Aspekte zur Surveillance von nosokomialen Infektionen im Rahmen von Krankenhausbegehungen durch das Gesundheitsamt

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Epidemiologisches Bulletin      15 | 2022      14. April 2022                                                   14

  Aspekte zur Surveillance von nosokomialen Infektionen
  im Rahmen von Krankenhausbegehungen durch das
  Gesundheitsamt

  Einleitung und Ziel                                           Treffen zur Lösung von möglichen Problemen mit
  Die Pflicht zur Surveillance von nosokomialen In-             dem jeweiligen Krankenhausbereich bzw. den Sta-
  fektionen (NI) ist in Deutschland im Infektions-              tionen durchzuführen, 32,2 % lieferten ein deskrip-
  schutzgesetz (IfSG) in § 23 festgelegt. Danach haben          tives Feedback in mündlicher oder schriftlicher
  die Leitenden von Krankenhäusern, Einrichtungen               Form und 1,1 % gaben an, gar kein jährliches Feed-
  für ambulantes Operieren und Vorsorge- und Reha-              back zu liefern. Da die Auseinandersetzung mit den
  bilitationseinrichtungen sicherzustellen, dass die            Surveillance-Daten ein entscheidender Hebel zur
  nach Absatz 4a durch das Robert Koch-Institut (RKI)           Optimierung von Infektionspräventionsmaßnah-
  festgelegten NI fortlaufend in einer gesonderten              men ist, sehen wir vor allem in diesem Bereich ei-
  Niederschrift aufgezeichnet und bewertet werden.              nen deutlichen Verbesserungsbedarf. Zudem ist an-
  Im Folgenden müssen sachgerechte Schlussfolge-                zunehmen, dass es für Krankenhäuser, die nicht an
  rungen hinsichtlich erforderlicher Präventionsmaß-            KISS teilnehmen, bei der Umsetzung der Surveil-
  nahmen gezogen und diese dem Personal mitgeteilt              lance als Kernkomponente der Infektionspräven­
  und umgesetzt werden. Während die in die Surveil-             tion eher schwieriger ist, strukturell ein vergleich-
  lance einzuschließenden NI vom RKI festgelegt                 bar hohes Niveau zu erreichen.
  werden, existieren keine verbindlichen Vorgaben
  zur Methode der Surveillance. Um hierbei die Ak-              Durch den Absatz 6 des § 23 IfSG wird das Gesund-
  teure insbesondere im stationären Bereich zu unter-           heitsamt legitimiert, die geforderten Maßnahmen
  stützen, wurden von der Kommission für Kranken-               zu überwachen. Die Veröffentlichung der neuen
  haushygiene und Infektionsprävention (KRINKO)                 KRINKO-Empfehlungen zur Surveillance von NI
  erstmals im Jahr 2001 Empfehlungen erarbeitet. Im             war daher Anlass für uns, durch konkrete Anregun-
  Jahr 2020 gab die KRINKO neue Empfehlungen                    gen Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesund-
  zur Surveillance von NI heraus, die die Empfehlun-            heitsdienstes (ÖGD) zu unterstützen, ihre wichtige
  gen aus dem Jahr 2001 ersetzen.1,2                            Rolle der Optimierung der Surveillance zu erfüllen.
                                                                So werden im vorliegenden Artikel für die Ärztin-
  Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt              nen und Ärzte des ÖGD Empfehlungen und Hin-
  die Durchführung einer NI-Surveillance zu den                 weise abgeleitet, was aus Sicht des Nationalen Refe-
  Kernkomponenten eines Infektionspräventions­                  renzzentrums (NRZ) für die Surveillance von NI für
  programms.3 Aghdassi et al. erhoben in 736 am                 diese Überwachung in Krankenhäusern beachtet
  Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS)             werden sollte.
  teilnehmenden Krankenhäusern in Deutschland
  mit Hilfe eines Bewertungstools der WHO u. a. die
  Situation zur Surveillance.4 Das Ergebnis zeigte ein          Umsetzung des IfSG und Prävention
  hohes Niveau der vorhandenen Strukturen zur In-               von NI
  fektionsprävention (85 % erreichten ein fortgeschrit-         In Deutschland haben Krankenhäuser die Möglich-
  tenes Niveau). Kein Krankenhaus zeigte eine inad-             keit, sich für die Surveillance von NI aktiv am KISS
  äquate Situation. Allerdings zeigten sich auch                zu beteiligen. Mit einer solchen Teilnahme sind ei-
  Defizite, insbesondere in der Rubrik Feedback von             nige Verpflichtungen verbunden (u. a. verpflichten-
  Surveillance-Ergebnissen. Nur 66,7 % der befragten            de Anwendung der Methodik, regelmäßige Daten-
  Krankenhäuser gaben an, ein jährliches Feedback               übermittlung, Teilnahme an Qualitätssicherungs-
  mit Hilfe von Datenpräsentationen und interaktiven            maßnahmen). Dafür bietet die Teilnahme aber auch
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  Vorteile (u. a. Schulungsveranstaltungen, kostenlose           In welchen Bereichen sollte eine Surveillance
  Dokumentations- und Auswertungs-Software, Be-                 durchgeführt werden?
  reitstellung von Vergleichswerten). Alternativ ist es
                                                                 Mögliche Umsetzung/Fokus Ergänzende/Alternative Ansätze
  möglich, die KISS-Methode ohne eigene Beteili-                 ▶▶ Intensivstationen           ▶▶ Bereiche mit hohen Infektions­
  gung am KISS anzuwenden. Hierdurch fallen die                  ▶▶ Frühgeborenenstationen         raten in der Vergangenheit
                                                                 ▶▶ Hämatologisch-                 (z. B. Ausbrüche)
  verpflichtenden Voraussetzungen weg, allerdings                   onkologische Stationen      ▶▶ Bereiche mit beobachteten Feh­-

  können aber auch einige Vorteile einer KISS-Teil-              ▶▶ operative Bereiche             lern im Hygienemanagement
                                                                                                ▶▶ Bereiche mit großem Interesse an
  nahme nicht genutzt werden.                                                                      der Surveillance von NI

  Da weder die Teilnahme am KISS noch die Orientie-             Erläuterung
  rung an der KISS-Methode verpflichtend sind, ha-              Ohne elektronische Unterstützung beim Auffinden
  ben wir im Folgenden Vorschläge erarbeitet, welche            möglicher Infektionsereignisse wird es in vielen
  Punkte bei der Begehung durch Mitarbeiterinnen                Krankenhäusern nicht möglich sein, alle NI in allen
  und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes Hinweise für             Bereichen des Krankenhauses zu erfassen. Deshalb
  eine sinnvolle Umsetzung des § 23 liefern können.             ist es in den meisten Krankenhäusern sinnvoll, Prio­
                                                                ritäten zu setzen. Dabei bietet es sich an, die Surveil-
  Dabei sollte es nicht darum gehen, die formale Um-            lance auf die Bereiche zu konzentrieren, in denen
  setzung der Vorgaben zu überprüfen. Ziel ist es,              besonders viele NI auftreten können (z. B. auf Inten-
  eine Surveillance zu etablieren, wodurch Rück-                sivstationen), oder Bereiche, in denen besonders vul-
  schlüsse aus den Surveillance-Daten zur Qualitäts-            nerable Patientinnen und Patienten behandelt wer-
  sicherung herangezogen werden können und so zu                den, welche bei Auftreten von NI ein hohes Risiko
  einer Reduktion von NI führen. Hierzu brauchen                für Komplikationen haben (z. B. Frühgeborenen-
  Krankenhäuser Hinweise, wie durch schrittweise                oder hämatologisch-onkologische Stationen).
  Adaptationen im Laufe der Zeit ein weitgehend op-
  timaler Surveillance-Ansatz erreicht werden kann.             Es ist aber auch sinnvoll, eine Surveillance in Berei-
                                                                chen mit bisherigen Problemen zu beginnen (Aus-
                                                                brüche oder beobachtete Fehler im Hygiene­
  Checkliste für die Begehung                                   management). In Krankenhäusern ohne bisherige
  durch das Gesundheitsamt                                      Surveillance-Erfahrung ist es auch möglich, in Be-
  Zu diesem Zweck wurde eine Checkliste entwickelt              reichen mit einem großen Interesse an Surveillance
  und es wird auf bewährte Umsetzungsmöglichkeiten              zu beginnen anstatt in Bereichen, die eher ableh-
  sowie auf deren Bewertung eingegangen. Die Check-             nend reagieren. So können zunächst Erfahrungen
  liste gliedert sich in 10 relevante Fragestellungen.          gesammelt werden, bevor man mit schwierigeren
   In welchen Bereichen sollte eine Surveillance               Bereichen beginnt.
      durchgeführt werden?
   Welche Infektionsarten werden eingeschlossen?               Darüber hinaus ist es möglich, einige NI, die mit ge-
   Sollte das Krankenhaus die KISS-Definitionen                ringem Aufwand oder computergestützt im gesam-
      für NI verwenden?                                         ten Krankenhaus erfasst werden können, in die Sur-
   Sollte das Krankenhaus die Surveillance-                    veillance einzubeziehen, z. B. Clostridioides difficile-­
      Protokolle von KISS anwenden?                             Infektionen (CDI).
   Wer erfasst die Infektionen?
   Wie werden die Daten bewertet?                               Welche Infektionsarten werden eingeschlossen?
   Wer bekommt die Daten?
                                                                 Erwartete Umsetzung                    Ergänzende Ansätze
   Wie erfolgt das Feedback?                                    ▶▶ Postoperative Wundinfektionen       ▶▶ Meningitis/Ventrikulitis
   Werden aus den Ergebnissen Maßnahmen                            in operativen Bereichen                in Bereichen mit
                                                                 ▶▶ Device-assoziierte Blutstrom­          Ventrikeldrainagen
      abgeleitet?                                                   infektionen, Atemwegs­-             ▶▶ Mit peripheren Venenkathe-

   Werden Präventionsziele festgelegt, deren                       infek­tionen, Harnwegsinfektionen      tern (PVK) assoziierte
                                                                    auf Intensivstationen oder             Einstichstelleninfektionen
      Umsetzung mit Hilfe von Surveillance-                         in anderen Bereichen                ▶▶ Influenza

                                                                 ▶▶ CDI                                 ▶▶ Norovirus-Infektionen
      Daten überprüft wird?
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  Erläuterung                                                            Sollte das Krankenhaus die Surveillance-
  Entsprechend den Vorgaben des RKI soll das Kran-                      Protokolle von KISS anwenden?
  kenhaus folgende Infektionsarten einschließen:
                                                                        Mögliche Umsetzung                Alternative Ansätze
  Postoperative Wundinfektionen, katheterassoziierte                    ▶▶   ITS-KISS, STATIONS-KISS,     ▶▶   Entwicklung eines eigenen
  Harnwegsinfektionen, beatmungsassoziierte Pneu-                            OP-KISS, NEO-KISS,                Surveillance-Protokolls, z. B. für
                                                                             ONKO-KISS, CDI-KISS               transplantierte Patientinnen/
  monien, katheterassoziierte Blutstrominfektionen,                                                            Patienten oder Kunstherzpatien-
  CDI.5 Diese nosokomialen Infektionsarten umfas-                                                              tinnen/-patienten
  sen den größten Anteil der NI und sind überwie-
  gend mit erheblicher Morbidität assoziiert.                           Erläuterung
                                                                        Das KISS-System bietet für verschiedene NI-Arten
  Unter Umständen kann es aber auch sinnvoll sein,                      für fünf verschiedene Bereiche bzw. Patientinnen
  andere NI-Arten in den Fokus der Surveillance zu                      und Patienten (Intensivstationen, Normalstationen,
  nehmen. Beispiele hierfür sind Infektionen, die dem                   operative Bereiche, Frühgeborene und hämatolo-
  Krankenhaus in der Vergangenheit Probleme berei-                      gisch-onkologische Patientinnen/Patienten) KISS-
  tet haben (etwa Norovirus-Infektionen) oder sehr                      Module an.9 Darüber hinaus existiert ein Surveil­
  schwerwiegende Infektionen. Beispielsweise ist auf                    lance-­Modul für die krankenhausweite Surveillance
  neurochirurgischen Intensivstationen die Inzidenz                     von CDI. Die spezifischen Surveillance-­Methoden
  der Ventrikeldrainage-assoziierten Meningitis/Ven­                    der jeweiligen Module sind in den KISS-Protokollen
  tri­kulitis häufig höher als die beatmungsassoziierte                 festgelegt. Diese sind öffentlich verfügbar. Der gro-
  Pneumonierate.6                                                       ße Vorteil der Anwendung der KISS-Protokolle ist,
                                                                        dass die Methode durch Surveillance-Expertinnen
   Sollte das Krankenhaus die KISS-Definitionen                        und Experten entwickelt wurde. Aktiven KISS-Teil-
  für NI verwenden?                                                     nehmerinnen und -Teilnehmern werden zudem die
                                                                        protokollarisch festgelegten Methoden zentral ver-
   Mögliche Umsetzung         Alternative Ansätze
                                                                        mittelt. Zudem existiert eine Daten­eingabe-Platt­
   ▶▶   Anwendung der KISS-   ▶▶   Verwendung anderer/eigener
        Definitionen               Definitionen                         form (webKess): Nach Dateneingabe können so je-
                                                                        derzeit die aktuellen Infektions­raten abgerufen und
  Erläuterung                                                           mit aggregierten Daten anderer Krankenhäuser ver-
  Die Verwendung von KISS-Definitionen hat den                          glichen werden.
  Vorteil, dass sie allgemein anerkannt sind und das
  Surveillance-Personal erwarten kann, dass die mit                     Trotz der großen Vielfalt decken die KISS-Module
  Hilfe dieser Definitionen erfassten NI als solche ak-                 aber nicht alle Patientinnen- und Patientengruppen
  zeptiert werden. Darüber hinaus wird Surveillance-                    und NI-Arten ab, so dass es ggf. nützlich sein kann,
  Personal mit aktiver Beteiligung am KISS in der An-                   eigene Surveillance-Protokolle zu entwickeln, bei-
  wendung der KISS-Definitionen in Einführungs-                         spielsweise für die Surveillance von NI bei trans-
  kursen geschult und die richtige Anwendung der                        plantierten Patientinnen/Patienten oder Kunstherz-
  Definitionen regelmäßig trainiert.7                                   patientinnen und -patienten.10

  Manchmal ist es sinnvoll, die KISS-Definitionen zu                     Wer erfasst die Infektionen?
  modifizieren oder andere Definitionen zu entwi-
                                                                        Mögliche Umsetzung        Ergänzende/Alternative Ansätze
  ckeln, die beispielsweise die spezifischen Diagnos­                   ▶▶   Hygienefachkräfte    ▶▶   Hygienebeauftragte Ärztinnen und Ärzte
  tik­möglichkeiten einer Abteilung besser berücksich­                                            ▶▶   Interessierte andere Ärztinnen und Ärzte
                                                                                                       der jeweiligen Bereiche
  tigen. Auch im Rahmen der Entwicklung einer au-
  tomatischen Surveillance kann es nützlich sein, die
  Definitionen anzupassen, um den Arbeitsaufwand                        Erläuterung
  für die Surveillance zu reduzieren und dadurch mit                    Die Durchführung der Surveillance von NI gehört
  demselben Zeitaufwand mehr Bereiche bzw. Infek-                       zu den originären Arbeitsaufgaben von Hygiene-
  tionsarten einschließen zu können.8                                   fachkräften.11 Die Erfassung durch Hygienefach-
                                                                        kräfte hat den Vorteil, dass sie Expertinnen und Ex-
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  perten auf dem Gebiet der Infektionsprävention                 Wie werden die Daten bewertet?
  sind und objektiv an die Einstufung potenzieller In-
                                                                Mögliche Umsetzung                            Alternative Ansätze
  fektionsereignisse als NI herangehen, da sie nicht
                                                                ▶▶   Entwicklung der NI-Raten über die Zeit   ▶▶   Nur Entwicklung der
  selbst in den Behandlungsprozess des jeweiligen                    und Orientierung an Referenzdaten             NI-Raten über die Zeit
  Bereiches eingebunden sind. Außerdem können sie
  die Infektionserfassung prospektiv durchführen,               Erläuterung
  was viele Vorteile im Hinblick auf die Erfassungs-            In jedem Fall sollen die Surveillance-Daten über die
  qualität hat.                                                 Zeit bewertet werden, um Trends und Veränderun-
                                                                gen zu erkennen. Unabhängig von solchen zeitli-
  In manchen Krankenhäusern führen aber auch                    chen Veränderungen ist es möglich, dass die NI-
  ­hygienebeauftragte oder andere interessierte Ärztin-         Raten einer Station oder eines Bereiches insgesamt
   nen und Ärzte der jeweiligen Bereiche die Surveil-           deutlich über dem Niveau von Vergleichsdaten lie-
   lance durch, was ebenfalls gewünscht ist.                    gen. Somit haben die Referenzdaten der verschiede-
                                                                nen KISS-Module eine wichtige Funktion bei der
  Voraussetzung für die aktive Teilnahme an KISS ist            Stimulation von zusätzlichen Präventionsmaßnah-
  ein Einführungskurs zum Training der KISS-Defi-               men.
  nitionen und -Methode und die regelmäßige Teil-
  nahme an Trainingskursen zur Evaluation der An-               Sofern ein selbst entwickeltes Surveillance-Protokoll
  wendung der Definitionen.                                     verwendet wird, kann aufgrund der fehlenden Refe-
                                                                renzdaten nur eine Bewertung im zeitlichen Verlauf
  Je nach Größe der Station oder des Bereiches und              erfolgen. Aber auch das kann durchaus infektions-
  der Menge der in den Fokus der Surveillance ge-               präventiv nützlich sein.
  nommenen Infektionen können Hygienefachkräfte
  eine sehr unterschiedliche Anzahl von Bereichen                Wer bekommt die Daten?
  „unter Surveillance“ nehmen. In der Regel sind
                                                                Mögliche Umsetzung                                 Alternative Ansätze
  zwei Stationen oder Bereiche gut zu leisten (ca.              ▶▶ Ärztliche und pflegerische Leitung des          ▶▶   Ausgewählte
  4 – 6  h Aufwand pro Woche). Einen erheblichen                   Bereiches oder der Station                           Gruppen davon
                                                                ▶▶ Alle ärztlichen und pflegerischen
  Einfluss hat in diesem Kontext natürlich der Grad                Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des
  der Digitalisierung des Krankenhauses, der die Ar-               Bereiches oder der Station
                                                                ▶▶ Ärztliche Direktion des Krankenhauses
  beitsbelastung deutlich reduzieren kann. In Zu-
  kunft wird daher angestrebt, zumindest für be-
  stimmte Infektionsarten eine automatische Surveil-            Erläuterung
  lance zu erreichen. Auch semiautomatische Sur-                Die Ergebnisse der Surveillance sollten möglichst
  veillance-Ansätze sind in Entwicklung. Hier werden            vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der jewei-
  auf der Basis von Befundkonstellationen mögli-                ligen Station bzw. des jeweiligen Bereiches vorge-
  cherweise nosokomial infizierte Patientinnen und              stellt werden. Das ist relevant, um geeignete Vor-
  Patienten herausselektiert und die Hygienefach-               schläge für Interventionsmaßnahmen zu entwi-
  kraft muss nur noch für diese Untergruppe von Pa-             ckeln und um für die Implementierung der Maß-
  tientinnen und Patienten entscheiden, ob eine In-             nahmen viele Unterstützende zu gewinnen. Auch
  fektion vorliegt. Hierdurch kann der Arbeitsauf-              im Sinne der Transparenz sollten viele Mitarbei­
  wand bereits deutlich reduziert werden. Insbeson-             terinnen und Mitarbeiter informiert werden.
  dere auch die Nennerdaten zur Berechnung der
  Infektionsraten (z. B. Anzahl der Kathetertage, Be-           Mindestens informiert werden müssen die ärztli-
  atmungstage oder Information zu den operierten                chen Leiterinnen und Leiter der Station oder des Be-
  Patientinnen und Patienten) sollten möglichst au-             reiches.
  tomatisch durch die IT-Abteilung des Krankenhau-
  ses bereitgestellt werden.
Epidemiologisches Bulletin                   15 | 2022            14. April 2022                                                                        18

   Wie erfolgt das Feedback?                                                      Erläuterung
                                                                                   Die Ärztinnen und Ärzte des ÖGD sollten gerade
   Mögliche Umsetzung                           Alternative Ansätze
                                                                                   bei diesem Punkt intensiv nachfragen, welche Kon-
   ▶▶ Schriftlicher Bericht, möglichst mit      ▶▶   Eines von beiden
      Tabellen und Abbildungen und                                                 sequenzen sich z. B. aus hohen Infektionsraten er-
   ▶▶ Präsentation der Daten vor den
                                                                                   geben und ob entsprechende Maßnahmen bereits
      Mitarbei­terinnen und Mitarbeitern
      inklusive Diskussion                                                         eingeleitet wurden. Zum Beispiel kann man sich er-
                                                                                   kundigen, ob eine Teambesprechung stattgefunden
  Erläuterung                                                                      hat, die diese Auffälligkeit thematisiert hat, wer da-
  Je attraktiver die Form des Feedbacks der Daten,                                 ran beteiligt war, welche Konsequenzen bzw. Anpas-
  desto höher ist in der Regel das Interesse, sich mit                             sungen sich daraus ergeben haben, wie diese Ände-
  den Daten auseinanderzusetzen und an der Verbes-                                 rungen kommuniziert wurden und ob bzw. wie die
  serung der Infektionsraten zu arbeiten. Ein schrift-                             Umsetzung kontrolliert wird. Ggf. kann man ein
  licher Bericht an die Leiterinnen und Leiter der Sta-                            Protokoll einer solchen Besprechung erbitten und
  tion oder des Bereiches ist das Minimum für das                                  sich daraus die Festlegung geeigneter Maßnahmen
  Feedback. Viel besser ist es allerdings, die Daten vor                           zeigen lassen.
  möglichst vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
  der Station oder des Bereiches vorzustellen. Die Prä-                             Werden Präventionsziele festgelegt,
  sentation mit Grafiken ermöglicht, die Situation der                             deren Umsetzung mit Hilfe von Surveillance-
  eigenen Station oder des eigenen Bereiches im Ver-                               Daten überprüft wird?
  gleich zu anderen schnell zu erfassen und sollte da-
                                                                                    Mögliche Umsetzung                       Ergänzende/Alternative Ansätze
  her Anwendung finden.                                                             ▶▶   Protokollierte Präventions­-        ▶▶   Prozessqualitätsziele,
                                                                                         ­ziele im Falle hoher                    z. B. 80 % Händehygiene-
                                                                                          Infek­tions­raten, z. B. Senkung        Compliance oder Reduzierung
  Bei auffälligen Daten bzw. wenn hohe Infektionsra-                                      der Blutstrominfektionsrate             der device-Anwendung
  ten nicht erklärt werden können, kann das Hygiene-                                      um XY %                                 (device-Anwendungsrate)
  personal z. B. anbieten, für kurze Zeit auf der Station
  mitzuarbeiten, um mögliche Fehler beim Verhalten                                 Erläuterung
  oder in Prozessabläufen zu identifizieren. Auch for-                             In Deutschland ist es bisher in den meisten Kran-
  male Beobachtungen zur Ermittlung der Compliance                                 kenhäusern noch nicht üblich, sich klare Präven­
  bei der Umsetzung bestimmter Standardarbeitsan-                                  tionsziele, z. B. für das kommende Jahr zu setzen.12
  weisungen können hilfreich sein. Eine Hospitation                                In der Regel wird eher passiv auf das Auftreten von
  in anderen vergleichbaren Einrichtungen ist eben-                                Infektionsproblemen reagiert. Ein gezielter proakti-
  falls geeignet, um Anregungen für das eigene Kran-                               ver Ansatz ist aber sinnvoll, um wirklich eine hohe
  kenhaus zu erhalten. Möglicherweise können die                                   Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Präventions-
  Ärztinnen und Ärzte des ÖGD hier sogar vermitteln.                               ziel zu legen und möglichst viele Mitarbeiterinnen
                                                                                   und Mitarbeiter der Station oder des Bereiches ein-
  Auch im Falle sehr niedriger Infektionsraten muss                                zubinden. Am Ende des Jahres sollte kritisch evalu-
  sich die Station oder der Bereich mit den Daten aus-                             iert werden, ob das Ziel erreicht wurde bzw. welche
  einandersetzen und kontrollieren, ob es nicht eine                               alternativen Ansätze verfolgt werden könnten.
  Untererfassung durch Diagnostikprobleme oder                                     Ärztin­nen und Ärzte des ÖGD haben beim Vorhan-
  fehlende Aufmerksamkeit für das Thema gibt.                                      densein solcher Ziele auch eine gute Möglichkeit,
                                                                                   Einfluss auf die Prozessqualität in den durch sie be-
   Werden aus den Ergebnissen Maßnahmen                                           treuten Krankenhäusern zu legen.
  abgeleitet?

   Mögliche Umsetzung                  Alternative Ansätze
                                                                                   Was sollten Amtsärztinnen und -ärzte
   ▶▶ Veränderungen in Prozess­
      abläufen
                                       ▶▶ Überprüfung der Diagnostik
                                       ▶▶ Stopp des Angebotes
                                                                                   noch tun?
   ▶▶ Erhöhung der Compliance bei         bestimmter Operationen oder              In vielen Krankenhäusern könnten wesentlich
      Umsetzung existierender             Behandlungen
      Standardarbeitsanweisungen
                                                                                   mehr Bereiche bzw. Infektionsarten in die Surveil-
                                                                                   lance einbezogen werden, wenn der Zugang zu Pa-
Epidemiologisches Bulletin     15 | 2022     14. April 2022   19

  tientinnen- und Patientendaten, mikrobiologischen
  und anderen Befunden für die Hygienefachkräfte
  bzw. andere mit dieser Aufgabe betraute Mitarbei­
  terinnen und Mitarbeiter einfach und niederschwel-
  lig ist. Amtsärztinnen und -ärzte können auch hier
  unterstützen, indem sie den Krankenhausleitungen
  die Notwendigkeit dieser Aufgabe und die Rolle der
  Digitalisierung sowie der IT-Abteilung in diesem
  Prozess vor Augen führen und um Unterstützung
  für das Hygienefachpersonal bitten.

  Was sollte vermieden werden?
  Eine Interpretation der eigentlichen Surveillance-
  Ergebnisse eines Krankenhauses durch externe Per-
  sonen ist mit Vorsicht zu genießen. Denn es ist
  schwierig, alle Besonderheiten der Patientinnen-
  und Patientengruppen sowie der diagnostischen
  Randbedingungen ausreichend zu berücksichtigen.
  Amtsärztinnen und -ärzte sollten sich daher vor al-
  lem auf die Umsetzung des Surveillance-Prozesses
  konzentrieren. Hierzu kann die vorgestellte Check-
  liste hilfreich sein.

  Zusammenfassung
  Amtsärztinnen und -ärzte sollten während ihrer
  jährlichen Krankenhausbegehungen die Möglich-
  keit nutzen, durch gezielte Fragen und Kontrollen
  die Surveillance von NI zu unterstützen. Damit wer-
  den die Tätigkeiten des verantwortlichen Hygiene-
  fachpersonals sichtbarer und die Einzelschritte der
  Infektionsprävention (Surveillance  Analyse 
  Intervention  erneute Surveillance) nachvollzieh-
  barer. Erfolge bei der Infektionsprävention können
  dadurch transparent werden und weitere Aktivitä-
  ten zur Infektionsprävention nach sich ziehen.
Epidemiologisches Bulletin         15 | 2022       14. April 2022                                                      20

  Literatur                                                         10 Mattner F, Chaberny I, Mattner L, Gastmeier P,
  1   Kommission für Krankenhaushygiene und Infek­                     Teßmann R, Stüber M. Infektionsprävention und
      tionsprävention (KRINKO). Surveillance von noso­                 -surveillance bei Kunstherzpatienten.
      komialen Infektionen. Empfehlung der Kommission                  Der Anästhesist. 2007;56:429-36.
      für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention
                                                                    11 Anonym. Personelle und organisatorische Voraus-
      (KRINKO) beim Robert Koch-Institut. Bundes­
                                                                       setzungen zur Prävention nosokomialer Infektionen.
      gesundheitsbl. 2020;63:228-41.
                                                                       Bundesgesundheitsbl. 2009;52:951-62.
  2 Kommission für Krankenhaushygiene und Infek­                    12 Hansen S, Schwab F, Gropmann A, Behnke M,
      tionsprävention (KRINKO). Mitteilungen der Kom-                  Gastmeier P, PROHIBIT Consortium. Hygiene und
      mission für Krankenhaushygiene und Infektions-                   Sicherheitskultur in deutschen Krankenhäusern.
      prävention zur Surveillance (Erfassung und Bewer-                Bundesgesundheitsbl. 2016;59:908-15.
      tung) von nosokomialen Infektionen (Umsetzung
      von § 23 IfSG. Bundesgesundhbl. 2001;44:523-36
                                                                    Autorinnen und Autoren
  3 Guidelines on core components of infection pre-
                                                                    Prof. Dr. Petra Gastmeier | Prof. Dr. Christine Geffers
      vention and control programmes at the national
      and acute health care facility level. World Health            Institut für Hygiene und Umweltmedizin,
      Organization. https://www.who.int/publications/i/             Charité-Universitätsmedizin Berlin, und
      item/9789241549929                                            Nationales Referenzzentrum für die Surveillance
                                                                    von nosokomialen Infektionen
  4 Aghdassi S, Hansen S, Bischoff P, Behnke M,
                                                                    Korrespondenz: petra.gastmeier@charite.de
      Gastmeier P. A national survey on the implemen­
      tation of key infection prevention and control struc-
      tures in German hospitals: results from 736 hospi-            Vorgeschlagene Zitierweise
      tals conducting the WHO Infection Prevention and              Gastmeier P, Geffers C: Aspekte zur Surveillance von
      Control Assessment Framework (IPCAF).                         nosokomialen Infektionen im Rahmen von Kranken-
      Antimicrob Resist Infect Control. 2019:May 8;73.              hausbegehungen durch das Gesundheitsamt
      doi: 10.1186/s13756-019-0532-4.
                                                                    Epid Bull 2022;15:14-20 | DOI 10.25646/9886
  5 Anonym. Surveillance nosokomialer Infektionen
      sowie die Erfassung von Krankheitserregern mit                Interessenkonflikt
      speziellen Resistenzen und Multiresistenzen.                  Die Autorinnen erklären, dass keine Interessen­
      Bundesgesundheitsbl. 2013;56:580-83.                          konflikte vorliegen.
  6 Bischoff P, Schröder C, Gastmeier P, Geffers C.
      Surveillance of external ventricular drainage-
      associated meningitis and ventriculitis in German
      intensive care units. Infect Control Hosp
      Epidemiol. 2020;41:452-7.

  7 Schröder C, Behnke M, Gastmeier P, Schwab F,
      Geffers C. Case vignettes to evaluate the accuracy
      of identifying healthcare-associated infections by
      surveillance persons. J Hosp Infect. 2015;90:322-26.

  8 van Mourik M, Perencevich E, Gastmeier P,
      Bonten M. Designing Surveillance of Healthcare-
      Associated Infections in the Era of Automation and
      Reporting Mandates. Clin Infect Dis. 2018;66:970-6.

  9 Nationales Referenzzentrum für die Surveillance
      von nosokomialen Infektionen.
      http://www.nrz-hygiene.de.
Sie können auch lesen