Arbeitskreis "Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität" Produktivitätsszenario
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Arbeitskreis »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität« Produktivitätsszenario 1. Mikroökonomische Perspektiven auf die Messung der Dienstleistungsproduktivität Der Arbeitskreis »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität« hat zwei Perspektiven erarbeitet, die zusammen eine umfassende Darstellung der potenziellen mikro- und makroökonomischen Entwicklungen bis zum Jahre 2020 bieten. Das im Folgenden beschriebene Produktivitätsszenario deckt die mikroökonomische Perspektive ab. 1.1 Ausgangssituation und Ausblick auf zukünftige Entwicklungslinien In der Forschung besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Dienstleistungsproduktivität sich auf der Unternehmensebene (Mikroebene) schwer messen lässt. Dabei spielen vor allem die sogenannten Dienstleistungsbesonderheiten (Immaterialität, Integration des Kunden in die Leistungserstellung etc.) eine ganz wesentliche Rolle und erschweren die Input- und die Outputmessung. Häufig basieren Produktivitätsmessungen in Dienstleistungsunternehmen auf den Erkenntnissen der Industrieunternehmen, d.h. die industrielle Vorgehensweise wird oft schlicht übertragen. Dabei wird unterstellt, dass die Input- und Outputfaktoren von identischer Qualität und Beschaffenheit sind und damit standardisiert erfasst und verglichen werden können. Dieses Vorgehen und die dadurch generierten Produktivitätszahlen geben jedoch nur einen Teil der tatsächlichen Produktivität in Dienstleistungsunternehmen wider. Dabei lässt sich die Produktivität von relativ standardisierten Dienstleistungen, wie beispielsweise im Trans- portwesen, leichter messen als die kundenangepassten Dienstleistungen einer Unternehmens- beratung. Insgesamt machen die Besonderheiten von Dienstleistungen – vor allem die Integration des Kunden in die Leistungserstellung – eine Trennung der Produktivitätsberechnung in zwei Teil- rechnungen erforderlich. Eine Produktivitätskennzahl, die auf die Leistungsbereitschaft angewendet wird, ist dabei von einer Kennzahl zu unterscheiden, die die Erstellung der Dienstleistung berücksichtigt. Die Leistungsbereitschaft ist das Ergebnis aller intern kombinierten und zur Verfügung gestellten Ressourcen zur Erstellung der Dienstleistung. Die dadurch entstehende Produktivität wird autonom vom Dienstleister erreicht und lässt sich relativ einfach bestimmen. Die Leistungserstellung basiert auf der Leistungsbereitschaft sowie den im Prozess von Produktion, Absatz und Konsum zusätzlich genutzten Ressourcen, einschließlich der Ressourcen des Kunden. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass der Kunde durchaus zur Produktivitätssteigerung beitragen kann, wenn er selbst Zeit, Energie und Kapital in die Erstellung der Dienstleistung einbringt. Auf der anderen Seite kann der Kunde durch besondere Wünsche und daraus abgeleitete Anpassungen die Produktivitätskennzahlen des Unternehmens verschlechtern. Der Kunde wird in Zukunft weiterhin an der Dienstleistungserstellung beteiligt sein. Der Produzent hat möglichst viele Schnittstellen zum Kunden standardisiert. Dadurch wird das Risiko einer produktivitätssenkenden Einflussnahme des Kunden reduziert und Dienst- AK »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der DL-Produktivität«, Ausgabe Juni 2012 1
leistungen, deren kurze Produktionszeit kritisch für eine positive Qualitätswahrnehmung seitens des Kunden ist, werden qualitativ höher bewertet. Technologien unterstützen den Produzenten und den Kunden bei der Dienstleistungserstellung (z.B. Check-in am Flughafen, Serviceroboter). Hoch individualisierte Dienstleistungen werden ohne enge Interaktion zwischen Kunde und Produzent nicht auskommen. Aber auch hier können Teilprozesse standardisiert werden, so dass der Kunde schneller, zuverlässiger und individuell auf die Dienstleistung zugreifen kann (z.B. Terminvereinbarung beim Arzt über das Internet). Dadurch hat der Dienstleister die Möglichkeit, sich mehr Zeit für die eigentliche individuelle Beratung und Leistungserstellung zu nehmen. Die vom Kunden wahrgenommene Qualität nimmt zu, die Produktivität des Dienstleistungsunternehmens verschlechtert sich nicht. Nachfrageschwankungen sind auch in Zukunft zu erwarten. Die Dienstleistungsunternehmen haben dafür Lösungen gefunden, die es ihnen ermöglichen, die Leistungsbereitstellung zu optimieren. Mit Hilfe von Optimierungsprogrammen werden Geschäftsmodelle und Preise variiert, so dass sich über Preisfindungsmodelle, Prozessstandardisierungen in Teilbereichen und Clustern von Kundentypen Angebot und Nachfrage zeitnah und dynamisch steuern und anpassen lassen. Hierzu sind weitere technologische Entwicklungen notwendig, um die komplexen Anbieter-Nachfrager-Dynamiken und Marktdynamiken zu verarbeiten (z.B. im Bereich der Stromversorgung). Ganz wesentlich für die Leistungsbereitstellung des Dienstleistungsanbieters sind Mitarbeiter- qualifikationen, die sich aus allgemeinen Fähigkeiten, Erfahrungswissen sowie betriebsspezifi- schen Fähigkeiten zusammensetzen. Gerade die Interaktion mit dem Kunden bei individuellen Dienstleistungen erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und Knowhow. In Zukunft werden hierfür Indikatoren für die Messung verschiedener Formen des Erfahrungswissens, der Ausbildungsgrade, der Wissenszuwächse und der Lernfähigkeit bereitgestellt und genutzt. Dabei kommen klassische Indikatoren wie beispielsweise die Anzahl der Weiterbildungsstunden sowie neu entwickelte Indikatoren (Klassifikation der Mitarbeitenden anhand einer Erfahrungsmatrix) zum Einsatz. Zudem werden interne Umfeld-faktoren wie das Betriebsklima und der Führungsstil für die Darstellung und Bewertung der Leistungsfähigkeit und der Produktivität herangezogen. Um die Kosten der Weiterbildung im Griff zu behalten und keine negativen Effekte auf die Produktivität zu generieren, werden die Mitarbeitenden verstärkt online und über Video- und Conference-Systeme (»blended learning«) geschult, um ein regelmäßiges und bezahlbares Update zu ermöglichen. Je nachdem welchen Integrationsgrad der Kunde wünscht, welche Erfahrungen und welche Bereitschaft zur Mitarbeit vorhanden sind, werden die Kunden klassifiziert (geclustert) und unterschiedlich integriert. Auch das Businessmodell (Preise und Angebote) passt sich dieser Einstufung an. Dies führt zu einer weitergehenden Modularisierung der Angebote und Preismodelle. Der Kunde hat eine größtmögliche Transparenz über die Zusammensetzung der Preise und stellt sein Angebot im Rahmen seines Clusters individuell zusammen. Bei Bedarf werden dem Kunden ergänzende Schulungen im Umgang mit der Dienstleistung angeboten. Auch hier kommen Technologien zur Unterstützung der Lernsequenzen zum Einsatz. Qualität und Kundenzufriedenheit werden als Outputgrößen differenziert herangezogen. Diese werden durch kontinuierliche Messkonzepte »on the job« erfasst (z.B. durch Beobach- tung, Videoaufzeichnungen und automatisierte Auswertungen). Kundenbindungsprogramme werden weiterhin die Kundenbetreuung unterstützen. Bei den Anbietern von Kunden- bindungsprogrammen wird es in Zukunft eine Marktbereinigung geben bzw. Kooperations- AK »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der DL-Produktivität«, Ausgabe Juni 2012 2
modelle werden ausgebaut. Zudem wird der Kunde mit seinen Wünschen und Bedürfnissen auf Basis verschiedener Datenquellen (Internetnutzung, Bewegungsprofil, Handynutzung, Einkaufsverhalten etc.) systematisch analysiert. Kundenzufriedenheitschecks werden regel- mäßig und automatisiert in den Dienstleistungserstellungsprozess eingebaut. Feedback- Möglichkeiten zwischen Kunden und Anbietern über unabhängige Plattformen (z.B. Experten- Plattformen) sind etabliert und führen zu Verbesserungen. Datensicherheit wird dabei groß geschrieben. Der Dienstleistungsanbieter unterzieht sich regelmäßigen unabhängigen Audits, um über Qualitätssignale Vertrauen zu den Kunden aufzubauen. Ergänzend bemühen sich die Dienstleistungsanbieter um eine größtmögliche Transparenz über die Back- und Front-Office- Prozesse. 1.2 Szenario zur Produktivitätsmessung eines Bildungsdienstleisters Die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt erfordert es, dass jeder Einzelne seine eigene, individuelle »Kompetenz-Marke« aufbaut und sich für den Arbeitsmarkt ständig attraktiv hält. Lebensarbeitszeiten bei einem Unternehmen sind eine Seltenheit geworden. Auch ich als Bildungsdienstleister muss mich fit halten. Selbstverständlich tragen meine Dienstleistungen dazu bei, dass meine Kunden attraktive Arbeitgeber und Freelancer werden und bleiben. Ich bin bildungszertifiziert und habe den höchsten Abschluss im Bereich der Dienstleistungsprozessanalyse. Alle vier Jahre muss ich mich neu akkreditieren lassen, um mein höchstes Bildungszertifikat zu behalten. Hierzu sind eine Prüfung sowie die Darstellung der Projekte, Kundenbewertungen, Kosten-Nutzen-Analysen der Angebote, Prozessbewertungen, eingesetzten Technologien, Qualitätsstandards etc. notwendig. Meine Kunden kommen zu mir, weil sie Dienstleistungsprozesse auf höchstem Niveau neu lernen wollen und dafür Bildungspunkte sammeln möchten. Durch meine hohen Standards kann ich Bildungspunkte mit hoher Reputation vergeben. Die haben natürlich ihren Preis. Meine Kunden sind Studierende, die sich auf der Plattform meiner Dachorganisation anmelden (dort sind auch alle Informationen über mich transparent verfügbar) und aus den modularisierten Angeboten die passenden Module auswählen. Der ganze Prozess ist weitestgehend standardisiert. Durch den Einsatz von Technologie werden die Kursmaterialien verfügbar gemacht. Individuelle Beratung und Einzelstunden sind möglich, müssen aber extra gebucht werden und sind entsprechend teurer als große Kurse, die von vielen Studierenden belegt werden können und nur zu ganz bestimmten Zeiten verfügbar sind. Kunden können sich selbst in den Prozess integrieren und dabei Literaturrecherchen, die Themensuche oder die Identifikation von Projektpartnern übernehmen – und müssen dann weniger für die Bildungs- leistung bezahlen. Bildungschip-Karten speichern die Bildungsentwicklung jedes Einzelnen. Vorkenntnisse und Entwicklungslinien sind transparent, die Abstimmungsaufwände sind reduziert und eine verbesserte Betreuung ist möglich. Modularisierung und verschiedene Integrationsstufen ermöglichen eine verbesserte Kapazitätsplanung. Zeiten der Überlast werden durch zusätzliche Anreize (z.B. billige Nachsaison-Prüfungen oder zusätzliche Kosten für Sprechzeiten) ab- gefedert. Die Dachorganisation, der ich mich angeschlossen habe, unterstützt die Abrechnung und Verwaltung meiner Kunden. Durchfallquoten, Prüfungsergebnisse, Bildungsabschlüsse, Kundenzufriedenheitsanalysen, 360-GradFeedback sowie die Karriereschritte meiner Kunden AK »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der DL-Produktivität«, Ausgabe Juni 2012 3
dienen als Indikatoren für die Outputmessung. Der Input wird gemessen über die Anzahl meiner Arbeitsstunden sowie die Kosten für die eingesetzte Technologie und die Verwaltung (die jeden Kunden und jede Leistung bei mir abrechnet). Das genutzte dynamische Produktivitätsmodell ermöglicht mir eine kontinuierliche Pflege der Datenbasis sowie einen permanent aktuellen Stand meiner Produktivitäts- und Leistungskennzahlen. Simulations- werkzeuge auf Basis dieses Modells erlauben mir, dass ich im Vorfeld bestimmte neue Maßnahmen auf ihre langfristige und kurzfristige Wirkung untersuchen kann. 2. Makroökonomische Perspektiven auf die Dienstleistungsproduktivität Die zweite Perspektive, die der Arbeitskreis »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität« betrachtet, richtet sich auf die makroökonomische Sichtweise der Dienstleistungsproduktivität. Das nachfolgende Szenario beschreibt daher potenzielle makro- ökonomische Entwicklungen bis zum Jahre 2020. 2.1 Ausgangssituation und Ausblick auf zukünftige Entwicklungen Das Produktivitätswachstum im deutschen Dienstleistungssektor wird in den letzten Jahren allgemein negativ beurteilt. »German services: Protected and inefficient« titelt im Februar 2012 ein Artikel im Economist und reiht sich in eine Vielzahl von Stimmen ein, die beklagen, das Produktivitätswachstum werde durch übermäßige Regulierung der Dienstleistungsmärkte (beispielsweise in den freien Berufen und im Handwerk) sowie durch Regulierung der Arbeits- märkte behindert. In diese Richtung argumentiert auch der Internationale Währungsfond im Staff Report zur Article IV Consultation 2010 sowie im Country Report 06/17. Die Überzeu- gung, mit der die Argumente regelmäßig in Wissenschaft, Politik und der Wirtschaftspresse vorgetragen werden, steht im Kontrast zur Ungenauigkeit, mit der sich Produktivitäts- wachstum im Dienstleistungssektor messen lässt. Eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik sollte bis 2020 über robustere, international besser vergleichbare Daten über Output und Input im Dienstleistungssektor verfügen, über eine bessere Kenntnis des Ausmaßes verschiedener Arten von Arbeitsproduktivitätssteigerungen (Kapitalintensivierung, Steigerung der Menge je Input, Steigerung der Qualität je Input) und über detailgenauere Analysen des Zusammenhangs zwischen Regulierung und Einflussfaktoren der Produktivität. Neben Fortschritten in der Messung kann durch Wissenstransfer zwischen akademischer Forschung, wirtschaftlichen Interessenverbänden, statistischen Ämtern und Politik bis 2020 die Praxis der Interpretation volkswirtschaftlicher Kennzahlen verbessert werden. Beispielsweise besteht in der öffentlichen Diskussion wenig Bewusstsein dafür, unter welchen Annahmen realer, also inflationsbereinigter Dienstleistungsoutput gemessen werden kann, während die statistischen Ämter in den letzten Jahren intensiv daran gearbeitet haben, geeignete Deflatoren überhaupt erst zu erstellen. Im Jahr 2020 kann ein besseres Verständnis der Zahlen aus heutiger Sicht zu folgenden revidierten Schlussfolgerungen für den deutschen Dienstleistungssektor führen, die je nach Branche variieren werden: (1) Eine Dienstleistungsbranche ist bereits sehr produktiv im internationalen Vergleich, sodass es wenig Evidenz für weitere Produktivitätssteigerungen basierend auf Nach- ahmung gibt. AK »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der DL-Produktivität«, Ausgabe Juni 2012 4
(2) Das Produktivitätswachstum einer Dienstleistungsbranche wurde im internationalen Vergleich unterschätzt. (3) Eine Branche weist ein geringes Produktivitätswachstum auf und die unmittelbaren Ur- sachen (wenig Investition, wenig Innovation, mangelhafte Unternehmensorganisation oder Qualifikation) sowie der mögliche Einfluss von Regulierung sind gut bekannt. 2.2 Die wichtigsten Aspekte der Produktivitätsanalyse im Dienstleistungssektor Das am häufigsten verwendete makroökonomische Produktivitätsmaß ist die Arbeitsprodukti- vität, die als Wertschöpfung je Beschäftigtem oder Wertschöpfung je Arbeitsstunde definiert wird. Da diese aber von der Art und Menge des eingesetzten Kapitals abhängt, verwendet man seit Langem das Maß der Multifaktorproduktivität, um die Produktivität der Gesamtheit der Inputs zu bewerten. Beide Maße liegen vielen Analysen des deutschen und europäischen Dienstleistungssektors zugrunde. Fortschritte bei der Messung der statistisch bereits erfassten Inputs und Outputs und der bisher ungemessenen In- und Outputs können neue Erkenntnisse über das Wachstum von Arbeitsproduktivität und Multifaktorproduktivität im deutschen Dienstleistungssektor hervorbringen. Neben der Messung der In- und Outputs muss die Praxis der Interpretation von Regulierungskennziffern überdacht werden. Im Bereich der Bewertung von Inputs hat in den letzten Jahren vor allem das vom 6. und 7. Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union (EU) finanzierte EU KLEMS-Projekt unter der Federführung der Universität Groningen zu bedeutenden Fortschritten in der inter- nationalen Vergleichbarkeit von Inputmessung auf sektoraler Ebene geführt. Eine Fortführung des EU KLEMS-Projektes sowie methodische Forschung zur Messung von Inputs, beispielsweise von Software, kann bis zum Jahr 2020 zu einer gründlicheren Fundierung internationaler Produktivitätsvergleiche beitragen. Bei der Messung von Outputs besteht das größte Problem in der Wahl geeigneter Deflatoren. Die Outputmessung soll in der Lage sein, die Entwicklung des Volumens an Dienstleistungen über die Zeit hinweg abzubilden. Das Volumen erhöht sich mit der Menge, aber auch mit der Qualität der Dienstleistungen. Preisänderungen enthalten neben Informationen über Qualität Komponenten, die von Marktmacht oder Kosteninflation bestimmt sind. Methoden, die es er- lauben, die Qualitätskomponente dem Volumen zuzurechnen, lassen sich auf Dienstleistungen wesentlich schwerer als auf Güter anwenden. Mit der EU-Konjunkturstatistikverordnung von 2005 sind die nationalen statistischen Ämter angehalten, Erzeugerpreisindizes für Dienst- leistungen zu entwickeln, die methodischen Mindestanforderungen genügen. Bis 2020 sollte die Entwicklung und Erprobung der Indizes abgeschlossen sein und es sollten für einige Jahre Zahlen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung auf Grundlage der neuen Indizes vorliegen. Darüber hinaus kann die akademische Forschung einen Beitrag dazu leisten, die Art der Qualitätsmessung, die den Indizes zugrunde liegt, verständlicher zu machen. Die größten Defizite und zugleich die größten Anstrengungen bei der makroökonomischen Datenerhebung sind derzeit im Bereich des immateriellen Kapitals feststellbar. Die Eigenschaft der Immaterialität steht auch im Mittelpunkt des Dienstleistungsbegriffes. Vom gesamt- wirtschaftlichen immateriellen Kapital werden in der offiziellen Statistik aktuell nur Computerprogramme (Software und Datenbanken), Suchbohrungen und Urheberrechte als Investitionen geführt. Die von der Europäischen Union im 7. Forschungsrahmenprogramm geförderten Projekte INNODRIVE (Intangible Capital and Innovations: Drivers of Growth and Location in the EU) und COINVEST (Competitiveness, Innovation and Intangible Investment in AK »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der DL-Produktivität«, Ausgabe Juni 2012 5
Europe) versuchen diese Lücke zu schließen. Beide Datenbanken enthalten erste Näherungen für weitere Arten von immateriellem Kapital. Diese sind wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, firmengebundenes Humankapital, Ausgaben für Produktentwicklungen im Finanzsektor, neuartige architektonische und konstruktive Entwürfe, Ausgaben für Marktforschung, Ausgaben für markenbildende Werbung und firmeneigenes sowie zugekauftes Organisationskapital. Sowohl im Projekt INNODRIVE als auch im Projekt COINVEST sind Informationen über die Investitionen in immaterielles Kapital auf gesamtwirtschaftlicher Ebene verfügbar. Bis 2020 können für die entwickelten Volkswirtschaften vergleichbare und methodisch überarbeitete Daten über immaterielles Kapital auf sektoraler Ebene vorliegen, die Aufschluss über die Rolle immateriellen Kapitals für die Produktivität im deutschen Dienstleistungssektor geben. Weiterhin werden in Zusammenarbeit mit Unternehmen, die ein eigenes Interesse an der Quantifizierung ihrer immateriellen Werte haben, Fortschritte in der statistischen Erhebung immateriellen Kapitals erzielt sein. Um in der Diskussion über Dienstleistungsproduktivität und Regulierung zu neuen Erkenntnissen zu gelangen, müssen neben der Produktivitätsmessung Maße für die Regulierung und deren Interpretation überprüft werden. Bei Handlungsempfehlungen basierend auf sektoralen ökonometrischen Analysen ist zu beachten, dass der statistische Zusammenhang im Mittel gilt, aber nicht zwingend im Einzelfall. Die bekannten Korrelationen zwischen Regulierungsindikatoren und Produktivitätswachstum sollten in den kommenden Jahren mit aktuellen und revidierten Produktivitätsdaten überprüft und um eine Einzelfall- betrachtung der Branchen ergänzt werden. 3. Zusammenfassende Betrachtung beider Perspektiven Auf mikroökonomischer Ebene entsteht durch die mögliche Interaktion mit dem Kunden eine große Unsicherheit bei der Gestaltung der Dienstleistung. Deshalb werden in Zukunft die Kundenschnittstellen weiter standardisiert. Individuelle, nicht standardisierte Dienstleistungen sind natürlich möglich, müssen aber extra bezahlt werden. Mit Hilfe elektronisch gestützter Prozessanalysen sind aktuelle Auslastungen erkennbar. Belastungsspitzen können im Rahmen der dynamischen Modellierung angepasst bzw. ausgeglichen werden. Die Modularisierung der Dienstleistungsangebote, die Standardisierung der Schnittstellen, die individuelle Abrechnung und die ständige Datenverfügbarkeit erfordern einen zusätzlichen Aufwand und umfassende Investitionen. Diese müssen bei der Darstellung und Berechnung der Produktivität mit berücksichtigt werden. Auf makroökonomischer Ebene sollte eine evidenzbasierte Wirtschaftspolitik über robustere, international besser vergleichbare Daten über Output und Input im Dienstleistungssektor verfügen, über eine bessere Kenntnis des Ausmaßes verschiedener Arten von Arbeitsproduktivitätssteigerungen (Kapitalintensivierung, Steigerung der Menge je Input, Steigerung der Qualität je Input) und über detailgenauere Analysen des Zusammenhangs zwischen Regulierung und Einflussfaktoren der Produktivität. Neben Fortschritten in der Messung kann durch Wissenstransfer zwischen akademischer Forschung, wirtschaftlichen Interessenverbänden, statistischen Ämtern und Politik die Praxis der Interpretation volkswirtschaftlicher Kennzahlen verbessert werden. AK »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der DL-Produktivität«, Ausgabe Juni 2012 6
__________________________________ Die Mitglieder des Arbeitskreises »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der Dienstleistungsproduktivität«: Silvia Gliem, Marion Lemgau, Thomas Niebel, Josef Reindl, Dr. Marianne Saam, Christoph Schröder, Lars Weber Die Arbeitskreisleitung: Prof. Dr. Christiane Hipp (Brandenburg Technical University Cottbus), Dr. Gerald Müller (Commerzbank AG) Die Arbeitskreisbetreuung am Fraunhofer IAO: Walter Ganz Der Link zum Produktivitätsszenario »Mikro-/Makro«: http://www.service-productivity.de/?page_id=43 AK »Mikro-/Makroökonomische Aspekte der DL-Produktivität«, Ausgabe Juni 2012 7
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