BÜRGERENERGIE REGIONALE ENTWICKLUNG MIT - Bündnis ...
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INHALT Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 04 #1 Das Bündnis Bürgerenergie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 05 #2 Kurze Geschichte der Bürgerenergie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 07 #3 Politischer Rahmen für die Bürgerenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 #4 Regionale Potenziale von Bürgerenergie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 #5 Praxisbeispiel Bürgerwindpark Grenzstrom Vindtved . . . . . . . . . . 17 #6 Neue EU-Vorgaben zur regionalen Bürgerenergie. . . . . . . . . . . . . 20 #7 Dr. Philipp Boos im Interview zu den neuen EU-Vorgaben . . . . . . 23 #8 Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 03
VORWORT BÜRGERENERGIE IST GUT FÜR DIE REGIONALE ENTWICKLUNG Liebe Leserinnen und Leser, die Anfänge der Energie- Aus Sicht des Bündnis‘ Bürgerenergie ist diese Entwick- wende reichen zurück in lung fatal. Die Reduktion von Energie-Projekten auf ihren die 70er und 80er Jahre. angeblichen Preis gefährdet nicht nur die Akzeptanzbe- Damals haben Pionierin- reitschaft der Menschen vor Ort, sondern wirkt auch nen und Pioniere nicht negativ auf die Energiewende insgesamt. Während der nur die Technologien Ausbau der Solarenergie in Deutschland bereits seit ei- der Erneuerbaren Ener- nigen Jahren eingebrochen ist, ging es zuletzt der Win- gien vorangetrieben, denergie an den Kragen – mit der Folge, dass die Zahl sondern auch für ihre der Genehmigungen extrem zurückgegangen ist, weil die Nutzung, für Geneh- Akteure keine Sicherheit mehr haben, ihre Windprojekte migungsverfahren und auch umsetzen zu können. Vergütungen gekämpft. Dies war von Anfang an ein Prozess, der regional ver- Dieser Bericht stellt systematisch dar, welche Vorteile ankert war. Die örtlichen Behörden, die Rathäuser, Bürgerenergieprojekte für die regionale Entwicklung ha- die Nachbarschaft, die Medien und viele mehr wa- ben – ein Aspekt, der in der Diskussion oft viel zu kurz ren nicht nur Ansprechpartner, sondern wurden oft kommt. Denn das bürgerschaftliche Energie-Engagement zu Verbündeten und Beteiligten. Denn wenn Projekte erhöht nicht nur die Akteursvielfalt, sondern ist eine aus der Mitte der Bürgerschaft entstehen und in zi- gänzlich alternative Herangehensweise an wirtschaft- vilgesellschaftlichem Engagement umgesetzt werden, liche Projekte. Damit sich die Bürgerenergie entfalten profitieren nicht nur Investoren, Umwelt und Klima, kann, ist sie jedoch auf faire Rahmenbedingungen ange- sondern auch die Regionen, in denen sie entstehen. wiesen. Wie sich diese Rahmenbedingungen entwickelt haben und wieso die zukünftigen EU-Vorgaben einen Inzwischen sind Erneuerbare Energien die mit Abstand Hoffnungsschimmer darstellen, erläutern wir ebenfalls. günstigste Form der Energieerzeugung. Trotzdem versu- chen einige politische Akteure und Konzerne, die Ener- Ich wünsche Ihnen eine spannende und aufschluss- giewende in der Öffentlichkeit als teures Experiment zu reiche Lektüre. brandmarken. Dies hat dazu geführt, dass bei der Be- wertung von neuen Projekten nur noch der Preis pro er- Herzlichst, Ihr zeugter Kilowattstunde eine Rolle spielt – egal, wie hoch die Netzanbindungskosten sind, die das Projekt hat; und egal, ob das Projekt die Region und die dort lebenden Malte Zieher, Bürgerinnen und Bürger einbindet oder nicht. Vorstand Bündnis Bürgerenergie e.V. 04
Thomas Banning von naturstrom hält einen Vortrag auf dem ürgerenergie-Konvent 2014 in Fulda B #1 VORSTELLUNG DAS BÜNDNIS BÜRGERENERGIE „WIR WOLLEN UNSERE ENERGIE SELBST ERZEUGEN“ Die Energiewende braucht Bürgerenergie. Ohne die kratischen Mitmach-Projekt für das Gemeinwohl. Damit Initiative von Pionierinnen und Pionieren und den dies gelingt, muss es den Menschen möglich sein, einfach Druck aus der Bevölkerung wäre es nie zur Energie- und fair am Energiemarkt teilzuhaben. Dafür kämpft das wende gekommen. Und auch weiterhin sind es vor Bündnis Bürgerenergie erfolgreich mit seinen Mitgliedern. allem die Kraft und Innovation der Bürgerinnen und Bürger, die die Transformation des Energiesystems Durch seine Tätigkeiten ist das Bündnis Vordenker und zum Schutz unseres Klimas vorantreibt. Das Bündnis Multiplikator der dezentralen Energiewende in Bürger- Bürgerenergie bietet diesen Akteuren eine Plattform. hand. Es bündelt die Ideen und Tätigkeiten von Bürger energie-Akteuren und bietet ihnen damit eine Plattform, Bürgerenergie speist sich aus dem natürlichen Wunsch von der andere Menschen und Initiativen lernen können, der Menschen, ihre Belange in die eigenen Hände zu um gemeinsam aktiv zu werden. Das Bündnis Bürgerener- nehmen. „Wir wollen unsere Energie selbst erzeugen“ gie ist ein Netzwerk, das Wissen vermittelt – und ein Im- war und bleibt das Motto der Bürgerenergie. So vielfäl- pulsgeber, der die Interessen der Bürgerenergie gegen- tig die Menschen, so vielfältig ist dabei auch die Bürger über Politik, Verbänden und Medien vertritt. energie: sei es die Solaranlage auf dem Hausdach, der gemeinsame Bürgerwindpark, die Bürgersolaranlage Das Bündnis Bürgerenergie wurde 2014 von elf Orga- auf dem Schuldach, das Bürgerenergie-Quartier, das ge- nisationen und Unternehmen gegründet und umfasst meinschaftliche Nahwärmenetz, das Bioenergiedorf, das mittlerweile über 200 Mitglieder, die zusammen über Elektromobil-Ladenetz in Bürgerhand, der Bürgerstrom- 500.000 Energiebürgerinnen und Energiebürger aus ganz handel oder die Sektorenkopplung von unten. Deutschland vereinen. Im Dialog mit der Öffentlichkeit und in der Gemeinschaftsbildung setzt sich das Bündnis Wenn Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen in ihrer Heimat- für Bürgerenergie als tragende Säule der Energieversor- region umsetzen können und sich dadurch stärker mit ihrer gung ein. Anhand der Prinzipien Selbstbestimmung, Par- Energieversorgung identifizieren können, wird eine echte tizipation, Verantwortung und Demokratie entsteht so Teilhabe möglich – und die Energiewende wird zum demo- eine „Kultur der Bürgerenergie“. 05
Nur gemeinsam sind wir stark ildungsveranstaltungen zu innovativen ■ B „Nur gemeinsam sind wir stark“ – das war nicht nur die Geschäftsmodellen und Gründungsidee des Bündnisses, sondern ist auch bis heute sein Erfolgsrezept. So hat das Bündnis Bürgerenergie mit sei- ampagnen zur Kommunikation der ■ K nen Mitgliedern und Partnern entscheidend dazu beigetra- Vorteile von Bürgerenergie. gen, dass die Europäische Union das Thema Bürgerenergie als das anerkennt, was es ist: ein integraler Bestandteil des Seien Sie dabei und werden Sie Teil der Bürgerenergie- Energiesystems. Erstmals definiert Europa in der Erneuer- Gemeinschaft! baren-Energien-Richtlinie ein konkretes und weit gehendes Recht auf erneuerbare Eigenversorgung und für Erneuerba- Das Bündnis Bürgerenergie ist so stark wie seine Mitglie- re-Energie-Gemeinschaften. In vielen Ländern Europas wird der. Diese steuern Wissen und Erfahrung bei, welche das damit Bürgerenergie und der erneuerbare Eigenverbrauch Bündnis in seiner Aufgabe als Vermittlungs-Plattform mit erstmals ermöglicht. Auch Deutschland ist zu Verbesserun- allen Akteurinnen und Akteuren der Bürgerenergie teilen gen verpflichtet. Dazu beigetragen haben viele Gespräche kann. Andererseits profitieren alle Mitglieder von regel- mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommission sowie mäßigen Hintergrundinformationen durch das Bündnis Parlamentarierinnen und Parlamentariern in Brüssel und Bürgerenergie. Auf Grundlage dieser geteilten Wissens- Berlin. Zusätzliche Wirkung entfaltete eine vom Bündnis basis werden gemeinsame Aktionen möglich, die für ein- Bürgerenergie gestartete Petition an den deutschen Wirt- zelne Akteure nicht umzusetzen wären. So erreicht die schaftsminister Peter Altmaier (CDU), die über 19.000 Men- Bürgerenergie eine hohe Sichtbarkeit in der Öffentlich- schen unterzeichnet haben. keit und ist kompetenter Ansprechpartner für Medien, Politik und Branche. Um auch weiterhin so erfolgreich arbeiten zu können, ist das Bündnis Bürgerenergie auf Spenden und zusätzliche Alle Mitglieder können sich in die Entscheidungsprozes- Mitglieder angewiesen. Denn es stehen vielfältige Auf- se im Bündnis Bürgerenergie aktiv einbringen, in Arbeits- gaben an: gruppen mitarbeiten oder sich online austauschen. So erweitert sich die Identifikation der Menschen mit der ie Begleitung der Umsetzung von EU-Richtlinien ■ D Energiewende über die eigene Region hinaus – und es und Verordnungen in nationales Recht, wächst ein bundesweites Netzwerk, in dem sich Enga- gierte kennen lernen, ihre Ideen und Meinungen austau- ■ S tudien zur Weichenstellung der Energiepolitik, um schen und gemeinsam politisch und wirtschaftlich aktiv die Klimaziele unter Beteiligung der Bürgerinnen werden können. und Bürger zu erreichen, Ratssprecherin Beate Petersen auf dem Bürgerenergie-Konvent 2017 Networking gehört zum Bürgerenergie-Konvent dazu – in Bochum wie hier 2015 in Erfurt 06 04
Die Tvind-Mühle kurz nach ihrer Fertigstellung im Jahr 1978 #2 GESCHICHTE KURZE HISTORIE DER BÜRGERENERGIE WIE UNSERE ENERGIEVERSORGUNG DEMOKRATISCHER WURDE Spätestens seit dem zweiten Atomausstieg im Jahr den Kohleausstieg. Ihren gesellschaftlichen Ursprung 2011 ist der Begriff „Energiewende“ in Deutschland hat die Energiewende allerdings in der Anti-Atomkraft- fast jeder und jedem bekannt. Dabei ist das Phä- Bewegung der 70er Jahre. Deren Fokus lag in der Kritik und nomen dahinter viel älter – und unzertrennlich mit im Widerstand gegen die energetische und militärische der Bürgerenergie verbunden. Diese war und ist das Nutzung der Atomkraft. In Wyhl in Baden-Württemberg schlagende Herz der Energiewende. beispielsweise wurde zum dort geplanten Atomkraftwerk erfolgreich Nein gesagt: „Nai hämmer gsait“. Doch die Anti- Atomkraft-Bewegung hat auch zur Gründung unabhängi- Ursprung in der Anti-Atomkraft-Bewegung ger Forschungseinrichtungen wie dem Öko-Institut geführt Erstmals wurde der Begriff Energiewende 1980 vom Öko- sowie den vielfältigen Anstrengungen von Pionierinnen Institut benutzt – als Titel eines Buchs, das Energieszenarien und Pionieren zur Entwicklung Erneuerbarer Energien und für den Atom- und Ölausstieg aufzeigte, nicht jedoch für deren Einsatz den Weg geebnet. 07 05
Ein beeindruckendes Beispiel für Pioniergeist ist die Entwicklung von Technik, Tvind-Mühle aus Dänemark. Per Annonce suchte die al- Genehmigungsprozessen und ternative Tvind-Schule im Jahr 1975 Menschen, um ge- Vergütungsmodellen meinsam die damals größte Windenergieanlage der Welt Erfolgreicher waren die Bürgerinnen und Bürger, die in Westjütland zu bauen. Daraufhin bauten 400 Lehre- jahrelang dafür kämpften, die Wind- und Solarenergie rinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler sowie viele zu entwickeln und einsetzen zu dürfen. Einer von ihnen Freiwillige ein Windrad mit einer 2-Megawatt-Turbine, war Dietrich Koch. Als er 1975 nach Mettingen in ein die allerdings von Anfang an auf 1 Megawatt Leistung Haus mit Feuerofen und nur zwei Steckdosen zog, wollte gedrosselt lief und am 26.03.1978 die Stromproduktion RWE 50.000 Mark von ihm für einen leistungsstärkeren aufnahm. Bis Ende 2014 hatte die Anlage 150.540 Be- Netzanschluss. Dietrich Koch zahlte nicht und kaufte sich triebsstunden und produzierte über 20 Gigawattstunden stattdessen eine Windturbine von Henk Lagerweij, einem Strom. Die Windenergieanlage ist noch weitestgehend niederländischen Tüftler, dessen Unternehmen weltweit mit den Originalteilen in Betrieb, einzig die Rotorblätter als erstes drehzahlvariable Windenergieanlagen mit pas- und ihre Lager mussten seitdem ausgetauscht werden. siver Pitchregelung auf den Markt brachte, die noch heu- te Stand der Technik sind. Koch brauchte für die Anlage Die großen Konzerne sprangen auf den Energiewen- eine Genehmigung, doch damals gab es keine passende de-Zug auf und akquirierten dutzende Millionen D-Mark Kategorie. Also erzählte er den Behörden, er baue einen an Fördergeldern für die Weiterentwicklung der Wind Atombunker und brauche dafür Strom. Den Beamten energie. Am Projekt Growian waren beispielsweise gefiel die Idee und sie genehmigten die Anlage, obwohl die Hamburgischen Electricitäts-Werke, die Schleswig- Koch nie einen Bunker baute. Die Anlage ragte jedoch Holsteinische Stromversorgungs AG und der RWE- eine Armlänge aus dem LKW heraus, der sie aus den Nie- Konzern beteiligt. Sie errichteten eine 3-Megawatt- derlanden über die Grenze transportierte. Die deutschen Turbine, die nur 420 Betriebsstunden erreichte. Das Grenzbeamten forderten daraufhin eine Polizeieskorte Projekt war von Anfang an nur ein Feigenblatt: „Wir für den Transport. Koch hatte jedoch schon einen Kran brauchen Growian, um zu beweisen, dass es nicht geht. für den Aufbau der Anlage bestellt und konnte nicht war- Growian ist so etwas wie ein pädagogisches Modell, um ten. Also rief er einen lokalen TV-Sender an, der sofort Kernkraftgegner zum wahren Glauben zu bekehren“, sag- zur Grenze kam, worauf hin die Behörden einlenkten und te der damalige RWE-Vorstand Günther Klätte auf einer den Transport gewähren ließen. Hauptversammlung des Konzerns. Turbinen der Bürgerwindparks in Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog 08
Behörden und Genehmigungsprozesse waren damals nicht auf die Erneuerbaren Energien ausgerichtet – eben- so wenig wie die zu der Zeit geltenden Vergütungsmodel- le. Heinrich Bartelt errichtete seine erste Windenergie- anlage 1988 und überzeugte RWE-Vertreter nach einigen Runden Schnaps, seinen Stromzähler bei Einspeisung rückwärts laufen lassen zu dürfen. Doch so viel Glück und Geschick hatten nicht alle. Erst 1991 sprach die Bundes regierung mit ihrem Stromeinspeisungsgesetz Wind energieanlagen 75 Prozent des Endkundenpreises für die Einspeisung zu, woraufhin sich die Windenergie in den 90ern entwickeln konnte. Unter den ersten Nutzern der Regelung waren Bauern in Schleswig-Holstein, die 1992 den Bürgerwindpark Lübke-Koog mit 14 Windrädern realisierten – damals der größte Auftrag für die Gara- gen-Firma Enercon, die zu dieser Zeit aus zwei Personen bestand. 2004, nach mehreren Erweiterungen und Repo- wering-Maßnahmen, waren 95 Prozent aller Haushalte in Lübke-Koog am Windpark beteiligt. Für RWE hingegen war die Einspeisevergütung ein Unfall, „den wir nicht ha- ben kommen sehen“. Für die Photovoltaik, die mit dem Stromeinspeisungsge- setz sogar 90 Prozent des Endkundenpreises bekam, war dies zur Entwicklung und zum wirtschaftlichen Einsatz der Technologie allerdings nicht ausreichend. Auf Betrei- ben von Wolf von Fabeck und dem Solarenergie-Förder 1999 erhielt die Tvind-Mühle einen markanten rot-weißen Anstrich verein aus Aachen, Ernst Schrimpff und dem Sonnen- kraft Freising e.V. sowie dem Energiewende-Vorkämpfer Hans-Josef Fell wurden 1993 in Aachen, Freising und Erfolg der Bürgerenergie Hammelburg die weltweit ersten Beschlüsse zur kos- Die bis 2016 installierte Leistung an Erneuerbaren Energi- tendeckenden Einspeisevergütung in Höhe von bis zu en geht zu 42 Prozent auf Bürgerinnen und Bürger zurück zwei D-Mark pro Kilowattstunde für Solarstrom erwirkt. – das ist fast drei Mal so viel wie alle Energiekonzerne Aachen begrenzte die Vergütung anfangs auf Anlagen zusammen auf den Weg gebracht haben. Was ist also die von insgesamt einem Megawatt Leistung. Die Idee wurde Energiewende? Auf jeden Fall ist sie der Grundstein für von mehr als 200 Kommunen übernommen und bereite- die Entwicklung Erneuerbarer Energien. Sie ist viel mehr te dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2000 Graswurzelbewegung als ein wie auch immer gearteter und der solaren Revolution den Weg. Zwischen 2010 und Masterplan. Aufgrund der regionalen Verankerung und 2012 wurde in Deutschland im Schnitt pro Stunde etwa der Beteiligung von Millionen Menschen bedeutet sie ein Megawatt an Solarleistung zugebaut. Die Einspeise- zudem eine weitgehende Demokratisierung der Energie vergütung war dafür Wegbereiter und Garant. „Politiker versorgung. Und wann begann die Energiewende? Viel- haben die Photovoltaik weiter voran gebracht als Wis- leicht in den 70ern mit der Anti-Atomkraft-Bewegung senschaftler“, so Adolf Goetzberger, Gründer des Fraun- und den ersten Windpionierinnen und -pionieren, viel- hofer-Instituts für Solare Energiesysteme. leicht in den 90ern mit dem Stromeinspeisungsgesetz und der kostendeckenden Einspeisevergütung, vielleicht 2000 mit dem EEG – aber sicher nicht erst im Jahr 2011, in Folge der Katastrophe in Fukushima und dem darauf folgenden zweiten Atomausstieg. 09
#3 POLITIK Die Klima-Allianz fordert POLITISCHER RAHMEN FÜR DIE BÜRGERENERGIE „Raus aus der Kohle – Rein in die Bürgerenergie“ DIE AUSGEBREMSTEN PIONIERINNEN UND PIONIERE Der 1. April 2000 kann mit Fug und Recht als histori- Mit dem frühen EEG fanden viele engagierte Grup- sches Datum bezeichnet werden. Denn an diesem Tag pen und Privatpersonen erstmals verlässliche Rah- trat das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in Kraft. menbedingungen vor, um sich aktiv gegen den Klima- Die Energiewende erhielt damit einen institutionellen wandel einzusetzen. Unzählige Menschen wurden zu Rahmen. Seit damals wurde das Gesetz mindestens „energethischen“ Vorreiterinnen und Vorreitern einer sechsmal substanziell und unzählige Male im Detail CO2-neutralen (Energie)-Wirtschaft und schlossen sich verändert. Es ist nahezu unmöglich, alle Änderungen in Bürgerenergiegesellschaften zum Bau von Windrä- im Einzelnen nachzubilden. Aber es lassen sich zwei dern oder Solaranlagen zusammen. Die dezentrale große Entwicklungen zeigen, die die Chancen der Bür- Energieversorgung, zu Beginn der Elektrifizierung im gerenergie geprägt haben. Bis 2012 hat ein grundsätz- 19. Jahrhundert im ganzen Land die Regel, erlebte eine lich gutes Gesetz zu einer Blüte der Bürgerenergie ge- „erneuerbare“ Renaissance. Die Bürgerinnen und Bürger führt. Ab 2012 wurde der Bürgerenergie systematisch jagten den Stromriesen Marktanteil um Marktanteil ab. die Luft zum Atmen abgeschnürt. Schauen wir uns Mit Beginn der 2010er-Jahre war die Bürgerenergie da- diese Entwicklungen genauer an. mit auf dem Weg, den Markt zur Erzeugung von Erneu- erbaren Energien zu dominieren. Mit dem EEG konnten sich erneuerbar bewegte Bürgerinnen und Bürger auf Die Blüte der Bürgerenergie das Wesentliche konzentrieren: lokal den Klimaschutz Der Erfolg des ursprünglichen EEG überstieg die kühns- voranzutreiben. Indem die installierten Anlagen auf der ten Erwartungen: So stieg die Erzeugung erneuerbaren Basis verlässlicher, berechenbarer Finanzierung und mit Stroms bis zum Ende des ersten EEG-Jahrzehnts fast um überschaubaren bürokratischen Anforderungen gebaut das Dreifache. Die Photovoltaik, Anfang des Jahrtausends werden konnten, trauten sich viele Menschen zu, die noch Nischentechnologie, wuchs neben der Windkraft einst den selbsternannten „Experten“ der Stromindust- zur zweiten Säule sauberer Energieversorgung heran. rie überlassenen Herausforderungen selbst zu meistern. 10
Die Bürgerenergie im Würgegriff Die nächste Bundesregierung, die Große Koalition un- der Bürokratie ter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Kurz nach der ersten EEG-Dekade wuchs der politische Sigmar Gabriel (SPD), ging von Anfang an rücksichtslos Druck auf dieses Erfolgsmodell. Am Anfang stand die der Bürgerenergie an den Kragen. Und das sehr syste- sogenannte Photovoltaik-Novelle. Die Minister Norbert matisch, weil der Gesetzgeber den Energiebürgerinnen Röttgen (CDU) und Philipp Rösler (FDP) setzten dem und -bürgern das zumutete, was sie überhaupt nicht Photovoltaik-Boom ein Ende. Ein „atmender“ Deckel vertragen können: Bürokratie, genauer: überbordende beim Photovoltaik-Ausbau von lediglich 2,5 bis 3,5 GW Bürokratie. Das erste EEG war klein, handlich und gut: Es pro Jahr statt den erreichten 7,5 GW in den Jahren vor- kam gerade mit zwölf Paragraphen auf drei Seiten aus. her sowie eine radikale Kürzung der Vergütung bedeute- Das EEG 2017 hat hingegen 173 Paragraphen und einen te einen Kahlschlag für die florierende Solarwirtschaft. Umfang von 134 Seiten.In drei Bereichen zeigt sich das Bürokratie-Monster besonders: Das öffentliche Klima für die Energiewende wurde auch da- nach immer unfreundlicher. Tonangebend war der damalige 1. Einführung von Ausschreibungen: Umweltminister Peter Altmaier (CDU), der mit der „Strom- Chaos statt Wettbewerb preisbremse“ Wahlkampf gegen die Erneuerbaren machte. Die Idee hinter Ausschreibungen lautete: Bevor Anla- Er konnte dies nur tun, weil zwei fundamentale politische genbetreiberinnen und -betreiber eine Förderzusage er- Irrtümer die EEG-Umlage ansteigen ließen, die nun von halten, müssen sie in einem Preiswettbewerb um eine Energiewende-Gegnern als vermeintliche Kennzahl für die festgelegte Menge von Erzeugungskapazität konkurrie- angeblich „ausufernden“ Kosten der Energiewende miss- ren. Viele Beobachterinnen und Beobachter warnten braucht wurde. Zum einen sorgten fallende Börsenstrom- vergeblich vor den verheerenden Folgen dieses sehr preise aufgrund der nicht vorhandenen Brennstoffkosten technokratischen Instruments. Sogar die EU-Wettbe- der Erneuerbaren dafür, dass die Differenz zwischen den werbskommissarin Margrethe Vestager stellte klar, dass Durchschnittsvergütungen aller Erneuerbaren Energien- die Mitgliedsstaaten Projekte bis zu gewissen Größen Anlagen und dem Marktpreis in den folgenden Jahren nicht (bei Wind: 18 Megawatt!) ohne Preiswettbewerb för- kleiner wurde – trotz rapide sinkender Erzeugungskosten. dern durften. Zu Recht, denn die Idee vom „fairen Wett- Vor allem aber sind die Industrieprivilegien zu nennen, wel- bewerb“ ist illusorisch: Bürgerenergie-Projekte schicken che die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung massiv immer nur ein Projekt ins Rennen, größere kommerzielle ausweitete. Denn ausgerechnet die größten industriellen Anbieter hingegen können das Risiko, in der Ausschrei- Stromverbraucher tragen seitdem nichts mehr zur Finanzie- bung nicht zum Zuge zu kommen, über mehrere Projekte rung der Energiewende bei. Umso mehr müssen normale streuen. Ohne Gewissheit über eine gesicherte Vergü- Verbraucherinnen und Verbraucher zahlen. tung traut sich kaum jemand, in die Finanzierung und Planung eines komplexen Projektes einzusteigen. Schon bei den Photovoltaik-Freiflächenanlagen zeichne- te sich früh ab, dass die Bürgerenergie bei Ausschreibun- gen den Kürzeren zieht: hier waren etwa die im Solarbe- reich traditionell starken Genossenschaften nur minimal vertreten. Ein Warnzeichen für die ab 2017 geplanten Wind-Ausschreibungen. Gemeinsam mit der nicht ab- reißenden Kritik aus der Branche lenkte das Bundeswirt- schaftsministerium ein und entwickelte Sonderregeln für Bürgerenergiegesellschaften. Bürgerenergiegesellschaften wurden damit erstmals ge- setzlich definiert. Eine Bürgerenergiegesellschaft nach EEG muss aus mindestens zehn natürlichen Personen aus dem Landkreis, in dem der Windpark errichtet wird, Bürgerenergie-Aktive beim Aktionstag „Rise for Climate“ am 08.09.2018 vor dem Paul-Löbe-Haus gegenüber dem Bundeskanzleramt 11
bestehen. Diese natürlichen Personen müssen insgesamt 3. Bestrafung für Eigenverbraucher 51 Prozent der Stimmrechte in der Bürgerenergiegesell- Bis 2012 gab es im EEG einen Eigenverbrauchsbonus. schaft innehaben. Niemand darf mehr als zehn Prozent Wer seinen Strom selbst erzeugte und diesen verbrauch- der Stimmrechte halten. te, ohne ihn durch ein öffentliches Stromnetz zu leiten, bekam eine separate Förderung. Dass diese 2012 abge- Die Sonderregeln für solche Bürgerenergiegesellschaften schafft wurde, wurde mit einer möglichen Überförde- umfassten längere Realisierungsfristen und Preisvortei- rung begründet. Mit einem gewissen Recht, denn Strom le. Doch die Regelungen hatten nicht den gewünschten aus Photovoltaikanlagen war so billig geworden, dass Effekt. Benutzt haben die Regelungen in den ersten Aus- es diesen Eigenverbrauchsbonus nicht mehr brauch- schreibungsrunden vor allem Projektierungsbüros, welche te. Doch kaum zwei Jahre später schlug Bundeswirt- die erforderliche Zusammensetzung einer Bürgerenergie- schaftsminister Gabriel mit dem Vorschlaghammer auf gesellschaft „nachgebaut“ haben. Die Projektierer wollten den Eigenverbrauch ein. Er setzte durch, dass auf selbst damit die um zwei Jahre verlängerte Realisierungsfrist verbrauchten Strom eine anteilige EEG-Umlage bezahlt nutzen, um später günstigere Anlagen kaufen zu können. werden muss, wenn der Strom aus Anlagen mit mehr als Diesen verfehlten Effekt hat der Gesetzgeber erkannt und zehn Kilowatt installierter Leistung oder mit einem Jah- mittlerweile das EEG geändert. Damit besteht seit Februar resertrag von mehr als 10.000 Kilowattstunden stammt. 2018 nicht mehr die Möglichkeit, vom Vorteil der verlän- Diese Regel bedeutete für viele Eigenverbrauchsmodelle gerten Realisierungsfrist Gebrauch zu machen. Im Gegen- das Aus. Schlimmer wirkte aber noch der folgende, nicht teil muss die Bundesimmissionsschutzgenehmigung nun begründete und auch nicht begründbare Beschluss: Ei- bereits beim Gebotszeitpunkt vorliegen. Den Bürgerener- genverbrauch liegt nur dann vor, wenn Anlagenbetreiber giegesellschaften im Sinne des EEG 2017 bleibt als einziger und Stromverbraucher die gleiche Person sind – in allen Vorteil in Ausschreibungsverfahren nun, dass sie stets den anderen Fällen wird die volle EEG-Umlage veranschlagt. in einer Runde ermittelten Höchstpreis erhalten – in der Praxis keine wirkliche Hilfe für echte Bürgerenergie. Eine Die neue Regulierung des Eigenverbrauchs ist ein Mus- Regelung, die Chancengleichheit verspricht, war bis zum terbeispiel für ausufernde Bürokratie. Denn für ihre Redaktionsschluss dieses Berichts nicht in Sicht. Auslegung brauchte die zuständige Bundesnetzagentur geschlagene 135 Seiten. Sie schuf damit eine Rechtsma- 2. Keine regionale Direktvermarktung terie, die so komplex ist, dass fast nur noch Anwältinnen trotz Marktprämie und Anwälte oder andere Expertinnen und Experten sie 2012 wurde eine Prämie für die Direktvermarktung von durchschauen. Grünstrom eingeführt, die seit 2014 für die meisten Anla- gen die Standardförderung darstellt. Das Problematische daran ist, dass gleichzeitig ein sogenanntes Doppelver- Gemeinsam für den zukünftigen Erfolg marktungsverbot gilt. Es besagt: Wer für seinen Strom Die nüchterne Bilanz der Energiepolitik der vergangenen eine Förderung in Anspruch nimmt, darf für diesen kei- vier Jahre lautet: Die Bürokratisierung – von der Einfüh- ne Herkunftsangaben gegenüber einem Dritten – zum rung der Ausschreibungen über die Verhinderung von Beispiel den Stromverbraucherinnen und -verbrauchern regionaler Direktvermarktung bis hin zur Bestrafung des – machen. So wird es beispielsweise Energiegenossen- Eigenverbrauchs – hat den Höhenflug der Bürgerenergie schaften sehr schwer gemacht, den Genossenschaftsmit- vorerst gestoppt und damit auch die Energiewende ge- gliedern den selbst erzeugten Strom als Eigenstrom zu bremst. Anders als viele Energiewende-Gegnerinnen und verkaufen. Gleichzeitig wurden die Grünstromprivilegi- -Gegner es darstellen, ist Bürgerenergie nicht lediglich en, die bisher die dezentrale Vermarktung von Ökostrom ein „Spielplatz“ auf dem Markt. Im Gegenteil ist die Lage erlaubt hatten, ersatzlos gestrichen. So wurde die regi- in der Bürgerenergie deutlicher Gradmesser für den Zu- onale Direktnutzung von Strom – ein Kernanliegen von stand der gesamten Energiewende. Mit der Bürgerener- vielen Bürgerenergiegesellschaften und der Schlüssel für gie leidet die Energiewende. Oder, ins Positive gewen- eine schnelle Dekarbonisierung auch des Verkehrs- und det: Nur wir gemeinsam können das Menschheitsprojekt Wärmebereichs durch die Sektorenkopplung – weitge- Energiewende zum Erfolg führen. Packen wir’s an! hend unmöglich gemacht. 12
Bürgerenergie-Aktive zu Besuch im Bioenergie dorf Schlöben, wo eine Genossenschaft Biogas anlage, Nahwärmenetz und Hackschnitzel- Spitzenlastkessel gemeinschaftlich betreibt #4 REGIONALE ENTWICKLUNG REGIONALE POTENZIALE VON BÜRGERENERGIE MOTOR FÜR WERTSCHÖPFUNG, AKZEPTANZ UND TEILHABE VOR ORT Bürgerenergie ist und war seit jeher vor allem regio- Gewerbetreibenden über die öffentliche Verwaltung und nal verwurzelt. Die Menschen, die sich in der Bürger Politik bis hin zu Bildungseinrichtungen und letztlich al- energie engagieren, tragen zu einer aktiven regio- len Bürgerinnen und Bürgern. nalen Zivilgesellschaft und zu erheblicher regionaler Wertschöpfung bei. Die Motivation der Bürgerinnen Länder und Kommunen spielen eine wichtige Rolle, bei- und Bürger ist groß – sofern ihnen die Chance zur spielsweise in der Entwicklung regionaler Energie- und Teilhabe an der Energiewirtschaft gegeben wird. Klimakonzepte. Sollen jedoch die örtlichen Potenziale ge- nutzt werden, ist es entscheidend, dass Menschen ihre Re- gionen durch eigene Handlungen mitgestalten können. Hier Die Akteure regionaler Entwicklung setzt die Bürgerenergie an, die ihre Wirkung in aller Regel Regionale Entwicklung ist der Ansatz, die sozialen, wirt- für die jeweilige Region entfalten möchte. Die Bürgerener- schaftlichen und umweltbezogenen Aspekte einer Re- gie bietet einen Beteiligungs-, aber auch einen Entfaltungs- gion zu verbessern. Regionale Entwicklung kann zentral raum, in dem konkrete Projekte umgesetzt werden können. vom Staat ausgehen oder „von unten“ erreicht werden, also durch die Nutzung der vor Ort vorhandenen Poten- ziale. Die nachhaltige Regionalentwicklung denkt dabei Die Motivation der auch Umweltaspekte mit: Die Lebensqualität in einer Re- Bürgerinnen und Bürger gion soll verbessert werden, aber unter Beachtung der Ein zentrales Leitmotiv der Bürgerenergie ist es, an der Wirkungen, die die Lebens- und Wirtschaftsweise für an- nachhaltigen regionalen Entwicklung selbst mitzuwirken. dere Regionen hat. Dafür sollen möglichst viele Akteure Denn Bürgerenergie speist sich aus dem Wunsch der aus der Region beteiligt werden – von Handwerk- und Menschen, nicht mehr nur passive Konsumentinnen und 13
Ursula von Hofacker von der Montessori-Schule in Neuötting freut sich über den Strom der nahe gelegenen Lärmschutzwand mit integrierten Solarmodulen Konsumenten zu sein, sondern die Belange in die eige- Individuelle Motive wie Bezug von Energie und Rendite nen Hände zu nehmen. Den eigenen Strom selbst zu er- sind laut der Umfrage ebenfalls wichtig, finden sich aber zeugen ist dabei, laut einer Emnid-Umfrage aus dem Jahr erst am Ende der zur Auswahl stehenden Motive. 2013, nicht nur ein Wunsch von sechs Prozent der Pio- nierinnen und Pionieren, die dies bereits unternehmen. Weitere 56 Prozent wollen ihren Strom selbst erzeugen, Nutzeffekte von Bürgerenergie benötigen aber mehr Zeit oder zusätzliches Wissen. Zehn auf die regionale Entwicklung Prozent sind unentschieden und nur 28 Prozent sagen, Bürgerenergie führt zu Engagement innerhalb der Re- die Stromerzeugung sei Sache der Energieversorger. gion. Wer aktiv vor Ort Energievorhaben realisiert, der nutzt die gegebenen Chancen und entfaltet sich in ersten Die Menschen streben also nach Teilhabe und Hand- Projekten. Dadurch reißen die Akteure ihre Mitbürgerin- lungsautonomie. Den Wunsch, selbstbestimmt und nen und Mitbürger mit, von denen sich viele häufig zum selbständig die Energiewende voranzubringen, erfül- ersten Mal aktiv mit Energiewirtschaft auseinanderset- len sie sich im Rahmen der Bürgerenergie allerdings im zen. Oft entwickeln sich durch das Engagement an einem Bewusstsein um die globale Dimension der drohenden konkreten Projekt auch der Erwerb neuer Kompetenzen Klimakatastrophe und die vielfältigen desaströsen Aus- und ein Engagement-Transfer in neue, innovative Vorha- wirkungen auf das Leben auf der Erde. Zum Motiv der ben. Oft beginnt eine Bürgerenergiegesellschaft mit der Handlungsautonomie gesellt sich also der Wunsch nach reinen Produktion Erneuerbarer Energien. Doch im Laufe gelebter gesellschaftlicher Verantwortung. Die Men- der Zeit folgen meist weitere Projekte, zum Beispiel regi- schen wollen regional handeln, sind sich aber überregi- onale Stromtarife, Energie-Effizienz-Beratungen, Elektro- onaler, gesellschaftlicher Zusammenhänge bewusst. Die Car-Sharing oder der Betrieb von Nahwärmenetzen. Es Energiewende und den Umweltschutz voranzubringen entsteht eine starke Zivilgesellschaft, die sich vor Ort sind die beiden wichtigsten Motive der Bürgerenergie- einbringt. Akteure, so eine Umfrage der Leuphana Universität Lüneburg aus dem Jahr 2014, die das Bündnis Bürger Wer in den Regionen Energieprojekte umsetzen will, energie und der BUND in Auftrag gegeben haben. Erst muss überzeugen können – sei es die Nachbarschaft, danach kommen regionale Wertschöpfung und Teilhabe. Naturschützerinnen und -schützer oder Behördenan- 14
gestellte. Die Bürgerenergie hat hier klare Vorteile, da höher der Grad der Beteiligung der Menschen, desto die Projekte aus der Mitte der Bürgerschaft selbst ent- höher ist die Akzeptanz. Denn die Energieversorgung stehen. Auf die breite Einbindung lokaler Akteure wird wird erfahrbar und gestaltbar. von vornherein geachtet. Durch die planerische und finanzielle Teilhabe ergeben sich Transparenz und Mit- bestimmung. Vorhandene Widerstände können effektiv Regionale Wertschöpfung abgebaut werden und der Energiesektor wird erheblich durch Bürgerenergie demokratischer. Durch die Vielfalt dezentraler Akteure Bürgerenergie trägt in erheblichem Umfang zur regiona- wurde in Deutschland bereits das Oligopol der großen len Wertschöpfung bei. Systematisch hat diesen Aspekt Energieversorger gebrochen. Geld und Einfluss werden beispielsweise eine Studie des Instituts dezentrale Ener- auf deutlich mehr Menschen verteilt, und es entstehen gietechnologien und der Uni Kassel im Jahr 2016 unter- nachhaltige und demokratische Wirtschaftsprozesse. sucht. Diese vergleicht die regionale Wertschöpfung von Statt zu Staatsmonopolisten, multinationalen Konzernen Windparks der Stadtwerke-Union Nordhessen, die stets und globalen Finanzströmen fließt das Geld zu den Men- regionale Bürgerenergiegesellschaften beteiligen, mit schen und lokalen Unternehmen vor Ort. Windparks, die extern projektiert und betrieben wer- den.. Die Windparks der Stadtwerke-Union Nordhessen Durch die Möglichkeit zur finanziellen Teilhabe und kommen auf einen Anteil an regionaler Wertschöpfung zur Mitarbeit vor Ort entsteht eine enorme Identi- in Höhe von 58,5 Prozent, während externe Windparks fikation der Menschen mit ihren Energieprojekten nur einen siebenprozentigen Anteil erreichen. Bürger und der Energiewende insgesamt. Die gesteigerte energie erreicht also hier mehr als das Achtfache der re- örtliche Kommunikation führt zu Vertrauen, es ent- gionalen Wertschöpfung. steht eine emotionale Bindung und Bürgerenergie wird zu einem Stück Heimat. Durch diese Möglich- Die regionale Wertschöpfung der Windparks der Stadt- keit zur Identifikation mit der eigenen, dezentralen werke-Union Nordhessen teilt sich wie folgt auf: 36 Pro- Energieversorgung werden Ängste abgebaut und ne- zent gehen in Investitionen in den Standort und laufende gative Einstellungen gelöst. Neue soziale Strukturen regionale Umsätze der lokalen Wirtschaft. 8,5 Prozent entstehen und führen zu einer empirisch belegten gehen als Gewerbesteuern an die Kommunen, 52,9 Pro- Erhöhung der Akzeptanz lokaler Energieprojekte. Je zent an die regionalen Investoren – also Bürgerinnen und Den Strom der Mieterstrom-Solaranlage von Greenpeace Energy nutzen das Hamburger Künstlerhaus Frise sowie die rund 50 Mieter direkt vor Ort 15
Bürger sowie Kommunen. 2,6 Prozent gehen darüber die Politik vom Ziel her denken und sich auf das Prinzip hinaus als Zinszahlungen an lokale Banken. Pachtzah- der Subsidiarität besinnen. Subsidiarität bedeutet, dass lungen werden ausgeklammert, da sie im Studiendesign Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und Entfaltung dem Land Hessen zufließen und daher keine direkte re- der Fähigkeiten vor Ort ermöglicht werden soll, indem es gionale Wertschöpfung auslösen. Zahlreiche Studien zei- den Menschen und Regionen überlassen wird, ihre eige- gen darüber hinaus, dass die Transformation des Ener- nen Belange in die eigenen Hände zu nehmen, solange giesystems einen klar positiven Effekt auf die regionalen sie dazu in der Lage sind. Die überregionale oder natio- Arbeitsmärkte hat. nale Ebene soll erst dann helfend eingreifen, wenn die Regionen vor Hürden oder Problemen stehen. Vom Ziel her denken – Gründe für ein In die Energiewirtschaft übertragen entspricht dem Prin- dezentrales Energiesystem zip der Subsidiarität der so genannte zellulare Ansatz. Die Motivation der Menschen, an der regionalen Ener- Hier werden Erzeugung und Verbrauch von Energie auf gieversorgung mitzuwirken, ist groß, der gesellschaftli- der niedrigsten Ebene in kleinteiligen „Energiezellen“ che Nutzen hoch und die regionale Wertschöpfung durch ausbalanciert. Denn die effizienteste Lösung ist es, den Bürgerenergie erheblich. Dennoch hängt alles von den Strom dort zu verbrauchen, wo er erzeugt wird. Die un- Chancen der Menschen ab, am Markt teilhaben zu kön- tersten Zellen bilden sich dynamisch, vom Eigenversor- nen. Wie in Kapitel 3 beschrieben, konnten Bürgerinnen gungs-Haushalt mit Photovoltaik-Anlage und Speicher und Bürger bis ins Jahr 2012 hinein ohne großes Risiko bis hin zum Straßenzug mit gemeinsamer Erzeugungsan- in die erneuerbare Energieerzeugung investieren und die lage und Gemeinschaftsspeicher. Die lokalen Energiezel- entsprechenden Anlagen selbst betreiben. Dies hat zur len werden durch Energienetze und digitale Kommuni- Entfaltung von erheblichem Bürgerengagement geführt. kationssysteme untereinander verbunden und bilden je Die Menschen hatten das Gefühl von Teilhabe und die nach Notwendigkeit übergeordnete größere Energiezel- Möglichkeit zur Entwicklung der eigenen Region. Dies ist len. Dieser „Graswurzel-Ansatz“ entspricht dem dezen- seit 2012 erheblich schwerer geworden. tralen Charakter der Erneuerbaren Energien und bietet die Möglichkeit der Partizipation aller Menschen. Was es heute braucht, ist ein neuer förderlicher Rahmen für das Engagement der Vielen – ein weitgehendes und Ein dezentrales, zellulares Energiesystem ist deutlich wi- unbürokratisches Recht auf Bürgerenergie, das es den derstandsfähiger als ein zentrales Energiesystem. Zwar Bürgerinnen und Bürgern erlaubt, ihre Ideen vor Ort können sowohl zentrale als auch dezentrale Systeme umzusetzen und ihr Potenzial zu entfalten. Dabei sollte beispielsweise von Hackern angegriffen werden. Wenn die lokalen Energiezellen jedoch als Inselnetz betrieben werden, ist die Fähigkeit zur Aufrechterhaltung sowie Wiederherstellung des Systems deutlich größer. Ein dezentraler, zellularer Ansatz zur nachhaltigen regi- onalen Entwicklung führt zu einer deutlich gleichmäßi- geren Verteilung der kommunalen Wertschöpfung als in einem zentralistisch angelegten Energiewende-Szenario. Insbesondere der ländliche Raum erfährt eine Aufwer- tung – und strukturschwache Regionen erhalten die Möglichkeit, sich selbständig zu entwickeln. Erneuerba- re Ressourcen stehen anders als die fossilen Energien in allen Regionen zur Verfügung, was zur erheblichen Re- duzierung von Energieimporten beitragen kann und zu deutlich mehr Verteilungs- und Chancengerechtigkeit zwischen den Regionen führt. Ein Mitglied der UrStrom BürgerenergieGenossenschaft Mainz lädt das CarSharing-Elektro-Auto nach Ende der Nutzung 16
Horst Leithoff und Reinhard Christiansen, Geschäftsführer des Bürgerwindparks Grenzstrom Vindtved #5 PRAXISBEISPIEL BÜRGERWINDPARK GRENZSTROM VINDTVED ERFOLG DURCH VERTRAUEN UND TRANSPARENZ Horst Leithoff war von Anfang an überzeugt, dass an Land auf Herz und Nieren für den Betrieb auf hoher Windenergie nicht nur einen wesentlichen Beitrag See getestet werden sollten. Ziel des Bürgerwindparks zum Klimaschutz leisten soll, sondern auch zur regi- ist es, Wirtschaftskraft zurück in die Region zu holen und onalen Entwicklung. Mit einer „Gemeinwohlbilanz“ den Gemeinden durch Gewerbesteuern mehr Gestal- für den Bürgerwindpark Grenzstrom Vindtved, tungsfreiheit zu geben. Die Bürgergesellschaft liegt ganz dessen Co-Geschäftsführer er ist, wollte er syste- in Bürgerhand und betreibt die Anlagen selbst. Das Un- matisch untersuchen, welche positiven Effekte der ternehmen gehört 200 regional verankerten Komman- Windpark für die Region und die Gesellschaft hat. ditisten, die überwiegend Privatpersonen sind. Es gibt Damit ist Horst Leithoff ein echter Pionier, denn der keinen Gesellschafter, der durch seinen Stimmenanteil Bürgerwindpark Grenzstrom Vindtved ist der erste bestimmenden Einfluss nehmen könnte. Windpark in Deutschland, der eine solche Gemein- wohlbilanz aufgestellt hat. Errichtung des Bürgerwindparks Der Bürgerwindpark Grenzstrom Vindtved besteht aus Um den Windstrom in das Übertragungsnetz einspeisen zwei Teilen: Zum Einen aus einem Repowering-Projekt, zu können, wurde mit sechs weiteren Bürgerwindparks das 32 kleinere, in ganz Nordfriesland verteilte Wind ein eigenes Umspannwerk errichtet. Gemeinsam mit energieanlagen mit insgesamt 4,9 Megawatt Leistung dem regionalen Verteilnetzbetreiber wurde darüber hin- durch vier moderne Windenergieanlagen mit zusammen aus ein Temperatur-Monitoring der Übertragungsleitun- 9,2 MW ersetzte. Zum Anderen besteht der Windpark gen realisiert, so dass fast doppelt so viel Strom abtrans- aus einem Testfeld von drei 6,1-Megawatt-Turbinen, die portiert werden konnte wie vorher. 17
Der Bürgersolarpark Ellhöft, an dem auch der Bürgerwindpark Grenzstrom Vindtved Anteile hält. Im Hintergrund sind Anlagen des Bürgerwindparks zu sehen Der Bürgerwindpark ist im Landschaftsbild weithin sicht- ■ ...ist an einer Genossenschaft beteiligt, die Elektro- bar und hat Einfluss auf die landwirtschaftliche Nutzung mobilität in der Region voranbringen möchte. Die sowie auf Vögel und Wildtiere. Zum Ausgleich hat die Genossenschaft forciert den Ausbau von Ladesta- Bürgergesellschaft mit den Naturschutzbehörden ein tionen und bietet einen Kauf oder ein Leasing von Konzept für die naturnahe Bewirtschaftung von Aus- E-Bikes und -Autos zu günstigen Konditionen. gleichsflächen entwickelt. Dazu wurde ein eigener Na- turschutzverein gegründet, der die Ausgleichsflächen ■ ...ist beteiligt an der Gesellschaft „Energie des der Bürgerwindparks verwaltet. Nordens“. Im Rahmen der Modellregion „Norddeut- sche Energiewende 4.0“ will die Gesellschaft eine Power-to-Gas-Anlage bauen, deren Elektrolyseur Vielfältige Aktivitäten in der Region: bei Netzüberlastungen Wasserstoff produzieren Grenzstrom Vindtved... und in die Gasleitungen einspeisen soll. So kann erneuerbarer Strom in Form von Wasserstoff für ■ ...hat mit anderen nordfriesischen Bürgerwindparks die spätere Nutzung gespeichert werden. eine Breitbandgesellschaft gegründet und finan- ziert, um den Ausbau von schnellem Internet in der ■ ...ist an der ARGE Netz beteiligt, die mit einem ländlichen Region sicherzustellen. Selbst in struk- vernetzten „Erneuerbaren Kraftwerk“ eine intelli- turschwächsten Gegenden wurde auf diesem Weg gente Verknüpfung von unterschiedlichen erneuer- eine Glasfaseranbindung für die Bewohnerinnen baren Stromerzeugern, Speichern und industriellen und Bewohner realisiert. Verbrauchern anstrebt. So soll eine sichere Strom- versorgung ausschließlich auf Basis Erneuerbarer Energien gewährleistet werden. 18
■ ... hat eine Stiftung ins Leben gerufen, die soziale 1,4 Millionen Euro Gewerbesteuer ab und zahlen Zwecke und Energiesparmaßnahmen fördert. Die 834.000 Euro Pachtzahlungen, 6,6 Millionen Euro Aus- Stiftung hat beispielsweise solarbetriebene Stra- schüttungen sowie 410.000 Euro Geschäftsführer- ßenlaternen an Bushaltestellen und Schulwegen gehälter. Insgesamt entspricht dies einer regionalen realisiert. Wertschöpfung in Höhe von über 9,3 Millionen Euro. Verglichen mit Windparks externer Investoren, die ■ ...möchte in Zukunft gemeinsam mit den umlie- häufig ausschließlich die Pachtzahlungen in der Region genden Bürgerwindparks eine flächendeckende, lassen, entspricht dies einer elffachen regionalen Wert- so genannte „bedarfsgerechte Befeuerung“ der schöpfung. Windenergieanlagen realisieren. Ziel ist, dass die Warnlichter der Bürgerwindparks nur dann akti- „Einen Bürgerwindpark kann man nur durch Vertrauen viert werden, wenn sich tatsächlich ein Flugobjekt und Transparenz verwirklichen. Wir müssen die Men- nähert. Diese Innovation nach neuestem Stand der schen von Anfang an mitnehmen und den Windpark zu Technik soll unnötige Lichtimmissionen in Form von ihrem Windpark machen“, sagt Horst Leithoff. Mit dem nächtlichem Blinken reduzieren. ideellen und wirtschaftlichen Erfolg haben er und seine Kolleginnen und Kollegen mit den Bürgerwindparks dazu beigetragen, dass die Akzeptanz für Windkraft in der Re- Regionale Wertschöpfung gion fast ungebrochen hoch ist. Der Bürgerwindpark hat von Beginn an eine gerechte Gewerbesteueraufteilung zwischen den beteiligten Ge- meinden initiiert. Dabei wurde auch ein Gewerbesteuer- ausgleich mit einer Gemeinde vereinbart, in der diverse kleine Windmühlen im Zuge des Repowerings abgebaut wurden. Insgesamt zahlt der Bürgerwindpark jedes Jahr rund 270.000 Euro Gewerbesteuer. Die Pachtverträge sind so gestaltet, dass die Erträge des Windparks nicht nur einigen wenigen, sondern möglichst vielen Anrainer- innen und Anrainern zufließen. Jede Kommanditistin und jeder Kommanditist erhält eine jährliche Ausschüttung von durchschnittlich 5.000 Euro, wodurch die Kaufkraft der Region in jedem Jahr um etwa eine Million Euro erhöht wird. Dies führte zu einer spürba- ren Belebung der regionalen Wirtschaft Wo es vertretbar war, wurden regionale Akteure einge- bunden. Der Kabel- und Wegebau wurde von regionalen Unternehmen ausgeführt, die Service-Stationen werden mit lokalen Arbeitskräften betrieben, die kaufmännische und technische Betriebsführung wird aus der Region durchgeführt und auch der Direktvermarkter des Stroms kommt aus der Region. Neben dem Bürgerwindpark Grenzstrom Vindtved ist Horst Leithoff Geschäftsführer zweier weiterer Bürger- windparks in der Region. Zusammen haben diese drei Gesellschaften mehr als 900 Kommanditistinnen und Kommanditisten. In Summe führen diese Windparks Horst Leithoff 19
Die EU-Kommission sieht die Bürgerinnen und Bürger im Kern der Energie-Union #6 EU-VORGABEN NEUE RICHTLINIEN ZUR REGIONALEN BÜRGERENERGIE EINE HISTORISCHE CHANCE In den kommenden Jahren bietet sich für die Bürger Trotz dieser klimapolitischen Ambitions- und Verant- energie in Deutschland eine große Chance – denn die wortungslosigkeit lässt sich allerdings auch sehr Gutes, Bundesregierung muss die in der EU beschlossene ja Historisches aus dem Paket herauslesen. Zum ersten Rahmensetzung für die Energiepolitik in nationales Mal nämlich überhaupt werden grundsätzliche Rechte Recht umsetzen. Wir möchten Ihnen zeigen, welche definiert: Jede Stromverbraucherin und jeder Stromver- Möglichkeiten und Herausforderungen die EU-Richt- braucher erhält das Recht, Strom selbst zu erzeugen, zu linien bieten. speichern und zu verkaufen – und dabei fair behandelt zu werden. Bürgerenergiegesellschaften erhalten die Im Jahr 2020 läuft die derzeitige energiepolitische Rah- gleichen Rechte wie Stromverbraucherinnen und -ver- mensetzung der Europäischen Union aus. Bereits im braucher, in Bezug auf Stromhandel sind diese sogar November 2016 hat die Europäische Kommission einen noch weitreichender. Zwar stimmt es, dass auch heute Vorschlag für deren Erneuerung vorgelegt. Das Paket aus in Deutschland kein Gesetz und keine Verordnung ver- acht Richtlinien- und Verordnungstexten hat sie unter die bietet, Strom selbst zu erzeugen, zu speichern und zu Überschrift „Clean Energy for all Europeans“ gestellt. Der handeln. Doch ein explizites Recht schafft doch eine Titel klingt verheißungsvoll, doch die großen Linien sind ganz andere Realität. Denn vom Tag des Inkrafttretens insgesamt enttäuschend. So konnten sich das Europäi- des europäischen Energiepakets an kann jede Strom- sche Parlament und der Ministerrat der Mitgliedsstaaten verbraucherin und jeder Stromverbraucher sowie jede gerade einmal auf ein Ausbauziel der Erneuerbaren Ener- Bürgerenergiegesellschaft klagen, wenn sie oder er der gien von 32 Prozent am gesamten EU-Energieverbrauch Meinung ist, in der Ausübung der Rechte behindert zu in einigen. Alle Experten meinen: Das reicht nicht aus, werden. Und diese Wahrnehmung haben vermutlich vie- um die klimapolitischen Ziele Europas und die Verpflich- le, die sich für Bürgerenergie engagieren. tungen aus dem Pariser Klimaabkommen zu erfüllen. 20
Bürgerenergie bezogenen Ausschreibungskriterien bis hin zu eigenen Ausschreibungen nur für Bürgerenergie. Den Mitgliedsstaaten steht es aber auch frei, Bürger energieprojekten eine Mindest-Einspeisevergütung zu gewähren – jedenfalls, sofern es sich um kleinere Pro- jekte handelt. Die Schwellenwerte hierfür legt die Kom- mission eigenständig fest. Aktuell liegen sie bei einem Megawatt; im Falle von Windenergie bei sechs Anlagen von jeweils maximal drei Megawatt. Heute ist überhaupt noch nicht absehbar, wie die Bun- desregierung die Pflicht umsetzen wird, etwas für Bür- gerenergie bei Ausschreibungen zu tun. Es gilt weiterhin, vor allem darauf hinzuwirken, dass die Politik von der Möglichkeit Gebrauch macht, für kleinere Bürgerener- gieprojekte eine fixe Einspeisevergütung einzuführen. Malte Zieher und Marco Gütle übergeben Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier eine Petition, die Deutschland zur Unterstützung der europaweiten Rechte von Bürgerenergie-Akteuren aufruft Regionale Direktvermarktung Weitreichender sind die Rechte, die der europäischer Wenn man etwas genauer auf die einzelnen Inhalte dieses Gesetzgeber Eigenverbraucherinnen und -verbrauchern „Rechts auf Prosum“1 und des Rechts auf Bürgerenergie und Bürgerenergiegesellschaften einräumt, wenn es um schaut, dann sieht man: An manchen Stellen werden die die regionale Direktvermarktung von Bürgerstrom geht. für die Bürgerenergie seit 2012 einsetzenden, äußerst ne- Denn die Richtlinien sehen vor, dass Eigenverbrauche- gativen Entwicklungen der deutschen Energiepolitik, die rinnen und -verbraucher Energie handeln und Bürger wir im dritten Kapitel beschrieben haben, zumindest teil- energiegesellschaften den Energieaustausch zwischen weise korrigiert. Hervorzuheben ist besonders, dass der ihren Mitgliedern organisieren dürfen. Dies öffnet also europäische Gesetzgeber erkannt hat, dass immer mehr eine Tür zum Bürgerstromhandel, wie ihn das Bündnis bürokratische Anforderungen Gift für Bürgerenergie sind. Bürgerenergie in einem Impulspapier des Analyseinsti- tuts Energy Brainpool hat beschreiben lassen. Bisher ist Bürgerstromhandel aufgrund der hohen administrativen Ausschreibungen Hürden, die das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) für Leider gilt diese Korrektur nur sehr eingeschränkt für die Stromlieferungen vorsieht – gleich von wem an wen – Ausschreibungen. Sie bleiben das zentrale Instrument praktisch unmöglich. für die Förderung von Erneuerbaren Energien. Allerdings wird den Mitgliedsstaaten auferlegt, bei der Entwicklung Insofern könnte es durchaus bedeutsam sein, dass in ihrer Förderinstrumente die Besonderheiten von Bürger den entsprechenden Richtlinien die Mitgliedsstaaten energiegesellschaften zu berücksichtigen. Ziel ist, dass verpflichtet werden, die Hürden zu analysieren, die die Bürgerenergie die gleichen Chancen wie andere Markt- entsprechenden Aktivitäten von Bürgerenergie hem- teilnehmer hat, wenn es um die Partizipation an der men. Die Mitgliedsstaaten werden dann verpflichtet, ei- verfügbaren Förderung geht. Um dies zu erreichen, wird nen fördernden Rechtsrahmen für Bürgerenergie zu ent- den Mitgliedsstaaten eine breite Palette an Maßnahmen wickeln, der alle nicht gerechtfertigten regulatorischen vorgeschlagen. Sie reicht von der Information über die und administrativen Hürden aufhebt. Weiterhin erhalten technische und finanzielle Unterstützung, die Reduktion Bürgerenergiegesellschaften das Recht, sogenannte ge- des administrativen Aufwands, die Einführung von auf meinschaftliche Stromnetze zu betreiben. 1 Prosum nennt man es, wenn Produktion und Konsum (von Energie) in einer Person oder Gemeinschaft zusammenfällt 21
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