Anhörung der PDS-Landtagsfraktion - Erfurt am 15.03.05 - 9.30 bis 15:00 - Funktionsgebäude des Thüringer Landtages

 
WEITER LESEN
1. Anlaufphase des ALG II
                                             -Bewertungen und Erfahrungen -

             Anhörung der PDS-Landtagsfraktion – Erfurt am 15.03.05 - 9.30 bis 15:00 –
                           Funktionsgebäude des Thüringer Landtages

                   Moderation: Arbeitsmarktpolitische Sprecherin der PDS –MdL Ina Leukefeld

Anzuhörende:
Vertreter der Bundesagentur für Arbeit, ARGE Suhl und Nordhausen, der Stadtverwaltung Jena
(Optionsmodell), von Gewerkschaften, Krankenkassen, Trägern von Jugendbildungseinrichtungen,
Betroffeneninitiativen und Selbsthilfegruppen, Sozialdezernten aus Gera und dem Landkreis
Nordhausen,

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------

Ziel der Veranstaltung:
Sie soll Langzeitfolgen und Schwachpunkte der neuen Sozialgesetzgebung erfassen und einer geplanten
Berichterstattung im Landtag Argumente liefern.

PDS-Position: Die Agenda 2010 löst nicht das Problem der Massenarbeitslosigkeit. Es werden mit der
Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe und der Einführung des ALG II keine neuen
Arbeitsplätze geschaffen und nur Druck auf vorhandene Beschäftigungsverhältnisse ausgeübt. Die
Binnennachfrage sinkt weiter, und die Auftragslage in der Wirtschaft, im Handel und Dienstleistungsbereich
geht weiter zurück. Die soziale Schieflage verstärkt sich immer mehr. Die Arbeitslosenhilfeempfänger werden
auf das Sozialhilfe-Niveau „abgedrückt“. „Hartz IV bekämpft nicht die Arbeitslosigkeit, sondern die
Arbeitslosen.

Gesamteindruck: Der Teilnehmerkreis war groß und kam aus unterschiedlichen Erfahrungsbereichen.
Dadurch wurde das brisante Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. In Einzelpositionen gab
es verständlicherweise viele Differenzen. Bei der Bewertung von Auswirkungen und organisatorischen
Abläufen trafen sich jedoch Grundhaltungen, Kritiken und Erfahrungen. 5 Fragen waren vorgegeben. Diese
wurden von den einzelnen Teilnehmern unterschiedlich abgegrenzt beantwortet. Aus Platzgründen sollen nur
„Grundbotschaften“ wiedergegeben werden. Dies kann nicht lückenlos geschehen, weil manche sehr leise
und schnell gesprochen haben. Von der PDS-Landtags-Fraktion ist ein Reader geplant. Dieser soll die
Manuskripte der Anhörungsbeiträge enthalten. Sicherlich ist er noch genauer und umfangreicher als die
kurze Nachzeichnung.

Fragen:

1. Wie bewertet Ihr(e) Verband/ Verein/ Organisation/ Institution/ Verwaltung den Start und die
   Umsetzung des Sozialgesetzbuches II (SGB II)?
2. Welche Probleme haben sich bisher gezeigt? Wo sind Nachbesserungen am SGB II nötig?
3. Welche Erfahrungen hat Ihr(e) Verband/ Verein/ Organisation/ Institution/ Verwaltung bei der
   Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Beschäftigung unter den neuen Rahmenbedingungen gemacht?
4. Welche Erkenntnisse und Erfahrungen hat Ihr(e) Verband/ Verein/ Organisation/ Institution/
   Verwaltung bei der Umsetzung des Rechtsanspruches Jugendlicher unter 25 Jahren auf unverzügliche
   Vermittlung in Arbeit, Ausbildung oder eine Arbeitsgelegenheit (§3 Abs. 2 SGB II)?
5. Welche sozialen und ökonomischen Auswirkungen hat aus Sicht Ihres(r) Verbandes/ Vereines/
   Organisation/Institution/ Verwaltung das SGB II?

                                                                                                                                    1
Bundesagentur für Arbeit – Herr Lehmann
Bei der Umsetzung des SGB II war Hauptschwerpunkt erst einmal, das Geld ohne Probleme
auszuzahlen. Die wachsende Anzahl der Widersprüche erforderten weiteren Arbeitsaufwand. Problem:
Alle Änderungen bewirken Änderungen in der Leistungsgewährung. Ziele sind die Leistungsgewährung
und die Überwindung der Hilfebedürftigkeit durch die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung. Arbeitsplätze auf dem 1. Arbeitsmarkt fehlen. Die 1,-€ -Jobs bilden die unterste
„Auffanglinie“. Es besteht jedoch die Gefahr, dass diese Feststellen verdrängen. Angebote für
Jugendliche sind vorrangig. Bis Ende 2005 soll kein Jugendlicher länger als 3 Monate arbeitslos sein.
Problem: Ein hoher Prozentsatz von Jugendlichen absolvieren Ausbildungen und erhalten danach keine
Anstellungen. (60%).
Kritikpunkte:
1. Es fehlt die Nachfrage nach qualifizierten Kräften durch die Wirtschaft.
2. Die differenzierte Grundsicherung von Ost und West-Deutschland ist nicht angemessen
3. Der Zuverdienst muss anders gestaltet werden. Für Ostdeutschland ist der Niedriglohnsektor
     relevant. Es gibt aber bei großen Unternehmen keinen großen Bedarf an solchen Beschäftigungen.
     Der Anreiz muss hier verbessert werden.
4. Die rechtliche Absicherung der ARGE ist unzureichend. Täglich gibt es neue Bestimmungen für
     Jugendliche. Juristischer Nachbesserungsbedarf ist entstanden.
5. Beiräte mit kompetenten Partnern müssen installiert werden.
6. Die wirtschaftliche Stabilisierung, ein anderes Investitionsklima und die Nachfrage nach
     Dienstleistungen sind nötig.
Es fehlen Projekte für Jugendliche und Regionalvereinbarungen mit Zielorientierungen. Öffentlich
geförderte Beschäftigung sollte keine Arbeitsplätze auf dem 1. Arbeitsmarkt vernichten/verdrängen.

Sozialamt Gera – Frau Grünwald
Es gab viele ungeklärte Fragen. Der Start ist mit der Zahlbarkeit der Leistungen gelungen. Ein Beirat
wurde an der ARGE in Gera installiert. Der tagt am 04.04.05 zum ersten Mal. Während im Job-Center
Leistungsprämien für die außergewöhnlichen Arbeitsbelastungen an die Mitarbeiter/innen gezahlt
wurden, konnte die Stadtverwaltung Gera keine Prämien gewähren. Es gab eine große Unsicherheit bei
schnell geschulten Mitarbeiter(inne)n. Die Vorbereitungen waren unterschiedlich, jedoch mit hohem
Qualifikationsbedarf. Durch das System der Bearbeitung von einer hohen Anzahl an Anträgen gab es
Irritationen durch die Kurzfristigkeit der Bescheide. Das Verfahren für die Folgeanträge wurde
vereinfacht. Die Bewilligungszeiten sollen erweitert werden, um einer hohen Fehlerquote vorzubeugen.
Ein Problem: Die Bescheide sind nicht erklärbar. Sozialdaten für die Sozialplanung fehlen noch. Die
unterschiedlichen Regelleistungen in Ost und West sind nicht begründbar. Fälle der Resozialisierung
sind ganz schwierig zu bewerten. Die Feststellung der Erwerbsfähigkeit bereitet Probleme, z.B.: bei
Behinderten. Beschäftigte in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen gelten nicht als
erwerbsfähig, weil ihre Einrichtungen nicht zum 1. Arbeitsmarkt zählen. Rententräger müssten über
Erwerbsfähigkeit an neutraler Stelle entscheiden.         Die Arbeitsgelegenheiten begründen keine
Arbeitsverhältnisse. Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis gelten nicht als erwerbsfähig. Vor-Ort-
Maßnahmen       müssen     öffentlich  ausgeschrieben    werden.   Dadurch    gibt  es   aber   keine
Einflussmöglichkeiten. Bei Nichtsesshaften ist die Einordnung schwierig. Bisherige Erfahrungen in der
Vermittlung von Langzeitarbeitslosen: Der 1. Arbeitsmarkt klemmt. Durch die Gesundheitsreform und
jetzt Hartz IV geht ein gewaltiger sozialer Umbruch vor sich. Es erfolgt keine Vermittlung von
Langzeitarbeitslosen in dauerhafte Beschäftigungen. Verschiedene Systeme greifen ineinander über.
Dadurch entstehen Blockaden und Reibungen. Bei der Eingliederung von Jugendlichen sind die
Möglichkeiten begrenzt. ABM werden nur für Menschen mit Behinderungen eingesetzt. Mit den
Arbeitsgelegenheiten gibt es zum Teil gute Erfahrungen, im Minimum sogar Festanstellungen.
Soziale Auswirkungen: Ein menschenwürdiges Leben wird eingeschränkt. Stigmatisierungen sind die
Folge. Essengeld kann von Schülern und von Eltern in Kindergärten nicht mehr gezahlt werden. 20% ist
die Quote der Essenteilnehmer/innen an Schulen. Das Land hat dafür die Zuschüsse abgeschafft.
Kommunen können das nicht ausgleichen. Die Regelleistungen der Grundsicherung entsprechen nicht
den tatsächlichen Lebenshaltungskosten.
Ein Leistungsmissbrauch ist schwierig aufzudecken. Volkswirtschaftliche Auswirkungen des SGB II:
Konsumrückgang durch die Reduzierung von Einkommen. In den Kommunen wachsen dadurch die
Ausgaben. Bei den Kosten für Unterkunft, Heizung, KITAS und Horte sind Mehrkosten entstanden. Auf
die Kommunen kommen neue Schwierigkeiten zu. Die ABS-Gesellschaften sollen nicht mehr gefördert
werden. Der Gesundheitszustand der ALG-II-Empfänger wird sich verschlechtern, weil kein Geld für die
Gesundheitsvorsorge angewendet werden kann.

                                                                                                   2
Sozialdezernentin von Nordhausen (Name wurde leider nicht verstanden) und ARGE-Vertreter
Im Landkreis Nordhausen gibt es 6500 Bedarfsgemeinschaften mit 10 000 Menschen. Der ARGE-
Vertreter ist kommunaler Geschäftsführer. Die ARGE haben bis jetzt noch keine vorgegebenen, nur
internen, auf die lokalen Gegebenheiten abgestimmten Zielvereinbarungen, damit aber auch
Gestaltungsmöglichkeiten. Mit viel Engagement wurde ein guter Vorlauf geschaffen – trotz des engen
Zeitraumes. Die organisatorische Umsetzung war schwierig. Der Verwaltungsaufwand ist enorm. Jetzt
gibt es eine funktionierende Widerspruchstelle. Die Widersprüche wurden eingeteilt in Kritiken am
politischen und juristischen Nachbesserungsbedarf und an fehlerhaften Bescheiden. Die Einbindung
des ARGE-Beirates funktioniert gut. Die ARGE selbst ist eine schwierige Konstruktion mit 3
Fachaufsichten und 2 verschiedenen Personalgruppen und unterschiedlichen Tarifen und
Unterstellungen.     Dabei traten unterschiedliche Weisungsgrenzen auf und Probleme beim
Finanztransfer.   Die     ARGE-Modelle   entwickeln   sich   unterschiedlich.  Es    gibt   geringe
Einkommensfreiräume. Jede Veränderung führt zu neuer Leistungsberechnung. Das ist mit ständigem
Stress und viel Unruhe verbunden. Die Richtlinien für Unterkunft und Heizung sind praktikabel. Die
Leistungsempfänger werden individuell betreut. Kleine Maßnahmen von Arbeitsgelegenheiten finden
Akzeptanz. Auf Jugendliche sind die Fallmanager gut vorbereitet. Es gibt halbjährliche
Trainingsmaßnahmen.
Sozialökonomische Auswirkungen: Die Jugendlichen lösen sich aus ihren Familien. So reichen in
Nordhausen kleine Wohnungen nicht mehr aus.
Der Regelungsbedarf bei privaten Krankenversicherungen und Lebensgemeinschaften ist akut.

ARGE Suhl – Herr Grauling
Die Arbeitsgemeinschaft ist klein. Sie hat 34 Mitarbeiter/innen, davon 18 aus der Kommune. Das
Gebäude der Agentur für Arbeit verfügt über eine gute Ausstattung. Eine umfangreiche Vorarbeit war
nötig. Jetzt gibt es einen enormen Nachschulungsbedarf. Seit Januar steht die Leistungsgewährung im
Mittelpunkt. Der nächste Schritt sollte eigentlich die Vermittlung sein. (Fordern und Fördern). Aber die
Arbeitsmarktlage ist schwierig. Durch Auspendler gibt es in der Region eine geringfügige Entlastung. Mit
Jugendlichen sind Eingliederungsvereinbarungen geplant. Die Zuverdienste müssten voll gewährt
werden, nicht nur prozentual. Das Rechenprogramm macht die Erläuterungen schwierig. Die Bescheide
sind nicht selbst erklärend. Zur Vermittlung von Langzeitarbeitlosen können noch keine Aussagen
gemacht werden. Bei Jugendlichen bis 25 Jahren wurde die Erfahrung gemacht, dass diese aktiviert
werden müssen. Bei Jugendlichen über 25 Jahren wird in der Realität kein krasser, schematischer
Schnitt vorgenommen. Die Betreuung bleibt intensiv. Fallmanager haben sich auf Probleme Jugendlicher
spezialisiert. Es gibt in den Kommunen Projekte des SGB II und III, das heißt 52 Maßnahmen mit 250
Teilnehmer/inne/n. Trotzdem besteht noch ein Handlungsbedarf für die Konzeption von
Arbeitsgelegenheiten bei den Beschäftigungsgesellschaften: Projekte der Verbesserung der Infrastruktur
und Vergabe-ABM. Es gibt viele Problemfälle von Jugendlichen ohne Berufsabschlüsse. Insgesamt
betreut die Suhler ARGE 180 Jugendliche, mit denen sie 120 Eingliederungsvereinbarungen hat.
Jugendliche, die nicht bereit sind, sich ausbilden zu lassen, kommen in Berufsvorbereitungsprojekte mit
1,- € - Jobs und qualitativen Inhalten. Diese Projekte wurden von der Stadt Suhl übernommen. 6
Monate mit Lerninhalten stehen hier im Vordergrund. Verbunden ist alles mit einer Sozialbetreuung und
dem Nachholen von Berufsabschlüssen. Zwischen unterschiedlichen Ausbildungsrichtungen
(Dienstleistungen, Metall- und Holzbereiche) kann ausgewählt werden. Es fehlen auf dem 1.
Arbeitsmarkt Ausbildungsstellen mit Perspektiven für feste Anstellungen. Dieses Defizit wird durch die
Sozialgesetzgebung nicht ausgeglichen. Sie hat damit nur eine Feuerwehrfunktion.

Optionsmodell Jena – (alles in einer Hand bei der Kommune) – Herr Kühmstedt
Da die Stadtverwaltung Jena nicht mit der Agentur für Arbeit klar kam in den Vorgesprächen und
Verhandlungen, entschied sie sich für das Optionsmodell wegen der einfacheren Zuständigkeiten und
besserer Anwendung von Förderkriterien. Der Vorteil hierbei ist, dass es bei der Einführung des SGB II
weniger Reibungspunkte gibt. Die Crash-Kurs-Vorbereitungen reichten jedoch nicht aus. Es mussten
das alte Sozialhilfeprogramm umgebaut und Programme „Hilfe zur Arbeit“ übernommen werden. Erst in
1-2 Jahren ist die Reform handhabbar. Eine statistische Erfassung gestaltet sich schwierig.
Nichtsesshafte wurden vergessen. Schwierigkeiten gab es bei der Krankenversicherung. Die
Schulungsmaßnahmen müssen fortgeführt werden. Viele Änderungen bringen die Begleitgesetze mit
sich. Erfahrungen bei der Vermittlung von ALG-II-Empfängern: Im Beirat sind Vertreter der Wirtschaft,
der LIGA Freier Wohlfahrtspflege, der Gewerkschaften und der Stadtratsfraktionen. Die Kommunen
werden nicht finanziell entlastet. Bei den Jugendlichen bis 25 Jahre erfolgt eine Intensivbetreuung.
Probleme dabei: hier handelt es sich um eine „0“-Bock-Generation. Die Belastbarkeit ist schwer zu
erfassen. Medizinische Dienste, die dies erfassen, gibt es noch nicht. Gesundheitsämter sind nicht
vorbereitet. Sie müssten besser einbezogen werden. Eingliederungsvereinbarungen wurden dadurch
erschwert. Es gibt einen Rückstand bei den organisatorischen Vorbereitungen. Die Zahl der Armen
nimmt zu. Ehemalige Beihilfen in der Sozialhilfe fallen weg. Die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von
Maßnahmen sollte mehr in den Blick gerückt werden. Vorschlag: kurze, auf den Bedarf abgestimmte
Arbeitsgelegenheiten.

                                                                                                      3
DGB Thüringen – Steffen Lemme
Er ist Mitglied der ARGE in Gotha. Dort erlebte er ein heilloses Durcheinander und eine chaotischen
Umsetzungsstand.       Der organisatorische Leistungsstand der ARGEN ist jedoch in den Orten
unterschiedlich. Bei den Leistungsbescheiden gab es viele Kritikansätze und Probleme bei der
Zuordnung des Personenkreises. Im Umgang mit alten und benachteiligten Menschen traten viele
Unsicherheiten auf. Die Integrationsmaßnahmen greifen nicht. Der Druck auf die Beschäftigten und
Arbeitslosen steigt. Die soziale Infra-Struktur verfällt und die Kaufkraft sinkt weiter.

Paritätischer Wohlfahrtsverband – Frau Fiedler
Beim Stand des SGB II gibt es kein Gleichgewicht von Fördern und Fordern. Mit den ARGE bestehen
gute Kooperationen. Als Problem erweist sich, dass Einrichtungen in absehbarer Zeit geschlossen
werden müssen. Das Fallmanagement stellt die Freiwilligkeit bei den Arbeitsgelegenheiten in den
Vordergrund. Die Einsatzfelder sind oft anspruchsvoll. Jugendlichen sollten unverzüglich Angebote für
Arbeitsförderungsmaßnahmen und Arbeitsgelegenheiten gemacht werden.

Arbeiterwohlfahrt – Frau Dornau
Es fehlen bei einigen ARGE noch die Beiräte. Einige von ihnen schalteten Call-Center ein. Suchtkranke
werden unsicher behandelt. Die Kreditbelastung bei Eigenheimbesitzern erweist sich als großes Problem.
Hier sind aber die gesetzlichen Vorgaben eindeutig. Jeder Landkreis regelt selbst die Konditionen für die
anfallenden Kosten von Unterkunft und Heizung.

Vertreterin der Arbeitsloseninitiativen
Diese waren eingebunden in das Beratungsstellennetz für die Antragsausfüllung. Die Beratungen
erwiesen sich als sehr personalintensiv. Die Widerspruchsstellen sind nur ungenügend besetzt. Bei den
Ausfüllhinweisen fehlten Anleitungen. Die Auswirkungen des ALG II sollten weiter im Blick behalten
werden. Arbeitslosigkeit führt zu vielen psychischen Erkrankungen. Sie isoliert die Betroffenen und trägt
zum sozialen Abstieg bei.

Jugendberufshilfe e.V. – Herr Backhaus
Diese arbeitet Thüringenweit. Jugendliche ohne Berufsabschluss werden jetzt besser erfasst. Es gibt
jetzt 24% mehr Jugendarbeitslose. Thüringen hat damit einen sehr hohen Stand in diesem Bereich. Bei
Jugendlichen unter 25 Jahren haben sich die ausgebildeten Mitarbeiter/innen speziell vorbereitet. Viele
individuelle Gespräche sind eingeplant. Jugendkonferenzen könnten Impulse vermitteln. Die Gefahr
besteht, dass die Arbeitsgelegenheiten auch für Jugendliche vorgesehen sind. Der Europäische
Sozialfond sieht die Förderung von Jugendlichen vor, die 6 Monate bereits arbeitslos sind. 10000
Jugendliche ohne Berufsabschluss haben auf dem 1. Arbeitsmarkt keine Chance.

AOK Thüringen – Frau von Wischewski
Am Jahresende von 2004 und bei Jahresbeginn 2005 waren 90% der ALG II-Empfänger wieder
versichert. Hier engagierten sich die Mitarbeiter/innen der AOK sehr stark (mehrmalige vorbereitende
Anschreiben.)
10% jedoch haben sich nicht weiterversichern lassen und auf die Aufforderungen nicht reagiert.
Diese     fallen    aus     dem    Krankenversicherungsschutz      heraus.    („0“-Bescheidler    in
Lebenspartnerschaften, oft mit Kindern)
Die ARGE-Mitarbeiter/innen müssten hier besser beraten. Eine Weiterversicherung ist nur möglich über
einen Krankenkassenzuschlag der ARGE. Ein weiteres Problem ist der Klientenkreis, der
Erwerbsunfähigkeitsrenten und ALG II bezieht. Das ist unlogisch und unkorrekt. Alle unter 15 Jahren
sind Sozialgeldempfänger und nur über eine Familienversicherung versicherbar. Bei den Krankenkassen
gab es eine hohe Mehrarbeit. Die Regelungen für Obdachlose müssen verbessert werden. Die 1-Cent-
Regelung für Krankenkassen wurde wieder zurückgenommen. Die Krankenkassen bekommen die Höhe
des ALG II nicht mit. Eine Weiterversicherung privat beträgt 106,-/Monat. Für „0“-Bescheidler kann
dies eine finanzielle Überforderung sein. Hier sind auch Kinder mit betroffen, die nicht mehr
weiterversichert sind. ( Problemanzeige - siehe oben)

Landesfrauenrat – Petra Beck
Sie verwies auf die Benachteiligung von Frauen. Das Leitbild sieht einen männlichen Ernährer der
Familie vor. Frauen werden aus der aktiven Arbeitsmarktpolitik herausgedrängt. In Frauenhäusern gibt
es viele traumatisierte Frauen. Der Mehrbedarf von Frauen, die von Gewalt bedroht sind, sollte
anerkannt werden. Armut im Alter ist vorprogrammiert.

Arbeitslosenverband – Dr. Wolfsdorf
Die Einführung des ALG II war mit einem Chaos der Frechheiten verbunden. Die 1-€-Jobs sind
Provisorien. Das gewährte Geld reicht nicht zum Leben aus.

                                                                                                       4
Selbsthilfegruppe „Herz statt Hartz“ bei der PDS in Suhl – Elisabeth Pfestorf
Sie wurde in Suhl zum Anlaufpunkt für Betroffene, die über das korrekte Ausfüllen der Anträge hinaus
Rat brauchten. Mit den ersten Bescheiden wuchs die Resonanz in den Monaten Dezember und Januar
ganz besonders. So bekam sie viele Einblicke in konkrete Lebenssituationen und stellte daraus ein
Erfahrungspapier zusammen: „Tücken von Hartz IV“. Es enthält Kritiken an den Formularen, am
Antragsverfahren und an den Bewertungen. Die Auswirkungen auf die Familien werden mit ihm erfasst.
So konnte die Selbsthilfegruppe zusammentragen, dass Hartz IV in falsche Richtungen geht, Familien
und Partnerschaften zerstört und Armutsfallen vorbereitet. Ein großer juristischer und politischer
Handlungsbedarf bei Nachbesserungen und Korrekturen zeigte sich. Die Fehlerquote und damit auch
Unsicherheit der Bearbeiter/innen war sehr hoch. Da in Suhl eine gute Zusammenarbeit der SHG mit
den Trägern der ARGE besteht, konnten in konkreten, sehr dramatischen Einzelfällen Neubewertungen
erreicht und das Erfahrungspapier an diese und dem Ombudsrat weitergegeben werden.

Zu den „Fördermöglichkeiten“
Die Anlaufphase ist noch zu kurz, um zu Projekten der Arbeitsgelegenheiten und zur Arbeitsvermittlung
zutreffende Aussagen zu machen. Es besteht kein Vorlauf. Sie reichen für die ALG-II-Empfänger
momentan noch nicht aus als Zuverdienstmöglichkeiten.
Probleme: Es gibt bereits Kompetenzstreitigkeiten zwischen den anerkannten vermittelnden
Projektträgern und den ausführenden Maßnahmeträgern. Bedingung ist, dass dort hauptberufliche
Kräfte eine Kontroll- und Aufsichtspflicht vornehmen können. Bei rein ehrenamtlich sich engagierenden
Vereinen ist dies jedoch nicht möglich, obwohl dort eindeutige und eingrenzbare Aufgabenfelder
vorhanden sind. Außerdem besteht die Gefahr, dass Verwaltungskosten für die Maßnahmen einseitig
nur bei den Vermittlungsträgern „ankommen“ und der Verwaltungsaufwand der ausführenden
Maßnahmeträger nicht berücksichtigt wird. Es werden bis jetzt nur ungenügend Mittel des ESF
abgerufen für Projekte.
Bewertung: Wir sehen eine große Gefahr in den Arbeitsgelegenheiten als Aushöhlung von professioneller
Arbeit. Trotz Positiv-Negativ-Liste sind die Grenzen fließend. Professionelle Arbeit wird aufgeweicht. Der
ständige Wechsel von ALG-II-Empfängern in den Arbeitsgelegenheiten durch die Kurzfristigkeit der
Maßnahmen beeinträchtigt eine qualitativ gute Ausführung, verfestigt Hierarchien unter Mitarbeitern
und Ungerechtigkeiten. Geht es hier um soziale Bereiche, ist eine Verlässlichkeit in sozialen Kontakten
nicht möglich. Ein öffentlich geförderter Beschäftigungssektor mit Festanstellungen und entsprechenden
Qualifikationen wirkt sich in jedem Fall besser und nachhaltiger aus. Die Arbeitsgelegenheiten sind
nicht versicherungspflichtige Beschäftigungen in Sozialrechtsverhältnissen und werden nicht
leistungsbezogen, sondern nur mit einer geringfügigen Aufwandsentschädigung „entlohnt“. Die
Arbeitslosenstatistik wird damit sehr leicht positiv beeinflusst, ohne dass die Betroffenen wirklich im 1.
Arbeitsmarkt Fuß fassen. Sie sind so angelegt, dass sie aus der Armutsfalle nicht wieder heraushelfen.
Sie bieten nur kurzfristig eine Möglichkeit für Betroffene, ihre finanzielle Lage geringfügig zu verbessern.
Sie sind aber kein Weg zu einer regulären längerfristigen Beschäftigung. Sie demütigen die Betroffenen,
ordnen sie Pflicht-Arbeitsdiensten zu, verfestigen Hierarchien und übergehen vorhandene
Qualifikationen und Fähigkeiten.
Ein Hilfenetz für Menschen in Not muss aufgebaut werden.

   Zusammenfassung:

Die Anhörung war nicht nur für die Landtagspolitiker, sondern auch für die Teilnehmer/innen
hoch interessant und informativ. Sie trug ein sehr breites Spektrum an unterschiedlichen
Blickwinkeln und Ansprüchen zusammen, machte auf Ungereimtheiten und Ansätze für
politischen und juristischen Nachbesserungsbedarf aufmerksam, brachte die Schieflage von
Fordern und Fördern zum Ausdruck und verwies auf die gravierenden sozialen Einschnitte breiter
Bevölkerungsschichten. Da von der CDU und der SPD keinerlei Interesse an realistischen
Auswertungen kommen, darf man der PDS-Fraktion für ihre Initiative sehr dankbar sein. Sie
ermöglichte ein realistisches Bild über die 1. Anlaufphase des ALG II.

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Tag der Nachzeichnung: Suhl, den 20.03.05
                                                            Elisabeth Pfestorf
                    (Mitglied der SHG „Herz statt Hartz“ und der PDS-Stadtratsfraktion in Suhl
                                                Empfängerin eines „0“-Bescheides)

Elisabeth Pfestorf, Carl-Fiedler-Str. 43, 98527 Suhl – Tel. 03681-761968 –E-Mail: e.pfestorf@freenet.de

                                                                                                                                             5
Sie können auch lesen