Schwarzbuch Vattenfall - Strahlend und verkohlt hinein in den Klimawandel - SWR
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Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 3 Vattenfall - Ein großer Player in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4 Vattenfall - Gebietsmonopolist in Ostdeutschland und Hamburg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 6 Braunkohletagebau - Kaputte Natur, vertriebene Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 8 Kohlekraft - Dreckiges Gold für Vattenfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 9 Jänschwalde - Rebellion in der Region . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 11 Vattenfalls Zukunftspläne: Kohle ohne Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 13 Moorburg - Ein Stromkonzern verkohlt die Hansestadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 14 CO2-Abscheidetechniken - eine ungewisse und teure Sackgasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 16 Schwedische Vattenfall-AKW: Viel Profit, wenig Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 18 Vattenfall-Reaktoren in Deutschland: Pannen ohne Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 19 Laufzeitverlängerung für Vattenfalls Schrottreaktoren? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20 Erneuerbare Energien erst dann, wenn der Profit stimmt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 21 Kohle für Kohle - Wie Vattenfall seine Gewinne macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 23 Vattenfall und der Emissionshandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 24 Klimaschutz auf dem Papier - Kohle in der Tasche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 26 Beste Beziehungen in die Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 28 Lobbyist in eigener Sache: Vattenfall-Chef Josefsson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 29 Krisen-PR statt Atomausstieg und Klimaschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 30 Klimaschutz gelingt nur mit dem Ausbau erneuerbarer Energien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .Seite 32 Herausgeber: Greenpeace e.V., Große Elbstraße 39, 22767 Hamburg, Tel. 040/306 18-0, Fax 040/306 18- 100, E-Mail: mail@greenpeace.de, Internet: www.greenpeace.de Politische Vertretung Berlin: Marienstraße 19-20, 10117 Berlin, Tel. 030/308899-0, Fax 030/308899-30 Text und Layout: Susanne Commerell Titelfotos oben links: © Paul Langrock/Zenit/Greenpeace, unten links: © Fred Dott/Greenpeace, oben und unten rechts: © Martin Langer/Greenpeace V.i.S.d.P.: Karsten Smid Stand: 10/2008
Schwarzbuch Vattenfall 3 Einleitung Vattenfall ist einer der größten Energieversor- gemeint und versucht, die Vereinbarung zu ger auf dem europäischen Markt, und zugleich unterlaufen. Die Atomkraftwerke werden als einer der „Big Four“ auf dem deutschen angeblich klimafreundliche Energieerzeugung Markt, dem größten Energiemarkt in Euro- gepriesen, Stillstandszeiten systematisch für pa. Zeigt Vattenfall seinen nordeuropäischen die Verzögerung des Abschalttermins genutzt. Stammkunden noch ein weitgehend umwelt- Sicherheitsprobleme werden klein geredet. freundliches Gesicht, wird es gen Süden immer schwärzer. Südlich der Ostsee erzeugt Vatten- Ein energischer Umbau zur verstärkten Nut- fall Strom und Wärme weitgehend aus Kohle. zung erneuerbarer Energien ist Konzernen wie Vattenfall fremd. Investiert wird erst dann, Um die Kraftwerke mit Brennstoff zu füttern, wenn die Rendite stimmt. Die Entwicklungs- werden ganze Landschaften zerstört, Dörfer kosten überlässt man dabei gern den „Über- platt gewalzt, Menschen aus ihrer angestamm- zeugungstätern“. ten Heimat gerissen. Und die lassen sich das immer weniger gefallen. Doch angesichts verschärfter Klimaschutz- bestimmungen verschlechtern sich die Ge- Vattenfalls Zukunftsstrategien fußen auf Aus- winnaussichten für die großen regionalen weitung des Braunkohletagebaus und einem Monopolisten in Deutschland. Entsprechend Ausbau der Kohlekraftwerkskapazitäten. Doch aggressiv versuchen sie, das wichtigste Ele- der Widerstand in der Bevölkerung wächst, ment der Klimaschutzbemühungen, den denn die Nutzung der Kohlekraft beschleunigt Emissionshandel, auszuhebeln und verkaufen den Klimawandel. Vattenfall hat sich deshalb sich gleichzeitig – mit zunehmend peinlicheren auf Technologien verlegt, mit denen das PR-Kampagnen - als Klimaschützer. Treibhausgas Kohlendioxid abgeschieden und unterirdisch gelagert werden soll und verkauft Das kann und wird nicht funktionieren. Denn das als Klimaschutzinitiative. Doch ob diese Klimaschutz gelingt nur mit dem entschlosse- Technologien wirklich dazu beitragen können, nen Ausbau der erneuerbaren Energien. Und den Ausstoß von Treibhausgasen zu senken, ist der ist bitter notwendig, wenn nicht unsere mehr als fraglich. Enkel und Urenkel den Klimaveränderungen zum Opfer fallen sollen. Gleichzeitig ist Vattenfall ein Energiekonzern mit hohen Kapazitäten im nuklearen Bereich. Ein Wechsel des Energieversorgers hin zu ei- Laut dem Ausstiegsbeschluss zwischen der nem Unternehmen, das selbst in den Ausbau Bundesregierung und der Energiewirtschaft erneuerbarer Energien investiert, ist die ange- müssen die Atomkraftwerke sukzessive vom messene Antwort der Verbraucher auf eine Netz gehen. Die Energiewirtschaft hat diese verkrustete, einseitig und eigennützig ausgeleg- Vereinbarung noch niemals wirklich ernst te Geschäftspolitik der großen Konzerne.
4 Schwarzbuch Vattenfall Vattenfall - Ein großer Player in Europa Vattenfall Aktiebolag (AB) ist eines der größten Business Group Germany Unternehmen Schwedens und befindet sich zu Ganz anders in Deutschland: Bei Vat- 100 Prozent im Besitz des schwedischen Staa- tenfall Europe betrug der Anteil aus der tes. Der Konzern war bis Ende 2007 in drei Nutzung von Wasserkraft lediglich 4,3 geografische Bereiche aufgeteilt: Die nordi- Prozent, ergänzt um 0,4 Prozent aus Bio- schen Länder (Schweden, Dänemark, Finn- masse sowie aus Müll. Die Atomkraft land), Deutschland (Vattenfall Europe) und hatte 2007 einen Anteil von 3,4 Prozent. Die- Polen. Seit Anfang 2008 firmieren die deutsche ser Anteil liegt normalerweise um mehr als das und die polnische Unternehmensgruppe unter Doppelte höher. Ursache für den Rückgang dem gemeinsamen Dach der „Business Group war der Langzeit-Stillstand der Atommeiler in Central Europe“. Vattenfall produziert rund 20 Brunsbüttel und Krümmel (siehe S. 19). Der Prozent seines Stroms in den genannten skan- Hauptteil am unternehmenseigenen Strommix dinavischen Ländern, 13 Prozent des Stroms entfiel mit 91,9 Prozent auf fossile Energieträ- in Deutschland und beherrscht 27 Prozent des ger (Kohle und Gas). polnischen Wärmemarkts. Daneben ist Vatten- fall auch noch in Norwegen, den Niederlanden Während sich Vattenfall, gestützt auf seine und Großbritannien aktiv. Mit einem Umsatz Unternehmenspolitik in Skandinavien, gerne von 15,2 Milliarden Euro und einem Gewinn ein umweltfreundliches Mäntelchen umhängt, von 3 Milliarden Euro vor Zinsen und Steuern fressen sich in Deutschland die Braunkohle- in 2007 ist das Unternehmen der fünftgrößte bagger in die Erde und rauchen die Schorn- Stromerzeuger und der größte Produzent von steine der Braun- und Steinkohlekraftwerke. Wärme in Europa. Vattenfall betreibt vor allem Vattenfall Europe gehört zu den großen Emit- Braunkohle-, Steinkohle-, Atom- und Wasser- tenten des Treibhausgases Kohlendioxid, das kraftwerke, in geringerem Umfang aber auch weltweit das Klima dramatisch verändert. Gas-, Biomasse-, Müll- und Windkraftanlagen. Darüber hinaus verfügt der Konzern über er- Business Group Poland hebliche Netzkapazitäten. Nicht besser sieht es mit der Energieerzeugung in Polen aus. Nur 3 Prozent der Vattenfall- Business Group Nordic Produktion stammen aus der Windenergie, Vattenfall Nordic erzeugt mehr als ein Drittel 97 Prozent aber werden aus den „dreckigen“, seines Stroms aus erneuerbaren Energieträgern. fossilen Energieträgern erzeugt, vorwiegend So stammten 2007 36,9 Prozent der Strompro- aus Steinkohle. Mit dem Ziel, einer der größten duktion aus Wasserkraft und 1,8 Prozent aus Energieversorger Europas zu werden , hat sich anderen regenerativen Quellen wie Wind und Vattenfall schon frühzeitig in Polen engagiert. Biomasse. Deutliche Zunahmen bei der Nut- Mit einem Anteil von mittlerweile 7 Prozent ist zung der Windenergie sind insbesondere auf Vattenfall der größte ausländische Investor auf die Installation neuer Turbinen in Dänemark dem polnischen Energiemarkt, dem größten in zurückzuführen. Größter Energieträger war den neuen osteuropäischen Mitgliedsländern mit 53,5 Prozent die Atomkraft. Die Nutzung der EU. Vattenfall war das erste ausländische fossiler Energieträger machte hingegen nur Unternehmen in Polen, das eine Genehmigung einen Anteil von 7,8 Prozent aus. für den Handel mit Strom erhielt. Vattenfall Nordic Stomerzeugung 2007 in Terawattstunden (TWh) Vattenfall Germany Stomerzeugung 2007 in Terawattstunden (TWh) Atomenergie 2,5 TWh (3,4 %) Wasserkraft 33,6 TWh (36,9 %) Biomasse und Müll 0,3 TWh (0,4 %) Atomenergie 48,8 TWh (53,5 %) Wasserkraft 3,1 TWh (4,3 %) Fossile Energieträger 7,1 TWh (7,8 %) Fossile Energieträger 66,9 TWh (91,9 %) Windenergie und Biomasse 1,6 TWh (1,8 %)
Schwarzbuch Vattenfall 5 Der Energiekonzern ist an drei Joint-Ven- „neue leistungsstärkere Kraftwerke, dazu ge- ture-Unternehmen beteiligt. Seit 1998 ver- hören effiziente, moderne Kohlekraftwerke“, sorgt Vattenfall gemeinsam mit der Ostrowski erklärte sie anlässlich der Grundsteinlegung für Energy Utility das südliche Polen mit Wärme- das neue RWE-Kohlekraftwerk in Hamm im energie und hält seit 1999 einen Anteil von 34 August 2008. Prozent an Ustka Energy Utility, das andere Teile Polens mit Heizenergie versorgt. In Unter diesen Voraussetzungen kann es kaum ein einem dritten Projekt übernahm Vattenfall die Zufall sein, dass sich Vattenfall-Strategien zur technische Anleitung für die Modernisierung künftigen Gestaltung der Energieerzeugung in von Kraftwerken mit Strom-Wärme-Koppe- europäischen Konzepten wieder finden. Denn lung gemeinsam mit dem staatlichen Investor auch die EU setzt auf Abscheidetechniken für WZP. 2001 kaufte Vattenfall 75 Prozent von Kohlendioxid in Kohlekraftwerken (siehe Seite Górnolaśląskie Zakłady Energetyczne (GZE), 16 f.) und sucht nach Finanzierungsmöglich- der ersten Stromhandelsgesellschaft, die von keiten, diese Technologie voranzutreiben. Und der polnischen Regierung zum Verkauf ange- fast schon routinemäßig werden Meldungen boten wurde. lanciert, dass sich Deutschland energiepolitisch isoliere, wenn es weiterhin am Ausstieg aus der Vattenfalls politische Atomenergie festhalte. Einflüsterungen Vattenfall ist das schwedische Wort für Was- Vattenfall setzt unbeirrbar auf Kohle serfall und klingt so richtig umweltfreundlich. Zumindest zum Einsatz von Kohle sieht Vat- Die schwedische Muttergesellschaft Vattenfall tenfall-Vorstandschef Josefsson keine Alterna- AB wirbt ausdrücklich mit ihrem Engagement tive: Wenn das Abtrennen und unterirdische im Klimaschutz. Im Dezember 2006 ernannte Bunkern von CO2 nicht funktioniert, „…dann Bundeskanzlerin Angela Merkel den Vor- haben wir ein echtes Problem. Dann müssen standschef der Vattenfall AB und Aufsichts- wir die Dämme höher bauen“.1 ratsvorsitzenden der Vattenfall Europe AG Lars Göran Josefsson zu ihrem persönlichen Damit gesteht Josefsson ein, dass der Kohle- Klimaberater. Wenn es im Bundeskanzleramt pfad ein fataler Irrweg sein könnte - ein Klima- um Energie- und Klimaschutzpolitik geht, berater, der offenbar seinen eigenen Lösungen sitzt Vattenfall seitdem immer mit am Tisch nicht traut. Bislang gibt es keine sichere und – unkontrollierbar von einer kritischen Öffent- nachhaltige Methode, Kohlendioxid aus der lichkeit. Kohleverstromung sicher unter der Erdober- fläche zu bunkern. Noch auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 bemühte sich Bundeskanzlerin Vattenfall fördert bislang kaum regenerative Merkel vernehmlich um verstärkte Anstren- Energien. Mit seinen massiven Investitionen gungen im internationalen Klimaschutz. In in Braun- und Steinkohlekraftwerke blockiert jüngster Zeit aber setzt sie sich zunehmend Vattenfall die Entwicklungsmöglichkeiten aggressiv für den Energieträger Kohle ein. klimafreundlicherer Technologien in Deutsch- Der Industriestandort Deutschland benötige land und Europa. Vattenfall Poland Stomerzeugung 2007 in Prozent (%) Vattenfall Strommix 2007 insgesamt in Terawattstunden (TWh) Windenergie 3 % (~ 0,1 TWh) Wind und Biomasse (incl. Müll) 2,0 TWh (1,2 %) Wasserkraft 36,7 TWh (21,9 %) Fossile Energieträger 97 % (~ 3,7 TWh) Atomenergie 51,3 TWh (30,6 %) Fossile Energieträger 77,7 TWh (46,3 %) 1 Die Zeit Nr. 16 vom 12. April 2007
6 Schwarzbuch Vattenfall Vattenfall - Gebietsmonopolist in Ostdeutschland und Hamburg Die Vattenfall Europe AG ist ein recht jun- Anhaltspunkte dafür gibt, dass aus bilanzpoli- ger Konzern. Bis zur Liberalisierung des tischen Gründen tendenziell mehr Gewinn im deutschen Strommarktes 1999 teilten sich schwedischen Stammhaus als in der deutschen die Hamburger Elektrizitätswerke HEW, die Tochter ausgewiesen werden. Die Vattenfall Berliner Städtischen Elektrizitätswerke Bewag Europe AG bezifferte ihren Jahresumsatz 2007 und die Vereinigten Energiewerke VEAG, ein mit 12,3 Milliarden Euro, die Vattenfall AB mit Zusammenschluss der Energieversorger in den 15,2 Milliarden Euro, das sind nicht 60 sondern neuen Bundesländern, das heutige Versor- rund 80 Prozent des Jahresumsatzes. gungsgebiet. 1999 erwarb Vattenfall einen Anteil von gut 25 Prozent an den HEW (veräußert von der Freien und Hansestadt Hamburg) und steiger- te den Anteil durch Zukäufe innerhalb eines Jahres auf über 70 Prozent. Wegen Kartell- auflagen im Rahmen ihres eigenen Umbaus mussten die beiden größten deutschen Ener- giekonzerne E.ON und RWE ihre Anteile an der Bewag, der VEAG und dem ostdeutschen Braunkohleproduzenten Laubag abtreten. Bis 2002 übernahmen die HEW diese Aktienpa- kete und trennten sich dafür von ihrem Gas- unternehmen Hein Gas und ihrer Beteiligung an der schwedischen Sydkraft. Hinzu kamen noch Teile der Westmecklenburgischen Ener- gieversorgung Wemag und der Energieversor- Quelle: Wikipedia gung Sachsen Ost Esag. Wachsende Intransparenz bei Die Geburt von Vattenfall Europe Vattenfall Europe Im August 2002 entstand aus der Fusion von Die Vattenfall Europe AG ist eine Holding. Sie HEW und VEAG die Vattenfall Europe AG. besteht aus fünf Business Units (Geschäfts- Aus der Laubag wurde 2003 das Tochterun- feldern), denen jeweils Tochtergesellschaften ternehmen Vattenfall Europe Mining AG, die zugeordnet sind. Zum Jahresbeginn 2008 hat Bewag wurde mit der Vattenfall Europe AG Vattenfall einige organisatorische Veränderun- verschmolzen. Die Verteilungsnetzbetriebe in gen vorgenommen. Die Unternehmensgruppe Berlin und Hamburg wurden im April 2006 Deutschland und die Unternehmensgruppe unter den Namen Vattenfall Europe Berlin Polen wurden zur Unternehmensgruppe und Vattenfall Europe Hamburg als Toch- Zentraleuropa zusammengefasst. Neuer Vor- tergesellschaften ausgegliedert. Sie sind die standsvorsitzender der Vattenfall Europe AG marktmächtigsten Stromlieferanten in den und Chef der neuen Geschäftseinheit Central beiden Metropolen. Europe ist der Finne Tuoma Hatakka, der zu- vor leitender Direktor bei Vattenfall in Polen Am Ende des gigantischen Unternehmens- war. Monopoly auf dem deutschen Energiesektor standen vier große Konzerne, die den Markt Am 2. März 2006 beschloss die Hauptver- oligopolartig untereinander aufteilen: E.ON, sammlung der Vattenfall Europe AG den so RWE, EnBW und Vattenfall, das die Energie- genannten Squeeze Out, d.h. den Zwangs- versorgung in Ostdeutschland und in Hamburg verkauf aller Aktien von Kleinaktionären an weitgehend unter Kontrolle hat. Die Vattenfall die Hauptaktionäre. 43 Kleinaktionäre klagten Europe AG erwirtschaftet rund 60 Prozent des gegen diesen Mehrheitsbeschluss, schlossen im Umsatzes und mehr als die Hälfte des Gewinns April 2008 vor dem Kammergericht in Berlin des schwedischen Mutterkonzerns, wobei es aber einen Vergleich mit der Vattenfall AB und
Schwarzbuch Vattenfall 7 der Vattenfall Europe AG. Am 21. April 2008 Brokdorf (20 Prozent) und dem 2003 stillge- wurde der Squeeze Out in das Handelsregister legten AKW Stade (33,3 Prozent) beteiligt. Die eingetragen und damit wirksam. Die kritischen Vattenfall Europe Generation AG & Co. KG Aktionäre bei Vattenfall Europe sind damit für mit Sitz in Cottbus ist für die nicht-nuklearen immer verstummt. Kraftwerke zuständig. Diese drei Gesellschaf- ten bilden das Kerngeschäftsfeld der Vattenfall Die Folgen sind offensichtlich: Vattenfall Eu- Europe AG. rope veröffentlicht im Internet nur noch eine vereinfachte Organisationsgrafik der gesamten Die Vattenfall Europe Transmission GmbH Vattenfall Gruppe, in der die Verzweigungen in mit Sitz in Berlin betreibt das 9.500 Kilometer die verschiedenen Tochtergesellschaften nicht lange Höchstspannungs-Stromübertragungs- mehr nachvollziehbar sind. Quartals- und netz in Ostdeutschland und Hamburg. Nach- Halbjahresberichte, die einen Einblick in die dem die EU massiv auf Entflechtung drängte, Geschäftsentwicklung ermöglichten, gibt es hat Vattenfall 2008 angeboten, sein Netz zu 2008 nur noch bei der schwedischen Mutter verkaufen. Vattenfall AB. Durch die Zusammenlegung der Unternehmensgruppen Deutschland und Die Vattenfall Europe Distribution Berlin Polen lassen sich kaum noch Rückschlüsse GmbH und die Vattenfall Europe Distribution auf die Geschäftsentwicklung in Deutschland Hamburg GmbH sind für die Stromvertei- ableiten. Der Geschäftsbericht 2007 war ver- lernetze in Berlin und Hamburg und deren mutlich der letzte jemals erschienene geson- Instandhaltung verantwortlich. derte Jahresbericht der Vattenfall Europe AG. Damit lässt Vattenfall den Schleier über seine Die Vattenfall Europe Berlin AG & Co. KG Geschäfte in Deutschland fallen. und die Vattenfall Europe Hamburg AG & Co. KG sind jeweils an den Business Units Die Tochtergesellschaften von Heat und Sales beteiligt. Sie liefern Strom und Vattenfall in Deutschland Fernwärme für Privat- und Geschäftskunden Aus den Vorjahren ist bekannt, welche Toch- vorrangig in beiden Großstädten. Die Vatten- tergesellschaften sich unter dem Dach der Vat- fall Europe Sales AG mit Sitz in Berlin beliefert tenfall Europe AG versammeln. Die deutsche bundesweit Regionalversorger, Stadtwerke und Unternehmensgruppe besteht aus fünf Ge- industrielle Großabnehmer. schäftsfeldern, der Mining & Generation, der Transmission, der Distribution Germany, der Mit einem Umsatz von 12,3 Milliarden Euro Sales Germany und der Heat Germany. Das und einem Gewinn von 1,7 Milliarden Euro vor noch 2007 vorhandene sechste Geschäftsfeld Zinsen und Steuern in 2007 ist Vattenfall das Trading, das sich mit dem Handel an den euro- viertgrößte Unternehmen auf dem deutschen päischen Strombörsen befasst, wurde im Som- Energiemarkt. Ein Großteil der Tochtergesell- mer 2008 der Konzernmutter angegliedert. schaften veröffentlicht keine eigenen Zahlen, da die Unternehmen eine Befreiungsvorschrift Das Geschäftsfeld Mining & Generation hat nach dem Handelsgesetzbuch wahrnehmen. in Deutschland drei Tochterunternehmen. Die Und nach der Umorganisation 2008 wird wohl Vattenfall Europe Mining AG mit Sitz in Cott- auch Vattenfall Europe keine eigenen Zahlen bus ist für den Abbau der Braunkohle in Ost- mehr anbieten. Manch kleiner Bäckermeis- deutschland zuständig. Die Vattenfall Europe ter, der neben seiner Back-GmbH auch eine Nuclear Energy GmbH (VENE) mit Sitz in Rechnungslegung für seinen eigenständigen Hamburg betreibt als größter Anteilseigner die Filialbetrieb vor dem Finanzamt verantworten Atomkraftwerke Brunsbüttel (66,7 Prozent) muss, wird angesichts dieser Privilegierung von und Krümmel (50 Prozent) und ist am AKW Konzernstrukturen vor Neid erblassen.
8 Schwarzbuch Vattenfall Braunkohletagebau - Kaputte Natur, vertriebene Menschen Mit der Übernahme der Laubag 2002 gelangten Vattenfall verstromt sorbische vier große Braunkohle-Tagebaue in den Besitz Siedlungsgebiete des Energiekonzerns, allesamt in der Lausitz 90 Prozent der in den Lausitzer Tagebauen gelegen. Rund 58 Millionen Tonnen Braun- geförderten Braunkohle werden in den Kraft- kohle förderte die Vattenfall Europe Mining werken der Vattenfall Europe Generation AG AG dort 2006 aus dem Boden. Die Gewinnung & Co. KG verstromt. Weitere knapp fünf von Braunkohle im Tagebau ist mit einem im- Prozent der Rohbraunkohle veredelt die Bri- mensen Flächenverbrauch verbunden. kettfabrik Schwarze Pumpe zu hochwertigen Brennstoffen wie Briketts, Braunkohlenstaub Die vier Tagebaustätten in und Wirbelschichtbraunkohle und verkauft sie Ostdeutschland auf dem Wärmemarkt. Die Fabrik produziert Im Tagebau Cottbus-Nord liegt die Braunkoh- derzeit gut 600.000 Tonnen Briketts, knapp le 32 bis 45 Meter tief unter der Erdoberfläche, 600.000 Tonnen Braunkohlenstaub und rund die Schicht ist acht bis zehn Meter mächtig. 200.000 Tonnen Wirbelschichtbraunkohle. Pro Tonne geförderter Kohle müssen durch- schnittlich vier Kubikmeter Abraum bewegt Für ihre Fördermenge von 58 Millionen Ton- werden. 5,1 Millionen Tonnen Braunkohle nen Braunkohle müssen die Vattenfall-Bagger förderte Vattenfall dort 2006 zu Tage. Das die gigantische Menge von 414 Millionen Flöz im benachbarten Tagebau Jänschwalde Kubikmeter Abraum bewegen. Dabei werden hat eine Mächtigkeit von zehn bis zwölf Me- ganze Landschaften zerfräst, ausgebaggert, tern, liegt jedoch in einer Tiefe von 45 bis 95 entwässert und wieder aufgeschüttet. Wert- Metern. Auf eine Tonne Kohle entfallen dort volle Naturräume werden unwiederbringlich 9,3 Kubikmeter Abraum. 14,5 Millionen Ton- zerstört. Dabei macht Vattenfall auch vor nen Braunkohle holten die Bagger dort 2006 Siedlungsräumen keinen Halt. Ganze Dörfer aus dem Boden. Mit der Produktion aus bei- werden abgerissen, tausende Menschen zum den Tagebauen wird das Braunkohlekraftwerk Umzug gezwungen. „Die Zerstörung von Jänschwalde versorgt. sorbischen Dörfern in der Lausitz durch den schwedischen Staat ist ein grober Verstoß ge- Der Tagebau Nochten liegt südwestlich der gen den Geist der europäischen Vereinigung Stadt Weißwasser und förderte 2006 18,9 Mil- und macht Schwedens weltweiten Ruf für auf- lionen Tonnen Kohle. An dieser Lagerstätte geklärte Umwelt- und Menschenrechtspolitik werden das erste und das zweite Lausitzer Flöz zunichte“, stellte die „Horno-Allianz“ 2002 abgebaut. Ersteres liegt in einer Tiefe von 20 fest und rief zum Stromboykott auf. Das in- bis 40 Metern und hat eine Mächtigkeit von formelle überparteiliche Bündnis unterstützte durchschnittlich fünf Metern, letzteres in einer die Einwohner des brandenburgischen Dorfes Tiefe von 65 bis 100 Metern mit einer Mäch- Horno im Kampf um den Erhalt ihres Ortes. tigkeit von zwölf Metern. Für die Förderung Vergeblich – 2004 rückten die Vattenfall-Bag- einer Tonne Kohle müssen in Nochten im ger an. Jetzt aber soll ein Volksbegehren den Schnitt 6,5 Kubikmeter Abraum beseitigt wer- Tagebau stoppen (siehe S. 11 f.). den. Der Tagebau Nochten ist Hauptversorger für das Kraftwerk Boxberg. Der Tagebau Welzow-Süd liegt westlich der Stadt Spremberg. Das Flöz befindet sich in 90 bis 130 Meter Tiefe und ist 10 bis 16 Meter mächtig. Die Fördermenge betrug 2006 19,4 Millionen Tonnen. Pro Tonne Kohle fallen dort sieben Kubikmeter Abraum an. Hauptab- nehmer der Braunkohle sind das Kraftwerk Schwarze Pumpe und die Brikettfabrik Schwar- ze Pumpe. Tagebau in der Lausitz, © J Henry Fair/Greenpeace
Schwarzbuch Vattenfall 9 Kohlekraft - Dreckiges Gold für Vattenfall Die Vattenfall Europe Generation AG & Co. Tonnen CO2 (Stand: 2006) auch der zweitgröß- KG betreibt derzeit vier Braunkohlekraftwer- te Klimakiller unter den deutschen Kraftwer- ke an den Lausitzer Standorten Jänschwalde, ken. Auf der „Hitliste“ der klimaschädlichsten Schwarze Pumpe und Boxberg sowie im säch- Kraftwerke in der EU findet sich Jänschwalde sischen Lippendorf mit einer Gesamtkapazität auf Rang vier. von 7.420 Megawatt. Alle vier Anlagen gehören laut einer WWF-Studie vom Mai 2007 zu den Das Kraftwerk Schwarze Pumpe ist eine Dop- 20 klimaschädlichsten Kraftwerken in Europa. pelblockanlage mit einer Leistung von 1.600 Hinzu kommt noch ein Steinkohlekraftwerk in MW und wurde 1997/98 in Betrieb genom- Rostock mit 553 Megawatt. men. Es gehört zu einer neuen und modernen Generation von Braunkohlekraftwerken mit Braunkohlekraftwerke in einem Wirkungsgrad von 41 Prozent. Nimmt Ostdeutschland: Niedriger man die Auskopplung von Fernwärme (120 Wirkungsgrad – hoher CO2-Ausstoß MWth) und Prozessdampf (400 Tonnen pro Das Kraftwerk Jänschwalde hat eine installierte Stunde) hinzu, steigt der Ausnutzungsgrad Leistung von 3.000 Megawatt (MW) und be- des Brennstoffs auf circa 55 Prozent. Auch steht aus sechs 500 MW-Blöcken. Die zwischen Schwarze Pumpe ist mit einem CO2-Ausstoß 1976 und 1989 errichtete Anlage wurde zwar von 1000 g/kWh eine „Dreckschleuder“ und schrittweise von 1991 bis 1996 modernisiert, rangiert EU-weit mit einem Gesamtausstoß weist aber dennoch nur einen Wirkungsgrad von 12,2 Millionen Tonnen auf dem 14. Platz. von rund 35 Prozent auf. 348 MW thermische Leistung (MWth) werden für die Fernwärme Das Kraftwerk Boxberg wurde in den 70er genutzt. Seit 2005 darf in zwei Blöcken des Jahren als das größte Kraftwerk Deutsch- Kraftwerks auch Sondermüll mitverbrannt lands in Betrieb genommen. Von 1992 bis werden, 400.000 Tonnen Sonderbrennstoff 1995 wurden zwei 500-MW-Blöcke für den werden jedes Jahr beigemischt. Jänschwalde unbefristeten Weiterbetrieb nachgerüstet und ist mit einem CO2-Ausstoß von 1200 g pro modernisiert, Altanlagen schrittweise stillge- Kilowattstunde (g/kWh) nicht nur eines der legt und zurückgebaut. Als Teilersatz wurde ineffizientesten, sondern mit einer jährlichen im Jahr 2000 eine neue 900 Megawatt-Einzel- Gesamtmenge von 23,7 Millionen blockanlage in Betrieb genommen. Die instal- Braunkohlekraftwerk Jänschwalde, © Paul Langrock/Zenit/Greenpeace
10 Schwarzbuch Vattenfall lierte Leistung beträgt heute 1.900 MW, 150 an: Strom wird produziert, wenn Bedarf an MWth stehen für die Fernwärmeauskopplung mehr Energie besteht. zur Verfügung. Der Wirkungsgrad bei den beiden 500-MW-Anlagen beträgt 35 Prozent, Braunkohlekraftwerke sind die ineffi- der beim 900-MW-Block 42 Prozent. Auch zienteste Kraftwerkstechnologie Boxberg arbeitet ausgesprochen ineffizient. Der Wirkungsgrad beschreibt das Verhältnis Mit einem CO2-Ausstoß von 1100 g/kWh und von zugeführter zu abgegebener Leistung. Der einer Gesamtmenge von jährlich 15,5 Millio- Wirkungsgrad auch von moderneren Kohle- nen Tonnen ist Boxberg das zehntschädlichste kraftwerken ist gemessen an anderen Anlagen Kraftwerk in der EU. zur Energieerzeugung sehr niedrig. Gas- und Das Kraftwerk Lippendorf ist ein Gemein- Dampf-Anlagen (GuD-Kraftwerke) zum Bei- schaftsunternehmen der Energiekonzerne spiel haben einen Wirkungsgrad von bis zu 60 Vattenfall, E.ON und EnBW. Vattenfall hält Prozent, Blockheizkraftwerke einen Wirkungs- einen Anteil von 50 Prozent und betreibt ei- grad von 70 bis 80 Prozent und eine Wind- nen Kraftwerksblock mit einer Kapazität von anlage einen Wirkungsgrad von 85 Prozent. 920 Megawatt. Insgesamt hat Lippendorf eine Ein Gaskraftwerk stößt im Vergleich selbst zu installierte Leistung von 1.840 MW und eine dem modernsten mit Braunkohle betriebenen Fernwärmeauskopplung von maximal 310 Kraftwerk weniger als halb so viel Kohlendio- MWth. Mit einem Nettowirkungsgrad von xid aus – nämlich rund 370 Gramm CO2/kWh 43 Prozent gehört das Kraftwerk Lippendorf statt mehr als 800 Gramm CO2/kWh. zu den moderneren Anlagen der Braunkohle- verstromung. Dennoch liegt Lippendorf mit Vattenfall ist mit seinen vier ostdeutschen einem CO2-Ausstoß von 950 g/kWh und einer Braunkohlekraftwerken allein für den Aus- Gesamtmenge von 12,4 Millionen Tonnen stoß von 53,8 Millionen Tonnen CO2 in jährlich auf Rang 16 in der EU. Deutschland verantwortlich. Aber an seiner ineffizienten Kraftwerkstechnologie verdient Das Steinkohlekraftwerk Rostock weist eine sich Vattenfall eine goldene Nase. Der Ba- Leistung von 553 MW, eine Fernwärmeaus- den-württembergische Konzern EnBW hat kopplung von 150 MWth und einen Nettowir- mehr Kunden und einen größeren Umsatz als kungsgrad von 43,2 Prozent auf. Während die Vattenfall, beim Gewinn aber hat Vattenfall die Braunkohlekraftwerke als Grundlastkraftwerke Nase vorn – auf Kosten des Klimas und auf dienen, arbeitet die Anlage als Mittellastkraft- Kosten der Einwohner insbesondere in der werk nicht kontinuierlich. Der Einsatz des Lausitz. Kraftwerks passt sich flexibel der Nachfrage ĀȀ̀̀ЀԀȀ܀܀ᘀᜀ᠀܀ᤀᨀȀᬀᰀᴀḀἀ܀ᤀᰀᴀᬀ̀Ѐ ᜀ!̀ "ᨀȀԀ#ᤀЀ̀Ѐ ጀ ሀ᐀ ሀ ᔀሀ᐀ CO2 in g/kWh ᄀ က᐀ က ༀ ĀȀ̀̀ЀԀȀ܀܀ ࠀऀ ఀഀ Der Energiekonzern Vattenfall hat von allen Stromanbietern den höchsten spezifischen CO2-Ausstoß. E.ON hat dagegen einen hohen Anteil an risikoreicher Atomenergie im Energiemix.
Schwarzbuch Vattenfall 11 Jänschwalde - Rebellion in der Region Der Braunkohleabbau in der Lausitz hat einen Tageszeitung taz, „wer hier eigentlich die Poli- hohen Preis: Bis heute verschwanden 136 Dör- tik macht, die Regierung oder die Konzerne?“ fer ganz oder teilweise von der Landkarte, die Bewohner wurden zwangsumgesiedelt. „Gott Gute Frage, denn die Politik versteckt sich hat die Lausitz geschaffen, aber der Teufel allzu oft hinter dem Ordnungsrecht. Nach den hat die Kohle darunter gelegt“, besagt eine Plänen von Vattenfall sollen im brandenburgi- Redensart in der Region. Viele Einwohner schen Teil der Lausitz weitere 700 Millionen resignieren schon, wenn sie nur hören, dass Tonnen Braunkohle gefördert werden. 2007 Vattenfall die Finger auch nach ihrem Grund stellte Vattenfall den Antrag auf Einleitung und Boden ausstreckt. eines Braunkohleplanverfahrens für den Tage- bau Welzow-Süd (Teilfeld II). Der Braunkohle- Auf dem Höhepunkt der Auseinanderset- plan legt landesplanerisch fest, dass der Abbau zungen um das kleine sorbische Dorf Horno von Braunkohle auf einer bestimmten Fläche hatte der damalige brandenburgische Minister- Vorrang vor allen anderen Nutzungsarten hat. präsident Manfred Stolpe seinen Landsleuten Bis 2015 will die Landesregierung das Planver- versprochen, dass kein weiteres Dorf in der fahren abschließen. 1.255 Einwohner werden Lausitz den Braunkohlebaggern zum Opfer ihre angestammte Heimat verlieren, mehr als fallen werde. 2004 wurden die Einwohner von 2.800 Menschen am Rande einer riesigen, Horno zwangsumgesiedelt, ihre Häuser und rundum verödeten Erdgrube leben müssen. Obstgärten dem Erdboden gleichgemacht. Ende 2005 mussten auch die letzten Wider- Als nächstes werden die 900 Einwohner von ständler weichen. Atterwasch, Kerkwitz und Grabko dem Aus- bau in Jänschwalde-Nord weichen müssen, Neue Tagebauplanungen in der alles Orte mit jahrhundertelanger Geschichte. Lausitz Im September 2007 stellte Vattenfall den An- Heute heißt der Ministerpräsident Matthias trag, auch im Untergrund dieser Dörfer Braun- Platzeck – und nun soll es doch wieder anders kohle abtragen zu dürfen. kommen. Im Frühjahr 2007 empfahl eine Studie der Technischen Universität Clausthal Widerstand formiert sich sieben neue Braunkohlefelder zum Abbau. Ein Doch die Menschen nehmen diese „kalte betroffener Anwohner fragte sich im Februar Enteignung“ ihrer uralten Siedlungsgebiete 2008 gegenüber einem Reporter der Berliner nicht länger widerstandslos hin. Im Juli 2007 Klimaprotest in Jänschwalde, © Bente Stachowske/Greenpeace
12 Schwarzbuch Vattenfall gründeten Umweltschutzverbände, die Bran- Protestdemonstration in denburger Grünen, Mitglieder der Linken, der Jänschwalde Bauernbund Brandenburg und Kirchenvertre- Mitte September 2008 demonstrierten rund ter die Volksinitiative „Keine neuen Tagebaue“ 1000 Menschen unter dem Motto „Kohle und sammelten ab Oktober rund 27.000 stoppen – Klima schützen“ vor dem Kraftwerk Unterschriften für einen Gesetzentwurf zum Jänschwalde und zeigten Vattenfall symbolisch schrittweisen Ausstieg aus der Braunkohlein- die rote Karte. Schon 2007 wurde in Branden- dustrie bis 2050 bei gleichzeitigem Verzicht burg 44 Prozent des im Lande verbrauchten auf neue Tagebaue. Im Juli 2008 lehnte der Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugt. Landtag mit den Stimmen von SPD, CDU Allein die Vattenfall-Kraftwerke Jänschwalde und DVU den Gesetzentwurf ab. Doch die und Schwarze Pumpe pusten jährlich knapp Braunkohlegegner lassen nicht locker. Im 38 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphä- August 2008 beantragten sie beim Präsidenten re. Steuert die Landesregierung nicht endlich des brandenburgischen Landtags ein Volksbe- um und zieht ihre schützende Hand von der gehren. Bis Anfang Februar 2009 müssen dafür schmutzigen Braunkohletechnologie, wird 80.000 Unterschriften beigebracht werden. sie ihr selbst gestecktes Klimaziel, den CO2- Austoß bis 2010 auf 53 Millionen Tonnen zu Gleichzeitig schlossen sich rund 40 Lausitzer verringern, deutlich verfehlen. Dörfer zu einem Netzwerk zusammen, das vor allem gegen die Umsiedlung ganzer Ortschaf- ten antritt und die Volksinitiative ausdrücklich unterstützt. Ein gemeinsam beschlossenes Positionspapier enthält die Kernaussage: „Wer Heimat weiter antastet, ist für uns nicht mehr wählbar“. Und die Bürger und Bürgerinnen sind konsequent: Ende September 2008 traten sie mit eigenen Kandidaten zur Kreistagswahl in allen sechs Wahlkreisen des Landkreises Spree-Neiße an. In ihrem Programm „Bürger für die Lausitz – Klinger Runde“ heißt es: „Wir treten für den langsamen Ausstieg aus dem Braunkohlebergbau und die parallele Schaf- fung von anderen, alternativen Arbeitsplätzen in der Region ein, um der sinkenden Zahl der Arbeiter in den Kraftwerken und den Tage- bauen unserer Region die gleichen Chancen zu bieten, wie den Steinkohle-Kumpeln im Ruhrgebiet seit Jahren geboten werden.“ In der betroffenen Gemeinde Grabko erreichten die Tagebau-Gegner einen Stimmenanteil von 46,6 Prozent, im Kreistag Spree-Neiße werden sie künftig mit zwei Sitzen vertreten sein. Greenpeace-Protest gegen Braunkohlekraftwerk Jänschwalde, © Bente Stachowske/Greenpeace
Schwarzbuch Vattenfall 13 Vattenfalls Zukunftspläne: Kohle ohne Ende Kein anderes Industrieland verfeuert so viel der Kohle aus Reichwalde befeuert werden. klimaschädliche Braunkohle wie Deutschland. Mit spezifischen CO2-Emissionen von 924 Und kein anderes Unternehmen setzt so mas- Gramm pro erzeugte Kilowattstunde Strom siv auf die Verstromung von Braunkohle wie liegt die Klimaschädlichkeit mehr als doppelt Vattenfall. Rund 80 Prozent seines Stroms er- so hoch wie bei einem modernen gasbetriebe- zeugt Vattenfall Europe aus heimischer Braun- nen GuD-Kraftwerk. Die Inbetriebnahme von kohle. Entsprechend fußt die Zukunftsplanung Boxberg bedeutet einen Mehrausstoß von fünf vorrangig auf Kohleprojekten. Millionen Tonnen CO2 im Jahr. Tagebau auf Kosten der Einwohner Hamburg-Moorburg So soll die 1999 stillgelegte Braunkohleförde- In Hamburg-Moorburg plant Vattenfall als Er- rung im Tagebau Reichwalde nahe der Lager- satz für das über 40 Jahre alte Kombikraftwerk stätte Nochten im Jahr 2010 wieder aufgenom- Wedel ein riesiges neues Steinkohlekraftwerk men werden. Darüber hinaus plant Vattenfall, mit einer Leistung von 1.640 Megawatt (siehe weitere 1.200 Millionen Tonnen Braunkohle in S. 14 f.). Dieser Meiler allein würde jährlich der Lausitz abzubauen. 2006 beantragte das etwa 8,5 Millionen Tonnen CO2 freisetzen Unternehmen die Erweiterung des Tagebaus – doppelt so viel wie der gesamte Straßen-, Nochten durch Inanspruchnahme eines bereits Schienen- und Schiffsverkehr in Hamburg ausgewiesenen Vorbehaltsgebietes. Die Orte zusammen. Die gleiche Menge verursacht der Rohne, Mulkwitz und Mühlrose mit über 1000 gesamte Staat Bolivien in einem Jahr. Zudem Einwohnern sollen von der Landkarte ver- soll in Moorburg nur ein geringer Teil der Wär- schwinden, Trebendorf und Schleife würden me aus dem Kraftwerk ausgekoppelt werden. Ortsteile verlieren. 2007 stellte Vattenfall den Trotz moderner Technik wird das neue Kraft- Antrag auf Einleitung eines Braunkohleplan- werk einen geringeren Gesamt-Wirkungsgrad verfahrens für den zweiten Teil des Tagebaus haben als die Altanlage in Wedel. Welzow Süd, 1255 Anwohner sind von Um- siedlungsvorhaben betroffen. Für Jänschwal- Klingenberg in Berlin de-Nord will Vattenfall den Antrag Ende 2008 In Berlin-Lichtenberg soll ein neues Heiz- einreichen, für die geplanten Tagebaue Sprem- kraftwerk entstehen. Die alte, mit Braunkohle berg-Ost und Bagenz-Ost im Jahr 2015. Damit befeuerte 680-MW-Anlage Klingenberg soll reichen die Braunkohleförderpläne von Vatten- durch ein Steinkohlekraftwerk mit Kraft-Wär- fall weit über das Jahr 2050 hinaus. Überall in me-Kopplung und einer Leistung von 800 MW der Region bedrohen die Vattenfall-Planungen Strom und 650 MW Wärme ersetzt werden. Es ausgewiesene Fauna-Flora-Habitat-Gebiete, wäre das größte Kraftwerk in der Hauptstadt Natur- und Landschaftsschutzgebiete. – und mit einem Ausstoß von 4,5 Millionen Tonnen CO2 auch die größte Kohlendioxid- Ausbaupläne für Kohlekraftwerke Schleuder. Widerstand regt sich nicht nur in Auch Vattenfalls Kraftwerkspläne basieren Bürgerinitiativen, sondern auch der Senat lehnt weitgehend auf der Nutzung von Kohle. Ge- das Projekt in dieser Form ab. plant sind der Ausbau des Braunkohlekraft- werks Boxberg sowie der Neubau der Stein- In der Abscheidung und unterirdischen Lage- kohlekraftwerke in Hamburg-Moorburg und rung von Kohlendioxid (siehe S. 16 f.) sehen Berlin-Klingenberg. Kritiker der Kraftwerkspläne keine Lösung, zumal nicht absehbar ist, ob und wann die- Boxberg in Sachsen se Technik überhaupt zur Verfügung steht. Das Braunkohlekraftwerk Boxberg hat bereits Wenn Deutschland seine Verpflichtungen zum heute eine Leistung von 1.900 Megawatt. Durch Klimaschutz erfüllen will, darf es weder den den Bau eines zusätzlichen Kraftwerksblocks Neubau von Braunkohlekraftwerken noch den sollen im Jahr 2011 weitere 675 Megawatt ans überdimensionierten Ausbau von Kohlekraft- Netz gehen. Dieser geplante Block R soll mit werken generell erlauben.
14 Schwarzbuch Vattenfall Moorburg - Ein Stromkonzern verkohlt die Hansestadt Vattenfall Europe will bis 2012 ein neues Feinstaubbelastung Steinkohlekraftwerk direkt an der Elbe im Benachbart zum Standort Moorburg liegt Hamburger Stadtteil Moorburg errichten. Auf der Stadtteil Wilhelmsburg, der durch Indus- Veranlassung des Ersten Bürgermeisters Ole trieansiedlungen und Verkehr ohnehin schon von Beust (CDU) wurde ein Vorbescheid er- stark mit Feinstäuben belastet ist. Der Verein teilt und schon Ende 2007 mit den Bauarbeiten „Wilhelmsburger Ärzteschaft“ wies darauf begonnen – lange bevor die notwendigen Ge- hin, dass die prognostizierten Feinstaubwer- nehmigungsunterlagen vollständig vorlagen. te an zwei Messstellen über 20 Mikrogramm Eine klare Mehrheit der Hamburgerinnen und pro Kubikmeter Luft lägen. Zwar sind in Hamburger lehnt das Vorhaben ab. Deutschland bis zu 40 Mikrogramm erlaubt, die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt Verteilt auf zwei Blöcke soll das neue Kraft- jedoch einen Grenzwert von 20 Mikrogramm. werk eine Nennleistung von 1.640 Megawatt Mit 6.000 Tonnen im Jahr, so die Ärzteorgani- und eine Fernwärmeauskopplung von 450 sation, werde das Kraftwerk mehr Stickoxide Megawatt haben. Laut Angaben von Vatten- ausstoßen als der Autoverkehr in Hamburg. fall soll es das über 40 Jahre alte Kraftwerk in Wedel ersetzen. Nur: Das alte Heizkraftwerk Riesiger Wasserbedarf Wedel hat eine elektrische Leistung von 260 Um das Kohlekraftwerk in Moorburg zu Megawatt und eine thermische Leistung von realisieren, muss Vattenfall tief in die Fluss- 400 Megawatt. Das Kraftwerk in Moorburg ökologie der Elbe eingreifen. 64,3 Kubikmeter ist folglich nicht als Ersatz, sondern als eine Kühlwasser pro Sekunde will Vattenfall der Neuanlage zu bewerten. Geht es in Betrieb, Süderelbe entnehmen, das sind bei der geplan- wird sich der CO2-Ausstoß in Hamburg um ten Leistung des Kraftwerks mehr als 200.000 jährlich etwa 8,5 Millionen Tonnen erhöhen. Kubikmeter pro Stunde. Sollte das Kraftwerk Jede bislang formulierte Zielvorgabe für den – wie in Aussicht gestellt – nachträglich noch Klimaschutz in der Hansestadt wäre damit mit einer Anlage für die Abscheidung von CO2 hinfällig. (siehe S. 16 f.) ausgerüstet werden, würden für die Rauchgaswäsche zusätzlich 50 bis 100 Energieverschwendung Kubikmeter Wasser pro Tonne CO2 benötigt, Das Kraftwerk Moorburg ist für Hamburg völ- eine Zunahme des Wasserbedarfs von bis zu lig überdimensioniert. Nur ein kleiner Teil der 100.000 Kubikmeter pro Stunde. Beim An- Abwärme soll überhaupt genutzt werden. Fast saugen des Wassers aus dem Fluss werden die Hälfte der eingesetzten Energie verpufft voraussichtlich Milliarden von Wassertieren, ungenutzt und heizt die Umgebung auf: Fischlarven und Kleinfische umkommen. Vattenfall heizt die Elbe auf Vattenfall hat beantragt, das Kühlwasser aus 45 % Strom 45 % Verlust dem Kraftwerk mit einer Temperatur von 30 Grad Celsius in die Süderelbe zurückleiten zu dürfen. Laut einer Stellungnahme der Wasser- gütestelle Elbe dürfen Gewässer im Sommer nicht über 28 und im Winter nicht über 10 Grad Celsius erwärmt werden. Auch der zwi- 10 % Heizwärme schen den Bundesländern Hamburg, Schles- wig-Holstein und Niedersachsen vereinbarte Wärmelastplan für die Elbe sieht vor, dass das Selbst die – rechtlich nicht verbindliche – Zu- Kühlwasser aus Kraftwerken und Fabriken bei sage Vattenfalls für eine mögliche Erhöhung Einleitung in den Fluss höchstens 28 Grad Cel- der Fernwärmeauskopplung auf 650 Megawatt sius warm sein darf. In einer Vereinbarung mit ändert daran nichts Grundlegendes. Die Ener- der Freien und Hansestadt Hamburg, deren giebilanz von Moorburg fällt damit schlechter Verbindlichkeit nicht gesichert ist, hat Vatten- aus als die des alten Heizkraftwerks in Wedel fall zugesagt, dass eine Gewässertemperatur mit circa 66 Prozent. von 28 Grad Celsius und eine maximale Tem-
Schwarzbuch Vattenfall 15 Die GAL hatte sich vor den Wahlen gegen das Kohlekraftwerk Moorburg engagiert und noch während der Koalitionsverhandlungen versprochen, dass das Kraftwerk unter ihrer Mitverantwortung nicht gebaut werde. Verant- wortlich für die Genehmigung von Moorburg war nun die grüne Senatorin für Stadtent- wicklung und Umwelt Anja Hajduk. Im Falle einer Nichtgenehmigung drohte Vattenfall mit Schadensersatzforderungen von 1,3 Milliarden Euro. Am 30. September 2008 genehmigte die grüne Umweltsenatorin das Kraftwerk, versah die Genehmigung aber mit hohen Auflagen. Zum Schutz der Elbe muss das Kraftwerk herunter- gefahren werden, wenn der Abfluss der Süder- elbe zu gering ist, der Sauerstoffgehalt zu weit absinkt oder die Temperatur des Elbwassers zu Greenpeace Kletter-Aktion am im Bau befindlichen weit steigt. Nach Einschätzung der Umwelt- Kohlekraftwerk Moorburg, © Fred Dott/Greenpeace behörde wird das Kraftwerk voraussichtlich peraturdifferenz von 3 Kelvin am Übergang an 250 Tagen im Jahr nur mit einer auf zwei vom Restarm der Alten Süderelbe zur Süderel- Drittel gedrosselten Leistung laufen können. be, wo das Kraftwerk gebaut werden soll, nicht Die Nachrüstungspflicht für CCS (Carbon überschritten werden. Capture and Storage) wurde angeordnet, aber nur sofern die rechtlichen und technischen Das aber kann schnell geschehen, denn in Voraussetzungen vorliegen und die Nachrüs- der Elbe wurden in Sommermonaten schon tung für Vattenfall wirtschaftlich vertretbar ist. Ausgangstemperaturen von bis zu 27,5 Grad Gleichzeitig darf der Transport von Kohle nur Celsius gemessen. Damit droht dem ohnehin über geschlossene Systeme erfolgen, um Stau- schon kritischen Sauerstoffhaushalt der Elbe bemissionen bei der Verladung zu vermeiden. weiterer Schaden. In der Folge könnte sich Ob sich das Kraftwerk Moorburg unter diesen das alljährlich vor Blankenese auftretende Sau- Bedingungen für Vattenfall noch rechnet, wird erstoffloch vergrößern, Kleinlebewesen und der Konzern gründlich prüfen müssen. Fische würden ersticken. Die Umweltsenatorin kündigte darüber hinaus Die Elbe wird ohnehin behandelt wie eine an, dass die Stadt Hamburg einen regionalen Industriekloake. Nach den Vorstellungen der umweltfreundlichen Energieversorger gründen Energieindustrie sollen am Unterlauf der Elbe werde – eine Kampfansage an den Regional- in den kommenden Jahren sechs weitere Stein- monopolisten Vattenfall. kohlekraftwerke entstehen, drei in Stade und drei in Brunsbüttel mit zusammen 6.600 Mega- watt Leistung. Was das für Flora und Fauna an und in der Elbe bedeutet, kann sich heute noch niemand realistisch vorstellen. Kohlekraftwerk Moorburg Ende September mit Auflagen genehmigt Nach den Bürgerschaftswahlen vom Februar 2008 regiert in Hamburg eine Koalition aus Grün-Alternativer Liste (GAL) und CDU, die erste schwarz-grüne Landesregierung in der Kraftwerksneubau in Moorburg, © Martin Langer/ Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Greenpeace
16 Schwarzbuch Vattenfall CO2-Abscheidetechniken – eine ungewisse und teure Sackgasse Vattenfall setzt wegen des hohen Kohlendi- Technik ist heute schon verfügbar, aber noch oxidausstoßes seiner fossilen Kraftwerke auf nie auf ein kommerzielles Kraftwerk ange- eine neue Technologie, die als CCS (Carbon wandt worden. Wegen der hohen Zusatzkosten Capture and Storage) bezeichnet wird. Dahin- und der mangelnden Effizienz ist eine breite ter verbirgt sich die Vorstellung, das bei der Anwendung unwahrscheinlich. Verbrennung von Kohle entstehende Treib- hausgas Kohlendioxid abscheiden, verpressen CO2-Abtrennung vor der und unterirdisch lagern zu können. Die Wis- Verbrennung senschaftler des Weltklimarates (IPCC) gehen Der zweite Weg ist die Abtrennung des CO2 davon aus, dass CCS noch für Jahrzehnte nicht vor der Verbrennung. Dabei wird die Kohle zur Verfügung stehen wird. Dennoch hat sich unter hohem Druck in ein Gas umgewandelt, Vattenfall gegenüber der Freien und Hanse- das aus Wasserstoff, Kohlenmonoxid und stadt Hamburg verpflichtet, bis Jahresende Kohlendioxid besteht. Durch Zuführung von 2013 eine CO2-Abscheidungsanlage zu bean- Wasserdampf wird das Kohlenmonoxid in tragen, wenn die technischen Voraussetzungen Kohlendioxid und zusätzlichen Wasserstoff vorliegen und die Anlage wirtschaftlich betrie- umgewandelt, anschließend werden beide Gase ben werden kann. voneinander getrennt. Dieses Verfahren ist kostengünstiger und hat einen besseren Wir- Dabei geht Vattenfall in seinen Veröffentli- kungsgrad. Für den Einsatz bei stromerzeu- chungen selbst davon aus, dass die entspre- genden Anlagen ist diese Kraftwerkstechnik chende Technologie erst ab 2020 zur Verfügung noch nicht verfügbar. Der große Energiever- steht. Im Rahmen seiner Dialogoffensive teilte sorger RWE will allerdings bis 2014 ein solches Vattenfall dem Umweltverband „Rettet die Demonstrations-Kraftwerk mit einer Brutto- Elbe“ im Dezember 2007 mit: „Da es weder nennleistung von 450 MW bauen und damit die einsetzbare Technologie, noch die gesetz- den Einstieg in diese Technologie vollziehen. lichen Grundlagen für die CO2-Abscheidung und -Speicherung gibt, können wir die spätere Vattenfall und das Oxyfuel-Verfahren Nachrüstung oder auch nur die Voraussetzun- Vattenfall hat sich für den dritten Weg ent- gen dafür nicht in das Genehmigungsverfahren schieden, das sogenannte Oxyfuel-Verfahren. einbringen. Heute können wir nur versichern, Dabei wird der Stickstoff aus der Kohle vor dass wir das Kraftwerk Moorburg mit der der Verbrennung abgetrennt. Die Kohle wird Technik zur Abscheidung von CO2 nachrüs- anschließend mit reinem Sauerstoff verbrannt ten, sobald die technologischen, rechtlichen – heraus kommen Wasser, Schwefeldioxid und und wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür Kohlendioxid, die sich relativ leicht voneinan- gegeben sein werden.“ der trennen lassen. Das entstandene Kohlen- dioxid wird unter hohem Druck verflüssigt. CO2-Abtrennung nach der Über Kosten und Wirkungsgrade ist noch Verbrennung nichts bekannt, da das Verfahren noch in den Es gibt drei mögliche Wege zur Abtrennung des Kinderschuhen steckt. Kohlendioxids: Vor der Verbrennung, während der Verbrennung und nach der Verbrennung Im September 2008 hat Vattenfall am Standort der Kohle. Für die Nachrüstung bestehender „Schwarze Pumpe“ in der Lausitz eine Pilot- Kohlekraftwerke kommt vor allem die Rauch- anlage mit einer thermischen Leistung von gaswäsche in Frage. Dabei wird das CO2 nach 30 MW für die CO2-Abscheidung nach dem der Verbrennung mit Lösungsmitteln aus dem Oxyfuel-Prinzip in Betrieb genommen. Zwei Rauchgas herausgewaschen, allerdings gelingt Jahre und 70 Millionen Euro hat Vattenfall das nur zu 85 Prozent. Gleichzeitig jedoch gebraucht, um dieses Kleinstkraftwerk fertig- sinkt der Wirkungsgrad des Kraftwerks um 8 zustellen. Strom wird hier nicht erzeugt. Das bis 14 Prozent, es wird 10 bis 35 Prozent mehr soll erst in Jänschwalde geschehen, wo bis spä- Brennstoff gebraucht und die Investitionskos- testens 2015 ein 500 MW-Kraftwerksblock auf ten erhöhen sich um 30 bis 150 Prozent. Die die neue Technologie umgerüstet werden soll.
Schwarzbuch Vattenfall 17 Umsetzung der Vattenfall-Pläne verschlossen, aber selbst der kann der Zer- ungewiss und teuer setzung durch Kohlensäure nicht standhalten. Insgesamt sind Experten überzeugt, dass Kohlensäure entsteht aus der Verbindung von CCS-Technologien erst im Jahrzehnt zwi- Kohlendioxid mit Wasser. schen 2020 und 2030 ausgereift zur Verfü- gung stehen. Werden neue Kraftwerke nicht Wird CO2 in saline Aquifere gepumpt, ver- heute schon „capture ready“ (d.h. vorbereitet drängt es das dort enthaltene Salzwasser. Weit für die Nachrüstung einer CO2-Abtrennung) vom Speicherort entfernt können Kohlendio- gebaut, sind technische Probleme und hohe xid und Salzwasser entlang von Störungszonen Kosten vorprogrammiert. Unter diesen Vor- aufsteigen und das Grundwasser verunreini- aussetzungen bleibt für die Hamburgerinnen gen. Kohlendioxid ist an und für sich nicht und Hamburger ungewiss, ob und wann das giftig. Dringt es aber an die Oberfläche und riesige Kohlekraftwerk Moorburg mit einer sammelt sich in Geländesenken oder abge- CO2-Abtrennung ausgestattet werden kann. schlossenen Gebäuden, kann es sehr wohl Vattenfall droht höchstens, falls bis Mitte 2011 tödlich wirken. die Weichen nicht gestellt sind, die Einrichtung einer gemeinsamen Kommission mit der Stadt Für das abgetrennte CO2 in der Vattenfall-Pi- und im schlimmsten Fall ein Strafgeld von lotanlage am Standort Schwarze Pumpe gibt 10,5 Millionen Euro – „Peanuts“ angesichts es noch kein Speicherungskonzept. Erst Ende der Investition von 2 Milliarden Euro für das 2007 hat das Geoforschungszentrum Potsdam Kraftwerk an der Elbe. mit Bohrungen für einen Testspeicher in Ket- zin im Havelland begonnen. 60.000 Tonnen Wohin mit dem Kohlendioxid, wenn CO2 sollen hier bis 2009 in 700 Metern Tiefe die Abtrennung irgendwann klappen gespeichert werden. Ungeklärt ist ohnehin das sollte? Transportproblem, denn viele in Frage kom- Die Energieversorger stellen sich vor, abge- mende Speicherorte liegen weitab von den trenntes CO2 unterirdisch zu lagern. In Frage Kraftwerksstandorten. kommen alte Gas- oder Erdöllagerstätten, aber auch tiefe, Salzwasser führende Gesteins- CCS kommt für den Klimaschutz zu schichten, so genannte „salinare Aquifere“. spät Alte Öl- und Gasfelder werden heute schon Entgegen den Behauptungen der Energiever- als Erdgasspeicher benutzt und stehen nur in sorger gibt es keine CO2-freien Kohlekraft- beschränktem Umfang zur Verfügung. Wegen werke. Je nach Kraftwerksart werden auch der vielen Bohrungen in der Erkundungs- und nach Einführung von CCS-Technologien Produktionsphase sind die unterirdischen Ka- zwischen 60 und 150 Gramm Kohlendioxid vernen zudem löchrig wie ein Schweizer Käse. pro erzeugter Kilowattstunde Strom in die Zwar werden die Löcher mit Spezialzement Atmosphäre entweichen. Über den gesamten Prozessweg inklusive Abbau und Speicherung werden es bis zu 276 g/kWh sein. Die Bun- desregierung hat sich zum Ziel gesetzt, den Kohlendioxidaus- stoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu senken. Mit CCS-Technologien ist dieses Klimaziel nicht zu erreichen. Es ist deshalb kein Zufall, dass Energieversorger wie Vattenfall ihre Atomkraftwerke verschärft als Klimaschutztechnologie zu verkaufen suchen.
18 Schwarzbuch Vattenfall Schwedische Vattenfall-AKW: Viel Profit, wenig Sicherheit Vattenfall produziert konzernweit ein gutes schwedische Atomaufsichtsbehörde SKI sah Drittel seines Stroms aus Atomkraft. Sieben darin ein Indiz, dass bei Vattenfall Profit vor der insgesamt zehn Meiler stehen in Schweden, Sicherheit gehe. drei Blöcke in Forsmark und vier Blöcke in Ringhals. Ein Blick zurück in die jüngste Ver- Mangelnde Sicherheitskultur in gangenheit zeigt, wie schlecht es um die Sicher- Atomkraftwerken heit in den Vattenfall-Meilern bestellt ist. Nach diversen weiteren Pannen und sicher- heitsrelevanten Mängeln an allen drei mehr als Am 25. Juli 2006 führte ein Kurzschluss außer- zwanzig Jahre alten Reaktoren in Forsmark und halb des AKW Forsmark 1 zu einer Trennung dem Bekanntwerden eines internen Untersu- der Anlage vom Stromnetz. Bei der automa- chungsberichtes über die mangelhafte Sicher- tisch eingeleiteten Schnellabschaltung des heitskultur in dem Unternehmen, musste Vat- Reaktors fielen zwei der insgesamt vier Not- tenfall Ende Januar 2007 öffentlich einräumen, generatoren aus. Der Stromausfall verursachte dass „nicht immer alle Sicherheitsfragen so einen Computerblackout, so dass die Bedie- behandelt“ worden seien, „wie es sein sollte“. nungsmannschaft den Reaktor über mehr als 20 Minuten quasi im „Blindflug“ fahren muss- Und damit nicht genug: Mitte Februar 2007 te. Erst dann gelang der Start der Dieselgene- wurde bekannt, dass bei Forsmark 1 seit 2004 ratoren von Hand. „Es war ein reiner Zufall, die Messgeräte defekt waren. Drei Jahre lang dass es zu keiner Kernschmelze kam“, urteilte war dreimal mehr Radioaktivität in die Umwelt eine Woche später Lars Höglund, ein früherer gelangt als offiziell gemessen. Schuld sei eine leitender Angestellter, gegenüber einer schwe- undichte Abdeckung gewesen. Umweltminis- dischen Tageszeitung. Ähnlich bewertete der ter Andreas Carlgren ordnete an, Forsmark Abteilungsleiter der norwegischen Strahlen- und die anderen Reaktoren sowie die Sicher- schutzbehörde Ole Reistad den Störfall. Man heitskultur in schwedischen Atomkraftwerken habe „nahe vor einer Katastrophe“ und vor generell durch Experten der internationalen dem Wegfall der letzten Sicherheitsbarriere Atomenergiebehörde (IAEO) überprüfen zu gestanden. lassen. „Wenn die Verhältnisse in Forsmark Mal auf Mal schlechter sind, als die Betreiber Vergleichbare Probleme in angegeben haben, muss man sich fragen, was Brunsbüttel für die anderen Kraftwerke gilt.“ Vattenfall spielte den Vorfall herunter und bestritt energisch, dass Ähnliches in seinen Die Untersuchungskommission der IAEO deutschen Reaktoren geschehen könne. Ein kam im Februar 2008 zu dem Ergebnis, dass Vergleich der Schaltpläne aber zeigte, dass in es ernsthafte Sicherheitsmängel gegeben habe Brunsbüttel die gleichen Sicherheitsaggregate und empfahl die Einführung eines Qualitäts- im Einsatz waren, die in Forsmark beinahe zu programms. Unter anderem schlug die IAEO einem GAU geführt hätten. Nachträglich wur- vor, den Kraftwerksbetrieb künftig von unab- de bekannt, dass es 2004 in Brunsbüttel einen hängigen Experten kontrollieren zu lassen. nahezu identischen Vorfall gegeben hatte, bei dem die Notsysteme aber funktionierten. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf: Im Frühjahr 2006 hatte Vattenfall den Reaktor Forsmark 1 mit einer höheren als der erlaubten Leistung betrieben und auch nach Erkennen des Fehlers vier Wochen lang nicht wieder gedrosselt. Nach dem Störfall am 25. Juli blieb der Meiler noch zwei Tage im „Warmzustand“ von über hundert Grad, um ihn schnellstmög- lich wieder hochfahren zu können. Selbst die
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