Ansprache von Bundespräsident Didier Burkhalter, Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten

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Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA

                               Generalsekretariat GS-EDA

  Ansprache von Bundespräsident
  Didier Burkhalter, Vorsteher des
 Eidgenössischen Departements für
    auswärtige Angelegenheiten

 «Die Schweiz: Unsere gemeinsame
         Verantwortung»

            Albisgütli Tagung 2014

                          Zürich
                  17. Januar 2014

Es gilt das gesprochene Wort        Sperrfrist: 17.01.2014, 21.00 Uhr

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Sehr geehrter Herr Präsident
Sehr geehrter Herr Bundesrat
Sehr geehrter Herr Regierungsrat
Sehr geehrter Herr Ständerat
Sehr geehrte Nationalrätinnen und Nationalräte
Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Justiz und der
militärischen Kreise
Meine Damen und Herren

Es freut mich, heute zusammen mit meiner Frau bei Ihnen im
Schützenhaus Albisgütli zu sein. Als wir Ihre freundliche
Einladung bekommen haben, musste ich nicht lange überlegen.
An die Albisgütlitagung geht man gerne. Hier lässt sich gut
diskutieren über die Schweiz – über ihren Erfolg, ihre
Traditionen und vor allem über ihre Zukunft. Darum freue ich
mich, an Ihrem Jubiläumsanlass teilzunehmen und gratuliere
Ihnen für ein Vierteljahrhundert Albigütlitagung.

Ich war ja bereits vor vier Jahren hier im Albisgüetli. Schon
damals wunderte ich mich, warum dieses imposante
Schützenaus wohl Albisgütli heisst. Warum Gütli? Warum nicht
einfach Albisgut? Es ist ja wirklich kein kleines Haus, in dem wir
hier sind! Im Gegenteil…
Als gelassener Westschweizer könnte ich jetzt sagen: „Mais
bon. Es gibt wichtigere Fragen...“

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Aber es gibt einen guten Grund, warum mir das heute wieder in
den Sinn gekommen ist. Ich frage mich nämlich, ob wir nicht
manchmal die Schweiz kleiner sehen und reden als sie wirklich
ist...

Als Aussenminister werde ich im Ausland oft auf die Schweiz
angesprochen. Ich kann Ihnen sagen: Man nimmt unser Land in
der Welt nicht als Kleinstaat wahr.

Die Leute wissen, dass die Schweiz so wettbewerbsfähig und
innovativ ist wie kaum ein anderes Land. Sie sehen, dass die
Schweiz auf zahlreichen Ranglisten ganz oben oder weit vorne
steht. Vor allem zeichnet sich unser Land auch dadurch aus,
dass wir – zusammen mit Norwegen – die tiefste
Arbeitslosenquote und eine der tiefsten
Jugendarbeitslosigkeiten in Europa haben.

Meine Damen und Herren

Die Schweiz ist eine Innovations- und Wirtschaftsmacht. Sie
ist die siebtgrösste Volkswirtschaft in ganz Europa. Das ist
unglaublich für ein Land mit acht Millionen Einwohnern. Die
Schweiz bietet ihren Bürgern Arbeit und sie bietet – und das ist
zentral – ihrer Jugend Zukunftsperspektiven.

Unser Land ist auch eine Friedensmacht. Wir helfen mit,
Konflikte zu lösen, menschliche Not zu lindern und
Entwicklungsperspektiven zu schaffen.

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Es liegt in unserem Interesse und in unserer Verantwortung,
diese Leistungen zu erbringen. Sie machen deutlich, dass die
Schweiz ein Erfolgsmodell ist. Natürlich ruft Erfolg auch Neider
auf den Plan. Aber vor allem wird die Schweiz respektiert. Ihre
Leistungen werden weltweit anerkannt.

Machen wir die Schweiz also nicht kleiner als sie ist.
Bescheidenheit ist eine urschweizerische Tugend, die
beizubehalten ist. Die Schweiz kann aber im internationalen
Umfeld selbstbewusst, bestimmt und souverän auftreten.
Und das machen wir auch, um unsere Interessen und Werte
bestmöglich zu verteidigen.

Wichtig ist, dass wir uns immer wieder darüber verständigen,
was die Grundlagen des Erfolgs sind. Darüber möchte ich heute
Abend reden. Und dann geht es natürlich auch darum, dass wir
gemeinsam die richtigen Massnahmen treffen, um unseren
Erfolg zu wahren, die Schweiz zu stärken und
Zukunftsperspektiven für unsere Kinder zu eröffnen.

Es ist wie beim Fussball: Die Schweizer Nationalmannschaft
hat sich für die WM in Brasilien qualifiziert. Sie war bei der
Gruppenauslosung sogar im Topf der besten acht
Mannschaften. Sie ist sozusagen in der G8 des Fussballs…
Das ist eine herausragende Leistung.

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Damit unsere Nati aber an der WM reüssieren kann, muss sie
weiter an sich arbeiten, taktische Finessen einstudieren und
beim ersten Gruppenspiel bereit sein. Erfolg muss man sich
erarbeiten, immer und immer wieder.

1. Das Erfolgsmodell Schweiz

Meine Damen und Herren

Die Schweiz ist ein Erfolgsmodell, auf das wir stolz sein
können. Ein Land, das zwar mit Bergen und Seen gesegnet ist,
aber keine Bodenschätze hat, steht an der Spitze zahlreicher
internationaler Ranglisten. Wir sind wirtschaftlich stark und
innovativ. Politisch ist die Schweiz stabil, frei und unabhängig.

Der Erfolg der Schweiz grenzt an ein Wunder. Aber er lässt sich
durchaus erklären. Unser Erfolg ist das Ergebnis guter
Rahmenbedingungen und harter Arbeit.

Die Grundlage für das „Schweizer Wunder“ wurde mit der
liberalen Verfassung von 1848 gelegt. Damals haben unsere
Gründerväter den Weg der Schweiz in weiser Voraussicht
vorgezeichnet: Sicherheit, Unabhängigkeit und Wohlfahrt
bilden das verfassungsmässige Fundament des
Erfolgsmodells Schweiz.

Auf diesem Fundament haben wir die heutige Schweiz gebaut.
Zum Erfolg unseres Landes haben dabei verschiedene
Faktoren beigetragen:

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-   Wir haben die Schweiz erstens als liberalen Staat
    aufgebaut: Dieser lässt den Menschen ihre Freiheit und
    fördert deren Eigenverantwortung. Er vertraut den Menschen
    und greift nur dann ein, wenn dies nötig ist.
-   Zweitens haben wir auf direkte Demokratie gesetzt: Die
    Bürger treffen grundlegende Entscheide und sind dank dem
    Milizprinzip stark in den politischen Prozess eingebunden. Im
    Ausland löst die direkte Demokratie immer wieder Staunen
    aus. So werde ich oft gefragt, wie es möglich ist, dass die
    Schweizer Bevölkerung eine Initiative für mehr Ferien
    ablehnt. Meine Antwort ist einfach: Die Schweiz ist eine reife
    Demokratie und Schweizerinnen und Schweizer stimmen
    verantwortungsvoll ab. Auch dies macht das Erfolgsmodell
    Schweiz aus.
-   Drittens macht auch der Föderalismus die Schweiz
    bürgernah: Der Staat ist für den Menschen da und nicht
    umgekehrt.
-   Viertens haben wir von Anfang auf Bildung und Forschung
    gesetzt. Der universitäre Weg und die Berufslehre ergänzen
    sich in idealer Weise und schaffen Zukunftsperspektiven für
    unsere Jugend.
-   Fünftens haben wir eine liberale Wirtschaftsordnung und
    eine funktionierende Sozialpartnerschaft: Eine kreative und
    wettbewerbsfähige Wirtschaft, die sich auf gute
    Sozialpartnerschaft und einen liberalen Arbeitsmarkt stützt,
    schafft Arbeitsplätze und Einkommen.

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-   Sechstens gründet der Erfolg der Schweiz auch darauf, dass
    in unserem Land Leistung belohnt wird. Nicht die Herkunft
    oder der Status sind wichtig. In unserem Land zählen
    Fähigkeiten und Leistungsbereitschaft. Kurz: harte und gute
    Arbeit.

Die Schweiz ist also liberal, demokratisch und föderal. Und sie
vertraut auf eine innovative Wirtschaft, kluge Köpfe und
tatkräftige Hände.

Aber das ist noch nicht das ganze Geheimnis unseres Erfolgs.
Es gibt zwei weitere wichtige Erfolgsfaktoren: Der innere
Zusammenhalt der Schweiz und die massvolle Offenheit
gegenüber unserem Umfeld.

2. Die Schweiz als gemeinsames Projekt

Meine Damen und Herren

Die Schweiz ist eine Nation des gemeinsamen Willens und
des Herzens. Trotz unserer sprachlichen, kulturellen und
religiösen Vielfalt empfinden wir einen starken Zusammenhalt.
Unser gemeinsamer politischer und gesellschaftlicher Wille ist
stärker als das uns Trennende.

Wir bauen unsere Schweiz gemeinsam – jeden Tag neu. Das ist
unser Erfolgsrezept. Und das ist unsere gemeinsame
Verantwortung. Damit uns das auch weiterhin gelingt, müssen
wir zu unserer politischen Kultur Sorge tragen. Die politische
Kultur der Schweiz ist die Klammer, die uns zusammenhält.
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Was macht diese schweizerische Kultur aus?
-   Erstens ist es eine Kultur, die Minderheiten schützt und
    einbindet. Wie überall in einer Demokratie gibt es Gewinner
    und Verlierer. Aber die Gewinner gehen auf die Verlierer zu.
    Die Schweiz ist eine Demokratie des Ausgleichs: Der
    Gewinner gewinnt nicht alles und der Verlierer verliert auch
    nicht alles.
-   Zweitens teilen wir die Macht – zwischen verschiedenen
    Parteien im Bundesrat, zwischen Regierung, Parlament und
    dem Volk sowie zwischen den Gemeinden, den Kantonen
    und dem Bund. Ausdruck dieser Machtteilung ist übrigens
    auch, dass der Bundespräsident jedes Jahr wechselt …
-   Drittens ist der Respekt vor anderen Meinungen, vor
    Andersdenkenden, das A und O jeder Demokratie. Natürlich
    gibt es unterschiedliche Meinungen und Vorstellungen über
    den richtigen Weg der Schweiz. Und wir alle kämpfen für
    unsere Überzeugungen. Das ist richtig und ein Zeichen einer
    gesunden Demokratie. Aber je härter um Positionen
    gerungen wird, desto wichtiger ist der Respekt vor dem
    politischen Gegner.
-   Schliesslich ist viertens der Dialog zentral in einer
    Demokratie. Durch Dialog und Widerstreit unterschiedlicher
    Ideen entstehen neue und bessere Lösungen. Das ist die
    Stärke der Demokratie gegenüber autokratischen Modellen.
    Die Demokratie bleibt nicht stehen sondern erfindet sich
    immer wieder neu…

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Im Kern geht es also darum, dass wir aufeinander zugehen und
uns immer wieder gegenseitig Brücken bauen. Brücken
überwinden nicht nur Schluchten, sondern sie verbinden
Menschen und schaffen dadurch den nationalen Zusammenhalt
der Schweiz. Diese Fähigkeit aufeinander zuzugehen, sich in
der Mitte der Brücke zu treffen, Kompromisse einzugehen, trotz
aller Unterschiede zusammenzuhalten, das war und ist eine
Stärke der Schweiz.

Tragen wir also Sorge dafür, dass unsere politischen Debatten
sachlich und konstruktiv bleiben und die Schweiz nicht spalten.
Und attestieren wir allen, die sich für das gemeinsame Projekt
Schweiz einsetzen, dass sie für unser Land das Beste wollen
und patriotisch sind.

Ich bin überzeugt, dass die Willensnation Schweiz auch
weiterhin erfolgreich sein wird – sofern alle politischen Kräfte
letzten Endes am gleichen Strick ziehen und gemeinsam
Verantwortung tragen für die Zukunft unseres Landes.

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3. Eine eigenständige Aussenpolitik der massvollen
Offenheit

Meine Damen und Herren

Das Erfolgsmodell Schweiz basiert nicht nur auf inneren
Brücken, sondern auch auf Brücken nach aussen. Das
Gedeihen unseres Landes erfordert neben unserem inneren
Zusammenhalt auch eine Politik der massvollen und
verantwortungsbewussten Offenheit gegenüber unserem
Umfeld.

Die Schweiz ist eines der am meisten globalisierten Länder
dieser Welt. Unsere Wirtschaft ist auf Absatz- und
Produktionsmärkte im Ausland angewiesen. Die Schweizer sind
auch ein reisefreudiges Volk. Die Schweizer unternahmen 2012
rund 9 Millionen Reisen ins Ausland. Über 700‘000 unserer
Mitbürgerinnen und Mitbürger wohnen im Ausland.

Angesichts der engen Bande mit unseren Nachbarn und mit der
Welt können wir nicht einfach wie bei einer Burg die
Zugbrücken hochziehen. Die Schweiz muss vielmehr stabile
Brücken und Beziehungen zu anderen Staaten bauen und wo
nötig konsolidieren und erneuern.

Natürlich gehen auch hier die Meinungen auseinander, was das
konkret heissen soll. Namentlich jetzt, wo wichtige
aussenpolitische Entscheidungen für unser Land anstehen, wird
Aussenpolitik wieder kontrovers diskutiert.

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Diese Debatten, etwa über den bilateralen Weg der Schweiz,
sind wichtig für unser Land. Wir sollten sie konstruktiv und
gelassen führen, denn am Schluss wird der Souverän das letzte
Wort haben. Das ist gut so. Das ist eine Stärke der Schweiz.

Sie alle kennen den Ausspruch von Niklaus von der Flüe, dass
man den Zaun nicht zu weit machen solle. Auf die Aussenpolitik
angewendet, bedeutet dies, man solle sich international so
wenig wie möglich einmischen. Die beste Aussenpolitik sei
keine Aussenpolitik zu haben.

Der Bundesrat teilt diese Meinung nicht. Die beste Aussenpolitik
ist jene, die unsere Werte und Interessen entschieden fördert
und verteidigt. Das ist der klare aussenpolitische Auftrag der
Bundesverfassung.

Unsere Interessen müssen vehement verteidigt werden. In der
heutigen Welt können wir das nur tun, indem wir uns
international einbringen, mitreden und mitgestalten. Wenn wir
das nicht machen und passiv bleiben, laufen wir Gefahr, dass
uns Lösungen aufgezwungen werden, die wir nicht wollen und
die unseren Interessen widersprechen.

Wenn wir – um mit Niklaus von der Flüe zu sprechen – den
Zaun nicht weit genug machen, dann setzten andere den Zaun,
wo es ihnen passt. Das ist nicht in unserem Interesse und
unserer Souveränität würde Schaden nehmen. Denn
Souveränität heisst: selber entscheiden. Das will der
Bundesrat.

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Die Schweiz soll sich auch solidarisch zeigen und ihre Werte
fördern – auch das ist ein Verfassungsauftrag. Dazu gehören die
Achtung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts,
die Förderung der Demokratie, das friedliche Zusammenleben der
Völker, die Linderung von Not und Armut sowie die Erhaltung der
natürlichen Lebensgrundlagen.

Mitgestaltung, Eigenständigkeit und Übernahme von
Verantwortung: das ist nach Ansicht des Bundesrates der
beste Weg zur Wahrung unserer Interessen und Werte.
Entsprechend hat er seine Prioritäten in der aussenpolitischen
Strategie definiert:

-   wir wollen enge und stabile Beziehungen zu unseren
    Nachbarn;
-   ebenso will der Bundesrat den erfolgreichen bilateralen
    Schweizer Weg in Europa weitergehen und erneuern;
-   wir wollen die Beziehungen zu strategischen Partnern und zu
    aufstrebenden Staaten ausbauen;
-   und schliesslich will der Bundesrat zu Stabilität und
    Sicherheit in Europa und darüber hinaus beitragen.

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und ihren
Nachbargebieten sind enorm dynamisch und eng. Das
Handelsvolumen mit Baden-Württemberg, dem Nachbarn
Zürichs, entspricht in etwa demjenigen mit den USA. Man kann
es auch vergleichen mit dem Handelsvolumen mit Brasilien,
Russland, Indien, China und Südafrika – also allen BRICS-
Staaten – zusammen…

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Mit den italienischen Grenzregionen haben wir mehr
wirtschaftlichen Austausch als mit China. Und mit Tirol und
seinen rund 700‘000 Einwohnern handeln wir mehr als mit
Brasilien – einem Land mit über 200 Millionen Einwohnern.

Sie sehen, meine Damen und Herren: auch in Zeiten der
Globalisierung und in einer Zeit, in der die Produkte in unseren
Läden aus aller Welt kommen, sind die Nachbarn für uns von
fundamentaler Bedeutung – und wir sind es auch für sie, zumal
wir dieselben Werte teilen.

Selbstverständlich können wir uns nicht wie im Mittelalter auf
den Austausch mit unseren Nachbarn konzentrieren. Zumal alle
unsere Nachbarn mit Ausnahme Liechtensteins Teil der EU
sind. Der EU-Binnenmarkt ist für die Schweiz von zentraler
Bedeutung. Auch neue Märkte ausserhalb Europas gewinnen
an Bedeutung.

Der Bundesrat hat auf die globalen Machtverlagerungen
reagiert, indem er die Handelstätigkeit der Schweiz in
Wachstumsregionen wie Asien, der Golfregion oder
Lateinamerika gezielt fördert und strategische Partnerschaften
eingeht. Mit Freihandelsabkommen ist es der Schweiz
gelungen, die Türen zu einer wachsenden Zahl
vielversprechender Märkte zu öffnen.

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Diese neuen Märkte sind für die Schweiz wichtig. Sie sind aber
keine Alternative, sondern eine Ergänzung zum europäischen
Markt. Die Schweiz braucht beides: ungehinderten Zugang zum
europäischen Markt sowie ein gutes weltweites Netz an
Freihandelsabkommen. Wie ein schönes afrikanisches
Sprichwort sagt: „Kein Vogel fliegt mit einem Flügel.“

Meine Damen und Herren

Die Basis für Wohlstand ist die Sicherheit. Die Armee spielt
hier eine wichtige Rolle. Die Schweiz braucht eine starke Armee
– und eine solche haben wir – auch dank dem Einsatz von
Bundesrat Ueli Maurer.

Neben der Armee braucht es zur Wahrung unserer Sicherheit
aber auch die Aussenpolitik – und das in zunehmendem Masse.
Denn es kann uns aus sicherheitspolitischer Sicht nicht egal
sein, was in unserem Umfeld geschieht.

Gemäss dem Verfassungsauftrag engagiert sich die Schweiz
für Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa und in der Welt.
Auch hier bauen wir Brücken. Ich möchte dies kurz am Beispiel
der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
(OSZE) illustrieren. Es ist dies eine Organisation, die 57
Staaten aus der euroatlantischen und der eurasischen Region
unter einem Dach zusammenbringt.

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Die Schweiz hat Anfang Jahr den Vorsitz der OSZE
übernommen. Sie stellt sich dieser Aufgabe zum zweiten Mal
nach 1996 – als erstes Land überhaupt. Wir engagieren uns
und übernehmen Verantwortung, weil wir in der OSZE unsere
Interessen und Werte fördern können.

Es geht in der OSZE um Vertrauensbildung durch Dialog und
Transparenz. Um Sicherheit durch Kooperation. Um die Lösung
langwieriger Gewaltkonflikte. Und um die Förderung der
Menschenrechte und die Stärkung demokratischer Institutionen.
All das auf der Basis von Einstimmigkeit und der
Gleichberechtigung aller teilnehmenden Staaten.

Wie Sie sehen ist das keine leichte Aufgabe. Eine
Konsenssuche zwischen den Schweizer Kantonen wirkt im
Vergleich schon fast wie ein Pappenstiel… Aber die OSZE ist
die beste Versicherung, die wir haben, um gegen neue Gräben
zwischen Ost und West vorzubeugen. Und die Schweiz kann
hier wertvolle Beiträge leisten. Unsere Erfahrung mit
Machtteilung und Kompromisssuche, unser guter Ruf als
Brückenbauer und Vermittler – all das kommt hier zum Tragen.
Ich habe gestern in Wien die Prioritäten des Schweizer
Vorsitzes vorgestellt. Dabei habe ich betont, dass wir Wert
darauf legen, dass die OSZE konkrete Beiträge für die
Sicherheit der Menschen in den OSZE-Staaten leistet.

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Die Schweiz wird diese Aufgabe mit Überzeugung und mit
Bescheidenheit angehen. Überzeugt, weil es richtig ist,
Verantwortung zu übernehmen und unser Umfeld
mitzugestalten. Bescheiden, weil es nicht darum geht, als
Vorsitz zu glänzen, sondern darum, einen nützlichen Beitrag
zur Sicherheit und Stabilität in unserem Umfeld zu leisten.

4. Der Weg der Schweiz in Europa

Sicherheit ist die Voraussetzung für Wohlstand. Mit unseren
europäischen Nachbarn bilden wir einen Raum der Sicherheit
und des Friedens. Konflikte werden in Europa nicht mehr
militärisch, sondern politisch ausgetragen. Angesichts der
Kriege und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an den
Rändern Europas – denken Sie etwa an die Lage in Syrien –
lohnt es sich, diese Tatsache in Erinnerung zu rufen.

In unseren Beziehungen zur EU steht darum nicht die
Sicherheit im Zentrum. Es sind die beiden anderen
verfassungsmässigen Interessen der Schweiz, um die es geht –
die Unabhängigkeit und der Wohlstand. Die gleichzeitige
Wahrung beider Kerninteressen im Verhältnis der Schweiz zur
EU schien lange wie die Quadratur des Kreises – unmöglich.
Aber diese Quadratur ist gelungen. Der bilaterale Weg der
Schweiz sichert nämlich beides, Wohlstand und
Unabhängigkeit.

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Auf diesem bilateralen Weg befindet sich die Schweiz seit dem
EWR-Nein von 1992. Es ist ein erfolgreicher, ja es ist der beste
Weg für die Schweiz. Dass die Schweiz auf diesem Weg ist, ist
auch Ihr Verdienst.

Der bilaterale Weg ist die einzige europapolitische Option, die
von der Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird. Es ist also
die Option, die den inneren Zusammenhalt der Schweiz wahrt.
Und es ist der Weg einer massvollen Offenheit der Schweiz. Er
ermöglicht unserm Land den Zugang zum europäischen Markt,
ohne dass damit unsere Eigenständigkeit und unsere
politischen Institutionen in Frage gestellt würden.

Wenn wir unsere Brücken zum europäischen Markt abbrechen
und einseitig die Unabhängigkeit betonen würden, ginge das
auf Kosten unseres Wohlstands. Denn der Lebensnerv der
Schweizer Wirtschaft wäre gekappt.
Umgekehrt: wenn wir uns einseitig und bedingungslos auf den
Marktzugang fixieren würden – durch einen Beitritt zur EU –,
würde das die Unabhängigkeit unseres Landes unnötig
einschränken. Das will die Bevölkerung nicht und das will auch
der Bundesrat nicht.

Es gibt keine Geheimpläne zur Vorbereitung eines EU-Beitritts.
Die Schweiz ist kein Beitrittskandidat und wird von der EU auch
nicht als solcher betrachtet. Der Weg der Schweiz ist der
bilaterale Weg.

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Meine Damen und Herren

Wir wollen diesen Weg sichern und damit den Wohlstand und
die Unabhängigkeit der Schweiz langfristig bewahren. Nicht
mehr. Aber auch nicht weniger.

Warum müssen wir die bilateralen Verträge erneuern? Warum
müssen wir das ausgerechnet jetzt an die Hand nehmen?

Die Antwort des Bundesrates auf diese Fragen ist einfach:
Erstens: Ohne eine Erneuerung werden die bilateralen Verträge
längerfristig nicht tragfähig sein. Ein Festhalten am Status Quo
würde Rückschritt bedeuten und zu einer Verschlechterung des
Marktzugangs für die Schweizer Wirtschaft führen. Ohne einen
institutionellen Rahmen riskiert die Schweiz mehr
Diskriminierung und Rechtsunsicherheit – auf Kosten von
Wohlstand und Arbeitsplätzen in der Schweiz.
Um das zu verhindern hat der Bundesrat im Dezember ein
Verhandlungsmandat verabschiedet. Er sagt also Erneuerung
statt Erosion des bilateralen Wegs.

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Zweitens ist es immer besser aus einer Position der Stärke zu
verhandeln. Und die Schweiz ist in einer guten Position. Es geht
uns gut. Wir stehen nicht mit dem Rücken zur Wand und wir
brauchen nicht um jeden Preis ein Verhandlungsergebnis.
Wenn dieses nicht in unserem Interesse ist, können wir den
Verhandlungstisch verlassen. Das kann in ein paar Jahren
anders aussehen. Die Verhandlungsposition könnte sich
ungleich schlechter präsentieren. Darum hat der Bundesrat das
Europadossier entschieden angepackt und ein klares
Verhandlungsmandat verabschiedet. Wir sind bereit den Weg
der Schweiz in Europa zu erneuern und zu sichern.

Die Verhandlungen haben noch nicht begonnen. Die Schweizer
Mühlen haben tatsächlich schneller gemahlen als jene in
Brüssel und so warten wir noch darauf, dass unser
Verhandlungspartner sein Mandat verabschiedet.

Somit ist es auch verfrüht, über das Resultat zu spekulieren.
Bereits heute ist aber absolut klar, was wir wollen und was
nicht:
   -     wir wollen keinen Automatismus. Europäisches Recht
         wird nicht automatisch übernommen. Die institutionelle
         Ordnung der Schweiz bleibt unberührt und das
         Referendumsrecht garantiert.
   -     Die Schweiz unterstellt sich keinem supranationalen
         Gericht. Es wird keine EU-Richter geben, welche die
         Schweiz verurteilen können.

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Es wird keine allgemeine Überwachung der Umsetzung
      der Verträge in der Schweiz geben. Das bleibt Sache der
      Schweiz. Die vom Bundesrat vorgeschlagene Lösung ist
      die einzige, bei der die Schweiz nicht durch fremde
      Richter verurteilt werden kann und die ohne neue
      Institutionen auskommt.
  -   Meinungsverschiedenheiten werden politisch im
      gemischten Ausschuss ausgetragen. Die Schweiz behält
      mit dieser Lösung die Handlungsfreiheit, einer Auslegung
      durch den Europäischen Gerichtshof nicht zu folgen. Das
      könnte zwar Folgen haben für die Schweiz, bis zur
      teilweisen oder vollständigen Suspendierung eines
      Abkommens. Aber die Schweiz kann in diesem Fall eine
      souveräne Güterabwägung vornehmen, was ihr im
      konkreten Fall wichtiger ist.
  -   Schliesslich hat der Bundesrat auch rote Linien gezogen,
      die in den Verhandlungen nicht überschritten werden
      sollen. Eine institutionelle Lösung um jeden Preis wird es
      also nicht geben.

Meine Damen und Herren

Der Bundesrat wird mit der EU verhandeln. Das ist sein Job.
Sein Kompass für diese Verhandlungen ist auf das Wohl und
die Unabhängigkeit des Landes ausgerichtet.
Wenn ein Resultat vorliegt, wird es der Bundesrat dem
Parlament vorlegen. Aber nur dann, wenn das Resultat
überzeugend, ausgewogen und im Interesse der Schweiz ist.

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Der Entscheid des Parlaments wird danach dem fakultativen
Referendum unterstellt. Das Schweizer Volk wird somit – wie
immer bei wichtigen Fragen – das letzte Wort haben können.

5. Die Freizügigkeit der Arbeit als Teil der liberalen und
massvoll offenen Schweiz

Es wird noch einiges Wasser die Limmat hinunter fliessen, bis
das Schweizer Stimmvolk über die institutionellen Fragen
entscheiden wird. Dagegen steht schon bald eine wichtige
europolitische Weichenstellung zur Abstimmung. Jene über
die Masseneinwanderungsinitiative Ihrer Partei.

Das ist eine wichtige Abstimmung für unser Land. Auf dem Spiel
stehen grundlegende Pfeiler des Erfolgsmodells Schweiz:

Die liberale Wirtschaftsordnung, die eine wichtige Basis
unseres Wohlstands ist, würde bei einer Umstellung auf eine
protektionistische Kontingentspolitik geschwächt. Für die
Attraktivität des Schweizer Arbeitsmarkts ist entscheidend, dass
die Rekrutierungsmöglichkeiten marktorientiert und nicht
planwirtschaftlich organisiert sind.

Nur bei der jetzigen Lösung können wir sicherstellen, dass wir
in der Schweiz diejenigen Fachkräfte bekommen, die wir wollen
und brauchen.

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Die Schweiz braucht kluge Köpfe und anpackende Hände,
aus dem In- und aus dem Ausland. Ausländische Arbeitnehmer
tragen wesentlich zum Erfolg unseres Landes bei. Sie sind Teil
des gemeinsamen Projekts Schweiz.

Das gilt nicht nur für die Fussballnationalmannschaft, die ohne
Spieler ausländischer Herkunft die kommende
Weltmeisterschaft wohl am Fernsehen verfolgen würde… Es
gilt beispielsweise auch für den Gesundheitssektor. Ein Drittel
des Gesundheitspersonals stammt aus dem Ausland. Auch die
Universitäten, der Tourismus, die Landwirtschaft und die
Wirtschaft ganz allgemein – sie alle sind auf gute Leute aus
dem Ausland angewiesen.

Dass diese Zuwanderer ein wichtiger Bestandteil des
gemeinsamen Projekts Schweiz sind, zeigt sich auch darin,
dass sie wesentlich zur Finanzierung der AHV beitragen.
Personen aus den EU- und EFTA-Länder sind in unserer
Altersvorsorge Nettozahler. Sie zahlen mehr als ein Fünftel der
Beiträge, beziehen aber nur einen Siebtel der Leistungen.
In den letzten 10 Jahren hat die Einwanderung über 25
Milliarden Franken zur Finanzierung der AHV beigetragen.

Auch in Zukunft wird die Freizügigkeit eine positive Wirkung auf
die AHV behalten. EU- und EFTA-Ausländer leisten einen
wichtigen Beitrag an die langfristige Sicherung der Schweizer
Altersvorsorge.

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Die Freizügigkeit der Arbeit eröffnet der Schweiz nicht nur im
Innern gute Perspektiven. Sie bietet auch den Schweizerinnen
und Schweizern die Chance, in EU-Staaten zu arbeiten. Bald
eine halbe Million unserer Bürgerinnen und Bürger machen von
dieser Möglichkeit Gebrauch. Auch sie gehören zum
gemeinsamen Projekt Schweiz.

Aber es geht am 9. Februar nicht nur um die liberale Schweiz,
es geht auch um unsere Aussenpolitik einer massvollen
Offenheit. Es geht darum, ob uns die Erneuerung und
Konsolidierung des bilateralen Wegs mit der EU gelingt oder
nicht. Auch das ist zentral, wenn wir unseren Erfolg längerfristig
wahren wollen.

Wir haben in den vergangenen Monaten gute Voraussetzungen
dafür geschaffen, dass wir den bilateralen Weg sichern können
– für eine ganze Generation. Diese Chance sollten wir packen.
Wir sollten sie nicht in Frage stellen indem wir von der
Freizügigkeit der Arbeit abrücken.

Die Freizügigkeit der Arbeit ist ein Kernelement des
bilateralen Wegs. Mit einem Übergang zu einer
Kontingentspolitik stünden wir am Beginn einer Phase grosser
europapolitischer Ungewissheit. Das hätte negative Folgen für
die Attraktivität des Standorts Schweiz.

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Niemand wird bestreiten, dass mit dieser Freizügigkeit keine
Probleme verbunden sind. Diese Probleme sind real. Sie sind
gewissermassen der Preis unseres Erfolgs und unseres
Wohlstands. Die Probleme sind zwar längst nicht nur durch die
Zuwanderung verursacht. Aber die Freizügigkeit spielt
zweifellos eine Rolle.

Wichtig ist, dass wir deswegen nicht gleich das Kind mit dem
Bade ausschütten. Es muss darum gehen, konkrete und
wirksame Massnahmen gegen Probleme und Missbräuche zu
treffen – und dass wir diese Massnahmen auch umsetzen. Das
ist die Politik des Bundesrats, und wir verfolgen diese Politik mit
Entschlossenheit.

Ich denke namentlich an die verstärkten flankierenden
Massnahmen gegen Lohndumping. Vor zwei Tagen hat der
Bundesrat zudem weitere Massnahmen im Bereich
Missbrauchsbekämpfung getroffen. So werden Personen, die
zur Stellensuche in die Schweiz einreisen, explizit von der
Sozialhilfe ausgeschlossen. Es gilt das Prinzip der Freizügigkeit
der Erwerbstätigen.

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6. Schluss: Auf der Überholspur bleiben

Meine Damen und Herren

Die Schweiz ist ein erfolgreiches Land. Es ist unsere
Verantwortung, dass dies so bleibt und unsere Kinder gute
Zukunftsperspektiven haben. Die Voraussetzungen hierfür sind
gut. Wir müssen aber dem Erfolgsrezept des „Schweizer
Wunders“ Sorge tragen. Wir müssen den inneren
Zusammenhalt wahren und die Politik der massvollen und
verantwortungsvollen Offenheit fortführen.

Der Bundesrat will, dass die Schweiz auf der Überholspur
bleibt. Ich bin überzeugt, dass Sie dasselbe wollen. Wir alle
wollen das Beste für die Schweiz. Wir alle sind Schweiz-
Turbos. Wir alle sind Patrioten.

Wir mögen nicht in allen Fragen dieselbe Meinung vertreten.
Die Masseinwanderungsinitiative ist ein Beispiel hierfür. Ich
kann Ihnen aber versichern, dass der Bundesrat die Argumente
aller Seiten ernst nimmt und seine Entscheide am Wohl der
Schweiz und ihrer Bevölkerung ausrichtet.

Mit Diskussionen wie der heutigen, mit gegenseitigem Respekt
und Kompromissbereitschaft bringen wir die Schweiz
gemeinsam weiter. „Hopp Schwiiz“ soll es dieses Jahr nicht nur
in Brasilien heissen. „Hopp Schwiiz“ heisst es immer, im
Albisgüetli, in Bern und überall sonst, wo die Interessen und
Werte der Schweiz verteidigt werden.

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