ARBEITSBERICHTE - Heft 110 Berlin 2005 - Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin
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ARBEITSBERICHTE Geographisches Institut, Humboldt-Universität zu Berlin Herausgeber: Thomas Bürk-Matsunami Jonas R. Bylund Kim Förster Dirk Gebhardt Matthias Naumann Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Ergebnisse eines Projektseminars Heft 110 Berlin 2005
Arbeitsberichte Geographisches Institut Humboldt-Universität zu Berlin Heft 110 Herausgeber: Thomas Bürk-Matsunami Jonas R. Bylund Kim Förster Dirk Gebhardt Matthias Naumann Sozialgeographien des Reichtums in Berlin Ergebnisse eines Projektseminars Berlin 2005 ISSN 0947 - 0360 Geographisches Institut Humboldt-Universität zu Berlin Sitz: Rudower Chaussee 16 Unter den Linden 6 10999 Berlin (http://www.geographie.hu-berlin.de)
INHALTSVERZEICHNIS ZUSAMMENFASSUNG 1 SUMMARY 1 EINLEITUNG 3 WOHNEN NACH WUNSCH?! 23 ZWISCHEN ARBEITS- UND FREIZEITRAUM DER 39 BERLINER FUNKTIONSELITEN 39 PHÄNOMENOLOGIE VON LUXUSWAREN 55 KARTOGRAPHIE DES REICHTUMS 69 REICHTUM UNTER MIGRANTEN 81
ZUSAMMENFASSUNG SUMMARY Der vorliegende Text ist das Ergebnis der This text is the result of a two-semester Auseinandersetzung eines zweisemest- project course on „Social geographies rigen Projektseminars mit dem Thema of affluence in Berlin“ at the Geography „Sozialgeographien des Reichtums in Department of Humboldt-University. Berlin“ am Geographischen Institut der The starting point of our work was the Humboldt-Universität zu Berlin. Aus- thesis, that within the scenario of so- gangspunkt unserer Betrachtung ist cio-spatial polarisation in the cities, the die These, dass sich innerhalb des Sze- scientific and political gaze often turns narios sozialräumlicher Polarisierung in unidirectionally towards the poor and den Städten, der wissenschaftliche und their so-called disadvantaged neigh- politische Blick häufig einseitig auf die bourhoods. We wanted to redirect this Wohnorte der armen Bevölkerung, so- gaze towards affluence, the other side genannte benachteiligte Stadtviertel, of polarisation, and thus approach a richtet. Diesen Blick wollten wir nun field that appeared to us rather neglec- auf die andere Seite der Polarisierung, ted, at least within Geography. die des Reichtums lenken, die uns - zu- Our expedition into this so far sparsely mindest in der Geografie – weitgehend investigated field required usable me- unerforscht erscheint. thodological and theoretical tools as Unsere Expedition in dieses bislang well as thematic approaches to the to- wenig erforschte Themengebiet frag- pic. This did not lead us to uncover the te nach möglichen methodischen bzw. social geography of affluence in Berlin. theoretischen Werkzeugen und thema- It rather represents an attempt, to try tischen Zugängen zum Thema Reich- out some empirical approaches along- tums in Berlin. Sie führten uns nicht zu side the students’ interest and within der Sozialgeographie des Reichtums in a narrow time frame. The organi- in Berlin, sondern stellt eher den Ver- sational setting for our preoccupation such dar, in einem zeitlich engen Rah- with affluence was the simulation of a men an den Interessen der Studieren- research project with discussions, pre- den entlang erste empirische Zugänge sentations, mutual knowledge transfer auszuprobieren. Der organisatorische and narrow deadlines. Rahmen für unsere Beschäftigung mit The results of the students’ work groups Reichtum war die Simulation eines For- presented here deal with the relation schungsprojektes, mit Diskussionen, between urban policies and affluence, Präsentationen, gegenseitiger Wissens- the spaces of the functional elites of vermittlung und engen deadlines. the German capital, the phenomenon Die hier vorgestellten Ergebnisse der of luxury goods and its spatial expres- studentischen Arbeitsgruppen beschäf- sion, cartographic approaches to afflu- tigen sich am Beispiel von Berlin (und ence and the topic of affluent migrants Potsdam) mit dem Zusammenhang von exemplified by Turkish entrepreneurs. Stadtpolitik und Reichtum, den Räumen An introductory chapter reconstructs der Funktionselite, dem Phänomen Lu- the thematic and organisational frame xuswaren und seiner lokalen Ausprä- of the course. gung, kartographischen Zugängen zum Reichtum und dem Thema “Reichtum unter Migranten” am Beispiel türkisch- stämmiger Unternehmer. Ein einleiten- des Kapitel der Seminarleitung stellt den thematischen und organisatori- schen Rahmen des Seminars dar. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 1
EINLEITUNG SOZIALGEOGRAPHIEN DES REICHTUMS IN BERLIN THOMAS BÜRK-MATSUNAMI | JONAS R. BYLUND | KIM FÖRSTER DIRK GEBHARDT | MATTHIAS NAUMANN 1. DIE ENTSTEHUNG DES in Berlin und den Möglichkeiten, diese zu erkennen und zu vermitteln. Vor die- PROJEKTSEMINARS „SO- sem Hintergrund entstand wenig später ZIALGEOGRAPHIEN DES ein Projektseminar zum Thema „Sozial- geographien des Reichtums in Berlin“ REICHTUMS IN BERLIN„ am Geographischen Institut der Hum- boldt-Universität. Die Notwendigkeit Am Anfang unserer Idee für das Pro- einer kritischen methodologischen und jektseminar „Sozialgeographien des theoretischen Auseinandersetzung, die Reichtums in Berlin“ stand die Teilnah- über die Grenzen klassisch-geographi- me an einem Workshop zu visuellen scher Ansätze hinausreicht, sowie eine Methoden in der Sozialgeographie (sie- Beschäftigung mit der Frage, was über- he 2.4.). Im Verlauf der Koproduktion haupt Reichtum ist, gehörte zu den in- zwischen den Geographischen Institu- haltlichen Vorgaben der Veranstaltung. ten der Open University London und Wir gingen ferner davon aus, dass das der Humboldt-Universität entwickelte bislang wenig bearbeitete Thema inno- sich in unserer Projektgruppe die Neu- vative Methoden und unterschiedliche gierde, Reichtum und dessen räumliche analytische Perspektiven erfordert und Ausprägungen in Berlin auf die Spur zu die Gewissheiten einfacher Reprodukti- kommen. Bereits während der Vorbe- onen und Modellhaftigkeiten verlassen reitung auf den Workshop hatten wir würde. Die Veranstaltung sollte schließ- festgestellt, dass es nur ausgesprochen lich auch keinen Frontalbetrieb dozie- wenig deutschsprachige, aber auch render Lehrkräfte darstellen, sondern kaum englischsprachige Literatur zum verschiedene Interessen und Ideen be- Themenkomplex Reichtum gibt. Wäh- rücksichtigen. rend sich SoziologInnen hauptsächlich Somit galt es, das manchmal forma- mit Armuts- oder Elitenforschung be- lisierte Einbahnstraßenmuster der schäftigen, ist der Interessenshorizont Sozialforschung „Thema eingrenzen der Kulturwissenschaften zumeist mit - Theorie suchen - Forschungsdesign ästhetischen Formen oder Kulturge- entwickeln - empirische Untersuchung schichten bestimmter Reichtumsobjek- durchführen und auswerten - Ergeb- te beschäftigt. Aus dieser Ausgangs- nisse formulieren“ aufzubrechen. Die lage entstanden zwei Thesen, die den Lehrveranstaltung sollte in Form der roten Faden des Projektseminars bilden Simulation eines Forschungsprozesses sollten: durchgeführt werden, ungefähr so, als • Reichtum ist ein „blinder Fleck“ in der würde uns ein Forschungsinstitut den wissenschaftlichen Wahrnehmung von Auftrag erteilen, Reichtum in Berlin Gesellschaft. sozialgeographisch zu ergründen. In • Reichtum ist ein komplexes soziales mehreren Blockseminaren behandel- Phänomen, das nicht einfach zu kate- ten wir zunächst erste Zugänge zum gorisieren, zu beschreiben und zu ana- Thema, diskutierten später als zentral lysieren ist. erachtete theoretische und methodi- Auf dieser Basis stellte sich die Frage sche Werkzeuge und bereiteten diese nach der Räumlichkeit des Reichtums zur gegenseitigen Wissensvermittlung und unter Berücksichtigung ihres prak- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 3
Einleitung tischen Nutzens für das Seminar als Forschungsfragen dazu, die folgen- Kurzreferate und Essays vor. de Forschungsarbeit zu planen. In der Aus diesen ersten Arbeitsgrundlagen, empirischen Phase führten die Arbeits- die in wechselnden personellen Kon- gruppen selbstständig die Feldarbeit stellationen geschaffen wurden, bil- durch. Der Zwischenstand der Arbeiten deten sich in mehreren Schritten fünf wurde auf der Langen Nacht der Wis- Arbeitsgruppen, die zu den Themen senschaften im Juni 2005 öffentlich „Konsum und Luxuswaren“, „Reichtum gemacht und teilweise lebhaft mit dem und Stadtpolitik“, „Reichtum und Kar- Publikum diskutiert. Die Endergebnisse tographie“, „Dualistische Lebensmo- dieses Arbeitsprozesses finden sich im delle“ und „Türkische Unternehmer“ Anschluss an diese Einleitung. arbeiteten. Die Arbeitsgruppen erstell- In den folgenden Abschnitten sollen je- ten als Baustein der Simulation eines doch zunächst einige zentrale Proble- Forschungsprojekts „Anträge“, die fik- me dargestellt werden, die das Projekt tive Zuwendungsgeber von der För- über die gesamte Zeit seines Bestehens derungswürdigkeit der jeweiligen The- begleiteten und somit sowohl für die men überzeugen sollten. Die „Anträge“ Texte der Arbeitsgruppen als auch für dienten neben der Konkretisierung der unsere Arbeit einen Rahmen bildeten. 2. WER ODER WAS IST REICH? Zwischen einer sponti-existentialis- steht auch hinsichtlich der ökonomischen, Reichtumsdefinitionen tischen Parole wie „Reich ist, wer ge- politischen, sozio-kulturellen und ge- der Studierenden zu Be- nießen kann“ (Graffiti auf dem Berner schlechtsspezifischen Aspekte von wach- ginn des Projektseminars sendem privatem Reichtum einerseits und Universitätsgelände) und statistischen steigender Verarmung (auch des Staates) Wie lautet Deine Definition von Pro-Kopf-Warenkorbsmessungen – die Reichtum (kurz)? andererseits. (Stadlinger 2001: 7) beispielsweise die Reichtumsgrenze Reichtum bedeutet für seine Be- sitzer, genügend ökonomisches, jenseits des doppelten durchschnitt- Diese unscharfen Grenzen bildeten soziales und kulturelles Kapital lichen gewichteten Haushaltseinkom- die Grundlage für eine Frage unseres zu besitzen, um Teil einer ge- Fragebogens, den wir am Anfang des sellschaftlichen Elite zu sein und mens (Huster 1993: 11; 2001: 9) fest- damit auch, gesellschaftliche legen – liegen erkenntnistheoretische Seminars den Studierenden vorlegten. Machtpositionen zu besetzen Die Antworten, die hier zusammenge- und Macht ausüben zu können. Welten. Trotzdem – oder gerade des- Reichtum bedeutet für mich, halb – ist die Auseinandersetzung mit stellt sind, spiegeln die vielen Dimensi- die Mittel zu besitzen, die es Reichtum und Raum in Berlin nicht nur onen wider, die Reichtum beinhaltet. ermöglichen, ein erfülltes Leben zu führen (was auch immer eine spannende, sondern auch eine das bedeutet). Das muss nicht sehr umfassende, multidisziplinäre und herausfordernde Thematik. 2.1. RELATIONALE UND zwangsläufig Geld sein. Dennoch bedeutet ein Leben ohne materi- elle Zwänge für viele Menschen, Die wenigen AutorInnen aus dem Be- RELATIVE REICHTUMSBE- mich eingeschlossen, eine Voraussetzung, um dieses Ideal reich der Sozialwissenschaften, die sich seit einigen Jahren im deutsch- GRIFFE zu erreichen. Reichtum: In materieller / Begriffsbestimmungen von gesell- finanzieller und / oder immate- sprachigen Wissenschaftsbetrieb mit rieller Hinsicht nicht im Mangel schaftlichem oder persönlichem Reich- sog. Reichtumsforschung beschäftigen zu leben, sondern jederzeit aus tum verweisen immer auf den – zu- dem Vollen schöpfen zu können, (Huster 1993, 2001; Stadlinger 2001; meist normativen – sozialen Gegenpol unabhängig davon, ob dieser Eißel 2001; Hauser und Becker 2001), Zustand aus eigener Leistung der Armut. Dieses relationale Begriffs- oder durch Fremdeinwirkung konstatieren durchweg Schwierigkeiten paar lässt sich weder quantitativ noch erreicht wurde. Oder: Überfluss bezüglich einer differenzierten Begriffs- an materiellen und / oder imma- qualitativ unabhängig voneinander be- bestimmung, Reichtumsdefinition und teriellen Gütern. stimmen und formulieren: Viel Geld, viele Möglichkeiten den zur Verfügung stehenden Quellen- aber genauso viel Angst wie und Datenmaterialien. Reichtum und Armut ist zu etwas Ganzem andere Leute. zusammengefasst, in sich gegensätzlich Derjenige, der sich nicht ständig Zu konstatieren sind (...) nicht allein De- Gedanken darüber machen aber nicht trennbar (Marx/Engels zitiert in muss, ob er sich nun Dinge für fizite in der empirischen Erfassung von Huster 2001: 11). den täglichen Bedarf (z.B. Ar- Struktur, Konzentration und Differenzie- beitsmaterialien, Praxisgebühr, rung von Reichtum. Diskussionsbedarf be- Es kann zudem keinen allgemeingülti- ...) leisten kann oder nicht. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 4 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung Reich ist derjenige, der trotzdem gen, de-lokalisierten und zeitlich entan- bzw. Operationalisierbarkeit der meis- zum Arzt geht. :-) kerten Reichtumsbegriff geben. Was an ten Begriffsbestimmungen, auch wenn Reichtum fängt für mich da an, wo Leute soviel Geld besitzen, einem Ort zu einer bestimmten Zeit- diese oft ohne oder mit nur sehr va- dass sie ihr Leben bestreiten, punkt als reich empfunden, imaginiert gem konkreten räumlichen Bezügen ohne auch nur im geringsten darauf achten zu müssen bzw. und dargestellt wird, ist relativ. Es ist an vorgenommen werden („in unserer Ge- darüber nachzudenken, ob sie anderem Ort, erst recht zu anderer Zeit, sellschaft“, „bei uns“, in Deutschland, möglicherweise ihr Konto über- ziehen oder Geld knapp wird. mitnichten das Selbe. Gleichwohl kann etc....). Dabei bleibt Reichtum eine Be- Abwesenheit von Armut. das Bemühen, Reichtum örtlich und griffsbildung in gesellschaftlichen Kon- Unterscheidung in sozialen zeitlich zu bestimmen, auch dazu die- texten, eine soziale Konstruktion von Reichtum und finanziellen Reichtum. nen, die Herkunft einer Anhäufung oder Besitzstand, Distinktion und Anerken- Freie räumliche und soziale der Abwesenheit von privatem oder ge- nung als situiertem Wissen. Mobilität. Besitz von materiellen und sellschaftlichem Besitz zu verschleiern. Die Materialisierungen dieser sozialen immateriellen Gütern, die in So betonte Espenhorst (1993: 133), Reichtumskonstruktionen beruhen auf überdurchschnittlichem Maße vorhanden sind. dass „500 Jahre nach Kolumbus immer materiell-quantitativen oder immateri- Selbstverständlich vom Bezugs- deutlicher werde, wie stark Reichtum in ell-qualitativen, meist miteinander ver- raum abhängig (globale, konti- nentale, staatliche, städtische Europa auf der Ausbeutung und Unter- flochtenen Konzepten. So haben selbst Perspektive). drückung der übrigen Welt“ beruht. Be- idealistische Reichtumsbegriffe wie bei- Reichtum: Deutlich mehr an reits in den 1970er Jahren hatten kriti- spielsweise ein „Hauptsache, gesund materiellen Gütern als andere Mitglieder einer Gesellschaft zu sche Geographen (Blaut 1970; Harvey und glücklich“ zugleich starke materi- besitzen. Es gibt auch sozia- 1975) auf diese spatial dialectics einer elle Komponenten. Selbst die Negati- len, familiären oder kulturellen Reichtum. ungleichen globalen Entwicklung als on des allein materiellen Glücks kann Reichtum ist eine Frage des Grundlage der Reichtumsakkumulation nicht verbergen, dass gesellschaftliche Besitzes: individuell und gesell- schaftlich. Luxusgüter und Res- in der Metropolen des reichen Nordens Anerkennung, persönliche Wahrneh- sourcen. Doch muss materieller hingewiesen. Seit dieser Zeit ist auch mung und Verwirklichung individuellen vom immateriellen Reichtum unterschieden werden. Natürlich von anderen GeographInnen eine Fül- Glückes – ganz zu schweigen von den ist in erster Linie derjenige le an Arbeiten zu uneven development Möglichkeiten des Zugangs zur Ge- reich, der Geld hat. So spielen entstanden (vor allem Smith 1984). sundheitsversorgung – zumeist an die Lebenswelten genauso eine Rol- le wie Luxusgüter. Mobilität und Sie können als eine Grundlage der Dis- eigenen materiellen Ressourcen oder Reichtum bedingen einander. kussion um einen an weltweiten Wa- an kommunitäre Wohlfahrtssysteme Doch zählt auch derjenige, der reich an Erfahrungen ist. Kapital ren- und Geldzirkulationen orientierten gekoppelt sind. Ebenso ist das Streben ist unterschiedlich geartet. Hu- Reichtumsbegriff angesehen werden nach materiellem Besitzstand und Ver- mankapital wird unterschiedlich genutzt und ausgenutzt. Kultu- und immer wieder daran erinnern, dass mögen mit Hoffnungen auch auf imma- relles Kapital sollte strategisch prunkvolle Gebäude und Infrastruktu- terielles Glück verbunden. eingesetzt werden. ren westlicher Metropolen also mitnich- Als wesentliches Element der Reich- ten allein das Produkt lokalen Fleißes tumskonstruktion kann deren Geldform darstellen, sondern im Kontext interna- angesehen werden. Die materielle Basis tionaler ungleicher kapitalistischer Ver- allen Reichtums ist die, mehr oder we- hältnisse betrachtet werden sollten. niger, via Geld vermittelte Form der Ak- Auch bei Marx und Engels wird man zu kumulation von Kapital. Die Substanzen dieser geopolitischen Frage fündig: der Reichtumsakkumulation sind Geld, Die Entdeckung der Gold- und Silberlän- Gold, Silber und andere Gestalten des der in Amerika , die Ausrottung, Verskla- Reichtums (Marx/Engels 1932, 1951b: vung und Vergrabung der eingeborenen 620ff).1 Und davon kann mensch be- Bevölkerung in die Bergwerke, die begin- kanntermaßen nie genug haben: nende Eroberung und Ausplünderung von Qualitativ oder seiner Form nach ist Ostindien, die Verwandlung von Afrika in das Geld schrankenlos, d.h. allge- ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarz- meiner Repräsentant des stofflichen 1 So merkt Friedrich häute, bezeichnen die Morgenröte der ka- Reichtums, weil in jede Ware unmittel- Engels an: Nur vermittels pitalistischen Produktionsära. Diese idyl- lischen Prozesse sind Hauptmomente der bar umsetzbar. Aber zugleich ist jede des Geldes (wird) der ursprünglichen Akkumulation. (Marx/En- wirkliche Geldsumme quantitativ be- Reichtum des einzelnen als gesellschaftlicher gels 1951 [1932]: 790). schränkt, daher auch nur Kaufmittel Reichtum verwirklicht; von beschränkter Wirkung. Dieser Wi- Dennoch bedarf es zum Messen und im Geld (...) ist die derspruch zwischen der quantitativen gesellschaftliche Natur Erfassen von Reichtum dessen raum- Schranke und der qualitativen Schran- des Reichtums verkör- zeitlicher Kontextualisierung. Erst die kenlosigkeit des Geldes treibt den pert (Marx/Engels 1932, räumlichen Wahrnehmungsperspekti- Schatzbildner stets zurück zur Sisy- 1951b: 620). ven auf die scales, die unterschiedli- phusarbeit der Akkumulation. Es geht chen geographischen Maßstabsebenen, ihm wie dem Welteroberer, der mit entscheiden über die Brauchbarkeit Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 5
Einleitung jedem Land eine neue Grenze erobert (Huster 2001: 12f). Die wirtschaftliche Situation (Marx/Engels 1932, 1951b:139). einer Person oder Gruppe, in Daraus lässt sich auch folgern, dass der über mehr als ausreichen- In der sozialwissenschaftlichen Litera- de finanzielle Mittel verfügt Sozialstatistiken und statistische Anga- tur (Huster 1993, 2001; Hauser und wird, welche weit über das zum ben zur Einkommens- und Vermögens- Lebensunterhalt nötige Maß Becker 2001) stellen indirekt geld- verteilung gerade auch im Bereich der hinausgehen und zur Ansamm- bezogene Topoi wie Einkommen und lung großer Geldsummen oder oberen Besitztumssegmente mit Vor- Sachkapital führen. Vermögen zwei entscheidende Begrif- sicht zu interpretieren sind. Das Einkommen übersteigt das fe auf der Suche nach dem Reichtum durchschnittliche Pro-Kopf- Bei Versuchen, dies trotzdem anhand Einkommen um ein Vielfaches. bestimmter Bevölkerungsgruppen dar. von statistischen Datenquellen zu ver- Reiche Menschen besitzen deut- Das Vermögen habe, so Hauser und lich mehr Vermögen als für die suchen, verweisen Hauser und Becker Becker, grundsätzlich die Eigenschaft, Befriedigung der Grundbedürf- (2001) auf amtliche Einkommens- und nisse notwendig ist (Nahrung, sich durch Wertzuwachs (Zinserträge, Kleidung, Wohnen, Urlaub, Auto Verbrauchsstichproben (EVS), den Mi- Aktiengewinne) zu vermehren, und etc.). Reichtum ist meiner Mei- krozensus, das Europanel sowie die nung nach keine Frage der abso- werde in der Regel nicht versteuert. vom Bundesministerium für Arbeit und luten Vermögenszahlen, sondern Dadurch werde es statistisch kaum er- abhängig vom Umfeld. Er zeigt Sozialordnung sowie dem Verband sich oft in der Summe der Sta- fassbar. Deshalb könne allein auf der Deutscher Rentenversicherungsträger tussymbole. Reiche Menschen Grundlage von Vermögen keine Aus- haben oft das Bedürfnis den erstellte Untersuchung zur Alterssiche- Reichtum zu zeigen und suchen sage über den Reichtum einer Region rung in Deutschland (ASiD). Zusätzlich die Nähe anderer Reicher. gemacht werden. zu den oft nur bedingt zugänglichen In Anlehnung an das Lebenslagenkon- und unzureichenden amtlichen Daten zept in der Armutsforschung schlägt verweisen Hauser und Becker auf Erhe- Dieter Eißel einen Reichtumsbegriff vor, bungen von WissenschaftlerInnen und der sich deutlich von den allein ver- Forschungsinstituten. Als besonders mögens- und einkommensorientierten aufschlussreich werden hier einerseits statistischen Daten unterscheidet. Ori- die zweijährig durchgeführte Allgemei- entiert am United Nations Development ne Bevölkerungsumfrage der Sozial- Programme wäre für Eißel reich, wer wissenschaften (ALLBUS) sowie die in über ausreichende materielle Ressourcen größeren Zeitabständen ansetzenden (Nahrung und gesundes Trinkwasser) ver- Wohlfahrtssurveys erwähnt. Als wich- fügt, in einer intakten Umwelt lebt, eine tigste nicht-amtliche Quelle für empi- hohe Lebenserwartung hat, gesund ist rische Verteilungsanalysen wird jedoch bzw. Zugang zu einem zufrieden stellen- das Sozio- Ökonomische Panel (SOEP) den Gesundheitssystem hat, über ein ho- hes Maß an Bildung verfügt und an der angesehen. Die AutorInnen resümieren gesellschaftlichen und öffentlichen Kom- jedoch trotz dieser Quellen: munikation partizipiert und die Macht (…) der Forschungsstand ist ungenügend; hat, die menschlichen Fähigkeiten auszu- Verteilungsfragen wurden in den ver- weiten (Eißel 2001: 107). gangenen 20 Jahren stark vernachlässig (Hauser/Becker 2001: 49). 2.2. REICHTUMSMESSUN- Oder an anderer Stelle: GEN Eine wirkliche Datengrundlage auf derer eine fundierte Recherche nach Reichtum Gerade im Bereich der Datengewinnung und Vermögen angestellt werden könnte, zu Vermögens- und Einkommensver- ist kaum vorhanden (Weick 2000). hältnissen konstatiert der Reichtums- forscher Ernst-Ulrich Huster eine eher entmutigende wissenschaftliche Aus- 2.2.1. REICHENRANKINGS gangslage: UND -LISTEN Beschäftigt man sich mit dem Reichtum, Jenseits trockener Zahlen versuchen erkennt man sehr schnell, dass es im sich verschiedene wirtschafts- oder Grunde keine Quellen gibt, die geeignet sind, aus sich heraus das Bild des Reich- lifestyleorientierte Magazine ebenfalls tums und dessen Entwicklung zu illustrie- in Reichtumsmessungen. Regelmäßig ren. (…) Es drängt sich der Verdacht auf, aktualisierte Rankings wie die Forbes- dass Unkenntnis über hohe Einkommen Liste oder die Liste der 300 reichsten vielleicht sogar eine ihrer Voraussetzun- Deutschen des manager magazins ge- gen darstellt. Hohe Einkommensbezieher ben dem schwer greifbaren Reichtum lieben das Diskrete, vor allem, wenn es ein Gesicht, Reichtum wird hierarchi- um die Offenlegung ihrer Einkünfte geht siert, personifiziert und regionalisiert. Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 6 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung Sind Reiche zufriedener? Um konkretes Anlageverhalten geht mit verweist das exklusive Adressbuch Reichtum ist nicht nur es hingegen bei den Reichtumsklas- gleichzeitig auf andere Kapitalformen. Geldbesitz – aber ohne sifizierungen der Beratungsfirma Cap Geld nicht denkbar Gemini und der Investmentbank Merril Lynch. Sie haben die Klasse der „High 2.3. SOZIALES UND KULTU- „Eine objektiv gute Versorgung muss sich nicht zwangsläufig in den Einstellungen und dem Net Worth Individuals“ (HNWI, Geld- RELLES KAPITAL subjektiven Wohlbefinden der vermögen über 1 Mio. Euro, 365.000 Ob Einkommen oder Besitz, die gängi- Betroffenen widerspiegeln; Die Menschen in Deutschland 2000) und ge Vorstellung von Reichtum assoziiert Vorstellungen über ein ´sehr gu- der „Ultra High Net Worth Individuals“ tes’ Einkommen sind in starkem diesen vor allem mit Geldvermögen. Maße von der tatsächlichen Ein- (UHNWI, Geldvermögen über 30 Mio. Pierre Bourdieu hat die Diskussion um kommenssituation abhängig. Mit Euro, 3700 Menschen in Deutschland steigender Einkommensposition soziale Ungleichheit und Ressourcen steigt auch das Anspruchsni- 2000) gebildet, um die Bedürfnisse und um die Dimensionen soziales und kul- veau. In der höchsten Einkom- Anforderungen dieser Gruppen sowie turelles Kapital erweitert. Diese Reich- mensgruppe liegt der entspre- chende Wert mit über 10.000 Implikationen für das Private Banking tumsdimensionen sind gleichzeitig eine DM in den alten und 9.000 DM besser zu verstehen. Ihre Entwicklung Stütze des ökonomischen Kapitals: Pin- in den neuen Bundesländern jeweils mehr als dreimal so hoch wird jährlich in „World Wealth Reports“ çon und Pinçon-Charlot (1997) stellen wie in der untersten Einkom- und nationalen Berichten dargestellt fest, dass ökonomischer Reichtum in mensgruppe. (Merrill Lynch, Cap Gemini Ernst & Die tatsächlichen Haushalts- jedem Fall kulturell und moralisch legi- einkommen werden in allen Young 2001). Auf dieser Basis kann timiert sein muss, um gesellschaftliche Einkommensgruppen von der man feststellen, dass die so abgegrenz- Erwartung an ein ´sehr gutes’ Anerkennung zu finden. Kulturelles Ka- Einkommen übertroffen. Die ten Reichen zu einem wachsenden Seg- pital, in Form von Bildungstiteln, objek- Differenz ist in der untersten ment der Bevölkerung gehören, das im tiviertem Wissen und kulturellem know- Einkommensgruppe - trotz bescheidenerer Ansprüche - am Westen viel häufiger als im Osten (Fak- how grenzt den kultivierten Reichtum stärksten ausgeprägt. In der tor 9:1), im Süden häufiger als im Nor- von den Neureichen ab. Die Bedeutung höchsten Einkommensgrup- pe wird die Höhe eines ´sehr den des Landes vertreten ist. von Kultur im Großbürgertum drückt guten’ Einkommens in West- Berlin hat zwar einen höheren Anteil an sich durch spezifische kollektive For- deutschland bei 130 Prozent allen deutschen HNWIs als es dem Be- und in Ostdeutschland sogar bei men des Konsums von Hochkultur aus: 160 Prozent des tatsächlichen völkerungsanteil der Stadt entspricht, Vernissagen, Opernpremieren und be- Haushaltsnettoeinkommens unter den Bundesländern liegt Berlin angesiedelt. stimmte Musikfestivals. Solche unter In Ostdeutschland bewegen sich aber deutlich hinter Hamburg, Bre- Umständen sehr selektiven Veranstal- die Vorstellungen von einem men und sogar hinter dem Flächenland tungen unterstreichen die Bedeutung ´sehr guten’ Einkommen zwar auf einem geringeren Niveau als Hessen. Die meisten HNWIs leben in der Gruppe, des sozialen Netzwerks, in Westdeutschland, allerdings Nordrhein-Westfalen. Die relative Be- des von Bourdieu so genannten sozia- ist - mit Ausnahme der niedrigs- ten Einkommensgruppe - der deutung der ehemaligen Handelsstädte len Kapitals als individuelle Ressource Abstand zum eigenen Haushalts- Bremen und Hamburg sowie die Spit- auf Basis der Zugehörigkeit zu einer einkommen größer. zenposition NRWs zeigen, dass es auch Gruppe. Zufriedenheitsbewertungen einzelner Lebensbereiche oder gewisse Persistenzen im Reichtum gibt, Die drei Kapitalsorten beziehen sich des Lebens insgesamt können die sich aus der heutigen Wirtschafts- als das Ergebnis von Vergleichs- in der Regel aufeinander, stützen sich und Anpassungsprozessen be- struktur der Regionen nicht mehr in gegenseitig und akkumulieren sich auf züglich der objektiven Lebensbe- jedem Fall erkennen lassen (vgl. Merril der einen Seite der sozialen Hierarchie, dingungen gesehen werden. Sie werden im Sozio-ökonomischen Lynch, Cap Gemini 2001: 8). während sich auf der anderen die Nach- Panel anhand einer Skala von 0 Andere Veröffentlichungen wie der teile anhäufen. Kulturelles und noch ´ganz und gar unzufrieden’ französische Bottin Mondain setzen auf stärker soziales Kapital sind allerdings mehr als den reinen Geldbesitz. Der weniger sichtbar als materieller Besitz Bottin Mondain nimmt seit 1903 Adres- (Pinçon/Pinçon-Charlot 1997: 8). sen und Menschen nach den Kriterien Mehr noch als die reine Akkumulation Sozialprestige, Prestige des Namens von Gütern ist für die Beziehungsarbeit oder der Funktion auf und versteht (soziales Kapital) und nicht-kodifizier- sich heute als ein Adressbuch einer te Formen des kulturellen Kapitals das bestimmten „art de vivre“, die sowohl Aufeinandertreffen und das „Unter- materiell als auch moralisch verstanden Sich-Sein“ einer Gruppe von Bedeu- wird und wo die Familie auch im Drit- tung. Das verweist auf Exklusivität und ten Jahrtausend eine zentrale Stütze Segregation als sozialräumliche Phäno- bleiben wird. Dabei wird betont: La for- mene (siehe 2.4.). tune ou le snobisme ne sont en aucun In Ihrer Marktanalyse der Reichen stel- 2 . und Snobismus sind also in keinem Fall die meisten „Ultra High Net Worth Indi- Aufnahmekriterien für den Bottin. Da- viduals“ mit über 30 Millionen Euro trotz Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 7
Einleitung des überdurchschnittlichen Wachstums mentiert)? bis 10 ´ganz und gar zufrieden’ im Segment neuer Reichtum (kurz vor Auf Fototour unterwegs in Berlin-Zeh- gemessen. Bei der Zufriedenheit mit dem Haushaltseinkommen dem Untergang der New Economy!) lendorf und Berlin-Hessenwinkel konn- zeigt sich ein enger Zusammen- immer noch dem alten Reichtum ange- ten wir feststellen, wie schnell eine hang mit der Einkommenshöhe. In Westdeutschland liegt der hören. Den Bankern gilt neuer Reich- allein auf materielle Sichtbarkeit auf- Durchschnitt bei Personen ober- tum als stärker leistungsorientiert und bauende Reichtumsforschung an die halb der 200-Prozent-Schwelle mit 8,1 vergleichsweise hoch. risikobereit. Soziale Konventionen spie- Grenzen des Erkennens und die mate- Der Abstand zur untersten len eine geringere Rolle. Alter Reichtum riellen Abgrenzungen privater Räume Einkommensgruppe beträgt fast gilt als eher beziehungsorientiert, das gelangt. Darüber hinaus lernten wir, 4 Skalenpunkte. In Ostdeutsch- land findet man nahezu die Anlageverhalten als konservativer. Ver- wie sehr sich Quartiere unterscheiden, gleiche Zufriedenheitsdistanz schwiegenheit, Exklusivität und Erfah- die vom Sozialstrukturatlas ähnliche zwischen den beiden Einkom- menspositionen, allerdings rung sind zentrale Werte dieser Kun- Bewertungen bekommen. Wichtige auf einem niedrigeren Zufrie- den (German Wealth Report 2000). Elemente der Visualität von Reichtum denheitsniveau. Hier geht die größere Distanz zwischen den Man sieht, dass auch die Banken ihren sind jedoch, wie wir feststellen muss- tatsächlichen Einkommen und Bourdieu gelesen haben... ten, Probleme der Lesbarkeit und oft den Anspruchsniveaus, die an westdeutschen Standards orien- ein schwieriger Zugang. tiert sind, in die Bewertung ein. 2.4. WIE SIEHT REICHTUM Somit konnten wir uns vor allem von Versuchen der Abschirmung, von Si- Die Längsschnittanalyse zeigt, dass Personen, die sich dauer- AUS? haft in der höchsten Einkom- cherheitsmaßnahmen und Abschlie- mensposition befinden, auch ßungen überzeugen. Hohe Hecken, die höchste Einkommenszufrie- It is a commonplace of current geogra- denheit aufweisen. Zumindest Kameraüberwachung, stilvolle Zäune im hohen Einkommensbereich phical enquiry that we live in an ocular- centric, scopophilic world which privileges und Gitter markieren die Grenzen zu scheint somit die allmähliche Anpassung des Anspruchsni- vision, but acknowledging this insight re- wohlhabender Privatheit. Noble Auto- veaus an das faktisch hohe quires that we be aware of the existence mobile, Möbelstücke und andere teure Einkommen die Zufriedenheit mit dem Einkommen nicht zu of many other practices that constantly Reichtumsaccessoires verschwinden beeinträchtigen. correct this vision. (Thrift 2000: 279) hinter den Mauern der Privatgrundstü- Auch die Zufriedenheiten mit dem Lebensstandard und der cke. Doch was verbirgt sich hinter den Im Rahmen des Workshops „Visual Ma- Arbeit variieren mit der Einkom- Zäunen? Wie sieht es hinter den Über- menshöhe, wenn auch weniger terial – Visuelles Arbeiten: Between stark als die Einkommenszufrie- wachungskameras aus? Reproduction of Truth and Comple- denheit. Bezüglich der allgemei- Dies konfrontierte uns mit einem wei- nen Lebenszufriedenheit, in die mentary Objects“ hatte sich unsere teren grundsätzlichen Problem des Pro- als summarisches Zufrieden- kleine Projektgruppe zur Aufgabe ge- heitsmaß auch Bewertungen für jektseminars, ja wohl der Reichtumsfor- viele andere Bereiche, wie z.B. stellt, nach dem sichtbaren Ausdruck schung insgesamt. Kilian (1998: 125) Familie und Partnerschaft ein- reicher Lebensstile und Wohnformen gehen, ist der Zusammenhang schreibt dazu: „Publicity is the power mit der Einkommensposition in zwei Berliner Stadtteilen zu suchen, of access. Privacy is the power of ex- weniger deutlich. Die Differenz die vom damals gerade neu erschie- von der höchsten zur niedrigsten clusion.“ Privatisierte Räume sind nur Einkommensgruppe beträgt hier nenen Berliner Sozialstrukturatlas als mit besonderen Forschungsstrategien noch 1,6 Skalenpunkte in den Quartiere mit hohen Einkommen und alten und 1 Skalenpunkt in den betretbar, Aussagen über die, hier vor nur wenigen sozialen Problemen iden- neuen Bundesländern. Eine hohe allem materielle Ausstattung des häus- Einkommensposition erweist tifiziert wurden. Manifestationen dieser sich hier als ein Faktor unter lichen Bereiches, bleiben zumeist ein urbanen Verhältnisse sollten dabei bild- vielen, der die Lebenszufrieden- Tabu. Da wir uns weder über spezielle heit bestimmt.“ Quelle: Weick sprachlich dokumentiert werden. gatekeeper oder besondere Camoufla- (2000) In der Auseinandersetzung um den getechniken einen sicher interessanten Charakter des Faches Geographie als und spannenden Einblick hinter Türen visueller Wissenschaftsdisziplin (Grego- und Zäune verschaffen wollten, orien- ry 1995; Thrift 2000)3 stellen sich auch tierten wir uns vor allem an den (mehr Fragen nach unseren Ways of seeing: oder weniger) öffentlich zur Schau ge- Welche Bilder des Reichtums bzw. der stellten oder im städtischen Kontext Reichen machen wir uns sowohl im Sin- präsenten Reichtumsmanifestationen. 3 Vgl. dazu die e-mail ne von Repräsentationen als auch von Deren Charakter drückt sich vor allem Kommunikation von deren Interpretation? Somit wurden Colin Marx von der Open über den Symbolgehalt als Reichtums- bereits hier zentrale Grundfragen des University, einem Teil- objekte aus. Projektseminars aufgeworfen: nehmer des Methoden- • Was interpretieren wir als Ausdruck workshops zu Visual von Reichtum? Auf welche Symbole 2.4.1. OBJEKTE DES REICH- Geographies: “Visual- ity is increasingly being und Ornamente, Waren und Luxusgü- ter achten wir dabei besonders? TUMS – REICHTUM ALS recognised as an impor- • Welche Orte werden von uns als Orte OBJEKT des Reichtums identifiziert (und doku- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 8 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung Seeing comes before words (…) It is see- tonen das umfassendere Konzept des ing which establishes our place in the sur- demonstrativen Lebensstils durch Kon- rounding world (…) The way we see things sumverhalten. So seien die Dinge, die is affected by what we know or what we believe (Berger 1972: 7ff). wir kaufen, immer weniger Produkte und immer mehr Lebenserfahrungen wie Es- Der Reichtum der Gesellschaften, in sen, Kommunikation, Kulturkonsum, Teil- welchen kapitalistische Produktions- habe an einem bestimmten Lebensstil (Zi- weise herrscht, erscheint als eine „un- zek zitiert in Misik 2005). geheure Warenansammlung“, die ein- Oft ist das Image der eigentliche Ge- zelne Ware als seine Elemantarform brauchswert und sind materielle Ob- (Marx, 1932, 1951: 49). jekte lediglich „Requisiten“ dessen, Marx stellt den Begriff des Erscheinens was eigentlich gekauft wird, um einen einer ungeheuren Warenansammlung Lebensstil zu erwerben. an den Anfang seiner Kritik der po- litischen Ökonomie. Es geht hier also ebenfalls auch um die Sichtbarkeit, die 2.4.2. MANIFESTATIONEN Vordergründigkeit der reichhaltigen und umfassenden Anwesenheit (wenn DES REICHTUMS IN DER auch nicht von allen) konsumierbaren STÄDTISCHEN FORM Waren. Erscheinungsebenen verweisen Und wie sieht es mit der Sichtbarkeit nur mittelbar auf die Hintergründe ei- von Reichtum in der Stadt aus? Bei nes sozialen Zustandes oder Problems. der Identifikation materieller oder im- Somit stellt sich die Frage, ob sichtbare materieller Reichtumsmanifestationen Objekte einen analytischen Zugang zu im Rahmen einer sozialraumbezoge- einem Lebensstil darstellen können. nen Perspektive ist es verlockend, Kli- Ausgehend davon, dass materielle Gü- schees der „Viertel der Reichen“ (bsp.: ter unterschiedliche Bedeutungen in Zehlendorf, Dahlem) zu reproduzieren. unterschiedlichen gesellschaftlichen Wie bereits angesprochen, können Be- Kontexten haben, gibt es auch keine suche in diesen Stadtteilen nur ein Teil Reichtumsobjekte an sich – Waren ver- der Forschungsfragen aufklären: Priva- tant yet poorly thought fügen über keinen essentialistischen te Räume bleiben schwer zugänglich, through methodology Kern (Appadurai 1986) – sondern vor Luxus-Autos verraten nicht alles über – particularly in geogra- allem über einen in diesem Zusammen- den wirklichen Besitzstand der dazu- phy which is considered by many to be primarily hang unterbewerteten Gebrauchswert gehörigen Person. Trotzdem bleibt die reliant on visual meth- und den überbetonten Tauschwert eines städtische Öffentlichkeit der wichtigste odologies. The literature Luxusgutes. Doch nicht allein der hohe Darstellungs- und Vorstellungsraum ge- on visuality is vast and Tauschwertcharakter einer Ware macht sellschaftlichen Reichtums. Nicht allein there have been numer- diese zu einem wertvollen Reichtums- Hauptstädte, Residenzen und Regie- ous attempts to bring requisit, sie muss auch am rechten Ort rungssitze verweisen in ihrer baulichen together the possibilities von den richtigen Menschen als solche Form auf eine Fülle an Kristallisati- visual methodologies of- erkannt werden. Obwohl mit Symbolen onspunkten von Macht und Reichtum. fer with social processes such as affluence and und Konsumgütern dieser Gesellschaft In jeder Stadt finden sich Belege und poverty. Affluence and vertraut, mussten wir in Frage stellen, Artefakte des Reichtums; Stadt ist der poverty have a particular ob auch wir die feinen Unterschiede se- gebaute Ausdruck gesellschaftlicher complex relationship that hen und erkennen können, ohne genau Macht. Diskurse um städtische Gestal- goes beyond the usual etwas über die Kulturen und Konjunktu- tung und Raumästhetik sind eng mit binary relationship of the ren bestimmter Reichtumsattribute zu der Vorstellung des Schönen als Luxus ‘other’.” wissen (Wer kann eine echte Rolex von und der Darstellung von Überfluss ed- einer falschen Rolex unterscheiden? ler Materialien (oder deren Simulatio- Wer kennt überhaupt eine Rolex?). nen) verbunden. Nach Thorstein Veblen hat Reichtum Das ist die eine Seite städtischer Reich- vor allem die Funktion, als sichtbarer tumsmanifestationen, die Inszenierung Beweis des Erfolges via conspicuous von Macht durch architektonische Ma- consumption zu dienen. Der auffallen- terialität, ganz im Sinne des gestalte- de Konsum wurde als Kennzeichen ei- rischen Paradigmas form follows func- ner neuen US-amerikanischen leisure tion. Eine weitere Seite stellt sich in class vor über 100 Jahren diagnosti- der Anwesenheit des Marktes, der öf- ziert. Zeitgenössische AutorInnen be- fentlich angebotenen und ausgestell- Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 9
Einleitung ten Lebensmittel, der Konsumgüter in ser Märkte über Kioske, Ladengeschäf- Boutiquen, Läden, Luxusgeschäften te bis hin zu Kaufhäusern stellt auch in etc. dar. Die postulierte Überlegen- der Stadtforschung ein entwicklungs- heit kapitalistischer Gesellschaftsmo- theoretisches Paradigma her, wonach delle als Konsumparadiese wurde in der zivilisatorische Status einer Stadt Kaufhäusern als den Kathedralen der an der Anwesenheit und Gestalt von Moderne vergegenständlicht. Der poli- Luxusgeschäften gemessen wird.4 tische Charakter West-Berlins im „kal- Doch auch andere Kathedralen, um ten Krieg“ als ideologisches Schaufens- bei der etwas abgegriffenen Kirchen- ters des Westens hat sich nicht zuletzt Metaphorik zu bleiben, symbolisieren 4 Eine im Projektseminar über Orte (Bsp. KaDeWe) hergestellt. stadtgeschichtlich zunehmend urbane diskutierte Idee zur Ent- Auch mit dem Ende der Ära des gro- Prosperität und wirtschaftlichen Erfolg: deckung von städtischem Reichtum über seine ßen Kaufhauses sind es immer noch Die Cathedrals of Commerce - um 1900 Visualität war die Klassi- die Einkaufsstrassen, shopping-malls ebenfalls entstehenden Bürohochhäu- fizierung von Verkaufs- und Fußgängerzonen des Konsums, die ser der US-amerikanischen, später geschäften für Konsum- als besondere Indikatoren städtischen auch europäischen Grosstädte – prägen güter anhand der Dichte Reichtums angesehen werden. Die An- als Balkendiagramme des Handels und der in den Schaufenstern oder Abwesenheit internationaler Mar- der Finanzwirtschaft die Ikonographi- angebotenen Waren kengeschäfte, die überbordende oder en (fast) aller Metropolen, sie werden auf Basis der These: Je dezente Ausstattung mit (Luxus)Waren, zur imagebildenden Demonstration der dichter die Waren, desto niedriger der Status des das Flanieren der KundInnen, bilden Geschäfte und der Macht des Geldes Geschäftes- je weniger den symbolischen Rahmen gehobener (Flierl 1990: 446). im Fenster desto Luxus. Urbanität. Die Form der Einbindung lo- 3. REPRÄSENTATIONEN VON REICHTUM IN MEDIEN UND STADTPOLITIK Der Armutsdiskurs und dessen populä- wie Moral, Gesundheit und Fragen der ren Repräsentationsstrategien auf der städtischen Form zu den Schlüsselbe- einen, Luxus der Abgeschiedenheit und griffen der Definition von Territorien Reduzierung auf die öffentliche Tribüne werden und die Trennlinie zwischen Pa- des Glamourdiskurses auf der anderen thologisierung und Kriminalisierung der Seite, sind die Hauptmotive der Reprä- Armen auf der einen und Konsolidie- sentationen von Armut und Reichtum, rung bürgerlicher Identität auf der an- die wir in diesem Abschnitt behandeln deren Seite bestimmen. Der Slum wird möchten. von der bürgerlichen Imagination auf Eine geradezu klassische massenme- verschiedene Weise mit Sinn erfüllt: diale Repräsentation von materiellem Konservative fanden im Slum Anknüp- Besitz ist der Komplex Schmutz und fungspunkte für zivilisationskritische, Kriminalität in Bezug auf die Wohn- großstadtfeindliche Ansichten, Refor- orte der Armen. Einer alten Tradition mer für eine paternalistische Politik der folgend, werden biologische Analogien Kontrolle gegenüber der Arbeiterklasse. hergestellt, die Schmutz, Armut und Und unterhaltend war der Slum auch: unmoralisches, delinquentes Verhalten Worthy citizens gaben sich lascivious zusammendenken. Alan Mayne be- inspections hin und das slumming – Ex- schreibt in seinem Buch The Imagined kursionen in die Slumgebiete – wurde Slum (1993) wie aus einer dominanten populär. Obwohl es sich somit kaum um bürgerlichen Perspektive aus Medien, eine streng abgegrenzte Welt handelte, Abb. 3.1.: Verbrechens- Karte aus Berlin, in: B.Z. Kulturindustrie und Politik die Arbei- diente der Slum als ausgegrenztes Ter- vom 25.11.1999. terviertel der Stadt der industriellen ritorium zur Affirmation seines Gegen- Revolution auf allen Ebenen als Gegen- teils, der modernen, legitimen Stadt bild der modernen Stadt konstruiert und ebnete den Weg für Abrisspro- wurden. Am Beispiel von Städten wie gramme, die von den Zeitungen und London und Birmingham wird gezeigt, den politisch-ökonomischen Eliten der Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 10 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
Einleitung Statistische Reichtums- Industriegesellschaft in der imperialis- mensprache der vermeintlich reicheren messung in Berlin tischen, religiösen (Kreuzzug) und mili- Wohngegenden eine der Abschließung, tärischen Metaphorik eines „gerechten die sich durch Verfügungsgewalt über „Grundlage für die in Berlin laufenden Armutsberechnun- Krieges“ gefeiert wurden (Mayne 1993: weitläufige private Räume auszeichnet gen sind die Daten des seit 206). und somit den Reichen zumindest im 1957 jährlich stattfindenden Mikrozensus (Stichprobe 1 %) Die heutigen Nachfolger des Slumdis- Privatleben die Möglichkeit des Rück- (Senatsverwaltung für Gesund- kurses beziehen sich auf Stadtgebiete, zuges bietet (siehe 2.4.). heit, Soziales und Verbraucher- schutz 2003). Als Grundlage für die mit Armut und Verbrechen, aber Repräsentationen von Kriminalität und die Untersuchung von Arm und noch immer auch mit moralischen Pro- Reichtum sowie Kartierungen dieser Reich, gilt das durchschnittliche blemen in Verbindung gebracht werden. durchaus weit verbreiteten Phänome- Äquivalenzeinkommen das in Berlin bei 1.213€ liegt. Als arm Auch die rezenten Darstellungsme- ne sind hingegen sehr selten. Typische gelten Personen die nur gering- thoden knüpfen an die tradierte Form „white-collar-crimes“ wie Steuerhinter- fügig über, oder unter 50 % dieses Äquivalenzeinkommens der Ausgrenzung „kranker, krimineller“ ziehung, Bestechung oder Wirtschafts- liegen. Als reich gilt, wer 200 Viertel durch das Mittel der einfachen kriminalität werden selten in so sys- % des Äquivalenzeinkommens verdient (ebd.). Der Sozialstruk- Kartierung an, wie das nachfolgende tematischer und umfassender Form turatlas 2003 für Berlin trifft Beispiel aus der Berliner B.Z. zeigt (sie- dargestellt und in einen räumlichen keine explizite Aussage über die Reichtums/Vermögens-Entwick- he Abb. 3.1.). Auffällig an der Karte ist, Bezug gesetzt wie dies bei Graffiti, lung und Verteilung in Berlin. dass nur ein Ausschnitt der Stadt ge- Drogendelikten oder Gewaltkriminalität Auch der Jahresbericht der Se- zeigt wird – die meisten einkommens- der Fall ist. natsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz starken Randbereiche von Berlin fehlen Es bietet sich also an, den Reichtums- von 2002: „Armut und soziale auf der Darstellung. begriff um die Dimension der Reprä- Ungleichheit“ stellt keine Daten zu Einkommensunterschieden Wird Armut in den populären Medi- sentation zu erweitern: Reich ist, wer zur Diskussion. Aussagen aus en pathologisiert bzw. kriminalisiert, sein gesellschaftliches Bild beeinflussen amtlicher Statistik sind also schwer erhältlich. so wird Reichtum „glamourisiert“. Im kann und nur dann im Mittelpunkt des Die Einkommensunterschiede „Gala“- oder “Glamour-Diskurs” wird Interesses steht, wenn dies gewünscht innerhalb der Berliner Bevölke- rung (Ost und West) haben sich das gesellschaftliche Leben von Reichen ist. Im Gegensatz dazu stehen die mit im Zeitraum 1996-2002 vergrö- beobachtet und hinsichtlich seiner Vor- Bildern und Diskursen der Desorganisa- ßert und die Angleichung der bildfunktion in Bezug auf Verhalten, Stil tion, der Unmoral und der Kriminalität Lebensverhältnisse verlangsamt. Relevant dabei ist der Anstieg etc. betrachtet. Hier wird eine Reich- überzogenen armen Viertel, deren Be- der Besserverdienenden (über tumsrepräsentation nach dem Bild der wohner zusätzlich zu geringem mate- 200 % des Äquivalenzeinkom- mens) von 4,8 % (1996) auf kleinbürgerlichen Aspiration und Prä- riellem Besitz auch noch das Recht am 5,1 % (2002). 62% der Berliner tention geschaffen und vermarktet: So eigenen Bild verlieren. Loïc Wacquant Bevölkerung weisen ein unter- durchschnittliches monatliches wohnen, kleiden sich, heiraten, feiern (1993) spricht daher von der symboli- Äquivalenzeinkommen auf.“ die Reichen und Berühmten - jedenfalls schen Enteignung marginalisierter Be- Auszüge aus dem Essaytext des Projektseminars von Robert die, die sich dem Glamour-Blick aus- völkerungsgruppen. Gölz: Quellen und Daten zum setzen. Auch städtebaulich lässt sich Thema Reichtum. diese Gegenüberstellung nachzeich- nen. So wie die Armutsgebiete sich 3.1. REPRÄSENTATIONEN IN WISSENSCHAFT UND POLI- TIK Auch in den angewandten Wissenschaf- ten spielt die kartografische Repräsen- tation von Klasse seit ihren philanthro- pischen Anfängen im 19. Jahrhundert eine große Rolle. Frei nach dem Kon- zept einer angewandten „Problemwis- senschaft“ standen in der Soziologie und ihren disziplinären Nachbarinnen von Anfang die Verortung von Armut im Vordergrund. Analog zu den von Foucault beschriebenen Machttechni- ken zur Inventarisierung und Durch- dringung des Staatsterritoriums in der Neuzeit wird der Survey zur zentralen Machttechnik zur Analyse der dunk- Abb. 3.2.: Hier regiert durch Öffentlichkeit und Zugänglichkeit len, verborgenen anderen Seite der die Angst, in: BZ. ausweisen, ist die architektonische For- Stadt (Lindner 2004). Im England der Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin 11
Einleitung Industrialisierung steht die Kartierung in direkter Verbindung mit reformeri- schen Hilfsprogrammen, polizeilicher Disziplinierung, und der Arbeit von „charity“-Organisationen und sorgt mit für eine bessere Kontrolle durch Visu- alisierung und Wissensproduktion zum Thema „How the poor live“. Die Map of London Poverty von Charles Booth aus dem späten 19. Jahrhundert zeigt durch ihren Titel den klassenmäßigen Schwerpunkt dieser Arbeiten an, ist aber gleichzeitig von ihren Inhalten her eine Ausnahme, da sie auch die obere Mittelklasse in goldenen Tönen kartiert (siehe Abb. 3.4.). Indem sie sich auf Expertenbefragungen und Begehun- menen wie niedrigen Einkommen und Abb. 3.3.: Der Adel gen durch die Forscher stützt, sind vorzeitiger Sterblichkeit sowie mit Sin- tanzt! Die Armen hängen hier die Ursprünge der ethnologischen rum und sind kriminell. gle-Haushalten und Nicht-EU-Auslän- Stadtforschung auszumachen (Lindner In: B.Z. 8.2.2004. dern (Senatsverwaltung für Gesundheit 2004: 85). und Soziales 2004: 21). Daneben gibt Der von der Senatsverwaltung für Ge- Sind sie Bourgeois(e)? es den zweiten, „Statusindex“ genann- sundheit und Soziales herausgegebene ten Faktor, der die Viertel mit besonders 1. Ökonomisches Kapital Sozialstrukturatlas Berlin, der 2004 in hohem kulturellem Kapital hervorhebt. - Besitzen Sie ein Portefeuille seiner neuesten Fassung erschien, ist von Wertpapieren? Bereits die Auswahl möglicher Indika- die moderne Form des social surveys - Verfügen Sie mindestens über toren zur Sozialstruktur verrät einiges eine Person, die sich Vollzeit um aus dem 19. Jahrhundert. Er hat sich über die herrschenden Vorstellungen Ihren Haushalt kümmert? mittlerweile von den ethnographischen - Verfügen Sie über ihren von günstiger und ungünstiger Sozi- Methoden der Pioniere in London ver- abschiedet und verwendet faktorana- lytische Verfahren zur Sortierung und Gruppierung einer Vielzahl von Indi- katoren. Als kleinräumige Darstellung sozialer Milieus konzipiert, wird er als Handlungsgrundlage für die sozialpo- litische Planung verwendet. Die letzte Ausgabe brachte gar eine Diskussion um eine stärkere Berücksichtigung so- zialer Ungleichheit bei der Verteilung von Haushaltsmitteln ins Rollen: In ei- nem Interview mit der Berliner Zeitung am 29. April 2004 forderte die für den Atlas verantwortliche Sozialsenato- rin Dr. Heidi Knake-Werner etwa, über neue Ganztagsschulen nach den durch den Strukturatlas gewonnenen Er- kenntnissen zu entscheiden und diese Schulform in den Innenstadtbezirken zu konzentrieren. Die mächtigste Kategorie des Sozial- strukturatlasses ist der „Sozialindex“ genannte erste Faktor, der eine „güns- tige“ Sozialstruktur von „ungünstigen“ Abb. 3.4.: Ausschnitt unterschieden soll. „Ungünstige Sozi- und Legende der „Map alstruktur“ korreliert stark mit einem of London Poverty“ von hohen Anteil von Personen ohne Schul- Charles Booth (1889). Quelle: Scan von Sabiha abschluss, Männern, Sozialhilfeemp- Ahmad, . Geographisches Institut Arbeitsberichte 110, 2005 12 Sozialgeographien des Reichtums in Berlin
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