AUF DEM HIGHWAY DER VULKANE
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Äolische Inseln Auf dem Highway der Vulkane Bergsteigerisch betrachtet mögen die Gipfel der Äolischen Inseln eher zweite Wahl sein. Dafür bieten Schwefelfumarolen, donnernde Eruptionen und glühende Lavabrocken faszinierende Knalleffekte beim Wandern. Text und Fotos von Norbert Eisele-Hein 88 DAV 5/2015
Äolische Inseln reportage Höllenspektakel auf Stromboli – im 20-Minuten-Takt fräsen glühende Lavabrocken brennende Schneisen durch das Dunkel. verlaufen und im dritten Monat wieder gewisse Etwas haben. Alicudi, der Außen- ausgespien mit der Lava.“ In Jules Vernes posten, kein einziges Auto, eine Handvoll bereits 1864 erstmals veröffentlichtem Maulesel erledigt nötige Transporte. Ein- Bestseller „Reise zum Mittelpunkt der same Wanderer bekommen hier das per- Erde“ führt der Bergführer Hans den fekte Cyber-Detox-Programm gratis. Fili- Hamburger Geologie-Professor und sei- cudi hat immerhin schon eine Straße. Auf nen Neffen über die spaltendurchzogene den mittelalterlichen Steintreppenwegen Eiskappe des Stratovulkans Snaefellsness herrscht garantiert kein alpiner Rummel. in das Erdinnere, um durch den Krater des Das fruchtbare Salina mit seinen beiden Stromboli wieder an die Erdoberfläche zu Gipfeln, die knapp an der Tausend-Me- kommen. Utopisch, grotesk und herzerfri- ter-Marke schrammen. Das mondäne und schend komisch ist Vernes berühmtes teure Panarea, wo Mailänder Multis und rö- Werk. Dennoch folgen seine Helden einer mische Industrielle gerne mit der Hummer- technisch-konkreten Fantasie, basiert das zange hantieren. Lipari – die Hauptinsel: Abenteuer zumindest geografisch auf so- Badebuchten mit türkis glitzerndem Was- liden Fakten. Literarisch so hochkarätig ser bei Punta Sparanello, Thermen bei San geködert stand immer schon fest – da Calogero und dann die Altstadt mit ihren musst du mal hin! verwinkelten Gassen. Direkt darüber thront Szenenwechsel: „Seit neun Jahren ma- das Castello auf einem 60 Meter hohen La- che ich jedes Jahr zwei Monate Urlaub auf vafelsen mit einem überragenden Tiefblick Stromboli und führe täglich auf diesen auf den alten Hafen, die Marina Corta. Wild Feuerspucker. Die donnernden Eruptio- nen, das Brodeln der Lava – wahrschein- lich leide ich am Vulkanvirus“, philoso- Sieben Inseln – sieben bild phiert der 51-jährige Ugo Pegurri lauthals lachend. Ugo ist staatlich geprüfter Berg- hübsche Schwestern, die alle führer. Er durchstieg die Matterhorn- das gewisse Etwas haben. Nordwand, kletterte über den Biancograt, D führte Eistouren im Himalaya und in den ove siamo?, „Wo sind wir?“, frag- Anden ... ob Vulkane tatsächlich Suchtpo- mit den Armen rudernd diskutieren dort te der skurrile, rußverschmierte tenzial haben? wettergegerbte Fischer lautstark über den Professor Lidenbrock den völ- Doch alles der Reihe nach: Sieben Perlen Papst, Fußball und natürlich den wie im- lig verängstigten Hirtenjungen. funkeln nördlich von Sizilien im Tyrrheni- mer viel zu mickrigen Fang. Lipari hat den „Stromboli“, heulte dieser und lief den Kra- schen Meer – die Äolischen Inseln. Sieben geschäftigen Charme einer Metropole, ob- terrand hinunter. „Oh Stromboli“, rief bildhübsche Schwestern, die unterschied wohl es nur rund 15.000 Einwohner hat. Axel, „oh wunderbare Reise! [...] verloren, licher nicht sein könnten und doch alle das Mit 37,5 Quadratkilometern ist sie die DAV 5/2015 89
Äolische Inseln (Liparische Inseln) Alicudi, Filicudi, Salina, Panarea, Stromboli, noch mit zugelassenen Guides möglich. Die Lipari und Vulcano sind ganzjährig mit zahlreichen Bergführerbüros führen täglich Schnellbooten (Aliscafi) und Fährschiffen Wandergruppen zum Sonnenuntergang auf (Traghetti) von Milazzo, Sizilien und Neapel den Gipfel. Preis: € 25,- inkl. Helm. Ordentli- (erheblich weiter) zu erreichen. che Taschenlampe nicht vergessen. Beste Reisezeit: Optimale Reisezeit ist im magmatrek.it; stromboliadventures.it Frühling, aber ganzjährig möglich. Im Winter Der Aufstieg kann auch von Lipari oder werden viele Fährverbindungen aufgrund der Vulcano aus im Paket gebucht werden, Stürme gestrichen. diverse Veranstalter gibt es jeweils im Hafen. Anreise: Fototipp: Für eindrucksvolle Nachtaufnah- Zug: Mit dem Nachtzug nach Neapel und men der Eruptionen benötigt man Stativ und weiter mit der Autofähre nach Lipari (zweimal Draht- oder Fernauslöser (man kann sich wöchentlich, Dauer: ca. 10 Std.) auch mit dem Selbstauslöser behelfen). Blitz unbedingt ausschalten. Am besten klappt es Flug: Mit dem Flugzeug nach Neapel und auf mit der B-Funktion und einer Teleoptik mit die Fähre oder nach Catania und weiter mit mindestens 85 mm Brennweite. Zug oder Bus nach Milazzo (3 Std.). Von dort mit den Fähren oder Tragflächenbooten auf die Reiseveranstalter: Hauser Exkursionen Inseln (in der Saison mehrmals täglich, Fahr- bietet eine Vulkanreise vom Vesuv zum Ätna zeit nach Stromboli mit der Autofähre 7 Std., inkl. Vulcano und Stromboli an: Zwei Wochen mit dem Aliscafo 2,5 Std.). Fähren vor Ort: inkl. Flug, Bergführer, Halbpension zum Preis usticalines.it; siremar.it von € 2495,-, hauser-exkursionen.de Unterkünfte: In den Häfen warten meist Der DAV Summit Club bietet eine achttägige schon Einheimische, die günstige Privatzim- Wanderreise auf den Liparischen Inseln mit mer anbieten (ab € 25,- bis € 60,-/DZ), Standorthotel auf Lipari. Im Preis inbegriffen: liparische-inseln.net Betreuung durch Kultur- und Bergwander führer, Flug ab/bis Deutschland nach Catania, Lipari: B&B Diana Brown, dianabrown.it Fährfahrten und Transfers lt. Detailprogramm, Vulcano: vulcanoresidencelepalme.it 7 x Hotel *** im DZ inkl. Halbpension, Stromboli: B & B, Il Giardino Segreto, Vulkanführer auf Stromboli. giardinosegretobb.net; Boutique-Hotel Termine: 29.5.16 / 16.10.16 ab € 1190,-, Barbablu, barbablu.it dav-summit-club.de /ITLIP Stromboli: Der Aufstieg zum Stromboli ist Reiseführer: Thomas Schröder, Liparische seit den schwereren Ausbrüchen 2003 nur Inseln, Michael Müller Verlag, € 16,90. größte der sieben Äolischen Inseln. Ein me- insel Vulcano. Exakt hier befindet sich Ho- geachtet wurde, stieg Aiolos als Windgott diterranes Wanderparadies, lohnend und mers Sagen zufolge die Schmiede des anti- in den Olymp auf. Nachzulesen ist dies we- zeitsparend ist eine Rundtour mit dem ken Waffenschiebers Hephaistos, den die sentlich ausführlicher im zehnten Gesang Leihrad. Ein Muss ist der Blick vom „Bel- Römer später Vulcano nannten. Mitten auf von Homers Odyssee. vedere Quattrocchi“, einem Aussichts- dem den gesamten Erdball umspannenden Die Überfahrt mit dem Tragflächenboot punkt, bei dem sich der Betrachter tatsäch- „Ring of Fire“, dem Gürtel der Vulkane. In zu Vulcanos Porto di Levante dauert gerade lich ein zweites Augenpaar wünscht. Aus vielen Büchern und Karten werden die Äo- einmal 15 Minuten. Der Weg zum Großen 200 Meter Höhe fällt der Blick über Agaven, lischen Inseln auch Liparische Inseln ge- Krater führt zunächst direkt durch die Ort- blühende Kakteen und Zistrosen auf jäh nannt. Ein Namensstreit, dessen Ursprung schaft und schraubt sich dann in weiten abstürzende Klippen und frei in der Bran- weit in die Antike zurückreicht: Liparos Serpentinen gemach auf Lavasand empor. dung stehende Felstürme, die „Faraglioni“. war der Anführer der Ausonier, die etwa Schon in einer der ersten Kurven gibt es in Der Legende nach stellen sie die beiden 1200 vor Christus den Archipel zu ihrer einer kleinen, mit Schilfrohren abgeschatte- Finger des zu Stein erstarrten Windgottes Heimat machten. Knappe vier Jahrhunder- ten Laube frisch gepressten Orangensaft für Aiolos dar. Der göttliche Blick endet unwei- te später tauchte Aiolos, ein Königssohn durstige Kehlen. Der Weg wird zu einem gerlich im 391 Meter hohen „Cran Cratere“, aus Metapont, auf und heiratete Kyane, die welligen Pfad an der Kraterwand, nach ei- dem monumentalen Krater der Nachbar Tochter des Liparos. Weil er vom Volk sehr ner knappen Stunde Aufstieg ist der optisch 90 DAV 5/2015
Äolische Inseln reportage einem Weinkelch gleichende Rand des Kra- ters erreicht. Die gigantischen 500 Meter Durchmesser, das Farbenspiel der zischen- den Schwefelfumarolen mit ihren giftig-gel- ben Chloridkrusten und das herausragende Panorama auf die umliegende Inselwelt sind jede Strapaze wert. Wieder im Hafen verheißt das Schild, „Zona delle Acque Calde“ einen pompösen Ein böser Bube – dieser Vulkan steuert unweigerlich auf sein großes Finale hin. Kurbetrieb, in Wahrheit handelt es sich um eine eher schmucklose Schlammpfütze. Aber die 34 Grad heiße Schwefelsuppe entspannt die Muskeln und soll obendrein Hautunreinheiten beseitigen. Tipp: Schmuck ablegen, denn Metalle beschlagen sofort. Das Dümpeln im Schlammpool verleitet zum „Dolcefarniente“, dabei leben die Leu- te hier auf einem geologischen Schleuder- sitz. Der letzte große Ausbruch begann am 3. August 1888 und dauerte immerhin bis zum 22. März 1890. Damals blieb fast kein Stein auf dem anderen. Und die Experten sind sich einig: Dieser Vulkan ist eine Zeit- bombe, ein echt böser Bube. Unweigerlich steuert er auf sein großes Finale hin. Wann es so weit sein wird, weiß niemand, doch Am Rand des „Gran seit 1980 steigt die vulkanische Aktivität Cratere“ auf Vulcano beständig. steigen ätzende Schwefeldämpfe Es war übrigens ein handfester Holly auf (o.); der Aufstieg woodskandal, der die Äolischen Inseln zum Krater offenbart einen zauberhaften und vor allem Stromboli 1949 aus einem Inselarchipel (r.); langen Dornröschenschlaf riss. „Stromboli malerische Gassen auf Stromboli. – Terra di Dio“ hieß der Streifen, der den DAV 5/2015 91
reportage Liparische Inseln Neongelb leuchtet die Schwefelkrus- te am Kraterrand auf Vulcano; die Fischer sind weiter unten in ihrem Element; Wanderparadies Lipari – Blick vom Boot auf das Castello. Regisseur Roberto Rossellini und die Diva Meter Seehöhe öffnet sich bei Schutzwäl- Fauchen urgewaltige Eruptionen an. Teil- Ingrid Bergman einander näherbrachte. len aus Stahl und Beton der erste Einblick weise sind bis zu neun Krater gleichzeitig Skandalös dabei? Beide waren verheiratet in den Hauptkrater. Glühende Lavabrocken aktiv; Hephaistos muss noch ein paar An- – nur nicht miteinander. Das zähe Melo- fräsen brennende Feuerschneisen durch gestellte haben. Während viele Vulkane dram war filmisch von zweifelhafter Qua- das Dunkel. Poltern lautstark die Sciara weltweit ruhig vor sich hin qualmen, bricht lität. Aber die bunten Fischerboote auf del Fuoco hinunter, um schließlich mit ei- der Stromboli seit tausenden Jahren mehr- dem schwarzen Lavasand, die weißen Ku- nem fiesen Zischen im Meer zu verdamp- mals stündlich aus. Gut, eine Schweizer ben und das blaue Meer und natürlich der fen. Draußen auf dem Meer antwortet die Uhr lässt sich nicht danach stellen, aber übermächtige Vulkan ... quasi über Nacht diese Form der Aktivität gibt es tatsächlich wurde die Insel weltberühmt. Stromboli ist nur wenige Male auf der Welt; sie wurde längst ein Gesamtkunstwerk, dessen Le- nach diesem Musterknaben „Stromboliani- Stromboli – animalisches Fau- ben zu hundert Prozent vom Vulkan be- scher Vulkanismus“ benannt. Um dieses stimmt wird. chen und urgewaltige Erup geologische Wunder zu erleben, braucht es Zurück zu Bergführer Ugo: Die 924 Hö- tionen mehrmals stündlich keinen Langstreckenflug oder schmerzhaf- henmeter bis zum Kraterrand des Strom- te Reiseimpfungen – „Bella Italia“ liegt ver- boli fallen unter die Rubrik Genussberg- gleichsweise nah. Nur für die Idee, in den steigen. Auf dem zunächst steinigen Armada der Ausflugsboote zeitgleich mit Krater einzusteigen und auf der kochenden – Serpentinenpfad gewinnen wir schnell an einem Blitzlichtgewitter. Der Leuchtturm Lava wieder nach oben zu surfen ... dafür Höhe. Eidechsen flüchten in mannshohe, der Antike, der schon Odysseus den Weg bedarf es schon eines Jules Verne. quietschgelb blühende Ginsterbüsche, Ros- wies, legt sich mächtig ins Zeug. Ehrfürch- marin und Salbei verströmen einen betö- tig steigen wir höher zum Pizzo Sopra la renden Duft. Zwei Schritte vorwärts, einen Fossa auf 918 Metern. Für den Fotojournalisten zurück – weiter oben strapaziert der lose Der Stromboli liefert ein unfassbares Norbert Eisele-Hein gehören Vulkansand die Waden. Schon hören wir Höllenspektakel. Im Abstand von zehn bis die Äolischen Inseln zu den schönsten und spannends- das Fauchen der Höllenschlünde, auf 750 zwanzig Minuten kündigt animalisches ten Reisezielen der Welt. 92 DAV 5/2015
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