ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin

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ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
ARBEITSBERICHTE
Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin

Herausgeber:      Thomas Bürk-Matsunami
                  Jonas R. Bylund
                  Kim Förster
                  Dirk Gebhardt
                  Matthias Naumann

Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Ergebnisse eines Projektseminars

Heft 110                             Berlin 2005
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
Arbeitsberichte
         Geographisches Institut
       Humboldt-Universität zu Berlin
                Heft 110

               Herausgeber:

          Thomas Bürk-Matsunami
              Jonas R. Bylund
                Kim Förster
               Dirk Gebhardt
             Matthias Naumann

Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
     Ergebnisse eines Projektseminars

                Berlin 2005
                ISSN 0947 - 0360

                                         Geographisches Institut
                                   Humboldt-Universität zu Berlin
                                     Sitz: Rudower Chaussee 16
                                             Unter den Linden 6
                                                   10999 Berlin
                                     (http://www.geographie.hu-berlin.de)
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
INHALTSVERZEICHNIS
ZUSAMMENFASSUNG                           1
SUMMARY                                   1
EINLEITUNG                                3
WOHNEN NACH WUNSCH?!                     23
ZWISCHEN ARBEITS- UND FREIZEITRAUM DER   39
BERLINER FUNKTIONSELITEN                 39
PHÄNOMENOLOGIE VON LUXUSWAREN            55
KARTOGRAPHIE DES REICHTUMS               69
REICHTUM UNTER MIGRANTEN                 81
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
ZUSAMMENFASSUNG                             SUMMARY
                    Der vorliegende Text ist das Ergebnis der   This text is the result of a two-semester
                    Auseinandersetzung eines zweisemest-        project course on „Social geographies
                    rigen Projektseminars mit dem Thema         of affluence in Berlin“ at the Geography
                    „Sozialgeographien des Reichtums in         Department of Humboldt-University.
                    Berlin“ am Geographischen Institut der      The starting point of our work was the
                    Humboldt-Universität zu Berlin. Aus-        thesis, that within the scenario of so-
                    gangspunkt unserer Betrachtung ist          cio-spatial polarisation in the cities, the
                    die These, dass sich innerhalb des Sze-     scientific and political gaze often turns
                    narios sozialräumlicher Polarisierung in    unidirectionally towards the poor and
                    den Städten, der wissenschaftliche und      their so-called disadvantaged neigh-
                    politische Blick häufig einseitig auf die    bourhoods. We wanted to redirect this
                    Wohnorte der armen Bevölkerung, so-         gaze towards affluence, the other side
                    genannte benachteiligte Stadtviertel,       of polarisation, and thus approach a
                    richtet. Diesen Blick wollten wir nun       field that appeared to us rather neglec-
                    auf die andere Seite der Polarisierung,     ted, at least within Geography.
                    die des Reichtums lenken, die uns - zu-     Our expedition into this so far sparsely
                    mindest in der Geografie – weitgehend        investigated field required usable me-
                    unerforscht erscheint.                      thodological and theoretical tools as
                    Unsere Expedition in dieses bislang         well as thematic approaches to the to-
                    wenig erforschte Themengebiet frag-         pic. This did not lead us to uncover the
                    te nach möglichen methodischen bzw.         social geography of affluence in Berlin.
                    theoretischen Werkzeugen und thema-         It rather represents an attempt, to try
                    tischen Zugängen zum Thema Reich-           out some empirical approaches along-
                    tums in Berlin. Sie führten uns nicht zu    side the students’ interest and within
                    der Sozialgeographie des Reichtums          in a narrow time frame. The organi-
                    in Berlin, sondern stellt eher den Ver-     sational setting for our preoccupation
                    such dar, in einem zeitlich engen Rah-      with affluence was the simulation of a
                    men an den Interessen der Studieren-        research project with discussions, pre-
                    den entlang erste empirische Zugänge        sentations, mutual knowledge transfer
                    auszuprobieren. Der organisatorische        and narrow deadlines.
                    Rahmen für unsere Beschäftigung mit         The results of the students’ work groups
                    Reichtum war die Simulation eines For-      presented here deal with the relation
                    schungsprojektes, mit Diskussionen,         between urban policies and affluence,
                    Präsentationen, gegenseitiger Wissens-      the spaces of the functional elites of
                    vermittlung und engen deadlines.            the German capital, the phenomenon
                    Die hier vorgestellten Ergebnisse der       of luxury goods and its spatial expres-
                    studentischen Arbeitsgruppen beschäf-       sion, cartographic approaches to afflu-
                    tigen sich am Beispiel von Berlin (und      ence and the topic of affluent migrants
                    Potsdam) mit dem Zusammenhang von           exemplified by Turkish entrepreneurs.
                    Stadtpolitik und Reichtum, den Räumen       An introductory chapter reconstructs
                    der Funktionselite, dem Phänomen Lu-        the thematic and organisational frame
                    xuswaren und seiner lokalen Ausprä-         of the course.
                    gung, kartographischen Zugängen zum
                    Reichtum und dem Thema “Reichtum
                    unter Migranten” am Beispiel türkisch-
                    stämmiger Unternehmer. Ein einleiten-
                    des Kapitel der Seminarleitung stellt
                    den thematischen und organisatori-
                    schen Rahmen des Seminars dar.

Geographisches Institut
Arbeitsberichte 110, 2005
Sozialgeographien des Reichtums in Berlin                                                               1
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
Geographisches Institut
                      Arbeitsberichte 110, 2005
2   Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
EINLEITUNG
                                                               SOZIALGEOGRAPHIEN DES REICHTUMS IN BERLIN

                                                         THOMAS BÜRK-MATSUNAMI | JONAS R. BYLUND | KIM FÖRSTER
                                                                           DIRK GEBHARDT | MATTHIAS NAUMANN

1. DIE ENTSTEHUNG DES                        in Berlin und den Möglichkeiten, diese
                                             zu erkennen und zu vermitteln. Vor die-
PROJEKTSEMINARS „SO-                         sem Hintergrund entstand wenig später

ZIALGEOGRAPHIEN DES                          ein Projektseminar zum Thema „Sozial-
                                             geographien des Reichtums in Berlin“
REICHTUMS IN BERLIN„                         am Geographischen Institut der Hum-
                                             boldt-Universität. Die Notwendigkeit
Am Anfang unserer Idee für das Pro-          einer kritischen methodologischen und
jektseminar „Sozialgeographien des           theoretischen Auseinandersetzung, die
Reichtums in Berlin“ stand die Teilnah-      über die Grenzen klassisch-geographi-
me an einem Workshop zu visuellen            scher Ansätze hinausreicht, sowie eine
Methoden in der Sozialgeographie (sie-       Beschäftigung mit der Frage, was über-
he 2.4.). Im Verlauf der Koproduktion        haupt Reichtum ist, gehörte zu den in-
zwischen den Geographischen Institu-         haltlichen Vorgaben der Veranstaltung.
ten der Open University London und           Wir gingen ferner davon aus, dass das
der Humboldt-Universität entwickelte         bislang wenig bearbeitete Thema inno-
sich in unserer Projektgruppe die Neu-       vative Methoden und unterschiedliche
gierde, Reichtum und dessen räumliche        analytische Perspektiven erfordert und
Ausprägungen in Berlin auf die Spur zu       die Gewissheiten einfacher Reprodukti-
kommen. Bereits während der Vorbe-           onen und Modellhaftigkeiten verlassen
reitung auf den Workshop hatten wir          würde. Die Veranstaltung sollte schließ-
festgestellt, dass es nur ausgesprochen      lich auch keinen Frontalbetrieb dozie-
wenig deutschsprachige, aber auch            render Lehrkräfte darstellen, sondern
kaum englischsprachige Literatur zum         verschiedene Interessen und Ideen be-
Themenkomplex Reichtum gibt. Wäh-            rücksichtigen.
rend sich SoziologInnen hauptsächlich        Somit galt es, das manchmal forma-
mit Armuts- oder Elitenforschung be-         lisierte   Einbahnstraßenmuster      der
schäftigen, ist der Interessenshorizont      Sozialforschung „Thema eingrenzen
der Kulturwissenschaften zumeist mit         - Theorie suchen - Forschungsdesign
ästhetischen Formen oder Kulturge-           entwickeln - empirische Untersuchung
schichten bestimmter Reichtumsobjek-         durchführen und auswerten - Ergeb-
te beschäftigt. Aus dieser Ausgangs-         nisse formulieren“ aufzubrechen. Die
lage entstanden zwei Thesen, die den         Lehrveranstaltung sollte in Form der
roten Faden des Projektseminars bilden       Simulation eines Forschungsprozesses
sollten:                                     durchgeführt werden, ungefähr so, als
• Reichtum ist ein „blinder Fleck“ in der    würde uns ein Forschungsinstitut den
wissenschaftlichen Wahrnehmung von           Auftrag erteilen, Reichtum in Berlin
Gesellschaft.                                sozialgeographisch zu ergründen. In
• Reichtum ist ein komplexes soziales        mehreren Blockseminaren behandel-
Phänomen, das nicht einfach zu kate-         ten wir zunächst erste Zugänge zum
gorisieren, zu beschreiben und zu ana-       Thema, diskutierten später als zentral
lysieren ist.                                erachtete theoretische und methodi-
Auf dieser Basis stellte sich die Frage      sche Werkzeuge und bereiteten diese
nach der Räumlichkeit des Reichtums          zur gegenseitigen Wissensvermittlung
                                             und unter Berücksichtigung ihres prak-

             Geographisches Institut
             Arbeitsberichte 110, 2005
             Sozialgeographien des Reichtums in Berlin                                                     3
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
Einleitung

tischen Nutzens für das Seminar als            Forschungsfragen dazu, die folgen-
Kurzreferate und Essays vor.                   de Forschungsarbeit zu planen. In der
Aus diesen ersten Arbeitsgrundlagen,           empirischen Phase führten die Arbeits-
die in wechselnden personellen Kon-            gruppen selbstständig die Feldarbeit
stellationen geschaffen wurden, bil-           durch. Der Zwischenstand der Arbeiten
deten sich in mehreren Schritten fünf          wurde auf der Langen Nacht der Wis-
Arbeitsgruppen, die zu den Themen              senschaften im Juni 2005 öffentlich
„Konsum und Luxuswaren“, „Reichtum             gemacht und teilweise lebhaft mit dem
und Stadtpolitik“, „Reichtum und Kar-          Publikum diskutiert. Die Endergebnisse
tographie“, „Dualistische Lebensmo-            dieses Arbeitsprozesses finden sich im
delle“ und „Türkische Unternehmer“             Anschluss an diese Einleitung.
arbeiteten. Die Arbeitsgruppen erstell-        In den folgenden Abschnitten sollen je-
ten als Baustein der Simulation eines          doch zunächst einige zentrale Proble-
Forschungsprojekts „Anträge“, die fik-          me dargestellt werden, die das Projekt
tive Zuwendungsgeber von der För-              über die gesamte Zeit seines Bestehens
derungswürdigkeit der jeweiligen The-          begleiteten und somit sowohl für die
men überzeugen sollten. Die „Anträge“          Texte der Arbeitsgruppen als auch für
dienten neben der Konkretisierung der          unsere Arbeit einen Rahmen bildeten.

  2. WER ODER WAS IST REICH?

Zwischen einer sponti-existentialis-            steht auch hinsichtlich der ökonomischen,         Reichtumsdefinitionen
tischen Parole wie „Reich ist, wer ge-          politischen, sozio-kulturellen und ge-          der Studierenden zu Be-
nießen kann“ (Graffiti auf dem Berner            schlechtsspezifischen Aspekte von wach-         ginn des Projektseminars
                                                sendem privatem Reichtum einerseits und
Universitätsgelände) und statistischen
                                                steigender Verarmung (auch des Staates)          Wie lautet Deine Definition von
Pro-Kopf-Warenkorbsmessungen – die                                                                                 Reichtum (kurz)?
                                                andererseits. (Stadlinger 2001: 7)
beispielsweise die Reichtumsgrenze                                                             Reichtum bedeutet für seine Be-
                                                                                                sitzer, genügend ökonomisches,
jenseits des doppelten durchschnitt-           Diese unscharfen Grenzen bildeten                  soziales und kulturelles Kapital
lichen gewichteten Haushaltseinkom-            die Grundlage für eine Frage unseres                zu besitzen, um Teil einer ge-
                                               Fragebogens, den wir am Anfang des               sellschaftlichen Elite zu sein und
mens (Huster 1993: 11; 2001: 9) fest-                                                                damit auch, gesellschaftliche
legen – liegen erkenntnistheoretische          Seminars den Studierenden vorlegten.                  Machtpositionen zu besetzen
                                               Die Antworten, die hier zusammenge-               und Macht ausüben zu können.
Welten. Trotzdem – oder gerade des-                                                                  Reichtum bedeutet für mich,
halb – ist die Auseinandersetzung mit          stellt sind, spiegeln die vielen Dimensi-             die Mittel zu besitzen, die es
Reichtum und Raum in Berlin nicht nur          onen wider, die Reichtum beinhaltet.             ermöglichen, ein erfülltes Leben
                                                                                                      zu führen (was auch immer
eine spannende, sondern auch eine                                                                 das bedeutet). Das muss nicht
sehr umfassende, multidisziplinäre und
herausfordernde Thematik.
                                               2.1. RELATIONALE UND                            zwangsläufig Geld sein. Dennoch
                                                                                               bedeutet ein Leben ohne materi-
                                                                                                elle Zwänge für viele Menschen,
Die wenigen AutorInnen aus dem Be-             RELATIVE REICHTUMSBE-                                     mich eingeschlossen, eine
                                                                                                Voraussetzung, um dieses Ideal
reich der Sozialwissenschaften, die
sich seit einigen Jahren im deutsch-
                                               GRIFFE                                                                   zu erreichen.
                                                                                                         Reichtum: In materieller /
                                               Begriffsbestimmungen     von    gesell-           finanzieller und / oder immate-
sprachigen Wissenschaftsbetrieb mit                                                               rieller Hinsicht nicht im Mangel
                                               schaftlichem oder persönlichem Reich-
sog. Reichtumsforschung beschäftigen                                                             zu leben, sondern jederzeit aus
                                               tum verweisen immer auf den – zu-               dem Vollen schöpfen zu können,
(Huster 1993, 2001; Stadlinger 2001;
                                               meist normativen – sozialen Gegenpol                 unabhängig davon, ob dieser
Eißel 2001; Hauser und Becker 2001),                                                                Zustand aus eigener Leistung
                                               der Armut. Dieses relationale Begriffs-               oder durch Fremdeinwirkung
konstatieren durchweg Schwierigkeiten
                                               paar lässt sich weder quantitativ noch            erreicht wurde. Oder: Überfluss
bezüglich einer differenzierten Begriffs-                                                      an materiellen und / oder imma-
                                               qualitativ unabhängig voneinander be-
bestimmung, Reichtumsdefinition und                                                                                  teriellen Gütern.
                                               stimmen und formulieren:                             Viel Geld, viele Möglichkeiten
den zur Verfügung stehenden Quellen-                                                                  aber genauso viel Angst wie
und Datenmaterialien.                           Reichtum und Armut ist zu etwas Ganzem                                 andere Leute.
                                                zusammengefasst, in sich gegensätzlich         Derjenige, der sich nicht ständig
 Zu konstatieren sind (...) nicht allein De-                                                           Gedanken darüber machen
                                                aber nicht trennbar (Marx/Engels zitiert in       muss, ob er sich nun Dinge für
 fizite in der empirischen Erfassung von
                                                Huster 2001: 11).                                  den täglichen Bedarf (z.B. Ar-
 Struktur, Konzentration und Differenzie-                                                        beitsmaterialien, Praxisgebühr,
 rung von Reichtum. Diskussionsbedarf be-      Es kann zudem keinen allgemeingülti-                    ...) leisten kann oder nicht.

                                                                                         Geographisches Institut
                                                                                       Arbeitsberichte 110, 2005
 4                                                                   Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
Einleitung

Reich ist derjenige, der trotzdem     gen, de-lokalisierten und zeitlich entan-      bzw. Operationalisierbarkeit der meis-
                 zum Arzt geht. :-)   kerten Reichtumsbegriff geben. Was an          ten Begriffsbestimmungen, auch wenn
Reichtum fängt für mich da an,
wo Leute soviel Geld besitzen,        einem Ort zu einer bestimmten Zeit-            diese oft ohne oder mit nur sehr va-
dass sie ihr Leben bestreiten,        punkt als reich empfunden, imaginiert          gem konkreten räumlichen Bezügen
ohne auch nur im geringsten
darauf achten zu müssen bzw.          und dargestellt wird, ist relativ. Es ist an   vorgenommen werden („in unserer Ge-
darüber nachzudenken, ob sie          anderem Ort, erst recht zu anderer Zeit,       sellschaft“, „bei uns“, in Deutschland,
möglicherweise ihr Konto über-
ziehen oder Geld knapp wird.
                                      mitnichten das Selbe. Gleichwohl kann          etc....). Dabei bleibt Reichtum eine Be-
Abwesenheit von Armut.                das Bemühen, Reichtum örtlich und              griffsbildung in gesellschaftlichen Kon-
Unterscheidung in sozialen            zeitlich zu bestimmen, auch dazu die-          texten, eine soziale Konstruktion von
Reichtum und finanziellen
Reichtum.                             nen, die Herkunft einer Anhäufung oder         Besitzstand, Distinktion und Anerken-
Freie räumliche und soziale           der Abwesenheit von privatem oder ge-          nung als situiertem Wissen.
Mobilität.
Besitz von materiellen und            sellschaftlichem Besitz zu verschleiern.       Die Materialisierungen dieser sozialen
immateriellen Gütern, die in          So betonte Espenhorst (1993: 133),             Reichtumskonstruktionen beruhen auf
überdurchschnittlichem Maße
vorhanden sind.                       dass „500 Jahre nach Kolumbus immer            materiell-quantitativen oder immateri-
Selbstverständlich vom Bezugs-        deutlicher werde, wie stark Reichtum in        ell-qualitativen, meist miteinander ver-
raum abhängig (globale, konti-
nentale, staatliche, städtische
                                      Europa auf der Ausbeutung und Unter-           flochtenen Konzepten. So haben selbst
Perspektive).                         drückung der übrigen Welt“ beruht. Be-         idealistische Reichtumsbegriffe wie bei-
Reichtum: Deutlich mehr an
                                      reits in den 1970er Jahren hatten kriti-       spielsweise ein „Hauptsache, gesund
materiellen Gütern als andere
Mitglieder einer Gesellschaft zu      sche Geographen (Blaut 1970; Harvey            und glücklich“ zugleich starke materi-
besitzen. Es gibt auch sozia-         1975) auf diese spatial dialectics einer       elle Komponenten. Selbst die Negati-
len, familiären oder kulturellen
Reichtum.                             ungleichen globalen Entwicklung als            on des allein materiellen Glücks kann
Reichtum ist eine Frage des           Grundlage der Reichtumsakkumulation            nicht verbergen, dass gesellschaftliche
Besitzes: individuell und gesell-
schaftlich. Luxusgüter und Res-       in der Metropolen des reichen Nordens          Anerkennung, persönliche Wahrneh-
sourcen. Doch muss materieller        hingewiesen. Seit dieser Zeit ist auch         mung und Verwirklichung individuellen
vom immateriellen Reichtum
unterschieden werden. Natürlich
                                      von anderen GeographInnen eine Fül-            Glückes – ganz zu schweigen von den
ist in erster Linie derjenige         le an Arbeiten zu uneven development           Möglichkeiten des Zugangs zur Ge-
reich, der Geld hat. So spielen
                                      entstanden (vor allem Smith 1984).             sundheitsversorgung – zumeist an die
Lebenswelten genauso eine Rol-
le wie Luxusgüter. Mobilität und      Sie können als eine Grundlage der Dis-         eigenen materiellen Ressourcen oder
Reichtum bedingen einander.           kussion um einen an weltweiten Wa-             an kommunitäre Wohlfahrtssysteme
Doch zählt auch derjenige, der
reich an Erfahrungen ist. Kapital     ren- und Geldzirkulationen orientierten        gekoppelt sind. Ebenso ist das Streben
ist unterschiedlich geartet. Hu-      Reichtumsbegriff angesehen werden              nach materiellem Besitzstand und Ver-
mankapital wird unterschiedlich
genutzt und ausgenutzt. Kultu-        und immer wieder daran erinnern, dass          mögen mit Hoffnungen auch auf imma-
relles Kapital sollte strategisch     prunkvolle Gebäude und Infrastruktu-           terielles Glück verbunden.
eingesetzt werden.
                                      ren westlicher Metropolen also mitnich-        Als wesentliches Element der Reich-
                                      ten allein das Produkt lokalen Fleißes         tumskonstruktion kann deren Geldform
                                      darstellen, sondern im Kontext interna-        angesehen werden. Die materielle Basis
                                      tionaler ungleicher kapitalistischer Ver-      allen Reichtums ist die, mehr oder we-
                                      hältnisse betrachtet werden sollten.           niger, via Geld vermittelte Form der Ak-
                                      Auch bei Marx und Engels wird man zu           kumulation von Kapital. Die Substanzen
                                      dieser geopolitischen Frage fündig:            der Reichtumsakkumulation sind Geld,
                                        Die Entdeckung der Gold- und Silberlän-
                                                                                     Gold, Silber und andere Gestalten des
                                        der in Amerika , die Ausrottung, Verskla-    Reichtums (Marx/Engels 1932, 1951b:
                                        vung und Vergrabung der eingeborenen         620ff).1 Und davon kann mensch be-
                                        Bevölkerung in die Bergwerke, die begin-     kanntermaßen nie genug haben:
                                        nende Eroberung und Ausplünderung von        Qualitativ oder seiner Form nach ist
                                        Ostindien, die Verwandlung von Afrika in     das Geld schrankenlos, d.h. allge-
                                        ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarz-      meiner Repräsentant des stofflichen
1
 So merkt Friedrich                     häute, bezeichnen die Morgenröte der ka-
                                                                                     Reichtums, weil in jede Ware unmittel-
Engels an: Nur vermittels               pitalistischen Produktionsära. Diese idyl-
                                        lischen Prozesse sind Hauptmomente der
                                                                                     bar umsetzbar. Aber zugleich ist jede
des Geldes (wird) der
                                        ursprünglichen Akkumulation. (Marx/En-       wirkliche Geldsumme quantitativ be-
Reichtum des einzelnen
als gesellschaftlicher                  gels 1951 [1932]: 790).                      schränkt, daher auch nur Kaufmittel
Reichtum verwirklicht;                                                               von beschränkter Wirkung. Dieser Wi-
                                      Dennoch bedarf es zum Messen und
im Geld (...) ist die                                                                derspruch zwischen der quantitativen
gesellschaftliche Natur               Erfassen von Reichtum dessen raum-
                                                                                     Schranke und der qualitativen Schran-
des Reichtums verkör-                 zeitlicher Kontextualisierung. Erst die
                                                                                     kenlosigkeit des Geldes treibt den
pert (Marx/Engels 1932,               räumlichen Wahrnehmungsperspekti-
                                                                                     Schatzbildner stets zurück zur Sisy-
1951b: 620).                          ven auf die scales, die unterschiedli-
                                                                                     phusarbeit der Akkumulation. Es geht
                                      chen geographischen Maßstabsebenen,
                                                                                     ihm wie dem Welteroberer, der mit
                                      entscheiden über die Brauchbarkeit

               Geographisches Institut
               Arbeitsberichte 110, 2005
               Sozialgeographien des Reichtums in Berlin                                                                    5
ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
Einleitung

jedem Land eine neue Grenze erobert           (Huster 2001: 12f).                                    Die wirtschaftliche Situation
(Marx/Engels 1932, 1951b:139).                                                                      einer Person oder Gruppe, in
                                             Daraus lässt sich auch folgern, dass                 der über mehr als ausreichen-
In der sozialwissenschaftlichen Litera-                                                               de finanzielle Mittel verfügt
                                             Sozialstatistiken und statistische Anga-
tur (Huster 1993, 2001; Hauser und                                                              wird, welche weit über das zum
                                             ben zur Einkommens- und Vermögens-                      Lebensunterhalt nötige Maß
Becker 2001) stellen indirekt geld-
                                             verteilung gerade auch im Bereich der              hinausgehen und zur Ansamm-
bezogene Topoi wie Einkommen und                                                                  lung großer Geldsummen oder
                                             oberen Besitztumssegmente mit Vor-                               Sachkapital führen.
Vermögen zwei entscheidende Begrif-
                                             sicht zu interpretieren sind.                      Das Einkommen übersteigt das
fe auf der Suche nach dem Reichtum                                                                    durchschnittliche Pro-Kopf-
                                             Bei Versuchen, dies trotzdem anhand                 Einkommen um ein Vielfaches.
bestimmter Bevölkerungsgruppen dar.
                                             von statistischen Datenquellen zu ver-            Reiche Menschen besitzen deut-
Das Vermögen habe, so Hauser und                                                                 lich mehr Vermögen als für die
                                             suchen, verweisen Hauser und Becker
Becker, grundsätzlich die Eigenschaft,                                                           Befriedigung der Grundbedürf-
                                             (2001) auf amtliche Einkommens- und                   nisse notwendig ist (Nahrung,
sich durch Wertzuwachs (Zinserträge,                                                           Kleidung, Wohnen, Urlaub, Auto
                                             Verbrauchsstichproben (EVS), den Mi-
Aktiengewinne) zu vermehren, und                                                                etc.). Reichtum ist meiner Mei-
                                             krozensus, das Europanel sowie die               nung nach keine Frage der abso-
werde in der Regel nicht versteuert.
                                             vom Bundesministerium für Arbeit und             luten Vermögenszahlen, sondern
Dadurch werde es statistisch kaum er-                                                            abhängig vom Umfeld. Er zeigt
                                             Sozialordnung sowie dem Verband                     sich oft in der Summe der Sta-
fassbar. Deshalb könne allein auf der
                                             Deutscher Rentenversicherungsträger                   tussymbole. Reiche Menschen
Grundlage von Vermögen keine Aus-                                                                    haben oft das Bedürfnis den
                                             erstellte Untersuchung zur Alterssiche-            Reichtum zu zeigen und suchen
sage über den Reichtum einer Region
                                             rung in Deutschland (ASiD). Zusätzlich                    die Nähe anderer Reicher.
gemacht werden.
                                             zu den oft nur bedingt zugänglichen
In Anlehnung an das Lebenslagenkon-
                                             und unzureichenden amtlichen Daten
zept in der Armutsforschung schlägt
                                             verweisen Hauser und Becker auf Erhe-
Dieter Eißel einen Reichtumsbegriff vor,
                                             bungen von WissenschaftlerInnen und
der sich deutlich von den allein ver-
                                             Forschungsinstituten. Als besonders
mögens- und einkommensorientierten
                                             aufschlussreich werden hier einerseits
statistischen Daten unterscheidet. Ori-
                                             die zweijährig durchgeführte Allgemei-
entiert am United Nations Development
                                             ne Bevölkerungsumfrage der Sozial-
Programme wäre für Eißel reich, wer
                                             wissenschaften (ALLBUS) sowie die in
 über ausreichende materielle Ressourcen     größeren Zeitabständen ansetzenden
 (Nahrung und gesundes Trinkwasser) ver-     Wohlfahrtssurveys erwähnt. Als wich-
 fügt, in einer intakten Umwelt lebt, eine   tigste nicht-amtliche Quelle für empi-
 hohe Lebenserwartung hat, gesund ist
                                             rische Verteilungsanalysen wird jedoch
 bzw. Zugang zu einem zufrieden stellen-
                                             das Sozio- Ökonomische Panel (SOEP)
 den Gesundheitssystem hat, über ein ho-
 hes Maß an Bildung verfügt und an der       angesehen. Die AutorInnen resümieren
 gesellschaftlichen und öffentlichen Kom-    jedoch trotz dieser Quellen:
 munikation partizipiert und die Macht (…)    der Forschungsstand ist ungenügend;
 hat, die menschlichen Fähigkeiten auszu-     Verteilungsfragen wurden in den ver-
 weiten (Eißel 2001: 107).                    gangenen 20 Jahren stark vernachlässig
                                              (Hauser/Becker 2001: 49).

2.2. REICHTUMSMESSUN-                        Oder an anderer Stelle:

GEN                                           Eine wirkliche Datengrundlage auf derer
                                              eine fundierte Recherche nach Reichtum
Gerade im Bereich der Datengewinnung          und Vermögen angestellt werden könnte,
zu Vermögens- und Einkommensver-              ist kaum vorhanden (Weick 2000).
hältnissen konstatiert der Reichtums-
forscher Ernst-Ulrich Huster eine eher
entmutigende wissenschaftliche Aus-          2.2.1. REICHENRANKINGS
gangslage:
                                             UND -LISTEN
 Beschäftigt man sich mit dem Reichtum,      Jenseits trockener Zahlen versuchen
 erkennt man sehr schnell, dass es im
                                             sich verschiedene wirtschafts- oder
 Grunde keine Quellen gibt, die geeignet
 sind, aus sich heraus das Bild des Reich-
                                             lifestyleorientierte Magazine ebenfalls
 tums und dessen Entwicklung zu illustrie-   in Reichtumsmessungen. Regelmäßig
 ren. (…) Es drängt sich der Verdacht auf,   aktualisierte Rankings wie die Forbes-
 dass Unkenntnis über hohe Einkommen         Liste oder die Liste der 300 reichsten
 vielleicht sogar eine ihrer Voraussetzun-   Deutschen des manager magazins ge-
 gen darstellt. Hohe Einkommensbezieher      ben dem schwer greifbaren Reichtum
 lieben das Diskrete, vor allem, wenn es     ein Gesicht, Reichtum wird hierarchi-
 um die Offenlegung ihrer Einkünfte geht
                                             siert, personifiziert und regionalisiert.

                                                                                        Geographisches Institut
                                                                                      Arbeitsberichte 110, 2005
 6                                                                  Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung

Sind Reiche zufriedener?           Um konkretes Anlageverhalten geht          mit verweist das exklusive Adressbuch
Reichtum ist nicht nur             es hingegen bei den Reichtumsklas-         gleichzeitig auf andere Kapitalformen.
Geldbesitz – aber ohne             sifizierungen der Beratungsfirma Cap
Geld nicht denkbar                 Gemini und der Investmentbank Merril
                                   Lynch. Sie haben die Klasse der „High
                                                                              2.3. SOZIALES UND KULTU-
„Eine objektiv gute Versorgung
muss sich nicht zwangsläufig
in den Einstellungen und dem
                                   Net Worth Individuals“ (HNWI, Geld-        RELLES KAPITAL
subjektiven Wohlbefinden der
                                   vermögen über 1 Mio. Euro, 365.000         Ob Einkommen oder Besitz, die gängi-
Betroffenen widerspiegeln; Die     Menschen in Deutschland 2000) und          ge Vorstellung von Reichtum assoziiert
Vorstellungen über ein ´sehr gu-   der „Ultra High Net Worth Individuals“
tes’ Einkommen sind in starkem                                                diesen vor allem mit Geldvermögen.
Maße von der tatsächlichen Ein-    (UHNWI, Geldvermögen über 30 Mio.          Pierre Bourdieu hat die Diskussion um
kommenssituation abhängig. Mit     Euro, 3700 Menschen in Deutschland
steigender Einkommensposition
                                                                              soziale Ungleichheit und Ressourcen
steigt auch das Anspruchsni-       2000) gebildet, um die Bedürfnisse und     um die Dimensionen soziales und kul-
veau. In der höchsten Einkom-      Anforderungen dieser Gruppen sowie         turelles Kapital erweitert. Diese Reich-
mensgruppe liegt der entspre-
chende Wert mit über 10.000        Implikationen für das Private Banking      tumsdimensionen sind gleichzeitig eine
DM in den alten und 9.000 DM       besser zu verstehen. Ihre Entwicklung      Stütze des ökonomischen Kapitals: Pin-
in den neuen Bundesländern
jeweils mehr als dreimal so hoch
                                   wird jährlich in „World Wealth Reports“    çon und Pinçon-Charlot (1997) stellen
wie in der untersten Einkom-       und nationalen Berichten dargestellt       fest, dass ökonomischer Reichtum in
mensgruppe.                        (Merrill Lynch, Cap Gemini Ernst &
Die tatsächlichen Haushalts-                                                  jedem Fall kulturell und moralisch legi-
einkommen werden in allen          Young 2001). Auf dieser Basis kann         timiert sein muss, um gesellschaftliche
Einkommensgruppen von der          man feststellen, dass die so abgegrenz-
Erwartung an ein ´sehr gutes’
                                                                              Anerkennung zu finden. Kulturelles Ka-
Einkommen übertroffen. Die         ten Reichen zu einem wachsenden Seg-       pital, in Form von Bildungstiteln, objek-
Differenz ist in der untersten     ment der Bevölkerung gehören, das im       tiviertem Wissen und kulturellem know-
Einkommensgruppe - trotz
bescheidenerer Ansprüche - am      Westen viel häufiger als im Osten (Fak-     how grenzt den kultivierten Reichtum
stärksten ausgeprägt. In der       tor 9:1), im Süden häufiger als im Nor-     von den Neureichen ab. Die Bedeutung
höchsten Einkommensgrup-
pe wird die Höhe eines ´sehr
                                   den des Landes vertreten ist.              von Kultur im Großbürgertum drückt
guten’ Einkommens in West-         Berlin hat zwar einen höheren Anteil an    sich durch spezifische kollektive For-
deutschland bei 130 Prozent        allen deutschen HNWIs als es dem Be-
und in Ostdeutschland sogar bei                                               men des Konsums von Hochkultur aus:
160 Prozent des tatsächlichen      völkerungsanteil der Stadt entspricht,     Vernissagen, Opernpremieren und be-
Haushaltsnettoeinkommens           unter den Bundesländern liegt Berlin
angesiedelt.
                                                                              stimmte Musikfestivals. Solche unter
In Ostdeutschland bewegen sich     aber deutlich hinter Hamburg, Bre-         Umständen sehr selektiven Veranstal-
die Vorstellungen von einem        men und sogar hinter dem Flächenland       tungen unterstreichen die Bedeutung
´sehr guten’ Einkommen zwar
auf einem geringeren Niveau als    Hessen. Die meisten HNWIs leben in         der Gruppe, des sozialen Netzwerks,
in Westdeutschland, allerdings     Nordrhein-Westfalen. Die relative Be-      des von Bourdieu so genannten sozia-
ist - mit Ausnahme der niedrigs-
ten Einkommensgruppe - der
                                   deutung der ehemaligen Handelsstädte       len Kapitals als individuelle Ressource
Abstand zum eigenen Haushalts-     Bremen und Hamburg sowie die Spit-         auf Basis der Zugehörigkeit zu einer
einkommen größer.
                                   zenposition NRWs zeigen, dass es auch      Gruppe.
Zufriedenheitsbewertungen
einzelner Lebensbereiche oder      gewisse Persistenzen im Reichtum gibt,     Die drei Kapitalsorten beziehen sich
des Lebens insgesamt können        die sich aus der heutigen Wirtschafts-
als das Ergebnis von Vergleichs-
                                                                              in der Regel aufeinander, stützen sich
und Anpassungsprozessen be-        struktur der Regionen nicht mehr in        gegenseitig und akkumulieren sich auf
züglich der objektiven Lebensbe-   jedem Fall erkennen lassen (vgl. Merril    der einen Seite der sozialen Hierarchie,
dingungen gesehen werden. Sie
werden im Sozio-ökonomischen       Lynch, Cap Gemini 2001: 8).                während sich auf der anderen die Nach-
Panel anhand einer Skala von 0     Andere Veröffentlichungen wie der          teile anhäufen. Kulturelles und noch
´ganz und gar unzufrieden’
                                   französische Bottin Mondain setzen auf     stärker soziales Kapital sind allerdings
                                   mehr als den reinen Geldbesitz. Der        weniger sichtbar als materieller Besitz
                                   Bottin Mondain nimmt seit 1903 Adres-      (Pinçon/Pinçon-Charlot 1997: 8).
                                   sen und Menschen nach den Kriterien        Mehr noch als die reine Akkumulation
                                   Sozialprestige, Prestige des Namens        von Gütern ist für die Beziehungsarbeit
                                   oder der Funktion auf und versteht         (soziales Kapital) und nicht-kodifizier-
                                   sich heute als ein Adressbuch einer        te Formen des kulturellen Kapitals das
                                   bestimmten „art de vivre“, die sowohl      Aufeinandertreffen und das „Unter-
                                   materiell als auch moralisch verstanden    Sich-Sein“ einer Gruppe von Bedeu-
                                   wird und wo die Familie auch im Drit-      tung. Das verweist auf Exklusivität und
                                   ten Jahrtausend eine zentrale Stütze       Segregation als sozialräumliche Phäno-
                                   bleiben wird. Dabei wird betont: La for-   mene (siehe 2.4.).
                                   tune ou le snobisme ne sont en aucun       In Ihrer Marktanalyse der Reichen stel-
2
 .
                                   und Snobismus sind also in keinem Fall     die meisten „Ultra High Net Worth Indi-
                                   Aufnahmekriterien für den Bottin. Da-      viduals“ mit über 30 Millionen Euro trotz

              Geographisches Institut
              Arbeitsberichte 110, 2005
              Sozialgeographien des Reichtums in Berlin                                                             7
Einleitung

des überdurchschnittlichen Wachstums           mentiert)?                                      bis 10 ´ganz und gar zufrieden’
im Segment neuer Reichtum (kurz vor            Auf Fototour unterwegs in Berlin-Zeh-         gemessen. Bei der Zufriedenheit
                                                                                                 mit dem Haushaltseinkommen
dem Untergang der New Economy!)                lendorf und Berlin-Hessenwinkel konn-          zeigt sich ein enger Zusammen-
immer noch dem alten Reichtum ange-            ten wir feststellen, wie schnell eine          hang mit der Einkommenshöhe.
                                                                                                   In Westdeutschland liegt der
hören. Den Bankern gilt neuer Reich-           allein auf materielle Sichtbarkeit auf-        Durchschnitt bei Personen ober-
tum als stärker leistungsorientiert und        bauende Reichtumsforschung an die                halb der 200-Prozent-Schwelle
                                                                                                  mit 8,1 vergleichsweise hoch.
risikobereit. Soziale Konventionen spie-       Grenzen des Erkennens und die mate-                    Der Abstand zur untersten
len eine geringere Rolle. Alter Reichtum       riellen Abgrenzungen privater Räume            Einkommensgruppe beträgt fast
gilt als eher beziehungsorientiert, das        gelangt. Darüber hinaus lernten wir,           4 Skalenpunkte. In Ostdeutsch-
                                                                                                     land findet man nahezu die
Anlageverhalten als konservativer. Ver-        wie sehr sich Quartiere unterscheiden,             gleiche Zufriedenheitsdistanz
schwiegenheit, Exklusivität und Erfah-         die vom Sozialstrukturatlas ähnliche               zwischen den beiden Einkom-
                                                                                                      menspositionen, allerdings
rung sind zentrale Werte dieser Kun-           Bewertungen bekommen. Wichtige                     auf einem niedrigeren Zufrie-
den (German Wealth Report 2000).               Elemente der Visualität von Reichtum               denheitsniveau. Hier geht die
                                                                                                 größere Distanz zwischen den
Man sieht, dass auch die Banken ihren          sind jedoch, wie wir feststellen muss-            tatsächlichen Einkommen und
Bourdieu gelesen haben...                      ten, Probleme der Lesbarkeit und oft              den Anspruchsniveaus, die an
                                                                                              westdeutschen Standards orien-
                                               ein schwieriger Zugang.                         tiert sind, in die Bewertung ein.

2.4. WIE SIEHT REICHTUM                        Somit konnten wir uns vor allem von
                                               Versuchen der Abschirmung, von Si-
                                                                                                 Die Längsschnittanalyse zeigt,
                                                                                                dass Personen, die sich dauer-

AUS?
                                                                                                   haft in der höchsten Einkom-
                                               cherheitsmaßnahmen und Abschlie-                    mensposition befinden, auch
                                               ßungen überzeugen. Hohe Hecken,                 die höchste Einkommenszufrie-
 It is a commonplace of current geogra-                                                          denheit aufweisen. Zumindest
                                               Kameraüberwachung, stilvolle Zäune                im hohen Einkommensbereich
 phical enquiry that we live in an ocular-
 centric, scopophilic world which privileges   und Gitter markieren die Grenzen zu                 scheint somit die allmähliche
                                                                                                   Anpassung des Anspruchsni-
 vision, but acknowledging this insight re-    wohlhabender Privatheit. Noble Auto-                  veaus an das faktisch hohe
 quires that we be aware of the existence      mobile, Möbelstücke und andere teure               Einkommen die Zufriedenheit
                                                                                                  mit dem Einkommen nicht zu
 of many other practices that constantly       Reichtumsaccessoires      verschwinden                            beeinträchtigen.
 correct this vision. (Thrift 2000: 279)       hinter den Mauern der Privatgrundstü-               Auch die Zufriedenheiten mit
                                                                                                  dem Lebensstandard und der
                                               cke. Doch was verbirgt sich hinter den
Im Rahmen des Workshops „Visual Ma-                                                           Arbeit variieren mit der Einkom-
                                               Zäunen? Wie sieht es hinter den Über-            menshöhe, wenn auch weniger
terial – Visuelles Arbeiten: Between                                                          stark als die Einkommenszufrie-
                                               wachungskameras aus?
Reproduction of Truth and Comple-                                                             denheit. Bezüglich der allgemei-
                                               Dies konfrontierte uns mit einem wei-           nen Lebenszufriedenheit, in die
mentary Objects“ hatte sich unsere
                                               teren grundsätzlichen Problem des Pro-              als summarisches Zufrieden-
kleine Projektgruppe zur Aufgabe ge-                                                          heitsmaß auch Bewertungen für
                                               jektseminars, ja wohl der Reichtumsfor-          viele andere Bereiche, wie z.B.
stellt, nach dem sichtbaren Ausdruck
                                               schung insgesamt. Kilian (1998: 125)              Familie und Partnerschaft ein-
reicher Lebensstile und Wohnformen                                                              gehen, ist der Zusammenhang
                                               schreibt dazu: „Publicity is the power              mit der Einkommensposition
in zwei Berliner Stadtteilen zu suchen,
                                               of access. Privacy is the power of ex-           weniger deutlich. Die Differenz
die vom damals gerade neu erschie-                                                           von der höchsten zur niedrigsten
                                               clusion.“ Privatisierte Räume sind nur         Einkommensgruppe beträgt hier
nenen Berliner Sozialstrukturatlas als
                                               mit besonderen Forschungsstrategien               noch 1,6 Skalenpunkte in den
Quartiere mit hohen Einkommen und                                                              alten und 1 Skalenpunkt in den
                                               betretbar, Aussagen über die, hier vor
nur wenigen sozialen Problemen iden-                                                         neuen Bundesländern. Eine hohe
                                               allem materielle Ausstattung des häus-              Einkommensposition erweist
tifiziert wurden. Manifestationen dieser                                                            sich hier als ein Faktor unter
                                               lichen Bereiches, bleiben zumeist ein
urbanen Verhältnisse sollten dabei bild-                                                      vielen, der die Lebenszufrieden-
                                               Tabu. Da wir uns weder über spezielle             heit bestimmt.“ Quelle: Weick
sprachlich dokumentiert werden.
                                               gatekeeper oder besondere Camoufla-                                         (2000)
In der Auseinandersetzung um den
                                               getechniken einen sicher interessanten
Charakter des Faches Geographie als
                                               und spannenden Einblick hinter Türen
visueller Wissenschaftsdisziplin (Grego-
                                               und Zäune verschaffen wollten, orien-
ry 1995; Thrift 2000)3 stellen sich auch
                                               tierten wir uns vor allem an den (mehr
Fragen nach unseren Ways of seeing:
                                               oder weniger) öffentlich zur Schau ge-
Welche Bilder des Reichtums bzw. der
                                               stellten oder im städtischen Kontext
Reichen machen wir uns sowohl im Sin-
                                               präsenten Reichtumsmanifestationen.                3
                                                                                                    Vgl. dazu die e-mail
ne von Repräsentationen als auch von
                                               Deren Charakter drückt sich vor allem                Kommunikation von
deren Interpretation? Somit wurden                                                            Colin Marx von der Open
                                               über den Symbolgehalt als Reichtums-
bereits hier zentrale Grundfragen des                                                           University, einem Teil-
                                               objekte aus.
Projektseminars aufgeworfen:                                                                    nehmer des Methoden-
• Was interpretieren wir als Ausdruck                                                              workshops zu Visual
von Reichtum? Auf welche Symbole               2.4.1. OBJEKTE DES REICH-                         Geographies: “Visual-
                                                                                               ity is increasingly being
und Ornamente, Waren und Luxusgü-
ter achten wir dabei besonders?
                                               TUMS – REICHTUM ALS                            recognised as an impor-
• Welche Orte werden von uns als Orte          OBJEKT
des Reichtums identifiziert (und doku-

                                                                                       Geographisches Institut
                                                                                     Arbeitsberichte 110, 2005
 8                                                                 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung

                                 Seeing comes before words (…) It is see-      tonen das umfassendere Konzept des
                                 ing which establishes our place in the sur-   demonstrativen Lebensstils durch Kon-
                                 rounding world (…) The way we see things      sumverhalten. So seien die Dinge, die
                                 is affected by what we know or what we
                                 believe (Berger 1972: 7ff).                    wir kaufen, immer weniger Produkte und
                                                                                immer mehr Lebenserfahrungen wie Es-
                               Der Reichtum der Gesellschaften, in              sen, Kommunikation, Kulturkonsum, Teil-
                               welchen kapitalistische Produktions-             habe an einem bestimmten Lebensstil (Zi-
                               weise herrscht, erscheint als eine „un-          zek zitiert in Misik 2005).
                               geheure Warenansammlung“, die ein-
                                                                               Oft ist das Image der eigentliche Ge-
                               zelne Ware als seine Elemantarform
                                                                               brauchswert und sind materielle Ob-
                               (Marx, 1932, 1951: 49).
                                                                               jekte lediglich „Requisiten“ dessen,
                               Marx stellt den Begriff des Erscheinens
                                                                               was eigentlich gekauft wird, um einen
                               einer ungeheuren Warenansammlung
                                                                               Lebensstil zu erwerben.
                               an den Anfang seiner Kritik der po-
                               litischen Ökonomie. Es geht hier also
                               ebenfalls auch um die Sichtbarkeit, die         2.4.2. MANIFESTATIONEN
                               Vordergründigkeit der reichhaltigen
                               und umfassenden Anwesenheit (wenn
                                                                               DES REICHTUMS IN DER
                               auch nicht von allen) konsumierbaren            STÄDTISCHEN FORM
                               Waren. Erscheinungsebenen verweisen             Und wie sieht es mit der Sichtbarkeit
                               nur mittelbar auf die Hintergründe ei-          von Reichtum in der Stadt aus? Bei
                               nes sozialen Zustandes oder Problems.           der Identifikation materieller oder im-
                               Somit stellt sich die Frage, ob sichtbare       materieller Reichtumsmanifestationen
                               Objekte einen analytischen Zugang zu            im Rahmen einer sozialraumbezoge-
                               einem Lebensstil darstellen können.             nen Perspektive ist es verlockend, Kli-
                               Ausgehend davon, dass materielle Gü-            schees der „Viertel der Reichen“ (bsp.:
                               ter unterschiedliche Bedeutungen in             Zehlendorf, Dahlem) zu reproduzieren.
                               unterschiedlichen      gesellschaftlichen       Wie bereits angesprochen, können Be-
                               Kontexten haben, gibt es auch keine             suche in diesen Stadtteilen nur ein Teil
                               Reichtumsobjekte an sich – Waren ver-           der Forschungsfragen aufklären: Priva-
tant yet poorly thought        fügen über keinen essentialistischen            te Räume bleiben schwer zugänglich,
through methodology            Kern (Appadurai 1986) – sondern vor             Luxus-Autos verraten nicht alles über
– particularly in geogra-
                               allem über einen in diesem Zusammen-            den wirklichen Besitzstand der dazu-
phy which is considered
by many to be primarily        hang unterbewerteten Gebrauchswert              gehörigen Person. Trotzdem bleibt die
reliant on visual meth-        und den überbetonten Tauschwert eines           städtische Öffentlichkeit der wichtigste
odologies. The literature      Luxusgutes. Doch nicht allein der hohe          Darstellungs- und Vorstellungsraum ge-
on visuality is vast and       Tauschwertcharakter einer Ware macht            sellschaftlichen Reichtums. Nicht allein
there have been numer-         diese zu einem wertvollen Reichtums-            Hauptstädte, Residenzen und Regie-
ous attempts to bring          requisit, sie muss auch am rechten Ort          rungssitze verweisen in ihrer baulichen
together the possibilities     von den richtigen Menschen als solche           Form auf eine Fülle an Kristallisati-
visual methodologies of-
                               erkannt werden. Obwohl mit Symbolen             onspunkten von Macht und Reichtum.
fer with social processes
such as affluence and           und Konsumgütern dieser Gesellschaft            In jeder Stadt finden sich Belege und
poverty. Affluence and          vertraut, mussten wir in Frage stellen,         Artefakte des Reichtums; Stadt ist der
poverty have a particular      ob auch wir die feinen Unterschiede se-         gebaute Ausdruck gesellschaftlicher
complex relationship that      hen und erkennen können, ohne genau             Macht. Diskurse um städtische Gestal-
goes beyond the usual          etwas über die Kulturen und Konjunktu-          tung und Raumästhetik sind eng mit
binary relationship of the     ren bestimmter Reichtumsattribute zu            der Vorstellung des Schönen als Luxus
‘other’.”                      wissen (Wer kann eine echte Rolex von           und der Darstellung von Überfluss ed-
                               einer falschen Rolex unterscheiden?             ler Materialien (oder deren Simulatio-
                               Wer kennt überhaupt eine Rolex?).               nen) verbunden.
                               Nach Thorstein Veblen hat Reichtum              Das ist die eine Seite städtischer Reich-
                               vor allem die Funktion, als sichtbarer          tumsmanifestationen, die Inszenierung
                               Beweis des Erfolges via conspicuous             von Macht durch architektonische Ma-
                               consumption zu dienen. Der auffallen-           terialität, ganz im Sinne des gestalte-
                               de Konsum wurde als Kennzeichen ei-             rischen Paradigmas form follows func-
                               ner neuen US-amerikanischen leisure             tion. Eine weitere Seite stellt sich in
                               class vor über 100 Jahren diagnosti-            der Anwesenheit des Marktes, der öf-
                               ziert. Zeitgenössische AutorInnen be-           fentlich angebotenen und ausgestell-

           Geographisches Institut
           Arbeitsberichte 110, 2005
           Sozialgeographien des Reichtums in Berlin                                                                 9
Einleitung

ten Lebensmittel, der Konsumgüter in      ser Märkte über Kioske, Ladengeschäf-
Boutiquen, Läden, Luxusgeschäften         te bis hin zu Kaufhäusern stellt auch in
etc. dar. Die postulierte Überlegen-      der Stadtforschung ein entwicklungs-
heit kapitalistischer Gesellschaftsmo-    theoretisches Paradigma her, wonach
delle als Konsumparadiese wurde in        der zivilisatorische Status einer Stadt
Kaufhäusern als den Kathedralen der       an der Anwesenheit und Gestalt von
Moderne vergegenständlicht. Der poli-     Luxusgeschäften gemessen wird.4
tische Charakter West-Berlins im „kal-    Doch auch andere Kathedralen, um
ten Krieg“ als ideologisches Schaufens-   bei der etwas abgegriffenen Kirchen-
ters des Westens hat sich nicht zuletzt   Metaphorik zu bleiben, symbolisieren
                                                                                          4
                                                                                           Eine im Projektseminar
über Orte (Bsp. KaDeWe) hergestellt.      stadtgeschichtlich zunehmend urbane             diskutierte Idee zur Ent-
Auch mit dem Ende der Ära des gro-        Prosperität und wirtschaftlichen Erfolg:       deckung von städtischem
                                                                                              Reichtum über seine
ßen Kaufhauses sind es immer noch         Die Cathedrals of Commerce - um 1900
                                                                                          Visualität war die Klassi-
die Einkaufsstrassen, shopping-malls      ebenfalls entstehenden Bürohochhäu-              fizierung von Verkaufs-
und Fußgängerzonen des Konsums, die       ser der US-amerikanischen, später               geschäften für Konsum-
als besondere Indikatoren städtischen     auch europäischen Grosstädte – prägen           güter anhand der Dichte
Reichtums angesehen werden. Die An-       als Balkendiagramme des Handels und            der in den Schaufenstern
oder Abwesenheit internationaler Mar-     der Finanzwirtschaft die Ikonographi-               angebotenen Waren
kengeschäfte, die überbordende oder       en (fast) aller Metropolen, sie werden           auf Basis der These: Je
dezente Ausstattung mit (Luxus)Waren,     zur imagebildenden Demonstration der            dichter die Waren, desto
                                                                                          niedriger der Status des
das Flanieren der KundInnen, bilden       Geschäfte und der Macht des Geldes
                                                                                            Geschäftes- je weniger
den symbolischen Rahmen gehobener         (Flierl 1990: 446).                             im Fenster desto Luxus.
Urbanität. Die Form der Einbindung lo-

 3. REPRÄSENTATIONEN VON REICHTUM IN MEDIEN UND STADTPOLITIK

Der Armutsdiskurs und dessen populä-      wie Moral, Gesundheit und Fragen der
ren Repräsentationsstrategien auf der     städtischen Form zu den Schlüsselbe-
einen, Luxus der Abgeschiedenheit und     griffen der Definition von Territorien
Reduzierung auf die öffentliche Tribüne   werden und die Trennlinie zwischen Pa-
des Glamourdiskurses auf der anderen      thologisierung und Kriminalisierung der
Seite, sind die Hauptmotive der Reprä-    Armen auf der einen und Konsolidie-
sentationen von Armut und Reichtum,       rung bürgerlicher Identität auf der an-
die wir in diesem Abschnitt behandeln     deren Seite bestimmen. Der Slum wird
möchten.                                  von der bürgerlichen Imagination auf
Eine geradezu klassische massenme-        verschiedene Weise mit Sinn erfüllt:
diale Repräsentation von materiellem      Konservative fanden im Slum Anknüp-
Besitz ist der Komplex Schmutz und        fungspunkte für zivilisationskritische,
Kriminalität in Bezug auf die Wohn-       großstadtfeindliche Ansichten, Refor-
orte der Armen. Einer alten Tradition     mer für eine paternalistische Politik der
folgend, werden biologische Analogien     Kontrolle gegenüber der Arbeiterklasse.
hergestellt, die Schmutz, Armut und       Und unterhaltend war der Slum auch:
unmoralisches, delinquentes Verhalten     Worthy citizens gaben sich lascivious
zusammendenken. Alan Mayne be-            inspections hin und das slumming – Ex-
schreibt in seinem Buch The Imagined      kursionen in die Slumgebiete – wurde
Slum (1993) wie aus einer dominanten      populär. Obwohl es sich somit kaum um
bürgerlichen Perspektive aus Medien,      eine streng abgegrenzte Welt handelte,           Abb. 3.1.: Verbrechens-
                                                                                          Karte aus Berlin, in: B.Z.
Kulturindustrie und Politik die Arbei-    diente der Slum als ausgegrenztes Ter-
                                                                                                 vom 25.11.1999.
terviertel der Stadt der industriellen    ritorium zur Affirmation seines Gegen-
Revolution auf allen Ebenen als Gegen-    teils, der modernen, legitimen Stadt
bild der modernen Stadt konstruiert       und ebnete den Weg für Abrisspro-
wurden. Am Beispiel von Städten wie       gramme, die von den Zeitungen und
London und Birmingham wird gezeigt,       den politisch-ökonomischen Eliten der

                                                                                   Geographisches Institut
                                                                                 Arbeitsberichte 110, 2005
 10                                                            Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung

Statistische Reichtums-             Industriegesellschaft in der imperialis-     mensprache der vermeintlich reicheren
messung in Berlin                   tischen, religiösen (Kreuzzug) und mili-     Wohngegenden eine der Abschließung,
                                    tärischen Metaphorik eines „gerechten        die sich durch Verfügungsgewalt über
„Grundlage für die in Berlin
laufenden Armutsberechnun-          Krieges“ gefeiert wurden (Mayne 1993:        weitläufige private Räume auszeichnet
gen sind die Daten des seit         206).                                        und somit den Reichen zumindest im
1957 jährlich stattfindenden
Mikrozensus (Stichprobe 1 %)        Die heutigen Nachfolger des Slumdis-         Privatleben die Möglichkeit des Rück-
(Senatsverwaltung für Gesund-       kurses beziehen sich auf Stadtgebiete,       zuges bietet (siehe 2.4.).
heit, Soziales und Verbraucher-
schutz 2003). Als Grundlage für
                                    die mit Armut und Verbrechen, aber           Repräsentationen von Kriminalität und
die Untersuchung von Arm und        noch immer auch mit moralischen Pro-         Reichtum sowie Kartierungen dieser
Reich, gilt das durchschnittliche   blemen in Verbindung gebracht werden.        durchaus weit verbreiteten Phänome-
Äquivalenzeinkommen das in
Berlin bei 1.213€ liegt. Als arm    Auch die rezenten Darstellungsme-            ne sind hingegen sehr selten. Typische
gelten Personen die nur gering-     thoden knüpfen an die tradierte Form         „white-collar-crimes“ wie Steuerhinter-
fügig über, oder unter 50 %
dieses Äquivalenzeinkommens         der Ausgrenzung „kranker, krimineller“       ziehung, Bestechung oder Wirtschafts-
liegen. Als reich gilt, wer 200     Viertel durch das Mittel der einfachen       kriminalität werden selten in so sys-
% des Äquivalenzeinkommens
verdient (ebd.). Der Sozialstruk-   Kartierung an, wie das nachfolgende          tematischer und umfassender Form
turatlas 2003 für Berlin trifft     Beispiel aus der Berliner B.Z. zeigt (sie-   dargestellt und in einen räumlichen
keine explizite Aussage über die
Reichtums/Vermögens-Entwick-
                                    he Abb. 3.1.). Auffällig an der Karte ist,   Bezug gesetzt wie dies bei Graffiti,
lung und Verteilung in Berlin.      dass nur ein Ausschnitt der Stadt ge-        Drogendelikten oder Gewaltkriminalität
Auch der Jahresbericht der Se-      zeigt wird – die meisten einkommens-         der Fall ist.
natsverwaltung für Gesundheit,
Soziales und Verbraucherschutz      starken Randbereiche von Berlin fehlen       Es bietet sich also an, den Reichtums-
von 2002: „Armut und soziale        auf der Darstellung.                         begriff um die Dimension der Reprä-
Ungleichheit“ stellt keine Daten
zu Einkommensunterschieden          Wird Armut in den populären Medi-            sentation zu erweitern: Reich ist, wer
zur Diskussion. Aussagen aus        en pathologisiert bzw. kriminalisiert,       sein gesellschaftliches Bild beeinflussen
amtlicher Statistik sind also
schwer erhältlich.                  so wird Reichtum „glamourisiert“. Im         kann und nur dann im Mittelpunkt des
Die Einkommensunterschiede          „Gala“- oder “Glamour-Diskurs” wird          Interesses steht, wenn dies gewünscht
innerhalb der Berliner Bevölke-
rung (Ost und West) haben sich
                                    das gesellschaftliche Leben von Reichen      ist. Im Gegensatz dazu stehen die mit
im Zeitraum 1996-2002 vergrö-       beobachtet und hinsichtlich seiner Vor-      Bildern und Diskursen der Desorganisa-
ßert und die Angleichung der
                                    bildfunktion in Bezug auf Verhalten, Stil    tion, der Unmoral und der Kriminalität
Lebensverhältnisse verlangsamt.
Relevant dabei ist der Anstieg      etc. betrachtet. Hier wird eine Reich-       überzogenen armen Viertel, deren Be-
der Besserverdienenden (über        tumsrepräsentation nach dem Bild der         wohner zusätzlich zu geringem mate-
200 % des Äquivalenzeinkom-
mens) von 4,8 % (1996) auf          kleinbürgerlichen Aspiration und Prä-        riellem Besitz auch noch das Recht am
5,1 % (2002). 62% der Berliner      tention geschaffen und vermarktet: So        eigenen Bild verlieren. Loïc Wacquant
Bevölkerung weisen ein unter-
durchschnittliches monatliches      wohnen, kleiden sich, heiraten, feiern       (1993) spricht daher von der symboli-
Äquivalenzeinkommen auf.“           die Reichen und Berühmten - jedenfalls       schen Enteignung marginalisierter Be-
Auszüge aus dem Essaytext
des Projektseminars von Robert
                                    die, die sich dem Glamour-Blick aus-         völkerungsgruppen.
Gölz: Quellen und Daten zum         setzen. Auch städtebaulich lässt sich
Thema Reichtum.
                                    diese Gegenüberstellung nachzeich-
                                    nen. So wie die Armutsgebiete sich           3.1. REPRÄSENTATIONEN IN
                                                                                 WISSENSCHAFT UND POLI-
                                                                                 TIK
                                                                                 Auch in den angewandten Wissenschaf-
                                                                                 ten spielt die kartografische Repräsen-
                                                                                 tation von Klasse seit ihren philanthro-
                                                                                 pischen Anfängen im 19. Jahrhundert
                                                                                 eine große Rolle. Frei nach dem Kon-
                                                                                 zept einer angewandten „Problemwis-
                                                                                 senschaft“ standen in der Soziologie
                                                                                 und ihren disziplinären Nachbarinnen
                                                                                 von Anfang die Verortung von Armut
                                                                                 im Vordergrund. Analog zu den von
                                                                                 Foucault beschriebenen Machttechni-
                                                                                 ken zur Inventarisierung und Durch-
                                                                                 dringung des Staatsterritoriums in der
                                                                                 Neuzeit wird der Survey zur zentralen
                                                                                 Machttechnik zur Analyse der dunk-
Abb. 3.2.: Hier regiert
                                    durch Öffentlichkeit und Zugänglichkeit      len, verborgenen anderen Seite der
die Angst, in: BZ.
                                    ausweisen, ist die architektonische For-     Stadt (Lindner 2004). Im England der

              Geographisches Institut
              Arbeitsberichte 110, 2005
              Sozialgeographien des Reichtums in Berlin                                                              11
Einleitung

Industrialisierung steht die Kartierung
in direkter Verbindung mit reformeri-
schen Hilfsprogrammen, polizeilicher
Disziplinierung, und der Arbeit von
„charity“-Organisationen und sorgt mit
für eine bessere Kontrolle durch Visu-
alisierung und Wissensproduktion zum
Thema „How the poor live“. Die Map
of London Poverty von Charles Booth
aus dem späten 19. Jahrhundert zeigt
durch ihren Titel den klassenmäßigen
Schwerpunkt dieser Arbeiten an, ist
aber gleichzeitig von ihren Inhalten her
eine Ausnahme, da sie auch die obere
Mittelklasse in goldenen Tönen kartiert
(siehe Abb. 3.4.). Indem sie sich auf
Expertenbefragungen und Begehun-
                                           menen wie niedrigen Einkommen und                    Abb. 3.3.: Der Adel
gen durch die Forscher stützt, sind
                                           vorzeitiger Sterblichkeit sowie mit Sin-       tanzt! Die Armen hängen
hier die Ursprünge der ethnologischen                                                       rum und sind kriminell.
                                           gle-Haushalten und Nicht-EU-Auslän-
Stadtforschung auszumachen (Lindner                                                              In: B.Z. 8.2.2004.
                                           dern (Senatsverwaltung für Gesundheit
2004: 85).
                                           und Soziales 2004: 21). Daneben gibt
Der von der Senatsverwaltung für Ge-                                                         Sind sie Bourgeois(e)?
                                           es den zweiten, „Statusindex“ genann-
sundheit und Soziales herausgegebene
                                           ten Faktor, der die Viertel mit besonders              1. Ökonomisches Kapital
Sozialstrukturatlas Berlin, der 2004 in
                                           hohem kulturellem Kapital hervorhebt.             - Besitzen Sie ein Portefeuille
seiner neuesten Fassung erschien, ist                                                                   von Wertpapieren?
                                           Bereits die Auswahl möglicher Indika-
die moderne Form des social surveys                                                        - Verfügen Sie mindestens über
                                           toren zur Sozialstruktur verrät einiges        eine Person, die sich Vollzeit um
aus dem 19. Jahrhundert. Er hat sich
                                           über die herrschenden Vorstellungen                  Ihren Haushalt kümmert?
mittlerweile von den ethnographischen                                                            - Verfügen Sie über ihren
                                           von günstiger und ungünstiger Sozi-
Methoden der Pioniere in London ver-
abschiedet und verwendet faktorana-
lytische Verfahren zur Sortierung und
Gruppierung einer Vielzahl von Indi-
katoren. Als kleinräumige Darstellung
sozialer Milieus konzipiert, wird er als
Handlungsgrundlage für die sozialpo-
litische Planung verwendet. Die letzte
Ausgabe brachte gar eine Diskussion
um eine stärkere Berücksichtigung so-
zialer Ungleichheit bei der Verteilung
von Haushaltsmitteln ins Rollen: In ei-
nem Interview mit der Berliner Zeitung
am 29. April 2004 forderte die für den
Atlas verantwortliche Sozialsenato-
rin Dr. Heidi Knake-Werner etwa, über
neue Ganztagsschulen nach den durch
den Strukturatlas gewonnenen Er-
kenntnissen zu entscheiden und diese
Schulform in den Innenstadtbezirken
zu konzentrieren.
Die mächtigste Kategorie des Sozial-
strukturatlasses ist der „Sozialindex“
genannte erste Faktor, der eine „güns-
tige“ Sozialstruktur von „ungünstigen“                                                        Abb. 3.4.: Ausschnitt
unterschieden soll. „Ungünstige Sozi-                                                        und Legende der „Map
alstruktur“ korreliert stark mit einem                                                      of London Poverty“ von
hohen Anteil von Personen ohne Schul-                                                        Charles Booth (1889).
                                                                                           Quelle: Scan von Sabiha
abschluss, Männern, Sozialhilfeemp-
                                                                                             Ahmad, .

                                                                                    Geographisches Institut
                                                                                  Arbeitsberichte 110, 2005
 12                                                             Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
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