Anlauf für eine neue Erbschaftsteuer - Der Chefökonom - 4. Juni 2021 - Handelsblatt

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Anlauf für eine neue Erbschaftsteuer - Der Chefökonom - 4. Juni 2021 - Handelsblatt
Der Chefökonom – 4. Juni 2021

Anlauf für eine neue Erbschaftsteuer
Friedrich Merz gilt vielen als marktwirtschaftliches Gewissen der Union. Nun macht
er sich für eine Reform der Erbschaftsteuer stark. Das ist eine gute Idee.
von Professor Bert Rürup und Axel Schrinner

Die Steuerpolitik wäre sicher eine der höchsten Hürden in etwaigen Koalitionsverhandlungen
zwischen der Union und den Grünen. Deshalb scheint man aufseiten von CDU/CSU bereits jetzt
Kompromisslinien auszuloten, sollten die Grünen als Juniorpartner für Verhandlungen über eine
schwarz-grüne Regierung bereitstehen.

Während das bürgerlich-konservative Lager - wie vor jeder Bundestagswahl - Steuererhöhungen
entschieden ablehnt, versuchen die Parteien links der Mitte - wie ebenfalls vor jeder
Bundestagswahl - mit höheren Steuern für Vermögende und Topverdiener auf Stimmenfang zu
gehen. Die Wahlkampfstrategen des linken Spektrums versuchen ihrem vermuteten
Wählerpotenzial glauben zu machen, dass im Falle eines Wahlsieges die immensen Kosten der
Corona-Pandemie, der Bevölkerungsalterung und der eingeleiteten Dekarbonisierung der Wirtschaft
durch höhere Steuern nur für wenige Wohlhabende finanzierbar seien und sich deshalb die Masse
der Wähler nicht zu sorgen bräuchte.
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Dies ist ebenso Augenwischerei wie die Beteuerungen der FDP, aber auch Teilen der Union, all
diese Herausforderungen ließen sich ohne Probleme durch eine erfolgreiche Wachstumspolitik
finanzieren - sogar unter Einhaltung der Schuldenbremse. Unrealistisch ist diese Argumentation
schon deshalb, weil die fiskalischen Früchte eines Aufschwungs regelmäßig erst mit Verzögerung
geerntet werden können. Jede Regierung, die Wachstumspolitik betreiben will, muss also in
Vorleistung treten und hoffen, dass sich die neuen Leistungs- und Investitionsanreize zukünftig in
Form von höheren Steuereinnahmen teilweise selbst finanzieren.

Bemessungsgrundlage löchrig wie ein Schweizer Käse

Nun hat ausgerechnet das Gesicht des Wirtschafsflügels der Union einen vernünftigen
Kompromissvorschlag vorgelegt, dieses Dilemma zu entschärfen: eine Erbschaftsteuerreform. So
betonte Friedrich Merz im "Handelsblatt"-Interview, "in der Folge einer Reihe von
Verfassungsgerichtsurteilen muss das sogenannte Familiengebrauchsvermögen im Erbschaftsfall
steuerfrei bleiben. Wenn das darüber hinausgehende Vermögen mit niedrigen Steuersätzen breiter
besteuert werden soll, kann man darüber reden."

Das Versprechen einer grundlegenden Erbschaftsteuerreform wäre in einem Koalitionsvertrag von
Union und Grünen ein Kompromiss der klugen Vernunft. Die angesichts hoher
Steuererhebungskosten bei den Bundesländern unbeliebte und daher wenig wahrscheinliche
Revitalisierung der Vermögensteuer wäre damit für die kommende Legislaturperiode vom Tisch.

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Für den Standort Deutschland wäre das sicher kein Schaden, und gleichzeitig könnten die Grünen
sich rühmen, für mehr Verteilungsgerechtigkeit gesorgt zu haben.

Eine Runderneuerung der Erbschaftsteuer ist überfällig. Trotz mehrerer Reformen in den
vergangenen Dekaden ist die Bemessungsgrundlage dieser Steuer löchrig wie ein Schweizer Käse.
Das DIW schätzt, dass Vermögen im Wert von rund 400 Milliarden Euro pro Jahr vererbt werden.
Davon tauchen jedoch nur gut 40 Milliarden Euro als steuerpflichtige Vermögensübergänge in der
aktuellen Erbschaft- und Schenkungsteuerstatistik für 2019 auf - also bescheidene zehn Prozent.

Der große Rest wird aufgrund von Freibeträgen, Bewertungsabschlägen und Verschonungen,
insbesondere für Betriebsvermögen, von der Besteuerung nicht erfasst. Zwar sieht das Gesetz
Steuersätze von bis zu 50 Prozent vor, die jedoch faktisch nie zum Ansatz kommen. Selbst bei
Erbschaften und Schenkungen von mehr als 20 Millionen Euro beträgt die tatsächliche
Steuerbelastung knapp 25 Prozent - und zwar bezogen auf das steuerpflichtige und nicht etwa das
tatsächlich übertragene Vermögen.

Leitende Idee einer Erbschaftsteuerreform sollten hohe Freibeträge, niedrige Steuersätze und vor
allem eine breite, nicht durch einen Wust von Ausnahmen erodierte Bemessungsgrundlage sein.
Hohe Freibeträge stellen sicher, dass "Omas Häuschen" im Regelfall steuerfrei vererbt werden
kann. So würde der Fiskus von einer Vielzahl von Kleinstfällen entlastet, und die Bürokratiekosten
würden sinken.

Niedrige Steuersätze stärken die Akzeptanz der Steuer und führen dazu, dass Erben nicht über
Gebühr belastet werden, selbst wenn diese keine Verwandten in direkter Linie sind. Und eine breite
Bemessungsgrundlage gewährleistet, dass das gesamte geerbte Vermögen steuerlich belastet wird.
Denn die steuerliche Leistungsfähigkeit der Erben steigt auch dann, wenn diese einen florierenden
Betrieb anstatt Kunstgegenständen, Immobilien oder Bargeld erben. Etwaigen Härten könnte mit
Stundungsregeln begegnet werden.

Wer dies bereits für Sozialismus hält, der sollte einen Blick in die USA werfen. Dort erhebt der
Bund eine Nachlasssteuer, die aus dem Vermögen des Verstorbenen zu entrichten ist. Oberhalb von
recht üppigen Freibeträgen beträgt diese Abgabe satte 40 Prozent. Darüber hinaus erheben einige
Bundesstaaten noch zusätzlich Erbschaftsteuern, die die Begünstigten der Hinterlassenschaft zu
entrichten haben. Im Übrigen sei an den bekanntesten Vordenker des Liberalismus, John Stuart
Mill, erinnert. Der war im 19. Jahrhundert der Ansicht, Erbschaften müssten eigentlich zur Gänze
an den Staat fallen. Denn der Erbe habe in der Regel "nichts zur Entstehung des Vermögens
beigetragen". Und auch heute plädiert manch namhafter Ökonom dafür, dass Erbschaften wie

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Erwerbseinkünfte zu besteuern seien. Zum Abbau der Vermögensungleichheit ist und bleibt daher
die Erbschaftsteuer das Instrument der ersten Wahl.

Nun nimmt man Friedrich Merz nicht unbedingt ab, dass er sich ernsthaft wegen der ungleichen
Vermögensverteilung in Deutschland Sorgen macht. Gleichwohl weiß der Steuer- und
Finanzexperte, dass eine umfassende Erbschaftsteuer für die meisten Unternehmen ein weit
geringeres Problem als eine Vermögensteuer darstellen würde - nicht zuletzt, weil die
Erbschaftsteuer nur einmal pro Generation anfällt, während eine Vermögensteuer jedes Jahr gezahlt
werden müsste.

Beitrag zur Umverteilung bleibt sehr begrenzt

Für solch eine Reform der Erbschaftsteuer bräuchte Merz mutmaßlich nur die Rückseite des
Bierdeckels, auf den Anfang des Jahrhunderts seine Idee einer Einkommensteuerreform passen
sollte: Erbschaften bis zu einer Million Euro bleiben unter Verwandten steuerfrei; für Dritte sollten
die Freibeträge geringer sein. Für Erbschaften bis zehn Millionen Euro werden beispielsweise sechs
bis acht Prozent Steuer fällig und bei höheren Erbschaften zehn bis zwölf Prozent.

Wem es ein Dorn im Auge ist, dass ein heute Einundzwanzigjähriger die geltenden Freibeträge in
der Schenkungsteuer, dem Pendant zur Erbschaftsteuer, wegen der Zehn-Jahres-Frist dreimal
nutzen darf, nämlich im Alter von einem, elf und eben 21 Jahren, der könnte zudem den
Betrachtungszeitraum für die vorweggenommene Erbfolge auf 15 oder 20 Jahre ausdehnen.

Schließlich schrieben drei Verfassungsrichter in ihrem Sondervotum zum Erbschaftsteuer-Urteil
von 2014, in dem das damals geltende Erbschaftsteuerrecht verworfen wurde: "Die Schaffung eines
Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik - nicht
aber in ihrem Belieben."

Dass solch ein Ausgleich mit der geltenden Erbschaftsteuer wirklich gegeben ist, scheint zumindest
fraglich. Mit 8,6 Milliarden Aufkommen betrug 2020 der Anteil dieser Steuer am gesamten
Steueraufkommen gerade einmal ein Prozent; das Aufkommen war damit etwas höher als das der
Stromsteuer und etwas geringer als das der Kfz-Steuer.Dass sich angesichts dieser Größenordnung
der Beitrag der Erbschaftsteuer zur Umverteilung in engen Grenzen hält, das wird zumindest
insgeheim auch der Jurist Friedrich Merz kaum leugnen können.

Der Chefökonom

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Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des
Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats und Berater
mehrerer Bundesregierungen sowie ausländischer Regierungen.

Mehr Analysen, Kommentare und Studien von Professor Rürup und seinem Team erhalten Sie auf
der Webseite https://research.handelsblatt.com/de/

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