MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen

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MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
mmm.verdi.de
                                                                            E 2814
                                                                       Jahrgang 69

                      MENSCHEN
                      MACHEN                         Bespuckt und bedroht
                      MEDIEN                         Journalisten mehr schützen

                                                     Vernetzung in Leipzig
Medienpolitisches ver.di-Magazin Dez. 2020 Nr. 4     Haus für Selbstständige

                                                     Fotojournalismus
                                              Die Krux mit den Bildern
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
INHALT

IM FOKUS:
FOTOJOURNALISMUS                                                                                 MEINUNG                                                          INTERNATIONAL

                                                               12   DIGITAL STORYTELLING         4   BILDKRITIK                                                   28 SÜDAFRIKA:
                                                                    IST EIN MINDSET,                 Hat Zuwanderung eine                                            NEUES PRINT-PRODUKT
                                                                    KEINE TECHNIK                    Hautfarbe?                                                      GESTARTET
                                                                    Gespräch mit Michael                                                                             Online-Medium Daily Ma-
                                                                    Hauri, Agentur 2470.media    5   ADEL VERPFLICHTET?                                              verick in Partnerschaft mit
                                                                                                                                                                     großer Super-Marktkette
                                Foto: imago/Baering

                                                               14   GEGEN VISUELLEN
                                                                    GEDÄCHTNISVERLUST            MEDIENWIRTSCHAFT                                                 29 AKTION FÜR SOLAFA
                                                                    Fotoarchive sammeln                                                                              MAGDY, ÄGYPTEN
                                                                    zeithistorische Doku-                                                                            Haltlose Terrorvorwürfe
                                                                    mente, doch wohin mit        22 DAS RADIO SEIT DER                                               gegen Journalistin
6    DIE KRUX MIT DEN                                               den Bildern?                    FUNK-STUNDE BERLIN
     BILDERN                                                                                        Eine beeindruckende
     Von Felix Koltermann                                      16   DIE „UBERISIERUNG“              Ausstellung über                                              VER.DI UNTERWEGS
                                                                    DER FOTOGRAFIE                  100 Jahre Hörfunk
9    BUCHTIPP                                                       Internet-Plattformen
     BFF-Praxishandbuch                                             für Akquise begleitet von                                                                     30 AB 2021
                                                                                                                                 Foto: Museumsstiftung Post und

     Fotorecht                                                      Preisverwerfungen                                                                                OHNE SPRACHROHR
                                                                                                                                                                     Nach 30 Jahren gibt es
                                                                                                                                 Telekommunikation

10   QUO VADIS                                                 18   UNVERFROREN BILDER                                                                               eine weitere gedruckte
     BILDREDAKTEUR*IN?                                              VERFÄLSCHT                                                                                       Zeitung weniger
     Veränderte Strukturen                                          Hohe Geldzahlung wegen
     und Verantwortlichkeiten                                       Urheberrechtsverletzung                                                                       30 NETFLIX: Vergütung für
     mit dem Gang ins Netz                                                                                                                                           Filmschaffende
                                                               20 AN DIE ALTERSVORSORGE
                                                                  GEDACHT?                       BERUF                                                            30 TARIFABSCHLUSS: Höhere
                                                                  Ein Mix aus gesetzlicher                                                                           Honorare und Gehälter bei
                                Foto: F.A.Z./Wolfgang Eilmes

                                                                  Rente und Zusatzangebo-                                                                            der Deutschen Welle
                                                                  ten kann sinnvoll sein         24 BESPUCKT UND BEDROHT
                                                                                                    Höchste Zeit, Journa-                                         31   PERSONALIEN:
                                                               21   BUCHTIPP                        list*­innen bei der Arbeit                                         Neue Verantwortlichkeiten
                                                                    Bilder stehen nicht allein      ausreichend zu schützen                                            bei Medien und Publizistik

                                                                                                 26 EIN HAUS FÜR                                                  31   DEUTSCHLANDRADIO:
                                                                                                    SELBSTSTÄNDIGE                                                     Freienstatut beschlossen
                                                                                                    Angebot zur Vernetzung
                                JEDEN MONAT EIN NEUER                                               und Bildung in Leipzig                                        31   RECHERCHE: Presse­
                                PODCAST AUF M ONLINE                                                                                                                   ausweis 2012 für Profis
                                                                                                 27 SCHON ENTDECKT?
                                                                                                    MEDIENBLOG BLIQ                                               31   IMPRESSUM
                                IM NOVEMBER:
                                KREML-MEDIEN IN DEUTSCHLAND
                                Alle M-Podcast unter
                                https://mmm.verdi.de/podcast/

2 M 4.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
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                            Karikatur: Klaus Stuttmann
                                                                                                                     XXXXXXXXXXXXXXX

                                                                   Kein Stillstand trotz Corona
                                            n v. Polentz

                                 Das Jahr 2020 geht zu Ende. Als Schaltjahr gönnt es uns einen Tag mehr. Aber was ist ein Tag mehr
                                 in einem Jahr, in dem die Zeit überschattet von Corona abläuft? Pläne zerplatzten, Durchhalten oder
                                 auch Neuorientierung waren angesagt. Dennoch, getreu der Devise „Carpe Diem“ wurde mit Krea-
                                                         Foto: Christia

                                  tivität und Engagement von den Menschen in der Medien- und Kulturbranche so einiges gestemmt.
                                  ver.di setzte sich für Kurzarbeitergeld, Soforthilfen und Unterstützungsgelder ein. Der zu erfüllende
                                  Beratungsbedarf der Mitglieder war enorm. Herausfordernd auch die Tarifverhandlungen, beispiels-
                               weise im Öffentlichen Dienst mit Bravour gemeistert. Oder die Vereinbarung zwischen ver.di, dem
                            Schauspielverband BFFS und Netflix, durch die Urheber*innen von deutschen Netflix-Serien in Zukunft
EIN BLICK INS               an deren weltweiten kommerziellen Erfolgen beteiligt werden – ein Novum.
VER.DI-NETZ LOHNT:
                            Fotograf*innen gehören zu jenen, die die Wucht der Pandemie mit der Absage von Veranstaltungen jeg-
                            licher Art zu spüren bekamen. Aber sie haben auch jenseits von Ausnahmezuständen mehr Aufmerksam-
https://                    keit verdient, als das bisher der Fall war. Deshalb fokussierte sich M 2020 auf diesen Beruf, der zumeist
selbststaendige.verdi.de/   von Selbstständigen ausgeübt wird. Neben der „Bildkritik“ (S. 4) in jedem gedruckten Magazin gab es
                            in M online eine Reihe Interviews zur Arbeit mit Fotos in den Medien. Die vorliegende aktuelle Ausgabe
https://dju.verdi.de
                            legt ihren Schwerpunkt auf die Verschränkung von Fotojournalismus und digitalem Publizieren, auf die
https://rundfunk.verdi.de   digitale Netzwerkkommunikation und die Bildwirtschaft sowie auf aktuelle politische Debatten über das
                            journalistische Bild (S. 6 – 21).

                            Und wenn die Erde sich erneut auf den Weg um die Sonne begibt, sollten wir zuversichtlich sein, auch
                            wenn uns Corona noch eine ganze Weile in Schach halten wird. Das ersehnte Miteinander bei Treffen vor
                            Ort wird noch warten müssen, aber der Journalismustag findet statt: am 23. Januar – virtuell, versteht sich
                            (S. 32). Das Thema Fotografie wird M im Blick behalten – ebenso wie das Schaffen Zehntausender Selbst-
                            ständiger in den Medien und beim Film. Zum Positiven dieses Jahres zählt dabei das unter anderem von
                            ver.di geführte Haus der Selbstständigen in Leipzig. Es ging Anfang September an den Start, plant ein brei-
                            tes „Vernetzungs-, Stärkungs- und Bildungsangebot“ (S. 26 – 27).

                            M wünscht allen Leser*innen trotz allem eine ruhige Weihnachtszeit und einen guten Start ins neue Jahr
                            – vor allem: Gesund bleiben!

                            Karin Wenk, verantwortliche Redakteurin

                                                                                                                           4.2020 M 3
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
MEINUNG

 Bildkritik
  Bildkritik ist die neue Kolumne von
  Menschen Machen Medien.
  Der Journalist und Kommunikations-
  wissenschaftler Felix Koltermann
  diskutiert dort in regelmäßigen Ab-

                                                                                                                                                     Screenshot: Felix Koltermann
  ständen den Umgang publizistischer
  Medien mit fotografischen Bildern.

Hat Zuwanderung eine Hautfarbe?
    E
               s gibt Rubriken und Themen, deren Bebilderung Foto­       Schwarze Menschen gibt, die nicht zugewandert sind bzw. Zuwande-
                redakteur*innen zur Verzweiflung treiben. Wie dabei      rer die weiß sind.
                auch gesellschaftliche Klischees – vermutlich unge-
                 wollt – bestärkt werden können, zeigt die Visualisie-   Da das Problematische der Botschaft vor allem eine Folge der Kon-
                 rung eines Kommentars in der Tageszeitung Welt.         textualisierung ist, lohnt ein differenzierterer Blick auf das Bild. Denn
                                                                         das lässt sich aus unterschiedlichen Perspektiven lesen. Dazu gehört
Am 24. Oktober 2020 veröffentlichte die Welt einen Gastkommentar         theoretisch eine inklusive, auf Vielfalt ausgerichtete Perspektive, zu-
von Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, unter dem Titel      mindest wenn man davon absieht, dass die weiße Frau im Hinter-
„Gerade in Corona-Zeiten brauchen wir Zuwanderung“. Der Autor            grund auch als Vorgesetzte und damit aus einem Hierarchieverhält-
macht sich darin für eine konsequente Umsetzung des Einwande-            nis gelesen werden kann. Die von der Welt ausgesuchte Fotografie ge-
rungsgesetzes stark, um die Fortschritte der letzten Jahre in der Mig-   hört zu einem von der Berliner Agentur „Hinterhaus Productions“
rationspolitik nicht zu verspielen. Als Aufmacherbild platzierte die     produzierten Konvolut an Stockfotografien, in dem Gesundheits- und
Redaktion eine Fotografie, die zwei Frauen in einem Labor zeigt, eine    Medizinthemen mit weiblichen Models verschiedener Hautfarben vi-
von ihnen Schwarz. Als Bildquelle ist angegeben „Getty Images/Di-        sualisiert werden. Stockfotografie bedeutet, dass Bilder zu bestimm-
gital Vision/Hinterhaus Productions“. In der Bildunterzeile heißt es:    ten Themenbereichen auf Vorrat produziert werden, die in allen mög-
„Gute Arbeitsbedingungen machen ein Land für ausländische Fach-          lichen Kontexten eingesetzt werden dürfen.
kräfte auch attraktiver, schreibt Gastautor Jörg Dräger“. Aber was, so
fragt man sich, hat eine Schwarze Laborangestellte mit ausländischen     Die übergeordnete Debatte, in die die hier kritisierte Visualisierung
Fachkräften zu tun?                                                      der Welt eingeordnet werden muss, ist das gesellschaftliche Verständ-
                                                                         nis dessen, wer die Menschen sind, die migrieren und wie diese aus-
Für die textliche Botschaft, die durch Überschrift, Bildunterschrift     sehen. Dabei ist klar, dass ganz grundsätzlich eine Herausforderung
und Teaser kreiert wird, sind vor allem die Begriffe „Zuwanderung“,      darin besteht, ein solch abstraktes Thema zu visualisieren. Aber die
„ausländische“, „Fachkraft“ sowie „Migrationspolitik“ entscheidend.      Gleichsetzung von Migration, Zuwanderung und ausländisch mit
Für die bildliche Ebene ist einerseits die Laborsituation prägend, an-   Schwarz ist leider ein viel zu oft benutztes gesellschaftliches Klischee.
dererseits die Hautfarbe und das Geschlecht der beiden dargestellten     Es negiert auf der einen Seite bestehende gesellschaftliche Vielfalt,
Personen. Der Begriff „Fachkraft“ korrespondiert mit der Laborsitua-     auf der anderen Seite weist es Menschen nicht-weißer Hautfarbe klare
tion und des dafür notwendigen qualifizierten Personals. Dagegen         Rollen zu. So verwundert es nicht, dass eine Studie des Sachverstän-
verweisen die Begriffe „Zuwanderung“, „ausländisch“ und „Migrati-        digenrates für Integration und Migration 2018 feststellte, dass zwi-
onspolitik“ auf die Hautfarbe der Schwarzen Protagonistin des Bildes.    schen phänotypischer Differenz (Unterschiede in Hautfarbe, ...) und
Zuwanderung mit Hautfarbe bzw. Aussehen zu konnotieren ist ein           Diskriminierungserfahrung ein Zusammenhang besteht. Umso wich-
klassisches Klischee in – vermeintlich – homogenen Gesellschaften        tiger ist es, Zuschreibungen, wie sie durch diese Bebilderung vorge-
wie in Deutschland. Im Umkehrschluss wird negiert, dass es auch          nommen wurden, zukünftig zu vermeiden. Felix Koltermann ‹‹

4 M 4.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
MEINUNG

                                                       Adel verpflichtet?
                                                       M
                                                                       assives juristisches Vorgehen gegen          In mindestens 120 Fällen ist Prinz von Preußen juris-
                                                                       Medien und die, die sie machen – ein         tisch gegen Medien, Journalist*innen, Historiker*in-
                                                                        Thema, mit dem wir uns schon jetzt          nen und Organisationen wie uns vorgegangen. Die
                                                                        und auch künftig verstärkt ausein­          Vorwürfe waren vielfältig. Nach eigenen Angaben auf
                                                                        andersetzen müssen. Nicht nur für           der Website preussen.de habe die Familie der Hohen-
                                                       unsere Mitglieder, die sich zunehmend Abmahnun-              zollern sich damit „ausschließlich gegen Falschmel-
                                                       gen und Klagen gegenübersehen, sondern auch, weil            dungen zur Wehr gesetzt“ und daher mit diesem Vor-
                                                       wir selbst von einem solchen Fall betroffen sind.            gehen „einen Beitrag für die Öffentlichkeit geleistet“.
                                                                                                                    Das ist in unseren Augen absurd.
                                                       Im Sommer ereilten uns zwei Abmahnungen mit bei-
                                                       gefügten Unterlassungsverpflichtungserklärungen, für         Ein Beitrag für die Öffentlichkeit wäre es, die mediale
                                                       jeweils eine Formulierung in einer Pressemitteilung          und geschichtswissenschaftliche Debatte über die
                                                       der dju in ver.di und im Text eines freien Autors auf        Resti­
                                                                                                                         tutionsverhandlungen der Hohenzollern mit
                                                       „M Online“. Absender der Schriftstücke war Georg             Brandenburg, Berlin und dem Bund sowie damit ver-
                                                       Friedrich Prinz von Preußen, Oberhaupt des Hauses            bunden die Frage nach der Rolle des Adelshauses wäh-
                                                       Hohenzollern und Ururenkel des letzten deutschen             rend des Nationalsozialismus zu fördern. Stattdessen
         Monique Hofmann                               Kaisers. Das Verrückte an der Sache: Beide Texte             steht zu befürchten, dass die Abmahn- und Klagewelle
Bundesgeschäftsführerin der                            gaben bekannt, die dju in ver.di unterstütze den „Prin-      Prinz von Preußens zu einer Erstickung dieser Debatte
 Deutschen Journalistinnen-                            zenfonds“, einen von FragDenStaat ins Leben gerufe-          führt. Ein freier und unbefangener Diskurs ist unter
  und Journalisten-Union in                            nen Rechtshilfefonds für Historiker*innen und Jour-          diesen Umständen nicht mehr möglich.
                      ver.di                           nalist*innen, die von eben jenem Prinz von Preußen
                                                       abgemahnt und verklagt werden.                               Das ist eine besorgniserregende Entwicklung mit Blick
                                                                                                                    auf die Pressefreiheit, auch über den konkreten Fall
                                                       Unterschrieben haben wir nichts. Und so stellte uns          der Hohenzollern hinaus. Nur die wenigsten Medien
                                                       das Landgericht (LG) Berlin auf Antrag des Kaiser-           können oder wollen es auf eine juristische Auseinan-
                                                       Nachfahren eine Einstweilige Verfügung zu. Unser             dersetzung ankommen lassen, ganz zu schweigen von
                                                       Widerspruch dagegen wurde in einer mündlichen Ver-           einem Ritt durch die Instanzen. Am längeren Hebel
                               Foto: Martha Richards

                                                       handlung im November zurückgewiesen – von der                sitzt offenbar, wer über die besseren Mittel verfügt.
                                                       gleichen Kammer, die die Einstweilige Verfügung aus-         Sollte ein solches Vorgehen Schule machen, droht die
                                                       gestellt hatte. Wir werden Berufung beim Kammerge-           Pressefreiheit großen Schaden zu nehmen.
                                                       richt einlegen.                                                                          Monique Hofmann ‹‹

                                                                                                                                                                      Anzeige

     MEDIENPREIS HIVAIDS
     EIN PREIS DER DEUTSCHEN AIDS-STIFTUNG
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                         Die Deutsche AIDS-Stiftung nimmt für ihren Medienpreis                                  Formlose Bewerbung (3-fache Ausfertigung) an:
                         Beiträge zum Thema HIV/AIDS aus allen Mediensparten                                     Deutsche AIDS-Stiftung
                         an. Die Beiträge müssen im Jahr 2019 oder 2020 erst-                                    Münsterstraße 18 / 53111 Bonn
                         mals in deutscher Sprache veröffentlicht worden sein.                                   medienpreis@aids-stiftung.de
                                                                                                                 www.medienpreis-hiv.de
                         Preisgeld: insgesamt 15.000 Euro
                         Einsendeschluss: 15. Januar 2021                                                        Förderer:

                                                                                                                                                               4.2020 M 5
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
IM FOKUS

                                                                   Ist das goldene Zeitalter des Fotojournalismus vorbei? Sollen wir einstimmen in
                                                                   den Abgesang auf das Metier, der in den letzten Jahren immer wieder erklang?
                                                                   Nein, im Gegenteil – der Blick richtet sich auf die Verschränkung von Fotojourna-
                                                                   lismus und digitalem Publizieren, auf die digitale Netzwerkkommunikation und
                                                                   die Bildwirtschaft sowie aktuelle politische Debatten über das journalistische
                                                                   Bild im Jahr 2020.

                                                                   Die Krux mit
                                                                   den Bildern
                                                                   Von Felix Koltermann

             I
                                                                   m Jahr 2020 ist laut dem Reuters Digital News Report      Von Fotojournalismus, sei es als Nachrichten- oder
                                                                   das Smartphone in Deutschland zum ersten Mal das          Dokumentarfotografie, lässt sich immer dann spre-
                                                                    wichtigste Gerät für den Konsum von Nachrichten.         chen, wenn professionelle Akteure Bilder zum Zwecke
                                                                    Einen ähnlichen Trend gibt es bezüglich der Quelle       journalistischer Kommunikation anfertigen, verbrei-
                                                                    von Nachrichten. Zum ersten Mal ist der Online-          ten und veröffentlichen. Und hier ist die Krux: viele
                                                                    Konsum (inklusive der sozialen Netzwerke) gleich-        der Bilder, die heute in journalistischen Medien
                                                                     auf mit dem Fernsehen. Das wichtigste soziale Netz-     kursieren, sind keine fotojournalistischen Bilder. Es
                                                                     werk, so der Report weiter, ist Facebook, gefolgt von   finden sich PR-Bilder, Stockfotografien oder Amateur-
                                                                   YouTube und Instagram.                                    bilder. Und immer öfter mischt sich alles mit allem.
                 Foto: picture alliance/SZ Photo/Jürgen Heinrich

                                                                   Diese digitale Medienöffentlichkeit ist durch eine sehr   Glaubwürdigkeit und Fake News
                                                                   große Bildlastigkeit gekennzeichnet. Kein Artikel
                                                                   kommt ohne Bild aus, sei es um Aufmerksamkeit zu          Zu denken gibt aber vor allem eine weitere Entwick-
                                                                   erzeugen, eine Nachricht zu visualisieren oder zum        lung und zwar das rückläufige Vertrauen in Nachrich-
                                                                   Zweck des Clickbaiting. Damit stellt sich die Frage, ob   ten. Laut dem Reuters Digital News Report liegt es nur
                                                                   und wo wir es in dieser digitalen Medienin-                         noch bei 45 Prozent. Während von den be-
                                                                   frastruktur überhaupt noch mit Fotojour-                                fragten User*innen immerhin noch 59
                                                                   nalismus zu tun haben bzw. wie sich der                                     Prozent den von ihnen genutzten
                                                                   Fotojournalismus dort zeigt.

6 M 4.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
FOTOJOURNALISMUS

Medien Glauben schenken, liegt das allgemeine Ver-          plette Handel online abgewickelt wird und Mikro-
trauen in Nachrichten aus den sozialen Netzwerken           payment-Systeme für Cent-Beträge möglich sind.
nur bei 14 Prozent. In Zeiten von Lügenpresse- und          Cloudbasierte Datenbanken und Systeme wie Pic-
Fake News-Vorwürfen ist das nicht verwunderlich und         turemaxx ermöglichen es auch einzelnen Foto-
verweist neben der Polarisierung gesellschaftlicher De-     graf*innen, als „One-Person“-Agenturen auf-
batten auf den vermehrten Einsatz einer hinter Fake-        zutreten.
News Vorwürfen versteckten politisierten Medienkri-
tik, die auch vor dem Fotojournalismus nicht Halt           Visuelle Trends
macht.
                                                            Wenn es um Bildästhetik und Inno-
Die grundsätzliche Herausforderung der Fotografie be-       vationen geht, führt kein Weg an
steht darin, dass ihr auf der einen Seite ein vereinfach-   Instagram vorbei. Dort werden
ter Vertrauensvorschuss im Sinne einer eins-zu-eins-        Trends gesetzt und visuelle Inno-
Realitätsabbildung mitgegeben wird. Auf der anderen         vationen ausprobiert. Das beein-
Seite sieht sich das Medium wie kaum ein anderes mit        flusst auch den Fotojournalismus.
einer heftigen Repräsentationskritik konfrontiert. Bei-     Aber lassen sich in sozialen Me-
dem liegt der Trugschluss zu Grunde, nur über das Bild      dien erfolgreiche Bildsprachen
ließe sich ermitteln, ob eine dargestellte Szene „wahr“     ohne weiteres im Fotojournalis-
sei oder nicht. Dabei sind Fotografien immer kontext-       mus einsetzen? Auf jeden Fall
gebunden und es liegt an der Vertrauenswürdigkeit           gibt es Unterschiede. Wäh-
der Produktionsbedingungen und Verarbeitungs­               rend sich eher feuilletonis-
mechanismen, ob diese glaubwürdig sind oder nicht.          tisch orientierte Bildredak-
Die Glaubwürdigkeit und Transparenz dieser Proto-           tionen wie etwa bei der Zeit
kolle sind entscheidend dafür, ob der Fotojournalis-        Experimente erlauben, ist das Bildver-
mus unbeschadet aus der Fake News-Krise heraus-             ständnis im tagesaktuellen Journalismus
kommt und sich als Medium der Weltvermittlung be-           bis heute eher tradi­tionell. Aber deswegen
haupten kann.                                               nicht unbedingt schlechter. Die Herausfor-
                                                            derung liegt auch in den jeweiligen Struktu-
Bildermarkt immer prekärer                                  ren, der redaktionellen Organisation wie den
                                                            verfügbaren Budgets. Dazu gehört die Frage, wer
Während Bilder immer wichtiger werden, wird der Bil-        eigentlich Bilder auswählt und über deren Publi-
dermarkt seit Jahren immer prekärer. Laut der von Pro-      kation entscheidet (siehe „Quo Vadis, Bildredak-
fessor Lars Bauernschmitt von der Hochschule Han-           teur?“ Seite 10 – 11).
nover in Kooperation mit verschiedenen Verbänden
durchgeführten Erhebung „image market 2020“ stel-           Geschickt greifen auch Agenturen in die Debatte ein,
len ungefähr 80 Prozent der befragten Agenturen und         die nicht für journalistische Inhalte bekannt sind, wie
Fotograf*innen sinkende oder stagnierende Honorare          etwa das Berliner Start-Up EyeEM (siehe S. 16 – 17). Ge-
fest. Besonders schlecht ist die Situation auf dem jour-    surft wird dabei vor allem auf der Storytelling-Welle,
                                                                                                                       Foto: imago images/imagebroker

nalistischen Bildermarkt. So kamen Fotograf*innen           die auch im Journalismus um sich greift. EyeEM wirbt
mit redaktionellem Schwerpunkt 2019 im Mittel nur           damit, Redakteur*innen und visuelle Entscheider*in-
auf einen jährlichen Netto-Honorarumsatz von 27.014         nen dabei zu unterstützen, qualitativ hochwertiges
Euro, während er im werblichen Bereich bei 53.909           Storytelling zu finden, ohne beim Publikum Anstoß
lag. Interessant ist, dass Urheber*innen und Agentu-        zu erregen. Die EyeEm Visual Trends 2020 benennen
ren dennoch ihre Vertriebskonzepte nicht in Frage           dafür unter anderem produzierten Realismus („Produ-
stellen.                                                    ced Realism“) und Bürgeraktivismus („Citizen Acti-
                                                            vism”). Es sind geschickt gewählte Stichworte, die
Klar ist, dass Bilder heute eine globale Handelsware        durchaus Anknüpfungspunkte an Debatten im
auf einem Markt sind, der extrem stark von Zentrali-        Fotojournalismus bieten und Teil eines noncha-
sierungstendenzen gekennzeichnet ist. Nirgendwo             lanten Versuchs sind, die visuelle Content-Pro-
wird dies deutlicher als an der Marktmacht des Kon-         duktion über den Journalismus zu stülpen.
zerns Getty Images, der durch internationale Zukäufe
sein Portfolio ständig erweitert. Die Digitalisierung hat   Journalistische Medien versorgen heute ne-
die Bildwirtschaft rasant verändert, seit fast der kom-     ben ihren gedruckten Produkten und den

                                                                                                                                                               4.2020 M 7
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
IM FOKUS

                                  Online-Ausgaben auch verschiedene Social Media-                         list*innen über Bildredakteur*innen bis hin zu Foto-
                                          Plattformen. Vor allem auf bildlastigen                         Assistent*innen – zu verbessern, eine Debatte über in-
                                              Plattformen wie Instagram stellt sich die                   klusivere Arbeitsbedingungen anzustoßen und die Pri-
                                              Frage, ob es dort noch um die Vermitt-                      vilegien Weißer Männer im Business herauszufordern.
                                               lung von Nachrichten oder eher das
                                               Branding des Verlags oder einer Medi-                      Kontrovers wurde in Facebook-Gruppen sowie auf ein-
                                              enmarke geht. Die Facebook- und In-                         schlägigen Webseiten wie Petapixel vor allem der Vor-
                                             stagram-Feeds unterscheiden nicht, vom                       schlag diskutiert, von den Fotografierten jedes Mal
                                         wem die Inhalte kommen, seien es Profis                          eine Zustimmung („Informed Consent“) einzuholen.
                                            oder Amateure, Scharlatane oder Medien-                       Altgediente Fotojournalist*innen witterten dahinter
                                              nutzer*innen. Professionelle Fotograf*in-                   den Versuch der Zensur, andere sahen es als in der Pra-
                                                nen sind wie andere auch, Konsu-                          xis nicht umsetzbar an, vor allem wenn es um De-
                                                  ment*innen, Produzent*innen und                         monstrationen und Krisensituationen geht. Erst­
                                                     Distributor*innen in einem. Was                      unterzeichner wie Jovelle Tamayo konterten, es ginge
                                                       wichtig ist, entscheiden Algo-                     um die Formulierung eines Ideals und das Anstoßen
                                                       rithmen, die die Nutzer*innen                      einer Debatte.
                                                       durch ihr Klickverhalten beein-
                                                       flussen. Das heißt aber auch, je-                  Neue Medien, ethische Fragen
                                                       des Bild ist gleich und Journalis-
                                                      mus nicht per se mehr wert, als                     Denn, sind Bilder einmal publiziert und in der Welt,
                                                    Celebrity oder PR. Für die Vermitt-                   stehen sie allen zur Verfügung und können zu vielfäl-
                                         lung visueller Inhalte eine immense Heraus-                      tigsten Zwecken genutzt werden. Dazu gehört auch
                                         forderung. Deswegen warnt Michael Hauri:                         staatliche Überwachung und Repression. Nie war es
                                          „Ich würde Fotograf*innen nicht raten, sich                     einfacher, über Gesichtserkennung fotojournalistische
                                          als Influencer*innen zu versuchen, weil da-                     Dokumente zur Strafverfolgung oder zur Diskreditie-
                                          bei die Grenzen zur Werbung automatisch                         rung des politischen Gegners zu nutzen. In einer glo-
                                          verwischt werden“ (siehe Interview Seite                        balen Medienöffentlichkeit, die eine Folge digitalen
                                          12 – 13).                                                       Publizierens im Internet und sozialer Netzwerke ist,
                                                                                                          stellen sich klassische bild- und medienethische Fra-
                                                             Wer böse wäre, könnte vermuten, dass ei-     gen völlig neu.
                                                             genständige journalistische Inhalte in so-
                                                           zialen Netzwerken auch gar nicht so zent-      Während der Nachhall auf diesen Aufruf in Deutsch-
                                                      ral sind. Denn im digitalen Neusprech dreht         land bis heute quasi inexistent ist, schaffte es die De-
                                                      sich alles um „Content“. Und da wird kaum ein       batte um den Umgang der Fotografenagentur Mag-
                                                      Unterschied gemacht, ob dieser von Unterneh-        num mit einer Arbeit ihres Mitglieds David Harvey
                                                    men oder Verlagen stammt, redaktioneller oder         aus den 80er Jahren bis auf die deutschen Feuilleton-
                                                   werblicher Natur ist. Es ist oft eine oberflächliche   seiten. Die Kritik entzündete sich vor allem an der ten-
                                                   Livestyle Welt, die man erfährt, wenn man bei den      denziösen Verschlagwortung einer Reportage über
                                                   Inhalten der Social Media-Kanäle verbleibt. Dies       minderjährige Sexarbeiter*innen in Thailand. Mag-
                                                   verweist auf die Notwendigkeit einer Debatte da-       num entschloss sich nach einer eingehenden Prüfung,
                                                   rüber, ob seriöser Journalismus in sozialen Medien     die Bilder aus dem Archiv zu nehmen. Vor allem
                                                   überhaupt möglich ist und welche Rolle die Foto-       rechtskonservative Autor*innen sahen hier einen Fall
             Foto: Shutterstock / Teodor Lazarev

                                                   grafie dabei spielen soll. Vor allem aufgrund der      von „Cancel Culture“ und politisierten damit die De-
                                                   großen Bedeutung sozialer Medien für den Nach-         batte weiter.
                                                   richtenkonsum junger Menschen ist dies wichtig.
                                                   Das – zumindest theoretisch – bestehende Poten-        Aber es gibt auch positive Veränderungen. So über-
                                                   zial, hochwertige fotojournalistische Inhalte für      raschte im Oktober viele in der Branche die Nachricht,
                                                   soziale Netzwerke zu produzieren, ist dabei bei        dass die bis dato inhabergeführte Fotoagentur Focus
                                                   weitem nicht ausgeschöpft.                             von einer Gruppe Fotograf*innen übernommen wird.
                                                                                                          Die Gruppe ist zwar stark Weiß und männlich domi-
                                                   Eine Welle der Politisierung                           niert, setzt aber an anderer Stelle politisch Akzente.
                                                                                                          So wurde nachhaltige Entwicklung als Leitprinzip aus-
                                                   Gepusht durch die Corona-Krise haben sich im           gerufen. Dazu sollen etwa „Maßnahmen zur Bekämp-
                                                    Frühsommer in den USA verschiedene Instituti-         fung des Klimawandels und seiner Auswirkungen“ er-
                                                     onen wie das Authority Collective, das Netzwerk      griffen werden und Maßnahmen wie „zum Beispiel
                                                     Women Photographer und die National Press            klimaneutrale Reisen, Übernachtungen, Strom-
                                                    Photographers Association zusammengetan, um           anbieter“ gehören, so die Selbstdarstellung der
                                                   eine „Photo Bill of Rights“ zu verabschieden. Ziel     Agentur.
                                                   ist die Arbeitsbedingungen sogenannter „lens ba-
                                                   sed workers“ – also aller Berufsgruppen, die vor       Und die Kolleg*innen des Fotografenver-
                                                   und hinter der Linse arbeiten, von Fotojourna-         bandes FREELENS beauftragten die Sozio-

8 M 4.2020
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
FOTOJOURNALISMUS

login Renate Ruhne mit einer Studie über „Gender
und Fotografie“, deren Ergebnisse im kommenden
                                                                                         Buchtipp
Jahr vorliegen sollen. Die Kölner Fotojournalistin Ju-
liane Herrmann hingegen machte sich mit der dritten
                                                                                         BFF-Praxishandbuch
Ausgabe ihres im Eigenverlag publizierten Beyond Ma-                                     Fotorecht
gazin auf die Suche nach einer (post)kolonialen Ge-
genwart. Ihre in der Tradition der humanistischen Fo-

                                                                                          W
tografie verortete Magazinreihe möchte mit der aktu-                                                     enn eine Publikation die Attribute Praxis, Handbuch und
ellen Ausgabe „einen Diskurs zu kolonialen Struktu-                                                       Basiswissen verdient, dann das „BFF-Praxishandbuch Foto-
ren in der Fotografie, zur Macht der Bilder unserer                                                       recht – Basiswissen und Verträge für Fotografen“. Zuge­geben,
Gegenwart und zu den Bedingungen der Bildproduk-                                                          109 Euro scheinen ein stolzer Preis zu sein. Die Investition
tion in einer globalisierten Welt eröffnen“, wie auf                                                       lohnt sich aber für alle, die sich als professionelle Foto-
Herrmanns Webseite zu lesen ist.                                                         graf*innen verstehen. Der Preis wird sicherlich schnell kompensiert. Eine
                                                                                         Steuererklärung, Einsparungen bei Sozialversicherungen, vermiedene Kosten
Die Welt des Fotojournalismus ist komplex. Auch                                          für Nachverfolgung von Urheberrechtsverletzungen – es rentiert sich.
wenn sie das schon immer war, sind die Herausforde-
rungen so groß wie nie. Im Jahr 2020, nach #metoo                                        Manch eine journalistisch arbeitende Fotograf*in mag sich fragen, was ha-
und #blacklivesmatter, stellen sich viele Fragen, die                                    ben wir mit dem BFF zu tun? Der Berufsverband Freie Fotografen und Film-
ein „Weiter so“ im Fotojournalismus nicht mehr mög-                                      schaffender repräsentiert nicht nur werblich orientierte, sondern auch viele
lich machen. Sie betreffen alle in diesem Feld Tätigen,                                  journalistisch, dokumentarisch arbeitende Fotograf*innen. Das wird im zwei-
von den einzelnen Fotojournalist*innen über die                                          ten Teil im BFF-Praxishandbuch Fotorecht deutlich.
Agenturen und Redaktionen bis zu Studiengängen,
Festivals und Verbänden. Selten gab es so viel Bewe-                                     Der Autorin Dorothe Lanc, Nachfolgerin des 2014 verstorbenen Dr. Wolfgang
gung in diesem Berufsfeld. Dazu gehört, dass alte Ge-                                    Maaßen, ist es gelungen, dessen „BFF Handbuch Basiswissen“ und „BFF Hand-
wissheiten in Frage gestellt werden, aber es bietet auch                                 buch Verträge“ in aktueller Form neu zu strukturieren. Man merkt dem Buch
Chancen für Veränderungen und vor allem eine poli-                                       an, dass Dorothe Lanc nicht nur Fachanwältin für Urheber-und Medienrecht
tische Diskussion darüber, welche Form von Visuali-                                      und Justiziarin des BFF ist, sondern auch an verschiedenen Hochschulen als
tät der Journalismus heute braucht, welche Rolle da-                                     Dozentin gearbeitet hat und weiterhin an der Fachschule Dortmund Studie-
bei der Fotojournalismus spielt und wer dies bezahlen                                    rende auf das Berufsleben vorbereitet. Herausgekommen ist ein Kompen-
soll.                                                ‹‹                                 dium von über 700 Seiten, das tatsächlich alle Bereiche der Berufsfotografie
                                                                                         selbst bei rechtlichen Fragen praxisnah begleitet.

                                                                                         Das Buch ist für Berufsanfänger wie für „alte Hasen“ gleichermaßen hilfreich.
                                                                                         Vom Businessplan über Management und Organisation des eigenen Business
                                                                                         werden im ersten Teil die Gesellschaftsform des Unternehmens, Steuerrecht-
                                                                                         liches wie die immer wieder von den Finanzämtern gestellte Frage Kunst oder
                                                                                         Gewerbe, Verantwortlichkeiten zur eigenen Website auch im Sinn der DSGVO,
                                                           Foto: Christian von Polentz

                                                                                         Versicherungen, Kalkulation, und Akquise, Verträge für mögliche Mitarbei-
                                                                                         ter*innen und vieles mehr angesprochen. Mit Checklisten und Mustern wird
                                                                                         Hilfe aufgezeigt. Für Berufseinsteiger*innen ein Muss, für gestanden Profis
                                                                                         eine Quelle, ihr Businessmodell zu überprüfen und anzupassen.

                                                                                         Der zweite Teil beschäftigt sich ausführlich mit den typischen rechtlichen Fra-
                                                                                         gen, mit denen sich selbstständige Fotograf*innen täglich auseinandersetzen
                                                                                         müssen. Verschiedene Lizenzmodelle, Vermarktungsoptionen, Vertragsmus-
                                                                                         ter mit Bildagenturen oder Verlagen, die Rolle der VG Bild Kunst und das kom-
                                                                                         merzielle Handling künstlerischer Fotografie mit Galerien und Kunden wer-
                                                                                         den ebenso übersichtlich wie ausführlich und verständlich dargestellt.
                                                                                         Natürlich werden auch Auftragsabwicklung von Erstellung eines Kosten­
                                                                                         voranschlags bis zum Forderungsmanagement bei säumigen Kunden erklärt.
                                                                                         Typische Freigabeerklärungen für Models oder Locations fehlen ebensowenig.

                                                                                         Dorothe Lanc hat mit dem Handbuch Fotorecht tatsächlich ein alltagstaug­
                                                                                         liches, übersichtliches Nachschlagewerk geschaffen, das sich jede Fotograf*in
                                                                                         leisten sollte. Die Investition lohnt sich.            Sabine Pallaske ‹‹

                                                                                         BFF-Praxishandbuch Fotorecht Basiswissen und Verträge für Fotografen
                                                                                         ISBN 978-3-933989-58-1

                                                                                                                                                                4.2020 M 9
MENSCHEN MACHEN MEDIEN - Fotojournalismus Die Krux mit den Bildern - Bespuckt und bedroht Journalisten mehr schützen
IM FOKUS

Quo Vadis
Bildredakteur*in?
Veränderte Strukturen und Verantwortlichkeiten mit dem Gang ins Netz

       J
                ournalismus ohne Bilder ist heute         Berufsbild klarer beschreiben
                nicht mehr vorstellbar. Damit braucht
                 es auch Akteur*innen, die sie aus­       Die Herausforderung fängt bereits bei der Tätig-
                 wählen. Aber wer macht das? Was          keitsbezeichnung an. Denn auch wenn die Begriffe
                 treibt sie an und was sind die Rah­      Bild­redakteur*in und Fotoredakteur*in oft synonym
menbedingungen ihrer Arbeit? Felix Koltermann mit         verwendet werden, bestehen in der Praxis doch
einer Annäherung an ein viel zu lange vernachlässig­      Unterschiede. So werden im Lokaljournalismus die
tes Berufsfeld.                                           Redaktionsfotograf*innen oft als Fotoredakteur*innen
                                                          geführt. Wobei ihr Tätigkeitsschwerpunkt meist die
Im Februar dieses Jahres schockierte die Nachricht,       Bildproduktion und nicht die Bildauswahl ist. Dazu
dass der Berliner Tagesspiegel seine Fotoredaktion auf-   kommen Überschneidungen bildredaktioneller Tätig-
löst, die Journalismus-Community. Für kurze Zeit lag      keiten zu anderen Positionen, wie etwa den Produk­                                         In der Bildredak­
damit das mediale Schlaglicht auf den Bild- bzw.          tionsredakteur*innen oder den Art-Direktor*innen.                                          tion der Frankfurter
Fotoredakteur*innen und den Strukturen, in denen          Klar ist für Kevin Mertens, der mit der von ihm auf-                                       Allgemeinen Zeitung (F.A.Z.)

                                                                                                                      Foto: F.A.Z./Wolfgang Eilmes
sie arbeiten. Aus der Nachricht könnte man ableiten,      gebauten emerge Akademie Bildredakteur*innen aus-                                          in Frankfurt am Main werden
dass eigenständige Bildressorts bzw. Bildredaktionen      und weiterbildet, dass Bildredaktion eine redaktionelle                                    an sieben Tagen in der Woche
in deutschen Medienhäusern zum Standard gehören.          und damit auch journalistische Aufgabe ist. Ein Fak-                                       Fotos für die verschiedenen
Aber weit gefehlt. Konkrete, belastbare Zahlen existie-   tor, der nicht nur für das Selbstverständnis, sondern                                      Publikationen und Kanäle der
ren nicht, weder bei den Arbeitgebern, etwa beim Bun-     auch für die tarifliche Eingruppierung entscheidend                                        F.A.Z. beauftragt, gesichtet
desverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger          ist.                                                                                       und ausgewählt.
(BDZV), noch bei den Arbeitnehmer*innen, bei den                                                                                                     Täglich laufen mehr als 15.000
Verbänden dju in ver.di, DJV oder FREELENS.               Die Grundqualifikation für Bildredakteur*innen be-                                         Fotos aus ganz unter­schied­
                                                          steht dabei laut Kevin Mertens in einem Gespür für                                         lichen Quellen ein.
Während zumindest die überregionalen Tageszeitun-         Fotografie und der Fähigkeit, Bildmaterial einzuord-
gen und Nachrichtenmagazine über eigenständige            nen und auszuwählen, sowie einem Interesse für die
Bildredaktionen mit mehreren Mitarbeiter*innen ver-       Themen der jeweiligen Publikation. Dazu kommen
fügen, kommen etwa viele Lokalzeitungen und die           Organisationsfähigkeit und Zeitmanagement sowie
Zentralredaktion des Redaktionsnetzwerks Deutsch-         zunehmend Kenntnisse in der Webentwicklung und
land gänzlich ohne Bildredakteur*innen aus. Gleich-       der Analyse von Nutzer*innenverhalten. „Noch sind
zeitig wurden in den letzten Jahren an anderer Stelle     wir in einer Übergangsphase von Print zu Online“,
auch bildredaktionelle Strukturen ausgebaut. So schuf     meint Mertens. Und bei Mobile und Digital First
etwa Deutschlandfunk Kultur eine komplett neue            braucht es andere Herangehensweisen, was sich etwa
Bildredaktion. Noch größer sind die Veränderungen         bei der Bildauswahl zeigt. Es brauche „Bilder, die so-
in anderen Bereichen wie den Public-Relations. Selbst     wohl hoch, quer als auch im Quadrat funktionieren
große deutsche NGOs wie Greenpeace oder Brot für          und nicht zu kleinteilig sind“. Ein Grundproblem ist
die Welt beschäftigen heute Bildredakteur*innen.          der Zeitfaktor, nicht die Verfügbarkeit von Material.
                                                          „Schon 15 Minuten mehr Zeit wären ein echter Qua-
Und spätestens seit dem Einzug der „Online First“-        litätsgewinn“, so Mertens. Dies macht neue Software-
Strategien in die Redaktionen ist klar: ohne Bild kein    lösungen und Programme zur Zeitoptimierung so in-
Artikel. Denn nicht mehr nur Print- und Online­           teressant und wichtig.
publikationen brauchen Bilder, auch das Radio und
das Fernsehen vermarkten ihre Beiträge auf Social-Me-     Freienarbeit mit Vor- und Nachteilen
dia-Kanälen und Apps, was Teaserbilder unumgäng-
lich macht. Die Konsequenz ist, dass damit immer          Die Historikerin Miriam Zlobinski ist feste Freie in der
auch bildredaktionelle Arbeit nötig ist. Die Frage ist    Bildredaktion des Deutschlandfunks Kultur in Köln, die
nur durch wen: durch spezialisierte Bildredakteur*in-     ausschließlich aus freien Mitarbeiter*innen besteht.
nen, KI-gesteuerte Algorithmen oder als Nebentätig-       Für sie hat die Arbeit als Freie Vor- und Nachteile. „Ein
keit von Text- und Produktionsredakteur*innen.            Problem ist das Wissensmanagement innerhalb der
                                                          Redaktionen“, so Zlobinski, während umgekehrt eine

10 M 4.2020
FOTOJOURNALISMUS

                                                          überredaktionelle Diskus-          Images gelaunchte Portal Panels, welches das Hoch­
                                                            sion erleichtert werde. Ke-      laden von Texten ermöglichte, denen über die KI
                                                             vin Mertens kritisiert,         Schlagwörter und Bildvorschläge zugeordnet wurden,
                                                              dass die Honorarstruktu-       nach kurzer Zeit wieder vom Markt. Aber es ist nur
                                                               ren oft nicht die Besten      eine Frage der Zeit, bis andere Angebote kommen. Die
                                                               sind und keine stabilen       Fehleranfälligkeit rein automatisierter Prozesse musste
                                                               Arbeitsverhältnisse exis-     im Juni diesen Jahres Microsoft eingestehen. Die für
                                                               tieren. Gleichzeitig er-      die Bildauswahl beim Nachrichtenportal MSN.com zu-
                                                               mögliche gerade dies          ständige KI hatte zwei Musikerinnen verwechselt.
                                                              auch flexibles Arbeiten,
                                                              was vor allem Berufsein-       Während die Komplexität bildredaktioneller Arbeit in
                                                             steigern*innen schätzten,       der aktuellen digitalisierten Medienwelt augenschein-
                                                            so Mertens. Es sind vor al-      lich ist, ist es umso erstaunlicher, dass die Berufs-
                                                          lem Fotojournalist*innen,          gruppe der Bildredakteur*innen bisher kaum organi-
                                                         die ein zweites Standbein ne-       siert in Erscheinung tritt. Es gibt weder einen eigenen
                                                        ben der eigenen fotografi-           Verband, der ihre Interessen vertritt, noch eine mit
                                                      schen Tätigkeit benötigen und          dem Thema befasste Kommission innerhalb der ver-
                                                    deshalb auch als Bildredakteur*in-       schiedenen Verbände. Auch schriftliche Dokumente
                                                  nen arbeiten.                              oder Richtlinien bezüglich der journalistischen Rah-
                                                                                             menbedingungen bildredaktioneller Arbeit existieren
                                              Über die Rahmenbedingungen bildredak-          kaum. Einzelne Vorhaben, wie etwa die Initiative zur
                                          tioneller Arbeit lässt sich nicht sprechen, ohne   Kennzeichnungspflicht manipulierter Fotos, an dem
                                     über Geld zu reden. „Je nach Medium, ist das Bud-       der ver.di-Vorgänger IG Medien mitwirkte, konnten
                                get ein entscheidender Faktor“, so Kevin Mertens. So         sich in der Praxis nie wirklich durchsetzen. Und auch
                                sind es auf der einen Seite die starren redaktionellen       der so gern zitierte Pressekodex verweist nur an sehr
                                Vorgaben hinsichtlich der Budgets für Bildmaterial,          wenigen Stellen explizit auf das Bild. Konkret wird es
                                was die Abonnements der Nachrichtenagenturen so              nur mit der Richtlinie 2.2. zum Symbolbild.
                                interessant macht und Zugriffsmöglichkeiten auf an-

        i
                                dere Quellen beschränkt. Und auch das nebenbei fo-           Vom Picture Editor
                                tografierte – und meist günstigere – Material der Text-
                                                                                             zum Visual Journalist
               nfo              redakteur*innen wird gerne genommen. Auf der an-
                                deren Seite flutet das erstarkende Segment der Stock-        Gefragt nach der Zukunft der Bildredaktionen,
                                fotoagenturen und der Fotoamateur*innen den Markt            wünscht sich Miriam Zlobinski, dass sich diese zu ei-
Weiterbildungen                 mit billigem Bildmaterial oder gar Gratisbildern und         ner innerredaktionellen Fachinstanz Richtung Fakt-
im Bereich Bildredaktion        leistet einer Symbolbildoptik Vorschub.                      checking und Bildrecht entwickeln. Darüber hinaus
                                                                                             sollten Bildredakteur*innen bei der Selbstbildentwick-
Eine 1-jährige berufsbeglei-    Auch ein Blick auf die Redaktionsorganisation ist loh-       lung der Medien eine größere Rolle spielen. Und Ke-
tende Weiterbildung bietet      nend. Denn selbst wenn die Bildauswahl in den Hän-           vin Mertens fordert, dass Bildredakteur*innen zu ei-
die private Ostkreuzschule      den eines eigenen Ressorts liegt, wird der Handlungs-        nem früheren Zeitpunkt in Projekte eingebunden und
in Berlin an (Start im März).   spielraum oft an anderen Stellen beschränkt: So wer-         an der konzeptionellen Arbeit beteiligt werden. Seine
An der Emerge Akademie für      den die Bildunterschriften häufig von Textkolleg*in-         Vision ist, dass sich deren Rolle vom „Picture Editor
visuellen Journalismus gibt     nen oder im Produktionsbereich formuliert. Auch das          zum Visual Journalist“ wandelt, der mit breiten Kom-
es die Workshops „Grundla-      Bespielen von sozialen Netzwerken übernehmen oft             petenzen im Team multimedial Inhalte plant und um-
gen der Bildredaktion“ und      andere und damit auch die Entscheidungen für die             setzt. Dafür wären seiner Ansicht nach jedoch mehr
„Visual Story Production”.      Bilder auf diesen Ausspiel­kanälen. Eine weitere Hürde       spezialisierte Volontariate notwendig.
                                ist die – in vielen Redaktionen noch bestehende –
Weitere Angebote gibt es bei    Trennung von Print- und Online. Auch wenn hier viel          Einiges zu tun also, um die Qualität (bild-)redaktio-
der Hamburger Akademie          in Bewegung ist, heißt das noch lange nicht, dass da-        neller Arbeit zu steigern und bessere Arbeitsbedingun-
für Publizistik mit den Work-   mit der Status von Bildredakteur*innen klarer definiert      gen für Bildredakteur*innen zu schaffen. Aber ob sich
shops „Bildauswahl” und         oder gar besser würde.                                       dies in der Breite durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.
„Bildrechte”, der Akademie                                                                   Denn vor allem im Lokaljournalismus geht der Trend
der bayrischen Presse mit       KI noch fehleranfällig                                       schon lange zur Allrounder*in. Von den Kolleg*innen
dem Workshop „Bildsprache                                                                    dort wird neben dem Texten ganz selbstverständlich
und Fotoauswahl“, dem Köl-      Veränderungen – oder möglicherweise auch Bedro-              das Fotografieren, sowie die Produktion von multime-
ner Mibeg Institut mit dem      hungen – gibt es auch von anderer Seite: der Künstli-        dialen Inhalten verlangt. Man kann dies als Gefahr se-
Workshop “Bildredaktion”        chen Intelligenz. Eine Reihe von Start-Ups ist auf die-      hen oder als Chance, dass weniger die Form als der In-
und bei Pro Content (ehemals    sem Feld ebenso aktiv (siehe S. 16 – 17) wie die großen      halt wichtig ist. Gleichwohl funktioniert dies nur,
Journalistenschule Ruhr).       Bildagenturen und Digitalkonzerne. Längst ist es Stan-       wenn auch die Kompetenzen breiter aufgestellt sind,
                                dard, dass Algorithmen Fotograf*innen Schlagworte            womit die Vision eines Visual Journalist vielleicht
                                beim Hochladen von Bildern in eine Datenbank vor-            doch Wirklichkeit wird.                             ‹‹
                                schlagen. Zwar verschwand das 2018 von Getty

                                                                                                                                       4.2020 M 11
IM FOKUS

Digital Storytelling ist ein
Mindset, keine Technik
    E
                s waren die in Tageszeitungen abgedruckten Ein­          Das finde ich eine gute Beobachtung. Ich glaube, es hat tatsächlich
                zelbilder und die mehrseitigen Fotoreportagen in         etwas damit zu tun, ebenso wie mit der Frage, ob man bereit oder ge-
                 Nachrichtenmagazinen, die dem Fotojournalismus          wohnt ist, in einem Team zu arbeiten. Wenn ich jeden Tag als Einzel-
                 zu seiner gesellschaftlichen Relevanz verholfen ha­     kämpfer*in durch die Gegend ziehe, fehlt mir in gewisser Weise eine
                 ben. Im Zeitalter digitaler Medienkommunikation ist     Art Korrektiv, in dem man gemeinsam über Geschichten nachdenkt.
die Fotografie nur noch ein Element unter vielen und muss sich stän­     Das ist tatsächlich ein Teil des Problems.
dig neu behaupten. Wie Fotograf*innen und der Fotojournalismus
auf diese Herausforderungen reagieren müssen und welche Chancen          Würdest Du umgekehrt dafür plädieren, multimedial arbeitende
und Möglichkeiten dabei im digitalen Publizieren – auch in sozialen      Fotojournalist*innen, stärker in die Newsrooms einzubinden?
Netzwerken – liegen, darüber sprach Felix Koltermann mit Michael         Unbedingt. Aber dazu müssten sie natürlich auch ihre Rolle anders
Hauri, Geschäftsführer der Agentur 2470.media.                           definieren. In den Redaktionen braucht es im Prinzip technikaffine
                                                                         Allrounder*innen mit einem guten Gespür für Stories und deren vi-
M | Ist der Begriff Fotojournalismus im Zeitalter digitaler Me-          suelle Ebenen. Das ist eben weit mehr, als sich nur mit Fotografie aus-
dienkommunikation noch zeitgemäß?                                        einanderzusetzen, sondern was ich mit dem schon erwähnten Mind-
Michael Hauri | Für mich ist der Fotojournalismus Teil eines viel grö-   set verbinde: passend zu einer Geschichte oder einem Inhalt die Kom-
ßeren Ganzen, das ich digitalen Journalismus nenne. Als Fotograf*in      ponenten zu wählen und im Stande zu sein, diese umzusetzen. Und
muss man sich immer wieder bewusst werden, dass man sich in ei-          über eine handwerkliche Umsetzung hinaus können und sollten Fo-
ner Blase befindet. Es ist wichtig, diese Blase zu verlassen und sich    tograf*innen und visuelle Journalist*innen viel stärker auch Ideenge-
jenseits der medialen Grenzen nach Möglichkeiten umzusehen, sich         ber*innen sein.
visuell und multimedial auszudrücken. Der klassische Fotojournalis-
mus zeigt sich heute vor allem in drei Formen: bei Instagram wegen       Mir scheint es, als wären abseits großer Leuchtturmpro-
des direkten Drahts zum Publikum, in Büchern und in Galerien bzw.        jekte Multimediaprojekte noch nicht im journalisti-
im Kunstkontext. Alles andere dazwischen ist für mich sehr häufig –      schen Alltag angekommen. Täuscht der Eindruck?
und das ist nicht abschätzig gemeint – Gebrauchsfotografie: etwa das     Also zum einen würde ich sagen, dass die Zeit der gro-
Hintergrundbild bei den Tagesthemen oder die Aufmacherbilder bei         ßen Leuchtturmprojekte tatsächlich vorbei ist. Zum
faz.net und sz.de. Diese Fotografie dient dazu, Inhalte schmackhaft      anderen sehe ich auf Portalen wie zeit.de, spiegel.
zu präsentieren und im weitesten Sinne zu verkaufen.                     de oder in den Apps der „Tagesschau“ oder der
                                                                         Welt, dass multimediale Elemente zum Stan-
Wie definierst Du Multimedia und wie grenzt Du dies von an-              dard geworden sind. Aber in einem Punkt
deren Konzepten wie dem Digital Storytelling oder Crossmedia             muss ich dir Recht geben: Was in den letz-
ab?                                                                      ten Jahren in Deutschland an visuell ge-
Multimedia und Crossmedia sind Begriffe, die heute selbstverständ-       prägten Digitalprojekten realisiert
lich geworden sind. Wenn eine Redaktion eine Instagram-Story pro-        wurde, zeugt in erster Linie von einer
duziert, ist sie automatisch in einem Medium, das zum multimedia-        großen Begeisterung für den Daten-
len Arbeiten zwingt. Heutzutage ist es selbstverständlich, dass eine     journalismus seitens der Redaktio-
Zeitungsredaktion verschiedene Kanäle nutzt und diese unterschied-       nen. Die Fotografie spielt meist nur
lich bespielt. Aber bei Fotograf*innen habe ich häufig den Eindruck,     eine untergeordnete Rolle. Was im
dass sie sich zu sehr in ihrer Bilderwelt bewegen und das große Po-      Alltag produziert wird (Audio-Einbin-
tenzial dessen, was darüber hinaus möglich wäre, nicht richtig wahr-     dung, Videos, Umfrage-Barometer, in-
nehmen. Ich möchte sie dazu ermutigen, die engen Grenzen des Me-         teraktive Karten, Longreads usw.) bleibt
diums Fotografie zu erweitern und darüber hinaus zu denken. Da           meist weit hinter seinem visuellen und
kommt für mich der Begriff Digital Storytelling ins Spiel, weil er we-   immersiven Potenzial zurück. Das hängt
niger ein spezifisches Format meint, sondern die Offenheit mit sich      nicht nur mit einer fehlenden visuellen
schwingen lässt. Der Grundgedanke ist, nicht die Story in ein be-        Kultur in manchen Redaktionen zusammen,
stimmtes Format zu pressen, sondern Formate an Storys anzupassen         sondern auch mit knappen Budgets, sinkenden
und dadurch neue Perspektiven zu ermöglichen. Digital Storytelling       Einnahmen und auf Effizienz getrimmten Redak-
ist für mich ein Mindset, keine Technik.                                 tionsprozessen. Um das zu ändern, brauchen wir an-
                                                                         dere Wege, Qualitätsjournalismus zu finanzieren. Unter
Hat die von Dir konstatierte Blase der Fotograf*innen auch da-           den diskutierten Lösungsansätzen sind die Anerkennung der
mit zu tun, dass viele heute frei arbeiten und von den Prozes-           Gemeinnützigkeit und eine Finanzierung über die Öffentliche
sen in den Redaktionen abgeschnitten sind?                               Hand die vielversprechendsten.

12 M 4.2020
FOTOJOURNALISMUS

Laut Reuters Digital News Report ist das Smartphone im Jahr                                        Vor allem unter den jungen Zielgruppen sind neben Instagram
2020 das wichtigste Gerät zum Konsum von Nachrichten. Wie                                          Plattformen wie Snapchat und TikTok sehr prominent. Kann
muss darauf bei der Entwicklung von visuellen Inhalten re-                                         man dort fotojournalistische Inhalte transportieren und damit
agiert werden?                                                                                     auch Geld verdienen?
Wenn man es auf handwerkliche Aspekte runterbricht, dann ist das                                   Inhalte können damit auf jeden Fall sehr gut transportiert werden.
wichtigste, dass man nicht zu kleinteilig arbeitet und nicht in groß-                              Man braucht sich nur mal gewisse Storys bei der New York Times
formatigen Prints denkt, wo man kleinste Details noch scharf abbil-                                anzuschauen, die aus 30 bis 40 einzelnen Folien bestehen. Da wird
den kann. Stattdessen müssen die Bilder erstmal im Hochformat gut                                  mit einer Dramaturgie gearbeitet und man kann damit auch eine be-
funktionieren und dürfen nicht zu detailreich sein. Und im News-                                   stimmte Tiefe erreichen. Und wem das nicht genügt, der kann im-
Bereich muss es dazu noch wahnsinnig schnell gehen. Für mich ist                                   mer noch hochswipen und den kompletten Artikel lesen. Von daher
eine tolle Perspektive jenseits des Nachrichtengeschäfts, sich mit Vir-                            bin ich überzeugt, dass das Medium per se durchaus die Möglichkeit
tual und Augmented Reality zu beschäftigen. Im besten Fall schaf-                                  bietet, etwas in einer bestimmten Tiefe darzustellen. Aber man muss
fen wir so Mehrwerte, z.B. wenn Nutzer mit ihrem Smartphone ei-                                    sich trauen, Instagram oder auch TikTok jenseits von diesem Häpp-
                   nen virtuellen Rundgang durch die neue Tesla-                                   chenjournalismus zu nutzen. Damit direkt Geld zu verdienen ist
                        Gigafactory in Grünheide machen können                                     natürlich heikel. Ich würde Fotograf*innen nicht raten, sich als
                           oder sie vor Ort das Smartphone vor ein be-                             Influencer*innen zu versuchen, weil dabei die Grenzen zur Werbung
                            stimmtes Gebäude halten und darüber In-                                automatisch verwischt werden. Aber natürlich erweitere ich mit
                              formationen angezeigt bekommen.                                      jedem neuen Medium, mit dem ich mich beschäftige, meine Kom-
                                                                                                   petenzen und meine Erfahrung. Und das ist die Währung, auf die es
                                                                                                   in Zukunft viel stärker ankommen wird. Wichtig ist zu lernen, auf
                                 Michael Hauri ist Geschäftsführer der                             neue Entwicklungen viel intuitiver und schneller zu reagieren, sie
                                 von ihm mitgegründeten Agentur 2470.                              sogar mitzugestalten, statt sich komplett überfordert zu fühlen, wenn
                                 media und Trainer für Digital Storytel­                           in fünf Jahren das nächste Ding hochploppt.
                                 ling. Zurzeit hat er an der Hochschule
                                 Hannover eine Vertretungsprofessur                                Wenn Fotojournalist*innen auf Multimedia umsteigen wollen,
                                 inne. Er studierte dort „Fotojournalis­                           mit welchen Investitionen ist dann zu rechnen?
                                 mus und Dokumentarfotografie“ und                                 In jedem Fall ist dies eine kluge Absicherung für die Zukunft. Denn
                                 war danach zuerst als Fotograf für Zei­                           die Erweiterung der Kompetenzen ins Multimediale versetzt einen
                                    tungen und Magazine tätig, bevor                               in die Lage, auch mal von seinem Schreibtisch zu Hause aus Dinge
                                                                            Foto: Norbert Schaal

                                            er sich auf die Bereiche Mul­                          zu erstellen, weil man nicht immer derjenige sein muss, der von vor
                                                timedia Storytellung und                           Ort berichtet. Die größte, dafür notwendige Investition ist die eigene
                                                  Crossmediales Publi­                             Arbeitszeit. Wenn man ganz neu anfängt, würde ich damit rechnen,
                                                   zieren spezialisierte.                          über einen Zeitraum von einem Jahr im Durchschnitt mindestens
                                                                                                   einen Tag pro Woche zu investieren, damit man sich die Kompeten-
                                                                                                   zen aneignen und schon erste Erfahrungen sammeln kann, um das
                                                                                                   einigermaßen professionell einzusetzen. Das wäre circa ein Fünftel
                                                                                                   eines Jahreseinkommens.

                                                                                                   Also ist die Investition in Zeit wichtiger als in Technik?
                                                                                                   Ja. Die Technik hat letztlich doch jede*r Fotograf*in schon zur Ver-
                                                                                                   fügung: Entweder mit den heutigen Kameras, die alle multimedial
                                                                                                   arbeiten und wo ich vielleicht noch mal ein Mikrophon oder einen
                                                                                                   schnelleren Rechner ergänzen muss, oder mit dem Smartphone, wo
                                                                                                   ich das Studio in der Hosentasche habe. Diese Kosten sind aus mei-
                                                                                                   ner Sicht vernachlässigbar. Nur wenn man sich auf Spezialgebiete
                                                                                                   wie zum Beispiel 360 Grad Videos fokussiert, ist es noch mal was An-
                                                                                                   deres.

                                                                                                   Welche aktuellen Trends beobachtest Du und welche Entwick-
                                                                                                   lungen erwartest Du in der Zukunft?
                                                                                                   Für den Fotojournalismus sehe ich ein großes Potenzial im Bereich
                                                                                                   des immersiven Storytellings. Ich glaube, dass wir in Zukunft als Au-
                                                                                                   tor*innen zunehmend in die Rolle wechseln werden, nicht mehr sel-
                                                                                                   ber nur Geschichten zu erzählen, sondern das Erleben von Geschich-
                                                                                                   ten zu ermöglichen, indem wir beispielsweise mittels Fotogramm-
                                                                                                   metrie oder 360 Grad Videos virtuelle Räume schaffen, in denen sich
                                                                                                   Zuschauer*innen mit einer Brille oder welchem Gerät auch immer
                                                                                                   bewegen und ihre eigene Geschichte erleben. Das ist ein spannen-
                                                                                                   des Feld, das ein komplettes Umdenken erfordert, aber für pfiffige
                                                                                                   Fotograf*innen ganz neue Möglichkeiten bietet, mit ihren Projekten
                                                                                                   beim Publikum einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.          ‹‹

                                                                                                                                                            4.2020 M 13
IM FOKUS

                                                                  Gegen visuellen
                                                                  Gedächtnisverlust
                                                                  Fotoarchive sammeln zeithistorische Dokumente, doch wohin mit den Bildern?

                                                                      R
                                                                                   atlosigkeit“ ist das Wort, mit dem Wer-     kraft bestimmt zwei Jahre beschäftigt. Schlimmer
                                                                                   ner Bachmeier seine Position zur Zu-        noch: Inge hätte daneben sitzen müssen, nur sie
                                                                                    kunft von Fotoarchiven zusammen-           wüsste, was da überhaupt abgelichtet ist.“ Auch wenn
                                                                                    fasst. Und er meint damit nicht nur        die Bestände nach Arbeitsweise, Themenspektrum,
                                                                                    sein eigenes, bestens gepflegtes digi-     Struktur und Handhabbarkeit sehr unterschiedlich
                                                                  tales Archiv, das übers Internet zugänglich ist. Er stellt   ausfallen, freie Fotograf*innen müssen irgendwann
                                                                  die Sinnfrage grundsätzlich. In Redaktionen, bei Auf-        entscheiden: Lohnt es, das Archiv für die Nachwelt zu
                                                                  traggebern, ja generell schwinde das Bewusstsein für         sichern? Wohin können Papierabzüge, Negative oder
                                                                  hochprofessionelle Fotoarbeit, die über den Tag und          Datenmengen sinnvoll gegeben werden? Und unter
                                                                  die schnelle Aktion hinausreicht. Neben Dokumenta-           welchen Voraussetzungen?
                                                                  tion erzählten gute Fotos immer Geschichten. Wenn
                                                                  danach nicht mehr gefragt würde, seien Zeit und              Tausende Fotos digitalisiert
                                                                  Mühe vergebens.
 Im Bildarchiv der Deutschen                                                                                                   Paul Glaser hat das für sich weitgehend gelöst. Es hat
     Presseagentur GmbH in                                        Noch ist Bachmeier Herr seiner Bilder und will es blei-      ihn Hartnäckigkeit und Nerven gekostet. Und doch
     Frankfurt am Main 2012                                       ben. Er füllt und verwaltet sein digitales Archiv seit       läuft ihm gerade die Zeit davon: „Ich habe mit mei-
        werden alte Negative                                      Ende der 90er Jahre: Menschen. Arbeit. Wirtschaft.           nem Arzt ausgehandelt, dass mir noch ein Jahr bleibt“,
                eingescannt.                                      Bildung. Soziales. Fotografieren macht dem 63-Jähri-         sagt der krebskranke 80-Jährige, „und so lange scanne
                                                                  gen noch immer Spaß. In Corona-Zeiten arbeitet er            ich“. 2019 kündigte die Bildagentur der Süddeutschen
                                                                  an selbstgestellten Projekten, die meist weitläufig mit      Zeitung, vertreten durch SZ Photo, an „sein eindrucks-
                                                                  seinem Lebensthema Arbeitswelt zu tun haben. Doch            volles zeitgeschichtliches Fotoarchiv“ in ihren Bildbe-
                                                                  er weiß auch: Als Rentenversicherung wird seine etwa         stand zu übernehmen. Rechtzeitig zum 30. Jahrestag
                                                                  65.000 Bilder umfassende Datenbank nicht taugen.             des Mauerfalls standen über 3.000 Glaser-Fotos digi-
                                                                  Das Geschäftsmodell funktioniere nicht mehr, seit Ak-        tal zur Verfügung. Ein Bruchteil von etwa 100.000
                                                                  tuelles mit Handy-Fotos bebildert und der Aufwand            Fotos, mit denen er zwischen 1989 und 93 den Unter-
                                                                  für systematisches Dokumentieren gescheut würden.            gang der DDR dokumentiert hat. „Meine bundesdeut-
                                                                  Vorbei die Zeiten, dass monatlich 100 Fotos kosten-          schen Kollegen empfanden das wie Sibirien“. Deshalb
                                                                  pflichtig aus seinen Beständen heruntergeladen wur-          sei er „Monopolist“ gewesen auf ostdeutschen Stra-
                                                                  den. Gegenwärtig könne er die an zwei Händen zäh-            ßen, in abgewickelten Betrieben, in Krankenhäusern,
                                                                  len. Doch die Kosten, die ihm sein Archiv verursacht         Geschäften. Politik und Alltag hat er seit den 60ern in
                                                                  – Serverleistung, Programmierhilfe, Programm-Up-             (West)Berlin dokumentiert. Einzigartiges Material,
                                                                  dates … – summieren sich geschätzt auf zwei- bis drei-       manches Porträt inzwischen uninteressant, doch Gla-
                                                                  tausend Euro jährlich. Von der eigenen Arbeit ganz zu        ser setzt auf den „längerfristigen Wert“.1,5 Millionen
                               Foto: picture alliance/Frank May

                                                                  schweigen. Seit er Fotos archiviert, beschriftet er akri-    Negative besitzt er insgesamt, etwa die Hälfte bereits
                                                                  bisch: „Ich schreibe auch noch den Transparentspruch         digitalisiert. Mit Tagebüchern, Lieferscheinen und Ka-
                                                                  ab, der bei einer Demo gezeigt worden ist.“ Er kennt         lendern vollzieht er Orte, Daten und Umstände nach
                                                                  auch andere Beispiele: Eine betagte Kollegin aus Frank-      und schreibt exakte Dateiinformationen, so lange er
                                                                  furt am Main hätte wohl eine Sicherung ihres Archivs         das noch kann. Glaser hat Verträge mit der Süddeut-
                                                                  verdient. „Doch mit der Aufarbeitung wäre eine Fach-         schen Zeitung und mit dpa geschlossen, dass sie auch
                                                                                                                               die verbleibenden Negative von ihm übernehmen wer-
                                                                                                                               den. Einiges hat er auch an die Deutsche Fotothek in
                                                                                                                               Dresden gegeben.

                                                                                                                               Die Digitalisierung, sagt Heike Betzwieser, Geschäfts-
                                                                                                                               führerin von dpa-Zentralbild, sei für ein kommerziel-
                                                                                                                               les Unternehmen wie das ihre ein nicht unbedeuten-
                                                                                                                               der Kostenfaktor. Doch die eigentliche Arbeit, die die
                                                                                                                               Übernahme von Archivbeständen teuer macht, läge
                                                                                                                               in der „menschlichen Leistung“ auszuwählen, ge-
                                                                                                                               schichtlich einzuordnen und so neutral, aber exakt

14 M 4.2020
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