AUSSEN WIRTSCHAFT WIRTSCHAFTSBERICHT VIETNAM
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AUSSEN WIRTSCHAFT WIRTSCHAFTSBERICHT VIETNAM AUSSENWIRTSCHAFTSCENTER HO CHI MINH CITY SEPTEMBER 2021
2 Eine Information des AußenwirtschaftsCenters Ho Chi Minh City Wirtschaftsdelegierter MMag. Dietmar Schwank T +84 28 7109 9781 E HoChiMinhCity@wko.at W wko.at/aussenwirtschaft/vn HEAD OFFICE Mag. Johannes Brunner T +43 5 90900-4330 E aussenwirtschaft.asien@wko.at fb.com/aussenwirtschaft twitter.com/wko_aw linkedIn.com/company/aussenwirtschaft-austria youtube.com/aussenwirtschaft flickr.com/aussenwirtschaftaustria www.austria-ist-ueberall.at Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die Rechte der Verbreitung, der Vervielfälti- gung, der Übersetzung, des Nachdrucks und die Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere elektronische Verfahren sowie der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, der Wirtschaftskammer Österreich – AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA vorbehalten. Die Wiedergabe mit Quellenangabe ist vorbehaltlich anderslautender Bestimmungen gestattet. Es wird darauf hingewiesen, dass alle Angaben trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr erfolgen und eine Haftung der Wirtschaftskammer Österreich – AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA ausgeschlossen ist. Darüber hinaus ist jede gewerbliche Nutzung dieses Werkes der Wirtschaftskammer Österreich – AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA vorbehalten. © AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA DER WKÖ Offenlegung nach § 25 Mediengesetz i.d.g.F. Herausgeber, Medieninhaber (Verleger) und Hersteller: WIRTSCHAFTSKAMMER ÖSTERREICH / AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA Wiedner Hauptstraße 63, 1045 Wien Redaktion: AUSSENWIRTSCHAFTSCENTER HO CHI MINH CITY, T +84 28 7109 9781 E HoChiMinhCity@wko.at, W wko.at/aussenwirtschaft/vn Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
3 AUSSENWIRTSCHAFT WIRTSCHAFTSBERICHT Vietnam (1. Halbjahr 2021) • Lockdown lässt Vietnams Wirtschaft einbrechen und schürt Unsicherheit unter Betrieben • Investoren legen Vorhaben auf Eis, bleiben mittelfristig aber optimistisch • Heimische Exporte heuer 20 % unter Vorkrisenniveau, Importe steigen um ein Drittel • Starkes Ausfuhrminus bei Investitionsgütern, Projektgeschäften und Dienstleistungen • Erfolge: Österreich punktet im Gesundheitssektor und verbreitert seine Exportpalette Wirtschaftskennzahlen 2019 2020 2021a 2022a Nominales Bruttoinlandsprodukt in Mrd. USD1 260,0 271,0 296,0 325,6 Bruttoinlandsprodukt/Kopf (Marktpreise) in US-Dollar2 8.381 8.651 9.145 9.861 Bevölkerung in Mio.3 96,5 97,3 98,2 99,0 Reales Wirtschaftswachstum in % 4 7,0 2,9 5,1 6,4 Inflationsrate (Durschnitt) in %5 2,8 3,2 1,9 3,8 Offizielle Arbeitslosenrate in %6 3,1 3,9 3,7 3,5 Wechselkurs der Landeswährung EUR/VND (1.000 Vietn. Dong)7 26,0 28,4 27,0 26,4 Warenexporte des Landes in Mrd. US-Dollar8 264,2 282,6 328,5 352,2 Warenimporte des Landes in Mrd. US-Dollar9 242,7 251,9 296,4 324,9 Wirtschaftsleistung des Landes, Weltwertung10: 42. Rang (2020) Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich 1-6/2020 Veränderung 1-6/2021c zur Vorperiode Österreichische Warenexporte in Mio. Euro11 96,9 -7,1 % 90,0 Österreichische Warenimporte in Mio. Euro12 434,1 +31,0 % 568,5 Österreichische Dienstleistungsexporte in Mio. Euro (2020)13 70 -61,4 % 27 Österreichische Dienstleistungsimporte in Mio. Euro (2020)14 45 -26,7 % 33 Österreichische Direktinvestitionen15, Stand 2020: ca. 170 Mio. Euro Beschäftigte bei österr. Direktinvestitionen16: Stand 2020: ca. 3.300 Wichtigster Warenexportmarkt für Österreich17: 54. Rang 1-9 Quelle: Economist Intelligence Unit 10 Quelle: Weltbank 11-14, 17 Quelle: Statistik Austria 15-16 Quelle: Österreichisches AußenwirtschaftsCenter Ho Chi Minh City a Prognose b Schätzung c Vorläufige Daten Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
4 1. Wirtschaftslage Corona-Ausbruch legt Ein großflächiger Coronavirus-Ausbruch seit April 2021 führt dazu, dass Viet- Vietnam wohl bis 2022 nams Regierung restriktive Aktivitäts- und Bewegungseinschränkungen erlässt lahm und somit auch heuer einen wirtschaftlichen Einbruch erleidet bzw. hinnimmt, obwohl eine Rezession wohl vermieden wird. Das Land, dem 2020 sowohl auf gesundheitlicher wie auch wirtschaftlicher Ebene Erfolg in der Pandemiebe- kämpfung zugeschrieben wurde, lässt also die Krise heuer keineswegs hinter sich. Seine wirtschaftliche Erholung wird davon abhängen, wann es gelingt, das aktuelle Infektionsgeschehen zu minimieren und wieder ein weitgehend unbe- schränktes Alltags- und Geschäftsleben zuzulassen. Es deutet einiges darauf hin, dass dies trotz des nunmehr angelaufenen Impfprogramms erst im Laufe des Jahres 2022 der Fall sein wird. Mittelfristig bleibt Vietnam eine der dyna- mischsten Volkswirtschaften und eines der attraktivsten Investitionsziele in Asien. Dank des EU-Vietnam Handelsabkommens ist der Handel mit Vietnam für europäische Betriebe sowohl absatz- wie auch bezugsseitig so einfach wie nie zuvor, obwohl der Wettbewerb zunimmt. Multiple wirtschaftliche Vietnam ist ein Schwellenland niedrigen bis mittleren Einkommens mit junger Erfolgsfaktoren Bevölkerung (Medianalter 32 Jahre, 98 Mio. Einwohner). Sein wirtschaftlicher Erfolg fußt auf mehreren Faktoren. Dazu zählen die lokale Exportwirtschaft so- wie die wachsende Inlandsnachfrage, welche sich in den letzten Jahren aus ho- hen Einkommenszuwächsen, Bevölkerungswachstum und neu geschaffenen Ar- beitsplätzen in der produzierenden Industrie und im Dienstleistungssektor speiste. Auch öffentliche Investitionen spielen eine große Rolle und werden seit dem Ausbruch der Pandemie zusätzlich gefördert. Unterstützt wird die positive Entwicklung durch eine liberale Wirtschafts- und omnidirektionale Handelspoli- tik sowie fortgesetzte staatliche Reformen zur Verbesserung der wirtschaftli- chen Rahmenbedingungen und Förderung privater Investitionen. Agrarwirtschaft und Besondere Bedeutung kommt dem Agrarsektor zu, der 60 % der Bevölkerung Fischzucht als wichtige beschäftigt und – gemeinsam mit Fischzucht und Forstwirtschaft – 16 % der Arbeitgeber Wirtschaftsleistung des Landes beisteuert. Besonders bekannt ist Vietnam für Reis, Kaffee, Pfeffer, Cashewnüsse, Früchte und die Aquawirtschaft. Der Output des Sektors wächst jährlich um 2 bis 3 %. Durch Hebung der qualitativen Stan- dards und Nutzung von Freihandelsabkommen mit Industrieländern wird der Export von Agrargütern aus Vietnam in den nächsten Jahren deutlich zulegen. Zulieferketten müssen Der größte Anteil der Wertschöpfung entstammt aber dem Bau- und Industrie- aufgebaut werden sektor (37 %) sowie dem Dienstleistungssektor (46 %). Weit ausgebaut sind die Kapazitäten für Textil- und Schuherzeugung sowie in der Elektronikproduktion, die als arbeitsintensive Branchen einen Trend zur Verlagerung von Produktions- linien nach Vietnam erleben. Weitere wichtige Industriesektoren sind Lebens- mittel-, Kunststoff-, Papier- und Möbelerzeugung sowie der Metallbau. Die Re- gierung ist bestrebt, Zulieferketten im Land zu etablieren oder zu vervollständi- gen. Deren Fehlen macht gerade in Zeiten der Pandemie Vietnams Abhängigkeit von Rohstoffen und Vorprodukten deutlich. Industrieproduktion Die sonst oft zweistellig wachsende Industrieproduktion schwächelt 2021 stark wächst nur schwach und dürfte im Jahresvergleich ein Plus von nur 1,9 % aufweisen. Unsicherheiten prägen die Nachfrage nach hochwertigen Investitionsgütern in der Industrie. Das Momentum pandemiebedingter weltweiter Nachfragezuwächse in einigen Schlüsselsektoren Vietnams (Möbel, Haushaltselektronik, Outdoorausrüstung) hat sich Mitte 2021 etwas abgeschwächt. Der Lockdown ab Juni bremst die Pro- duktion zusätzlich, vor allem inländische Betrieben außerhalb von Industriezo- nen sehen sich in ihren operativen Möglichkeiten enorm eingeschränkt. Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
5 Fixer Platz in der Liefer- Ausländische Investitionen (FDI) sind von enormer Bedeutung für die vietname- kette multinationaler Un- sische Wirtschaft und tragen hohe Anteile zu BIP (20 %), Ausfuhren (70 %) und ternehmen Steuereinnahmen (15 %) bei. Rund 3,6 Mio. Arbeitnehmer sind direkt und wei- tere 5 bis 6 Mio. indirekt bei ausländischen Unternehmen beschäftigt. Die meis- ten ausländischen Investitionen fließen in den produzierenden Sektor, gefolgt vom Energie- und Immobiliensektor. Auf der Suche nach Diversifizierung und Kostenvorteilen in Asien setzen immer mehr Unternehmen auf Vietnam. An- sprechend für Investoren sind neben den niedrigen Lohnkosten auch die güns- tige geographische Lage, finanzielle Anreize, eine arbeitswillige Bevölkerung und stabile politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. In einigen Bran- chen nimmt das Land bereits eine fixe Position in der Lieferkette multinationa- ler Unternehmen ein. In den ersten acht Monaten 2021 erreichte Vietnam neue FDI-Zusagen in Höhe von 14 Mrd. USD. Das ist ein Rückgang von – angesichts schwieriger Bedingungen nur - 2 % gegenüber dem Vorjahr und untermauert Vietnams Anspruch, trotz Krise ein Magnet für Investoren zu sein. Handelsdefizit bei wach- Vietnams starke Exportwirtschaft und steigende Kaufkraft haben zu einer zu- sendem Außenhandel nehmenden Verflechtung mit internationalen Handelspartnern geführt. Gegen- über 2020 hat sich das Handelsvolumen deutlich erhöht, wobei die traditionell positive Handelsbilanz ins Negative gekippt ist. Dank Handelserleichterungen und anspringender Konjunktur in Vietnams wichtigsten Zielmärkten stiegen die vietnamesischen Ausfuhren im ersten Halbjahr 2021 um 28,4 % auf rund 158,3 Mrd. USD. Während des Lockdowns im Sommer 2021 kam es jedoch zu Liefer- kettenunterbrechungen, die zu einem kurzfristigen Rückgang des Ausfuhrvolu- mens führten. Wichtigste Exportwaren Vietnams sind Mobiltelefone, Elektronik, Textilien, Schuhe, Maschinen- und Metallbauerzeugnisse sowie Lebensmittel. Größter Abnehmer vietnamesischer Produkte sind die USA (28 %), die im Ge- folge des Handelskonflikts mit China noch mehr Waren als üblich in Vietnam einkaufen, gefolgt von China (15 %) und der EU (12 %). Importquellen vermehrt Die vietnamesischen Einfuhren legten im ersten Halbjahr um ein Drittel auf in Ostasien 159,3 Mrd. USD zu. Die Einfuhren stammen hauptsächlich aus den asiatischen Fertigungsländern, insbesondere China (34 %), Korea (16 %) und Japan (7 %). Seit einiger Zeit greift Vietnam vermehrt auf regionale Lieferanten zurück, wäh- rend der Anteil der Direktimporte aus Europa mit dem lokalen Importwachstum nicht mithalten kann. Die Einfuhren aus der EU belaufen sich im ersten Halbjahr 2021 auf 8,1 Mrd. USD und machen nur 5 % der Gesamtimporte aus. Vornehm- lich handelt es sich dabei um Maschinenbauwaren, Transportmittel und chemi- sche Erzeugnisse. Einzelhandel abgewürgt Der Einzelhandel in Vietnam setzte seine Aufwärtsentwicklung bis April 2021 fort, brach jedoch mit den Geschäftsschließungen in der Folge rapide ein (-34 % im August). Händler haben die Krise zur Umstellung ihrer Vertriebssysteme genutzt, und der Onlinekauf verzeichnet relative Zuwächse. Steigende Arbeitslosigkeit und Geringbeschäftigung werden die anstehende Erholung des Einzelhandels al- lerdings bis ins kommende Jahr hinein bremsen. Ein Risiko besteht zudem in der Gefahr längerdauernder Geschäftsschließungen. Nur 88.000 ausländische Der Tourismusboom in Vietnam ist durch die seit März 2020 geltenden, strikten Besucher Einreisebestimmungen einer plötzlichen Zwangspause unterworfen. Nach dem Rekordjahr 2019 (18 Mio. ausländische Besucher) fielen die Personenankünfte 2020 auf 3,8 Mio. Besucher, 2021 (Jänner bis Juni) sogar auf nur 88.200 Besu- cher. Die Tourismusbranche leidet unter Fehlinvestitionen, Jobabbau und Be- triebsschließungen, mit weitreichenden Folgen auch für Gastronomie, Unterhal- tung und Transportwesen. Ausländische Arbeitskräfte verlassen gerade in den Sektoren Tourismus und Ausbildung das Land. Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
6 2. Besondere Entwicklungen Geschäftsklima eingetrübt Das Geschäftsklima in Vietnam hat sich durch den großflächigen Coronavirus- Ausbruch ab April 2021 stark eingetrübt. Die Prognose des Wirtschaftswachstums für 2021, im ersten Halbjahr noch bei rund 5 % gelegen, muss auf 3 % reduziert werden. Lang andauernde, strikte Ausgangsbeschränkungen und die lokale Abrie- gelung von Provinzen, Städten, Bezirken und Straßenzügen führten zu einer signi- fikanten Disruption von Industrieproduktion und Einzelhandel. Die Lieferketten sind teilweise zusammengebrochen, Investitionen werden verschoben. Produkti- onsbetriebe haben begonnen, sich von lokalen Virusausbrüchen zu isolieren, in- dem sie ihren Arbeitnehmern Unterkunft und Verpflegung in den Fabriken anbie- ten. Die Regeln hierfür sind ortsabhängig und ändern sich laufend. Einreiseregime bleibt rest- Bei Verfolgung divergierender gesundheits- und wirtschaftspolitischer Ziele liegt riktiv die Priorität zunehmend auf der Sicherung der wirtschaftlichen Stabilität. Die Nulltoleranz gegenüber dem Virus, welche in strikten Einreisebeschränkungen re- sultiert, scheint mit zunehmendem Impffortschritt der Devise einer neuen Norma- lität mit dem Virus zu weichen. Es bleibt vorerst unklar, wie und wann unter die- sen Vorzeichen eine Grenzöffnung gegenüber dem Ausland bewerkstelligt werden soll. Omnidirektionale, liberale Die Einbindung Vietnams in ein Netz regionaler (ASEAN) und darüber hinaus ge- Handelspolitik hender Freihandelsabkommen (etwa mit der EU, China, Korea, Japan, Australien, Neuseeland und der Eurasischen Wirtschaftsunion) macht das Land für multinati- onale Unternehmen besonders attraktiv, erhöht seine strategische Bedeutung in globalen Wertschöpfungsketten und hilft ihm, die abnehmende Wettbewerbsfähig- keit seiner angestammten Industrien (z.B. Schuhproduktion) zu bremsen und wei- terhin kräftiges Exportwachstum sicherzustellen. FDI: 2021 durchwachsen, Während Vietnam seit Beginn der Corona-Krise zu Recht als Profiteur von Dual- Erwartungen hoch Sourcing-Strategien gilt, zeigte sich während des Lockdowns im Sommer 2021 aber auch die Fragilität einer solchen Entwicklung. Auf Grund der strengen, zeit- lich unlimitierten Eindämmungsmaßnahmen (u.a. Mobilitätsbeschränkungen) wa- ren und sind viele Unternehmen mit hohen Planungsunsicherheiten und Schwie- rigkeiten, die Produktion aufrechtzuerhalten, beschäftigt. Daraus resultierende Lieferausfälle und Logistikprobleme brachten weitere Unternehmen in dieselbe Situation. Immerhin 20 % der ausländischen (meist multinationalen) Produktions- betriebe haben angesichts dessen Produktionskapazitäten in andere Länder ver- schoben. Obwohl dies zumeist nur eine temporäre Entwicklung sein wird, werden doch einige dieser Kapazitäten nicht mehr zurückverlagert werden. Nach Über- windung der Pandemie ist trotzdem mit einem Schub an neuen FDI zu rechnen, die im Moment zurückgehalten werden. Bestehende Trends, wie Sourcing, Outsour- cing und Lohnfertigung in Vietnam, werden mittelfristig ebenfalls noch stärker. Handelsabkommen mit der Auch für Österreich gewinnt Vietnam in einem komplexer werdenden wirtschaftli- EU bringt Zollabbau und chen Umfeld an strategischer Bedeutung. Seit 1. August 2020 ist das Handelsab- Liberalisierung kommens der EU mit Vietnam (EVFTA) in Kraft. Es inkludiert neben der Liberali- sierung des Handels mit Waren (Zollabbau) und Dienstleistungen auch Regelun- gen zum Abbau von nicht-tarifären Handelshemmnissen, zu sanitären und phyto- sanitären Maßnahmen, zum Schutz geistigen Eigentums, zum Beschaffungswe- sen, zum Wettbewerb und zur nachhaltigen Entwicklung. Neben den Vorteilen für Importeure werden auch europäische Exportbetriebe, die in den letzten Jahren mit vermehrter asiatischer Konkurrenz konfrontiert sind, in Vietnam wettbewerbsfähi- ger. Sie erhalten durch das Abkommen – abgesehen von den Zollsenkungen – auch besseren Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen und zum Dienstleistungs- sektor in Vietnam. Außerdem werden die geltenden Zulassungsprozesse etwa für Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
7 Pharmazeutika und Lebensmittel harmonisiert und vereinfacht. Parallel zum EVFTA wurde auch ein Abkommen zum gegenseitigen Investitionsschutz (EVIPA) unterzeichnet, dessen Ratifizierung durch die meisten EU-Mitgliedstaaten, auch durch Österreich, noch aussteht. Bis es in Kraft tritt, gilt weiterhin Österreichs bi- laterales Investitionsschutzabkommen (BIT) mit Vietnam. CPTPP und RCEP: Vietnam Verstärkte Aufmerksamkeit wird auf zwei weitere Abkommen gelegt. Das transpa- als Teil von asiatisch-pazifi- zifische Partnerschaftsabkommen CPTPP umfasst Australien, Brunei, Chile, Japan, schen Partnerschaften Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam und bringt re- gionalen Zollabbau (für bis zu 98 % aller Waren) innerhalb einer Übergangszeit von 10 Jahren sowie die Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse. Vietnam er- wartet sich daraus erleichterten Marktzutritt für einige seiner klassischen Export- produkte wie Textilien, Schuhe, Möbel und Meeresfrüchte. RCEP wiederum ist eine losere, regionale Wirtschaftspartnerschaft der 10 ASEAN-Staaten mit China, Japan, Südkorea, Indien, Australien und Neuseeland, welche im November 2020 unter- zeichnet wurde, aber noch nicht in Kraft ist. Dank eines einheitlichen Regelwerks, etwa für den Warenursprung, wird RCEP die Etablierung von grenzüberschreiten- den Wertschöpfungsketten im asiatisch-pazifischen Raum fördern. Dies bringt auch Vorteile für europäische Unternehmen mit Standorten in der Region. Wechsel der Führungseli- Politisch und makroökonomisch ist Vietnam ein stabiles Land. Im Nationalen ten steht für Stabilität Volkskongress 2021 wurde Generalsekretär Nguyen Phu Trong trotz seines fort- geschrittenen Alters als Parteichef erneut bestätigt. Ein politischer Richtungs- wechsel ist auch durch die neue Regierung unter Premierminister Pham Minh Chinh nicht zu erwarten. Strukturreformen stehen Der aktuelle Fünfjahresplan läuft von 2021-25. Neben der Bekämpfung der an Corona-Pandemie werden wirtschaftliche Liberalisierung, Anreizschaffung für FDI und Strukturreformen im Vordergrund stehen. Reformbedarf besteht bei öffentli- chen Investitionen, im Bankensystem und vor allem bei den ineffizienten und teu- ren Staatsbetrieben, die den öffentlichen Haushalt stark belasten. Der bisherige Erfolg einzelner IPOs unterstreicht Vietnams Bestreben, weiterhin Teilprivatisie- rung („equitization“) von Staatsbetrieben durchzuführen. Bis zu 65 Mrd. USD Investi- Besonderes Augenmerk legt die Regierung auf den Ausbau der Infrastruktur in Vi- tionen in Infrastruktur etnam. Tatsächlich wird die Effizienz des vietnamesischen Wirtschaftssystems durch einen eklatanten Nachholbedarf, vor allem im Verkehrssektor (Straßen, Hä- fen), behindert. Der Masterplan 2030 für Transportinfrastruktur stellt die Weichen für Investitionen in Vietnams Verkehrssektor. Er wurde 2021 von der neuen Regie- rung bestätigt und sieht Investitionen in Höhe von bis zu 65 Mio. USD und die An- wendung neuer Finanzierungsmodelle (z.B. PPP) vor. Vorgesehen ist unter ande- rem der Bau von 5.000 km Autobahnen entlang wirtschaftlicher Korridore, die Mo- dernisierung veralteter Eisenbahnlinien nebst dem Bau einiger neuer Strecken, eine Mehrzahl an Flughäfen, darunter der Long Thanh International Airport bei Ho Chi Minh City, und ein Tiefwasserhafen bei Haiphong. Pandemie belastet Staats- Vietnam ist nach wie vor auf ausländische Entwicklungshilfegelder angewiesen haushalt und einer der größten Empfänger solcher Gelder in Asien. Die Erhöhung öffentli- cher Ausgaben zur Eindämmung der wirtschaftlichen Pandemiefolgen (Stützun- gen, Infrastrukturausgaben, u.a.m.) bei gleichzeitiger Reduktion öffentlicher Ein- nahmen (Steuernachlässe und Stundungen) lässt Vietnams Haushaltsdefizit heuer auf 6,4 % des BIP ansteigen. In den nächsten Jahren sollte es jedoch wieder in Richtung 3 % sinken. Die State Bank of Vietnam (SBV) hat den Refinanzierungs- zinssatz in mehreren Schritten auf 4 % gesenkt. Die Inflationsrate betrug im ers- ten Halbjahr 2021 nur 1,9 %, der geringste Wert seit 2016. Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
8 3. Wirtschaftsbeziehungen mit Österreich Corona-Dämpfer durch Österreichische Unternehmen sind mit einem breiten Produktportfolio, schwer- Abschottung und Investi- punktmäßig aber mit Industriegütern, in Vietnam erfolgreich. Das heimische Aus- tionsstopp fuhrvolumen hat sich seit 2000 verzehnfacht, erlitt aber im Zuge der Corona-Pan- demie einen empfindlichen Dämpfer. Auf das bisherige Ausfuhrmaximum von 2019 (254 Mio. Euro) folgte 2020 ein Einbruch der Exporte, der sich 2021 fortsetzt. Zu den Hauptgründen zählen besonders schwierige Einreisebedingungen, Investi- tionsaufschub und sektorielle Nachfrageeinbrüche. Es wird deutlich, dass Unter- nehmen ohne Repräsentanz vor Ort besonders krisenanfällig sind und Wettbe- werbsnachteile gegenüber lokal ansässigen oder vertretenen Unternehmen erlei- den. Systemisch setzen erhöhter Mitbewerb, komplizierte Beschaffungsstruktu- ren und die zeitaufwendige Geschäftsanbahnung das österreichische Exportpo- tential nach Vietnam weiter unter Druck. Demgegenüber sind steigende Haus- haltseinkommen, Aufholbedarf in Infrastruktur und Industrie und das EU-Vietnam Handelsabkommen starke positive Treiber. Für den sprunghaften Anstieg der Ein- fuhren aus Vietnam sind der Aufschwung in Europa und die aus dem erwähnten Abkommen resultierende Handelsliberalisierung verantwortlich. Die allgemeine Entwicklung des bilateralen Handels Österreichs mit Vietnam entspricht damit je- ner anderer EU-Staaten. Maschinenexport schwä- Im ersten Halbjahr 2021 sanken die österreichischen Ausfuhren gegenüber 2020 chelt, kaum Großaufträge noch einmal um 7,1 % auf 90,0 Mio. Euro. Im Umfeld der Einreisebeschränkungen und der rückläufigen Nachfrage nach Investitionsgütern in der stagnierenden ver- arbeitenden Industrie haben sich die Lieferungen von Österreichs wichtigster Ausfuhrklasse, jener der Maschinenbauerzeugnisse, nach Vietnam mehr als hal- biert, nachdem 2020 die Auftragsbücher noch gut gefüllt waren. Die wichtigsten Exportgüter nach Vietnam waren im ersten Halbjahr 2021 erstmals pharmazeuti- sche Produkte (16 Mio. Euro, v.a. Arzneimittel und Antisera). Auf Platz 2 und 3 fol- gen mit nur 12 Mio. EUR Maschinenbauerzeugnisse (u.a. Maschinen zur Metall-, Fleisch- und Kunststoffverarbeitung) sowie Fasern für die Textilwirtschaft (10 Mio. Euro). Auf den weiteren Rängen folgen die Ausfuhrpositionen Elektrotechnik, Be- schläge, Mess- und Prüfinstrumente und Glaswaren. Positive Tendenzen gegen- über 2020 verzeichneten insbesondere die Ausfuhren von Produkten, bei denen Handelserleichterungen in Kraft sind und die dem Konsumsektor (oder der Pro- duktion für diesen) zuzuordnen sind. So profitierten die Ausfuhren von Lebensmit- teln, Futtermitteln, Holz, Kunststoffen und chemischen Erzeugnissen und haben damit einen höheren Gesamtanteil an Österreichs Exporten als bisher. Boom bei Einfuhren von Dass das bilaterale Außenhandelsvolumen weiterhin steigt, liegt am Erfolg der in Konsumartikeln Vietnam durch aus- und inländische Unternehmen produzierten Waren, die nach Österreich gelangen. Das wirksame EU-Vietnam Handelsabkommen, vor allem aber die anspringende Konsumnachfrage und das durch die Pandemie veränderte Konsumverhalten in Österreich bescherten den Importen aus Vietnam einen Zu- wachs um fast ein Drittel auf 569 Mio. Euro. Vietnam ist damit nach China und Ja- pan das drittwichtigste Sourcing-Land für Österreich in Asien und punktet vor al- lem bei Konsum- und Haushaltsgütern, Massenware und Elektronik. Hauptimportartikel sind Wichtigste Einfuhrposition ist Elektronik mit 178 Mio. Euro (plus 69 %!). Mobiltele- Handys, Schuhe und Tex- fone machen mit 119 Mio. Euro den Löwenanteil in dieser Gruppe aus, hinzu kom- tilien men Elektromotoren, Fernseher, Signalgeräte, Halbleiterelemente, Komponen- ten, Schalttafeln und Akkus. Auf den weiteren Rängen folgen Schuhe (121 Mio. Euro), Bekleidung und Textilien (97 Mio. Euro), sodann mit großem Abstand Nah- rungsmittel (24 Mio. Euro, v.a. Meeresfrüchte, Cashewnüsse, Pfeffer, Kaffee), Mö- bel (17 Mio. Euro), Schmuck (15 Mio. Euro), medizinische Instrumente (14 Mio. Euro, v.a. Hörgeräte), Haushaltsmaschinen (14 Mio. Euro, v.a. Drucker, Laptops Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
9 und Nähmaschinen), Reiseartikel und Lederwaren (12 Mio. Euro), Metallwaren (12 Mio. Euro, v.a. Konstruktionen, Schrauben und Küchenwaren), Fahrräder und Rol- ler (11 Mio. Euro) sowie Kunststoffe (11 Mio. Euro, u.a. Säcke). Dienstleistungsaustausch Die Entwicklung der Dienstleistungsbilanz wurde in der Pandemie erheblich ge- bricht zusammen bremst und dürfte sich auf niedrigem Niveau einpendeln, bis die Reisebeschrän- kungen fallen. 2020 wurden „Dienstleistungsexporte“ in Höhe von 27 Mio. Euro (minus 62 %) und Importe in Höhe von 33 Mio. Euro (minus 21 %) verzeichnet. Corona erschwert Ge- Die Geschäftsentwicklung im Export ist während der Pandemie durch Vietnams schäftsentwicklung, aber harsche Maßnahmen, Abschottungstendenzen und unternehmerische Re-Orien- Chancen bleiben tierung auf Basisinteressen deutlich ins Wanken geraten. Geschäftschancen in Vi- etnam bleiben dennoch vielfältig und lassen sich anhand gesteigerter öffentlicher Investitionen (Infrastruktur, Gesundheit) oder regulatorischer Neuerungen (Ener- gie, Handelsliberalisierung) ausmachen. Es besteht Bedarf an Lösungen für Viet- nams Umweltprobleme (Wasserwirtschaft, Abfallbehandlung), urbanen Technolo- gien, Nischenprodukten für Sicherheit und Katastrophenschutz, am Ausbau er- neuerbarer Energien sowie an High-Tech-Produkten und Maschinen für die Ener- giewirtschaft, Holzverarbeitung, Möbelbau, Landwirtschaft, Lebensmittelverarbei- tung, Kunststoff-, Papier- und Verpackungserzeugung. Die Bedienung der Indust- rienachfrage ausländischer und lokaler Firmen birgt trotz des ostasiatischen Mit- bewerbs mittelfristig hohes Potential, verlangt aber nach stärkerer Ressourcen- mobilisierung heimischer Firmen. Bedarf an Nischenpro- Sehr gute Marktchancen finden österreichische Betriebe außerdem in der Belie- dukten und -lösungen ferung des Gesundheitssektors vor, sowohl mit Infrastruktur und Medizintechnik, als auch mit Pharmazeutika. In den letzten Jahren sind österreichische Unterneh- men auch mit Dienstleistungen, IT und neuen Technologien erfolgreich in Vietnam tätig. Die steigende Kaufkraft und westliche Konsumwünsche der vietnamesi- schen Mittelschicht bieten bisher noch wenig genutzte Absatzchancen für höher- wertige, importierte Konsumgüter, die dank des Zollabbaus in diesem Sektor auch wettbewerbsfähiger werden. Bei alledem sollten sich österreichische Hersteller und Lieferanten allerdings bewusst sein, dass österreichische Produkte meist in Nischen erfolgreich sind und in der Regel ohne Ausdauer und längerfristige Marktbearbeitung kein Erfolg erzielt werden kann. Über 50 österreichische Bisher haben in Vietnam mehr als 40 österreichische Unternehmen über 50 Nie- Niederlassungen derlassungen gegründet, darunter ca. 15 Produktionsstätten, aber auch Ver- triebsgesellschaften und andere Repräsentanzen. Die österreichischen Niederlas- sungen beschäftigen in Summe rund 3.300 Mitarbeiter in Vietnam. Ihre gesamte Investitionssumme lässt sich schwer schätzen. Der von vietnamesischer Seite er- hobene Wert von 170 Mio. Euro berücksichtigt jedenfalls nur einen Teil, da viele Investitionen formal über Singapur oder andere Drittländer getätigt werden. Die meisten österreichischen Investitionen fließen nach Ho Chi Minh City und Hanoi. Als Industriestandorte haben sich darüber hinaus insbesondere Binh Duong, Dong Nai (beide im Umland von Ho Chi Minh City), die Umgebung von Hanoi/Haiphong und neuerdings Danang einen Namen bei österreichischen Investoren gemacht. Arbeitsschwerpunkte des Das AußenwirtschaftsCenter Ho Chi Minh City unterstützt österreichische Unter- AußenwirtschaftsCenter nehmen tatkräftig im Vietnam-Geschäft. Sektorielle Arbeitsschwerpunkte umfas- sen u.a. Umwelt und Wasser, Maschinen- und Anlagenbau, urbane Technologien, Infrastruktur, Eisenbahn und Gesundheit. In Angelegenheiten des öffentlichen Sektors wird das AußenwirtschaftsCenter vom AußenwirtschaftsBüro Hanoi un- terstützt. Akzente setzt das AußenwirtschaftsCenter Ho Chi Minh City außerdem in der Kooperation mit Start-ups und Innovationsnetzwerken. Ein Service der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA
AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA AUSSENWIRTSCHAFTSCENTER HO CHI MINH CITY Unit 1 Level 13, Saigon Centre, Tower 1, 65 Le Loi, District 1 Ho Chi Minh City Vietnam T +84 28 7109 9781 E HoChiMinhCity@wko.at W wko.at/aussenwirtschaft/vn
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