 20 Jahren mit Hanf gebaut, in Belgien seit 15, in Zentralitalien seit etwa 10», weiss Schönthaler. «Und in Südeuropa wird sehr viel mit Hanf gebaut. Aber neue Ma- terialien brauchen immer Zeit, bis sie von der Allgemeinheit angenommen werden.» Im Bauge- werbe gehe man von zehn Jahren aus, bis etwas Neues angenommen wird. «Nach meiner Er- fahrung dauert es im Berggebiet und in engen Hanf lässt sich auf Höhen von bis zu 1900 Metern anbauen, wächst sehr schnell, benötigt weder Dünger Tälern ein wenig länger ...» FORTSETZUNG AUF SEITE 14 noch Pestizide und verbessert erst noch den Boden für die anschliessende Fruchtfolge. Bild: Archiv Baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019 baublatt 13
PRAXIS Bilder: zvg Die fertige Hanfstein-Wand in Flims vor dem Verputzen. Die klimaregulierenden und luftreinigenden Eigenschaften des Baustoffs wirken sich auf den späteren Betrieb der Gaststätte äusserst positiv aus. Doch es gibt schon jetzt eine Reihe von Vorzeige- aufmüpfigen Gemeinde Mals, die sich gegen Ferienort Flims derzeit eine Hanfbar: Der Süd- Bauten mit Hanfstein. In Italien hat die «Casa di den Willen der Landesregierung selbst das Güte- tiroler Bauplaner Roland Mall nutzt die nachhal- Luce» den «Green Building Award» gewonnen, im siegel «pestizidfrei» verliehen hat. tigen Steine für den Bau des «Café Lieto», des- Südtirol hat der Biobauer Alexander Agethle ein In der Schweiz wurde in Flims ein mit Hanf- sen Bau letztes Frühjahr begann. Auf einem Fun- bemerkenswertes Wohnhaus errichtet, in jener an Kalk saniertes Haus preisgekrönt (siehe «Preis dament aus Beton verbaut man hier total acht Biobauern und sonstigen Öko-Pionieren reichen, für Hanf-Kalk-Putz», Seite 16). Dazu entsteht im Kubikmeter Ziegel. FORTSETZUNG AUF SEITE 16 Produktion der Hanfziegel in Eyrs: Dank Lufttrocknung wird nur wenig Energie benötigt mit entsprechend Hanf als Dämmstoff geringen Emissionen. Bereits seit längerem bekannt und erprobt ist Hanf als Dämmstoff. Hierfür werden in- des die langen Hanffasern verwendet, wel- che auch zu Textilien und ähnlichen Pro- dukten verarbeitet werden. Hanf ist hierbei einer von mehreren bio- logischen Rohstoffen, neben Jute, Schaf- wolle, Kork und Kokosfasern. Die mit Soda gegen Feuer und Schädlinge imprägnierten Hanffasern werden zu Vliesen gekämmt, un- ter Zugabe von zehn Prozent einer Stütz- faser aus Maisstärke, und die Vliese über- einander gelegt, um die gewünschte Stärke der Dämmmatte zu erhalten. Hanf als Dämmstoff verfügt neben seiner eigentlichen isolierenden Funktion über eine Reihe weiterer positiver Eigenschaften, ana- log zum Hanfstein. (bk) 14 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
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PRAXIS Ein spezielles Projekt hat Schönthaler für den Schönthaler selbst hat in Südtiroler Dorf Tschen- nachhaltigen Baustoff Hanfstein zu werben, der Sommer geplant: «Im Juli bauen wir mit Schwei- gls den Hot Castelatsch mit Hanfsteinen gebaut direkt neben der Fabrik auf dem Acker wächst. zer Freunden im Monviso Institute im Piemont ein und bewohnt ihn heute selbst. Hier hat er für ei- Das rasche Umschwenken auf solche ökologi- Null-Kilometer-Haus: Hier kommt der Hanf vom nen weiteren Hanfrohstoff Verwertung gefunden: sche Techniken und Materialien ist für ihn eine Feld nebenan direkt in die Wände.» Das italieni- Er entwickelte eine eigene Kosmetiklinie, die dringende Notwendigkeit: «Wir müssen rasch sche Monviso Institute ist nach eigener Beschrei- auf der Verwendung von Hanföl basiert. Doch umdenken und handeln. Und wir müssen uns bung ein Gebirgs-Labor «für Forschung, Lehre wie er zugibt, verbringt er viel zu wenig Zeit wieder natürlichen Materialien und Abläufen und Unternehmertum in Nachhaltigkeit, Transfor- auf dem idyllischen Hof im Vinschgau: Werner zuwenden. Die Zukunft wird grün sein – oder mationen und System-Design». Schönthaler ist viel unterwegs, um für seinen sie wird nicht mehr sein!» ■ Preis für Hanf-Kalk-Putz An einen felsigen Hügel geschmiegt, im Ortsteil Putz insgesamt genügend Flüssigkeit zur Carbo- Hanfsteinen, Feuchtigkeit und Temperatur im Las Caglias im Engadiner Ferienort Flims Wald- natisierung hat. Dieser chemische Prozess, mit Innern des Gebäudes: Selbst an den heisses- haus, steht ein 1959 erbautes Apartmenthaus, dem Kohlendioxyd der Luft, verleiht der Fassade ten Sommertagen ist keine zusätzliche Kühlung dessen Sanierung mit Hanf und Kalk einen Preis eine widerstandfähige Aussenhaut. erforderlich. errang. Antje Brückner und Ursula Raymann von Weil die nassen Hanfschäben beim Aus- Die mineralische Einbindung der Hanfschä- der Zürcher Farbkanzlei GmbH kamen beim trocknen an Volumen verlieren, entsteht hinter ben verleiht den Hanf-Kalk-Baustoffen zudem letztjährigen Appli-tech-Innovationswettbewerb dieser Schicht eine grosse Anzahl kleiner Luft- ein günstiges Brandverhalten: Sie gelten als «Farbe, Putz, Dämmung» mit ihrer Lösung auf räume. Diese erhöhen den Dämmwert der nicht brennbar. Daneben sind sie beständig den zweiten Rang. Fassade und verringern die Gefahr von Ab- gegenüber Ungeziefer und umweltverträglich, Sie dämmten das Gebäude aussen mit einer platzungen, wenn die Fasern nass werden und da die Herstellung aus überwiegend nachwach- acht Zentimeter starken Kalk-Hanf-Schicht als aufquellen. Insgesamt haben die Aussen- und senden Rohstoffen einen geringen Stoff-und Dämmputz, der einen halben Meter tief in den Zwischenwände aus Hanf, Zement und Kalk Energieverbrauch von der Herstellung bis zum Boden gezogen wurde. Dabei wurden die Hanf- nicht nur eine gute Dämmwirkung. Die Bauweise Rückbau erfordert. Und auch hier gilt: Das fasern vor dem Verputzen genässt, so dass der reguliert auch, ähnlich wie bei Schönthalers Material ist komplett rezyklierbar. (bk) Bild: zvg Paletten mit fertigen Hanfsteinen warten auf ihren Einsatz: Das Material muss sich in der Baubranche erst noch durchsetzen, was in der Regel mindestens zehn Jahre dauert. 16 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
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PRAXIS Bild: Ben Kron Fassade und Putz Der Mann fürs Oberflächliche Als Bau- und Gestaltungsexperte hat sich Lorenzo Gregori den letzten zehn Millimetern von Gebäudeflächen verschrieben: Das Potenzial dieser letzten, aber entscheidenden Schicht will er den Planern und Architekten näherbringen und propagiert es in seinem Online-Blog. Von Ben Kron A uf den ersten Blick wirkt der Tea-Room im Leu + Partner Bau AG und ein Verfechter natür- Abziehbild. Gregori berät als CTO Bauherrn und Zürcher Kreis 6 gemütlich und einladend. licher, biozidfreier Oberflächen. «In diesen Investoren allgemein bei der Farbenwahl und Auch der Kaffee in dem nicht namentlich Räumen wurde die Oberfläche schlicht mit einem Materialgestaltung in der Architektur. «Was ich genannten Lokal schmeckt akzeptabel. Doch unangenehmen Farbton und einer simplen, acryl- mache, ist kurz gesagt Design für Architektur.» durch die Augen von Lorenzo Gregori gesehen haltigen Dispersion bemalt. Das Ganze ist kom- Er hilft bei Fragestellung zur Fassadenarchitek- gibt es an der Lokalität einiges zu bemängeln. plett geistlos und optisch nicht ansprechend.» Die tur- und Gestaltung, zur Innen- und Aussenwär- Gregori ist Bau- und Gestaltungsexperte in De- Farbklänge blieben diffus, erläutert er weiter, und medämmungen, zu Farben und Verputzen sowie sign für Architektur, Material und Technik, Chief das Erdölderivat im Bindemittel der Farbe bilde Mineraldesign. «Ich berate, devisiere und konzi- Technical Officer (CTO) sowie Teilhaber bei der nach dem Trocknen eine Schicht wie bei einem piere Fassaden- und Verputzsysteme für die In- 18 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
Bild: Ulrike Nitzschke Das rund 220 Meter lange Gebäude der EM2N-Architekten in der Zürcher Greencity: Die Fassade gilt als Meilenstein der Putzarchitektur und zeichnet sich durch konsequentes Mineraldesign, Biozidfreiheit und Nachhaltigkeit aus (Bild links). Lorenzo Gregori berät eine Besucherin der Sonder- ausstellung «Die letzten 10 Millimeter» an der letztjährigen «appli-tech» (Bild oben). Wunsch, eine solche Qualität auch heute zu re- alisieren. Das wiederum spornt den Erfindergeist an: Mit welchen Materialien und Techniken lässt sich das Gesehene reproduzieren?» An dieser Stelle wird aus Gregori der Tüftler im Labor, der über unzählige Musterplatten seinem Ziel näher- zukommen versucht. «Seit meiner Lehrzeit als Maurer habe ich mich dieser symbiotischen Wechselwirkung zwischen Projekt, Produkt, De- sign und Handwerk verschrieben.» Kein Designerjob in der Schweiz nen- und Aussenräume mit dem Fokus auf Mine- nen. Insgesamt gibt es zehn Parameter, die man Nach der Maurerlehre bildete sich Lorenzo Gregori raldesign, Biozidfreiheit und Nachhaltigkeit.» Das auf den letzten zehn Millimetern verändern kann. als Hochbauzeichner weiter und absolvierte ein Credo des 50-Jährigen: «Ein Innen- und Aussen- «Da wartet ein Fundus von Möglichkeiten zur Designstudium in Mailand. «Schon als Jugend- raum ist von höchster Qualität, wenn Architektur Kreation von Oberflächen auf seine Wiederentde- licher war ich von Architektur, Produktdesign und und das Oberflächendesign eine physikalische, ckung, sowohl für Innen- wie für Aussenräume.» Street Art, also Graffiti, begeistert und wollte in funktionale und farbliche Einheit bilden.» Seine Eingebungen erhält Renzo Gregori auf diese Richtung arbeiten.» Doch als er in die seinen vielen Reisen, auf denen er seiner Leiden- Schweiz zurückkehrte, fand sich kein Designer- 10 Parameter für 10 Millimeter schaft zur Fotografie frönt. «Ich bin immer auf der job, weshalb er die Ausbildung zum Bauführer Sein Ziel sei es, in schöne Oberflächen nicht Suche nach schönen Anblicken und Lösungen, Hochbau absolvierte und in die Baubranche ein- sichtbare Werte mit einzubauen. «Mörtel zum Bei- die mich für meine Arbeit inspirieren. Dabei streife stieg, genauer in die Putz- und Farbenindustrie. spiel hat stets eine spezifische Sieblinie, also eine ich mit Vorliebe durch historischen Stadtviertel.» «Hier bin ich rasch und eindeutig im Metier der gewisse Materialzusammensetzung. Allein mit der Sieht der Gestaltungsexperte zum Beispiel eine Farben, Verputze und Fassadengestaltung ge- Sieblinie und der Wahl des Bindemittels kann ich Fassade, deren Material in Jahrzehnten oder gar landet und habe im Bereich Fassaden beraten den Baustoff steuern und seine Qualität steigern. einem Jahrhundert mit Charme und Würde ge- und gestaltet. Dieses Thema zieht sich seither Ich habe harten oder weichen Mörtel, der gegen- altert ist, ohne ihre Funktionen einzubüssen, dann wie ein roter Faden durch meine Tätigkeiten.» über Dampf offen oder geschlossen ist, ich ver- ist er Feuer und Flamme. «In der Gründerzeit finde Gregori schreibt über seine Arbeit und das ändere das Kolorit und den Farbklang.» Auch lässt ich solche Fassaden und einen Fundus an Erfah- Thema Putz auch den Blog «Die letzten 10 Milli- sich mit Zuschlagstoffen experimentieren oder rungen: Damals sind die ersten Silikatfarben zum meter» (www.l10mm.ch), analog zur SIA-Norm mit der Behandlung der Oberflächen, wodurch Einsatz gekommen. Und die Fassaden wecken in 242 «Verputz- und Trockenbauarbeiten», worin Muster, Strukturen und eine Tiefe entstehen kön- mir ein Gefühl der Nostalgie, gepaart mit dem die Mindestschichtstärke für einen Innengrund- Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019 baublatt 19
PRAXIS Rotes Glas im Aussenputz: Für diese Fassade an einem Mehrfamilienhaus im Zürcher Seefeld liess sich Gregori von einem Besuch auf der Glasbläserinsel Murano bei Venedig inspirieren. putz mit 10 Millimeter angegeben ist. «Für mich dabei denke ich natürlich auch an mein Team von messen wird, muss man die Architekten und Bau- sind beim Verputz und der Fassade die Funktio- Handwerkern, das die Lösung umsetzen muss. herren für diese Aspekte der Materialwahl und nen das Wichtigste. Es sind die nicht sichtbaren Für sie muss die Aufgabenstellung möglichst Gestaltung sensibilisieren. «Wir leben in einer Werte, die physikalischen und technischen und unkompliziert sein.» schnellen Welt, in der alles sofort produziert wer- daran angedockt das gute Design.» Sein Putz soll Zentral bei seiner Beratung ist die Überzeu- den muss. Eine Fassade sollte also rasch trock- also sowohl die Wünsche des Bauherrn erfüllen gungsarbeit: Da der Fassade und ihrer Materia- nen. Stattdessen sollte man für einen Moment in- als auch die eigenen Qualitätsvorstellungen. «Und lisierung oft nur gerige Aufmerksamkeit beige- nehalten und sich überlegen, was sich allein mit Mörtel und Farbe alles machen lässt.» Doch im Alltag sei diese Übezeugungsarbeit schwierig: «80 Prozent der Meinungsbildner haben keine Meinung zum Thema Fassadenmaterial, obwohl sie eine Entscheidung fällen müssen.» Also würden sich diese für das entscheiden, was sie bereits kennen. «Gute Gestaltung wird so manchmal tor- pediert von Leuten, die kein Feingefühl haben.» Bauhumanismus Für den Innenraum bezeichnet Gregori seinen An- satz als Bauhumanismus: «Was muss ein Baustoff Bei der Ober- bringen, damit der Mensch sich in einem Raum fläche dieses wohlfühlt und der Bauherr zugleich eine nachhal- Mehrfamilien- tige und hochwertige Qualität erhält?» Denn wir hauses in Zürich wurde der Menschen verbringen heute 60 bis 80 Prozent Fassadenputz unserer Zeit in geschlossenen Räumen. Deshalb mit einem Werk- sucht er Oberflächen, welche den Menschen ein zeug aufgeraut. Wohlbefinden ermöglichen. «Das sind wichtige Es handelt sich Werte, die durch Materialisierungen erreicht wer- nicht um eine Arbeit von den können, aber oft zu wenig Beachtung finden.» Gregori, sondern Für viele seiner Entwürfe lässt der Designer zum um eines der Beispiel alte Kalkputztechniken wieder aufleben. vielen guten «Mich interessieren Qualitäten wie Langlebigkeit Beispiele, die oder Nachhaltigkeit. Und natürlich will ich biozid- der Putzexperte für seinen Blog und rodentizidfreie Materialien verwenden.» fotografisch Doch wer solche Materialien einsetzt, muss ih- dokumentiert. nen die nötige Zeit einräumen. «Ich sage es dem 20 baublatt Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019
Bilder: zvg Auf der Suche nach der idealen Mischung: Musterplatten aus dem Labor von Lorenzo Gregori, bei denen er versucht, neue Lösungen für die Fassadengestaltungen zu finden, die sich in der Ästhetik und Materialwahl aber an historischen, bewährten Beispielen orientieren. Putzforschung Für seine mineralischen Putze muss Lorenzo Gregori in der Schweiz noch viel Überzeu- gungsarbeit bei Planern und Entscheidungs- trägern leisten. Doch inzwischen ist in Sachen Putz im Ansatz eine Renaissance auszumachen, vor allem bei Neubauten. An der Hochschule Hildesheim forscht Pro- fessor Markus Schlegel über Putze und er- klärt dessen zunehmende Bedeutung: «Der Werkstoff passt in unsere Zeit. Themen wie Natürlichkeit, Vertrautheit, aber auch der Wunsch nach lokalen Werkstoffen und Tra- ditionen, nach subtilen Strukturen statt glatten Screens oder medialen Flächen, ge- winnen immer mehr an Bedeutung.» Schlegel will, analog zu den Bemühungen Gregoris, einen fundierten, interdisziplinären Dialog in Gang setzen. «Unsere Fragen sind: Warum hat der für unseren Kulturraum typ- ische Werkstoff Putz als fugenlose Flächen- gestaltung in den vergangenen 20 bis 30 Jahren so massiv an Flächenanteil bei Neubauten eingebüsst? Was bedeutet das für Stadtbilder und kulturelle Codierungen?» Daneben wirft die Forschung in Hildesheim auch einen Blick in die Zukunft und einer möglichen Weiterentwicklung. «Wie muss ein Werkstoff der Zukunft aussehen und was muss Putz leisten, damit er für die Interpretation von innovativen Neubauten und die kreative Weiterentwicklung von Be- Wohnzimmer mit dunkelbraunem Innenputz: Die hochwertige Oberfläche macht die dunkle Farbe standsbauten akzeptiert wird?» (bk) angenehm. Sie vereint Funktionalität mit gutem Design im Dienst des Wohlbefindens der Benutzer. Nr. 8, Freitag, 22. Februar 2019 baublatt 21
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