"Azadî yan Azadî! Freiheit oder Freiheit!" - Hintergründe zu den 129b Prozessen gegen Ali Ihsan Kitay und weitere Kurd_innen - Rote Hilfe eV ...
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„Azadî yan Azadî! Freiheit oder Freiheit!“ Hintergründe zu den §129b Prozessen gegen Ali Ihsan Kitay und weitere Kurd_innen
Impressum: Azadî yan Azadî! Freiheit oder Freiheit! Hintergründe zu den §129b Prozessen gegen Ali Ihsan Kitay und weiteren Kurd_innen Erste Auflage, Hamburg 2012 Azadî yan Azadî - Freiheit oder Freiheit ist seit Newroz 2012 die Forderung der kurdischen Bevölkerung und Bewegung Gestalter_innen und Herausgeber_innen: Bündnis Freiheit für Ali Ihsan (www.freealiihsan.tk): antirepressionsgruppe hamburg ATESH - Für eine sozialrevolutionäre Perspektive Ermittlungsausschuss Hamburg Informationsstelle Kurdistan (ISKU) Rote Hilfe e.V. – Ortsgruppe Hamburg Tatort Kurdistan YXK - Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V. mit Unterstützung von: Azadi .e.V. Satz und Layout: Günther M. Brantsch Kontaktadresse: E-Mail: free-ali-ihsan@riseup.net Post: ISKU- Informationsstelle Kurdistan e.V. Stahltwiete 10 22761 Hamburg v.i.S.d.P.: Anja Flach und Martin Dolzer c/o ISKU- Informationsstelle Kurdistan e.V. Stahltwiete 10 22761 Hamburg
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 2 Ali Ihsan Kitay - Leben im Widerstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4 Rechtliche Instrumente zur Bekämpfung linker Bewegungen. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Seite 6 Repression gegen die kurdische Bewegung hat Kontinuität. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Seite 10 Repression gegen die kurdische Bewegung seit 1994. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. Seite 14 Die BRD als Akteur_in globaler Repression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 21 Die Situation in der Türkei und Kurdistan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 25 Die Notwendigkeit der internationalen Solidarität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 37 Kurdistan und die kurdische Bewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 39 „Wir müssen als letzte die Waffen niederlegen“ - Die Frauenbewegung der PKK. . . Seite 44 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 48 Azadi heißt Freiheit 1
Vorwort Mit unserer Broschüre „Azadî yan Azadî! Freiheit oder Freiheit!“, analysieren und skizzie- ren wir die Hintergründe der 129b Verfahren gegen kurdische Exilpolitiker_innen in der Bundesrepublik. Seit dem 12. Oktober 2011 sitzt Ali Ihsan Kitay in Hamburg wegen des Vorwurfs der „Mitglied- schaft in einer terroristischen Vereinigung“ gemäß § 129b in Isolationshaft. Konkrete Straftaten oder Anschläge in Deutschland werden ihm, wie mittlerweile vier weiteren seit 2011 aufgrund §129b inhaftierten Kurd_innen, nicht vorgeworfen. Bei den weiteren inhaftierten handelt es sich Vezir T., Mehmet A., Ridvan Ö. und Abdullah S.. Für einen weiteren in der Schweiz leben- den Kurden wurde die Auslieferung beantragt, gegen eine bisher unbekannte Zahl Ermittlungs- verfahren eröffnet. Zur Last gelegt wird ihnen, leitende Funktionen innerhalb verschiedener PKK Strukturen ein- genommen zu haben. Am 13. August beginnt nun der Prozess gegen Ali Ihsan Kitay vor dem Oberlandesgericht (OLG) in Hamburg, darauf folgend ab Mitte September Verfahren gegen 2 weitere Inhaftierte vor dem OLG in Stuttgart Stammheim und später gegen einen vor dem OLG Düsseldorf. Der Bundesgerichtshofs entschied am 28. Oktober 2010, dass zukünftig der Paragraph 129b des Strafgesetzbuches »Mitgliedschaft in einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Aus- land« gegen die PKK und deren Nachfolgeorganisationen angewandt werden soll. Unter Aufhe- bung der Gewaltenteilung wird der Exekutive - dem Justizministerium - überlassen, zu entschei- den, ob eine ausländische Vereinigung terroristisch ist - oder ob sie legitimen Widerstand gegen eine Diktatur leistet oder als legitime Befreiungsbewegung gelten darf. Die Bundesanwaltschaft (BAW) bewertet die PKK als terroristische Vereinigung im Ausland und ignoriert bewusst, dass die Organisation seit einigen Jahren eine basisnahe kommunale Selbst- verwaltung und kulturelle Rechte für die Kurden innerhalb der Staaten Türkei, Syrien, Iran und Irak anstrebt und keinen eigenen Staat Die AnwältInnen der betroffenen KurdInnen kritisieren erhebliche Lücken in der Argumentation der Behörde. Die Guerilla der PKK, die HPG (Volksver- teidigungskräfte), ist eine in militärischen Formationen gegen überwiegend militärische Ziele auf türkischer Seite vorgehende Organisation. Damit ist sie eine Konfliktpartei in einem bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts. „Der bewaffnete Kampf der HPG ist gemäß dem 1. Zusatz- protokoll der Genfer Konventionen nicht illegal, da er sich gegen lang anhaltende rassistische oder koloniale Unterdrückung richtet und für das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes im Rahmen des humanitären Völkerrechts geführt wird,“ so Anwält_innen der politischen Gefangenen. Diese Kriterien sind in Anbetracht der kontinuierlichen, gravierenden Menschenrechtsverletzun- gen, extralegalen Hinrichtungen und nachgewiesenen Kriegsverbrechen, bis hin zu Chemiewaf- feneinsätzen, seitens des türkischen Militärs sowie der Sicherheitskräfte – sowie durch die Ver- wurzelung der PKK in der Bevölkerung erfüllt. Wichtig ist zu sehen, dass die zunehmende Kriminalisierung und Repression gegen kurdische Exilpolitiker_innen in der BRD, parallel zu einer seit dem Militärputsch 1980 in diesem Ausmaß einmaligen Verhaftungswelle in der Türkei seit 2009 stattfindet. In der Türkei wurden seit den Kommunalwahlen 2009 mehr als 7000 Kurd_innen im Rahmen der „KCK Verfahren“ inhaftiert – darunter 6 Parlamentarier_innen, 33 Bürgermeister_innen, mehr als 100 Stadträt_innen und eine Vielzahl von Frauenaktivistinnen, Gewerkschafter_innen, Journalist_innen und Anwält_innen. Die türkische Regierung spitzte in dem gleichen Zeitraum auch die militärische Auseinanderset- 2
zung mit der PKK zu. Seit 11 Monaten befindet sich zudem der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, auf der Gefängnisinsel Imrali in absoluter Isoliation. Auch Verwandte und Anwält_innen konnten ihn nicht besuchen. Vor den Parlamentswahlen 2011 hatte die türkische Regierung einen lange Zeit konstruktiv geführten Friedensdialog mit Öcalan auf Imrali und Vertreter_innen der PKK in Oslo aus machtpolitischem Kalkül abgebrochen. Der Inhalt der Broschüre umfasst eine Analyse und Beschreibung der Hintergründe des §129b sowie des §34 Außenwirtschaftsgesetzes, die Einordnung der Repressionspraxis der bundesdeut- schen und europäischen Behörden in historische und geostrategische Zusammenhänge, ein Skiz- ze der Situation in der Türkei und eine Beschreibung der Entwicklungen innerhalb der kurdischen Bewegung. Die Artikel der Broschüre sind in unserem weit gefächerten Bündnis von unterschied- lichen Gruppen geschrieben worden und werden nach langer, produktiver und intensiver Diskus- sion in ihrer Gesamtheit von allen Bündnispartner_innen getragen. Die einzelnen Texte spiegeln dabei nicht in jedem Detail die Meinung jeder am Bündnis beteiligten Gruppe wieder. Unser Ziel ist, Interessierten einen Einblick in die Thematik zu geben, zum Nachdenken anzure- gen und die Prozesse gegen Ali Ihsan Kitay und die weiteren politischen Gefangenen solidarisch zu begleiten. Freiheit für alle politischen Gefangenen - Frieden in Kurdistan - Unsere Solidarität gegen ihre Repression - kraftvolle Grüße und serkeftin, Bündnis Freiheit für Ali Ihsan Internationale Solidarität bei einem KCK Vefahren in der kurdischen Metropole AmedDiyarbakir 3
Ali Ihsan Kitay - Leben im Widerstand Ali Ihsan Kitay ist 47 Jahre alt. Er stammt aus Bin- zu erzwingen, folterten die Repressionsorgane ihn er- göl, aus den kurdischen Provinzen der Türkei neut schwer. Aber Ali Ihsan machte keine Aussagen. Er (Nordkurdistan)1. Insgesamt befand er sich ca. 20 wurde dennoch vom Staatssicherheitsgericht (Devlet Jahre in türkischen Gefängnissen. Nie hat er Aussa- Güvenlik Mahkemeleri) zu lebenslanger Freiheitsstrafe gen gemacht, immer stand er zu seiner politischen verurteilt und ins Gefängnis Erzurum gebracht. Überzeugung und organisierte sich im Gefängnis um Widerstand zu leisten. Erfolgreiche Flucht aus dem Gefängnis Erzurum Im Jahr 1981, kurz nach dem Militärputsch, wurde er Von 1992 bis 93 grub Ali Ihsan mit weiteren Gefan- das erste Mal festgenommen. Obwohl er erst 16 Jah- genen einen Fluchttunnel, durch den am 16. Februar re alt war, wurde er 58 Tage schwer gefoltert, u.a. mit 1993 18 Gefangene fliehen konnten. Dieser Ausbruch Elektroschocks und Bastonade (Falaka)2. Durch diese wurde zur Legende. Landesweit fahndeten die Behör- massive Folter, über die er bis heute kaum sprechen den mit Fotos, in Zeitungen und im Fernsehen nach kann, ist Ali Ihsan stark traumatisiert. Danach wurde den Geflohenen. Daraufhin wurde Ali Ihsan nach drei er erstmals einem Haftrichter vorgeführt und ins Mi- Tagen in Bingöl erneut festgenommen und kam ins litärgefängnis Elaziğ verlegt. Auch hier ging die Folter Gefängnis von Muş. Hier war er ein weiteres Mal in in systematischer Weise weiter: Wie damals und auch seiner Geschichte Folter und Scheinhinrichtungen heute noch in der Türkei weit verbreitet, waren die ausgesetzt. Im Mai 1993 erfolgte ein Urteil nachdem Angehörigen physischer und psychischer Gewalt aus- Ali Ihsan zu 12 Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in gesetzt. Die Gefangenen traten aufgrund der extremen der PKK verurteilt wurde. Sieben Jahre verbrachte er Bedingungen häufig in Hungerstreiks. Ali Ihsan wur- in der Haftanstalt Amasya. Mit mehreren Hunger- de damals ohne jegliche Beweise nur aufgrund unter streiks, die bis zu 46 Tagen dauerten, leistete Ali Ihsan Folter zustande gekommener Geständnisse anderer Widerstand, u.a. gegen menschenverachtende Haft- Gefangener wegen Mitgliedschaft in der PKK und Teil- bedingungen. Nach einem erneuten Fluchtversuch nahme an bewaffneten Aktionen zu 13 Jahren und acht wurde er isoliert. Zuletzt befand er sich im F-Typ Ge- Monaten Haft verurteilt. fängnis von Ankara. 1987 wurde Ali Ihsan entlassen und schloss sich dar- Nach seiner Entlassung begab er sich nach Bingöl. aufhin einige Tage später der Guerilla an. Vermutlich Die Sicherheitskräfte setzten Verfolgung und Drang- aufgrund von Verrat verhafteten ihn 1991 „Sicher- salieren fort. Panzer wurden vor der Haustür statio- heitskräfte“ in seinem Heimatdorf. Um Geständnisse niert, „Sicherheitskräfte“ standen davor. Mitglieder des illegalen türkischen Geheimdienstes Jitem3, die schon für die Ermordung seines Cousins verantwort- lich waren, bedrohten ihn mit dem Tode. Ali Ihsan ging daher zunächst nach Istanbul. Im Rahmen sei- ner legalen politischen Arbeit wurde er, auch weil er aus einer Familie stammte, die eng mit dem Wider- stand verbunden war, immer wieder festgenommen, geschlagen und bedroht. Mehrere Mitglieder seiner Familie fielen bei der Guerilla. Sein Gesundheitszustand auch seine psychische Ver- fassung waren nach den 20 Jahren Haft und der ext- remen Folter mehr als angeschlagen. Dazu kam, dass immer wieder ehemalige Mitgefangene festgenommen wurden. Ali Ihsan beschloss nach Europa zu gehen und den Widerstand von hier aus fortzuführen. Er erhielt als politisch Verfolgter Asyl in Deutschland. Seit dem 12. Oktober 2011 sitzt Ali Ihsan Kitay in Hamburg we- gen des Vorwurfs der „Mitgliedschaft in einer terroris- tischen Vereinigung im Ausland“ gemäß §129b in Haft. Er soll 2007-2008 „in Hamburg und der nördlichen Re- gion verantwortlicher Kader der PKK” gewesen sein. Ali Ihsan Kitay Auch hier in Hamburg wird Ali Ihsan Kitay in Isola- 4
Ali Ihsan Kitay verbrachte 20 Jahre in türkischen Gefängnissen tionshaft gefangen gehalten. Konkrete Straftaten oder szenierte Anklage handelt, wird hierdurch bestätigt. Anschläge in der BRD werden ihm nicht vorgeworfen. Ich glaube fest daran, dass diese Anklage rein politisch Die Bewertung der PKK als „terroristische Vereinigung motiviert ist. Diese und ähnliche Klage-Verfahren die- im Ausland” ist der Generalbundesanwaltschaft Grund nen dazu, das Individuum von jeder sozialen und kultu- genug für seine Inhaftierung. rellen Aktivität auszugrenzen und folglich ein asoziales und vereinsamtes Individuum zu schaffen. Ali Ihsan schreibt selbst zu seiner Haft im UG Was macht das Menschsein aus? Kann ein Individuum, Holstenglacis, in der er sich seit Oktober 2011 das sozial völlig isoliert wird, noch seine menschlichen befindet: Eigenschaften behalten? Ein Mensch wird durch seine sozialen Kontakte, sowie seine sozialen und kulturellen „Gegen mich wird hier eine Politik der systematischen Aktivitäten zum Mensch. Der Mensch ist ein soziales Isolation praktiziert. Ich befinde mich im Hochsicher- Wesen. Der isolierte Mensch ist ein toter Mensch, und heitstrakt des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis dies ist Kern und Ziel der mir aufgedrückten Maßnah- in Hamburg . 23 Stunden des Tages muss ich mich in ei- men und gegen mich angewandten Politik. Aufgrund ner kleinen Zelle aufhalten, nur eine Stunde darf ich in meiner Gedanken wurde ich jahrelang in der Türkei den Gefängnishof. Auch die Rechte, die mir vom Gericht unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehal- bezüglich der sozialen und sportlichen Aktivitäten zuge- ten und habe große Opfer erbracht. Hier wird dasselbe sprochen wurden, werden mir von der Gefängnisleitung wieder beabsichtigt. verwehrt. Die Repressionsorgane streben die Isolation und Abstumpfung des Individuums an. Ich darf zu nie- Meine Haftbedingungen sind sehr schwierig. Es sind keine mandem Kontakt haben oder kommunizieren. Bedingungen, die ein Mensch aushalten kann. Während meiner Inhaftierung haben sich bereits fünf Mitgefangene [...] Wir stehen einem System gegenüber, welches seine ei- das Leben genommen und viele haben Suizid-Versuche genen Gesetze nicht beachtet, das Recht nicht respektiert unternommen. Viele sehen keine Perspektive mehr. und antidemokratisch agiert. Durch diese Maßnahmen Die hiesigen Haftbedingungen und praktizierten Maß- soll der Wille des Individuums gebrochen werden. Der nahmen werden zum Tod von noch mehr Gefangenen Mensch soll sich selbst, seinen Gedanken und seinem führen. In meinem Trakt haben sich drei Gefangene das Volk entfremdet werden. Leben genommen. Damit möchte ich betonen, dass, wenn Gesetzlich ist vorgeschrieben, dass innerhalb von sechs kein öffentlicher Protest geäußert und Widerstand gebil- Monaten eine Gerichtsverhandlung stattfinden muss. det wird, diese Selbstmorde kein Ende haben werden. Seit über sieben Monaten bin ich inhaftiert, hatte keine Gerichtsverhandlung, noch wurde mir eine Anklage- Ich grüße Euch ganz herzlich und wünsche Euch bei Eu- schrift zugestellt. Der Verdacht, dass es sich um eine in- rem demokratischen Widerstand viel Erfolg! Serkeftin!“ 5
Rechtliche Instrumente zur Bekämpfung internationaler linker Bewegungen Der §129b Seit 1976 gibt es den §129a (Bildung und Mitglied- Die Regelung und das Strafmaß des §129b sind iden- schaft in einer terroristischen Vereinigung). Er wurde tisch mit denen des §129a. Die Einführung des neuen damals als Erweiterung des §129 (kriminelle Verei- Paragrafen bedeutet die Ausweitung des Einsatzge- nigung) eingeführt, unter anderem in Reaktion auf bietes. Deutsche Justiz wird global zuständig. die bewaffnete Praxis revolutionärer Gruppen in der BRD. Bis 2008 war der §129a eines der zentralen Die Strafverfolgung richtet sich jetzt auch gegen als Schlüsselelemente der Repressionsbehörden bei der „terroristisch“ definierte Organisationen, die ihren - Bekämpfung linker Politik. Durch die Verbindung mit auch bewaffneten - Kampf nur im Ausland führen. Regelungen in der Strafprozessordnung ermöglicht er Gruppen aus EU-Ländern, wie z.B. die ETA, werden weitreichende Überwachungsmaßnahmen, Durch- grundsätzlich verfolgt, Gruppen außerhalb der EU suchungen, Großrazzien, Kontrollstellen etc. und die nur mit schriftlicher Ermächtigung des Bundesjus- erleichterte Verhängung von Untersuchungshaft nach tizministeriums. Dass eine Regierungsstelle, also ein einem speziellen Haftstatut, dass für die Betroffenen Teil der Exekutive, per Gesetz die Entscheidungsho- immer auch Isolationshaft bedeutet heit über die Einleitung von Strafverfahren hat, ist in dieser politischen Deutlichkeit ein Novum. Noch Aus der jahrzehntelangen Erfahrung ist bekannt, expliziter können politische Interessen des Staates in dass die Behörden die Ermittlungsmöglichkeiten des einem Strafverfahren nicht umgesetzt werden, zumal §129a in erster Linie nutzen, um Informationen über eine gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung Zusammenhänge und Strukturen zu erhalten. Nur ein nicht vorgesehen ist. Bruchteil aller seit 1976 eingeleiteten §129a-Verfah- ren (und das sind geschätzt über 6.000 gegen mehr als 20.000 Menschen) haben zu Verurteilungen geführt, In der Praxis nachdem jahrelang ermittelt wurde und Menschen über längere Zeit in Untersuchungshaft gesessen hat- Im Stuttgarter §129b-Verfahren gegen 5 angebliche ten. Die Formel „Verhaften, Ermitteln, Verunsichern, Mitglieder der DHKP-C (das 2008 begann) hat die und Entsolidarisieren“ ist mit dem §129a lange die Bundesanwaltschaft (BAW) vorexerziert, wie ihre übliche Praxis des Staatsschutzes gewesen. Strategie in künftigen Verfahren aussehen wird. Grundlage in diesem Prozess war ein „Zwei-Fronten- Politisch ist der §129a ein Instrument, um kollektive Konstrukt“. Nach diesem Konstrukt der BAW gibt Strukturen und Ideen anzugreifen; eine strafrechtli- es eine „kämpfende Front“ in der Türkei und eine che Norm, in der es nicht darum geht, einzelne „Straf- „Rückfront“ in der BRD. Beide zusammen ergeben taten“ zu verfolgen, sondern revolutionäre Politik in die „ausländische terroristische Vereinigung“. allen Praxisformen anzugreifen und zu zerschlagen und die linke Opposition zu schwächen. Nicht die Real bedeutet das, dass sämtliche Aspekte legaler einzelne Tat, sondern die gemeinsame Praxis stehen politischer und menschenrechtlicher Arbeit hier zu im Fokus staatlicher Angriffe. schweren Straftaten werden können. Den Angeklag- ten in Stuttgart wurden u.a. die Gründung und Mitar- 1986/87 wurden die Katalogstraftaten des §129a so beit in Vereinen und Organisationen, die Herausgabe erweitert, dass die Möglichkeiten des Paragrafen auch oder der Verkauf von Zeitungen, Veranstaltung von leichter auf militante Massenbewegungen anwendbar Kulturfesten oder Redebeiträge auf politischen Ver- wurden. In der Folge wurden immer mehr Struktu- anstaltungen vorgeworfen. Diese politischen Aktivi- ren, z.B. aus autonomen Gruppen, der Anti-AKW- täten werden durch den §129b und das sog. „Zwei- Bewegung etc., mit dem §129a verfolgt. Fronten-Konstrukt“ zu Beiträgen zu terroristischen Handlungen, die in Stuttgart schließlich auch mit Im August 2002 schließlich wurde mit dem §129b das dem §129b verurteilt wurden. Pendant des §129a eingeführt. In seiner Entwicklung und konkreten Umsetzung beruht der §129b auf ei- Der Prozess gegen Ali Ishan basiert auf ähnlichen An- ner EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung von klagen und Konstrukten der BAW, wie denen, die durch 1998. Der 11. September 2001 sorgte dann für des- die beteiligten Gerichte bislang gestützt worden sind. sen schnelle Einführung im Zusammenhang mit den So wie die Prozesse gegen angebliche DHKP-C Mitglie- Sicherheitsgesetz-Paketen I und II. der strategisch ausgelegt waren und geführt worden sind, 6
können sie als Muster der BAW für §129b-Verfahren Im Zusammenhang mit weiteren §129b-Verfahren wegen angeblicher Mitgliedschaft in der PKK gelten. ist also durchaus davon auszugehen, dass es politisch gewollt ist, das Tabu der Folter, zumindest durch die Verwendung von Folteraussagen, innerhalb der deut- Ermittlungsergebnisse aus dem Ausland schen Justiz hinter sich zu lassen. Ebenfalls im Stuttgarter §129b-Verfahren zeichnete sich ab, was in noch kommenden §129b-Prozessen §34 Außenwirtschaftsgesetz und EU-Terrorliste eine Rolle spielen wird: Die Nutzung angeblicher Be- weise, die unter Folter zustande gekommen sind. Als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September Es gibt - und das ist nicht neu - eine intensive Zusam- 2001 erließ die EU eine Verordnung, nach der allen menarbeit der BAW und des Bundeskriminalamt (BKA) Mitgliedstaaten untersagt wird, Terrorverdächti- mit der türkischen Polizei, der Staatsanwaltschaft und gen und deren Organisationen Gelder und sonstige der Generalsicherheitsdirektion. Im Rahmen der zwi- Finanzmittel zur Verfügung zu stellen oder mit ih- schenstaatlichen Rechtshilfe wurden Mengen an Poli- nen Geschäftskontakte zu unterhalten. Auf zwei se- zei-, Gerichts-, und vor allem Geheimdienstmaterial paraten Listen werden seitdem ca. alle sechs Monate aus der Türkei in die BRD geschickt. durch Beschlüsse des Europäischen Rates die Orga- nisationen und Personen aufgeführt und regelmäßig In der Türkei wird nachweislich gefoltert. Das ist im Amtsblatt veröffentlicht, die des „Terrorismus“ deutschen Behörden durchaus bewusst. Auf Folter verdächtigt werden. beruhende Aussagen dürfen vor deutschen Gerich- ten eigentlich nicht verwendet werden. Gleiches gilt Im Laufe der Jahre sind zwischen 35 und 46 Einzel- für Urteile, die aufgrund solcher Aussagen zustande personen sowie zwischen 30 und 50 Organisationen gekommen sind. Was bisher eher im Verborgenen aufgelistet worden. Dazu gehören z.B. die islamisti- zwischen Ermittlern des BKA und der BAW geklärt sche Hamas, die arabischen Al-Aksa-Brigaden, die wurde, nämlich, wie Folteraussagen doch in Verfah- iranischen Volksmudschaheddin, ebenso wie die lin- ren eingeführt werden können, wird jetzt politisch- ke, türkische Organisation DHKP-C, die baskische juristisch öffentlich ausgehandelt - schließlich geht es Untergrundorganisation ETA und ihr zugerechnete um Terrorismusbekämpfung. Ein leitender Bundes- Einzelpersonen, die LTTE (Liberation Tigers of Tamil anwalt sprach auf einer Fachtagung sowohl im Hin- Eelam), sowie die kurdische PKK und deren Nach- blick auf laufende Verfahren als auch perspektivisch folgeorganisationen – ungeachtet z.B. der Tatsache, von „Früchten vom verbotenen Baum“, wo man sehen dass letztere in Europa friedenspolitische Aktivitäten müsse, was im Einzelnen angewandt werden könne. entfaltet haben. Quelle- Dicle Haber News Agency - DIHA Eine Gewerkschafterin wird im Rahmen der KCK Verfahren festgenommen 7
Die Listung hat für die betroffenen Personen und Or- Bedeutung für Strafverfahren gegen politische ganisationen viele Konsequenzen (z.B. das Einfrieren Bewegungen von Konten). Hier soll aber vor allem die strafrecht- liche Folge betrachtet werden, die sich aus dem §34 Der erste Versuch der Generalbundesanwaltschaft Außenwirtschaftsgesetz (AWG) ergibt. Dieser Para- wurde 2008 im Rahmen mehrerer Verfahren ge- graph besagt zusammengefasst, dass diejenigen be- gen vermeintliche Mitglieder der linken türkischen straft werden, die gegen eine wirtschaftliche Sankti- Organisation DHKP-C (die auf der EU-Terrorliste onsmaßnahme der EU oder der Vereinten Nationen geführt wird) gestartet. Das erste dieser Verfahren gegenüber bestimmten Organisationen, Personen begann im März 2008 vor dem Oberlandesgericht oder Ländern verstoßen. Die Strafen reichen von (OLG) Stuttgart, in dem die Generalbundesanwalt- mindestens sechs Monaten bis zu der Höchststrafe schaft fünf Personen die Mitgliedschaft in einer von 15 Jahren. terroristischen Organisation im Ausland sowie ein Verstoß gegen §34 AWG in Verbindung mit der EU- Der §34 AWG stellt eine sogenannte Blankettnorm Terrorliste vorwarf. Dort trat das neue Konstrukt je- dar. Das heißt, das Gesetz beschreibt nicht selbst, doch noch neben dem ebenso angeklagten §129b in welche konkreten Handlungen strafbar sind, son- den Hintergrund und wurde ohne eine inhaltliche dern nur, dass es strafbar ist, gegen eine durch EU- Auseinandersetzung eingestellt. Verordnung festgelegte finanzielle Sanktionsmaß- nahme zu verstoßen. Die weitere Bestimmung wird Eine weitere Anklage vom Oktober 2009 gegen zwei den europäischen oder internationalen Rechtsakten vermeintliche Mitglieder der DHKP-C vor dem OLG überlassen, auf die in lediglich abstrakter Form ver- Düsseldorf beruhte zum ersten Mal in wesentlichen wiesen wird. Weil die EU-Terrorliste eben eine solche Punkten auf dem neuen Konstrukt. Den Angeklag- Verordnung zur Sanktionsdurchsetzung sein soll, ist ten wurden in diesem Verfahren in 17 Fällen Ver- jede Handlung strafbar, die dieser finanziellen Sank- stöße gegen besagten §34 AWG in Verbindung mit tionierung von „terroristischen Gruppen“ entgegen der EU-Terrorliste vorgeworfen, jeweils bedroht mit laufen könnte. einer Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren, somit ei- nem höheren Strafrahmen, als der §129b ihn vorsieht. Konkret bedeutet dies, dass bestraft wird, wer mit den In einigen Fällen wurden Verstöße in konkret vorge- gelisteten Personen oder Organisationen in irgendei- worfenen Handlungen gesehen, beispielsweise Spen- ner Weise in finanziellen Kontakt tritt. Fahrlässigkeit densammeln, Solidaritätskonzerte, das Überweisen reicht aus. Somit können auch Personen betroffen kleiner Geldbeträge an politische Gefangene in der sein, die ohne ihr eigenes Wissen in geschäftlichen Türkei oder die Übergabe von Spendengeldern von oder privaten Kontakt mit gelisteten Personen oder einem vermeintlichen Mitglied an ein anderes. In vie- Organisationen geraten. Dies führt unter anderem len Fällen werden die vermeintlichen Verstöße jedoch dazu, dass Industrie- und Handelskammern Unter- in keiner Weise konkretisiert. nehmen teure Software empfehlen, die jeden, auch zufälligen, Geldverkehr mit etwaig gelisteten Perso- Es heißt dann lapidar, den Angeklagten werde vor- nen oder Organisationen verhindern soll. geworfen, in der Zeit vom ... bis ... in Köln, Dort- mund sowie an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland und im europäischen Ausland Gelder in nicht bekannter Höhe für die Organisation verein- nahmt oder zumindest darauf gerichtete Tätigkeiten entfaltet zu haben. Die Begründung für diese derart unbestimmten Tatvorwürfe lautet, dass die Angeklag- ten schließlich Kader der Organisation seien und es in ihren Aufgabenbereich falle Gelder zu sammeln. Deshalb bedürfe es auch keiner konkreten Benen- nung konkreter Handlungen. Zudem wurde versucht, selbst Handlungen zu erfassen, die gar nicht zu einem Geldzufluss führten, sondern nur angeblich darauf gerichtet waren, wie z.B. das Veranstalten von Solida- ritätskonzerten. Wie weit dieses neue Konstrukt also theoretisch dazu herangezogen werden kann, jegliche Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen bzw. internationalen Organisationen zu kriminalisieren, Demonstration für die politischen Gefangenen nach §129b liegt auf der Hand. 8
miert oder kontrolliert sei. Es habe sogar Anzeichen von Machtmissbrauch im Zusammenhang mit der Liste gegeben. Dementsprechend hat er auch in meh- reren Urteilen die Aufnahme einzelner Personen und Organisationen auf die Terrorliste und das Einfrieren ihrer Gelder für rechtswidrig und nichtig erklärt, so hinsichtlich der PKK, dem Gründer der Kommunis- tischen Partei der Philippinen, Prof. Jose Maria Sison, der niederländischen Stiftung Al-Aksa und schließ- lich den Volksmudschaheddin. Der Ministerrat hat daraus allerdings kaum Konsequenzen gezogen. Zwar sind die Betroffenen als Folge dieser Entscheidungen `Wer auf der Terrorliste steht ist Vogelfrei´ - Türkisches Militär tyrannisiert die Bevölkerung 2011 inzwischen, soweit dies aus Sicht des Ministerrates möglich war, pro forma benachrichtigt und angehört worden, doch konkrete Abhilfe wurde nicht geschaf- fen; lediglich die Volksmudschaheddin wurden von EU- Terrorliste der Liste gestrichen. Die Liste wird weiterhin in ei- nem geheimen Verfahren geführt. Die Terrorliste wird von einem geheim tagenden Gremium des Ministerrates (auch Rat der EU) er- Für die Strafvorschrift des §34 AWG folgen daraus stellt. Die Entscheidungen erfolgen im Konsens. Oft höchst bedenkliche Konsequenzen. Da es sich bei der beruhen die Indizien und Verdachtsmomente, die zu EU-Terrorliste um eine Verordnung der Europäischen Einträgen führen, auf weder juristisch noch demokra- Union handelt, ist die formale und inhaltliche Prü- tisch kontrollierbaren Geheimdienstinformationen fung der Kompetenz der nationalen, in diesem Fall aus einzelnen Mitgliedstaaten, Beitrittskandidaten der deutschen, Strafgerichte entzogen. Es kann also oder anderen Staaten. Eine verbindliche, gerichtliche nicht geprüft werden, ob die dem Angeklagten gewis- Prüfung der Vorwürfe auf der Grundlage gesicherter sermaßen vorgeworfene terroristische Organisation Beweise findet nicht statt. Selbst der Sonderermittler tatsächlich eine solche ist, was für eine Verurteilung des Europarates, Dick Marty, bezeichnet das Vorgehen nach §129b noch gerichtlich festgestellt werden muss. der EU in Bezug auf die Terrorliste als ungerecht und Diese Entscheidung wird vielmehr durch die grund- pervers. So würden Menschen im Sinne des Feind- und menschenrechtlich höchst fragwürdige Aufnah- strafrechts mit einer zivilen Todesstrafe belegt, da sie me der Organisation in die EU-Terrorliste vorwegge- in keiner Weise mehr handlungsfähig wären. Selbst nommen und einer effektiven, einem Strafverfahren Serienkiller hätten mehr Rechte als die dort gelisteten. angemessenen, gerichtlichen Kontrolle entzogen. Marty beschrieb in einer Stellungnahme 2007, was die Dies wird noch einmal mehr klar, wenn man sieht, Aufnahme in die Terrorliste konkret bedeutet: Die Be- dass der EuGH die Listungen bisher nicht unter dem troffenen werden nicht verständigt, sondern erfahren Aspekt der Unschuldsvermutung, die im Rahmen davon, wenn sie über ihr Bankkonto verfügen wollen eines Strafverfahrens gilt, überprüft hat. Stattdessen oder eine Grenze überschreiten. wurde die Listung als eine Maßnahme der Gefahren- abwehr eingeordnet, für die die Unschuldsvermutung Es gibt keine Anklage, keine offizielle Benachrichti- gerade nicht gelte! gung, kein rechtliches Gehör, keine zeitliche Begren- zung und keine Rechtsmittel gegen diese Maßnah- Dies kann zu einem absurden Ergebnis führen: Es ist me. Wer einmal auf der Liste steht, hat kaum mehr möglich, dass ein deutsches Gericht zwar vom Tat- eine Chance auf ein normales Leben. Die Person ist vorwurf des §129b freispricht (weil die Richter davon quasi vogelfrei, wird politisch geächtet, wirtschaft- ausgehen, dass es sich nicht um eine terroristische lich ruiniert und sozial isoliert. Dazu kommen Über- Vereinigung im Ausland handelt), sie aber gleichzeitig wachungs- und Ermittlungsmaßnahmen, nicht nur wegen Verstoßes gegen das AWG in Verbindung mit gegen die gelisteten Personen, sondern auch gegen der EU-Terrorliste verurteilen (weil die Organisation deren gesamtes Umfeld. Das kann auch Personen be- dort als vermeintlich terroristisch gelistet ist). treffen, die ohne ihr eigenes Wissen in geschäftlichen oder privaten Kontakt mit gelisteten Personen oder Organisationen geraten. EuGH-Entscheidung In mehreren Urteilen hat der Europäische Gerichts- Die zuvor beschriebenen Problempunkte zwangen hof kritisiert, dass das Verfahren der Erstellung der schließlich auch das OLG Düsseldorf, im Rahmen des Terrorliste weder demokratisch noch rechtlich legiti- Verfahrens gegen die DHKP-C gewisse Fragen dem 9
EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Dies war faktisch nicht nur für die Listung hinsichtlich der notwendig geworden, weil die nationalen Gerichte nicht DHKP-C sondern hinsichtlich aller gelisteten Orga- die Kompetenz haben, über die Gültigkeit von europä- nisationen, da hinsichtlich aller gelisteten Organisati- ischem Recht zu entscheiden. Die wichtigste Frage war onen dieselben Verfahrensfehler bestehen. Das heißt, nun, ob die Listung einer Organisation, die keine Kla- für den Zeitraum bis zum 29. Juni 2007 kann auf eine ge gegen die sie betreffenden Beschlüsse erhoben hatte, Listung in der EU-Terrorliste in keinem Land der Eu- auch dann wirksam sein kann, wenn sie unter schwers- ropäischen Union eine Strafbarkeit gestützt werden. ten Verfahrensfehlern zustande gekommen ist, aber die Organisation selbst nicht innerhalb der vorgesehenen Der EuGH hat weiterhin festgestellt, dass im Rahmen Fristen gegen die Listung geklagt hatte. eines Strafverfahrens jede_r Angeklagte das Recht hat, die Ungültigkeit der Listung im nationalen Strafverfah- Noch mal zum Verständnis: Dass es diese schwers- ren geltend zu machen. Der EuGH hat damit die große ten Verfahrensfehler gegeben hat, hatte der Gerichts- Problematik des fehlenden Rechtsschutzes erkannt, hof für die Zeit bis zum 29. Juni 2007 bereits zuvor denn in diesen Fällen muss das Strafgericht die Fra- entschieden. Unklar war aber, wie sich diese auf eine ge der Wirksamkeit der Listung dem EuGH zur Vor- Strafbarkeit von Einzelnen auswirken, wenn die be- abentscheidung vorlegen. Zudem wurde entschieden, troffene Organisation nicht gegen die Listung geklagt dass eine nachträgliche Heilung von Verfahrensfeh- hatte. In diesem Prozeß wurden die eben genannten lern nicht möglich ist, wenn an die Listungsentschei- rechtsstaatlichen Bedenken gegen die Terrorliste und dung eine strafrechtliche Sanktion geknüpft wird, da auch das gesamte strafrechtliche Konstrukt von der dann gegen das strafrechtliche Rückwirkungsverbot Verteidigung vorgetragen und vom EuGH in wesent- verstoßen werden würde. Insoweit hat das Gericht die lichen Teilen geteilt. Unterschiede zwischen dem grundsätzlich gefahren- abwehrrechtlichen Charakter der Listung und eventu- ell auf die Listung gestützten strafrechtlichen Konse- Die Folge war: quenzen gesehen. Der EuGH hat entschieden, dass die Aufnahme der Die Entscheidung hat jedoch offen gelassen, wie die Sa- DHKP-C zumindest bis zum 29. Juni 2007 auf die EU- che inhaltlich für die Zeit nach dem 29. Juni 2007 aus- Terrorliste ungültig war. Daher kann, so der EuGH, sieht, als das Listungsverfahren etwas geändert wurde. auch eine strafrechtliche Verurteilung auf die Listung Auf jeden Fall hatte sie so weitgehende Auswirkungen, nicht gestützt werden. Der Vorwurf des Verstoßes ge- dass das OLG Düsseldorf auch die Vorwürfe, die nach gen §34 AWG konnte somit für die Zeit bis zum 29. dem 29. Juni 2007 lagen, einstellte, nachdem von der Juni 2007 nicht mehr aufrecht erhalten werden und Verteidigung ein weiteres Vorabentscheidungsverfahren musste eingestellt werden. Diese Entscheidung gilt für die Zeit nach dem 29. Juni 2007 angeregt wurde. Repression gegen die kurdische Bewegung hat Kontinuität Vom Düsseldorfer §129a Prozess 1989 zum neralkommandantur der türkischen Armee fest, dass Hamburger §129b Prozess 2012 sie nicht in der Lage sei, „separatistische Tätigkeiten“ aufzuhalten. Ab Anfang der 70er Jahre rekonstituierte sich der kurdische Widerstand - zum ersten mal bildete sich Neben der gesamten innenpolitischen Situation spiel- eine sozialistische Befreiungsbewegung in Kurdistan. te die Stärke der kurdischen Bewegung eine erhebliche 1978 wurde die PKK mit einem revolutionären Pro- Rolle bei der Entscheidung der Generäle, mit Rücken- gramm und dem erklärten Ziel gegründet, ein un- deckung der NATO die Macht zu übernehmen. Für abhängiges, demokratisches und vereintes Kurdistan die NATO und westliche Verbündete der Türkei lag zu schaffen. Die Unterstützung für die Bewegung, die das Hauptaugenmerk bei der Unterstützung des Put- sich in den folgenden Jahren entwickelte, veranlasste sches auf der Durchsetzung der eigenen Interessen in den türkischen Staat massiv militärisch vorzugehen. einer geostrategisch wichtigen Region. Die Türkei war Im Dezember 1978 wurde offiziell der Kriegsrechts- angesichts einer revolutionären Entwicklung der Ge- zustand in den kurdischen Gebieten erklärt (der erst sellschaft, und gerade auch in den kurdischen Gebie- 1987 aufgehoben und im Verlauf der 1990er bis 2002 ten, ein unsicherer Faktor an der Südost-Grenze des in einen Ausnahmezustand umgewandelt wurde). westlichen Einflussgebietes in direkter Nachbarschaft Kurz vor dem Putsch des Militärs 1980, stellte die Ge- zur UdSSR. 10
Nach 1980 herrschte in der Türkei und in den kur- Änderung der Innen- und Sicherheitspolitik Schwedens dischen Gebieten faschistischer Staatsterror. Über herbeigeführt. Die Polizei hat ihre Machtbefugnisse aus- 7000 PKK-Mitglieder und Sympathisant_innen wur- gedehnt. Die früher so vorbildliche Praxis in Flüchtlings- den in Gefängnisse gesteckt. Ein Teil der Kader ging fragen hat sich in eine aktive Abschreckungspolitik umge- ins europäische Ausland oder den Nahen Osten, um wandelt. Die Tatsache, dass Schweden seit vier Jahren den dem Tod zu entgehen und um aus dem Exil den Wi- zu Terroristen vorverurteilten Kurden verweigert, sich vor derstand aufrechtzuhalten und neu vorzubereiten. Gericht zu verantworten, ist nur so verständlich, dass das (näheres zu den Folgen des Militärputsches und der neutrale Schweden im Begriff ist, sich einer gemeinsamen Reorganisierung der PKK siehe Text: „Kurdistan und europäischen Sicherheitspolitik anzuschließen.“(Bis zum die kurdische Bewegung“) letzten Kurden? CEDRI, Basel 1988) Am 15. August 1984 begann der bewaffnete Kampf mit drei gleichzeitigen Angriffen von kurdischen Und dann - Schweiz Guerillaeinheiten auf türkische Militärposten. Unter großer europaweiter medialer Aufmerksamkeit wurden im Mai 1987 in Bern 17 Kurd_innen verhaf- Am Anfang: Hetze in Schweden 1984 tet, Wohnungen und Vereine durchsucht. In ersten Mitteilungen behauptete die Schweizer Bundesan- Ausgerechnet im vermeintlich so liberalen Schweden waltschaft umfangreiches Beweismaterial sicherge- spielte sich schon im September der erste Akt euro- stellt zu haben: Kriegswaffen, gefälschte Dokumente, paweiter Repression ab. Acht Kurd_innen wurden abgeänderte Militäruniformen...... durch die Geheimpolizei Säpo verhaftet und nach drei Monaten Haft ohne Gerichtsverfahren aber nach Weitaus weniger Öffentlichkeit bekam das schnell einem Säpo internen Geheimverfahren unter zeitlich einsetzende Nachspiel. Bis auf einen der Festgenom- unbegrenzten Kommunalarrest gestellt. In Schweden menen, der der Urkundenfälschung verdächtig war, wurde aus Informationen der Säpo und türkischen wurden alle anderen schnell wieder freigelassen. Quellen eine Medienoffensive gestartet, die die Ge- Waffen gab es keine und verdächtiges umfangreiches fährlichkeit der PKK betonte. Propagandamaterial waren alle möglichen offen zu- gänglichen Filme und Broschüren. Die abgeänderten Als im Februar 1986 der schwedische Ministerpräsi- ausländischen Uniformen entpuppten sich zusammen dent Olof Palme erschossen wurde, taten die ermit- mit Holzgewehren als Theaterrequisiten. telnden Behörden monatelang alles, um den Mord der PKK in die Schuhe zu schieben. Die „Kurdenspur“ Seit einigen Jahren werden Kurd_innen in Schweden wäre die „heißeste“, andere Ermittlungen fanden nicht und der Schweiz weit weniger verfolgt als in den an- statt. Erst ein Jahr später mussten die ermittelnden deren Europäischen Ländern und erhalten dort auch Richter und Staatsanwälte zugeben, dass es nie einen eher politisches Asyl. Beleg für eine kurdische Beteiligung am Palme-Mord gegeben hatte und dass andere Ermittlungen gezielt von der Polizei verhindert worden waren. Schließlich BRD „Die schwedische Offensive gegen die Kurden hat eine bis Im August 1986 flog die türkische Luftwaffe Angriffe heute anhaltende Serie von polizeilichen und politischen auf kurdische Dörfer im Irak und tötete dabei mehr Skandalen ausgelöst, sie hat aber auch eine grundlegende als 100 Menschen. Zeitgleich inszenierte der türki- sche Geheimdienst MIT in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Staatsschutz eine Aktion, bei der ein Kur- de verhaftet und in einem Schließfach im Hauptbahn- hof Sprengstoff gefunden wurde, mit dem angeblich ein Angriff auf den türkischen Generalkonsul in Hamburg durchgeführt werden sollte. Der Ablauf der Ermittlungen und der Vorbereitung der Verhaftung strotzte nur so vor Ungereimtheiten. Trotzdem löste der Fall eine Hetze gegen Kurd_innen aus. Drei Monate später endet diese Polizeiaktion, da das Gericht beschloss den Haftbefehl aufzuheben, weil es weder einen dringenden Tatverdacht, noch Erkennt- Polizeiübergriffe sind in der Türkei an der Tagesordnung nisse gäbe, „dass die PKK sich auch außerhalb des tür- 11
kischen Staatsgebietes zu Gewalt bekennen würde noch NATO 1986 auf ihrer Jahrestagung in Istanbul eine derartige Aktionen initiiert hat.“ Nach wenigen Mona- „Arbeitsgruppe zur Bekämpfung des internationalen ten wurde das Verfahren eingestellt. Terrorismus“ ein. Die aufgezählten Beispiele verdeutlichen, dass mit Ebenfalls 1986 trafen der türkische Botschafter und der substanzlosen Vorwürfen eine europaweite Hetzkam- türkische Konsul in Karlsruhe mit Generalbundesan- pagne inszeniert wurde, die politisch konkrete Folgen walt Rebmann und dem Verfassungsgerichtspräsiden- hatte. Linke Militanz und der Kampfbegriff „internati- ten Zeidler zusammen. Gemeinsam wurden Abspra- onaler Terrorismus“ hatten in den 1980er Jahren, auch chen über die Bekämpfung des „Terrorismus“ getroffen. vor dem Hintergrund der damals noch andauernden Blockkonfrontation, eine vollkommen andere Be- Kurz nach diesem Treffen wurde im Bundestag der deutung als heute. In West-Europa war eine Vielzahl Gesetzentwurf „zur Bekämpfung des Terrorismus“ von bewaffneten Organisationen mit verschiedenen eingebracht, in dem es um die Erweiterung des §129a revolutionären Hintergründen aktiv. Auf dem Gebiet ging, aber auch um die Zuständigkeitsregelung für der BRD fanden Aktionen von RAF und RZ statt, die Oberlandesgerichte und Bundesanwaltschaft im Irisch Republikanische Armee griff wiederholt Ein- §120 des GerichtsVerfassungsGesetzes (GVG)1, der richtungen und Angehörige der britischen Armee den Vorwurf des Terrorismus auch ohne den §129a an, Action Directe und Rote Brigaden erklärten ihren in die Verfahren einführte und der BAW die Mög- politischen Zusammenhang mit der RAF. Massenmi- lichkeit verschaffte auch im internationalen Kontext litante Auseinandersetzungen wie an der Frankfurter zu agieren. Die Einführung dieser Regelung richtete Startbahn-West oder in Wackersdorf und Gorleben sich zu diesem Zeitpunkt ganz eindeutig gegen PKK waren in der gesellschaftlichen Wahrnehmung ge- und IRA. nauso präsent wie militante Kleingruppenaktionen, wie z.B. das Umsägen oder Sprengen von Hochspan- nungsmasten als Ausdruck des Protestes gegen die Das „Düsseldorfer“ 129a Verfahren Atomwirtschaft. Linke Opposition war auch vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Rollbacks durch Nur eine Woche nach Inkraftreten des neuen §129a die Kohl-Regierung sichtbar und verankert. und des §120 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) be- ginnt das BKA mit weitreichenden Ermittlungen Mediale Hetze, die den gesellschaftlichen Diskurs gegen kurdische Strukturen in der BRD. In Ak- verändern sollte, und daraus resultierende staatliche tenvermerken taucht dann sogar das o.g. obskure Maßnahmen wie Gesetzesänderungen und eine Viel- Hamburger Verfahren auf, ohne den Einstellungsbe- zahl von Prozessen und politischen Gefangenen be- schluss oder die Begründung der Hamburger Rich- stimmten den politischen Alltag. ter zu erwähnen. Mitte der 80er Jahre begann für die europäischen Im Mai 1987 schließlich beginnt ein Ermittlungsver- Kernstaaten die Phase der konkreten europäischen fahren nach §129a wegen des „Verdachts der Bildung Integration und der zunehmenden Kooperation in einer bisher unbekannten terroristischen Vereinigung Hinblick auf das imperialistische Projekt des gemein- im Umfeld der Arbeiterpartei Kurdistans“‘. samen europäischen Marktes 1992/93. Die Vereinheit- Die Vereinigung hätte vor allem den Zweck Abweich- lichung der Aufstandsbekämpfung wurde zu einem ler zu bestrafen. Das ganze Jahr 1987 kommt es zu Eckpfeiler europäischer Politik. Das Agieren der kur- wiederholten Durchsuchungswellen in ganz Deutsch- dischen Bewegung an der Süd-Ost Flanke der NATO land, bei denen vor allen Dingen schriftliches Material in einem Peripherieland des EU-Einflussgebietes war und Geld beschlagnahmt wird. Das erste Mal werden Hintergrund der zunehmenden Repression gegen die auch Zeitungen angegriffen. Dem Verleger des Kur- PKK in der BRD. distan-Reports, der auch andere kurdische Zeitungen verlegt, wird per Verfügung untersagt, sich an der He- Im Verfassungsschutzbericht vom Mai 1984 wurden rausgabe der Publikationen zu beteiligen. Schließlich die kurdischen Organisationen noch mit keinem wird im Rahmen des Ausländerrechts Kurd_innen die Wort erwähnt. Nur ein Jahr später galt die PKK im Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung verweigert, Abschnitt „türkische Kurden“ als die „militanteste und sie hätten sich an ‚Demonstrationen der PKK gegen aktivste international operierende Organisation“. die Türkei beteiligt‘. Im Sommer 1985 forcierte die türkische Regierung Im Februar 1988 melden sich zwei Kurd_innen bei innerhalb der Nato eine Initiative für eine engere der Polizei und geben an, angeblichen „Volksgerich- Zusammenarbeit gegen den Terrorismus. Darauf- ten“ der PKK entkommen zu sein. Im Zusammenhang hin richtete die Parlamentarische Versammlung der mit dem sowieso laufenden §129a Verfahren werden 12
auf Grund der Aussagen sofort 11 Kurd_innen, später insgesamt 20 verhaftet. Am Ende der Ermittlungen gibt es 19 Beschuldigte, von denen nur drei nicht bis zum Prozess in U-Haft sitzen. Der sich anbahnende Prozess vor dem Oberlandes- gericht (OLG) in Düsseldorf steht in einer Linie mit allen Prozessen gegen Angehörige von revolutionären Gruppen in der BRD, aber in einigen Punkten über- trifft der PKK-Prozess alles bisher erlebte.Sämtliche Gefangenen sitzen in Isolationshaft, die Verteidigung wird massiv behindert und die BAW startet eine Vor- In diesem Gebäude in Dersim wurden in den 1980er und verurteilungskampagne, die sich nahtlos an die anti- 90er Jahren hunderte politische Gefangener gefoltert und ermordet kurdische Propaganda der 2 Jahre zuvor anschließt. Generalbundesanwalt Rebmann erklärt die PKK zum klagekomplexe wurden fallengelassen. Die Glast- „Hauptfeind der inneren Sicherheit und das anste- rennwand nach internationaler Kritik abgebaut. hende Verfahren zum größten Terrorismusprozess in Mittlerweile jedoch wieder aufgebaut und unter an- der Geschichte der Bundesrepublik“ und thematisiert derem im o.g. DHKPC Verfahren ab 2008 genutzt. die Bedeutung des Verfahrens für geplante Verschär- fungen des Ausländer- und Asylrechts. Im Nachhinein wurde der Prozess selbst von Sei- ten der BAW selbstkritisch betrachtet und intern In Düsseldorf wird extra für diesen Prozess für 8,5 die Devise ausgegeben viele, kleine Düsseldorfs zu Mio. DM ein neuer Gerichtgebäude gebaut. Ein bun- schaffen, also kleinere Prozesse außerhalb des öf- kerähnlichliches Hochsicherheitsgebäude, zum Teil fentlichen Interesses ohne propagandistische Be- unterirdisch. Räumlich ist es weit entfernt vom ei- gleitmusik zu führen. gentlichen OLG-Gebäude, befindet sich aber nur we- nige hundert Meter vom Untersuchungsknast. PKK-Verbot Was sich anbahnt, ist ganz offensichtlich ein für die internationale Öffentlichkeit angelegter Schaupro- 1993 wird das sog. PKK Verbot erlassen. Die PKK zess. Die Angeklagten sollen nicht, wie seit mehr als und die ERNK (Nationale Befreiungsfront Kurdis- hundert Jahren und auch in allen 129a Verfahren bis- tans) werden mit einem Betätigungsverbot nach dem her üblich, unmittelbar neben, vor oder hinter den Vereinsgesetz belegt. Der Berxwedan-Verlag und die Verteidiger_innen sitzen, sondern aus ‚Sicherheits- Nachrichtenagentur Kurd-HA, die Föderation der gründen‘, räumlich getrennt von ihnen hinter einer patriotischen ArbeiterInnen- und Kulturvereinigun- Glastrennwand und mit jeweils einem Justizbeam- gen aus Kurdistan in der BRD e.V. FEYKA Kurdistan ten zwischen ihnen, was im Laufe des Prozesses zu und 29 andere kurdische Vereine werden als angeb- wiederholten Auseinandersetzungen führt. Zum Teil liche Unterorganisationen der PKK verboten und prügeln die Justizwachtmeister die Angeklagten aus aufgelöst. Mit dem Verbot sollte von Staatsseite das dem Saal. Der ‚Kurdenkäfig‘ wird zum Symbol die- vollendet werden, was Jahre zuvor begonnen wurde. ses Prozesses und von der Verteidigung bekämpft als Jegliche Solidarität mit der PKK wurde kriminali- ‚hygienisch einwandfreie mitteleuropäische Varian- siert, vom Rufen von Parolen, dem zeigen von Fah- te der berüchtigten Massenschauprozesse türkischer nen, Verteilen von Zeitungen bis zum Sammeln von Militärgerichte.‘ Spenden. Newrozfeiern, Kundgebungen, Demonstra- tionen und selbst Hochzeitsfeiern wurden verboten. Verhandelt wird schließlich gegen 19 Angeklagte mit Die Verbote setzte die Polizei auch in kleineren Städ- 48 Verteidiger_innen. Es geht um insgesamt zehn ten mit massiven Einsätzen. verschiedene Anklagen von Mitgliedschaft oder Un- terstützung bis zu mehreren Tötungsdelikten, von Tausende von Strafverfahren wurden eingeleitet und denen sich einige außerhalb der Zuständigkeit des hunderte kurdische Menschen eingesperrt. Die Het- Gerichts im Libanon abgespielt haben sollen. ze gipfelte 1994 in der Ermordung des kurdischen Ju- gendlichen Halim Dener durch einen Zivilpolizisten Am Ende, 1994 nach über 350 Verhandlungstagen in Hannover. Er war beim Plakatieren von ERNK- stehen mehrere Verurteilungen zu Haftstrafen, aber Plakaten von einer Streife entdeckt und durch einen auch Freisprüche. Mehrere inzwischen aus der U- Schuss den Rücken getötet worden. Der Prozess gegen Haft Entlassene gingen nach Kurdistan. Ganze An- den Zivilpolizisten Klaus T. wegen „Fahrlässiger Tö- 13
tung“ endete am 21.Juni 1996 mit einem Freispruch. Deutschland aktiv sein sollte. Vorgeworfen wurden in Die Kugel habe sich bei einem Gerangel unglückli- erster Linie eine Reihe von Anschlägen auf türkische cherweise gelöst, war die zynische Begründung. Reisebüros und Geschäfte. Auch hier musste wieder eine ‚terroristische Untervereinigung‘ konstruiert Diese politische und polizeiliche Praxis war die Be- werden, um den § 129a überhaupt anwendbar zu ma- gleitmusik zu einer ganzen Reihe weiterer §129a Ver- chen. Den Beschuldigten wurden dann auch kaum fahren gegen insgesamt 20 Menschen. Das Konstrukt konkrete Anschläge vorgeworfen, sondern Mitglied- der BAW war dieses Mal die sog. „Europäische Front- schaft und Teilnahme einer „Befehlsstruktur“. Auch zentral“, eine behauptete Untergruppe der PKK, die in diese Prozesse gingen mit Haftstrafen zu Ende. Repression gegen die kurdische Bewegung seit 1994 1997 geriet der damalige Innminister Kanther (CDU) Antiterrorrat“ der Türkei beschlossen dort und in den wegen seiner harten Linie gegen die PKK u.a. in die Kri- EU-Ländern eine umfassende Anti-PKK-Kampagne tik von Verfassungsschützer_innen. Mehrere Landes- zu starten. Insbesondere sollte mit der Behauptung behörden sprachen sich dafür aus, eine Aufhebung des die PKK sei in den Drogenhandel verwickelt bzw. Parteiverbots zu erwägen, „sollte Abdullah Öcalan am profitiere von diesem Propaganda gemacht werden. Gewaltverzicht festhalten. Seit Januar wurde die PKK- Führung in Deutschland von der Bundesanwaltschaft nicht mehr als „terroristische Vereinigung“ (§129 a Strafverfolgung in Deutschland: Strafgesetzbuch) eingeschätzt, sondern als „kriminelle Vereinigung (§129 Strafgesetzbuch) eingestuft. Die größte Zahl der Strafen (v.a. Geldstrafen) wurden in den letzten Jahren gegen Sympathisanten wegen Am 15. Februar 1999 wurde der damalige PKK-Vor- des Verstoßes gegen §20 Vereinsgesetz in Folge der im sitzenden Abdullah Öcalan von mehreren Geheim- Juni 2001 begonnenen Identitätskampagne „Auch ich dienstlern (u.a. US Amerikanern und Türken) aus Ke- bin PKKler“sowie wegen des Spendens und Spenden- nia in die Türkei entführt. Öcalan war zuvor mehrere sammelns verhängt. Monate durch Europa gereist und hatte versucht poli- tisches Asyl zu bekommen und eine friedliche Lösung Grundlage für die Strafverfolgung von PKK-Kadern der kurdischen Frage herbeizuführen. nach Aufgabe des „Terrorismus-Vorwurfs“ wurde das Konstrukt der Mitgliedschaft oder Rädelsführerschaft Die PKK wird auf Betreiben der USA nach dem in einer „kriminellen Vereinigung“ innerhalb der 11.09.2001 dem Spektrum der terroristischen Orga- PKK (Straftaten nach §129 StGB), das sich auf „vier nisationen zugerechnet, vor allem um sich der Türkei Säulen“ von sogenannten „Katalogstraftaten“ stützte: als Bündnispartner im „Kampf gegen den Terror“ zu versichern. Der KONGRA-GEL, eine zwischenzeitli- • Innerparteiliche Strafjustiz che Nachfolgeorganisation der PKK, wird 2004 eben- falls in die „EU-Terrorliste“ aufgenommen. • „Heimatbüro“ (Passfälschung und Schleusung) Die norwegische Regierung verkündet 2006, dass sie • Spendengelderpressung die PKK als „legitime Organisation“ und die EU-Ter- rorliste sowie die Eintragung der PKK als nicht bin- • „aktionistische Aktivitäten“(Hausbesetzungen,Brand- dend betrachtet. Am 3.04.2008 erklärt der Europäi- stiftungen, Körperverletzungen, Straßenblockaden) sche Gerichtshof für Menschenrechte die Eintragung von PKK und KONGRA-GEL in die EU-Terrorliste Da auch diese Vorwürfe immer seltener erhoben werden für ungültig. Trotzdem definieren die meisten Mit- konnten und in den letzten Jahren praktisch ganz wegge- gliedstaaten des Europarates der die PKK weiterhin fallen sind, haben Bundesanwaltschaft (BAW) und Ober- als „Terroristische Vereinigung“. landesgerichte begonnen, den Finanzbereich der Organi- sation neu in den Straftatenkatalog aufzunehmen und ihn Unmittelbar vor dem USA-Besuch des türkischen Au- in den Fokus der künftigen strafrechtlichen Verfolgung ßenministers Ali Babacan am 30. Mai 2008 setzt Prä- zu rücken. Dies offenbarte sich erstmals in dem §129-Ver- sident George W. Bush PKK und Kongra Gel auf die fahren gegen Halil D. vor dem Oberlandesgericht (OLG) Liste der wegen Drogenhandels zu verfolgenden Or- Celle, das mit dessen Verurteilung zu einer 3-jährigen ganisationen („Kingpin Act“). Zuvor hatte der „Hohe Freiheitsstrafe am 11. Oktober 2006 zu Ende ging. 14
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