DEUTSCHLAND BRAUCHT KEINE KERNWAFFEN - ABER EINE STRATEGISCHE NEUBESINNUNG
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KONTROVERS
/// Contra
DEUTSCHLAND BRAUCHT
KEINE KERNWAFFEN – ABER EINE
STRATEGISCHE NEUBESINNUNG
JOACHIM KRAUSE /// Der vorangegangene Artikel von Christian Hacke ist als Anlass
zu folgender Debatte verstehen: Befinden wir uns in einer neuen internationalen
Lage, in der wir eine grundsätzlich neue strategische Debatte benötigen? Wie ernst
ist die strategische Lage Deutschlands? Welche Bedeutung kommt Kernwaffen in
einer sich wandelnden internationalen Welt zu und was bedeutet das für deutsche Die militärische nukleare Bedrohung steigt derzeit wieder an. Vor allem Russland setzt seine Kernwaffen
Sicherheits- und Verteidigungspolitik? zunehmend als strategisches Druckmittel zur Durchsetzung seiner außenpolitischen Ziele ein.
Einleitung ne geeigneten Trägersysteme, keine na- • Die Bundesrepublik hat sich im Zwei- Deutschland isolieren und vermut-
Christian Hacke vertritt die These, die tionalen Kontroll-, Aufklärungs- und plus-Vier-Vertrag über die abschlie- lich die Einheit der westlichen Alli-
internationale Lage für die Bundesrepu- Führungseinrichtungen, keine sicheren ßende Regelung in Bezug auf anz gänzlich zerstören.
blik habe sich so radikal verändert, dass Abschussplattformen und auch keinen Deutschland dazu verpflichtet, keine • Die ökonomischen Auswirkungen
es Zeit sei über eine unabhängige deut- sicheren und abgelegenen Ort, an dem Kernwaffen und andere Massenver- wären enorm, weil das exportabhän-
sche Nuklearstreitmacht nachzuden- der Bau von Kernwaffen umsetzbar nichtungswaffen zu beschaffen oder gige Deutschland Gegenstand von
ken. Diese These ist nicht neu, sie wur- wäre. zu besitzen. Wenn Deutschland ge- Wirtschaftssanktionen mit massiven
de zuvor auch von Maximilian Terhalle Vor allem sprechen aber rechtliche, gen diese Regelung verstößt, riskiert Einschnitten würde.
aufgestellt und trifft in der Experten- strategische und politische Erwägungen es, dass etwa Russland mit militäri- • Es ist davon auszugehen, dass die po-
community regelmäßig auf ein negati- dagegen: schen Kommandounternehmungen litische Debatte innerhalb Deutsch-
ves Echo. Tatsächlich macht es keinen oder punktgenauen Luftangriffen lands ein derart selbstzerstörerisches
Sinn, eine deutsche Kernwaffenrüstung den Aufbau einer deutschen Kern- Potenzial entfalten dürfte, dass allei-
einzufordern. Diese Option steht dem waffenkapazität zerstören würde und ne dieser Umstand jeden vernünfti-
heutigen Deutschland nicht mehr zur sich dabei auf den Vertrag berufen gen Politiker davon abhalten wird, ein
Verfügung. Es gibt hierzulande keine Eine DEUTSCHE.HUQZDťHQU¾VWXQJ könnte. Dann würde auch kein Bünd- derartiges Projekt ins Auge zu fassen.
Experten mehr, die Kernwaffen herstel- LVWKHXW]XWDJHQLFKWPHKUPDFKEDU nispartner seine Hand für Deutsch-
len könnten (es ist sogar strafbar, sich land rühren. Der Aufsatz von Christian Hacke sollte
an der Konstruktion einer solchen Waf- • Innerhalb des Westens und vor allem aber Anlass sein, sich gründlich mit der
fe zu beteiligen), kein Testgelände, kei- innerhalb Europas würde sich Frage auseinanderzusetzen, inwieweit
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sich das internationale Umfeld Deutsch- Bundesrepublik Deutschland lediglich zu formulieren, der diesen Realitäten
lands verändert hat und welche Anpas- im Rahmen einer funktionierenden libe- gerecht wird. Ziel muss es sein, so viel
sungen der deutschen Außen- und Si- )¾UGLHGHXWVFKH3ROLWLNJLEWHVQXU ralen internationalen Ordnung möglich wie möglich (genauer gesagt: mindes-
cherheitspolitik daraus resultieren soll- QRFKGLOBALE5LVLNHQ ist. Diese Ordnung konnte bislang nur tens das kritische Minimum) von der li-
ten. Tatsächlich hat es in den vergange- unter Bedingungen einer amerikani- beralen internationalen Ordnung zu er-
nen Jahren merkliche Veränderungen schen Hegemonie und einer starken mi- halten. Eine völlige Re-Nationalisierung
gegeben, die die deutsche Politik nicht litärischen Garantierolle der USA funk- der internationalen Beziehungen (und
einfach übergehen kann. Von daher ist tionieren. die damit verbundene Re-Anarchisie-
der Artikel von Christian Hacke als Diese Garantierolle wird unter Präsi- rung der internationalen Politik) würde
Weckruf zu verstehen. Die Debatte dazu Deutschland hilft gerne dabei, Kon- dent Trump aber in Frage gestellt, wenn- Deutschland mit all den Dilemmata und
muss aber breiter und komplexer ange- flikte und Elend in der Welt durch guten gleich Rhetorik und Politik noch weit Problemen konfrontieren, die zwischen
legt sein. Rat und gute Dienste zu überwinden. auseinanderliegen. Ob daraus ein dauer- 1890 und 1945 zu den bekannten
Diese Sichtweise findet sich auch in der hafter Rückzug aus der internationalen schicksalshaften Fehlentscheidungen in
Brauchen wir eine Politik der Bundesregierung wieder. Verantwortung wird, bleibt abzuwarten Berlin geführt haben. Einen ähnlichen
strategische Debatte? Diese verfolgt zunehmend eine Außen- (bzw. zu verhindern). Sollte Trumps Rückfall zu verhindern, muss das über-
Vordergründig gesehen gibt es in der politik, die im Kern therapeutisch ist, krude Rhetorik zu einer fundamentalen geordnete Ziel deutscher Außen- und
heutigen deutschen Politik eigentlich aber keine strategische Richtung mehr und dauerhaften strategischen Neuaus- Sicherheitspolitik werden.
nichts Unzeitgemäßeres, als eine strategi- erkennen lässt. Dieses deutsche Selbst- richtung der US-Politik führen, wäre
sche Debatte führen zu wollen, die sich verständnis basiert auf einer sozialen das gleichbedeutend mit einer Re-Anar-
zudem noch mit militärischen Dingen Konstruktion der Wirklichkeit, die heu- chisierung der internationalen Politik.
und zu allem Überfluss auch noch mit te mehr und mehr in Widerspruch zur Ohne die USA ist eine liberale internati-
Kernwaffen beschäftigt. Die Bundesre- internationalen politischen Realität ge- onale Ordnung bestenfalls noch als (VEHGDUIHQWVSUHFKHQGGHU
publik Deutschland lebt seit dem Ende rät. Je größer diese Widersprüche wer- Restkategorie vorstellbar. Eine derartige QHXHQVWUDWHJLVFKHQ.RQŧLNWOLQLHQ
des Ost-West-Konflikts in der festen Ge- den, umso heftiger wird die soziale Kon- Entwicklung würde die Bundesrepublik einer REALISTISCHEN'HEDWWH
wissheit, dass es keine strategische Kon- struktion der Realität aber in Politik, Deutschland in eine katastrophale Situ-
fliktlage mehr gibt, die die deutsche Si- Medien und Wissenschaft verteidigt, ation bringen, denn auf internationale
cherheit tangiert. Bedrohungen werden denn sie ist tief ideologischer Natur. Anarchie ist dieses Land nicht einge-
im Wesentlichen als globale Risiken be- Tatsächlich gibt es wieder strategi- stellt. Von daher ist es wichtig, eine seri-
griffen. Dazu gehören der Klimawandel sche Konfliktlinien (zu Russland und öse Debatte darüber zu beginnen, wie
und die Umweltzerstörung sowie die Mi- zum Iran) bzw. zeichnen sich neue ab deutsche Politik verhindern kann, dass Wie ernst ist die strategische
gration infolge von Hunger, Dürre und (China-USA). Die vermeintliche Wirk- es zu dieser Entwicklung kommt. Die Lage Deutschlands?
Kriegen. Militärische Instrumente gelten kraft von Multilateralismus, Diplomatie Aussichten dafür sind nicht schlecht, Christian Hacke malt in seinem Artikel
als wirkungslos und kontraproduktiv. und Entwicklungshilfe verblasst zuse- denn das politische Establishment der ein sehr düsteres Bild der Lage Deutsch-
Stattdessen werden multilaterale Ver- hends. Die europäische Integration, auf USA steht hinter dieser internationalen lands, die im Wesentlichen darauf be-
handlungen und Entwicklungshilfe als deren Fortbestehen die deutsche Politik Rolle der USA. Dazu gehört auch das ruht, dass er die amerikanische Sicher-
angemessene Instrumente gesehen, ger- baut, wird durch populistische und na- Establishment der Republikanischen heitsgarantie für Deutschland als nicht
ne auch unter Einbeziehung von Nicht- tionalistische Tendenzen gefährdet. All Partei. Diese Debatte wird bei uns so mehr gegeben betrachtet. Diese Sicht-
Regierungsorganisationen. Kriege kom- diese Entwicklungen werden wahrge- gut wie nicht geführt. Stattdessen gibt weise ist zu pessimistisch. Die von ihm
men nur noch als regionale Phänomene nommen, führen aber zu keiner merkli- es Kritik an den Eskapaden des ameri- beschworene Gefahr besteht zwar
vor. Sie werden als Resultat von Rüs- chen Anpassung in der Politik. Zu der kanischen Präsidenten. durchaus, aber es liegt zu einem Groß-
tungswettläufen und Missverständnis- spezifisch deutschen sozialen Konstruk- Eine strategische Debatte in teil an der deutschen Politik, ob daraus
sen verstanden und können durch diplo- tion der Wirklichkeit gehört auch das Deutschland tut daher not, die sich mit eine reale Bedrohung unserer Sicherheit
matische Vermittlung, den Stopp deut- weitgehende Ignorieren der Tatsache, den neuen Realitäten auseinandersetzt wird oder nicht. Deutschland ist nicht
scher Rüstungsexporte oder durch öko- dass der zivile und multilaterale Ansatz und die versucht einen Neuansatz deut- das neue „Feindbild“ der USA. Tatsäch-
nomische Sanktionen beigelegt werden. der Außen- und Sicherheitspolitik der scher (und europäischer) Außenpolitik lich haben wir einen US-Präsidenten,
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der das ausspricht, was Demokraten wie sung ihrer Wirtschafts- und Sozialpoli- Provokationen (einschließlich unver- in Ulm verpflichtet. Auch trägt sie west-
Republikaner seit Jahrzehnten zu Recht tik vornehmen und die Einführung der hohlener Drohungen mit dem Einsatz liche Sanktionen mit, die nach dem Ab-
bemängeln: Deutschland hat sich in sei- Schengen-Zone, ohne den effektiven von Kernwaffen) sowie die vielfältigen schuss des malaysischen Flugzeugs MH
ner post-modernistischen Sicherheits- Schutz der Außengrenzen der EU gegen Versuche der Wahlbeeinflussung und 17 im Juli 2014 gegen russische Einrich-
und Verteidigungspolitik viel zu sehr illegale Migration und organisierte Kri- Destabilisierung westlicher Staaten und tungen verhängt wurden. Aber insge-
auf andere verlassen und seine Verteidi- minalität. Heute zerfällt in einem Land Gesellschaften sprechen Bände. Russ- samt bleibt ihre Politik widersprüchlich
gung grundlegend vernachlässigt. Von nach dem anderen der europäische Inte- land stellt die zentralen Grundlagen der und zögerlich. Es ist keine Strategie des
daher ist das Vernünftigste, was die grationskonsens. Mit Großbritannien liberalen internationalen Ordnung in Umgangs mit Russland zu erkennen,
deutsche Politik derzeit tun kann, ernst- scheidet demnächst die zweitgrößte Frage: das Gewaltverbot, die Anerken- insbesondere nicht was den Einsatz
haft dafür zu sorgen, dass die deutschen Volkswirtschaft aus der Union aus, Itali- nung der gleichen Souveränität für alle ökonomischer Druckmittel und militä-
Verteidigungslasten auf ein Niveau an- en, die viertgrößte Volkswirtschaft ist Staaten sowie das Verbot der gewaltsa- rischer Instrumente betrifft.
steigen, welches den zugesagten 2 % des auf einem ähnlichen Weg, und Polen, men Veränderung von Grenzen. In SPD und Union werden zudem
Bruttoinlandsproduktes entsprechen. Tschechien, Ungarn, die Slowakei, Bul- In der Wissenschaft herrscht weitge- teilweise fragwürdige Bedenken gegen
Diese Summe ist im Übrigen auch not- garien und Rumänien entfernen sich hend Übereinstimmung darüber, dass die fortgesetzte Politik der Sanktionen
wendig, wenn die Bundeswehr all die sichtbar aus dem europäischen Kon- die Ursache dieser Politik innenpoliti- geäußert. Die versprochene führende
Verpflichtungen erfüllen will, die sie in sens. Eine deutsche Initiative mit dem scher Natur ist. Das heutige Russland Rolle bei der Verteidigung der balti-
der NATO bis 2024 eingegangen ist. Versuch, einen neuen europäischen wird von einer kleptokratischen Macht- schen Staaten erfordert zusätzliche Ver-
Das, was derzeit am Vernünftigsten er- Konsens zu begründen, ist nicht abzuse- vertikale beherrscht, die ihre mangelnde teidigungsausgaben, die die SPD ab-
scheint, ist im heutigen Berlin allerdings hen. Es gibt nicht einmal einen politi- innenpolitische Legitimität durch au- lehnt. Und das von der Bundeskanzlerin
politisch nicht durchsetzbar. Die Regie- schen Ansatz in diese Richtung. Dabei ßenpolitische Aggressivität und Aben- verkündete Bemühen um die Verringe-
rungspartei SPD besteht auf niedrigen wäre dies notwendiger denn je. teurertum kompensiert. Damit sind er- rung der Abhängigkeit von russischen
Verteidigungslasten und begründet das hebliche Risiken verbunden, denn eine Gas- und Öllieferungen wird durch den
mit dem angeblichen Rüstungswettlauf, derartige Politik sucht begrenzte Kon- Bau einer zweiten Gas-Pipeline von
den Deutschland ansonsten auslösen flikte, um territoriale und materielle Ge- Russland nach Deutschland durch die
würde – ein absurdes und populisti- winne zu erzielen und um die Heroisie- Ostsee (Northstream 2) konterkariert.
sches Argument. Auf Seiten der Union 'HU(UKDOWGHVEUROPÄISCHEN rung der politischen Führung zu betrei- Die Bundesregierung steht auch der
gibt es keine Kraft, die auf einen klaren .RQVHQVLVWH[LVWHQ]LHOOZLFKWLJ ben. Dabei setzt sie auf zögerliches Ver- dauerhaften Stationierung alliierter
Kurs drängt. Von daher gehen wir se- halten und die mangelnde Einigkeit Truppen in den baltischen Staaten, was
henden Auges in eine transatlantische westlicher Politik und tendiert dazu, die beste Versicherung gegen eine russi-
Krise, die vermeidbar wäre und an de- immer größere militärische Risiken ein- sche Aggression wäre, ablehnend gegen-
ren Ende die sicherheitspolitische Isola- zugehen. Letzteres ist das, was heute über. Stattdessen scheint sie davon aus-
tion Deutschlands drohen kann. dazu beiträgt, dass es in Europa wieder zugehen, dass man durch Gespräche
Aber auch in anderen Bereichen Ein weiterer Bereich, in dem sich eine reale Kriegsgefahr gibt. und Beschwichtigung die russische Poli-
kann deutsche Politik dazu beitragen, entscheidet, ob die liberale internationa- Die Politik der Bundesregierung und tik grundsätzlich ändern könne – bis-
dass die internationale Ordnung erhal- le Ordnung eine Zukunft hat, ist der der sie tragenden Parteien hat auf die lang aber ohne großen Erfolg.
ten bleibt. Das betrifft vor allem die Eu- Umgang mit Russland. Die politische von Russland ausgehende Bedrohung
ropapolitik. Die Europäische Union ist Führung in Moskau sucht den strategi- der internationalen Ordnung nur sehr
in der tiefsten Krise ihrer Existenz und schen Konflikt mit dem Westen und for- zögerlich reagiert. Die Bundesregierung
es ist nicht sicher, ob diese Union in dert die liberale internationale Ordnung hat sich im Rahmen der NATO zu einer
zehn Jahren noch handlungsfähig ist grundsätzlich heraus. Die Besetzung aktiven Rolle bei der Aufstellung einer 'LHGHXWVFKH3ROLWLNJHJHQ¾EHU
oder ob es sie überhaupt noch geben und Annexion der Krim, die hybride In- schnell verlegbaren Truppe zum Schutz GHUUXVVLVFKHQ.RQŧLNWVWUDWHJLHLVW
wird. Die Hauptprobleme sind alle vasion in der Ostukraine, der Ausbau der baltischen Staaten, zur Führung ei- ZÖGERLICHXQGYHUKDOWHQ
hausgemacht: Die Einführung des Eu- einer Invasionsfähigkeit gegenüber den nes multinationalen Bataillons in Litau-
ros, ohne sicherzustellen, dass die betei- baltischen NATO-Staaten, Schweden en und zur Unterstützung des neuen
ligten Staaten die notwendige Anpas- und Finnland, die vielen militärischen Joint Support and Enabling Commands
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Neben diesen sehr stark auf Europa Leider sind nukleare Risiken wieder derts gibt, als die Sowjetunion Mittel- ohne dass die Pershing II Raketen zu
und die transatlantische Welt bezoge- im Anstieg begriffen. Das hängt nicht streckenwaffen des Typs SS-20, mit de- einem nuklearen Erstschlag fähig ge-
nen strategischen Entwicklungen spielt mit dem immer wieder beschworenen nen sie Ziele in Europa direkt bedrohen wesen wären. Es ging beiden Seiten um
natürlich auch noch das breitere inter- mutmaßlichen „Rüstungswettlauf“ zu- konnte, aufstellen ließ. Diese Raketen Eskalationsdominanz, allerdings mit
nationale Geschehen eine Rolle, insbe- sammen, sondern damit, dass Russ- sollten der sowjetischen Seite die Mög- völlig unterschiedlicher Zielrichtung.
sondere der Aufstieg Chinas zu einer land Kernwaffen wieder eine militäri- lichkeit eröffnen, im Rahmen der da- Der Sowjetunion ging es um die Kont-
Globalmacht sowie die Krise der arabi- sche Rolle zukommen lässt, deren Um- mals geplanten kontinentalen Offensi- rolle über den Ausgang eines von ihr
schen und auch der weiteren muslimi- setzung destabilisierend wirkt. Solange voperation des Warschauer Paktes (ge- begonnenen umfassenden Angriffs-
schen Welt und die Strukturkrisen Afri- Kernwaffen nur die Funktion haben, nauer gesagt: der militärisch bis ins krieges in Europa. Der NATO ging es
kas. Jede dieser Entwicklungen ver- ein Land vor einer Invasion zu schüt- kleinste Detail geplanten Eroberung der darum, einen ihr aufgezwungenen Ver-
schärfen die ohnehin bestehenden Prob- zen, sind diese nicht nur unschädlich, Bundesrepublik Deutschland, der Bene- teidigungskrieg zu eigenen Bedingun-
leme für die Aufrechterhaltung einer in- sondern fördern den Frieden. Wenn lux-Staaten, Jugoslawiens, Österreichs, gen so rasch wie möglich zu beenden
ternationalen Ordnung noch. aber ein Kernwaffenstaat wie Russland Italiens, Griechenlands, Dänemarks, und den Status quo ante ohne den Ver-
Zusammenfassend lässt sich festhal- seine nuklearen Mittel nutzt, um ande- Norwegens, Schwedens und der Türkei) lust territorialer Integrität wiederher-
ten, dass die internationale Ordnung re Länder damit zu bedrohen oder ge- über ein nukleares Erpressungspotenzi- zustellen.
und das durch sie gebildete kooperative waltsam Grenzen verändert und jeden al zu verfügen. Damit sollte die Ab- Heute ist die Lage insofern grundle-
Umfeld der deutschen Außenpolitik ge- Versuch der Wiederherstellung des Sta- schreckungsstrategie der NATO unter- gend anders, als dass Russland nicht
fährdet sind. Dabei bestehen vielfältige tus quo ante unter eine nukleare Be- laufen werden. die Fähigkeit zu einer kontinentalen In-
Spielräume für eine deutsche Politik, drohung stellt, dann ist ein Punkt er- Es ging der Sowjetunion darum, vasion besitzt. Insbesondere sind keine
die den Verfall des kooperativen Umfel- reicht, an dem Kernwaffen wieder zu den erweiterten nuklearen Abschre- 20 russischen Divisionen in der Mitte
des verhindern oder in seinen Konse- einer erheblichen Bedrohung werden. ckungsverbund der USA für Westeuro- Europas stationiert und der Warschau-
quenzen mindern können. Diese Spiel- Darauf muss sich auch die deutsche Po- pa durch „Entkopplung“ unwirksam er Pakt ist längst Geschichte. Russland
räume werden durch die deutsche Au- litik einstellen. Die allgemeine Ab- und unglaubwürdig zu machen. Im hat sich im vergangenen Jahrzehnt aber
ßenpolitik aber nicht genutzt. Stattdes- schaffung von Kernwaffen zu fordern Falle eines raschen oder auch nur teil- erneut eine, regional auf den nördlichen
sen wird die deutsche Politik durch Zö- ist dabei die leichteste aller Optionen weisen operativen Erfolgs der Offensi- Ostseeraum und die Ukraine begrenz-
gerlichkeit, Widersprüchlichkeit und – nur ist sie noch weniger realistisch als ve hätten die SS-20 Raketen Moskau te, militärische Invasionsfähigkeit auf-
Beschwichtigung gekennzeichnet und die Forderung nach deutschen Kern- die Möglichkeit gegeben, europäische gebaut, die in den baltischen NATO-
verfällt zunehmend in einen unreflek- waffen. Das Beharren darauf hilft den Hauptstädte oder wichtige Einrichtun- Staaten sowie in Finnland und Schwe-
tierten friedenspolitischen Populismus, absehbaren Sicherheitsbedrohungen gen der NATO direkt mit selektiven den zurecht als existenzielle Bedrohung
bei dem bequeme Lösungen für kom- nicht ab. Nuklearschlägen zu bedrohen. Anstel- ihrer territorialen Sicherheit angesehen
plexe und schwierige Probleme gesucht le der beabsichtigten vorbedachten Es- wird. Es gibt derzeit keine vergleichba-
werden. kalation der NATO gegen einen An- ren Streitkräfte der NATO vor Ort, die
griffskrieg des Warschauer Paktes wä- dem entgegenwirken könnten. In Mos-
Welche Bedeutung kommt Kern- ren die europäischen Regierungen vor kau scheint in diesem Zusammenhang
waffen in einer sich wandelnden 5XVVODQGVHW]WVHLQH.HUQZDťHQ die Wahl gestellt worden, entweder zu die gleiche strategische Überlegung vor-
internationalen Welt zu? in DESTABILISIERENDER:HLVHHLQ kapitulieren oder die eigene Zerstö- herrschend geworden zu sein, die in
Wenn sich die internationalen Bezie- rung zu riskieren. Die NATO reagierte den 70er-Jahren zur Beschaffung von
hungen weiter verschlechtern, bedeutet mit der Aufstellung eigener, landge- SS-20 Raketen führte. Um territoriale
das, dass auch das kooperative, liberale stützter Mittelstreckenwaffen (Per- Gewinne absichern zu können, werden
internationale Umfeld der Bundesrepu- shing II und Cruise Missiles). Ziel war Kernwaffen mittlerer Reichweite dislo-
blik Deutschland weiter verfällt. Wie es. das Kalkül der sowjetischen Seite ziert, die Russland Eskalationsdomi-
muss man dann mit nuklearen Risiken Tatsächlich besteht derzeit in Euro- zu durchkreuzen. Dabei sollte das Ter- nanz verschaffen, etwa um eine Rück-
und Bedrohungen umgehen? Diese Fra- pa eine militärische Lage, wo es durch- ritorium des Landes nicht ausgespart eroberung der baltischen Staaten durch
ge ist unbequem, aber sie zu stellen, ist aus Ähnlichkeit mit der Situation in den bleiben, welches für die Eröffnung des die NATO zu verhindern. Diese Waffen
unumgänglich. 70er-Jahren des vergangenen Jahrhun- Krieges verantwortlich gewesen wäre, erlauben es, europäische Regierungen
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oder militärische Einrichtungen der Was bedeutet das für die einer Debatte über die Anpassungen im tung wäre der schnellste Weg zur Zer-
NATO direkt mit Kernwaffen zu bedro- deutsche Sicherheits- und Bereich der Abschreckungsdoktrin der störung dieser kooperativen Strukturen
hen. Damit kann Moskau im Bedarfs- Verteidigungspolitik? NATO. und würde die befürchtete Re-Anarchi-
fall die Europäer vor die Wahl stellen, Mit dieser neuen nuklearen Bedrohung sierung der internationalen Beziehun-
entweder russische Eroberungen zu ak- muss sich auch die deutsche Politik aus- Ausblick gen beschleunigen. Zudem ist die Opti-
zeptieren oder einen Kernwaffenkrieg einandersetzen. Das Problem löst man Es besteht die reale Gefahr, dass sich on eigenständiger deutscher Kernwaffen
zu riskieren. nicht, indem man die Gefahr eines Rüs- das geordnete und kooperative Umfeld aus völkerrechtlichen, technischen und
tungswettlaufs beschwört und haupt- der Bundesrepublik fundamental ver- politischen Gründen nicht realisierbar.
sächlich die USA für die Eskalation ver- schlechtert und der kooperativen Au- Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass
antwortlich macht. Notwendig ist eine ßenpolitik Berlins der Boden unter den eine politisch-strategische Debatte über
realistische, an den tatsächlichen Bedro- Füßen weggezogen wird. Die Hauptge- den derzeitigen strategischen Wandel
0RVNDXVHW]WPLWWOHUZHLOH hungen orientierte und von strategi- fährdungen sind der Zerfall der Atlanti- und seine Folgen überfällig ist und dass
DXIHLQHREGIONALEPLOLW¦ULVFKH schem Fachverstand begleitete Politik, schen Allianz, die Desintegration der diese Debatte auch nukleare Fragen ein-
,QYDVLRQVI¦KLJNHLW die auch der Öffentlichkeit reinen Wein Europäischen Union sowie die zuneh- beziehen muss. Es ist aber nicht ratsam,
einschenkt und sich nicht hinter Flos- mende Militarisierung der Politik Russ- einen separaten deutschen Weg zu einer
keln verbirgt. lands. Hinzu kommen die direkten und Kernwaffenrüstung einzuschlagen. Im
Eine derartige Auseinandersetzung indirekten Folgen des Aufstiegs Chinas Gegenteil, dadurch würden die heutigen
sollte im Rahmen der NATO erfolgen und der sich abzeichnenden Rivalität Probleme nur noch verschärft. ///
und darf nicht im deutschen Alleingang zwischen China und den USA. In dieser
Diese Fähigkeiten legt sich Russland passieren. Die NATO (und damit auch Situation gibt es eine Vielzahl von vor-
derzeit durch die Einführung einer neu- die Bundesregierung) wird sich mit der nehmlich politischen Optionen deut-
en U-Boot Klasse (Jasen bzw. Severod- neuen russischen Herausforderung im scher Politik diesen Verfall aufzuhalten.
vinsk), die nuklearfähige Marschflug- Bereich von nuklearen und konventio- In erster Linie muss Deutschland die
körper vom Typ Kalibr 3M14 mit sich nell bestückten Mittelstreckenraketen Stabilisierung der nordatlantischen Alli-
tragen, zu. Diese Marschflugkörper las- befassen und entsprechend reagieren anz durch eine Politik betreiben, die bei
sen sich auch von Überwasserschiffen müssen, und zwar effektiv und maßvoll. Verteidigungslasten einen größeren
einsetzen. Damit wird es dem russi- Dazu bedarf es voraussichtlich keiner Ausgleich herstellt. Zudem muss
schen Militär möglich, aus unterschied- Stationierung amerikanischer Mittel- Deutschland viel energischer als bislang /// PROF. DR. JOACHIM KRAUSE
lichen Seegebieten heraus Ziele in Nord- streckenraketen auf deutschem Boden, geschehen eine Reform der Europäi- ist Direktor des Instituts für Sicherheits-
und Mitteleuropa punktgenau anzu- aber es bedarf intensiver Bemühungen schen Union betreiben, die der Gefahr politik an der Universität Kiel.
greifen (nuklear oder konventionell). zur Verbesserung der Raketenabwehr des Zerfalls entgegenwirkt. Drittens
Des Weiteren geschieht dies durch die gegen ballistische Mittelstreckenrake- muss Deutschland der durch Russland
Verlegung von nuklearfähigen Iskander- ten und vor allem gegen schnelle und ausgehenden Gefahr der Zerstörung der
M Raketen mit einer Reichweite von agile Marschflugkörper. Es bedarf auch internationalen Ordnung viel entschlos-
knapp 500 km in den Bezirk Kalinin- sener gegenübertreten als bislang ge-
grad. Diese können nicht nur Warschau, schehen. In diesem Zusammenhang ist
sondern auch Berlin erreichen. Die seit auch die neue eurostrategische Bedro-
einigen Jahren von der NATO ange- hung durch russische Mittelstrecken-
mahnte Verletzung des INF-Vertrags 'LHGHXWVFKH6LFKHUKHLWVXQG waffen zu thematisieren. Deutschland
durch Russland im Wege der Einfüh- 9HUWHLGLJXQJVSROLWLNVROOWHZHLWHU kann diese Optionen nur nutzen, wenn
rung des neuen Marschflugkörpers LQ=XVDPPHQDUEHLWPLWGHU1$72 es sich innerhalb der eingespielten und
Iskander K (9M729) vervollständigt das VWHKHQ noch funktionierenden transatlanti-
Bild einer neuen nuklearen Herausfor- schen und der europäischen Strukturen
derung der europäischen Sicherheit bewegt. Ein deutscher Alleingang in
durch Russland. Richtung einer eigenen Kernwaffenrüs-
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