Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

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Deutscher Bundestag                                                               Drucksache 20/1550
20. Wahlperiode                                                                               27.04.2022

Antrag
der Fraktionen SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP

Frieden und Freiheit in Europa verteidigen – Umfassende Unterstützung für
die Ukraine

Der Bundestag wolle beschließen:

I.   Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag verurteilt den brutalen Angriffskrieg Russlands gegen die
Ukraine auf das Schärfste. Russland bricht damit das internationale und humanitäre
Völkerrecht auf eklatante Weise und versucht, die europäische Friedensordnung dau-
erhaft zu zerstören. Der Deutsche Bundestag steht fest und unverbrüchlich an der Seite
unserer ukrainischen Freundinnen und Freunde. Der Deutsche Bundestag zollt den Uk-
rainerinnen und Ukrainern angesichts ihres Mutes und ihrer Tapferkeit höchsten Res-
pekt. Der russische Krieg gegen die Ukraine ist auch ein brachialer Angriff auf unsere
Freiheit, auf unsere gemeinsamen europäischen Werte, auf Demokratie und Rechts-
staatlichkeit. Er ist der Versuch, eine diktatorische Herrschaft auszudehnen, die De-
mokratie in Europa zurückzudrängen und Europäerinnen und Europäern das Recht auf
ein Leben in Frieden, Würde und Selbstbestimmung zu nehmen. Der entschlossene
Kampf der Ukrainerinnen und Ukrainer ist daher auch ein Kampf für die uns mit der
Ukraine verbindenden gemeinsamen europäischen Werte, für das Recht souveräner
Staaten und Gesellschaften über den eigenen Weg zu entscheiden.
Das russische Regime muss sofort alle Kampfhandlungen einstellen, die unter seiner
Kontrolle stehenden Kräfte und sämtliches Kriegsmaterial aus dem gesamten Hoheits-
gebiet der Ukraine abziehen, die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unab-
hängigkeit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen uneinge-
schränkt achten. Der Deutsche Bundestag verurteilt auf das Schärfste die unter ande-
rem von den Vereinten Nationen (VN), der Organisation für Sicherheit und Zusam-
menarbeit in Europa (OSZE) und internationalen Menschenrechtsorganisationen do-
kumentierten, zahlreichen Kriegsverbrechen Russlands in der Ukraine. Die Verbre-
chen, die in Butscha, Borodjanka, Mariupol und anderen Orten begangen wurden, ent-
setzen zutiefst. Gezielt und massenhaft wurden Zivilistinnen und Zivilisten exekutiert,
gezielt wurden Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Schutzunterkünfte und Nah-
rungsmittelspeicher, kritische Infrastrukturen der Energieversorgung angegriffen und
Streubomben eingesetzt. Die Bevölkerung wurde durch Belagerung ausgehungert. Aus
zwischenzeitlich besetzten und nun wieder befreiten Gebieten wurde während der Be-
satzung und beim Abzug von Terror gegen die Bevölkerung berichtet über Morde,
Vergewaltigungen. Mitunter ist der Verbleib von Kindern immer noch ungeklärt.
Der Deutsche Bundestag unterstreicht die Forderung des VN-Generalsekretärs
António Guterres, „einen dringenden und sofortigen humanitären Waffenstillstand zu
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verabschieden, der das sichere Funktionieren der humanitären Korridore ermöglicht,
zur Evakuierung von Zivilisten beiträgt und auch lebensrettende humanitäre und me-
dizinische Hilfe ermöglicht“.
Der Deutsche Bundestag fordert Russland mit allem Nachdruck dazu auf, das huma-
nitäre Völkerrecht zu achten und den sicheren und ungehinderten humanitären Zugang
zu den Opfern seines Angriffs in der Ukraine zu gewährleisten und den Menschen, die
ihr Zuhause verlassen müssen, sichere Fluchtwege zu gewährleisten. Den Flüchtenden
aus der Ukraine muss humanitäre, medizinische und finanzielle Unterstützung gewährt
werden. Die breite Solidarität innerhalb der Europäischen Union und darüber hinaus
mit den geflüchteten Menschen ist eindrucksvoll. Auch in Deutschland engagieren sich
viele Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich in beeindruckender Weise. Dafür gilt
ihnen unser Dank.
Deutschland steht in besonderer Verantwortung, alles dafür zu tun, dass aggressiver
Nationalismus und Imperialismus im 21. Jahrhundert in Europa und der Welt keinen
Platz mehr haben. In Anerkenntnis dieser Verantwortung und unserer eigenen Ge-
schichte unterstützt der Deutsche Bundestag das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine
uneingeschränkt.
Im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen liefert Deutschland auch Waffen
zur Selbstverteidigung in die Ukraine und billigt die Lieferung aus Drittstaaten. Diese
Waffenlieferungen erfolgen, ebenso wie die Sanktionen, in enger Abstimmung mit un-
seren europäischen und transatlantischen Partnern. Neben der Unterstützung der Uk-
raine verbindet uns das gemeinsame Ziel zu verhindern, dass Russland den Krieg auf
weitere Staaten ausdehnt.
Der Verlauf des Krieges zwingt auch zur Anpassung der Unterstützung der Ukraine.
Dies hat Deutschland getan. Deutschland ermöglicht in Abstimmung mit anderen
NATO-Partnern die Lieferungen schwerer Waffen. Insbesondere Waffen sowjetischer
oder russischer Bauart sollen an die Ukraine geliefert werden, weil diese sofort einge-
setzt werden können. Deutschland ersetzt oder erstattet diese Waffen („Ringtausch“).
Immer wieder muss überprüft werden, ob weitere Waffen abgegeben werden können,
die dann zeitlich versetzt nachgeschoben werden können. Weitere Schritte gehen wir
zusammen mit unseren internationalen Partnern. So wie Deutschland seine eigenen
Abgaben ständig überprüft, wird es aktiv auf andere Länder zugehen, um ihnen die
Beteiligung an einem Ringtausch anzubieten.
Neben der umfassenden ökonomischen Isolierung und Abkoppelung Russlands von
den internationalen Märkten ist das wichtigste und wirksamste Mittel, um den russi-
schen Vormarsch zu stoppen, die Intensivierung und Beschleunigung der Lieferung
wirksamer, auch schwerer, Waffen und komplexer Systeme durch Deutschland in en-
ger Abstimmung mit unseren Partnern in NATO, EU und der Welt.
Die von der EU und der westlichen Staatengemeinschaft beschlossenen Sanktionen
gegen die russische Staatsführung, russische Unternehmen und Oligarchen sind ein
wesentlicher Beitrag, um der russischen Aggression ihre finanziellen Grundlagen zu
entziehen. Deutschland muss sich schnellstmöglich unabhängig von Energie- und
Rohstoffimporten aus Russland machen. Dafür ist ein massiv beschleunigter Ausbau
erneuerbarer Energien eine grundlegende Voraussetzung. Um Versorgungssicherheit
und Handlungsfähigkeit Deutschlands und der EU zu garantieren, bedarf es eines rea-
listischen EU-weiten Ausstiegsfahrplans für Energiekäufe in Russland. Dem müssen
weitere Schritte mit Blick auf den Ausschluss russischer Banken aus SWIFT folgen.
Deutschland muss vorrangig, konsequent und zügig Energieeffizienzpotentiale aus-
schöpfen, die erneuerbaren Energien ausbauen und zugleich Energiequellen mit Hoch-
druck diversifizieren und vorhandene Infrastruktur wie bestehende LNG-Terminals in-
nerhalb der EU besser gemeinsam nutzen.
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Die gezielte Tötung von Zivilistinnen und Zivilisten und die Vergewaltigung von
Frauen in der Ukraine sind Kriegsverbrechen, die zwingend aufgeklärt werden müs-
sen. Der Deutsche Bundestag unterstützt die Ermittlungen des Anklägers beim Inter-
nationalen Strafgerichtshof und der ukrainischen Strafverfolgungsbehörden, welche
von der EU-Beratungsmission für die Ukraine beraten werden. Die Beweise müssen
schnellstmöglich gesichert und dokumentiert werden. Kriegsverbrecher müssen indi-
viduell vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden.
Der Deutsche Bundestag unterstützt hierzu auch die Klage der Ukraine gegen Russland
vor dem Internationalen Gerichtshof. Die Behinderung der humanitären Hilfe, die Be-
lagerung ganzer Städte, der gezielte Beschuss ziviler Einrichtungen und die Verun-
möglichung von humanitären Korridoren stellen ebenfalls schwere Verstöße gegen das
humanitäre Völkerrecht dar.
Angesichts dieser Kriegsverbrechen auf dem europäischen Kontinent setzt Deutsch-
land auf die Errungenschaften des internationalen Rechts, auf multilaterale Zusam-
menarbeit und auf eine regelbasierte internationale Weltordnung. Die menschenrecht-
lichen und völkerrechtlichen Verpflichtungen Russlands in der OSZE und in den Ver-
einten Nationen gelten fort. Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern muss die
völkerrechtswidrig handelnde russische Regierung in internationalen Foren weiter iso-
liert werden. Eine unveränderte Fortführung der Kooperation in internationalen Orga-
nisationen, Foren und Gremien mit dem russischen Regime unter Wladimir Putin ist
ausgeschlossen.
Der russische Angriffskrieg und die damit verbundene Zäsur der europäischen Sicher-
heitsordnung verlangen deutliche Antworten der Europäischen Union und der NATO.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Resolutionen des Europäischen Parlaments vom
1. März 2022 und vom 7. April 2022. Die Unterstützung für die Ukraine auf ihrem
europäischen Weg, aber auch für die Republik Moldau und für Georgien, ist ein poli-
tisches Signal von größter Wichtigkeit – und für die EU ein Zeichen von Handlungs-
fähigkeit.
Gezielte Angriffe auf digitale Infrastrukturen, auch und gerade solche aus dem Bereich
der kritischen Infrastrukturen (KRITIS), ob in der Ukraine, in Deutschland oder ande-
ren Ländern, sind integraler Teil der russischen Kriegsführung. Der Deutsche Bundes-
tag verurteilt solche auch und insbesondere auf zivile Infrastrukturen abzielende Prak-
tiken auf das Schärfste.
Die Desinformations- und Propagandakampagnen Russlands haben gezeigt, dass die
Pressefreiheit von zentraler Bedeutung für die Wehrhaftigkeit von Demokratien ist.
Der Deutsche Bundestag unterstützt das Sendeverbot von russischen Propaganda-Ka-
nälen sowie die Bestrebungen öffentlich-rechtlicher Medien wie der Deutschen Welle,
Programminhalte in Russland und Belarus verfügbar zu machen.
Gleichzeitig unterstützt der Deutsche Bundestag die mutigen Demonstrantinnen und
Demonstranten in Russland, die für Menschen- und Bürgerrechte, für ein friedvolles
Russland sowie die Überwindung des postsowjetischen Erbes und großrussischer im-
perialistischer Denkmuster eintreten. Die Kritik an der russischen Regierung ist kei-
nesfalls gleichzusetzen mit den Bürgerinnen und Bürgern Russlands und zielt nicht auf
die in Deutschland lebenden Menschen mit russischen Wurzeln ab, sondern richtet sich
ausdrücklich an Wladimir Putin und seine Unterstützerinnen und Unterstützer. Über
drei Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion verdienen die Bürgerinnen und Bür-
ger Russlands ein frei gewähltes Parlament, eine demokratische Regierung und ein
friedliches Nebeneinander in völkerrechtlich anerkannten Grenzen mit den Nachbar-
staaten. Für ein demokratisches Russland, das zur regelbasierten Friedens- und Sicher-
heitsordnung zurückkehrt, steht die Tür zu unserem gemeinsamen europäischen Haus
offen.
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Seit 2014 hat Deutschland gut zwei Milliarden Euro an finanzieller Unterstützung ge-
leistet. Kein Land hat die Ukraine in den vergangenen Jahren finanziell mehr unter-
stützt.
In den zurückliegenden Jahren hat Deutschland gemeinsam mit Frankreich als Ver-
mittler zwischen Russland und der Ukraine im sogenannten Normandie-Format (Uk-
raine, Russland, Frankreich, Deutschland) gewirkt. Dies war der Versuch, den seit
2014 in der Ostukraine herrschenden Krieg durch Verhandlungen zu beenden und eine
diplomatische Lösung zu finden.
Der von Wladimir Putin ausgelöste Angriffskrieg ändert die Sicherheitslage in Europa
grundlegend. Bundeskanzler Olaf Scholz hat dies treffend als „Zeitenwende“ bezeich-
net. Es ist klar geworden, dass unsere Freiheit geschützt und unsere Wehrhaftigkeit
sichergestellt werden muss. Deutschland muss seine Beistandspflichten in der NATO
uneingeschränkt erfüllen können. Dazu wird auch das geplante „Sondervermögen
Bundeswehr“ des Bundes zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit in
Höhe von 100 Milliarden Euro beitragen.

II.   Der Deutsche Bundestag begrüßt:

1.    die Unterstützung der Bundesregierung für die angegriffene Ukraine bei gleich-
      zeitiger Sicherstellung, dass weder Deutschland noch die NATO zur Kriegspartei
      werden;
2.    die Anstrengungen der Bundesregierung diesen Konflikt mit diplomatischen, po-
      litischen und wirtschaftlichen Mitteln im engen Schulterschluss mit der Europäi-
      schen Union, der NATO, der USA sowie den G7 zu beenden;
3.    die von der Bundesregierung bisher geleisteten Lieferungen von humanitären
      Hilfsgütern, Material und Waffen an die Ukraine;
4.    den von der Bundesregierung angestoßenen Ringtausch, der vorsieht, dass insbe-
      sondere mittel- und osteuropäische Staaten der Ukraine eigene, rasch einsetzbare,
      schwere Waffen insbesondere aus sowjetischer und russischer Produktion, mit
      denen die ukrainischen Kräfte vertraut sind, zur Verfügung stellen und im Ge-
      genzug selbst sukzessive mit westlichen Waffensystemen ausgestattet werden;
5.    die von der Bundesregierung angekündigte Ausbildung ukrainischer Soldatinnen
      und Soldaten an modernen westlichen Waffen in Deutschland bzw. auf NATO-
      Bündnisgebiet;
6.    die Erhöhung der Ertüchtigungsmittel auf zwei Milliarden Euro, die größtenteils
      für die Ukraine zur Verfügung stehen und die damit verbundene Willensbekun-
      dung unumschränkt an der Seite der Ukraine zu stehen und sie bei der Verteidi-
      gung ihrer territorialen Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit nachdrück-
      lich zu unterstützen;
7.    das klare Bekenntnis der Bundesregierung zu einem gemeinsamen Vorgehen und
      zur Erhaltung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik
      Deutschland in NATO und EU und
      a. die Schaffung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ zur Stärkung der
            Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit in Höhe von 100 Milliarden Euro,
      b. zur Erreichung der Fähigkeitsziele der NATO,
      c. die Entsendung von weiteren Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der En-
            hanced Forward Presence Battle Group der NATO nach Litauen,
      d. die Entsendung von Luftverteidigungskräften der Bundeswehr in die Slowa-
            kei,
      e. zu weiteren Beiträgen der Bundeswehr zu den ausgeweiteten Rückversiche-
            rungsmaßnahmen der NATO wie Luftraumsicherung und maritime Präsenz;
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8.    die von der Bundesregierung im Rahmen der EU und der internationalen Staaten-
      gemeinschaft umgesetzten und von ihr im G7-Rahmen abgestimmten weitrei-
      chenden Sanktionen gegen Russland wie auch Belarus und hierbei insbesondere
      a. die weitreichenden Sanktionen gegen russische Unternehmen und deren Zu-
           gang zu Rohstoffen und High-Tech-Produkten,
      b. den Ausschluss bestimmter russischer Banken aus dem internationalen Zah-
           lungsabwicklungssystem SWIFT,
      c. die Ausweitung personenbezogener Sanktionen gegen Mitglieder der russi-
           schen Staatsführung, des russischen Militärs, Mitglieder der russischen Si-
           cherheitsorgane und Oligarchen;
9.    das von der EU beschlossene Embargo für Kohle-Importe aus Russland;
10.   den von der Bundesregierung beschlossenen kurzfristigen Bau von zwei LNG-
      Terminals zur deutlichen Steigerung der Unabhängigkeit Deutschlands von rus-
      sischen Gasimporten;
11.   die finanzielle Unterstützung bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen für
      die Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen
      sowie den Internationalen Strafgerichtshof;
12.   das Strukturermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts wegen russischer
      Kriegsverbrechen in der Ukraine und die zusätzliche personelle und finanzielle
      Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofes durch die Bundesregierung;
13.   das von der Bundesregierung im Rahmen der informellen Tagung der Staats- und
      Regierungschefs der EU am 10./11. März 2022 in Versailles mitgetragene Be-
      kenntnis der EU zur Unterstützung der Ukraine auf ihrem europäischen Weg.

III. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. alle Bemühungen der ukrainischen Regierung, in direkten Verhandlungen mit der
   russischen Führung einen Waffenstillstand zu erzielen, zu unterstützen, wobei klar
   sein muss, dass es keine Verhandlungen über die Köpfe der Ukrainerinnen und
   Ukrainer hinweg geben darf. Falls es zum Abschluss eines Abkommens kommt,
   muss Deutschland gemeinsam mit den USA, Kanada und anderen NATO- und
   EU-Partnern bereit sein, aktiv dazu beizutragen, seine Einhaltung zu gewährleis-
   ten;
2. die Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und womöglich
   zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe
   Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern, ohne die Fähigkeiten
   Deutschlands zur Bündnisverteidigung zu gefährden;
3. zu prüfen, ob weitere Waffen abgegeben werden können und aktiv auf andere Län-
   der zuzugehen, um ihnen einen Ringtausch anzubieten;
4. in Abstimmung und Kooperation mit unseren Partnern kurz-, mittel- und langfris-
   tige die Ausbildung weiter zu unterstützen. Dies umfasst auch die Bedienung der
   gelieferten Waffensysteme in Deutschland oder auf NATO-Gebiet;
5. Ausrüstungslücken bei der Bundeswehr, die durch die Abgabe an die Ukraine ent-
   standen sind, schnellstmöglich zu schließen;
6. schnellstmöglich den Gesetzentwurf zur Einrichtung eines „Sondervermögens
   Bundeswehr“ zur Stärkung der Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit und die da-
   mit verbundenen Investitionen umzusetzen. Dies dient der Erfüllung der Fähig-
   keitsziele der NATO sowie einen Ausrüstungsstand der Bundeswehr zu erreichen
   und zu erhalten, der den Anforderungen Deutschlands im Rahmen der Landes-
   und Bündnisverteidigung sowie internationaler Verpflichtungen gerecht wird;
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7. die europäische Handlungsfähigkeit und den Zusammenhalt der NATO weiter zu
    stärken und die besonderen politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftli-
    chen Beziehungen zwischen Europa, den USA und Kanada so zu verbessern, dass
    sie den aktuellen geopolitischen Umbrüchen Rechnung trägt;
8. weitere Anstrengungen zur Aufrechterhaltung der ukrainischen Infrastruktur im
    Lichte des Krieges sowie geeignete humanitäre Maßnahmen zur Evakuierung der
    Bevölkerung zu unternehmen und ukrainische und internationale Hilfsorganisati-
    onen zu unterstützen;
9. die zügige Evakuierung von Überlebenden der Schoa aus der Ukraine mit aller
    Tatkraft zu unterstützen;
10. in Deutschland ankommende Menschen aus der Ukraine zügig zu registrieren und
    die unbürokratischen Möglichkeiten zur Erlangung eines Aufenthaltstitels
    schnellstmöglich und flächendeckend noch stärker zu kommunizieren, damit sich
    auch Geflüchtete, die bei Freunden oder Verwandten Zuflucht gefunden haben,
    registrieren lassen und einen hürdenlosen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt
    erlangen können;
11. eine zügige Integration ukrainischer Kinder und Jugendlicher in die deutsche Bil-
    dungslandschaft zu ermöglichen;
12. Staaten wie Moldau und Georgien, die durch die Flucht Hunderttausender Ukrai-
    nerinnen und Ukrainer sowie Russinnen und Russen besonders in der Verantwor-
    tung stehen, zu unterstützen sowie die Staatlichkeit und Resilienz dieser Staaten
    zu stärken;
13. sich auf europäischer Ebene für eine Unterstützung der Kommunen der Anrainer-
    staaten einzusetzen, auf eine Verteilung der Geflüchteten innerhalb der EU hinzu-
    wirken, auf die sich die beteiligten Staaten verlassen können sowie auf eine bes-
    sere Koordinierung bei der Verteilung innerhalb Europas hinzuwirken, damit
    Frauen und Kinder auf der Flucht nicht Betrug und Menschenhandel ausgesetzt
    sind;
14. im Anschluss an das von der EU beschlossene Embargo für Kohle schnellstmög-
    lich den Ausstiegsfahrplan für russische Öl- und Gasimporte auf den Weg zu brin-
    gen und den zügigen und konsequenten Ausbau erneuerbarer Energien zu forcie-
    ren, Energiequellen zu diversifizieren, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen;
15. sich auf europäischer Ebene für einen Importstopp von Uran und weiteren Roh-
    stoffen aus Russland und Belarus einzusetzen;
16. schnellstmöglich nach der Umsetzung eines vollständigen Stopps aller Energielie-
    ferungen aus Russland, eine weitgehende Listung und einen weitgehenden Aus-
    schluss aller russischen Banken aus dem internationalen Bankenkommunikations-
    system SWIFT auf den Weg zu bringen;
17. die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland und Belarus weiter stark zu be-
    schränken, um so deren Haupteinnahmequellen auszutrocknen, die Handlungsfä-
    higkeit dieser Regime einzuschränken und zu verhindern, dass sich Deutschland
    erneut in einseitige wirtschaftliche Abhängigkeiten von autokratischen Ländern
    begibt;
18. gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedstaaten die bisher beschlossenen weitrei-
    chenden Sanktionen gegen Russland konsequent umzusetzen, gezielt auszuweiten
    und zu verschärfen und hierbei insbesondere
     a. bestehende Lücken, die eine Sanktionsumgehung ermöglichen, zu schließen,
          das Vermögen von sanktionierten Personen unverzüglich einzufrieren und
          systematisch die in Deutschland bestehenden strukturellen Hürden für die
          Durchsetzung der Sanktionen zu beseitigen, unter anderem das wirtschaftlich
          Berechtigte von Immobilien, Firmen und Luxusgütern zügig und einfach für
          die Behörden feststellbar sind,
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       b. Angehörige von Personen, die auf der EU-Sanktionsliste geführt werden,
            durch den sofortigen fallbezogenen Entzug ihrer Visa aus der EU ausgewie-
            sen werden und
       c. die weltweite Durchsetzung der beschlossenen Sanktionen durch aktive dip-
            lomatische Bemühungen zur Beteiligung asiatischer, afrikanischer und la-
            teinamerikanischer Staaten an diesen zu erhöhen;
19.   auf europäischer Ebene darauf hinzuwirken, dass bei EU-Beitrittskandidaten, die
      die Sanktionen unterlaufen, die Vorbeitrittshilfen überprüft werden und Maßnah-
      men von Unternehmen, die die Sanktionen unterlaufen, mit aller Konsequenz ge-
      ahndet werden;
20.   der Volkrepublik China gegenüber mit Nachdruck die Erwartung Deutschlands
      und der Europäischen Union zu kommunizieren,
       a. dass sie ihre Billigung des Krieges aufgibt und stattdessen die Bestrebungen
             für einen Waffenstillstand aktiv unterstützt und
       b. dass jedwede Bestrebung, die von der westlichen Staatengemeinschaft ver-
             hängten Sanktionen gegen Russland zu unterlaufen oder gar Waffen an
             Russland zu liefern, wirtschaftliche und personenbezogene Sanktionen nach
             sich ziehen wird;
21.   im Rahmen der G20 auf eine klare Verurteilung des Angriffs auf die Ukraine zu
      drängen und auf eine Isolierung Russlands hinzuwirken;
22.   sich bereits heute in der EU und mit anderen Partnern für die zügige Einrichtung
      des vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Marshall-Plans zum Wieder-
      aufbau für die Ukraine und die Region und den vom Europäischen Rat vorgeschla-
      genen Solidaritäts-Treuhandfonds für die Ukraine einzusetzen;
23.   der Klage der Ukraine gegen Russland vor dem Internationalen Gerichtshof bei-
      zutreten und ihre Rechtsposition mit anderen EU-Ländern zu koordinieren,
      die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen, insbesondere den Einsatz sexuali-
      sierter Gewalt als Kriegswaffe und weiterer Verbrechen gegen die Menschlichkeit
      strafrechtlich zu verfolgen und die sich häufenden Vorwürfe eines möglichen Ge-
      nozids zu überprüfen;
24.   die Unterstützung für die Ukraine, aber auch für Georgien und Moldau als wich-
      tiges politisches Signal fortzusetzen, ohne dabei die Beitrittsperspektiven für die
      Länder des Westbalkans einzuschränken, und gleichzeitig weiter die Aufnahme-
      fähigkeit der EU durch schnellere Entscheidungsmechanismen zu verbessern.
      Eine Voraussetzung für die Aufnahme in die EU ist die Erfüllung aller Kopenha-
      gener Kriterien;
25.   den Beitritt Schwedens und Finnlands zur NATO, sofern diese Länder es wün-
      schen, aktiv zu unterstützen;
26.   den weiteren Ausbau der Truppenpräsenz der NATO an ihrer Ostflanke, auch
      durch weitere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr über die bisher beschlos-
      sene Stärkung hinaus, auf den Weg zu bringen insbesondere im Baltikum;
27.   für einen möglichst effektiven Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS) sowie
      der Abwehr von Spionage und Sabotage Maßnahmen zu sorgen;
28.   kurzfristig zusätzliche Mittel für die Deutsche Welle zur Verfügung zu stellen, um
      diese in die Lage zu versetzen, Programminhalte in Russland und Belarus senden
      zu können und so einen aktiven Beitrag gegen Desinformation zu leisten und den
      Aufbau von freien russischsprachigen Medien und Medieninhalten in Zusammen-
      arbeit mit der Ukraine und anderen europäischen Partnern zu unterstützen;
29.   sich angesichts der wachsenden Zensur in Russland gegen in- und ausländische
      Medien für die Nutzung und verstärkte politische Unterstützung von VPN-Diens-
      ten zur Umgehung staatlicher Zensur einzusetzen;
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30. sich auf europäischer Ebene, aber auch national, dafür einzusetzen, dass russische
    Oppositionelle, Menschenrechtsverteidigerinnen und -Verteidiger und oppositio-
    nelle Journalistinnen und Journalisten EU-weit gültige Visa und Arbeitsgenehmi-
    gungen erhalten und dass ihr Einsatz für ein anderes, freies und demokratisches
    Russland vom Exil aus gefördert wird;
31. an russische Soldaten den Appell zu richten, die Waffen niederzulegen und darauf
    hinzuweisen, dass ihnen der Weg ins deutsche und europäische Asylverfahren of-
    fensteht;
32. das Engagement zur Übernahme von erkrankten oder verletzten Patientinnen und
    Patienten aus Krankenhäusern der Ukraine und deren Nachbarstaaten zur Weiter-
    versorgung in Deutschland zu intensivieren und auch die Koordination der dazu
    erforderlichen medizinischen Transporte zu übernehmen;
33. die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass qualifiziertes Gesundheitsfachperso-
    nal aus der Ukraine bei der medizinischen oder pflegerischen Versorgung von Ge-
    flüchteten vorübergehend heilkundlich in Deutschland tätig werden darf;
34. Opfern von Repression, Folter und Vergewaltigung medizinische und psycholo-
    gische Hilfe zu gewähren. Um dies sicherzustellen muss auch die Kostenüber-
    nahme für Sprachmittlung als Teil der Gesundheitsversorgung umgehend gesetz-
    lich geregelt werden;
35. Umzugsangebote für IT- und andere Unternehmen, die Schaffung legaler Einwan-
    derungsmöglichkeiten für Fachkräfte und Stipendienprogramme für verfolgte Stu-
    dierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Journalistinnen und Journa-
    listen sowie Medienschaffende bereitzustellen und auszuweiten;
36. die ukrainischen Strafverfolgungsbehörden bei ihrer Ermittlungsarbeit zu unter-
    stützen;
37. erforderliche Mittel im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der huma-
    nitären Hilfe für die Ukraine bereitzustellen;
38. sich angesichts der dramatischen und weitreichenden Auswirkungen des Krieges
    insbesondere auf die Ernährungssicherung der Entwicklungs- und Schwellenlän-
    der für die Unterstützung dieser, sowie die Offenhaltung von Agrarmärkten und
    die Verhinderung von Exportstopps einzusetzen;
39. am Ziel der Herstellung einer europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung, die
    für alle Staaten gleichermaßen Gültigkeit hat und die Unverletzbarkeit ihrer Gren-
    zen garantiert, festzuhalten;
40. für den Frieden in Europa einzustehen und sich niemals mit Gewalt als Mittel der
    Politik abzufinden, sich starkzumachen für die friedliche Lösung von Kriegen und
    Konflikten und in ihrem Bemühen nicht nachzulassen, bis der Frieden in Europa
    wiederhergestellt ist.

Berlin, den 27. April 2022

Dr. Rolf Mützenich und Fraktion
Friedrich Merz, Alexander Dobrindt und Fraktion
Katharina Dröge, Britta Haßelmann und Fraktion
Christian Dürr und Fraktion

      Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co. KG, Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
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                                                                    ISSN 0722-8333
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