MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem

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MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
DEZEMBER 2020

                                                                  MAGAZIN

Mehrsprachigkeit
und Übergänge im
Bildungssystem

                                        gkeit und   Integration Köln   KONZEPTE • NACHRICHTEN
Zeitschrift des Zentrums für Mehrsprachi
                                                                       PROJEKTE • VERANSTALTUNGEN
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
Impressum
Herausgeber:                                   Redaktion:                                                       Editorial-Design, Satz & Layout:
                                                                                                                Peter Liffers, agentur für unternehmenskommunikation
ZMI                                            Rosella Benati
                                                                                                                www.liffers-webdesign.de
Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration   Elcin Ekinci
c/o                                            Petr Frantik
                                                                                                                Bildnachweis:
Stadt Köln, Amt für Integration und Vielfalt                                                                    Titelfoto: Pixabay/ZMI, S. 6, 8: G. Groten-Wolters,
Kommunales Integrationszentrum                 Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt   S. 15: M.Triulzi, S. 21 A. Streinesberger Marmolejo,
                                                                                                                S.22, 23: A. Küppers, S. 25-27 F. Casale, S. 29 H. Terhart/
Kleine Sandkaul 5                              bei den Autorinnen und Autoren der jeweiligen Beiträge.
                                                                                                                LehrkräftePlus Köln, S. 30 Pressestelle der Bezirksregierung
50667 Köln                                     Auflage 2.000                                                     Köln, S. 46 M. Odabaşı, alle übrigen Archiv des ZMI.
www.zmi-koeln.de                               Köln, Dezember 2020

zmi-Magazin | 2020
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
Inhalt

                                                                                                DEZEMBER 2020

                                                           MAGAZIN
                                                       4 Leitwort
                                                           Von Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek, Maria Dorn und Susanne Kremer-Buttkereit
                                                       6 Fragen an Robert Voigtsberger
                                                           Beigeordneter für Bildung, Jugend und Sport der Stadt Köln. Das Gespräch führte Elcin Ekinci

                                                           Wissenschaft und Forschung
                                                       9   Die vier Jahreszeiten in drei Sprachen – mehrsprachige Schulen in den italienischen Alpen
                                                           von Prof. Dr. Ildikò Erika Stephanie Risse

                                                      11   Neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler im Übergang – und danach?
                                                           von Prof. Dr. Nicole Marx

                                                      13   Von der Vorbereitungsklasse in die Regelklasse – Übergänge gestalten
                                                           von Jun.-Prof.’in Dr. Nora von Dewitz & Dr. Stefanie Bredthauer

                                                      15   Brücken bauen zum Bildungserfolg von Schüler*innen mit
                                                           begrenzter oder unterbrochener Bildungskarriere
                                                           von Marco Triulzi & Andrea DeCapua

                                                      17   „Als Lehrer hat man ja schon die Macke, dass man erstmal sieht, was nicht richtig ist.“
                                                           Herausforderungen mehrsprachigkeits- und kompetenzenorientierter Sprachdiagnostik
                                                           von Dr. Ina-Maria Maahs

                                                      19   Sprache und Mehrsprachigkeit im Geographieunterricht
                                                           von Dr. Veit Maier

                                                      21   „Say their names“ – learn their languages • Sprachenlernen in der postmigrantischen Gesellschaft
                                                           am Beispiel einer Mehrsprachigkeits-Werkstatt an einer Schule in Frankfurt am Main
                                                           von Dr. Almut Küppers und Aylin Alşahin

                                                           Praxis und Projekte: Aktuelles aus dem ZMI
                                                      25   Zweite Auflage des Gedichtwettbewerbs GEDICHTE DICHTEN
                                                           von Francesca Casale

                                                      28   LehrkräftePLUS Köln – ein Programm zur beruflichen Weiterqualifizierung für neu
                                                           zugewanderte Lehrkräfte
                                                           von Ariane Elshof, Semra Krieg, Arman Lee, Dr. Henrike Terhart

                                                      30   LehrkräftePLUS Köln & ILf Köln – Internationale Lehrkräfte fördern
                                                           von Carmen Cardaci & Detlef Sarrazin
                                                           Stadt und Land: Ideen und Projekte aus der Region
                                                      32   Jeder Mensch ist eine Welt – jede Sprache ein Schatz
                                                           Von Andreas Fischer & Elizaveta Khan (Integrationshaus e.V.)

                                                      36   Das Sprachförderprogramm des Bundes und die Kölner Dienststelle des BAMF – Ein Kurzüberblick
                                                           von Jens Buttler

                                                      38   Digitalisierung in HSU-Klassen: Corona-Notstand oder eine nachhaltige Lösung?
                                                           von Dr. Nicola Brocca
Das ZMI-Magazin ist die Zeitschrift des                    Neue Publikationen im ZMI / Zuletzt erschienen
Zentrums für Mehrsprachigkeit und Integration Köln:   40   Aktuelle Neuerscheinungen, vorgestellt vom ZMI

                                                           Veranstaltungen
                                                      44   HSU – Herkunftssprachen in der Schule • Sprachfest am 28. Januar 2020
                                                      45   Fortbildungstag Deutsch

                                                           standpunkt: interkulturell
                                                      46   Bildungspolitische Ziele
                                                           von Prof. Dr. Aladin El-Mafaalani

                                                                                                                                             zmi-Magazin | 2020
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
4   Leitwort

          Leitwort

                                        rotzek, Maria Dorn und
          von Prof. Dr. Michael Becker-M
          Susanne Kremer-Buttkereit

    Das Jahr 2020 war geprägt von weltweiten Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie und stellte
    alle Bereiche der Gesellschaft vor Herausforderungen. Auch das Bildungssystem musste sich auf bisher
    unbekannte Herausforderungen einstellen und neue Formen des Lehrens und Lernens entwickeln. Dank
    der über Jahre gewachsenen Vernetzung des ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration mit
    vielen Bildungsinstitutionen und -akteur*innen in Köln gelang es gemeinsam, das Ziel der Verankerung
    der Mehrsprachigkeit in Bildungsprozesse weiter voranzubringen. Hierfür möchten wir uns bei allen
    Kooperationspartner*innen des ZMI herzlich bedanken.
    Als Schwerpunktthema standen im Jahr 2020 die Übergänge im Bildungssystem im Mittelpunkt der Ar-
    beit des ZMI, die hier in Verknüpfung mit Mehrsprachigkeit und dem Einbezug der Herkunftssprachen in
    Bildungsprozesse gestaltet wurden. Außerdem gab es eine personelle Veränderung. Auf Seiten der Be-
    zirksregierung Köln verließ Herr Höhne die Steuerungsgruppe. Seine Aufgaben übernimmt fortan Maria
    Dorn.

    Aufgrund der Corona-Pandemie musste das ZMI seine Aktivitäten           Schwerpunktthema des ZMI für das Jahr 2020 waren Übergänge im
    und Kommunikation auf die neuen Gegebenheiten umstellen. Work-          Bildungssystem - und zwar in einem weiten Sinn. Neben den planmä-
    shops und Veranstaltungen des ZMI, wie zum Beispiel der Fortbil-        ßigen Bildungsübergängen von der Kita über die Primar- und die Se-
    dungstag Deutsch 2020 (siehe Bericht S. 45), mussten kurzfristig als    kundarstufen I und II zur Berufsausbildung bzw. zum Studium, wer-
    digitale Formate umgesetzt werden. Es ist der Flexibilität der zahl-    den auch alle weiteren Übergänge und Seiteneinstiege, wie z.B. der
    reichen Teilnehmenden, Dozierenden und Kooperationspartner*innen        Wechsel von der Vorbereitungsklasse in das Regelschulsystem, be-
    zu verdanken, dass die Umstellung nahezu reibungslos funktionierte.     rücksichtigt. Hierbei begreift das ZMI die Mehrsprachigkeit der hete-
    Die digitale Neugestaltung vieler Bildungsangebote in der Kölner Bil-   rogenen Kölner Schülerschaft als wichtige Ressource bei der Gestal-
    dungslandschaft birgt die große Chance, neue Medien verstärkt bei       tung von Übergängen. Auf diese Weise soll Schüler*innen ermöglicht
    der Entwicklung von mehrsprachigen Bildungsangeboten einzubin-          werden, ihre gesamtsprachlichen Kompetenzen für vielfältige Lern-
    den – auch wenn sie ursprünglich der Vermeidung von Kontakten           prozesse zu nutzen und auch ihre Kenntnisse in Herkunftssprachen
    diente.                                                                 und Fremdsprachen auf bildungssprachlichem Niveau zu vertiefen.
    So hat das ZMI in Kooperation mit dem Schulamt für die Stadt Köln       Auch der Arbeitsschwerpunkt des ZMI aus dem Jahr 2019, die her-
    mit der Implementation der mehrsprachigen digitalen Lernplattform       kunftssprachliche Bildung, wird kontinuierlich weitergeführt. Die so
    WeltABC an ausgewählten Schulen begonnen. So kann die Krise auch        aufgebauten Strukturen werden systematisch mit anderen themati-
    eine Chance sein, die Möglichkeiten als auch die Grenzen der Digita-    schen Schwerpunkten fortgeführt und weiterentwickelt. Ein Beispiel
    lisierung für die Förderung der Mehrsprachigkeit zu evaluieren und      ist GEDICHTE DICHTEN, das in dem Beitrag von Francesca Casale nä-
    Konzepte für ein funktionierendes Ineinandergreifen von analogen        her beschrieben wird und das sich nun in verschiedenen Kölner Stadt-
    und digitalen Lernformen zu finden.                                     teilen etabliert hat. Durch seine Aktivitäten, Publikationen und Kon-

    zmi-Magazin | 2020
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
Leitwort 5

Prof. Dr. Michael Becker-Mrotzek,               Maria Dorn                                      Susanne Kremer-Buttkereit
Mercator-Institut                               Bezirksregierung Köln                           Kommunales Integrationszentrum
Universität zu Köln                                                                             der Stadt Köln

zepte zur Einbindung der Herkunftssprachen      bauenden Programmen LehrkräftePLUS Köln         Beiträge von zwei Teilnehmerinnen der Podi-
in den Regelunterricht leistet das ZMI auch     der Universität zu Köln und ILF – Internatio-   umsdiskussion zum Thema „Herkunftsspra-
einen wichtigen Beitrag, auf den das in NRW     nale Lehrkräfte fördern der Bezirksregierung    chen in der Schule“ auf dem letzten ZMI-
gestartete Landesprogramm „Mit dem HSU          Köln beschreiben, wie der Übergang von im       Sprachfest, Ildikò Erika Stephanie Risse so-
auf dem Weg zur mehrsprachigen Grund-           Ausland ausgebildeten und neu zugewan-          wie Almut Küppers gemeinsam mit Aylin
schule“ des Ministeriums für Schule und Bil-    derten Lehrkräften in das deutsche Schulsys-    Alşahin, gewähren einen Blick über NRW
dung zurückgreifen und aufbauen kann.           tem durch Weiterbildung systematisch und        hinaus und geben Beispiele zur Einbindung
Diesem Leitwort folgt ein Interview mit Ro-     kooperativ begleitet wird. Das Verständnis      von Mehrsprachigkeit in Tirol sowie in einer
bert Voigtsberger, seit April 2019 Dezer-       von Sprachenvielfalt in Interkulturellen Zen-   Werkstattschule in Hessen. Ergänzt werden
nent für Bildung, Jugend und Sport der Stadt    tren wird im Beitrag von Andreas Fischer &      die Artikel wie immer mit Berichten zu Tätig-
Köln, in dem er seine Ziele und persönlichen    Elizaveta Khan skizziert und hier unter ande-   keiten des ZMI und Hinweisen zu neuen Ver-
Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit darstellt      rem auf die Sprachförderung durch Interkul-     öffentlichungen etc.
und das ZMI als wichtigen Partner für Fra-      turelle Zentren bei dem Übergang von der
gen der Mehrsprachigkeit und Integration        Schule in den Beruf bezogen.                    Wir wünschen Ihnen viel Freude und Anre-
herausstellt. Der Zusammenhang von Über-        Die Einbindung der Herkunftssprachen bzw.       gungen beim Lesen des Magazins.! 
gängen und Mehrsprachigkeit wird in dieser      Mehrsprachigkeit im Bildungsprozess wird
Aufgabe des ZMI Magazins in vielen Beiträ-      unter verschiedenen Blickwinkeln beleuch-
gen thematisiert. So beleuchten die drei Bei-   tet, so zum Beispiel von Ina-Maria Maahs
träge von Nicole Marx, Nora von Dewitz &        mit einem Schwerpunkt auf Sprachdiagnos-
Stefanie Bredthauer sowie von Marco Triulzi     tik, von Veit Maier in Bezug auf den Geogra-
& Andrea DeCapua aus verschiedenen Per-         phieunterricht oder von Nicola Brocca mit ei-
spektiven zentrale Herausforderungen bei        nem Fokus auf Digitalisierung. Zudem stellt
dem Übergang von der Vorbereitungsklas-         Jens Buttler, Leiter Regionalstelle Köln des
se in das Regelschulsystem und geben somit      Bundesamtes für Migration und Flüchtlin-
wichtige Impulse für Praxis und Forschung.      ge, die Bedeutung der Mehrsprachigkeit in
Die beiden Beiträge zu den aufeinander auf-     der Arbeit mit neu Zugewanderten dar. Die

                                                                                                                          zmi-Magazin | 2020
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
6   Wer gehört wo dazu?

     Fragen an

                                                                                                                                        © Gerhard Groten-Wolters
     Robert Voigtsberger
                                        und Sport der Stadt Köln
      Beigeordneter für Bildung, Jugend
      Das Gespräch führte Elcin Ekinci.

    Sie waren zuvor Beigeordneter der Stadt Stol-                        Mich hat vor allem die Vielfalt der Kölner Bildungslandschaft be-
    berg und Dezernent für Jugend, Kultur, Schule,                       eindruckt. Für alle Altersstufen und Lebenssituationen entlang
    Soziales, Sport und Tourismus. Wie sind Sie zu                       der Bildungskette finden sich Bildungs- und Beratungsangebote.
    Ihrer neuen Aufgabe als Bildungsdezernent ge-                        Damit meine ich nicht nur die klassischen Bildungseinrichtun-
    kommen und was hat Sie an der Aufgabe gereizt?                       gen wie Kitas, Schulen, Hochschulen, Ausbildungsbetriebe und
                                                                         andere, sondern zum Beispiel auch die Stadtteilbibliotheken,
    Ich habe mich bereits als Dezernent in Stolberg sehr für die stra-   die Museen und andere kulturelle Einrichtungen. Das hat sich
    tegische Neuausrichtung der Stolberger Schul- und Sportland-         seither natürlich kontinuierlich weiterentwickelt und wir müssen
    schaft engagiert. Ein weiterer Schwerpunkt war die Initiierung       immer stärker darauf achten, dass die Angebote bedarfsgerecht
    und Umsetzung des „Integrierten städtebaulichen und sozialen         im Stadtgebiet vorhanden und somit für alle Bürgerinnen und
    Handlungskonzeptes“. Köln ist natürlich von einer ganz anderen       Bürger auch leicht zugänglich sind.
    Dimension geprägt als meine damalige Wirkungsstätte. Aber
    auch kleinere Kommunen haben mit ähnlichen Problemen zu              Was verbinden Sie mit dem Begriff Integration?
    kämpfen, die auch Köln zu bewältigen hat, z. B. mit einem Man-
    gel an Schulplätzen. In Stolberg konnte ich erfolgreich zu einem     Mit Integration verbinde ich kulturelle Vielfalt und Gemeinschaft.
    Ausbau der Gesamtschulplätze und damit der Weiterentwicklung         Dafür braucht es wechselseitigen Respekt und Vertrauen, Zu-
    der Bildungslandschaft beitragen.                                    sammengehörigkeitsgefühl und gemeinsame Verantwortung.
                                                                         Dass uns die Integration von Zugewanderten gut gelingt, ist für
    Sie sind seit rund eineinhalb Jahren im Amt, was                     unser Zusammenleben in der Stadt grundlegend wichtig und
    finden Sie besonders in Köln? Was macht die Köl-                     setzt Chancengleichheit und tatsächliche Teilhabe in allen Berei-
    nerinnen und Kölner aus?                                             chen voraus. Gute Bildung ist meines Erachtens mit der wichtigs-
                                                                         te Schlüssel zur Integration.
    Ich lerne Köln jeden Tag ein bisschen mehr und neu kennen.
    Spannend finde ich, dass die mitunter sehr unterschiedlichen         Hat sich in der Zeit, in der Sie im Bereich der Bil-
    Bezirke und Stadtteile, obwohl sie oft dicht beisammen liegen,       dung arbeiten, die Wahrnehmung von Integrati-
    alle jeweils einen eigenen Charme und eine Individualität aus-       on und Mehrsprachigkeit geändert?
    strahlen. Die Kölnerinnen und Kölner lieben ihre Stadt. Das ist
    ein Lebensgefühl, dass es in dieser Ausprägung so vermutlich         Das möchte ich bestätigen. Die Integration von Einwanderinnen
    nicht oft gibt.                                                      und Einwanderern wird heute viel mehr als Chance und Berei-
                                                                         cherung gesehen - und zwar nicht nur als Ausweg aus dem
    Vor Jahren waren Sie bereits als Student in Köln                     Fachkräftemangel. Mehrsprachigkeit wird auch deutlich selbst-
    und sind jetzt Bildungsdezernent. Wie haben Sie                      verständlicher als Ressource und Potenzial gesehen. Projekte und
    die Kölner Bildungslandschaft kennengelernt?                         Maßnahmen für Integration und die Förderung der Mehrspra-

    zmi-Magazin | 2020
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
Fragen an Robert Voigtsberger 7

chigkeit werden dementsprechend immer weiter ausgebaut. Na-          und Kommunikation“ gehen wir explizit auf die Bedeutung der
türlich dürfen wir auch weiterhin mit unseren Maßnahmen nicht        Mehrsprachigkeit ein. Lassen Sie mich einen Satz zitieren, der die
nachlassen.                                                          Erstsprache der Kinder in den Blick nimmt: „Sie ist die Sprache
                                                                     des Herzens und ein wichtiger Teil der Identität.“ Entscheidend
Sehen Sie Sprache als Ressource zur Integration?                     hierfür ist die Haltung unserer Pädagoginnen und Pädagogen,
                                                                     in der sich eine natürliche Mehrsprachigkeit entwickeln kann.
In den sogenannten Gastarbeiterzeiten in den 60er Jahren             Dazu gehört das Ermutigen der Kinder, in ihren Erstsprachen zu
wurde die Sprache komplett vernachlässigt. Inzwischen ist die        sprechen. Das stellt das Qualitätshandbuch klar heraus. Unse-
Interkulturalität und die Sprachvielfalt dank dem gesamtgesell-      re mehrsprachigen Pädagoginnen und Pädagogen nutzen ihre
schaftlichen Diskurs mehr in den Vordergrund gerückt. Sprache        Sprachkenntnisse bei Bedarf im Alltag.
wird als Mittel zur Integration gesehen, wobei hier natürlich oft
das Erlernen der deutschen Sprache gemeint ist. Für mich ist es      In Köln ist in den letzten Jahren auch ganz konkret viel zur För-
aber ebenso wichtig, dass man die Komponenten Deutsch als            derung der Mehrsprachigkeit von Kindern auf den Weg gebracht
Zweitsprache, Mehrsprachigkeit, Förderung der Erstsprache und        worden:
Interkulturalität gemeinsam betrachtet. Die Globalisierung der
Lebensverhältnisse trägt maßgeblich zur Sprachenvielfalt bei.        158 Kölner Kindertageseinrichtungen – davon 98 städtische -
So ist es heutzutage fast normal, dass man noch zwei oder drei       nehmen teil am Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache
weitere Sprachen neben der Familiensprache spricht. Demzufol-        der Schlüssel zur Welt ist“. Die Sprach-Kitas werden fachlich
ge sind die individuelle Förderung mehrsprachiger Kompetenzen        unterstützt durch ein halbe Fachkraftstelle und begleitet durch
sowie die Schaffung günstiger Voraussetzungen für Mehrspra-          Sprachfachberatungen. Mehrsprachigkeit ist in den dazugehö-
chigkeit - also dem Aufwachsen und Leben mit mehr als einer          renden Qualifizierungen ein großes Themenfeld. Auch die mitt-
Sprache - insbesondere in den Institutionen des Bildungswesens       lerweile 233 als PlusKITAs geförderten Einrichtungen fördern die
wichtige bildungspolitische Aufgaben, denen auch ich mich in         Kinder unter Berücksichtigung der Mehrsprachigkeit. Es handelt
meiner Rolle gern stelle.                                            sich dabei um Kitas mit einem hohen Anteil von Kindern mit be-
                                                                     sonderem Unterstützungsbedarf.
Wie können Kitas und Schulen mehrsprachigen
Kindern gerecht werden? Welche Maßnahmen                             Zusätzlich arbeiten mittlerweile etwa rund 70 Kitas mit bilingu-
schlagen Sie vor, um den Bereich Integration,                        alem Konzept in Köln, die meisten Deutsch-Englisch. Die Stadt
Mehrsprachigkeit, Schule und Kita zu stärken?                        Köln tritt dafür ein, dass die in den Kindertageseinrichtungen
                                                                     vorkommenden Herkunftssprachen der Kinder in den bilingua-
Basis für uns ist zunächst, Kinder in ihrer Mehrsprachigkeit wert-   len Konzepten Berücksichtigung finden. Ich freue mich, dass die
zuschätzen. Jedem Kind, egal mit welchen Sprachkenntnissen,          Stadt Köln seit 2017 den Ausbau von bilingualen Kindertages-
vermitteln wir, dass wir die Talente fördern, die es mitbringt.      einrichtungen auch finanziell unterstützt. Es stehen hier jährlich
In Kölner Schulen finden wir Kinder und Jugendliche aus 120          Fördermittel in Höhe von 264.000 Euro zur Verfügung. Die För-
verschiedenen Nationalitäten. Sprachförderung kommt nicht            derung können die Kitas für Sprach- und Personal-Coaching so-
nur mehrsprachigen Kindern zu Gute, sondern ist auch ein Ge-         wie bilinguales Arbeitsmaterial verwenden.
winn für die noch einsprachigen Schülerinnen und Schüler. Wir
haben in Köln den Verbund Kölner europäischer Grundschulen,          Laut der Studie MehrKita1 trauen sich viele Erzie-
dem bereits 16 Grundschulen angehören. Selbstverständlich un-        herinnen und Erzieher nicht die Herkunftsspra-
terstützen wir diesen Verbund weiterhin und stärken ihn, damit       chen in den Kitaalltag einzubeziehen, weil Ihnen
auch andere Grundschulen die Mehrsprachigkeit in ihren Schulen       die (z.B. didaktische) Kompetenzen fehlen. Wie
systematisch ausbauen und ins Schulleben integrieren können.         könnte man diese Fachkräfte fördern?

Mehrsprachigkeit ist darüber hinaus fester Bestandteil des Sprach-   Es gilt das vorhandene Potenzial – und zwar sowohl das Poten-
konzeptes aller städtischen Kindertageseinrichtungen und findet      zial an Sprachkenntnissen als auch das Potenzial an Sprachler-
sich im Qualitätshandbuch wieder, das letztes Jahr veröffentlicht    nerfahrungen – zu nutzen und auszubauen. Gleichzeitig muss
wurde. Das Handbuch bildet die pädagogische Grundlage für            Mehrsprachigkeit in der kindlichen Entwicklung stärker mit ande-
alle städtischen Kindertageseinrichtungen. Im Kapitel „Sprache       ren wichtigen Kontextbedingungen vernetzt betrachtet werden.
                                                                     1 Die Studie MehrKita wurde von der Universität zu Köln im Auftrag der Stadt Köln und mit Unterstützung des ZMI
                                                                     durchgeführt. Für mehr Informationen siehe den Beitrag im ZMI-Magazin 2015:
                                                                     https://zmi-koeln.de/publikationen/ZMI_2015.pdf

                                                                                                                                                        zmi-Magazin | 2020
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
8   Fragen an Robert Voigtsberger

    Sowohl Einrichtungen der Kindertagesbe-       Fachaustausches für unsere Erzieherinnen entscheiden können, nur so können sie
    treuung als auch Schulen sehen sich vor       und Erzieher zum Thema Mehrsprachig- ihre eigene Zukunft mitbestimmen. Gera-
    die Aufgabe gestellt, Synergien zwischen      keit unterstützen.			                         de in Bezug auf die Einbindung der Her-
    der Förderung der Herkunftssprachen und       Für wertvoll erachte ich auch unseren kunfts- und Familiensprachen erfordert
    der Sprachförderung in Deutsch für Kinder     Austausch im Arbeitskreis Bilinguale Kitas dies noch vielerorts ein Umdenken, das
    mit Einwanderungsgeschichte, sowie dem        des Integrationsrates. 			                    aber essentiell für nachhaltige und inno-
    Fremdsprachenunterricht für alle Schüle-      Dieser Arbeitskreis ist für alle Kindertages- vative Bildungslandschaften ist.
    rinnen und Schüler zu identifizieren und      einrichtungen, Trägervertreter*innen und
    zu nutzen. Die Zusammenarbeit mit den         Mitarbeiter*innen der Jugendverwaltung Welche Sprache würden Sie ger-
    Eltern, aber auch die Berücksichtigung        eine gute Form der Vernetzung und kolle- ne noch lernen? Und warum?
    non-formaler Gelegenheiten für das Spra-      gialen Beratung.
    chenlernen stellen dabei wichtige Aspekte     Im Jahr 2018 nahmen zum Beispiel durch Ich spreche fließend Englisch, ein wenig
    dar.                                          diese Kooperation die Teilnehmer*innen Französisch und habe das kleine Latinum.
                                                  des Arbeitskreises auch an einem Fachtag Mein Großvater stammte ursprünglich von
    Das ZMI kooperiert bereits eng                „Mehrsprachigkeit“ der städtischen Kin- der Krimhalbinsel und sprach fließend Tür-
    mit Schulen in Köln. Wie kann                 dertageseinrichtung teil. Für 2020 war kisch. Das hätte ich gern von ihm gelernt.
    das ZMI auch die städtischen Ki-              ein erneuter Fachtag „Mehrsprachigkeit“
    tas noch stärker unterstützen?                für Fachkräfte aus Kölner Kitas in Zusam- Vielen Dank für das Gespräch. 
    Wo sehen Sie hier Kooperati-                  menarbeit mit dem ZMI und dem Verein
    onsmöglichkeiten für die nähe-                „Zebra e.V.“ bereits geplant. Dieser wird
    re Zukunft?                                   sicherlich nachgeholt, sobald es wieder
                                                  möglich ist.
    Das ZMI ist Partner für den Elementarbe-
    reich, die Jugendhilfe, die schulische Bil-
    dung, die Weiterbildung und die Integration   Was sind Ihrer Meinung nach die
    insgesamt, die als Querschnittsaufgabe        größten Herausforderungen, um                  info
    aller Institutionen und Fachrichtungen        mehr Teilhabe junger Menschen
    begriffen wird. Weiterhin ist es durch        an Bildungsprozessen zu ermög-
    außerschulische Lernorte wie Museen und       lichen und wie können wir ihnen
    Bildungseinrichtungen, wie beispielsweise     begegnen?
                                                                                                 Kontakt
    die Stadtbibliothek, eingebunden. Unsere
    Erzieherinnen und Erzieher benötigen          Bildungsgerechtigkeit und Chancengleich-       Robert Voigtsberger

    praktische Modelle, um den Regelbetrieb       heit, Teilhabe der Betroffenen an der          Dezernat IV - Bildung, Jugend und Sport
                                                                                                 Stadthaus Deutz - Westgebäude
    nicht zu stören und auf die individuellen     Gestaltung des Bildungssystems sowie           Willy-Brandt-Platz 2
    Bedarfe der Kinder einzugehen.		              inklusive und partizipative Rahmenbedin-       50679 Köln

    				                                          gungen und Handlungsweisen spielen hier        Postfach 10 35 64

    Ich würde mich freuen, wenn uns das ZMI       eine sehr große Rolle. Junge Menschen          50475 Köln
                                                                                                 Telefon: 0221 / 221-36666
    und auch die Universität in der weiteren      und auch neu eingewanderte Kinder und          E-Mail: Schuldezernat@stadt-koeln.de
    Ausrichtung der Fortbildungen und des         Jugendliche müssen mitsprechen und mit-

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MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
mehrwert: 9

                       Aus Wissenschaft und Forschung

      Die vier Jahreszeiten in drei
      Sprachen – mehrsprachige S
                                    chulen
      in den italienischen Alpen
     von Prof. Dr. Ildikò Erika Stephanie
                                                 Risse

Deutsch ist rot, Italienisch ist gelb und Ladinisch ist grün – so einfach ist das in der Welt der drei Sprachen
Ladiniens. Schon ab der ersten Klasse der Grundschule lernen die Kinder hier, gleichzeitig in drei Sprachen
zu lesen und zu schreiben. Ganz selbstverständlich greift also der achtjährige Janpaul zum roten Buntstift
und schreibt „die 4 Jahreszeiten“, darunter in Gelb „le 4 stagioni“ und schließlich in grüner Farbe „les 4
sajuns“. Ladinisch ist die Sprache, die hauptsächlich in der Familie gesprochen wird, in seinem Heimatort
Wengen. Die knapp 4000 Einwohnerinnen und Einwohner zählende Gemeinde – nicht zu verwechseln
mit dem gleichnamigen Skiort in der Schweiz – gehört zum Gadertal, das mit dem benachbarten Gröden
zu den Regionen gehört, wo die ladinische Sprache fest verankert ist und gepflegt wird. Es handelt sich
hier um bildungspolitische Sonderfälle – zumindest in Europa –, denn hier werden Kinder von der ersten
Klasse an parallel in drei Sprachen alphabetisiert.

Das Gadertal und Gröden gehören politisch-administrativ zur Au-          ihnen selbst getragen wird. Im zweiten Falle (wie unserem ladini-
tonomen Provinz Bozen, besser bekannt als „Südtirol“, jener einst        schen Beispiel) handelt es sich um Schulen, die autochthone Sprach-
konfliktreichen Region an der Grenze zu Österreich, aber bereits auf     minderheiten oder zumindest solche, die eine längere Migrationsge-
italienischem Staatsgebiet gelegen. Während an den übrigen Schu-         schichte aufweisen, einbeziehen.
len Südtirols die großen Nationalsprachen Italienisch und Deutsch
als ausschließliche Unterrichtssprachen dominieren, wird in den la-
                                                                         Das „paritätische Schulmodell“
dinischen Tälern Südtirols der Unterricht in Ladinisch, Deutsch und
Italienisch ab der ersten Klasse bis zum Abitur „paritätisch“ angebo-    Als Ladinisch, auch Dolomitenladinisch genannt, wird eine Reihe ro-
ten. Obgleich die Bezeichnung eine andere ist, wird in Ladinien seit     manischer Dialekte bezeichnet, die in mehreren Alpentälern Ober-
Jahrzehnten der Ansatz verfolgt, den man in Deutschland mit „För-        italiens gesprochen werden. Trotz der sprachlichen Verwandtschaft
derung von Herkunftssprachen“ bezeichnet. Insbesondere das Ladi-         zum Italienischen können tatsächlich alle der über 20.000 Ladinerin-
nische als eine echte Minderheitensprache ist auf diese Weise seit       nen und Ladiner in Südtirol gleichermaßen auch sehr gut Deutsch.
vielen Jahren fest im Bildungssystem verankert und behauptet sich        Grund dafür sind die dreisprachigen Schulen, aber auch die Lebens-
seit Jahrzehnten gegenüber den „großen“ Nationalsprachen Italie-         welt, in der die Kinder aufwachsen. So sind die malerisch gelege-
nisch und Deutsch.                                                       nen ladinischen Dörfer am Fuße der Dolomiten gleichzeitig Touris-
Dreisprachige Schulmodelle wie das hier beschriebene ladinische          mushochburgen, die jährlich Tausende insbesondere italienisch- und
sind weltweit auf dem Vormarsch oder werden stärker wahrgenom-           deutschsprachiger Touristen anziehen. Daher ist das tägliche „Swit-
men als früher. Man kann dabei grob zwei Typen dreisprachiger            chen“, also Hin- und Herwechseln, zwischen mehreren Sprachen für
Schulen ausmachen: Beim ersten handelt es sich um den Typ priva-         diese Alpenbewohnerinnen und -bewohner der Normalfall.
te „Eliteschule“, die sich an exklusive Elterngruppen richtet oder von

                                                                                                                           zmi-Magazin | 2020
MAGAZIN - Mehrsprachigkeit und Übergänge im Bildungssystem
10   Aus Wissenschaft und Forschung

     In den Grund- und Mittelschulen der Ladine-      Die Fragestellungen lauteten:                    und Ladiner zeitlich teilweise deutlich ver-
     rinnen und Ladiner findet der gesamte Un-                                                         schoben. Zum Schulende hin gleichen sich
     terricht je zur Hälfte in deutscher und ita-     u Kann sich Ladinisch in diesem paritäti-        diese Unterschiede aber aus.
     lienischer Sprache statt, nur einige wenige        schen Schulsystem behaupten oder neh-          Positiv auffallend ist durchgehend das hohe
     Stunden sind der ladinischen Sprache vorbe-        men die Schreibkompetenzen im Verlauf          Maß an Sprachbewusstheit, so fragen ladi-
     halten. Das mag auf den ersten Blick über-         der Schulzeit ab?                              nische Schülerinnen und Schüler eher nach,
     raschen, denn gerade das Ladinische als          u Sind am Ende der Schulzeit die Schreib-        sind zu Korrekturen beim Schreiben und
     „Herkunftssprache“ könnte hier doch ei-            kompetenzen in Deutsch und Italienisch         Sprechen bereit und verfallen nicht in ein
     nen höheren Anteil im Unterricht einneh-           gleich, so wie es das paritätische Schulsys-   Verhalten, das man als „Vermeidungsstra-
     men. Die jahrzehntelange Erfahrung und             tem anstrebt?                                  tegie“ bezeichnen kann. Die Dreisprachigen
     Praxis zeigt aber, dass diese wenigen Stun-      u Wie sehen diese Kompetenzen im Vergleich       probieren aus, sie schreiben und formulieren
     den ausreichen, um diese Sprache lebendig          zu denjenigen aus, die im Rest der Provinz     nach Herzenslust, da sie von klein auf ge-
     als Muttersprache zu erhalten. Zudem nut-          Bozen im deutsch- und italienischsprachi-      wohnt sind, dass man in einer Sprache nicht
     zen die Lehrkräfte sehr bewusst das Ladini-        gen Schulsystem erreicht werden?               „perfekt“ sein kann und dies auch nicht
     sche auch als sogenannte Brückensprache:                                                          sein muss. Andererseits nehmen sie auch
     Vor allem für die ganz Kleinen ist es wichtig,   Die erste Fragestellung trifft das Herz jeder    bereitwilliger Korrekturen zur Kenntnis und
     dass sie selbstverständlich jederzeit, auch im   Sprachminderheit, die gewillt ist, die tra-      orientieren sich ihrerseits stärker an gram-
     Unterricht, ihre Herkunftssprache benutzen       dierte, als eigen empfundene Sprache zu          matischer Korrektheit als deutschsprachige
     dürfen. Und ebenso selbstverständlich ist es     erhalten. Eine dauerhafte Beobachtung der        Schülerinnen und Schüler der Kontrollgrup-
     auch, dass die Lehrpersonen selbst dreispra-     Sprachkompetenzen, vor allem wenn es sich        pen. Und für den Erhalt der Herkunftsspra-
     chig sein müssen. Bis zum Ende der Schulzeit     vorwiegend um mündlich tradierte Sprachen        che die beste Nachricht: Die Kompetenz in
     sinkt der Anteil an Ladinischstunden, viele      handelt, ist für eine Sprachminderheit von       der Familiensprache Ladinisch ist beim Ab-
     Schülerinnen und Schüler wechseln dann           höchster Bedeutung, hier und anderswo.           itur auf demselben Niveau wie in den an-
     auch in die jeweils einsprachigen deutschen      Und genau diese Fragstellung ist auch re-        deren beiden Sprachen, Deutsch und Italie-
     oder italienischen Schulen des Landes, ihre      levant für die einsprachig auf das Deutsche      nisch. Die paritätische Schule der Ladinerin-
     Dreisprachigkeit haben sie aber auch dann        ausgerichteten Schulmodelle in Deutsch-          nen und Ladiner in Südtirol: ein mehrspra-
     noch immer im Gepäck.                            land, bei denen die Förderung von Her-           chiges Erfolgsmodell für Europa. 
     Dennoch sahen und sehen sich die Ladi-           kunftssprachen vor vergleichbaren Heraus-
     nerinnen und Ladiner immer wieder dem            forderungen steht.
     Vorurteil ausgesetzt, sie könnten zwar drei
     Sprachen, aber keine von denen so richtig
                                                      Positive Ergebnisse der dreisprachigen
     gut. Dieses Argument wird gerne von ihren
                                                      Schulen                                            info
     deutsch- und italienischsprachigen Nachba-
     rinnen und Nachbarn Südtirols immer wie-         Die Ergebnisse und die laufenden Beobach-
     der dann auf den Tisch gelegt, wenn es gilt,     tungen vor Ort sind eindeutig: Die Sprach-
     die einsprachig ausgerichteten Schulen zu        kompetenzen der ladinischen Schülerin-
     verteidigen. Daher war und ist es dem la-        nen und Schüler sind in allen drei Sprachen       Kontakt

     dinischen Schulamt wichtig, dieses beson-        gleichermaßen hoch, auch im Vergleich zu          Prof. Dr. Stephanie Risse
                                                                                                        Fakultät für Bildungswissenschaften
     dere Schulsystem wissenschaftlich untersu-       Kindern und Jugendlichen der einsprachig          Freie Universität Bozen
     chen und begleiten zu lassen. So hat man         deutsch- und italienisch ausgerichteten           Regensburger Allee 16

     zwischen 2008 und 2013 die dreisprachigen        Schulen. Diese wurden als Kontrollgruppen         I-39042 Brixen-Bressanone
                                                                                                        Tel.: +39 0472 014 115
     Schreibkompetenzen der Schülerinnen und          bei der Studie herangezogen. Es gibt aller-
                                                                                                        Fax: +39 0472 014 009
     Schüler in allen Schulstufen auf einer brei-     dings Unterschiede: So verläuft der Spra-         Mail: stephanie.risse@unibz.it
     ten, statistisch validen Basis untersucht.       cherwerb der dreisprachigen Ladinerinnen

     zmi-Magazin | 2020
Aus Wissenschaft und Forschung 11

        Neu zugewanderte Schülerin
                                    nen
        und Schüler im Übergang – u
                                    nd
        danach?
       von Prof. Dr. Nicole Marx

Allein im letzten Schuljahr besuchten in der Region Köln um die 2.000 neu zugewanderte Schülerinnen
und Schüler rund 145 Vorbereitungsklassen in der Primarstufe und der Sekundarstufe I. Diese Lernenden
haben für einige Monate, manche bis zu einem Jahr, an vorbereitendem Deutschunterricht teilgenommen,
bevor sie voll in die Regelklassen integriert wurden. Sie gehören jetzt – in diesem Schuljahr – zu den
„Regelschülerinnen und Regelschülern“ des Kölner Schulsystems. Wie geht es mit ihnen nun nach dem
Übergang weiter? Welche schulischen Erfolge haben sie zu verzeichnen und was müssen wir als Beteiligte
der Bildungsinstitutionen wissen, um sie weiter zu fördern?

In Deutschland ist die Antwort auf diese Fragen gewissermaßen ei-       Schülerinnen und Schüler investiert haben und inzwischen wichti-
ne „black box“. Wir wissen fast nichts über die sprachliche und fach-   ge Informationen zu deren Schullaufbahnen und, besonders zent-
liche Weiterentwicklung von neu zugewanderten Schülerinnen und          ral, zur Effektivität unterschiedlicher Beschulungsmaßnahmen vor-
Schülern. Das ist aus unterschiedlichen Gründen problematisch:          weisen können.
(1) Erstens werden Empfehlungen für den Übergang dieser Lernen-         Der Mangel an Informationen liegt nicht im Desinteresse der wis-
den in den Regelunterricht ausgesprochen, ohne konkrete Informa-        senschaftlich Tätigen oder der Bildungspolitik begründet. Vielmehr
tionen darüber zu haben, ob die sprachlichen Fähigkeiten für eine       trägt eine Kombination unterschiedlicher Faktoren dazu bei. Hier-
gleichberechtigte Teilhabe am Unterricht und somit an Bildung aus-      zu gehört, dass die Gruppe der neu zugewanderten Schülerinnen
reichen. Oder anders formuliert: Reicht ein Jahr im Vorbereitungsun-    und Schüler im Schulsystem oft wenig sichtbar ist, obwohl sie 2019
terricht aus, damit eine Schülerin, die im Alter von 13 Jahren zuge-    in NRW bereits ca. 11% der gesamten Schülerinnen- bzw. Schü-
wandert ist, bald den Leistungsdurchschnitt ihrer Mitschülerinnen       lerpopulation ausmachte. Zudem bündeln auch andere systemische
und Mitschüler erreicht und eine gute Perspektive auf einen erfolg-     und soziale Veränderungen (wie z. B. Digitalisierung) die Aufmerk-
reichen Schulabschluss hat?                                             samkeit auf unterschiedlichen Ebenen stark. Ein Grund liegt auch
(2) Zweitens ist der sprachliche Erwartungshorizont unklar. Lehren-     darin, dass der wissenschaftliche Zugang zu dieser Gruppe durch-
de im Regelunterricht aller Fächer können dementsprechend nicht         aus eine Herausforderung darstellt. So ist eine längerfristige Beglei-
einschätzen, ob sich Lernende erwartungsgemäß über- oder unter-         tung dieser Schülerinnen und Schüler auf Grund überdurchschnitt-
durchschnittlich weiterentwickeln und ob weitere Fördermaßnah-          lich häufiger Schulwechsel schwierig. Hinzu kommt die extrem hohe
men empfehlenswert sind.                                                Diversität der Zielgruppe in Bezug auf wichtige Faktoren, die den
(3) Und schließlich ist nicht geklärt, ob sich bestimmte Beschulungs-   schulischen Erfolg dieser Bildungsteilnehmenden sehr stark beein-
maßnahmen wie z. B. vorgeschaltete Vorbereitungsklassen oder der        flussen können, wie beispielsweise Alter, bisherige schulische Bil-
vollintegrative Unterricht als effektiver erweisen als andere.          dungserfahrung, Familiensprachen, familiale Bildungsbiographien
Trotz der jahrelangen Erfahrungen mit neu zugewanderten Schüle-         oder Fluchterfahrung.
rinnen und Schülern – die erste größere bemerkbare Gruppe kam           Wenn wir neu zugewanderte Schülerinnen und Schüler erfolgreich
immerhin vor ca. 50 Jahren ins Land – tappen wir im Bildungssys-        in das deutsche Schulsystem aufnehmen und ihnen gute Chancen
tem diesbezüglich leider immer noch im Dunkeln. Das steht im Kon-       auf eine schulische und nachschulische Bildung gewährleisten wol-
trast zum Forschungsstand in vielen anderen Ländern, die schon          len, benötigen wir mehr Informationen. Bislang fokussieren Studien
früh in die Erforschung der Bildungsverläufe neu zugewanderter          allerdings eher die Beschreibung von Beschulungsmaßnahmen (vgl.

                                                                                                                            zmi-Magazin | 2020
12   Aus Wissenschaft und Forschung

     Massumi/Dewitz 2015) oder gehen auf sehr       nehmen wir an, denn auch nicht zugewan-        Erwartungshorizonte der sprachlichen und
     spezifische sprachliche Teilkompetenzen ein,   derte Schülerinnen und Schüler verbessern      fachlichen Entwicklung der zugewanderten
     die nicht zwingend in direktem Zusammen-       sich vom Anfang der 7. bis zum Ende der 8.     Bildungsteilnehmenden abstecken. Anderer-
     hang mit sprachlichen und schulischen Leis-    Klasse. Sondern wir haben gefragt, ob sich     seits werden Bildungsstudien mit Fokus auf
     tungen stehen.                                 in den ersten zwei Jahren im Regelunterricht   Wirkungsforschung benötigt, die Hinwei-
     Um diese „black box“ etwas zu beleuch-         die offene „Schere“ zwischen den neu zu-       se darauf geben, welche Beschulungsmo-
     ten, hat unser Projektteam in den Schul-       gewanderten und den nicht zugewanderten        delle mit welchen Inhalten in welchem Um-
     jahren 2016/2017 und 2017/2018 eine Stu-       Schülerinnen und Schülern zu schließen be-     fang und welcher zeitlichen Länge bei wel-
     die an 15 Schulen in Bremen und Hamburg        ginnt – also ob die Leistungsunterschiede      chen Lernenden die besten Erfolgschancen
     durchgeführt (Marx/Gill/Brosowski 2021).       sich verringern.                               versprechen. Bis dahin bleibt die Frage, ob
     Dabei wurden 653 Sekundarstufenschüler-        Trotz der recht geringen Anzahl getesteter     und wie die sprachliche Bildung neu zuge-
     innen und ‑schüler, darunter 135 neu zu-       Schülerinnen und Schüler waren die Unter-      wanderter Schülerinnen und Schüler bei und
     gewanderte, zwei Jahre lang in ihrer Le-       schiede zwischen den neu zugewanderten         nach dem Übergang in den Regelunterricht
     seentwicklung beobachtet. Zu Beginn der        und den nicht zugewanderten bei allen Er-      gelingen kann, weitgehend unbeantwortet
     Studie waren sie entweder in der 6. oder       hebungen sehr groß. Die neu zugewander-        – und deren Förderung und Unterstützung
     der 7. Klasse, am Ende standen sie kurz vor    ten Schülerinnen und Schüler lagen nicht       im deutschen Schulsystem damit unzurei-
     dem Abschluss der 7. oder der 8. Klasse. Die   nur in Bezug auf die basale Lesekompetenz      chend. 
     neu zugewanderten Schülerinnen und Schü-       und das Leseverstehen mit mindestens einer
     ler hatten zu Beginn der Studie bereits ei-    Standardabweichung deutlich hinter den an-     Literaturverzeichnis
                                                                                                   Marx, Nicole; Gill, Christian; Brosowski, Tim (2021): „Are
     nen Vorbereitungsunterricht absolviert, der    deren Regelschülerinnen und Regelschülern;     migrant students closing the gap? Reading progression
     unterschiedlich lange (von einigen Monaten     sie begannen auch im Laufe der ersten drei     in the first years of mainstream education“. In: Studies in
     bis zu einem Jahr) andauerte. Sie waren zum    Jahre im deutschen Schulsystem – ein Jahr      Second Language Acquisition (SSLA).
                                                                                                   Massumi, Mona; Dewitz, Nora von (2015): Neu zugewan-
     Teil gerade in den Regelunterricht gewech-     im Vorbereitungsunterricht und zwei Jah-       derte Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem.
     selt, andere besuchten diesen schon länger.    re im Regelunterricht – kaum, diesen Leis-     Bestandsaufnahme und Empfehlungen. Universität zu
                                                                                                   Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch
     In jeder Klasse, in der sich neu zugewan-      tungsrückstand aufzuholen. Sie verbesser-      als Zweitsprache und Zentrum für LehrerInnenbildung der
     derte Schülerinnen und Schüler befanden,       ten sich zwar, aber das taten auch die nicht   Universität zu Köln.
     wurde der gesamte Klassenverband getes-        zugewanderten Schülerinnen und Schüler.
     tet, wodurch eine direkte Vergleichsgrup-      Dieses Ergebnis ist bedenklich. Offenbar
     pe gegeben war. Zu dieser Vergleichsgrup-      unterstützt das derzeitige Schulsystem die
     pe der „nicht Zugewanderten“ zählten so-       neu zugewanderten Bildungsteilnehmenden
     wohl Schülerinnen und Schüler mit als auch     nicht in dem Maße, das nötig wäre, damit
                                                                                                      info
     solche ohne Migrationshintergrund. Damit       diese Lernenden den erwarteten Leistungs-
     wurde einer echten, sprachlich und kultu-      stand erreichen. In vielen Fällen werden sie
     rell heterogenen Klassenzusammensetzung        das Schulsystem verlassen, ohne je die Ge-
     Rechnung getragen.                             legenheit gehabt zu haben, gleichwertige
     Im Fokus der Studie standen sowohl basa-       Bildung und Bildungsabschlüsse erhalten zu        Kontakt

     le Lesekompetenzen als auch das Lesever-       können.                                           Prof. Dr. Nicole Marx
                                                                                                      Mercator-Institut
     stehen in narrativen Texten (Märchen) und      Bei dem beschriebenen Forschungspro-              Philosophische Fakultät, IDSL-II
     in Sachtexten aus dem Biologieunterricht.      jekt handelt es sich lediglich um eine ein-       Universität zu Köln

     Wichtig dabei: Wir haben nicht gefragt, ob     zelne Studie in diesem Feld. Es werden            Albertus-Magnus-Platz 1
                                                                                                      50923 Köln
     die neu zugewanderten Schülerinnen und         dringend mehr und größer angelegte Stu-
                                                                                                      Telefon: 0221-470 76354
     Schüler insgesamt im Laufe der zwei Jah-       dien benötigt. Solche Studien müssen ei-          Email: n.marx@uni-koeln.de
     re in diesen Bereichen besser wurden – das     nerseits durch Grundlagenforschung die

     zmi-Magazin | 2020
Aus Wissenschaft und Forschung 13

       Von der Vorbereitungsklasse
                                    in die
       Regelklasse – Übergänge ge
                                  stalten
       Jun.-Prof.’in Dr. Nora von Dewitz
                                               & Dr. Stefanie Bredthauer

Besuchen Schüler*innen, die neu nach Deutschland gekommen sind, anfangs eine sogenannte
Vorbereitungsklasse, steht nach einiger Zeit der Übergang in die Regelklasse, also den „normalen“
Fachunterricht, bevor. Dieser wird von allen Beteiligten häufig als Herausforderung wahrgenommen
und wurde daher im Rahmen der BiSS-Initiative im Projekt VeRbinden - Übergänge von Vorbereitungs-
in Regelklassen untersucht: In leitfadengestützten Interviews wurden hierzu insgesamt 14 Lehrkräfte
als Expert*innen mit langjähriger Erfahrung im Unterrichten von Vorbereitungsklassen befragt. Die
Lehrpersonen aus sieben Bundesländern (Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen,
Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) unterrichten in unterschiedlichen Schulformen der
Sekundarstufe I. Ziel war es zu rekonstruieren, welche Herausforderungen bestehen und was einen
gelungenen Übergang ausmacht, sowie systematisch aufzuarbeiten, welche Maßnahmen dazu beitragen
(vgl. von Dewitz & Bredthauer 2020).

Was macht einen gelungenen Übergang aus?                                 sein müssen, sondern im Sinne einer durchgängigen Sprachbildung
Um einen Übergang in die Regelklasse als gelungen zu bezeichnen,         auch die Lehrer*innen in den aufnehmenden Regelklassen. Hinzu
müssen für die befragten Lehrkräfte mehrere Ebenen betrachtet            kommt die Unterstützung durch Mitschüler*innen, Eltern, weiter-
werden. Zum einen geht es um den Erfolg der neu zugewanderten            führende Förderung im Deutschen, die Schulsozialarbeit sowie ggf.
Schüler*innen in der Regelklasse. Die meisten Lehrkräfte bemessen        weitere Angebote. Ein Aspekt fällt jedoch in den Interviews beson-
diesen an den Noten, dem angestrebten Schulabschluss und den da-         ders auf: Die Lehrkräfte heben die Relevanz der sozialen Einbindung
mit verbundenen beruflichen Zukunftsperspektiven sowie der Fähig-        der neu zugewanderten Schüler*innen hervor: Es sei wichtig, dass
keit, selbständig zu lernen. Von einigen wird jedoch die persönliche     „sie nicht Außenseiter sind, sondern vollwertiges Mitglied der Klas-
Entwicklung in den Mittelpunkt gerückt:                                  sen.“ (6.2.) Dazu gehören soziale Kontakte und Freundschaften
„Wenn der Schüler den Weg nimmt, den er im besten Fall gehen             ebenso wie ein allgemeines Wohlbefinden, um Ängste abzubauen
kann. [...] das ist jetzt nicht der Abschluss oder irgendetwas, das      und gut lernen zu können.
kann man überhaupt nicht sagen. Sondern, wenn sozusagen die Po-
tenziale des Schülers, die eigentlich da sind, auch wirklich ausge-      Mit welchen Maßnahmen kann der Übergang unterstützt
schöpft werden können.“ (1.1.)                                           werden?
Zum anderen ist aus Sicht der Lehrkräfte ein gelungener Übergang         Die konkreten Maßnahmen zur Begleitung des Übergangs lassen
immer begleitet und wird unterstützt. Diese Unterstützung erfolgt in     sich nach unterschiedlichen Kriterien kategorisieren, z. B. nach ihrer
erster Linie durch die Lehrkräfte der aufnehmenden Klasse, für die       Zielsetzung. Für den vorliegenden Beitrag haben wir eine chrono-
ein neu hinzugekommenes Kind „wirklich ein Mitglied der Klasse ge-       logische Anordnung versucht, um eine schnelle Orientierung zu er-
worden ist, für das man, um das man sich Gedanken macht [...]aber        möglichen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Maßnahmen,
wir // wissen, wir müssen immer mal wieder noch ein Auge drauf           die den gesamten Übergang begleiten und kontinuierlich umgesetzt
haben und ihn oder sie begleiten.“ (7.1.) Betont wird, dass also nicht   werden müssen. Dazu zählen beispielsweise alle Maßnahmen der
nur die DaZ-Lehrpersonen aus den Vorbereitungsklassen qualifiziert       Zusammenarbeit mit den Eltern oder der Schulentwicklung.

                                                                                                                             zmi-Magazin | 2020
14   Aus Wissenschaft und Forschung

     Maßnahmen vor dem Klassenwechsel                Informationen, z. B. zum Arbeits- und Sozi-     DaZ-Lehrkräften selbst vorangetrieben wer-
     Die meisten Lehrkräfte berichten, dass sie      alverhalten und der Lebenssituation.            den. Welche konkreten Maßnahmen eta-
     ein teilintegratives Modell umsetzten, in dem   Mit den Schüler*innen selbst und ihren El-      bliert und in welcher Form sie umgesetzt
     die Schüler*innen schon vor dem Klassen-        tern werden überwiegend persönliche Ge-         werden, hängt allerdings oft von den Res-
     wechsel anteilig – und meist zunehmend –        spräche geführt, wobei die Lehrkräfte           sourcen und Bedingungen vor Ort ab, so
     am Unterricht einer Regelklasse teilnehmen.     meist versuchen, den Kontakt zu den El-         dass jede Schule ihren eigenen Weg finden
     Die Lehrkräfte halten dies für sinnvoll. Zu-    tern schon von Beginn des Schulbesuchs an       muss. Es lässt sich jedoch festhalten, dass
     dem werden an einigen Schulen Lehrkräfte        aufzubauen.                                     eine enge Zusammenarbeit innerhalb der
     aus Sachfächern in die Vorbereitungsklasse                                                      Schule und eine über die Vorbereitungs-
     eingebunden und es werden außer Deutsch         Maßnahmen nach dem Klassenwechsel               klasse hinausgehende Unterstützung der
     weitere Fächer – vor allem Mathematik und       Den Lehrkräften zufolge ist es besonders re-    Schüler*innen als notwendig erachtet wird.
     Englisch – unterrichtet. Auch beziehen vie-     levant, die Förderung im Deutschen auch         Kooperative Strukturen und ein professiona-
     le der befragten DaZ-Lehrkräfte Themen aus      nach dem Wechsel in die Regelklasse wei-        lisiertes Personal kommen hinzu. Im Gegen-
     weiteren Fächern, wie beispielsweise Bio-       terzuführen. Abhängig von den Ressourcen        satz zu der häufig starken Fokussierung des
     logie oder Geografie in ihren eigenen Un-       können Formen und Stundenanzahl variie-         Schulerfolgs zeichnen die befragten Lehr-
     terricht ein, um den Schüler*innen den An-      ren. Die Förderung sollte nach Ansicht der      kräfte ein umfassenderes Bild: Neben Ler-
     schluss im Regelunterricht zu erleichtern.      befragten Lehrkräfte jedoch unbedingt auf       nerfolgen im Deutschen und den übrigen
     Betont wird außerdem die Wichtigkeit des        die fachlichen Inhalte der Klasse abgestimmt    Schulfächern gehören die individuelle Ent-
     Methodenlernens: Nicht alle Schüler*innen       sein und die sprachlichen Anforderungen         wicklung und Förderung sowie die soziale
     sind mit Lern- und Arbeitsformen vertraut,      des Unterrichts zum Thema machen. Ebenso        Einbindung der Schüler*innen in eine Klas-
     die in den Regelklassen oft vorausgesetzt       wichtig ist unseren Interviewpartner*innen      sen- und Schulgemeinschaft für sie unab-
     werden.                                         zufolge die Rolle der aufnehmenden Lehr-        dingbar zu einem gelungenen Übergang. 
     Die Lehrkräfte bemühen sich größtenteils,       kräfte. Sie betonen, dass diese professio-
     die neu zugewanderten Schüler*innen von         nalisiert werden sollten, um ihren Unter-       Literatur
                                                                                                     Von Dewitz, N. & Bredthauer, S. (2020): Gelungene
     Anfang an in den Schulalltag einzubinden,       richt sprachsensibel durchzuführen, aber        Übergänge und ihre Herausforderungen – von der
     sei es durch gemeinsame Aktivitäten aller       auch prinzipiell für die Unterstützungsbe-      Vorbereitungs- in die Regelklasse. In: Info DaF, 2020/4,
     Schüler*innen in AGs, Projektwochen, bei        darfe ihrer neuen Schüler*innen sensibili-      429-442. Online unter: https://doi.org/10.1515/info-
                                                                                                     daf-2020-0063.
     Sportveranstaltungen oder der Hausaufga-        siert sein sollten. Eine Lehrkraft formuliert
     benbetreuung etc. Auf Ebene der Lehrkräfte      es so: „Wenn der [Fachlehrer] nicht die Ein-
     erleben sie eine Einbindung in das Kollegi-     stellung hat, diesen Schülern helfen zu wol-
     um als hilfreich für die Zusammenarbeit und     len und von vorne herein sagt: ‚Nein, solche
     den Austausch. Allerdings wird die Zusam-       Schüler, die interessieren mich nicht.’, dann
     menarbeit mit den Kolleg*innen der aufneh-      habe ich keine Chance.“ (2.1). Um eine Ein-
     menden Klasse gleichzeitig häufig als her-      bindung in die Klassengemeinschaft voran-           info
     ausfordernd und stark personengebunden          zubringen, werden an einigen Schulen auch
     wahrgenommen.                                   Patenschaften auf Peer-Ebene umgesetzt.             Kontakt

                                                     Fachkräfte wie Schulsozialarbeiter*innen,           Jun.-Prof.’in Dr. Nora von Dewitz
                                                                                                         Juniorprofessorin für Sprachliche
     Maßnahmen beim Klassenwechsel                   interkulturelle Koordinator*innen oder              Bildung und Mehrsprachigkeit
                                                                                                         nora.dewitz@mercator.uni-koeln.de
     Rund um den Klassenwechsel selbst benen-        Schulpsycholog*innen erweitern das Netz-            Telefon: 49 (0) 221-470 1382
                                                                                                         Universität zu Köln
     nen die Lehrkräfte Maßnahmen, die beson-        werk, das in der Regel von den DaZ-Lehr-            Mercator-Institut für Sprachför-
                                                                                                         derung und Deutsch als Zweit-
     ders den Informationsaustausch zwischen         kräften etabliert wird und die einzelnen            sprache /
                                                                                                         Institut für deutsche Sprache und
     den Lehrkräften, aber auch die Kommunika-       Schüler*innen möglichst von Beginn ihres            Literatur II
                                                                                                         Albertus-Magnus-Platz
     tion mit den Schüler*innen betreffen: Hier-     Schulbesuchs solange unterstützt, wie sie es        50923 Köln
     bei werden Übergabegespräche und/oder           brauchen.                                           Dr. Stefanie Bredthauer
     -protokolle sowie weitere Dokumente wie                                                             Wissenschaftliche Mitarbeiterin
                                                                                                         Mercator-Institut für Sprachför-
     z. B. verbale Beurteilungen, Förderpläne und    Fazit                                               derung und Deutsch als Zweit-
                                                                                                         sprache
     Lerntagebücher genutzt. Die weitergegebe-       Der Beitrag gibt einen Einblick in die viel-        Postanschrift: Universität zu Köln
                                                                                                         | Triforum | Albertus-Magnus-Platz
     nen Informationen umfassen meist nicht nur      zähligen Maßnahmen zur Begleitung des               | 50923 Köln
                                                                                                         Besuchsanschrift: Universität zu
     den Sprachstand im Deutschen, sondern           Übergangs von der Vorbereitungsklasse in            Köln | Triforum | 3. Etage | Innere
                                                                                                         Kanalstraße 15 | 50823 Köln
     auch fachliche Leistungen sowie weitere         eine Regelklasse, die zum Großteil von den

     zmi-Magazin | 2020
Aus Wissenschaft und Forschung 15

  Brücken bauen zum Bildung
                             serfolg
  von Schüler*innen mit
  begrenzter oder unterbroch
                             ener
  Bildungskarriere
  von Marco Triulzi & Andrea DeCapu
                                          a

Der funktionale Umgang mit dem Gedruckten (literacy) ist die Grundlage zum Lernen durch Lesen
und Schreiben in formalen Bildungssystemen. Für Schüler*innen, die eine Einschränkung oder eine
Unterbrechung ihrer Bildungskarriere erleben mussten, beispielsweise aufgrund von Krieg und Flucht,
kann das eine große Herausforderung darstellen. Das wird in der Übergangsphase von dem geschützten
Raum der Vorbereitungsklassen in den Regelunterricht besonders sichtbar. Daher ist es für eine adäquate
Bildung notwendig, ein didaktisches Angebot zu formulieren, das auf individuellen Kompetenzen und
Voraussetzungen der Schüler*innen basiert.

Ein übliches Alltagsszenario in einer allgemeinbildenden Schule:     Schüler*innen dann auf, ihre Hefte zu holen und den eigenen Be-
Die Schüler*innen üben das Schreiben eines Berichts und wissen,      richt zu verfassen. Während die Schüler*innen schreiben, geht Frau
dass ein Test bevorsteht. Die Lehrerin, Frau Krings(Name wurde ge-   Krings im Klassenzimmer umher und sieht, dass die meisten Kinder
ändert), sagt Ihren Schüler*innen, sie sollen sich eine Traumreise   fleißig an ihren Entwürfen arbeiten, doch einige sind nicht mit dem
vorstellen, um darüber zur Übung einen Bericht zu schreiben. Sie     Schreiben des Berichts beschäftigt. Eine Schülerin blättert im Lehr-
zeigt ihnen auch ein Beispiel eines Reiseberichts und fordert die    buch herum, eine andere schreibt das Beispiel mühsam ab. Zwei

                                                                                                                      zmi-Magazin | 2020
16   Aus Wissenschaft und Forschung

     Schüler starren einfach auf das Muster. Was                                                     eingebaut werden. Bei der Konzeption von
     ist los? Warum schreiben sie nicht, obwohl                                                      Partner- beziehungsweise Gruppenarbeiten
     sie wissen, dass das für das Bestehen des                                                       können beispielsweise unterschiedliche Teil-
     Tests relevant ist?                                                                             aktivitäten geplant werden, für die einzelne
     Diese vier Schüler*innen, die erst seit ei-                                                     Schüler*innen verantwortlich sind, während
     nem Jahr in Deutschland leben, haben zwar                                                       bei anderen Aktivitäten die Verantwortung
     ähnliche Migrationshintergründe wie ihre                                                        auf die gesamte Gruppe übertragen werden
     Mitschüler*innen, dennoch weisen sie an-                                                        kann.
     dere Lernvoraussetzungen auf. Inwiefern?                                                        4. Wichtig ist außerdem, dass innerhalb und
     Bevor sie nach Deutschland kamen, hatten        Fähigkeiten zu unterstützen und zu för-         auch außerhalb der Klasse Vernetzungs-
     sie aus unterschiedlichen Gründen keine Ge-     dern – doch trotz aller Bemühungen kommt        möglichkeiten geschaffen werden, die die
     legenheit, ohne Unterbrechung an einer al-      es manchmal zu einem Szenario wie dem           Interaktion unter den Lernenden, mit den
     tersgerechten schulischen Bildung teilzuneh-    oben beschriebenen. Wie also kann man           Lehrenden und auch mit den Familien un-
     men. Infolgedessen verfügen sie über sehr       Schüler*innen mit eingeschränkter oder un-      terstützen. Solche Beziehungen sind ein
     geringe Lese- und Schreibkenntnisse und         terbrochener Bildungskarriere darin unter-      Schlüsselelement für eine Steigerung der
     sind nicht mit Schulaufgaben vertraut, die      stützen, sich im Regelunterricht voll zu ent-   Lernmotivation.
     für das deutsche Bildungssystem üblich sind.    falten? Hier ist es empfehlenswert, das eige-   5. Ziele und Durchführung abstrakter Auf-
     Spätestens ab dem ersten Tag in der Vorbe-      ne Lehrangebot vor dem Hintergrund der fol-     gabenstellungen im Unterricht sollten auf
     reitungsklasse waren sie mit dem Lernen der     genden fünf Hinweise zu reflektieren:           der Basis der oben genannten Überlegun-
     deutschen Sprache konfrontiert. Doch die                                                        gen eingeführt werden, damit Schüler*innen
     Vermittlung der Sprache basiert in der Re-      1. Der Unterricht sollte so gestaltet werden,   schrittweise darauf vorbereitet werden, mit
     gel auf der Annahme, dass grundlegende li-      dass er für die Schüler*innen unmittelbar       ungewohnten und für sie nicht auf Anhieb
     teracy-Kompetenzen und weitere Fähigkei-        relevant erscheint. Dabei sollte nicht davon    nachvollziehbaren Aufgaben umzugehen.
     ten, um sich mit den Herausforderungen des      ausgegangen werden, dass das, was man
     Regelunterrichts auseinanderzusetzen, bei       als Lehrperson für relevant hält, auch tat-     Diese Art der Unterrichtskonzeption be-
     den Kindern bereits vorhanden seien. Viele      sächlich relevant ist, sondern berücksichti-    rücksichtigt die (Lern-)Identität(en) der
     Aufgaben im Unterricht, wie hier das Sch-       gen, dass Schüler*innen selber gut wissen,      Schüler*innen und würdigt das, was sie be-
     reiben eines Berichts, erfordern eine gewis-    was für sie wichtig ist. Zwischen dem Lern-     reits wissen und können. So werden Brü-
     se Vertrautheit mit abstrakten Denkmustern,     stoff und den tatsächlichen Lebenswelten        cken gebaut und Schüler*innen ausgehend
     die primär durch die Beteiligung an formaler    der Schüler*innen sollten formale und in-       von ihren individuellen Lernvoraussetzungen
     Schulbildung gefördert wird. Aus der Pers-      haltliche Verbindungen hergestellt werden,      im Übergang zu den Erwartungen und An-
     pektive der vier Schüler*innen in der Klasse    sodass der Sinn des Lernens unmittelbar für     forderungen des Regelunterrichts angemes-
     ist es schwer nachvollziehbar, warum sie ei-    sie sichtbar wird.                              sen begleitet. 
     nen derartigen Bericht schreiben sollen. Wo-    2. Schüler*innen sind nicht unbedingt sofort
     zu schreibt man über eine Reise, die nicht      in der Lage, Inhalte zu verstehen, die mit-
     stattgefunden hat? Aufgrund ihrer Lebens-       tels gedruckten Materials vermittelt werden.
     erfahrungen vor dem Besuch der Schule in        Schriftliche Aufgaben sollten durch mündli-       info
     Deutschland sind sie möglicherweise eher        che Erläuterungen und Einordnung der In-
     an das Konkrete, die Auseinandersetzung         halte (mündliches Scaffolding) eingeleitet        Kontakt

     mit dem „Hier und Jetzt“, gewöhnt. Die          werden und Mündlichkeit (hören, sprechen)         Marco Triulzi
                                                                                                       DAAD-Lektor
     von der Lehrerin gestellte Aufgabe ist für      sollte mit Schriftlichkeit (lesen, schreiben)     Universität La Sapienza
                                                                                                       (Rom, Italien)
     die Schüler*innen also besonders herausfor-     kombiniert werden. Beispielsweise können          Centro Linguistico di Ateneo
     dernd, weil sie 1) literacy-Kompetenzen vo-     Schüler*innen mit stärkeren literacy-Kompe-       E-Mail: marco.triulzi @uniroma1.it

     raussetzt, die über ihr Niveau hinausgehen      tenzen anderen Mitschüler*innen ein Text-
     und 2) ein Verständnis von Funktion und         beispiel oder eine Aufgabe vorlesen und           Andrea DeCapua, Ed.D.
                                                                                                       Department of Teaching,
     Zweck abstrakter Aufgaben erfordert, das        die Schüler*innen können sich Fragen zum          Learning & Curriculum
     ihnen nicht vertraut ist.                       Verfahren generell mündlich stellen und           College of Education
                                                                                                       University of North Florida, USA
     Frau Krings gestaltet ihren Unterricht gene-    beantworten.                                      E-Mail:
                                                                                                       drandreadecapua@gmail.com
     rell sprachsensibel und orientiert sich dabei   3. Beim Übergang von einer geteilten zur
     an der Mehrsprachigkeitsdidaktik, um al-        individuellen Verantwortung für die Ergeb-
     le Schüler*innen gemäß ihren sprachlichen       nisse einer Aufgabe sollten Zwischenschritte

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