Arbeitskreis "Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität" Produktivitätsszenario

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Arbeitskreis "Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität" Produktivitätsszenario
Arbeitskreis
                                       »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der
                                                 Dienstleistungsproduktivität«
                                                           Produktivitätsszenario

1. Mikroökonomische Perspektiven auf die Messung der Dienstleistungsproduktivität
   Der Arbeitskreis »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität« hat
 zwei Perspektiven erarbeitet, die zusammen eine umfassende Darstellung der potenziellen
 mikro- und makroökonomischen Entwicklungen bis zum Jahre 2020 bieten. Das im Folgenden
 beschriebene Produktivitätsszenario deckt die mikroökonomische Perspektive ab.

1.1 Ausgangssituation und Ausblick auf zukünftige Entwicklungslinien
   In der Forschung besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Dienstleistungsproduktivität sich
 auf der Unternehmensebene (Mikroebene) schwer messen lässt. Dabei spielen vor allem die
 sogenannten Dienstleistungsbesonderheiten (Immaterialität, Integration des Kunden in die
 Leistungserstellung etc.) eine ganz wesentliche Rolle und erschweren die Input- und die
 Outputmessung. Häufig basieren Produktivitätsmessungen in Dienstleistungsunternehmen auf
 den Erkenntnissen der Industrieunternehmen, d.h. die industrielle Vorgehensweise wird oft
 schlicht übertragen. Dabei wird unterstellt, dass die Input- und Outputfaktoren von identischer
 Qualität und Beschaffenheit sind und damit standardisiert erfasst und verglichen werden
 können. Dieses Vorgehen und die dadurch generierten Produktivitätszahlen geben jedoch nur
 einen Teil der tatsächlichen Produktivität in Dienstleistungsunternehmen wider. Dabei lässt sich
 die Produktivität von relativ standardisierten Dienstleistungen, wie beispielsweise im Trans-
 portwesen, leichter messen als die kundenangepassten Dienstleistungen einer Unternehmens-
 beratung.

   Insgesamt machen die Besonderheiten von Dienstleistungen – vor allem die Integration des
 Kunden in die Leistungserstellung – eine Trennung der Produktivitätsberechnung in zwei Teil-
 rechnungen erforderlich. Eine Produktivitätskennzahl, die auf die Leistungsbereitschaft
 angewendet wird, ist dabei von einer Kennzahl zu unterscheiden, die die Erstellung der
 Dienstleistung berücksichtigt.

   Die Leistungsbereitschaft ist das Ergebnis aller intern kombinierten und zur Verfügung
 gestellten Ressourcen zur Erstellung der Dienstleistung. Die dadurch entstehende Produktivität
 wird autonom vom Dienstleister erreicht und lässt sich relativ einfach bestimmen. Die
 Leistungserstellung basiert auf der Leistungsbereitschaft sowie den im Prozess von Produktion,
 Absatz und Konsum zusätzlich genutzten Ressourcen, einschließlich der Ressourcen des
 Kunden. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass der Kunde durchaus zur Produktivitätssteigerung
 beitragen kann, wenn er selbst Zeit, Energie und Kapital in die Erstellung der Dienstleistung
 einbringt. Auf der anderen Seite kann der Kunde durch besondere Wünsche und daraus
 abgeleitete Anpassungen die Produktivitätskennzahlen des Unternehmens verschlechtern.

  Der Kunde wird in Zukunft weiterhin an der Dienstleistungserstellung beteiligt sein. Der
 Produzent hat möglichst viele Schnittstellen zum Kunden standardisiert. Dadurch wird das
 Risiko einer produktivitätssenkenden Einflussnahme des Kunden reduziert und Dienst-

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leistungen, deren kurze Produktionszeit kritisch für eine positive Qualitätswahrnehmung
 seitens des Kunden ist, werden qualitativ höher bewertet. Technologien unterstützen den
 Produzenten und den Kunden bei der Dienstleistungserstellung (z.B. Check-in am Flughafen,
 Serviceroboter). Hoch individualisierte Dienstleistungen werden ohne enge Interaktion
 zwischen Kunde und Produzent nicht auskommen. Aber auch hier können Teilprozesse
 standardisiert werden, so dass der Kunde schneller, zuverlässiger und individuell auf die
 Dienstleistung zugreifen kann (z.B. Terminvereinbarung beim Arzt über das Internet). Dadurch
 hat der Dienstleister die Möglichkeit, sich mehr Zeit für die eigentliche individuelle Beratung
 und Leistungserstellung zu nehmen. Die vom Kunden wahrgenommene Qualität nimmt zu, die
 Produktivität des Dienstleistungsunternehmens verschlechtert sich nicht.

  Nachfrageschwankungen sind auch in Zukunft zu erwarten. Die Dienstleistungsunternehmen
 haben dafür Lösungen gefunden, die es ihnen ermöglichen, die Leistungsbereitstellung zu
 optimieren. Mit Hilfe von Optimierungsprogrammen werden Geschäftsmodelle und Preise
 variiert, so dass sich über Preisfindungsmodelle, Prozessstandardisierungen in Teilbereichen
 und Clustern von Kundentypen Angebot und Nachfrage zeitnah und dynamisch steuern und
 anpassen lassen. Hierzu sind weitere technologische Entwicklungen notwendig, um die
 komplexen Anbieter-Nachfrager-Dynamiken und Marktdynamiken zu verarbeiten (z.B. im
 Bereich der Stromversorgung).

   Ganz wesentlich für die Leistungsbereitstellung des Dienstleistungsanbieters sind Mitarbeiter-
 qualifikationen, die sich aus allgemeinen Fähigkeiten, Erfahrungswissen sowie betriebsspezifi-
 schen Fähigkeiten zusammensetzen. Gerade die Interaktion mit dem Kunden bei individuellen
 Dienstleistungen erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Knowhow. In Zukunft werden
 hierfür Indikatoren für die Messung verschiedener Formen des Erfahrungswissens, der
 Ausbildungsgrade, der Wissenszuwächse und der Lernfähigkeit bereitgestellt und genutzt.
 Dabei     kommen       klassische   Indikatoren   wie    beispielsweise    die    Anzahl    der
 Weiterbildungsstunden sowie neu entwickelte Indikatoren (Klassifikation der Mitarbeitenden
 anhand einer Erfahrungsmatrix) zum Einsatz. Zudem werden interne Umfeld-faktoren wie das
 Betriebsklima und der Führungsstil für die Darstellung und Bewertung der Leistungsfähigkeit
 und der Produktivität herangezogen. Um die Kosten der Weiterbildung im Griff zu behalten
 und keine negativen Effekte auf die Produktivität zu generieren, werden die Mitarbeitenden
 verstärkt online und über Video- und Conference-Systeme (»blended learning«) geschult, um
 ein regelmäßiges und bezahlbares Update zu ermöglichen.

   Je nachdem welchen Integrationsgrad der Kunde wünscht, welche Erfahrungen und welche
 Bereitschaft zur Mitarbeit vorhanden sind, werden die Kunden klassifiziert (geclustert) und
 unterschiedlich integriert. Auch das Businessmodell (Preise und Angebote) passt sich dieser
 Einstufung an. Dies führt zu einer weitergehenden Modularisierung der Angebote und
 Preismodelle. Der Kunde hat eine größtmögliche Transparenz über die Zusammensetzung der
 Preise und stellt sein Angebot im Rahmen seines Clusters individuell zusammen. Bei Bedarf
 werden dem Kunden ergänzende Schulungen im Umgang mit der Dienstleistung angeboten.
 Auch hier kommen Technologien zur Unterstützung der Lernsequenzen zum Einsatz.
   Qualität und Kundenzufriedenheit werden als Outputgrößen differenziert herangezogen.
 Diese werden durch kontinuierliche Messkonzepte »on the job« erfasst (z.B. durch Beobach-
 tung, Videoaufzeichnungen und automatisierte Auswertungen). Kundenbindungsprogramme
 werden weiterhin die Kundenbetreuung unterstützen. Bei den Anbietern von Kunden-
 bindungsprogrammen wird es in Zukunft eine Marktbereinigung geben bzw. Kooperations-

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modelle werden ausgebaut. Zudem wird der Kunde mit seinen Wünschen und Bedürfnissen
 auf Basis verschiedener Datenquellen (Internetnutzung, Bewegungsprofil, Handynutzung,
 Einkaufsverhalten etc.) systematisch analysiert. Kundenzufriedenheitschecks werden regel-
 mäßig und automatisiert in den Dienstleistungserstellungsprozess eingebaut. Feedback-
 Möglichkeiten zwischen Kunden und Anbietern über unabhängige Plattformen (z.B. Experten-
 Plattformen) sind etabliert und führen zu Verbesserungen. Datensicherheit wird dabei groß
 geschrieben. Der Dienstleistungsanbieter unterzieht sich regelmäßigen unabhängigen Audits,
 um über Qualitätssignale Vertrauen zu den Kunden aufzubauen. Ergänzend bemühen sich die
 Dienstleistungsanbieter um eine größtmögliche Transparenz über die Back- und Front-Office-
 Prozesse.

1.2 Szenario zur Produktivitätsmessung eines Bildungsdienstleisters
   Die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt erfordert es, dass jeder Einzelne seine eigene,
 individuelle »Kompetenz-Marke« aufbaut und sich für den Arbeitsmarkt ständig attraktiv hält.
 Lebensarbeitszeiten bei einem Unternehmen sind eine Seltenheit geworden. Auch ich als
 Bildungsdienstleister muss mich fit halten. Selbstverständlich tragen meine Dienstleistungen
 dazu bei, dass meine Kunden attraktive Arbeitgeber und Freelancer werden und bleiben.

   Ich bin bildungszertifiziert und habe den höchsten Abschluss im Bereich der
 Dienstleistungsprozessanalyse. Alle vier Jahre muss ich mich neu akkreditieren lassen, um mein
 höchstes Bildungszertifikat zu behalten. Hierzu sind eine Prüfung sowie die Darstellung der
 Projekte, Kundenbewertungen, Kosten-Nutzen-Analysen der Angebote, Prozessbewertungen,
 eingesetzten Technologien, Qualitätsstandards etc. notwendig. Meine Kunden kommen zu
 mir, weil sie Dienstleistungsprozesse auf höchstem Niveau neu lernen wollen und dafür
 Bildungspunkte sammeln möchten. Durch meine hohen Standards kann ich Bildungspunkte
 mit hoher Reputation vergeben. Die haben natürlich ihren Preis.

   Meine Kunden sind Studierende, die sich auf der Plattform meiner Dachorganisation
 anmelden (dort sind auch alle Informationen über mich transparent verfügbar) und aus den
 modularisierten Angeboten die passenden Module auswählen. Der ganze Prozess ist
 weitestgehend standardisiert. Durch den Einsatz von Technologie werden die Kursmaterialien
 verfügbar gemacht. Individuelle Beratung und Einzelstunden sind möglich, müssen aber extra
 gebucht werden und sind entsprechend teurer als große Kurse, die von vielen Studierenden
 belegt werden können und nur zu ganz bestimmten Zeiten verfügbar sind. Kunden können
 sich selbst in den Prozess integrieren und dabei Literaturrecherchen, die Themensuche oder die
 Identifikation von Projektpartnern übernehmen – und müssen dann weniger für die Bildungs-
 leistung bezahlen.

  Bildungschip-Karten speichern die Bildungsentwicklung jedes Einzelnen. Vorkenntnisse und
 Entwicklungslinien sind transparent, die Abstimmungsaufwände sind reduziert und eine
 verbesserte Betreuung ist möglich. Modularisierung und verschiedene Integrationsstufen
 ermöglichen eine verbesserte Kapazitätsplanung. Zeiten der Überlast werden durch zusätzliche
 Anreize (z.B. billige Nachsaison-Prüfungen oder zusätzliche Kosten für Sprechzeiten) ab-
 gefedert.

  Die Dachorganisation, der ich mich angeschlossen habe, unterstützt die Abrechnung und
 Verwaltung meiner Kunden. Durchfallquoten, Prüfungsergebnisse, Bildungsabschlüsse,
 Kundenzufriedenheitsanalysen, 360-GradFeedback sowie die Karriereschritte meiner Kunden

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dienen als Indikatoren für die Outputmessung. Der Input wird gemessen über die Anzahl
 meiner Arbeitsstunden sowie die Kosten für die eingesetzte Technologie und die Verwaltung
 (die jeden Kunden und jede Leistung bei mir abrechnet). Das genutzte dynamische
 Produktivitätsmodell ermöglicht mir eine kontinuierliche Pflege der Datenbasis sowie einen
 permanent aktuellen Stand meiner Produktivitäts- und Leistungskennzahlen. Simulations-
 werkzeuge auf Basis dieses Modells erlauben mir, dass ich im Vorfeld bestimmte neue
 Maßnahmen auf ihre langfristige und kurzfristige Wirkung untersuchen kann.

2. Makroökonomische Perspektiven auf die Dienstleistungsproduktivität
   Die zweite Perspektive, die der Arbeitskreis »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der
 Dienstleistungsproduktivität« betrachtet, richtet sich auf die makroökonomische Sichtweise der
 Dienstleistungsproduktivität. Das nachfolgende Szenario beschreibt daher potenzielle makro-
 ökonomische Entwicklungen bis zum Jahre 2020.

2.1 Ausgangssituation und Ausblick auf zukünftige Entwicklungen
   Das Produktivitätswachstum im deutschen Dienstleistungssektor wird in den letzten Jahren
 allgemein negativ beurteilt. »German services: Protected and inefficient« titelt im Februar 2012
 ein Artikel im Economist und reiht sich in eine Vielzahl von Stimmen ein, die beklagen, das
 Produktivitätswachstum werde durch übermäßige Regulierung der Dienstleistungsmärkte
 (beispielsweise in den freien Berufen und im Handwerk) sowie durch Regulierung der Arbeits-
 märkte behindert. In diese Richtung argumentiert auch der Internationale Währungsfond im
 Staff Report zur Article IV Consultation 2010 sowie im Country Report 06/17. Die Überzeu-
 gung, mit der die Argumente regelmäßig in Wissenschaft, Politik und der Wirtschaftspresse
 vorgetragen werden, steht im Kontrast zur Ungenauigkeit, mit der sich Produktivitäts-
 wachstum im Dienstleistungssektor messen lässt.

   Eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik sollte bis 2020 über robustere, international besser
 vergleichbare Daten über Output und Input im Dienstleistungssektor verfügen, über eine
 bessere Kenntnis des Ausmaßes verschiedener Arten von Arbeitsproduktivitätssteigerungen
 (Kapitalintensivierung, Steigerung der Menge je Input, Steigerung der Qualität je Input) und
 über detailgenauere Analysen des Zusammenhangs zwischen Regulierung und Einflussfaktoren
 der Produktivität. Neben Fortschritten in der Messung kann durch Wissenstransfer zwischen
 akademischer Forschung, wirtschaftlichen Interessenverbänden, statistischen Ämtern und
 Politik bis 2020 die Praxis der Interpretation volkswirtschaftlicher Kennzahlen verbessert
 werden. Beispielsweise besteht in der öffentlichen Diskussion wenig Bewusstsein dafür, unter
 welchen Annahmen realer, also inflationsbereinigter Dienstleistungsoutput gemessen werden
 kann, während die statistischen Ämter in den letzten Jahren intensiv daran gearbeitet haben,
 geeignete Deflatoren überhaupt erst zu erstellen.

   Im Jahr 2020 kann ein besseres Verständnis der Zahlen aus heutiger Sicht zu folgenden
 revidierten Schlussfolgerungen für den deutschen Dienstleistungssektor führen, die je nach
 Branche variieren werden:

      (1) Eine Dienstleistungsbranche ist bereits sehr produktiv im internationalen Vergleich,
         sodass es wenig Evidenz für weitere Produktivitätssteigerungen basierend auf Nach-
         ahmung gibt.

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(2) Das Produktivitätswachstum einer Dienstleistungsbranche wurde im internationalen
          Vergleich unterschätzt.
      (3) Eine Branche weist ein geringes Produktivitätswachstum auf und die unmittelbaren Ur-
          sachen (wenig Investition, wenig Innovation, mangelhafte Unternehmensorganisation
          oder Qualifikation) sowie der mögliche Einfluss von Regulierung sind gut bekannt.

2.2 Die wichtigsten Aspekte der Produktivitätsanalyse im Dienstleistungssektor
   Das am häufigsten verwendete makroökonomische Produktivitätsmaß ist die Arbeitsprodukti-
 vität, die als Wertschöpfung je Beschäftigtem oder Wertschöpfung je Arbeitsstunde definiert
 wird. Da diese aber von der Art und Menge des eingesetzten Kapitals abhängt, verwendet
 man seit Langem das Maß der Multifaktorproduktivität, um die Produktivität der Gesamtheit
 der Inputs zu bewerten. Beide Maße liegen vielen Analysen des deutschen und europäischen
 Dienstleistungssektors zugrunde. Fortschritte bei der Messung der statistisch bereits erfassten
 Inputs und Outputs und der bisher ungemessenen In- und Outputs können neue Erkenntnisse
 über das Wachstum von Arbeitsproduktivität und Multifaktorproduktivität im deutschen
 Dienstleistungssektor hervorbringen. Neben der Messung der In- und Outputs muss die Praxis
 der Interpretation von Regulierungskennziffern überdacht werden.

  Im Bereich der Bewertung von Inputs hat in den letzten Jahren vor allem das vom 6. und 7.
 Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union (EU) finanzierte EU KLEMS-Projekt unter
 der Federführung der Universität Groningen zu bedeutenden Fortschritten in der inter-
 nationalen Vergleichbarkeit von Inputmessung auf sektoraler Ebene geführt. Eine Fortführung
 des EU KLEMS-Projektes sowie methodische Forschung zur Messung von Inputs, beispielsweise
 von Software, kann bis zum Jahr 2020 zu einer gründlicheren Fundierung internationaler
 Produktivitätsvergleiche beitragen.

   Bei der Messung von Outputs besteht das größte Problem in der Wahl geeigneter Deflatoren.
 Die Outputmessung soll in der Lage sein, die Entwicklung des Volumens an Dienstleistungen
 über die Zeit hinweg abzubilden. Das Volumen erhöht sich mit der Menge, aber auch mit der
 Qualität der Dienstleistungen. Preisänderungen enthalten neben Informationen über Qualität
 Komponenten, die von Marktmacht oder Kosteninflation bestimmt sind. Methoden, die es er-
 lauben, die Qualitätskomponente dem Volumen zuzurechnen, lassen sich auf Dienstleistungen
 wesentlich schwerer als auf Güter anwenden. Mit der EU-Konjunkturstatistikverordnung von
 2005 sind die nationalen statistischen Ämter angehalten, Erzeugerpreisindizes für Dienst-
 leistungen zu entwickeln, die methodischen Mindestanforderungen genügen. Bis 2020 sollte
 die Entwicklung und Erprobung der Indizes abgeschlossen sein und es sollten für einige Jahre
 Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf Grundlage der neuen Indizes vorliegen.
 Darüber hinaus kann die akademische Forschung einen Beitrag dazu leisten, die Art der
 Qualitätsmessung, die den Indizes zugrunde liegt, verständlicher zu machen.

   Die größten Defizite und zugleich die größten Anstrengungen bei der makroökonomischen
 Datenerhebung sind derzeit im Bereich des immateriellen Kapitals feststellbar. Die Eigenschaft
 der Immaterialität steht auch im Mittelpunkt des Dienstleistungsbegriffes. Vom gesamt-
 wirtschaftlichen immateriellen Kapital werden in der offiziellen Statistik aktuell nur
 Computerprogramme (Software und Datenbanken), Suchbohrungen und Urheberrechte als
 Investitionen geführt. Die von der Europäischen Union im 7. Forschungsrahmenprogramm
 geförderten Projekte INNODRIVE (Intangible Capital and Innovations: Drivers of Growth and
 Location in the EU) und COINVEST (Competitiveness, Innovation and Intangible Investment in

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Europe) versuchen diese Lücke zu schließen. Beide Datenbanken enthalten erste Näherungen
 für weitere Arten von immateriellem Kapital. Diese sind wissenschaftliche Forschung und
 Entwicklung, firmengebundenes Humankapital, Ausgaben für Produktentwicklungen im
 Finanzsektor, neuartige architektonische und konstruktive Entwürfe, Ausgaben für
 Marktforschung, Ausgaben für markenbildende Werbung und firmeneigenes sowie
 zugekauftes Organisationskapital. Sowohl im Projekt INNODRIVE als auch im Projekt COINVEST
 sind Informationen über die Investitionen in immaterielles Kapital auf gesamtwirtschaftlicher
 Ebene verfügbar. Bis 2020 können für die entwickelten Volkswirtschaften vergleichbare und
 methodisch überarbeitete Daten über immaterielles Kapital auf sektoraler Ebene vorliegen, die
 Aufschluss über die Rolle immateriellen Kapitals für die Produktivität im deutschen
 Dienstleistungssektor geben. Weiterhin werden in Zusammenarbeit mit Unternehmen, die ein
 eigenes Interesse an der Quantifizierung ihrer immateriellen Werte haben, Fortschritte in der
 statistischen Erhebung immateriellen Kapitals erzielt sein.

   Um in der Diskussion über Dienstleistungsproduktivität und Regulierung zu neuen
 Erkenntnissen zu gelangen, müssen neben der Produktivitätsmessung Maße für die
 Regulierung und deren Interpretation überprüft werden. Bei Handlungsempfehlungen
 basierend auf sektoralen ökonometrischen Analysen ist zu beachten, dass der statistische
 Zusammenhang im Mittel gilt, aber nicht zwingend im Einzelfall. Die bekannten Korrelationen
 zwischen Regulierungsindikatoren und Produktivitätswachstum sollten in den kommenden
 Jahren mit aktuellen und revidierten Produktivitätsdaten überprüft und um eine Einzelfall-
 betrachtung der Branchen ergänzt werden.

3. Zusammenfassende Betrachtung beider Perspektiven
   Auf mikroökonomischer Ebene entsteht durch die mögliche Interaktion mit dem Kunden eine
 große Unsicherheit bei der Gestaltung der Dienstleistung. Deshalb werden in Zukunft die
 Kundenschnittstellen weiter standardisiert. Individuelle, nicht standardisierte Dienstleistungen
 sind natürlich möglich, müssen aber extra bezahlt werden. Mit Hilfe elektronisch gestützter
 Prozessanalysen sind aktuelle Auslastungen erkennbar. Belastungsspitzen können im Rahmen
 der dynamischen Modellierung angepasst bzw. ausgeglichen werden. Die Modularisierung der
 Dienstleistungsangebote, die Standardisierung der Schnittstellen, die individuelle Abrechnung
 und die ständige Datenverfügbarkeit erfordern einen zusätzlichen Aufwand und umfassende
 Investitionen. Diese müssen bei der Darstellung und Berechnung der Produktivität mit
 berücksichtigt werden.

   Auf makroökonomischer Ebene sollte eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik über robustere,
 international besser vergleichbare Daten über Output und Input im Dienstleistungssektor
 verfügen, über eine bessere Kenntnis des Ausmaßes verschiedener Arten von
 Arbeitsproduktivitätssteigerungen (Kapitalintensivierung, Steigerung der Menge je Input,
 Steigerung der Qualität je Input) und über detailgenauere Analysen des Zusammenhangs
 zwischen Regulierung und Einflussfaktoren der Produktivität. Neben Fortschritten in der
 Messung kann durch Wissenstransfer zwischen akademischer Forschung, wirtschaftlichen
 Interessenverbänden, statistischen Ämtern und Politik die Praxis der Interpretation
 volkswirtschaftlicher Kennzahlen verbessert werden.

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 Die Mitglieder des Arbeitskreises »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der
 Dienstleistungsproduktivität«:
  Silvia Gliem, Marion Lemgau, Thomas Niebel, Josef Reindl, Dr. Marianne Saam, Christoph
 Schröder, Lars Weber

 Die Arbeitskreisleitung:
   Prof. Dr. Christiane Hipp (Brandenburg Technical University Cottbus), Dr. Gerald Müller
 (Commerzbank AG)

 Die Arbeitskreisbetreuung am Fraunhofer IAO:
  Walter Ganz

 Der Link zum Produktivitätsszenario »Mikro-/Makro«:
  http://www.service-productivity.de/?page_id=43

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