Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen in der Harzregion - eine geführte Exkursion
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JOURNAL FÜR KULTURPFLANZEN, 61 (7). S. 225–246, 2009, ISSN 0027-7479 VERLAG EUGEN ULMER KG, STUTTGART Übersichtsarbeit Wilfried H.O. Ernst1, Friedhart Knolle2, Sylvia Kratz3, Ewald Schnug3 Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen in der Harzregion – eine geführte Exkursion Aspects of ecotoxicology of heavy metals in the Harz region – a guided excursion 225 Zusammenfassung Mangan, Schwermetallkontamination, Schwermetall- pflanzengesellschaften, Vegetation, Zink Der Harz ist reich an Metallerzen und weist zahlreiche Spuren ehemaliger Bergbauaktivitäten auf. Der Erzberg- bau hat sowohl im Gebirge selbst als auch in den Fluss- Abstract tälern, deren Gewässer aus dem Harz gespeist werden, zu örtlich extremer Schwermetallkontamination geführt. Die The Harz Mountains are rich in metallic ores and show heutige Vegetation des Gebietes spiegelt dies wider. Dieser many remnants of former mining activities. Mining has Exkursionsführer beschreibt eine Route durch die Harzre- caused extreme heavy metal pollution in the mountain gion, entlang derer Spuren des Bergbaus sowie die da- area as well as in the valleys of rivers discharging from it. durch geprägte Vegetation studiert werden können. Im This is mirrored in the vegetation found here today. This ex- Gebiet um Langelsheim haben sich typische Schwerme- cursion guide describes a route through the Harz mountain tallpflanzengesellschaften (Armerietum halleri) auf Schla- area along which remnants of mining activities and related ckehalden entwickelt, bei Wildemann auf Abraumhalden vegetation can be studied. Near Bredelem, a Bronze Age des Metallerzbergbaus. Der Einfluss von Emissionen aus smelting site is visited. On slag heaps, a poly-metallic soil der ehemaligen Silber- und Bleihütte "Frankenscharrnhüt- has developed, which only allows for the growth of some te" ist noch immer an der Vegetation zu erkennen. In St. specialised plant species. The area around Wildemann Andreasberg kann im Silbererzbergwerk Samson die letz- shows a typical heavy metal plant community (Armerietum te funktionstüchtige "Fahrkunst" der Welt besichtigt wer- halleri) on mine tailings, and gives insight into the impact den. In der Umgebung finden sich anschauliche Beispiele of aerial emissions from the former lead smelter at Fran- einer an arsenreiche Böden angepassten Vegetation. Ein kenscharrnhütte on the surrounding vegetation. At St. An- Stop an den Flussufern der Oker gibt die Möglichkeit, eine dreasberg, the Samson silver mine displays the last origi- gut entwickelte und sehr diverse Variante des Armerietum nal and fully functional “Fahrkunst” of the world. Around halleri auf schwermetallangereicherten Fluss-Sedimenten this area, there are fine examples of typical vegetation on zu studieren. Westlich von Oker legen ehemalige Absitzbe- arsenate-enriched soils. A stop at the river banks of the riv- cken ein dauerhaftes Zeugnis der Erzverarbeitung von ho- er Oker allows to study a well developed and quite diversi- her ökotoxikologischer Relevanz ab. fied version of the Armerietum halleri on metal-enriched river sediments. West of Oker City, flotation waste ponds Stichwörter: Armerietum halleri, Arsen, Blei, Cadmium, bear a permanent witness of high ecotoxicological rele- Eisen, Erzbergbau, Harz, Hyperakkumulator, Kupfer, vance to the mining and ore processing activities. Institut Vrije Universiteit, Amsterdam1 Nationalpark Harz, Wernigerrode2 Julius Kühn-Institut – Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Institut für Pflanzenbau und Bodenkunde, Braunschweig3 Kontaktanschriften Prof. Dr. W.H.O. Ernst, Vrije Universiteit Amsterdam, E-Mail: wilfred.ernst@falw.vu.nl; Dr. Friedhart Knolle, Nationalpark Harz, Presse, Marketing & Regionalentwicklung, Lindenallee 35, 38855 Wernigerode, E-Mail: info@nationalpark-harz.de; Dr. Sylvia Kratz und Prof. Dr. mult. Ewald Schnug, Julius Kühn-Institut, Institut für Pflanzenbau und Bodenkunde, Bundesallee 50, 38116 Braunschweig, E-Mail: sylvia.kratz@jki.bund.de; ewald.schnug@jki.bund.de Zur Veröffentlichung angenommen April 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Key words: Harz, mining, heavy metal contamination, ben oft einen größeren Einfluss auf die Vegetation als der vegetation, plant communities Überschuss an Schwefel. Nach dem Ende der letzten Eis- Übersichtsarbeit zeit (vor ca. 12000 Jahren) hat ein starker Klimawechsel stattgefunden, der auf fast allen Böden Mitteleuropas in- Einleitung klusive der Harzregion die Entwicklung von Wäldern und waldnaher Vegetation ermöglichte, bevor der Die marin-paläozoischen Ablagerungen des Harzes wur- Mensch eingegriffen hat (BEUG et al., 1999). Böden mit den bei der variskischen Gebirgsbildung gefaltet und als einem hohen Schwermetallgehalt dahingegen waren für Pultscholle seit der Jura-/Kreideperiode aus der Umge- die sich ausbreitenden Populationen von Nadelbäumen bung herausgehoben. Der höchste Teil mit dem Brocken und Laubbäumen zu toxisch, so dass sich hier örtlich eine (1141 m über dem Meeresspiegel) ist durch magmatische baumlose Vegetation mit schwermetallresistenten Grä- und metamorphe Gesteine (Granit, Gabbro, Hornfels, sern und Kräutern entwickeln und überleben konnte. Das Gneis) gekennzeichnet. Der Westharz, der in dieser Ex- Fehlen von Schatten spendenden Bäumen hat es einigen kursion besucht wird, besteht vor allem aus devonischen periglazialen, schattenempfindlichen Pflanzenarten er- und unterkarbonischen Schiefern und Grauwacken mit möglicht, auf diesen schwermetallreichen Böden bis zur einer intensiven Gangerzmineralisation und zeigt viele heutigen Zeit zu überleben, soweit sie in ihrem Genom Reste des ehemaligen Metallerzbergbaus sowie die damit Gene für Schwermetallresistenz besaßen. Eine dieser als verbundenen Umweltprobleme (Abb. 1). Im südwestli- Glazialrelikt ausgewiesenen Arten ist die Frühlingsmiere 226 chen und südlichen Teil des Harzes streichen Schichten (Minuartia verna), die im mitteleuropäischen Flachland des Perms an der Oberfläche aus, so dass Gips, Anhydrit und Bergland auf Dolomit-, Serpentin- und Schwerme- und Dolomit sichtbar werden. Metallerzbergbau hat nicht tallböden beschränkt ist (VERKLEIJ et al., 1989). Die Wur- nur im Harz selbst erhebliche Umweltbelastungen verur- zeln dieses Nelkengewächses (Caryophyllaceae) haben sacht, sondern auch die in den Bergbaugebieten strömen- keine Assoziation mit einer arbuskulären Mykorrhiza den Flüsse und ihre Täler mit Metallen befrachtet. Der und werden damit direkt mit dem pflanzenverfügbaren Oberboden in den Tälern von Oker, Innerste, Leine und Al- Teil der Schwermetalle im Boden konfrontiert. Die spezi- ler ist stark mit As, Cd, Cu, Pb, Tl und Zn kontaminiert. fische Beziehung dieser Pflanzenart zu Schwermetallbö- Menschen und Tiere waren und sind über Jahrhunderte den wurde bereits im Mittelalter durch THALIUS (1588) einem Übermaß an Metallen ausgesetzt und haben Schä- erkannt und als Indikator für Erzböden im Harz beschrie- den erlitten (KNOLLE und KNOLLE, 1983; KNOLLE, 1989). ben. Allerdings hat dieses mehrjährige, niederwüchsige Kraut keine hohe Konkurrenzkraft und kann sich in einer geschlossenen Vegetation nicht gegen höherwüchsige, 1 Die Vegetation auf Böden mit einer natürlichen schwermetallresistente Pflanzenarten durchsetzen; dar- und/oder anthropogenen Anreicherung von Schwerme- um bieten nur offene Bodenbereiche der Frühlingsmiere tallen in der Harzregion eine Überlebensmöglichkeit (Abb. 2 und 3). Möglicherweise ist die Galmei-Grasnelke (Armeria hal- Die chemischen Komponenten der vor allem sulfidischen leri) auch ein Glazialrelikt, allerdings schließt die derzeit Erze des Harzes sind u. a. Arsen, Blei, Cadmium, Eisen, noch stets umstrittene Taxonomie (LEFÈBVRE, 1974; VEKE- Gold, Kobalt, Kupfer, Mangan, Quecksilber, Thallium MANS et al., 1996) nicht aus, dass die als selbstständige und Zink in verschiedenen Kombinationen und sehr un- Arten beschriebenen Grasnelken nur schwermetallresis- terschiedlichen Konzentrationen. Die Schwermetalle ha- tenten Ökotypen des Grasnelken-Komplexes (Armeria Abb. 2. Die geringe Wettbewerbsfähigkeit des schwermetallresis- Abb. 1. Luftbild des ehemaligen Erzausstrichs und Erzabbaus am tenten Ökotyps der Frühlingsmiere (Minuartia verna) lässt das Glazi- Rammelsberg bei Goslar und der damit verbundenen schwermetall- alrelikt allein auf Böden mit einer lockeren Schwermetallvegetation belasteten Böden (historische Ansichtskarte). überleben (Foto: ERNST, 2003). Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Übersichtsarbeit Abb. 4. Ein Aspekt der Schwermetallvegetation eines Armerietum halleri mit den Kräutern Armeria halleri, Minuartia verna und Silene vulgaris und den Gräsern Agrostis capillaris und Festuca ovina (Foto: Abb. 3. Blühende Pflanzen der Frühlingsmiere (Minuartia verna) in ERNST, 2003) einem Schwermetallrasen bei Langelsheim (Foto: ERNST, 2003). 227 maritima s.l.) und daher evolutionär gesehen jünger sind (BAUMBACH und HELLWIG, 2007). Eine andere Pflanzenart mit einer möglich glazialen Vergangenheit ist der Tau- benkropf (Silene vulgaris); dieses Nelkengewächs hat in der kühlgemäßigten Zone Europas als Pionier viele hoch spezialisierte Ökotypen mit Resistenzen gegen Blei, Cadmium, Kobalt, Kupfer, Mangan und Zink entwickelt (ERNST, 2003). Viele andere Pflanzenarten dürften die Schwermetallböden in späteren Phasen des Postglazials erobert haben. Auf durch menschliche Aktivitäten schwermetallkontaminierten Böden können innerhalb weniger Jahre schwermetallresistente Ökotypen aus einer zuvor unbelasteten Vegetation selektiert werden, wenn der Selektionsdruck auf die Vegetation hoch ist, wie weit außerhalb des Verbreitungsgebietes von Schwermetallpflanzen in England, Deutschland und Polen festgestellt wurde (BRADSHAW, 1976; ERNST, 1976; BREJ, 1998). Neben den bereits erwähnten Pflanzenarten haben auch viele andere Arten mit einer großen öko- logischen Amplitude schwermetallresistente Ökotypen entwickelt (ERNST, 1974), unter ihnen sind die Kräuter Gewöhnliche Schafgarbe (Achillea millefolium), Kleiner Sauerampfer (Rumex acetosella), Sand-Thymian (Thymus serpyllum), Scharfer Hahnenfuß (Ranunclus acris), Spitz- wegerich (Plantago lanceolata), Wiesen-Glockenblume (Campanula rotundifolia), Wiesen-Sauerampfer (Rumex acetosa) und Wiesen-Schaumkresse (Arabidopsis halleri = Cardaminopsis halleri) sowie die Gräser Blaues Abb. 5. Armerietum halleri mit Armeria halleri, Festuca ovina und Pfeifengras (Molinia caerulea), Geschlängelte Schmiele Plantago lanceolata (Foto: ERNST, 2003). (Deschampsia flexuosa = Avenella flexuosa), Hunds- Straussgras (Agrostis canina), Roter Schwingel (Festuca rubra), Rotes Straussgras (Agrostis capillaris), Schaf-Schwingel (Festuca ovina s.l.) und Weißes Die meisten Wuchsorte mit ungestörtem Schwerme- Straussgras (Agrosits stolonifera). Alle schwermetallresis- tallrasen über ausbeißenden Erzadern sind durch den tenten Ökotypen dieser Pflanzenarten haben sich im Erzbergbau seit der späten Bronzezeit – ca. 1000 Jahre Harz zum Schwermetallrasen "Armerietum halleri" zu- vor Christus – zerstört worden (SEGERS-GLOCKE, 2000). sammengefunden, der zum ersten Mal durch LIBBERT Die übriggebliebene Schwermetallvegetation ist als Folge (1930, 1939) von den Steinfeldern der Oker beschrieben menschlicher Aktivitäten stark überformt. Die Erzgewin- wurde (Abb. 4 und 5). nung und Erzverarbeitung im Harz erforderte große Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Holzmengen und hat die erste Zerstörung der Harzwäl- a: Schlacken und andere Reste des Schmelzprozesses der verursacht. Im Mittelalter ist dieser Eingriff in die wurden in der Nähe der Schmelzen an vielen Stellen im Übersichtsarbeit Wälder mit der Modernisierung des Erzbergbaus, insbe- Harz zu Halden aufgehäuft (GUNDLACH und STEINKAMP, sondere im Gebiet des Rammelsberges, intensiviert wor- 1973). Diese Standorte sind durch ein gut ent- den. Das Rösten von sulfidischen Erzen erforderte 1,3 t wickeltes Armerietum halleri gekennzeichnet (ERNST, Holz und das Schmelzen der Erze nochmals 0,7 t Holz je 1965, 1974). Die Weiterverwendung dieses Halden- t (Tonne) Blei- und Kupfererz. Bereits im Mittelalter war materials für den Straßenbau hat viele dieser Schwer- es billiger, Erze zu bewaldeten Flächen zu transportieren, metallrasen seit der Mitte der 1960er Jahre vernichtet. als sie an Ort und Stelle zu verarbeiten. Hierdurch ent- b: Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden die ge- standen neue schwermetallreiche Standorte fernab der wonnenen Erze zerkleinert (sog. Pochen) und die Erzlagerstätten. Schwermetalle vom tauben Material durch Waschen Drei verschiedene Typen anthropogener Schwerme- geschieden. Diese Erzwäsche hat Flüsse in der Harzre- tallböden können in der Harzregion ausgewiesen wer- gion mit Schwermetallen angereichert, da der Wir- den: kungsgrad der (vor)mittelalterlichen Aufbereitungs- 228 Abb. 6. Bleikonzentrationen auf den Uferterrassen entlang der mit der Harzregion verbunde- nen Flusstäler in Niedersachsen. Der Einfluss der Erzgewinnung und Erzverarbeitung im Harz ist bis zu 200 km talabwärts noch in den Böden der Flussauen nachzu- weisen. In der Karte sind drei Bleikonzentrationsbereiche an- gezeigt: Eine Erhöhung des Blei- gehaltes im Boden (breite Strei- fensignatur), eine Belastung bis zu 500 mg Pb/kg Boden (enge Streifensignatur) und eine Belas- tung mit mehr als 500 mg Pb/kg Boden (ausgefüllte Flächensigna- tur). Aus KÖSTER und MERKEL (1985). Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... und Verhüttungsverfahren nicht sehr hoch war. Bei sionen beschädigten die Vegetation im Umkreis von der Verarbeitung von Bleierzen ging 25% Blei verloren einigen Kilometern und verursachten die sog. "Hütten- Übersichtsarbeit (KRAUME, 1948). Das schwermetallbelastete Wasser rauchschäden", nicht nur im 19. Jahrhundert (VON und die schwermetallreichen Rückstände des Poch- SCHROEDER und REUSS, 1983), sondern auch noch im prozesses (Pochsande) wurden durch die Flüsse bis zu 20. Jahrhundert, mindestens bis zum Jahr 1978, als die 200 km talabwärts transportiert und bei Hochwasser Frankenscharrnhütte geschlossen wurde. Die Zinkhütte auf den Uferterrassen abgesetzt (EMMERLING und KOLK- in Oker wurde zwar technisch modernisiert, aber emit- WITZ, 1914; ERNST, 1965, 1974; BAUMANN, 1984). Hier tiert weiterhin Schwermetalle von primären und sekun- entstanden dann anthropogene Schwermetallböden dären Verarbeitungsprozessen. Durch die Verpflichtung (Abb. 6). Mit den Flüssen wurden auch Samen der ur- des Europäischen Registers der Emissionen schädlicher sprünglichen Schwermetallvegetation talabwärts Stoffe, EPER (http://www.eper.de), ist bekannt gewor- transportiert, so dass sich auf den schwermetall-kon- den, dass die metallverarbeitende Industrie um Gos- taminierten Uferterrassen eine neue Schwermetallve- lar-Oker im Jahr 2001 noch die folgenden Schwerme- getation entwickeln konnte. Heute tragen diese Flä- tallmengen emittiert hat: 222 kg Cd, 11500 kg Pb chen die am besten konservierten, anthropogenen (Harz-Metall GmbH) und 4640 kg Zn (Metalleurop Schwermetallrasen. Wo die Landwirtschaft die Auen- GmbH Niederlassung Harzer Zinkoxide). Als Konse- böden der Uferterrassen genutzt hat, wurden die Kul- quenz wurden die Böden in dieser Region mit Blei, Cad- turpflanzen mit Schwermetallen kontaminiert. Diese mium und Zink erheblich belastet (ANONYMUS, 1979). Vergiftung wurde erstmals 1822 durch MEYER erkannt Eine Anreicherung von Böden mit bestimmten Elementen 229 und dauert bis heute fort (EMMERLING und KOLKWITZ, durch Lagerstätten, Mineralisationen und anthropogene 1914; ERNST, 1974; VON HODENBERG und FINCK, 1975). Überlagerungen kann auch durch Pflanzenanalysen festge- Mit der Vollendung der Innerste- und Oker-Talsperren stellt werden, wie JOHANNES und KRAUSE (1985) im Nord- wurde die Hochwassergefahr für die Flussterrassen westharz durch die Analyse der Asche von Fichtennadeln aber erheblich herabgesetzt und damit auch die Zufuhr mit erhöhten Konzentrationen von Ba, Ca, Cd, Co, Cu, Fe, schwermetallbelasteter Sedimente aus dem Flussober- Mn, Mo, Ni, Pb, Rb, Sr, V und Zn zeigen konnten. Weniger lauf eingeschränkt. Aufgrund natürlicher geohydroge- bekannt ist, dass auch Tiere in der Harzregion, beispielswei- ner Prozesse wird an Stellen, an denen Quellen in Kon- se Vögel und Säugetiere, eine solche Anreicherung mit takt mit Erzkörpern stehen, noch stets schwermetall- Schwermetallen aufweisen (KNOLLE und KNOLLE, 1983). Die haltiges Quellwasser in die Bäche eingespeist (Tab. 1) Schwermetallbelastung der Flüsse, u. a. der Oker nördlich und dann unter anderem in die Flüsse Innerste und der Oker-Hütten, wird durch erhöhte Schwermetallgehalte Oker weitergeleitet (NOWAK und PREUL, 1971; KNOLLE, in Fischen angezeigt (KOOP, 1989). HARTMANN (2000) fand 1989). Die Wasserabfuhr ist z. T. verantwortlich für die in Knochen, Leber und Nieren von Fledermäusen der starke Schwankung im Metallgehalt der Innerste. Harzregion signifikant höhere Bleiwerte als in Individu- c: Obwohl Holzmangel im 19. und 20. Jahrhundert nicht en aus anderen Teilen Niedersachsens (Abb. 7). mehr der Hauptgrund für die Wahl von Standorten für Erzschmelzen und erzverarbeitenden Industrien war, wurden noch immer solche Betriebe am Rand des Har- 2 Metallkonzentrationen in Pflanzen und ihre Regulation zes bei Langelsheim, Oker und Harlingerode angesie- delt. Unzureichende Filterung der Prozessluft führte Pflanzen von schwermetallreichen Böden sind durch ei- zu einer weiteren Emission von Metallen und luftver- nen erhöhten Schwermetallgehalt in allen Pflanzenteilen unreinigenden Gasen (SO2, NOx, Dioxin). Diese Emis- mit Ausnahme der Samen gekennzeichnet (ERNST, 1974). Tab. 1. Mineralstoffe im Wasser einiger Harzflüsse im Vergleich zu Blei- und Zinkkonzentrationen von Quellen im erzführen- den Teil des Harzes. Probenentnahme aus der Abzucht und Oker erfolgte im März 2003 durch die FAL Braunschweig. Daten von SCHWÄGLER et al., (2003) sind mit einem Sternchen, diejenigen von Nowak und Preul (1971) mit zwei Sternchen gekennzeichnet. --- = nicht bestimmt Gewässer Elementgehalt in mg/L Ca Mg S Cd Mn Pb Zn Abzucht 34 7 13 0.002 0.040 0.060 1.0 Oker 19 6 13 0.004 0.202 0.005 1.0 Sieber bei Siebertal --- --- --- 0.00011* ---
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Übersichtsarbeit 230 Abb. 7. Regionen mit erhöhten Bleikonzentrationen im Hoch- harz (aus NOWAK und PREUL, 1971). Dabei ist die Verlagerung der Metalle von der Wurzel 2.1 Regulation des Schwermetallhaushaltes unter Be- zum Spross spezifisch für jede Pflanzenart und jeden trachtung der gesamten Pflanze und ihrer Organe Ökotyp (ERNST, 1974; MACNAIR, 2002), so dass sehr unter- Für das Verständnis der spezifischen Schwermetallresis- schiedliche Schwermetallkonzentrationen in den einzel- tenz werden zwei verschiedene Organisationsstufen ei- nen Pflanzenorganen vorliegen (Tab. 2). Die höchsten ner Pflanze, das organismische und das zelluläre Niveau, Werte kommen häufig in den Wurzeln, die niedrigsten in betrachtet, um solche Anpassungen der Pflanzen an den Samen vor. schwermetallreiche Böden aufzuzeigen, die ein Überle- In einem Gefäßversuch wurden drei Ökotypen unter ben und den Aufbau vitaler Populationen ermöglichen. kontrollierten Bedingungen in einem Boden von der Einer der möglichen Resistenzmechanismen ist eine Ein- Schlackenhalde zwischen Bredelem und Langelsheim schränkung der Schwermetallaufnahme durch die Wur- von der Keimung bis zur Ernte angezogen. Der Ökotyp zeln und eine Festlegung in den Wurzeln, so dass der "Langelsheim", der auf seinem eigenen Boden wuchs, ist Schwermetalltransport von der Wurzel zum Spross ein- gegen viele Schwermetalle resistent; der Ökotyp "Plom- geschränkt ist. Diese Anpassung wird durch den Ökotyp bières" ist zwar gegen Cd, Pb und Zn resistent, aber seine "Langelsheim" von Silene vulgaris realisiert (Tab. 2). Eini- Resistenz ist nicht hoch genug, um auf dem Boden der ge Pflanzenarten jedoch verfahren in entgegengesetzter Schlackenhalde bis zur Samenreife zu überleben; der Richtung: Sie vermindern weder die Aufnahme noch den Ökotyp "Amsterdam" ist empfindlich gegen hohe Schwer- pflanzeninternen Transport; vielmehr reichern sie die metallgehalte und starb bereits 14 Tage nach der Kei- Schwermetalle in den Blättern zu extrem hohen Konzen- mung. Der schwermetallresistenteste Ökotyp "Langels- trationen an. Dieser Prozess wird mit dem Begriff "Hyper- heim" kann die Aufnahme der Schwermetalle so stark akkumulation" bezeichnet (BROOKS et al., 1977). Das einschränken, dass deren Konzentrationen in Wurzeln Schwermetallniveau, das eine Pflanze als "Hyperakku- und Blättern im Vergleich zu den beiden anderen Ökoty- mulator" einordnet, ist für jedes Schwermetall spezifisch pen relativ niedrig ist (Tab. 2). definiert worden; doch wurde immer wieder die Unter- Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Tab. 2. Schwermetallkonzentrationen (Mittelwert ± Standardfehler [S.E.]) in verschiedenen Pflanzenteilen von drei Ökotypen von Silene vulgaris, die sich in der Schwermetallresistenz unterscheiden. Daten von ERNST et al., (2000) und ERNST (unveröffent- Übersichtsarbeit licht) Ökotyp Pflanzenteil Schwermetallkonzentration in mg kg-1 Trockenmasse Cu Fe Mn Zn Langelsheim/D Samen 10.8 ± 1.9 64.2 ± 4.5 32.4 ± 8.8 56 ± 14 Blätter 80.7 ± 17.8 191.0 ± 30.2 917.0 ± 84.6 3360 ± 97 Stengel 38.1 ± 9.5 88.2 ± 10.6 73.6 ± 15.9 5760 ± 340 Wurzel 374.0 ± 43.2 2966 ± 977 287.0 ± 53.8 3440 ± 879 Plombières/B Blätter 259.0 ± 75.6 994 ± 324 898 ± 168 9985 ± 3073 Wurzel 1640 ± 613 8530 ± 2044 961 ± 269 26810 ± 5300 Amsterdam/NL Blätter 941 ± 257 6367 ± 2670 1300 ± 210 4030 ± 1115 Wurzel 2490 ± 324 10050 ± 2190 923 ± 228 6030 ± 987 231 grenze ohne jegliche physiologische Begründung erhöht der Schwermetalle vom Boden über den Mykorrhizapilz (BROOKS, 1988). Im Fall des Zink weist ein Hyperakkumu- in die Pflanzenwurzeln so stark beeinträchtigt, dass der lator mehr als 10 g Zn/kg Trockenmasse auf, was in der Schwermetallgehalt dieser Pflanzen im Vergleich zu Harzregion für Arabidopsis halleri zutrifft. Die ökologi- Pflanzen mit nicht-mykorrhizierten Wurzeln, u. a. Arabi- sche Bedeutung dieser Hyperakkumulation ist noch um- dopsis halleri, Minuartia verna und Silene vulgaris, recht stritten, aber wird gegenwärtig bevorzugt als Verteidi- niedrig ist (IETSWAART et al., 1992). gung gegen blattfressende Insekten und pathogene Pilze Eine weitere Möglichkeit der organismischen Schwer- diskutiert (COLEMAN et al., 2005). Doch ist bei der Defini- metallresistenz besteht darin, aufgenommene Schwer- tion des Hyperakkumulators unzureichend umschrieben, metalle so schnell als möglich wieder auszuscheiden. dass der entsprechende Grenzwert des Schwermetalles Diese Lösung ist bei Menschen und Tieren über Exkretion allein für die Pflanze am natürlichen Standort zutrifft in Fäzes und Urin weit verbreitet. Ein solches Ausschei- und bei der Analyse die Blätter von aufgewehten und auf- dungsverfahren für Schwermetalle ist in der Evolution gespritzten Bodenteilen zu säubern sind. Auf der Suche von Pflanzen kaum zustande gekommen. Bei Pflanzen ist nach Pflanzen für Phytoremediation (= Einsatz von eine Schwermetallexkretion allein über Salzdrüsen und Pflanzen zur Dekontamination von Böden), werden Hydathoden möglich, wenn man den Abwurf alter, Pflanzen in kurzfristigen physiologischen Experimenten schwermetallbelasteter Blätter nicht als Exkretion be- hohen Schwermetallkonzentrationen ausgesetzt, um sie trachtet. Auf schwermetallreichen Böden besitzen nur schließlich als Hyperakkumulator einzustufen. Durch Armeria-Arten Salzdrüsen, z. B. Armeria halleri, doch ist eine unzureichende Begriffsabgrenzung des Hyperakku- die Effizienz der Schwermetallausscheidung sehr gering mulators versagen solche unzureichend schwermetallre- (ERNST, 1974). Hydathoden sind im Pflanzenreich relativ sistenten Ökotypen, wenn sie dann auf schwermetallrei- weit verbreitet; ihre Rolle in der Regulation des Schwer- chen Böden angepflanzt werden. Wie das Beispiel vom metallhaushaltes ist bisher allein bei Minuartia verna un- Ökotyp "Plombières" von Silene vulgaris zeigt (Tab. 2), tersucht, wo die an Blattspitzen liegenden Hydathoden müsste dieser Ökotyp als Zn-Hyperakkumulator einge- durch Ausscheidung von metallbeladenem Xylemsaft die stuft werden, obwohl er keineswegs bis zur Samenreife interne Schwermetallbelastung geringfügig vermindern überleben kann. Pflanzen, die unter dem Grenzwert ei- können (NEUMANN et al., 1997). Trotzdem bleibt der nes Schwermetalles für einen Hyperakkumulator blei- Schwermetallgehalt der Blätter dieser Caryophyllaceae ben, werden als "Akkumulator" definiert; viele Pflanzen- hoch (ERNST, 1974; Tab. 2). All diese Anpassungen auf or- arten in Tab. 3 können als solche Schwermetall-Akku- ganismischen Niveau können jedoch nicht verhindern, mulatoren eingestuft werden. dass Pflanzen auf Schwermetallböden einen Schwerme- Eine andere Möglichkeit der Anpassung an hohe tallgehalt aufweisen, der weit über demjenigen von Schwermetallkonzentrationen des Bodens kann in der Pflanzen bei durchschnittlicher Schwermetallversorgung Einschränkung der Schwermetallaufnahme durch eine der Böden liegt. In diesen schwermetallresistenten Pflan- Assoziation der Wurzeln mit arbuskulären Mykorrhiza- zen sind die Schwermetallkonzentrationen sehr metall- pilzen realisiert werden. Eine solche Mykorrhisierung ist und pflanzenarten-spezifisch (Tab. 2). Eine hohe lokale effektiv in den Kräutern Plantago lanceolata und Viola ca- Variation des Schwermetallgehaltes des Bodens (Tab. 3) laminaria und in allen schwermetallresistenten Gräsern. sorgt noch für eine weitere Modifikation der Schwerme- Durch noch nicht erforschte Prozesse wird der Transport tallgehalte. Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Tab. 3. Schwermetallgehalte (Mittelwert ± Standardfehler [S.E.]) in vollentwickelten Blättern von Pflanzenarten, die auf den Schlackenhalden zwischen Bredelem und Langelsheim wachsen (ERNST, 1974; ERNST, unveröffentlicht). ng = nicht gemessen Übersichtsarbeit Schwermetallgehalt in mg/kg Trockenmasse Pflanzenart Cd Cu Fe Mn Pb Zn Arabidopsis halleri 157.0 ± 4.50 6.99 ± 1.91 251 ± 20.7 1280 ± 60.4 253.0 ± 47.7 29230 ± 8110 Armeria halleri 14.6 ± 4.50 115.00 ± 14.60 144 ± 60.3 224 ± 27.5 49.7 ± 16.6 2021 ± 307 Minuartia verna 49.5 ± 3.37 574.00 ± 62.30 1123 ± 232.0 593 ± 67.6 99.5 ± 18.6 5427 ± 1164 Silene vulgaris 23.6 ± 4.50 80.70 ± 17.80 191 ± 30.2 917 ± 84.6 180.0 ± 45.6 3361 ± 98 Agrostis capillaris 12.4 ± 1.12 1.27 ± 0.64 183 ± 86.0 78 ± 13.7 137.0 ± 72.5 118 ± 39 Festuca ovina 11.2 ± 1.12 7.63 ± 3.81 119 ± 38.5 80 ± 18.7 82.9 ± 6.2 1144 ± 255 Molinia caerulea ng 13.30 ± 3.18 329 ± 92.2 76 ± 14.8 ng 394 ± 87 2.2 Regulation des Schwermetallhaushaltes auf dem MER et al., 1996). In Pflanzen, die an ein Übermaß an Ar- 232 zellulären Niveau der Pflanzen sen und Cadmium angepasst sind, findet eine erhöhte Um bei einem hohen internen Schwermetallgehalt zu Synthese von Phytochelatinen im Cytosol statt, bevor der überleben, muss in den Pflanzenorganen eine hohe Cd-Komplex über einen spezifischen Transporter in die Schwermetallresistenz vorhanden sein, die physiologisch Vakuole gebracht wird (DE KNECHT et al., 1995; HART- auf zellulärem Niveau gelöst werden muss. Aufgrund der LEY-WHITAKER et al., 2001; ERNST et al., 2008). Der Vorteil vitalen Rolle vieler Schwermetalle in biologischen Syste- von schwermetallresistenten Pflanzen besteht darin, dass men und der Option für eine Evolution neuer Enzyme sie im Gegensatz zu schwermetallempfindlichen Pflan- oder anderer Eiweiße kann eine Pflanze es sich nicht er- zen überschüssige Schwermetallmengen schneller in die lauben, Schwermetalle von der Aufnahme auszuschlie- Vakuole transportieren (CHARDONNENS et al., 1999a). ßen. In der Wurzel wird die Aufnahme der Schwermetal- Sobald die zelluläre Regulation dem Schwermetallan- le über Gene gesteuert, die die Synthese von spezifischen gebot nicht mehr gewachsen ist, findet auch in schwer- und unspezifischen Metalltransportern regeln. Bisher metallresistenten Pflanzen eine Vergiftung statt, deren sind nur wenige solcher Transporter identifiziert, wie z. Symptome mit dem bloßen Auge bereits als Chlorosen B. die Zinktransporter ZNT1 und ZNT2 in schwermetall- (bleichgrüne Blätter) und erhöhte Anthocyangehalte resistenten Ökotypen von Thlaspi caerulescens (ASSUNÇÃO (blaugrüne Blätter) wahrgenommen werden können. et al., 2001), der Zink-Vakuolen Transporter AhMTP1 in Die Ursache der Toxizität liegt in einer metallspezifischen zinkresistenten Pflanzen von Arabidopsis halleri (DRÄGER Störung von Stoffwechselprozessen. Eine Chlorose kann et al., 2004) und einige Schwermetalltransporter in ursächlich auf verschiedene Prozesse zurückgeführt wer- nicht-schwermetallresistenten Pflanzen (CLEMENS, 2001). den. Blei blockiert die Aktivität der delta-Aminolävulin- Sobald die Schwermetalle ein Pflanzenorgan erreichen, säure, so dass unzureichende Mengen an Protochloro- tritt eine weitere Verfeinerung der Metallverteilung auf, phyll synthetisiert werden. Ein Übermaß an Zink beein- die gut in Blättern untersucht ist. Hierbei findet im Blatt trächtigt den Transport von Magnesium in das Chloro- eine bevorzugte Akkumulation von Cadmium, Nickel phyllmolekül und erhöht den Zinkgehalt im Chloroplas- und Zink in den photosynthetisch inaktiven Zellen der ten so stark, dass schließlich die Photosynthese mit 90% unteren und oberen Epidermis statt (CHARDONNENS et al., vermindert wird (VAN ASSCHE und CLIJSTERS, 1986). Dane- 1999b). Einmal in der Zelle, werden die für den Stoff- ben kann eine unzureichende Schwermetallresistenz zu wechsel notwendigen Schwermetallmengen auf die morphologischen Veränderungen wie Zwergwuchs oder schwermetall-bedürftigen Komponenten im Cytosol und Kleinblättrigkeit führen (ERNST, 1999). in den Zellorganellen verteilt. Jeder Überschuss an Schwermetallen und alle physiologisch funktionslosen Schwermetalle (u. a. As, Cd, Hg, Pb) müssen so schnell 3 Besuch von Standorten mit einer Schwermetallvege- wie möglich in der Zelle physiologisch inaktiviert und tation mit Hilfe von anderen Transportern in die physiologisch weniger aktiven Zellkompartimente, d. h. Vakuole und In Abb. 8 ist die Lage der besuchten Standorte angege- Zellwand, verfrachtet werden. Für Zink und Nickel wird ben. für die Inaktivierung im Cytosol eine Komplexbindung mit organischen Säuren diskutiert (MATHYS, 1977; KRÄ- 3.1 Schlackenhalden auf der Schmelze südlich von MER et al., 2000; SARRET et al., 2002). Kupfer wird in kup- Bredelem (51º58'N,10º21'E) ferresistenten Pflanzen an Metalloproteine (MT) des Das Gebiet der Schlackenhalden steht unter Naturschutz. MT-2b Typs gebunden (VAN HOOF et al., 2001) und Nickel Die Schlackenhalden bei Bredelem stammen aus der frü- in einigen Ni-resistenten Pflanzenarten an Histidin (KRÄ- hen Neuzeit nach 1500 (mdl. Mitt. Dr. L. KLAPPAUF, Ar- Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Übersichtsarbeit 233 Abb. 8. Lage der besuchten Standorte mit einer Schwerme- tallvegetation. beitsstelle Montanarchäologie des Niedersächsischen gleichmäßig mosaikartig verteilt sind. Auf einigen Klein- Landesamtes für Denkmalpflege). Seinerzeit waren die flächen ist die Anreicherung so hoch geworden, dass sie mit Holzkohle betriebenen Schmelzen nicht sehr effektiv die Schwermetallresistenz der Arten des Armerietum hal- und es fand eine relativ einseitige Metallselektion statt. leri übertreffen und darum vegetationsfrei geblieben sind Dadurch ist der Schwermetallgehalt der Schlackenhal- (ERNST et al., 2000; ERNST und NELISSEN, 2000). Auf ande- den extrem hoch, besonders reich sind sie an Blei, Eisen, ren Flächen erlaubt der gemäßigte Schwermetallgehalt Mangan und Zink (Tab. 4). die Entwicklung einer geschlossenen Vegetationsdecke Spätestens seit dem Mittelalter findet durch die oben des Armerietum halleri (Abb. 9), und bei sehr niedriger beschriebene Belastung der Innerste mit Pochsanden, die Belastung selbst das Überleben schwach schwermetallre- bei Hochwasser auf der Uferterrasse abgelagert werden, sistenter Birken und Kiefern (Abb. 10). eine Zunahme der Schwermetallmengen statt. Als Resul- tat dieser Jahrhunderte andauernden Kontamination 3.1.1 Schwermetalle in höheren Pflanzen. Als Konsequenz sind polymetallische Böden in diesem Gebiet entstanden, der hohen Schwermetallgehalte der Schmelzrückstände wobei die Schwermetallkonzentrationen im Boden un- und der späteren Anreicherung mit kontaminierten Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Tab. 4. Mit Königswasser (HNO3/HCl, 3:1) extrahierbare Schwermetalle (Mittelwert ± Standardfehler [S.E.]) aus der Schla- ckenhalde südlich von Bredelem. Die Bodenwerte der Pionierphase des Schwermetallrasens mit Armeria halleri und Silene vul- Übersichtsarbeit garis sind übernommen aus ERNST und NELISSEN (2000), diejenige des zwergwüchsigen Betula pendula-Bestandes aus ERNST und NELISSEN (2006) Mikrohabitat Schwermetallkonzentration des mit Schlackendurchsetzten Bodens in mg/kg trockener Boden Cd Cu Fe Mn Pb Zn Armeria-Stadium 18.0 ± 1.12 6927 ± 1017 126800 ± 48500 8020 ± 3626 18650 ± 2694 36360 ± 11180 Silene-Stadium 16.9 ± 1.12 5910 ± 1462 63950 ± 13910 5770 ± 1760 16370 ± 4144 28445 ± 4773 Betula-Bestand 7.4 ± 1.46 1093 ± 32 42610 ± 559 8571 ± 220 9324 ± 1658 5950 ± 327 Pochsanden ist der Schwermetallgehalt der Pflanzen be- Blättern stark erhöht sein, wobei die Zn-Konzentration sonders hoch. Mit Ausnahme von Kupfer hat der Zn-Hy- im Birken-Blutungssaft bereits im Frühjahr eine guter In- perakkumulator Arabidopsis halleri die höchsten Schwer- dikator für die im Spätsommer und Herbst zu erwarten- metallgehalte in seinen Blättern (Tab. 3). Die Vitalität den Zinkbelastungen vollentwickelter Blätter ist 234 von Armeria halleri, einer Pflanzenart mit hoher Resis- (Tab. 5). tenz gegen Cd, Cu, Pb und Zn, ist ein guter Indikator für Die Besiedlung schwermetallreicher Flussterrassen die pflanzenverfügbare Schwermetallkonzentration: je hängt nicht nur vom Schwermetallgehalt, sondern auch höher die Zahl toter Blätter in einer Rosette ist, desto von anderen Umweltbedingungen ab. Ein grobkörniger grösser ist die Ökotoxizität des Wuchsortes. Die Wuchs- Boden hält die Feuchtigkeit schlechter fest als ein fein- form der mykorrhizierten Gräser Agrostis capillaris und körniges Substrat. Darum müssen Pflanzen auf schotter- Avenella flexuosa lässt das geübte Auge ebenfalls die reichen Uferterrassen an sommerliche Trockenperioden Pflanzenverfügarkeit der Schwermetalle eines Bodens angepasst sein oder durch ein tiefreichendes Wurzelsys- erkennen. Sehr kleine und offene Polster zeigen einen tem die Trockenheit der oberen Bodenschichten vermei- hohen Schwermetallgehalt des Bodens an, während eine den. Daher prägen Unterschiede im Wurzelsystem das geschlossene Vegetationsdecke ein Indiz für eine gemä- Vegetationsmosaik solcher Standorte. Pflanzenarten mit ßigte Bodenbelastung ist (Abb. 11). bis zu 3 Metern tief reichenden Wurzeln, z. B. Armeria Auf mäßig schwermetallbelasteten Böden haben eini- halleri und Silene vulgaris (Abb. 13), haben auch wäh- ge Populationen von Hängebirken (Betula pendula) eine rend der Trockenperioden noch Zugang zum Grundwas- bescheidene Schwermetallresistenz erworben, die durch ser. Darüber hinaus haben diese Pflanzenarten noch ei- eine Symbiose mit dem Ektomykorrhizapilz (Paxillus in- nen konstitutiv hohen Prolingehalt, der einen zellulären volutus) (OTT et al., 2002) verstärkt wird (Abb. 12). Auch Schutz gegen Austrocknung bietet (SCHAT et al., 1997). in Hängebirken kann der Schwermetallgehalt in den Oberflächlich wurzelnde Pflanzen wie Arabidopsis halleri Abb. 9. Eine Übersicht über die Uferterrasse der Innerste mit Resten der Schlackenhalden südlich von Bredelem. Das mehrjährige Kraut Ar- meria halleri und die langlebigen Individuen der Gräser Agrostis capil- laris und Festuca ovina besiedeln Flächen mit hohen Schwermetall- konzentrationen. Die Wuchsmöglichkeiten von Molinia caerulea (die Abb. 10. Im Vordergrund ein geschlossenes Armerietum halleri auf Horste im Hintergrund) werden durch die hohen Ansprüche dieses schwermetallreichen Pochsanden, in der Mitte ein offenes Armerie- Grases an eine sehr gute Wasserversorgung auf die ufernahen Flächen tum halleri auf Schmelzresten, im Hintergund ein Gebüsch mit mäs- beschränkt. Auf etwas höher gelegenen und damit nicht überfluteten sig schwermetallresistenten Hängebirken und halbrechts ein kleiner Böden sind die Schwermetallkonzentrationen so niedrig, dass sich Kiefernbestand auf schwermetallarmem Boden im Bereich der Pappeln, Weiden und Kiefern angesiedelt haben (Foto: ERNST, 2003). Schmelze südliche von Bredelem (Foto: ERNST, 2003). Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Übersichtsarbeit Abb. 11. Die Wuchsformen von Agrostis capillaris und Avenella flexu- Abb. 12. Hängebirken können dank einer bescheidenen Zinkresis- osa ermöglichen eine erste Beurteilung der Schwermetalltoxizität ei- tenz auf Böden mit einer gemäßigten Schwermetallbelastung überle- nes Bodens (Foto: ERNST, 2003). ben (Foto: ERNST, 2003). 235 sind dagegen an Mikrohabitate gebunden, deren Boden Auf den Schlackenstücken hat sich eine sehr spezifi- eine hohe Wasserkapazität besitzt. Die nadelförmigen sche sog. epilithische (auf Steinen wachsende), erzlie- Blätter von Minuartia verna bieten genügend Resistenz bende (orophile) Flechtengesellschaft entwickelt, die in gegen eine längere Trockenperiode, aber diese Pflanze Deutschland erstmals durch SCHADE (1933) als Acaro- erträgt keine Staunässe, so dass sie auf verdichteten Bö- sporetum sinopicae von den sächsischen Bergwerkshal- den fehlt. den beschrieben wurde. Diese Krustenflechten sind auch auf den Schlackenhalden im Harz weit verbreitet 3.1.2 Schwermetalle und Flechten. Auf offenen Böden (Abb. 14 und 15). von Halden und Pochsandflächen hat sich eine artenrei- Eine Analyse von Lecidea fuscoatra (L.) Ach. von den che, epigäische (auf dem Boden aufliegende) Flechten- Schlackenhalden südlich von Bredelem zeigt, dass deren flora mit vielen Strauchflechten entwickeln können, u. a. Schwermetallgehalt mit demjenigen von anderen orophi- mit Cladonia alcicornis, Cladonia arbuscula, Cladonia len Flechtenarten vergleichbar ist (Tab. 6). Der enge chlorophaea, Cladonia floerkeana, Cladonia furcata, Cla- Kontakt dieser Krustenflechten mit den schwermetallhal- donia mitis, Cladonia pyxidata, Cladonia rangiformis, Cla- tigen Schlacken und Steinen resultiert in standort- und donia verticillata, Cetraria aculeata, Stereocaulon dactylo- artspezifischen Schwermetallkonzentrationen. Lecanora phyllum und Stereocaulon vesuvianum (ERNST, 1965, fuscoatra enthält viel weniger Kupfer als Acarospora sino- 1974; DIERSCHKE, 1969). Durch den sehr geringen Boden- pica von den Schlackenhalden bei Bredelem und Lecano- kontakt dieser Strauchflechten wird deren Schwermetall- ra polytropa von einem kupferreichen Felsen in Grönland gehalt fast ausschließlich durch die Schwermetalle im (ALTRUP und HANSEN, 1977). Der Bleigehalt von Lecanora Niederschlag und im aufspritzenden Regenwasser be- fuscoatra muss als extrem hoch angemerkt werden. Der stimmt. Darum ist das Schwermetallniveau dieser Flech- Eisengehalt dieser Flechte ist dagegen ebenso hoch wie ten sehr niedrig (LANGE und ZIEGLER, 1963; ERNST, 1974). derjenige anderer orophiler Flechten. Auch andere Arten Die Regulation des Schwermetallhaushaltes dieser Flech- des Acarosporetum sinopicae können reich an Kupfer und ten ist noch unzureichend bekannt. In jedem Fall scheint Eisen sein. Das Kupfer ist vor allem in den Pilzhyphen des Cadmium durch Bindung an Phytochelatine detoxifiziert Flechtenthallus nachgewiesen, wo es an Oxalat (PURVIS, zu werden (PAWLIK-SKOWRONSKA et al., 2002). 1984) und/oder an Norstictinsäure, eine spezifische Tab. 5. Schwermetallkonzentrationen (Mittelwert ± Standardfehler [S.E.]) im Blutungssaft vor dem Blattaustrieb im Frühjahr und in reifen Blättern der Hängebirke im Spätsommer und Herbst im Bereich der Schmelze südlich von Bredelem (ERNST und NE- LISSEN, 2007) Pflanzenorgan Schwermetallkonzentration Cd Cu Fe Mn Pb Zn Blutungssaft (mg/L) 0.05 ± 0.01 0.27 ± 0.07 0.33 ± 0.16 7.97 ± 0.99 0.13 ± 0.03 40.7 ± 8.04 Blätter (mg/kg Trockenmasse) 1.12 ± 0.12 12.7 ± 2.50 160 ± 29.0 357 ± 290 20.7 ± 2.67 1975 ± 333 Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Übersichtsarbeit Abb. 14. Die epilithische Flechtengesellschaft des Acarosporetum sinopicae mit Acarospora sinopica, Lecanora epanora und Lecidea fus- coatra auf einem schwermetallreichen Schlackenstück (Foto: ERNST, 2003). 236 Abb. 13. Die mehr als tausendjährige Anschwemmung von Pochsan- den aus den flussaufwärts gelegenen Bergbaugebieten hat die In- nersteterrasse mit mehr als 2 Meter dicken schwermetallreichen Se- dimentlagen bedeckt. Armeria halleri kann mit der starken Hauptwur- zel durch diese Sedimente hindurchwachsen und so den Abb. 15. Lecidea-Arten in der epilithischen Flechtengemeinschaft Wasserspiegel des Flussbettes erreichen, um längere Trockenperioden des Acarosporetum sinopicae auf schwermetallreichen Steinen südlich zu überleben (Foto: ERNST, 2003). von Bredelem (Foto: ERNST, 2003). Flechtensäure (PURVIS et al., 1987), gebunden ist. Die funden. Heute kommt er in nahezu allen Schwermetall- Bindung von anderen Schwermetallen an organische rasen vor, insofern sie Populationen von Silene vulgaris Zellkomponenten ist noch nicht untersucht. besitzen. Ende April schabt das Käferweibchen die Epi- dermis von Blättern an der Sprossspitze ab (Abb. 16). Of- 3.1.3 Die Relation schwermetallresistenter Pflanzen zu fensichtlich kann ein "Geschmacksfühler" Informationen pflanzenfressenden Tieren. Tiere sind selten in der Lage über den Schwermetallgehalt der Blätter ermitteln, bevor gewesen, eine Evolution von Schwermetallresistenzen zu 4 bis 8 Eier auf Blätter mit einem gemäßigten Zinkgehalt realisieren (BOYD und MARTENS, 1994; MARTENS und BOYD, von 1635 bis 3270 mg Zn pro kg Trockenmasse gelegt 2002). Sie ist im allgemeinen sehr niedrig, so dass pflan- werden. Die sehr bewegliche Larve verzehrt einen Teil zenfressende Tiere auf schwermetallarme Teile einer der Epidermis und des subepidermalen Gewebes von ju- Pflanze, vor allem auf junge Pflanzenorgane und Samen, venilen Blättern und von jungen Blütenknospen. Durch und auf Pflanzenarten mit einem relativ geringen die Vernichtung der Epidermis vertrocknet ein Teil des Schwermetallgehalt ausweichen. Eines der herbivoren Blattes, so dass beschädigte Pflanzen schon von weitem Insekten in den Schwermetallrasen Mittel- und Westeu- an den braunen Spross-Spitzen zu erkennen sind. Durch ropas ist ein Marienkäfer (Subcoccinella vigintiquattuor- den Verzehr aller Blütenknospen kann die angefressene punctata L.), der sich in Schwermetallrasen in allen Ent- Pflanze im Frühsommer keine Blüten entwickeln und wicklungsphasen auf junge Blätter und Blütenknospen folglich auch keine Samen ansetzen. Heuschrecken be- von Silene vulgaris spezialisiert hat. Erstmals wurde die- schränken sich in Schwermetallrasen auf den Verzehr ser Käfer durch JACQUEMART (1958) auf Silene vulgaris auf junger Grasblätter, die ebenfalls schwermetallarm sind; den Schwermetallhalden im belgischen Plombières ge- die Ausscheidung von Schwermetallen im Fäzes ermög- Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... Tab. 6. Schwermetallgehalte (Mittelwert ± Standardfehler [S.E.]) im Thallus der Flechte Lecidea fuscoatra von Schlacken- stücken bei Bredelem im Vergleich zu Acaspora sinopica und Lecanora epanora, die LANGE und ZIEGLER (1963) an diesem Standort Übersichtsarbeit vor 40 Jahren gesammelt und analysiert haben, und zu Lecanora polytropa, die auf kupferreichen Felsen in Grönland wächst (ALTRUP und HANSEN, 1977). --= nicht gemessen Flechtenart Schwermetallgehalt in mg/kg Trockenmasse Cd Cu Fe Mn Pb Zn Lecidea fuscoatra 16.9 ± 12.4 83 28150 155 41850 186 Acarospora sinopica --- 1049 ± 70 44345 ± 12900 --- --- --- Lecanora epanora --- 222 5808 --- --- --- Lecanora polytropa --- 4900 26190 300 41.4 60.2 licht es, dass diese Insekten ohne den Erwerb einer Nelkeneule bleibt durch die Ausscheidung der Schwer- Schwermetallresistenz in einer solchen Umwelt überle- metalle im Fäzes der Schwermetallgehalt des Raupen- ben können. körpers niedrig. Weniger schädlich für die Populations- 237 Samen sind aufgrund des geringen Schwermetallge- entwicklung von Silene vulgaris ist der Nelkenrüssler Si- haltes (ERNST, 1974) eine andere schwermetallarme Ni- binia viscaria (Curcurlionidae); die Entwicklung der klei- sche in einem ansonsten schwermetallreichen Milieu. nen Käferlarve beschränkt sich jeweils auf eine Samen- Darum sind Samen bei einigen Insektenarten als Nah- kapsel. Andere samenfressenden Insektenarten wurden rung beliebt. Wiederum sind es Populationen von Silene in den Fruchtständen von Arabidopsis halleri und Armeria vulgaris, die von Insekten belagert werden. Schmetterlin- halleri gefunden. Blüten und Fruchtstände von Armeria ge, die zu den Nelkeneulen (Hadena-Arten) gehören, be- halleri werden durch Larven und Käfer vom Grasnelken- stäuben erst die Blüten des Taubenkropfes und legen da- rüssler (Sibinia sodalis) befallen, die bis zu 90% der Sa- nach ein Ei in die Blüte eines Blütenstandes. Durch die- men vernichten können (ERNST, 2006). sen Bestäubungsakt wird garantiert, dass in der Samen- kapsel 50 bis 70 Samen heranreifen können, die von der 3.2 Schwermetallhalden bei Wildemann heranwachsenden Raupe verzehrt werden. Nach Er- (51º50'N,10º17'E) schöpfung des Samenreservoirs einer Kapsel wandert die Der Erzbergbau bei Wildemann begann wahrscheinlich Raupe zur nächsten Kapsel, bis sie schließlich das Pup- im frühen Mittelalter. Die Schwermetallgehalte im Hal- penstadium erreicht (ERNST, 1987). Bei starkem Raupen- denmaterial der Gruben sind vergleichbar mit denjeni- befall kann der Taubenkropf in manchen Jahren keine gen der oben beschriebenen Schlackenhalden. Das kaum Samen produzieren, so dass die Verjüngung der Pflan- bewachsene Haldenmaterial kann bis zu 2,3% Blei, zenpopulation unterbrochen wird. Raupen von Hadena 0,06% Cadmium 5,4%, Eisen, 1,4% Mangan, 0,1% Kup- bicruris sind selbst in der Lage, sehr junge und damit re- fer und 1% Zink enthalten (ERNST und NELISSEN, 2000). lativ schwermetallarme Blätter aufzufressen. Bei dieser Durch die Beweglichkeit des Haldenmaterials kann sich Abb. 17. Die Halden bei Wildemann sind nicht sehr stabil. Das rut- schenden Haldenmaterial behindert dadurch eine geschlossene Be- Abb. 16. Schabespuren am Blatt von Silene vulgaris durch Käferweib- siedlung mit schwermetallresistenten Pflanzen und durch die Aus- chen des Marienkäfers (Subcoccinella viginti quattuorpunctata L.) spülung von Schwermetallen wird auch die Haldenbasis stets mit (Foto: ERNST, 2003) neuen Schwermetallmengen belastet. Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
WILFRIED H.O. ERNST et al., Aspekte der Ökotoxikologie von Schwermetallen ... nur auf den weniger rutschenden Haldenabschnitten ein 1355 errichtet, um Silber, Blei und Kupfer zu schmelzen. artenarmer Schwermetallrasen des Armerietum halleri Sie wurde bis Dezember 1967 betrieben (Abb. 18). Über Übersichtsarbeit entwickeln (Abb. 17). Durch das Rutschen können die 600 Jahre hat nicht nur die Emission von Schwermetal- Sprosse der Pflanzen mit Haldenmaterial überschüttet len, vor allem von Blei, sondern auch von Schwefeldioxid und dadurch von der Versorgung mit Sonnenlicht abge- die weitere Umgebung belastet. Der Boden ist noch im- schnitten werden. Darum erfordern diese Standorte nicht mer reich an Blei und übertrifft fast alle Bodenbleigehalte nur eine Schwermetallresistenz der Pionierarten, sondern der Erzgebiete des Harzes (Tab. 8). Dagegen sind die Bo- auch noch eine Resistenz gegen einen zeitlichen Lichtent- dengehalte an Cadmium, Kupfer und Zink nur mäßig er- zug des Sprosses und gegen mechanische Schäden. Ledig- höht. Nicht nur die Gesamtgehalte an Blei sind extrem lich Silene vulgaris hat alle diese Resistenzeigenschaften hoch, sondern auch die leicht pflanzenverfügbaren Frak- entwickelt. Sie besitzt an der Wurzelkrone viele ruhende tionen, die mit CaCl2 und Wasser extrahiert werden kön- Sprossknospen, die nach einer Überschüttung und nach nen. einer Beschädigung des Sprosses schnell wieder auflau- Die Langzeitwirkung der SO2-Emissionen hat zum Ab- fen können. Außerdem verlangsamen unterirdische Aus- sterben aller Baumarten in der Nähe der Hütte geführt. läufer die Beweglichkeit des Haldenmaterials und tragen Allein eine Heide mit Calluna vulgaris, Avenella flexuosa, so zu einer Haldenstabilisierung bei, die dann eine Kolo- Festuca ovina und Silene vulgaris war fähig, der Luftver- nisation mit anderen Pflanzenarten ermöglicht. unreinigung mit Schwefeldioxid und Blei zu widerstehen Auf geringer schwermetallbelasteten ebenen Flächen (Abb. 18). Wie die Schwermetallgehalte der Pflanzen 238 keimen regelmäßig Samen von Hängebirken und Fichten zeigen (Tab. 9), war nicht nur die Emission von Blei (Picea abies), deren weitere Entwicklung trotz einer Sym- hoch, sondern auch diejenige von Cadmium und Zink. biose mit metallresistenten Mykorrhizapilzen nicht sehr Die Bleikonzentration im Spross von Minuartia verna ist erfolgreich ist. Sobald der Schwermetallgehalt in den so hoch, dass die Pflanze hier die Untergrenze für einen Keimlingen und Jungpflanzen zu hoch wird, entstehen Blei-Hyperakkumulator überschreitet. zwergwüchsige Individuen mit chlorotischen Blättern und HEIMHOLD (1987) hat 16 Jahre lang eine 150 m2 große Nadeln. Die gelblich verfärbten Nadeln haben sehr hohe Fläche in dieser Heide untersucht und auf den Steinen Eisen- und Zinkgehalte, aber sehr geringe Magnesium- die folgenden Krustenflechten festgestellt: Huilia (Leci- und Phosphatgehalte, die auf eine Störung des gesamten dea) crustulata (Ach.) Hertel, Huilia macrocarpa (DC.) Mineralstoffwechsels dieser ungenügend an Schwermetal- Hertel fo. tuberculosa, Huilia macrocarpa (DC.) Hertel fo. le angepassten Bäumchen hinweisen (Tab. 7). contigua, Huilia macrocarpa (DC.) Hertel fo. cineroatra, Trapelia (Biatora) coarctata (Sm. & Sowerby) Choisy, 3.3 Einfluss der ehemaligen Frankenscharrnhütte auf und Acarospora cf. scabrida Hedl. ex H. Magn. ihre Umgebung (51º46'N,10º17'E) Nach Schließung der Bleihütte im Jahr 1967 blieb die Die Erzschmelze Frankenscharrnhütte (südöstlich von Belastung des Bodens mit Blei und anderen Schwerme- Wildemann nahe Clausthal-Zellerferfeld) wurde um tallen als Umweltproblem weiter bestehen, während die Tab. 7. Mineralstoffkonzentrationen (Mittelwert ± Standardfehler [S.E.]) in Nadeln und jungen Zweigen von Fichten (Picea abies), die auf einem Boden mit unterschiedlichen Schwermetallgehalten im Haldenbereich von Wildemann wuchsen. Das Ma- terial wurde am 15.Mai 2003 gesammelt (ERNST, unveröffentlicht) Pflanzenteile Farbe Mineralstoffkonzentration in mg/ kg Trockenmasse Cd Cu Fe Mn Nadeln Bleichgelb 1.35 ± 0.11 11.8 ± 1.97 263.0 ± 30.7 183 ± 25.3 Hellgrün 1.57 ± 0.45 9.28 ± 2.99 79.9 ± 1.12 137 ± 4.94 Grün 1.24 ± 0.11 10.1 ± 1.46 65.3 ± 3.35 248 ± 31.9 Zweige Bleichgelb 1.46 ± 0.34 10.5 ± 2.67 165.0 ± 46.9 179 ± 40.7 hellgrün 1.24 ± 0.34 13.7 ± 1.40 255.0 ± 35.7 70.3 ± 13.7 Grün 1.24 ± 0.11 13.3 ± 1.33 141.0 ± 30.2 177 ± 13.7 Pb Zn P Mg Nadeln Bleichgelb 18.4 ± 2.28 592 ± 92.2 777 ± 68.1 425 ± 70.5 Hellgrün 14.7 ± 6.84 318 ± 6.54 712 ± 49.6 260 ± 4.86 Grün 12.4 ± 1.86 146 ± 28.8 1183 ± 46.5 545 ± 70.5 Zweige Bleichgelb 74.8 ± 3.73 512 ± 88.9 622 ± 92.9 399 ± 38.9 Hellgrün 88.5 ± 10.2 252 ± 24.2 938 ± 130.0 382 ± 43.8 Grün 18.2 ± 1.04 208 ± 19.0 880 ± 18.6 712 ± 7.29 Journal für Kulturpflanzen 61. 2009
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