Alan Mathison Turing: Computing Machinery and Intelligence

Die Seite wird erstellt Leonard Merz
 
WEITER LESEN
Prof. Erhard Konrad
Grenzen der Künstlichen Intelligenz
SS 2002
Fakultät IV, Elektrotechnik und Informatik
Technische Universität Berlin

          Alan Mathison Turing:
         Computing Machinery and
               Intelligence

              eine kritische Zusammenfassung

                       Jan-Ole Beyer (info@binaerwelt.de)
                                Matthias Knoll
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung                                                                                                 2

2 Zusammenfassung                                                                                            2
  2.1 Das Imitationsspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    .   .   .   .   2
  2.2 Kritische Bemerkungen zum neuen Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . .            .   .   .   .   2
  2.3 Die am Spiel beteiligten Maschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       .   .   .   .   3
  2.4 Digitalrechner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   .   .   .   .   3
  2.5 Universalität der Digitalrechner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    .   .   .   .   3
  2.6 Gegensätzliche Ansichten über die zentrale Frage . . . . . . . . . . . . . . .       .   .   .   .   4
      2.6.1 Der theologische Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         .   .   .   .   4
      2.6.2 Der Vogel-Strauß-Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           .   .   .   .   4
      2.6.3 Der mathematische Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            .   .   .   .   4
      2.6.4 Das Bewusstseinsargument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .           .   .   .   .   5
      2.6.5 Argumente, die verschiedene Unfähigkeiten betreffen . . . . . . . . .           .   .   .   .   5
      2.6.6 Der Einwand der Lady Lovelace . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .            .   .   .   .   5
      2.6.7 Das Argument der Stetigkeit innerhalb des Nervensystems . . . . . .              .   .   .   .   6
      2.6.8 Das Argument von der Unmöglichkeit, Verhaltensregeln festzusetzen               .   .   .   .   6
      2.6.9 Das Argument von der außersinnlichen Wahrnehmung . . . . . . . .                 .   .   .   .   6
  2.7 Lernende Maschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       .   .   .   .   6

3 Kritik und Schluss                                                                                         7

                                                  1
1     Einleitung
Alan M. Turings Computing Machinery And Intelligence gilt als Grundstein und erste Ausein-
andersetzung mit der Idee der Künstlichen Intelligenz (KI). Noch heute, über 50 Jahre nach der
ersten Veröffentlichung, ist der Artikel und die Ideen, die er beinhaltet, aktuell. Auch wenn sich
Turings Hoffnungen auf denkende Maschinen“ zur Jahrtausendwende nicht bestätigt haben, sind
                           ”
viele der Fragen und Ansätze, die er 1950 aufgezeigt hat, heute aktuelle Forschungsgebiete.
    In dieser Arbeit soll Turings Artikel einerseits zusammengefasst, andererseits aber auch kritisch
betrachtet werden.
    Soweit nicht anders erwähnt, bezieht sich diese Arbeit auf die deutsche Übersetzung un-
ter dem Titel Kann eine Maschine denken? von P. Gänßler, erschienen u.a. in der Reclam-
Universalbibliothek im Band Künstliche Intelligenz — Philosophische Probleme“ 1 . Es sei zu
                                 ”
bemerken, dass die Überschriften der Zusammenfassung denen Turings entsprechen.

2     Zusammenfassung
2.1     Das Imitationsspiel
Da sich die Frage Können Maschinen denken?“, die Turing anfangs in den Raum stellt, nur sehr
                   ”
schlecht und nur mit Hilfe genauerer Definitionen beantworten lässt, schlägt er vor, sie durch eine
andere zu ersetzen.
    Das neue Problem bezeichnet er als Imitationsspiel, heutzutage besser bekannt unter dem
Begriff Turing-Test. Ein Fragesteller, der alleine in einem Raum sitzt, versucht, durch Fragen
zu entscheiden, welcher seiner beiden Mitspieler männlich (A) und welcher weiblich (B) ist. Der
männliche Mitspieler soll dabei den Fragesteller in die Irre führen, die Mitspielerin dagegen soll
ihn unterstützen.
    Dieses Spiel wird nun noch so weit modifiziert, dass der Mann durch eine Maschine ersetzt
wird und der Fragesteller nun herausfinden muss, wer der Mensch und wer die Maschine ist.
Die Maschine soll hierbei versuchen, den Interviewer durch Imitation menschlichen Verhaltens zu
täuschen.

2.2     Kritische Bemerkungen zum neuen Problem
Die Substitution der ursprünglichen Fragestellung durch das Imitationsspiel hat sowohl Vor- als
auch Nachteile.
    Ein wesentlicher Vorteil ist die Möglichkeit, scharf zwischen der Physis und dem Intellekt eines
Menschen zu unterscheiden. Da der Interviewer in einem getrennten Raum sitzt und die beiden
Personen weder sieht, hört noch ihre Handschrift liest, ist es ihm unmöglich, den Menschen anhand
seiner physischen Merkmale zu erkennen. Des weiteren versucht Turing an einem kurzem Frage-
Antwort-Beispiel zu zeigen, dass seine Methode geeignet ist, fast jeden gewünschten Bereich
                                                                    ”
menschlichen Bemühens einzubeziehen“ 2 — ein weiterer Vorteil dieser Methode.
    Einen möglichen Kritikpunkt sieht Turing darin, dass eine Maschine und ein Mensch sich alleine
an Rechenfähig- und geschwindigkeit unterscheiden lassen. Die Maschine ist damit im Nachteil,
da sie zu schnell und zu gut ist. Ein Mensch, der versucht eine Maschine zu imitieren, würde mit
Sicherheit scheitern. Den Einwand, dass die beste Strategie der Maschine für das Imitationsspiel
eine andere sein könnte als die Nachahmung menschlichen Verhaltens, lässt Turing nicht gelten,
sondern setzt voraus, dass es keine bessere gibt und die Maschine somit versuchen muss, den
Menschen nachzuahmen.
   1 Turing , Alan M.: Kann eine Maschine denken? In: Künstliche Intelligenz — Philosophische Probleme, Stuttgart

1994, S. 39-78
   2 ebd., S. 41

                                                        2
2.3     Die am Spiel beteiligten Maschinen
Die Frage was unter dem Begriff Maschine“ zu verstehen ist, beantwortet Turing indirekt, indem
                                   ”
er einige Richtlinien zur Erzeugung einer solchen aufzählt. So sollte es gewährleistet sein, dass alle
denkbaren maschinenbautechnischen Hilfsmittel verwendet werden, wobei die Operationsweise der
Maschine nicht genau beschrieben werden können muss. Menschen, die auf die übliche Weise zur
                                                           ”
Welt kamen“ 3 , werden nicht als Maschine akzeptiert. Er führt weiterhin aus, dass auch durch Klo-
nen (ein Begriff, den er zwar nicht verwendet, aber der Turings Beschreibung beinhaltet) erzeugte
Wesen nicht als Maschinen zu akzeptieren sind. Aufgrund dieses Ausschlusses und der immer kom-
plexer werdenden Einschränkungen führen Turing dazu, auf die Forderung nach allen denkbaren
maschinenbautechnischen Hilfsmitteln zu verzichten und stattdessen die für das Imitationsspiel
zugelassenen Maschinen auf einzuschränken. Turing geht davon aus, dass Digitalrechner sich als
fähig erweisen, den Test zu bestehen, weshalb er sie als befriedigende Lösung ansieht. Er verlangt
keinesfalls, dass jeder Digitalrechner die Aufgaben des Spiels erfolgreich ausführen kann, sondern
dass vielmehr die theoretische Möglichkeit bestehen soll, eine Maschine zu entwickeln, die dazu in
der Lage ist.

2.4     Digitalrechner
Im Abschnitt Digitalrechner beschreibt Turing anhand eines Vergleichs zu menschlichen Rechnern
ausführlich Aufbau und Funktionsweise von Digitalrechnern. Dieser Teil soll aber nur kurz erwähnt
werden, da Turing sehr genau heute weitläufig bekannte und für das Verständnis des Artikels
weniger relevante Fragen über diese damals recht neuen Geräte beantwortet.
   Ein Digitalrechner besteht aus Speicher, ausführender Einheit und Kontrollwerk. Der Speicher
enthält auszuführende Befehle, deren Ergebnisse sowie einen Teil der festen Regeln, nach denen das
Programm ausgeführt werden soll. Die ausführende Einheit führt die eigentlichen Berechnungen
durch und das Kontrollwerk stellt sicher, dass die Befehle korrekt und in der richtigen Reihenfolge
ausgeführt werden. Die vollkommen mechanisch arbeitende Analytische Maschine, die Charles
Babbage im 19. Jahrhundert entwarf, zeigt, dass ein Digitalrechner nicht zwangsläufig elektrisch
funktionieren muss und dass hier somit auch keinerlei Einschränkung gemacht werden muss.

2.5     Universalität der Digitalrechner
Die beschriebenen Digitalrechner kategorisiert Turing als Maschinen mit diskreten Zuständen. Je-
de solche Maschine, die nur endlich viele Zustände annehmen kann, lässt sich durch eine abstrakte
Zustandstabelle beschreiben. Kennt man die zu einer Maschine mit diskreten Zuständen zugehöri-
gen Tabelle, so ließe sich theoretisch jeder zukünftige Zustand voraussagen. In der Praxis scheitert
dies jedoch an der ungeheuren Vielzahl verschiedener Zustände. Da Turing keinen Grund findet,
warum ein Digitalrechner nicht in der Lage sein sollte, jede Maschine mit diskreten Zuständen
nachzuahmen, befindet er diese auch als geeignet, das Imitationsspiel zu spielen. Einen solchen
Digitalrechner bezeichnet er als universelle Maschine.
    Ein Digitalrechner in diesem Sinne, mit ausreichend großer Speicherkapazität ausgestattet, ist
laut Turing somit in der Lage, durch geeignete Programmierung jeden anderen Digitalrechner zu
ersetzen. Diese Tatsache verleitet Turing dazu, seine ursprüngliche Problemstellung ein letztes Mal
umzuformulieren:
     Ist es wahr, dass ein ganz bestimmter Digitalrechner C nach geeigneter Modifizierung seines
    ”
Speichervermögens und seiner Aktionsgeschwindigkeit, sowie nach angemessener Programmierung,
in die Lage versetzt werden kann, die Rolle von A im Imitationsspiel zu spielen, wobei B’s Rolle
von einem Menschen übernommen wird?“ 4
  3 ebd.,   S. 42
  4 ebd.,   S. 51

                                                   3
2.6     Gegensätzliche Ansichten über die zentrale Frage
Ob Turings Substitution der Fragestellung zulässig ist, hat schon damals auseinandergehende Mei-
nungen hervorgerufen. Aus diesem Grund möchte er auch die ursprüngliche Frage nicht gänzlich
fallen lassen — was er allerdings indirekt einen Absatz später doch tut, indem er sie als zu belang-
                                                                                          ”
los, als daß sie ernsthaft diskutiert werden sollte“ 5 , abstempelt. Turing war der Meinung, dass um
das Jahr 2000 herum die Chancen, eine das Imitationsspiel spielende Maschine nach 5 Minuten zu
erkennen, unter 70 (bzw. aus heutiger Sicht gelegen hätten) und man somit widerspruchslos von
denkenden Maschinen reden würde. Dass seine Vision zumindest noch nicht in Erfüllung gegangen
ist, ist heute, 2 Jahre nach Ablauf von Turings Frist“, wohl unumstritten.
                                                   ”
    Im Folgenden versucht Turing 9 Ansichten zu widerlegen, die seinem Standpunkt entgegen-
stehen. Da er sich darüber im Klaren ist, dass er über keine sehr überzeugenden Argumente“ 6
                                                        ”
verfügt, nehmen diese Ausführungen auch einen Großteil seines Artikels in Anspruch.

2.6.1       Der theologische Einwand
 Denken ist eine Funktion der unsterblichen menschlichen Seele. Gott gab Mann und Frau eine
”
unsterbliche Seele, jedoch weder einem anderen Lebewesen noch einer Maschine. Insofern kann
weder Tier noch Maschine denken.“ 7
    Diesen Einwand versucht Turing mit theologischen Argumenten zu widerlegen. Er bezeichnet
das Argument als ernsthafte Einschränkung der Allmacht Gottes“ 8 . Wieso sollte Gott nicht in
                   ”
der Lage sein, zum Beispiel einem Elefanten durch Mutation eine Seele zu verleihen? Auch wenn
dies absurd erscheinen mag, warum dann nicht auch einer Maschine eine Seele verleihen? Dass
er theologischen Argumenten nicht viel Gewichtung gibt, verdeutlicht er abschließend anhand des
Beispiels des heliozentrischen Weltbildes, das zu Kopernikus’ Zeit mit Hilfe zweier Bibelstellen
widerlegt wurde, sich mittlerweile aber als korrekt herausgestellt hat.

2.6.2       Der Vogel-Strauß-Einwand
  Die Konsequenzen, die sich aus denkenden Maschinen ergäben, wären zu schrecklich. Wir wollen
”
hoffen und glauben, dass sie nicht denken können.“ 9
    Dieser Einwand spiegelt den Glauben der Menschen wider, dass sie der übrigen Schöpfung
überlegen seien. Turing sieht diesen Einwand in starkem Zusammenhang mit dem theologischen.
Allerdings hält er dieses Argument für zu unwesentlich, als daß es der Widerlegung bedürfte.“ 10
                   ”

2.6.3       Der mathematische Einwand
Es gibt für eine Maschine Fragen, die sie entweder falsch oder überhaupt nicht beantwortet, wie
                                     ”
viel Zeit man ihr auch immer läßt.“ 11
    Diese Behauptung zweifelt Turing keineswegs an, er geht jedoch davon aus, dass eine Frage,
die von einer gewissen Maschine nicht korrekt oder gar nicht beantwortet werden kann, für eine
andere durchaus beantwortbar ist. Außerdem erscheint ihm dieser Einwand insofern unberechtigt,
als dass auch Menschen nicht jede Frage beantworten können. Im Zusammenhang mit diesem
Problem stellt sich jedoch die Frage, ob es vielleicht Fragen gibt, die kein Rechner beantworten
kann — und wenn dies der Fall ist, ob dann ein Mensch diese Fragen beantworten kann.
    Nichtsdestotrotz scheint Turing diese Argumentation als eine der schwerwiegendsten zu emp-
finden, allerdings räumt er gleichzeitig ein: Diejenigen, die an der mathematischen Argumentation
                                              ”
  5 ebd.,   S.   52
  6 ebd.,   S.   69
  7 ebd.,   S.   53
  8 ebd.,   S.   53
  9 ebd.,   S.   54
 10 ebd.,   S.   54
 11 ebd.,   S.   55

                                                 4
festhalten, sind wohl am ehesten bereit, das Imitationsspiel als Diskussionsgrundlage zu akzeptie-
ren.“ 12

2.6.4       Das Bewusstseinsargument
Dieses Argument sagt im Kern aus, dass Denken notwendigerweise mit Bewusstsein verbunden
ist. Es ist zwar durchaus möglich, künstlich Freude zu simulieren, jedoch nicht, echte Freude zu
schaffen.
    Als großes Problem erweist sich die mögliche Feststellung, ob eine Maschine denkt oder nicht.
Die einzige Möglichkeit dies festzustellen wäre es, die Maschine selbst zu sein. Dieser solipsistische
Standpunkt gilt jedoch gleichermaßen für Menschen, weshalb man gemeinhin zu der Übereinkunft
gekommen ist, dass jedermann denkt. Somit kann man demnach auch nicht ausschließen, dass
eine Maschine denkt. Ebenso wenig lässt sich ausschließen, dass eine Maschine ein Bewusstsein
hat. Wenn eine Maschine so programmiert ist, dass sie so antwortet, als hätte sie ein Bewusstsein,
kann das Gegenteil nicht bewiesen werden. Demzufolge muss angenommen werden, dass sie ein
Bewusstsein hat.

2.6.5       Argumente, die verschiedene Unfähigkeiten betreffen
Hinter diesem Einwand verbirgt sich die Annahme, dass Maschinen keine menschlichen Eigenschaf-
ten annehmen können. Demzufolge können sie z.B. nicht schön sein, Richtiges von Falschem unter-
scheiden, Fehler machen, gerne Erdbeeren mit Schlagsahne essen oder Gegenstand ihrer eigenen
Gedanken sein.13 Turing bezeichnet dieses Argument als eine verkleidete Form des Bewusstseinsar-
guments und behauptet, dass diese Feststellungen größtenteils durch wissenschaftliche Induktion
begründet sind. Demnach können sich die Verfechter dieser Denkensweise aufgrund ihrer bisherigen
Erfahrungen mit Maschinen nicht vorstellen, dass ein Rechner eine der genannten Eigenschaften
annehmen könnte. Als Hauptgrund sieht Turing in diesem Zusammenhang den Mangel an Spei-
cherkapazität damaliger Computer.
    Auf zwei der Behauptungen über Unfähigkeiten geht Turing ausführlich ein. Zum ersten ver-
sucht er den Einwand, Maschinen würden keine Fehler machen, zu widerlegen. Hierbei müsse
zunächst zwischen Fehlschluss und Funktionsfehler unterschieden werden. Funktionsfehler sind je-
doch zu vernachlässigen, da von abstrakten, perfekten Maschinen ausgegangen wird. Fehlschlüsse
hingegen sind ohne weitere Problem zu erzeugen, indem man die Maschine geeignet programmiert,
so dass sie z.B. fortwährend 0 = 1äusdruckt. Es wäre auch möglich die Maschine das Prinzip der
                             ”
wissenschaftlichen Induktion nutzen zu lassen, welches sicherlich auch zu falschen Ergebnissen
führen würde.
    Auf die Behauptung, dass eine Maschine nicht Gegenstand ihrer eigenen Gedanken sein kann,
entgegnet Turing, dass man eine Gleichung, die gerade von einer Maschine ausgerechnet wird,
als Teil des momentanen Bearbeitungszustandes der Maschine“ 14 beschreiben könnte. Demnach
    ”
wäre eine Maschine, die zur Ausarbeitung ihrer eigenen Programme [...] oder zur Vorhersage von
                          ”
Änderungseffekten, die ihre eigene Struktur betreffen[,]“ 15 verwendet würde, Gegenstand ihrer
eigenen Gedanken.

2.6.6       Der Einwand der Lady Lovelace
Hinter diesem Einwand verbirgt sich ein Bericht der Lady Lovelace über Babbages Analytische
Maschine: Die Analytische Maschine erhebt keinen Anspruch, irgendetwas zu erzeugen. Sie kann
           ”
all das tun, wofür wir die entsprechenden Durchführungsbefehle geben können.“ 16
    Dieser Einwand kann durch Turings Konzept der Lernenden Maschinen“, das im späteren
                                                         ”
Verlauf des Artikels ausgeführt wird, widerlegt werden. Alternativ könne man den Einwand jedoch
 12 ebd., S.56
 13 vgl.ebd., S. 59
 14 ebd., S. 62
 15 ebd., S. 62
 16 ebd., S. 62

                                                   5
auch umformulieren in: Eine Maschine kann nie etwas wirklich Neues ausführen“. Dem entgegnet
                         ”
Turing, dass schöpferische Arbeit vielleicht auch nur Produkt geistiger Erziehung oder Nachvollzug
allgemeiner Prinzipien ist und sich damit die Frage stellt, ob es denn überhaupt etwas Neues auf
der Welt gibt.
    Eine weitere Variante ist die Behauptung, dass eine Maschine nie überraschen kann. Turing
behauptet aber, selber immer wieder bei seiner Arbeit mit Maschinen überrascht zu sein. Auch
wenn diese Überraschung vielleicht nur Folge seines eigenen schöpferischen Denkvorgangs und nicht
Verdienst der Maschine ist, so bedarf es doch immer eines solchen schöpferischen Denkvorgangs,
um eine Sache als überraschend zu empfinden, sei es nun durch einen Menschen, ein Buch oder
eine Maschine.

2.6.7       Das Argument der Stetigkeit innerhalb des Nervensystems
Dieser Einwand besagt, dass das Nervensystem im Gegensatz zum Digitalrechner stetig arbeitet,
weshalb ein Digitalrechner nie in der Lage sein wird, das Nervensystem zu simulieren. Turing ist
jedoch der Meinung, dass dieses Argument für das Imitationsspiel nicht von Bedeutung sein sollte.
Anhand eines Beispiels zeigt Turing, dass es dem Fragesteller durch Verteilung von Wahrschein-
lichkeiten zumindest erschwert werden kann, zwischen diskret und stetig zu unterscheiden.

2.6.8       Das Argument von der Unmöglichkeit, Verhaltensregeln festzusetzen
 Es ist unmöglich, Regeln aufzustellen, die festlegen, was ein Mensch in jeder denkbaren Situation
”
tun sollte.“ 17
    Dieser Behauptung kann man entnehmen, dass ein Mensch keine Maschine sein kann, da die-
se ja vollständig regelgeleitet funktioniert. Daraus wiederum kann man folgern, dass denkende“
                                                                                        ”
Maschinen nicht realisierbar sind, da der nicht-regelgeleitete Teil menschlichen Denkens von ei-
nem Rechner nicht nachgeahmt werden kann. Verhaltensregeln“ sind jedoch nicht Verhaltensge-
                                                 ”                                   ”
setzmäßigkeiten“, welche quasi als Naturgesetze das Handeln steuern. Solange nicht gezeigt werden
kann, dass Menschen nicht doch vollständig durch solche Gesetzmäßigkeiten bestimmt sind, er-
scheint der Einwand als wertlos.
    Zur weiteren Verdeutlichung gibt Turing das Beispiel eines seiner Programme auf der Manchester-
Maschine, welches scheinbar willkürlich auf eine Zahl mit einer anderen antwortet, so dass man
von außen die Gesetzmäßigkeit nicht erkennen kann, obwohl es eine solche gibt. Ebenso kann nicht
bewiesen werden, dass das Gehirn keine solchen Gesetzmäßigkeiten aufweist.

2.6.9       Das Argument von der außersinnlichen Wahrnehmung
Obwohl die übersinnlichen Phänomene Telepathie, Hellsehen, Prophetie und Psychokinese üblichen
wissenschaftlichen Vorstellungen widersprechen, spricht Turing ihnen doch eine gewisse Relevanz
zu. Es sei eventuell möglich, dass ein am Imitationsspiel beteiligter Mensch, der als telepathi-
scher Empfänger geeignet ist, durch diese Fähigkeit einen Vorteil hat bei Fragen, die eine Maschi-
ne nur durch Raten beantworten kann. Dadurch wäre er leichter zu identifizieren. Andererseits
könnte jedoch auch der Fragesteller psychokinetische Fähigkeiten besitzen und dadurch wiederum
die Antwortsauswahl der Maschine beeinflussen, womit deren Nachteil wieder ausgleichen würde.
Durch Hellseherei hätte allerdings wieder der Mensch einen Vorteil. Als einfache Lösung für die-
ses eher theoretische, aber Turings Offenheit zeigende Problem nennt dieser einen telepathie-
                                                                                         ”
undurchlässigen Raum“.

2.7     Lernende Maschinen
Im letzten Abschnitt seines Artikels beschreibt Turing eine Vision“, die damals zukünftige For-
                                                            ”
schungen stark beeinflusst hat. Grundlage bildet die Beobachtung des Entwicklungsprozesses vom
Verstand eines erwachsenen Menschen, welcher sich in folgende 3 Punkte unterteilen lässt:
 17 ebd.,   S. 65

                                                 6
(a) der Anfangszustand des Verstandes, etwa bei der Geburt, (b) die Erziehung, die ihm zuteil
    ”
wurde, (c) andere Erfahrungen, die er gemacht hat und die nicht als Erziehung beschrieben werden
können.“ 18
    Anstatt nun also ein Programm zur Nachahmung des Verstandes eines Erwachsenen zu ent-
wickeln, schlägt Turing vor, den Verstand eines Kindes nachzuahmen. Dieses Kindprogramm“
                                                                                      ”
würde dann durch einen geeigneten Erziehungsprozess weiterentwickelt, so dass der Verstand ei-
nes Erwachsenen als Resultat dabei herauskäme.
    Die Evolution des Kindprogramms soll durch Mutation und Selektion vorangetrieben werden,
wobei der Experimentator, sozusagen der Lehrer, starken Einfluss nehmen kann. Aber wie stellt
Turing sich nun die eigentlich Kommunikation mit dem Programm und damit verbunden die
Erziehung vor?
    Zum einen soll ein Lernen durch Bestrafung und Belohnung möglich sein. Ein einem Bestra-
fungssignal vorrangegangenes Ereignis soll sich nur mit geringer Wahrscheinlichkeit wiederholen,
während ein Ereignis, dem eine Belohnung folgte, mit höherer Wahrscheinlichkeit wiederholt wird.
Zum anderen muss es jedoch auch eine nicht-emotionale“ Art der Kommunikation geben, durch
                                              ”
welche Befehle in irgendeiner Sprache übermittelt werden.
    Für den Aufbau der Kind-Maschine schlägt Turing zwei Varianten vor. Die erste Variante,
deren Grundgedanke es ist, die Maschine so einfach wie möglich zu konstruieren, wird nicht weiter
ausgeführt. Die zweite sieht ein vollständiges System logischer Schlussfolgerungen vor, demzufolge
der Speicher größtenteils mit Definitionen und Sätzen belegt wäre, die zum Beispiel wohlbegründe-
te Tatsachen, Vermutungen, mathematisch bewiesene Sätze oder auch Befehle darstellen könnten.
Die jeweiligen Befehle sollten in Kombination mit anderen dem System entnommenen Sätzen eine
entsprechende Aktion hervorrufen, wobei jedoch die Schlussweisen der Maschine keineswegs den
                                                                                                  ”
exaktesten Logiker zufriedenstellen“ 19 müssten. Als äußerst wichtige Befehle empfindet Turing
diejenigen, die die Reihenfolge der Regeln festlegen, da es Alternativschritte geben kann. Solche
Befehle sind entweder autoritär vorgegeben oder durch das Kind“ selbst aufgestellt, zum Beispiel
                                                                ”
durch Induktion.
    Als scheinbares Paradoxon erweist sich die Frage, wie sich die eigentlich festen Operations-
regeln ändern können. Dieses Paradoxon löst Turing auf, indem er nur von anspruchslosen und
vorübergehend gültigen Regeln ausgeht, welche geändert werden können.
    Ein wichtiges Kennzeichen einer lernenden Maschine ist nach Turing, dass der Lehrer nicht
unbedingt weiß, was in ihr vorgeht. Dies gilt insbesondere bei sich selbst weiterentwickelnden
Maschinen. Dies hat zur Folge, dass nach vielem Lernen nicht vorausgesagt werden kann, was die
Maschine in bestimmten Situationen tun wird. Eine menschliche Fehlbarkeit würde sich Turing zu-
folge damit von alleine entwickeln und müsste nicht extra programmiert werden. Nichtsdestotrotz
hält er es für empfehlenswert, der Maschine ein zufälliges Element zu geben, da es Situationen
geben kann, in denen die zufällige Wahl des nächsten Schrittes erfolgreicher ist als die systemati-
sche.
    Abschließend gibt Turing einen Ausblick auf mögliche intellektuelle Gebiete, deren Erforschung
er für wichtig hält. So wäre es möglich, einer Maschine abstrakte Tätigkeiten wie zum Beispiel das
Schachspielen beizubringen oder sie mit Sinnesorganen auszurüsten und ihr somit zu ermöglichen,
die englische Sprache zu verstehen und zu sprechen. Welcher der beiden Ansätze der bessere ist,
kann er nicht beantworten, jedoch hält er beide für erprobungswert.
      Wir können zwar nicht sehr weit vorausschauen, sehen jedoch vieles, was getan werden
    ”
muss.“ 20

3     Kritik und Schluss
Das Grundproblem von Turings Artikel betrifft die Frage, ob eine Substitution der ursprünglichen
Frage, nämlich ob Maschinen denken können, zum Imitationsspiel überhaupt statthaft ist. Turing
 18 ebd., S. 71
 19 ebd., S. 74
 20 ebd., S. 77

                                                  7
ist dieses Problem bewusst, aber trotzdem geht er kaum bzw. nur widersprüchlich darauf ein. Zwar
beschreibt Turing diese Frage mehrfach als unwesentlich, kommt aber immer wieder auf sie zurück.
So behauptet er einerseits, dass die ursprüngliche Form des Problems nicht gänzlich fallengelassen
werden kann21 , andererseits erklärt er sie nur wenige Zeilen später für belanglos22 .
     Interessant zu bemerken ist es in diesem Zusammenhang, dass Turing sein Imitationsspiel
eigentlich nur deswegen entwickelt, um der Notwendigkeit zu entgehen, den Begriff des Denkens
zu definieren23 — ein Vorhaben, das die Philosophie seit Jahrtausenden beschäftigt. Das Problem
jedoch ist, dass ohne diese Definition der Beweis der Äquivalenz der beiden Probleme nicht erbracht
werden kann. Diese Tatsache übergeht Turing durchgängig.
     Ob denn ein den Turing-Test bestehender Rechner nun wirklich denken kann, betrachtet John
R. Searle in seinem Gedankenexperiment des Chinesischen Zimmers“. Dieses geht davon aus,
                                                  ”
dass man einer Person, welche der chinesischen Sprache nicht mächtig ist, einerseits chinesische
Schriftzeichen und andererseits Regeln in seiner Muttersprache, wie die Schriftzeichen anzuordnen
sind, geben kann und diese anhand der Regeln eine sinnvolle Anordnung der Symbole erzeugen
kann, so dass ein Chinese nicht feststellen kann, ob die Person Chinesisch versteht oder nicht. Searle
behauptet, dass man ebenso wenig einer Person Verständnis der chinesischen Sprache nachweisen
kann, wie man einer Maschine Verständnis eines Textes nachweisen kann, da auch diese nur nach
ihr gegebenen Regeln vorgehe. Somit kann also ein erfolgreiches Teilnehmen am Turing-Test nicht
mit Intelligenz“ gleichgesetzt werden. Es ist viel mehr ein Kriterium erfolgreicher Simulation von
      ”
  Denken“.
”
     Neben diesem Problem stellt sich auch die Frage nach dem Urteilsvermögen des Interview-
ers. Ist es nicht möglich, dass verschiedene Fragesteller bei gleichen Fragen und Antworten zu
unterschiedlichen Ergebnissen kommen? Um dies auszuschließen, dürften also nur Fragesteller zu-
gelassen sein, die eine vollkommen gleiche Auffassungsgabe haben. Dies jedoch wäre wohl nur
möglich, wenn man den Interviewer durch gleichartig programmierte Computer ersetzen würde,
was wiederum kaum im Sinne des Erfinders“ wäre.
                       ”
     Des weiteren scheint heutzutage immer wahrscheinlicher zu werden — ohne das es bisher
wirklich bewiesen werden konnte —, dass das Gehirn bzw. die für das Denken verantwortlichen
Vorgänge nicht problemlos in Algorithmen für Digitalrechner übersetzt werden können. In Wirk-
lichkeit scheint das Gehirn wesentlich komplizierter zu funktionieren als in der Vorstellung der
1950er Jahre, nach der das Gehirn vielfach als biologische Rechenmaschine betrachtet wurde. So
scheinen sowohl chemische Vorgänge neben den elektrischen eine große Rolle zu spielen, und auch
die Emotionen können nicht zwangsläufig vom rationalen Denken getrennt werden.
     Um nun aber auch, neben der Frage nach denkenden Maschinen, die Frage nach fühlenden
Maschinen zu beantworten, wird es ungleich komplizierter in dem Sinne, dass es schon unter Men-
schen nicht notwendigerweise einen Zusammenhang zwischen gezeigter und empfundener Emotion
gibt. An dieser Stelle greift dann auch nicht mehr die Annahme, die Turing im Bewusstseinsar-
gument trifft, nämlich dass davon ausgegangen werden muss, dass, wenn eine Maschine sich wie
ein Mensch verhält (in Bezug auf das Denken), ihr auch menschliche Eigenschaften zugesprochen
werden müssen. Bei Gefühlen ist diese Annahme nicht möglich.
     Ein weiterer wichtiger Punkt, auf den Turing kaum eingeht, ist der des Verständnisses. Es
lässt sich wohl kaum davon ausgehen, dass heutige Programme, die im Imitationsspiel relativ gut
abschneiden, ihren Dialogpartner wirklich verstehen. Aber auch an dieser Stelle stößt man wieder
auf das Problem der Philosophie, eine genaue Definition für Begriffe des Bewusstseins zu liefern,
hier für den Begriff des Verständnisses.
     Nichtsdestotrotz bleibt es beachtlich, dass Turing mit Kann eine Maschine denken? einen Arti-
kel in der (eigentlich sehr schnelllebigen) Computerwissenschaft geschrieben hat, der fünfzig Jahre
nach seinem Erscheinen immer noch aktuell ist. Zwar wird gerade heute nicht widerspruchslos von
denkenden Maschinen gesprochen, wie Turing es vorausgesagt hat, aber dennoch sind viele der
Ideen Turings zu eigenen Fachgebieten der Informatik geworden. Lernende Maschinen, evoluti-
onäre Programmierung, Expertensysteme und Spracherkennung sind aktuellste Forschungsgebiete
 21 vgl. ebd., S. 52
 22 vgl. ebd., S. 52
 23 vgl. ebd., S. 39

                                                  8
und Schachcomputer schlagen heutzutage selbst Schach- Großmeister, aber trotzdem ist es noch
niemandem gelungen, den sogenannten großen“ Loebner-Preis24 , der auf ein im Imitationsspiel
                                          ”
nicht von einem Menschen unterscheidbares Programm ausgesetzt ist, zu gewinnen. Und selbst
wenn es ein solches Programm gäbe, ist es nicht sicher, wie Turing es annimmt, dass es wirklich
denkt.
   Es wird also wohl noch wesentlich länger als die von Turing vorausgesagten, mittlerweile aber
bereits verstrichenen fünfzig Jahre dauern, bis sich ein endgültiges Urteil über die Möglichkeit von
denkenden Maschinen gebildet werden kann, das nicht auf Philosophie und Glauben, sondern auf
wissenschaftlichen Beweisen basiert.

 24 vgl.   Home Page of the Loebner Prize, http://www.loebner.net/Prizef/loebner-prize.html

                                                        9
Sie können auch lesen