Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise

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DZA-Fact Sheet

Altersdiskriminierung und Altersbilder in der
Corona-Krise
Svenja M. Spuling, Markus Wettstein und Clemens Tesch-Römer

07. April 2020

Problemaufriss
Ältere Menschen werden in der              Einschränkungen haben (siehe zum
Corona-Krise häufig als verletzliche und   Thema „Alte Menschen sind unter-
gefährdete Gruppe, als potenzielle „Op-    schiedlich, auch in der Corona-Krise“
fer des Virus“ dargestellt, die es zu      das entsprechende Fact Sheet auf der
schützen gilt. Klare Risikokommunika-      Website des DZA, www.dza.de). Daher
tion ist in diesen Zeiten wichtig. Des-    ist ein differenziertes Altersbild wichtig.
halb muss selbstverständlich auf das       Risikogruppen pauschal festzulegen,
insgesamt erhöhte COVID-19-Risiko          kann aus zwei Gründen problematisch
bei älteren und sehr alten Menschen        sein: Sie können zunehmende Alters-
hingewiesen werden. Sowohl die             diskriminierung fördern, und sie können
Schwere des Verlaufs als auch das          zur Festigung negativer Altersselbstbil-
Mortalitätsrisiko von COVID-19 steigt      der führen.
mit dem Alter stark an. Allerdings hängt
                                           Altersdiskriminierung: Der pauschali-
der Verlauf wesentlich mit dem allge-
                                           sierte gesellschaftliche Diskurs zu älte-
meinen Gesundheitszustand und rele-
                                           ren Menschen („Alte Menschen sind
vanten Vorerkrankungen (z.B. Erkran-
                                           schwach und müssen beschützt wer-
kungen des Herz-Kreislauf-Systems,
                                           den“) erhöht das Risiko, dass ältere
chronische Erkrankungen der Lunge,
                                           Menschen diskriminiert werden – eben
Krebserkrankungen, geschwächtes Im-
                                           weil sie zur Gruppe der Älteren gehö-
munsystem) zusammen. Diese Risiken
                                           ren, von denen man zu wissen glaubt,
gelten für ältere und jüngere Menschen
                                           dass ihre Chancen geringer seien, CO-
gleichermaßen.
                                           VID-19 zu überleben. Eine solche pau-
Alte Menschen sind nämlich sehr unter-     schale Darstellung könnte dazu führen,
schiedlich: Es gibt ältere Menschen, die   dass Entscheidungen, etwa im medizi-
an mehreren Krankheiten zugleich lei-      nischen Bereich, allein aufgrund des Al-
den (Multimorbidität) und es gibt          ters einer Person und nicht aufgrund
ebenso ältere Menschen, die körperlich     detaillierter Informationen zu ihrem Ge-
fit sind und nur geringe gesundheitliche
2                                Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise

sundheitszustand gefällt werden. Unge-           www.dza.de), schlechterer Gesundheit,
rechtfertigte Benachteiligungen und Al-          geringerem Wohlbefinden und sogar
tersdiskriminierung wären die Folge.             mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko
                                                 verbunden sind.
Negative Altersselbstbilder: Negative
gesellschaftliche Altersbilder (Altersste-       Im Folgenden geben wir einen Über-
reotype) werden von Menschen über-               blick über Befunde zu den Themen Al-
nommen, wenn sie älter werden. Ge-               tersdiskriminierung und Altersselbstbil-
sellschaftliche Altersstereotypen wer-           der, die auf Auswertungen des Deut-
den so zu Altersselbstbildern. Wer               schen Alterssurveys (DEAS) basieren.
glaubt, mit dem Alter krank und einsam           Der Deutsche Alterssurvey ist eine bun-
zu werden, der unterliegt auch einem             desweit repräsentative Langzeitunter-
höheren Risiko für Erkrankungen und              suchung von Personen, die sich in der
Einsamkeit im Alter. Altersselbstbilder          zweiten Lebenshälfte befinden (d. h. 40
können also selbsterfüllende Prophe-             Jahre und älter sind). Die teilnehmen-
zeiungen werden. Die Altersforschung             den Personen werden umfassend zu ih-
hat gezeigt, dass negative Altersbilder          rer Lebenssituation befragt, unter ande-
mit einem ungünstigen Gesundheitsver-            rem zu ihrer Erwerbstätigkeit oder ih-
halten (z. B. geringerer körperlicher Ak-        rem Leben im Ruhestand, zu gesell-
tivität: siehe zum Thema „Körperliche            schaftlicher Teilhabe und Ehrenamt, zu
Aktivität älterer Menschen in der                Einkommen und Vermögen, zu sozialer
Corona-Krise“ das entsprechende Fact             Integration und Einsamkeit sowie zu
Sheet auf der Website des DZA,                   Gesundheit und Lebenszufriedenheit.
.
Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise                                                                          3

Befunde
Altersdiskriminierung                                                        diese Frage bejahen, werden ergän-
                                                                             zend danach gefragt, in welchen von
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
                                                                             fünf ausgewählten Lebensbereichen die
des Deutschen Alterssurveys werden
                                                                             Erfahrung mit Diskriminierung gemacht
zu ihren Erfahrungen mit Altersdiskrimi-
                                                                             wurde: Arbeit und Arbeitssuche, Behör-
nierung befragt. Dabei handelt es sich
                                                                             dengänge, medizinische Versorgung,
um die subjektive Sicht der Befragten
                                                                             im Alltag generell oder bei Geldangele-
auf Benachteiligungen, die sie aufgrund
                                                                             genheiten.
ihres Alters erlitten haben.
                                                                             Nachfolgend wird dargestellt, wie hoch
Die Frage, die an die teilnehmenden
                                                                             der Anteil an Personen ist, die Alters-
Personen gestellt wird, lautet: „Haben
                                                                             diskriminierung insgesamt erfahren, so-
Sie in den vergangenen zwölf Monaten
                                                                             wie der Anteil der Personen, die von er-
erlebt, dass Sie wegen Ihres Alters
                                                                             lebter Altersdiskriminierung im Bereich
durch andere benachteiligt wurden oder
                                                                             der medizinischen Versorgung berich-
gegenüber anderen Menschen schlech-
                                                                             ten. Die Befunde sind in Abbildung 1
ter gestellt wurden?“ Personen, die
                                                                             dargestellt.

Abbildung 1: Anteile der Personen mit wahrgenommener Altersdiskriminierung
             insgesamt sowie im Bereich medizinischer Versorgung, im Jahr 2017 (in
             Prozent)

(a) nach Alter und                                                     (b) nach Bildung
          25                                                                 25

          20                                                                 20

          15                                                                 15
                                                                   Prozent
Prozent

          10                                                                 10

                                                                                                   11,6
           5    9,0
                      10,2                                                    5
                                   7,9                                              8,4     8,1
                             5,7                                                                                              4,8
                                          2,6   2,8   3,1   3,7                                                       3,3
                                                                                                               2,1
           0                                                                  0

               45-54 55-64 65-74 75-84   45-54 55-64 65-74 75-84                   Hohe Mittlere Niedrige    Hohe Mittlere Niedrige
               Jahre Jahre Jahre Jahre   Jahre Jahre Jahre Jahre                  Bildung Bildung Bildung   Bildung Bildung Bildung
                       Gesamt            Medizinische Versorgung                          Gesamt            Medizinische Versorgung

Quelle: DEAS 2017 (n = 4.970), gewichtet, eigene Berechnungen. Prozentuierungsgrundlage sind alle befragten Perso-
nen im Alter zwischen 45 und 84 Jahren im Jahr 2017.
4                               Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise

Insgesamt: Der Anteil von Personen im           Bildung: Auch mit Blick auf den Bil-
Alter zwischen 45 und 84 Jahren, die            dungshintergrund gibt es Unterschiede:
Altersdiskriminierung insgesamt berich-         Während die wahrgenommene Alters-
ten, lag im Jahr 2017 bei insgesamt 8,5         diskriminierung insgesamt bei Perso-
Prozent (nicht in Abbildung 1 darge-            nen mit hoher Bildung bei 8,4 Prozent
stellt). Das ist eine gute Nachricht: Nur       liegt, beträgt sie bei Personen mit nied-
wenige Menschen fühlen sich aufgrund            riger Bildung 11,6 Prozent (s. Abbildung
ihres Alters diskriminiert. Allerdings          1-b). Offenbar schützt also auch eine
kann man hier keine Entwarnung ge-              hohe Bildung nicht völlig vor Altersdis-
ben: Möglicherweise nehmen viele äl-            kriminierung. Ähnliche Unterschiede fin-
tere Menschen eine Diskriminierung              den sich bei der wahrgenommenen Al-
aufgrund ihres Alters gar nicht wahr.           tersdiskriminierung im Bereich der me-
Von größerer Bedeutung ist daher die            dizinischen Versorgung: Bei Personen
Frage, ob sich die wahrgenommene Al-            mit hoher Bildung liegt diese bei 2,1
tersdiskriminierung mit dem Alter verän-        Prozent, bei Personen mit niedriger Bil-
dert.                                           dung beträgt sie 4,8 Prozent – eine
                                                Verdopplung des Wertes gegenüber
Alter: In allen Altersgruppen gibt es
                                                den Menschen mit hoher Bildung.
Personen, die Diskriminierungserfah-
rungen berichten. Interessanterweise            Ein höheres Alter und niedrige Bildung
sind dies bei den 55- bis 64-Jährigen           sind demnach insbesondere im medizi-
mehr Personen (10,2%) als in den Al-            nischen Versorgungsbereich Risikofak-
tersgruppen darüber (s. Abbildung 1-a).         toren für Diskriminierungserfahrungen.
Altersdiskriminierung trifft also keines-       Dieser Befund ist gerade vor dem Hin-
wegs nur die ältesten Personengrup-             tergrund der Behandlungsnotwendig-
pen. Dies könnte damit zu tun haben,            keiten bei COVID-19 relevant. Möglich-
dass nach Übergang in den Ruhestand             erweise führt der pauschalisierte gesell-
Erfahrungen von Altersdiskriminierung           schaftliche Diskurs zu älteren Men-
am Arbeitsplatz enden. Anders als das           schen als Risikogruppe dazu, dass äl-
generelle Erleben von Altersdiskriminie-        tere Menschen in Zukunft vermehrt dis-
rung steigt die wahrgenommene Alters-           kriminiert werden, insbesondere im Be-
diskriminierung im Bereich der medizi-          reich der medizinischen (Not-)Versor-
nischen Versorgung kontinuierlich über          gung.
die Altersgruppen an, von 2,6 Prozent
bei den 45- bis 54-Jährigen auf 3,7 Pro-
zent bei den 70- bis 85-Jährigen.
Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise                                   5

Altersselbstbilder
Altersselbstbilder sind Vorstellungen,           mich, dass ich weiterhin in der Lage
die Menschen von ihrem eigenen Älter-            bin, neue Dinge zu lernen“ oder „Älter-
werden haben. Menschen können hoff-              werden bedeutet für mich, dass sich
nungsfroh in die Zukunft schauen und             meine Fähigkeiten erweitern“.
sich auf die Freiheiten des Alters, auf
                                                 Verlustorientierte Sicht auf das eigene
Weiterentwicklungsmöglichkeiten oder
                                                 Älterwerden: Das Älterwerden wird mit
die zunehmende Weisheit freuen, die
                                                 körperlichen Verlusten verknüpft. Bei-
mit dem Älterwerden eintreten könnten.
                                                 spiele für Aussagen sind „Älterwerden
Andererseits könnte das eigene Älter-
                                                 bedeutet für mich, dass ich körperliche
werden auch mit Ängsten und Sorgen
                                                 Einbußen schlechter ausgleichen kann“
verknüpft sein, etwa mit Blick auf die ei-
                                                 oder „Älterwerden bedeutet für mich,
gene Gesundheit oder hinsichtlich des
                                                 weniger vital und fit zu sein“.
Verlustes von geliebten Menschen.
                                                 Pro Sichtweise bewerteten die Befrag-
Altersselbstbilder werden im Deutschen
                                                 ten jeweils vier Aussagen anhand der
Alterssurvey mehrdimensional erfasst,
                                                 Antwortkategorien „trifft gar nicht zu“,
und zwar als gewinnorientierte und als
                                                 „trifft eher nicht zu“, „trifft eher zu“ und
verlustorientierte Sicht.
                                                 „trifft genau zu“. Die vier Bewertungen
Gewinnorientierte Sicht auf das eigene           wurden jeweils gemittelt und anschlie-
Älterwerden: Das Älterwerden wird mit            ßend in zwei Kategorien aufgeteilt
Möglichkeiten persönlicher Weiterent-            (Aussage „trifft gar nicht zu“/„trifft eher
wicklung verknüpft. Beispiele für Aussa-         nicht zu“ versus „trifft eher zu“/„“trifft ge-
gen sind „Älterwerden bedeutet für               nau zu“).
6                                             Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise

In Abbildung 2 ist der Anteil an Perso-                                 Weiterentwicklung im Vergleich zu jün-
nen dargestellt, die den Aussagen zu                                    geren Menschen.
verlust- und gewinnorientierten Sicht-
                                                                        Bildung: Es sind auch bei beiden Alters-
weisen auf das Alter zugestimmt ha-
                                                                        bilderdimensionen starke Bildungsun-
ben. In Abbildung 2-a sind Altersunter-
                                                                        terschiede zu beobachten (s. Abbildung
schiede dargestellt, in Abbildung 2-b
                                                                        2-b): Personen mit einer höheren Bil-
Bildungsunterschiede. Die dargestellten
                                                                        dung verbinden das Älterwerden eher
Ergebnisse beruhen auf dem DEAS-
                                                                        mit einer gewinnorientierten Sicht und
Bericht zur Erhebungswelle 2014.
                                                                        parallel dazu weniger mit einer verlust-
Alter: Während das verlustorientierte                                   orientierten Sicht als Personen mit
Altersbild über die Altersgruppen hin-                                  niedriger Bildung. Es bestimmt also
weg zunimmt, nimmt das gewinnorien-                                     nicht unbedingt das Alter (allein) über
tierte Altersbild über die Altersgruppen                                die Ausprägung des eigenen Altersbil-
ab (s. Abbildung 2-a). Ältere Menschen                                  des.
verbinden das eigene Älterwerden also
eher mit körperlichen Verlusten und we-
niger mit Möglichkeiten persönlicher

Abbildung 2: Anteile von Personen mit verlustorientiertem bzw. gewinnorientiertem
             Altersbild, im Jahr 2014 (in Prozent)

(a) nach Alter und                                                (b) nach Bildung
          100                                                          100

           80                                                           80

           60                                                           60
Prozent

                                                             Prozent

                                                                                                                  80,2
           40                  73,5    81,5                             40
                                              73,7                            70,3                         70,9
                                                     59,0                            65,5    62,9
                60,2   63,8
                                                                                                    50,8
           20                                                          20

            0                                                            0

                Verlustorientiertes    Gewinnorientiertes                     Verlustorientiertes   Gewinnorientiertes
                    Altersbild            Altersbild                              Altersbild           Altersbild

                40-54 Jahre                                                      Niedrige Bildung
                55-69 Jahre                                                      Mittlere Bildung
                70-85 Jahre                                                      Hohe Bildung

Beyer, A.-K., Wurm, S., & Wolff, J. K. (2017). Älter werden – Gewinn oder Verlust? Individuelle Altersbilder und Alters-
diskriminierung. In K. Mahne, J. K. Wolff, J. Simonson & C. Tesch-Römer (Hrsg.), Altern im Wandel: Zwei Jahrzehnte
Deutscher Alterssurvey (DEAS) (S. 329-343). Wiesbaden: Springer VS. (S. 334, Abbildung 22-1).
Quelle: DEAS 2014 (körperliche Verluste: n = 4.288; persönliche Weiterentwicklung: n = 4.287), gewichtet; (p < ,05). a)
Körperliche Verluste: Signifikante Unterschiede nur zwischen den 70- bis 85-Jährigen und den 55- bis 69-Jährigen bzw.
40- bis 54-Jährigen. Persönliche Weiterentwicklung: Alle Altersgruppenunterschiede signifikant. b) Signifikante Bil-
dungsunterschiede für beide Altersbilder.
Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise                                                                                                                                      7

Eine wichtige Frage in diesem Zusam-                                                                      funde zeigen sich auch für die gewinn-
menhang lautet nun: Wie haben sich                                                                        orientierte Sichtweise auf das eigene
Altersselbstbilder in den letzten zwei                                                                    Älterwerden, die auch im Vergleich zu
Jahrzehnten verändert? Das Alters-                                                                        1996 in den älteren Altersgruppen zu-
selbstbild wird im Deutschen Alterssur-                                                                   genommen hat (Befunde hier nicht dar-
vey seit 1996 erhoben (s. Abbildung 3).                                                                   gestellt). Mit Blick auf die Corona-Pan-
In Abbildung 3 kann man erkennen,                                                                         demie und der damit verbundenen, zum
dass es in den älteren Gruppen (54- bis                                                                   Teil pauschalisierenden Risikokommu-
77-Jährige) eine Abnahme der verlust-                                                                     nikation ist zu fragen, ob sich dieser
orientierten Sichtweise auf das eigene                                                                    Trend in Zukunft verändern wird: hin zu
Älterwerden von 1996 zu 2014 gibt.                                                                        einem stärker negativen, verlustorien-
Dies führt dazu, dass sich Jüngere und                                                                    tierten Altersbild, gerade bei älteren
Ältere in ihren Altersselbstbildern etwas                                                                 Menschen.
angeglichen haben. Entsprechende Be-

Abbildung 3: Anteile der Personen mit verlustorientiertem Altersbild, nach Alter, in den
             Jahren 1996, 2002, 2008 und 2014 (in Prozent)
                      1996              2002                 2008                2014

          100

           80

           60
Prozent

                                                                                                                                                                                        84,5 77,2
           40                                                                                                                                     82,7          76,5 74,0   84,0 82,3
                                                                                            77,1                        78,7
                                                                                                                 65,3                 67,7 63,6
                            61,8 59,2                 59,9 61,2   69,9          63,1 64,0                 61,1                 66,2
                                                                                                                                                         70,8
                                        60,7                             59,6                      58,5
                52,3 53,8                      52,3
           20

            0

                     42-47                      48-53                     54-59                     60-65                       66-71                     72-77                  78-83
                     Jahre                      Jahre                     Jahre                     Jahre                       Jahre                     Jahre                  Jahre

Beyer, A.-K., Wurm, S., & Wolff, J. K. (2017). Älter werden – Gewinn oder Verlust? Individuelle Altersbilder und Alters-
diskriminierung. In K. Mahne, J. K. Wolff, J. Simonson & C. Tesch-Römer (Hrsg.), Altern im Wandel: Zwei Jahrzehnte
Deutscher Alterssurvey (DEAS) (S. 329-343). Wiesbaden: Springer VS. (S. 335, Abbildung 22-2).
Quelle: DEAS 1996 (n = 3.986), 2002 (n = 2.782), 2008 (n = 4.429) und 2014 (n = 4.288) gewichtet; (p < ,05). Signifi-
kante Abnahme von 1996 zu 2014 bei 54- bis 77-Jährigen. Signifikante Zunahme von 1996 zu 2008 und Stabilität von
2008 zu 2014 bei 42- bis 47-Jährigen. Bei den 48- bis 53-Jährigen signifikante Abnahme von 1996 zu 2002 und an-
schließend bis 2014 wieder Zunahme auf das Niveau von 1996. Nur bei 66- bis 71-Jährigen und 78- bis 83-Jährigen
signifikante Abnahme von 2008 zu 2014.
Implikationen
Die Befunde aus dem Deutschen Al-           allgemein zu einer Abnahme des Wohl-
terssurvey zeigen, dass sich die Erfah-     befindens sowie der Gesundheit Älterer
rungen von Altersdiskriminierung, auch      führen kann. Negative gesellschaftliche
im medizinischen Bereich, zwischen          Altersstereotype können negative Aus-
Personen unterschiedlichen Alters un-       wirkungen auf Erleben und Verhalten
terscheiden. Die Anteile der Menschen,      besonders älterer Menschen sowie auf
die von Benachteiligungen aufgrund ih-      deren Altersselbstbilder und deren Er-
res Alters berichten, sind zum Glück        wartungen an das weitere Älterwerden
nur gering. Dennoch ist es aufgrund der     haben. Fallen diese Altersselbstbilder
belastenden Folgen von Altersdiskrimi-      und Erwartungen negativ aus, ist das
nierung alarmierend, wenn 8,5% der          Risiko größer, dass diese Personen tat-
Personen im mittleren und höheren Er-       sächlich, im Sinne einer selbsterfüllen-
wachsenenalter Diskriminierungserfah-       den Prophezeiung, mit einer einge-
rungen gemacht haben. Die Befunde           schränkteren Gesundheit sowie mit ei-
zeigen auch, dass Menschen mit stei-        nem geringeren Wohlbefinden alt wer-
gendem Alter über ein zunehmend ver-        den. Die Forschung konnte zeigen,
lustorientiertes und parallel dazu über     dass negative Altersbilder sogar die
ein weniger gewinnorientiertes Alters-      Langlebigkeit beeinflussen – also po-
selbstbild berichten.                       tenziell lebensverkürzend sind.
Besonders ältere Menschen könnten           Die Befunde des Deutschen Alterssur-
von den aufgrund der aktuellen Situa-       veys weisen aber auch darauf hin, dass
tion kursierenden negativen und pau-        es einen positiven Wandel hinsichtlich
schalisierenden Aussagen über ihre ei-      der Altersselbstbilder gibt – vor allem in
gene Altersgruppe betroffen sein, da        älteren Gruppen. Dieser positive Wan-
die somit transportierten negativen Al-     del liegt unter anderem möglicherweise
tersstereotype zu einer Zunahme von         an den Bemühungen in den letzten
Altersdiskriminierung führen könnten. In    Jahren und Jahrzehnten, das Alter und
der jetzigen Situation kann eine solche     das Altern jedes Einzelnen differenzier-
Altersdiskriminierung von erheblicher       ter darzustellen und somit allzu pau-
Bedeutung sein: Wenn bei Entschei-          schalisierende negative Altersstereo-
dungen über knappe Ressourcen nicht         type (die sich wie oben beschrieben in
das Individuum und seine ganz eigenen       negativen Altersselbstbildern nieder-
Charakteristika und Lebenssituationen       schlagen können) abzubauen. Eine sol-
betrachtet werden, sondern nur das Al-      che positive Entwicklung könnte abge-
ter zählt, dann wäre dies ein Beispiel      schwächt oder gar gestoppt werden,
für eine erhebliche und äußerst be-         wenn aktuell zu pauschale und einsei-
denkliche Altersdiskriminierung.            tige Aussagen über ältere Menschen
                                            verbreitet werden und das höhere Alter
Neben einer Zunahme an Altersdiskri-
                                            ausschließlich als Lebensphase hoher
minierung können negative gesell-
                                            körperlicher Verletzlichkeit stigmatisiert
schaftliche Altersbilder aber auch zu ei-
                                            wird, ohne zugleich die Vielfalt des Al-
ner Ausgrenzung und Abwendung von
                                            ters sowie die Potenziale und Ressour-
älteren Menschen führen, was wiede-
                                            cen älterer Menschen zu betonen.
rum zur Entstehung oder Verstärkung
von Isolation und Einsamkeit und ganz
Altersdiskriminierung und Altersbilder in der Corona-Krise                              9

Empfehlungen
Basierend auf unseren Befunden möch-             Differenziertes Bild des Alters zeichnen:
ten wir die folgenden Empfehlungen für           Es sollte nicht pauschalisierend über äl-
die Risikokommunikation zum Thema                tere Menschen gesprochen werden.
Corona-Virus und COVID-19 geben.                 Auch in der Risikokommunikation der
                                                 Corona-Pandemie ist es wichtig, ein dif-
Altersdiskriminierung vermeiden: In der
                                                 ferenziertes Altersbild zu zeichnen, da
gesellschaftlichen Diskussion wird bis-
                                                 die Verstärkung negativer Altersbilder
weilen über das Kriterium „Alter“ im Zu-
                                                 nachteilige Auswirkungen auf Verhal-
sammenhang mit der Verteilung wichti-
                                                 ten, Erleben, Lebensqualität und die
ger Ressourcen gesprochen. Über alte
                                                 Gesundheit (nicht nur) älterer Men-
Menschen in pauschalisierender Weise
                                                 schen hat.
zu sprechen, könnte diesem diskrimi-
nierenden Diskurs Vorschub leisten.
Hierbei handelt es sich um eine unge-
rechtfertigte Diskriminierung, die unbe-
dingt vermieden werden sollte.
Impressum

Svenja M. Spuling, Markus Wettstein und
Clemens Tesch-Römer: Altersdiskriminierung
und Altersbilder in der Corona-Krise

Erschienen im April 2020.

Das DZA-Fact Sheet ist ein Produkt der Wis-
senschaftlichen Informationssysteme im
Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA),
Berlin. Das DZA wird gefördert durch das
Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend.

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