EUROPA 2019 bis 2024 Positionen des BDEW für sichere und bezahlbare Energie, den Schutz der Gewässerressourcen und Klimaschutz in Europa
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EUROPA 2019 bis 2024 Positionen des BDEW für sichere und bezahlbare Energie, den Schutz der Gewässerressourcen und Klimaschutz in Europa www.bdew.de
SICHERE UND BEZAHLBARE ENERGIE, SCHUTZ DER GEWÄSSERRESSOURCEN UND KLIMASCHUTZ IN EUROPA Vom 23. bis 26. Mai 2019 haben die Bürgerinnen und Mit den richtigen Rahmenbedingungen bietet die Bürger der EU ein neues Europäisches Parlament ge- Energiewende vielfältige Chancen für nachhaltiges wählt. Dieses hat am 16. Juli 2019 auf Vorschlag des dynamisches Wachstum für die Unternehmen der Europäischen Rates Ursula von der Leyen zur neuen Energiewirtschaft. Sie reichen vom Ausbau der Erneu- Präsidentin der Europäischen Kommission gewählt. erbaren Energien und dem Umbau des Kraftwerks- Sowohl das neue Europäische Parlament als auch die sektors über Infrastruktur und Dienstleistungen rund zukünftige Europäische Kommission können auf Vie- um Elektromobilität und alternative Antriebe bis hin lem aufbauen, was die EU in der vergangenen Legis- zu Sektorkopplungstechnologien wie Power-to-Gas laturperiode für die Gewährleistung von sicherer und (PtG). bezahlbarer Energie, den Schutz der Gewässerres- sourcen und den Klimaschutz erreicht hat. Die Europäische Union sollte Rahmenbedingungen für den Übergang zur Erreichung des Ziels einer kli- • Ein umfangreiches Gesetzespaket für sauberen maneutralen Wirtschaft bis 2050 schaffen, die die Strom, in dessen Mittelpunkt der Verbraucher Wettbewerbsfähigkeit, soziale Ausgewogenheit und steht; Sicherheit der Energieversorgung gewährleisten. • Die Grundlagen für das Pariser Klimaschutzüber- Ohne Gas wird das nicht gehen. Damit Gas seinen einkommen von 2015; entscheidenden Beitrag zur Erreichung der weitest- • Drei Gesetzesakte zur Mobilität, mit denen die gehenden Klimaneutralität der Energieversorgung in Fahrzeugemissionen bis 2030 deutlich gesenkt 2050 leisten kann, ist ein neues Gaspaket erforder- werden sollen; lich. Dessen Dreh- und Angelpunkt sollte ein klares • Die EU-Trinkwasserrichtlinie wird gerade ange- Bekenntnis und eine strategische Sichtweise der EU passt. Ziel ist die Sicherstellung hoher europäi- zum Energieträger Gas auch in einer über das Jahr scher Qualitätsanforderungen; 2050 hinausgehenden Perspektive sowie zur Integra- • Die EU-Arzneimittelstrategie soll das Verursa- tion und Nutzung erneuerbarer und dekarbonisierter cherprinzip stärken; Gase sein. • Eine Strategie für einen digitalen Binnenmarkt, die der Modernisierung aller Lebensbereiche und Der digitale Binnenmarkt muss endlich weiter ver- der Sicherheit vor Gefahren im Netz dient. tieft werden. Das gilt auch für die Energie- und Was- serwirtschaft. Europa kann es sich nicht leisten, von Auch in den kommenden fünf Jahren müssen die Eu- Amerika und China abgehängt zu werden. ropäische Kommission, das Europäische Parlament und die EU-Mitgliedstaaten viele Themen voranbrin- gen, um in einer schwieriger gewordenen Welt künf- Der Abbau von Bürokratie bleibt eine Daueraufgabe, tig Umwelt- und Klimaschutz, Wohlstand und Sicher- gerade auch, um die Innovations- und Leistungskraft heit zu gewährleisten: von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu
stärken. Die große Mehrzahl aller deutschen Stadt- Im vorliegenden Papier beschreiben wir die wichtigs- werke ist aus rein definitorischen Gründen von Er- ten Handlungsfelder für die kommenden Jahre auf leichterungen, Entlastungen oder Förderungen aus- EU-Ebene und stellen die grundlegenden Positio- geschlossen. Deshalb muss die KMU-Definition auf nen des BDEW als Branchenverband der Energie- und EU-Ebene endlich angepasst werden. Wasserwirtschaft vor. DAS HEIßT KURZ UND KNAPP: Nicht stehen bleiben beim Klimaschutz! Den Gasmarkt fit für eine immer grünere Zukunft machen! Schutz des Lebensmittels Nummer 1: Trinkwasser EU-weit sicherstellen! Abwasserwirtschaft nachhaltig gestalten: Stärkung des Verursacherprinzips! Chancen und Risiken der Digitalisierung nicht verschlafen! Mehr Forschung und weniger Bürokratie!
SICHERE UND BEZAHLBARE ENERGIE, SCHUTZ DER GEWÄSSERRESSOURCEN UND KLIMASCHUTZ IN EUROPA ERWARTUNGEN DER ENERGIEWIRTSCHAFT AN DEN ENERGIEBINNENMARKT 6 Nachhaltig Wachstum generieren 6 Strombinnenmarkt: Versorgungssicherheit auf Energiewende ausrichten 7 Den Gasbinnenmarkt fit für eine immer grünere Zukunft machen 7 Gasinfrastruktur nutzen und weiterentwickeln 9 Sektorkopplung ermöglichen 9 ERWARTUNGEN DER ENERGIEWIRTSCHAFT ZUR ENERGIEWENDE 12 Weichen für 2050 richtig stellen 12 Klimaziel für 2030 – eine wichtige Etappe auf dem Weg nach 2050 12 Europäischen Zertifikatehandel beibehalten und ausbauen 13 CO2-Preis durchgängig etablieren 14 Erneuerbare Energien, Motor der Europäischen Energiewende 15 Fern- und Nahwärmeversorgung langfristig einbeziehen 16 Saubere Mobilität: Verkehrspakete der EU durchsetzen 17 Nachhaltige Finanzierung auf den Weg bringen und pragmatisch ausgestalten 19 Energie- und Umweltbeihilfeleitlinien an Energiewende ausrichten 19 ERWARTUNGEN DER WASSERWIRTSCHAFT AN DIE EU-WASSERPOLITIK 22 Trinkwasser: Schutz des Lebensmittels Nummer 1 EU-weit sicherstellen 22 Sinnvolle Weichen für die zukünftige EU-Trinkwasserrichtlinie stellen 22 Abwasserwirtschaft nachhaltig gestalten: Stärkung des Verursacherprinzips 23 EU-Arzneimittelstrategie konsequent und verbindlich umsetzen 23 Kommunale Abwasserrichtlinie 25 Evaluierung der kommunalen Abwasserrichtlinie 25 Evaluierung der Wasserrahmenrichtlinie 25 Verordnung über Mindestanforderungen für die Wasserwiedergewinnung 26 Gemeinsame Agrarpolitik und die konsequente Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie 26 Konzessionsvergabe in der Wasserwirtschaft 28
DAS EUROPA DER ZUKUNFT BAUEN - INNOVATIV, DIGITAL UND UNBÜROKRATISCH 30 Digitalisierung ist die zentrale Grundlage des Energiesystems der Zukunft 30 Die Chancen der Digitalisierung für die Energiewirtschaft fördern 31 Digitalisierung in der Wasserwirtschaft 32 Cybersicherheit in der Energie- und Wasserwirtschaft weiter gemeinsam stärken 33 Forschung und Innovation 33 EUROPÄISCHEN MEHRWERT NUTZEN, BÜROKRATIE ABBAUEN 34 EU-KMU-Definition ändern 34 Bürokratieabbau bleibt Daueraufgabe 35
Erwartungen der Energiewirtschaft an den Energiebinnenmarkt ERWARTUNGEN DER ENERGIEWIRTSCHAFT AN DEN ENERGIEBINNENMARKT Der europäische Binnenmarkt für Strom und Gas ist Eine wichtige Grundlage dafür ist ein funktionieren- das Fundament für eine sichere und bezahlbare Ener- der Energiebinnenmarkt. gieversorgung und den Klimaschutz in Europa. In der letzten Legislaturperiode hat die EU mit dem Paket Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird euro- „Saubere Energie für alle Europäer“ einen wichtigen paweit der Motor dieses Wachstums sein. In vie- Schritt zu einem funktionierenden Strombinnen- len Mitgliedstaaten – darunter Deutschland – muss markt mit einem stetig steigenden Anteil Erneuer- der Kraftwerkssektor fast vollständig umgekrem- barer Energien, mehr Dezentralität und Flexibilität pelt werden. Zusätzlich ist der Strukturwandel eine sowie mehr Möglichkeiten zur aktiven Teilnahme der Herausforderung in vielen Teilen Europas. Auch das Verbraucher getan. Weitere Schritte müssen folgen, schafft neue Wachstumschancen. um den Energiebinnenmarkt und das Energiesystem in seiner Gesamtheit weiter auf eine sichere, bezahl- bare und klimaneutrale Zukunft auszurichten. Für das Erreichen der europäischen CO2-Flottengrenz- werte für PKW und schwere Nutzfahrzeuge braucht es eine wachsende Zahl an Fahrzeugen mit Elektro- und Nachhaltig Wachstum generieren anderen alternativen Antrieben wie CNG/LNG und Die EU hat sich in ihrer Strategischen Agenda 2019 Wasserstoff. Damit steigt der Bedarf an Lade- und bis 2024 vom Juni 2019 viel für die Zukunft vorge- Tankinfrastruktur. Sollte der Anteil der E-Pkw-Neu- nommen. Wie viel sich hiervon realisieren lässt, hängt zulassungen von aktuell 2 Prozent auf 10 Prozent ganz wesentlich davon ab, dass es gelingt nachhalti- steigen, müssten allein in Deutschland im öffentli- ges Wachstum zu generieren. Ein nachhaltiges dyna- chen Raum jährlich – je nach Verteilung von AC- bzw. misches Wirtschaftswachstum wird deshalb auch in DC-Ladeorten – mindestens 9.000 neue Ladepunkte Zukunft ein zentrales Ziel sein. errichtet werden und mehrere hunderttausend priva- te Ladepunkte am Wohnort und am Arbeitsplatz ent- Aus der dringenden Notwendigkeit, Treibhaus- stehen. Wachstums- und Innovationschancen bietet gas-Emissionen weiter zu senken, entsteht wirt- nicht nur die Infrastruktur, sondern auch der Dienst- schaftliche Dynamik. Mit der Gestaltung der Energie- leistungsmarkt um die neuen Antriebsformen herum. welt von morgen sind neue Wachstumschancen für die Unternehmen der Energiewirtschaft verbunden. Die Nachfrage nach Technologien, die eine verläss- liche und stabile Rund-um-die Uhr-Nutzung von In Deutschland soll 2038 das letzte Kohlekraft- grünem Strom in allen Sektoren ermöglichen, wird werk den Markt verlassen, die Kernkraft ist bereits steigen. In vielen Mitgliedstaaten bietet sich Po- im Jahr 2022 Geschichte. Damit müssen innerhalb wer-to-Gas als Lösung an. Ziel einer Europäischen von knapp 20 Jahren 50 Gigawatt gesicherte Energiepolitik muss es auch sein, Innovationen von Leistung – das entspricht mehr als der Hälfte Sektorkopplungstechnologien zu fördern. Dazu ge- unserer gegenwärtigen konventionellen Kapazität hört es auch, die Hochlauf- und Markteintrittsphase – aus dem System genommen und durch Wind- von Power-to-Gas anzureizen. energie und Solaranlagen, Speicher sowie klima- freundliche Gaskraftwerke ersetzt werden. 6
Eine vorausschauende Energiepolitik schafft Innova- und anderen Kapazitätsmechanismen geprägt sein. tionen und Wachstum. Die EU muss daher einen kla- Zugleich legt die Strombinnenmarkt-Verordnung den ren politischen Rahmen für langfristige und kosten- Mitgliedstaaten, die einen Kapazitätsmarkt einführen effiziente Investitionen in innovative und klimaneut- wollen, enge Fesseln an. rale Technologien entwickeln. Die Überkapazitäten, durch die die Stromerzeugung Strombinnenmarkt: Versorgungssicherheit auf in dem ablaufenden Jahrzehnt in vielen Mitgliedstaa- Energiewende ausrichten ten geprägt war, gehören absehbar der Vergangenheit Mit fortschreitendem Ausbau von Wind- und Son- an1. Dementsprechend bleibt die Debatte über lang- nenenergie werden Technologien der Stromerzeu- fristige Investitionssignale und wie die Stromversor- gung, die gesicherte Leistung bereitstellen können, gungssicherheit mittel- und langfristig gewährleistet für die Versorgungssicherheit weiter wichtig bleiben. werden soll, bestehen. Was könnte das geeignetste Aber sie werden deutlich seltener genutzt werden, Strommarktdesign für einen zukünftigen vollständig produzieren also immer weniger Strom. Im heutigen dekarbonisierten Strommarkt sein? Und was könnte Strommarktdesign wird nur die tatsächlich erzeugte das geeignetste Marktdesign für den Übergang zu Strommenge vergütet („energy only market“). Keine dieser Phase sein? Die mittelfristigen Kapazitätsab- Vergütung ist dafür vorgesehen, dass Anlagen bereit- schätzungen von ENTSO-E lassen erkennen, dass es gehalten werden, um einzuspringen, wenn Sonne und bereits Mitte des Jahrzehnts in vielen Mitgliedstaaten Wind nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Das eng werden kann. Bis dahin müssen belastbare Kon- lässt Investitionen in solche Erzeugungsanlagen un- zepte auf dem Tisch liegen. ter den gegenwärtigen Bedingungen zu einem hohen Risiko werden. Den Gasbinnenmarkt fit für eine immer grünere Zukunft machen Das Paket „Saubere Energie für alle Europäer“ verbes- Mit Blick auf technische Machbarkeit, Wirtschaftlich- sert das Funktionieren der kurzfristigen Strommärk- keit und Effizienz kann die Energieversorgung von te, also des Großhandelsmarkts und der Endkun- morgen nicht allein auf Strom setzen. Gas und seine denmärkte. Die Strombinnenmarkt-Verordnung Infrastruktur sind bestens geeignet, die Schwank- enthält Grundsätze für die Ausgestaltung von Ka- ungen in der Erzeugung von Wind- und Sonnenener- pazitätsmechanismen auf mitgliedstaatlicher Ebene. gie auszugleichen. Der EU-Gesetzgeber konnte sich jedoch nicht dazu entschließen, ein einheitliches europäisches Strom- Gas enthält deutlich weniger CO2 als alle anderen marktdesign zu entwickeln, mit dem Investitionen in fossilen Energieträger. Das bringt die Energiewende gesicherte Leistung angereizt werden. Infolgedes- voran. Aber Gas kann in Zukunft noch mehr. Es kann sen wird der europäische Strombinnenmarkt durch grün werden. Dafür müssen die richtigen Vorausset- einen Flickenteppich von Staaten ohne und Staaten zungen jetzt geschaffen werden. Um erneuerbare mit Kapazitätsmärkten bzw. Strategischen Reserven 1 BDEW, Fakten und Argumente, Verfügbarkeit ausländischer Kraftwerkskapazitäten für die Versorgung in Deutschland. 7
Erwartungen der Energiewirtschaft an den Energiebinnenmarkt und dekarbonisierte Gase und die dahinterstehen- den Technologien wie Power-to-Gas zu ermöglichen, In Deutschland werden bereits heute 9,3 Mrd. muss die EU nach dem Paket „Saubere Energie für kWh aufbereitetes Biogas in das Gasnetz ein- alle Europäer“ nun auch die Regeln für den Gasbin- gespeist. Das Gasnetz kann wachsende Anteile nenmarkt modernisieren. Hierzu sind an erster Stelle zunehmend CO2-ärmerer Gase aufnehmen. ein klares Bekenntnis und eine strategische Sichtwei- se der EU zum Energieträger Gas auch in einer über das Jahr 2050 hinausgehenden Perspektive und zur Die Beimischung von Wasserstoff ist ein wichtiger Integration und Nutzung erneuerbarer und dekarbo- Beitrag, um den Anteil erneuerbarer und dekarboni- nisierter Gase unabdingbar. sierter Gase sukzessive zu erhöhen. Die zunehmende Einspeisung von Wasserstoff wird eine umfassende Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten er- Im Mittelpunkt eines „Gaspakets“ muss der Markt fordern, um zu verhindern, dass Hindernisse für den stehen. Erforderlich sind geeignete Rahmenbedin- grenzüberschreitenden Handel mit Gas entstehen. gungen für die Integration von erneuerbaren und de- Dazu gehört u. a. ein europaweiter, zunächst niedriger karbonisierten Gasen (einschließlich Wasserstoff) in Richtwert für die Einspeisung von Wasserstoff. Dage- den Wettbewerb sowie für die Markteinführung von gen sollten die zur Erhöhung der Wasserstoffverträg- Power-to-Gas. Notwendig ist außerdem ein Euro- lichkeit des Endverbrauchers erforderlichen Schritte pa-einheitliches und unbürokratisches Nachweis- im nationalen Rahmen festgelegt werden und den system, um den Handel mit erneuerbaren und de- dort tätigen Unternehmen und ihren Kunden ausrei- karbonisierten Gasen auch grenzüberschreitend zu chend Raum für die nötigen Anpassungen lassen. ermöglichen. Kiel Das deutsche Gas-Fernleitungsnetz Greifswald Kamminke Schwerin Hamburg Bunde/Oude Statenzijl remen Fernleitungen L-Gas Deutschland Fernleitungen H-Gas Deutschland Potsdam Berlin Hannover Lichterfelde Leitungen noch nicht in Betrieb Magdeburg Elten/Zevenaar Legden Gubin Speicheranschlüsse Ausland Speicher an Fernleitungsnetzen Tegelen Düsseldorf Göttingen Allmenhausen Lasow Glehn Dresden Haanrade Erfurt Bocholtz und Ronneburg Bocholtz/Vetschau Eynatten/Raeren/ Deutschneudorf Lichtenbusch Brandov Gießen Herbstein Weidenhausen Frankfurt Wiesbaden Mainz Rothenstadt Saarbrücken Stuttgart Deggendorf Forchheim Wertingen Vohburg Finsing München Überackern Thayngen-Fallentor Basel Pfronten Abbildung 1: Das deutsche Gas-Fernleitungsnetz Quelle: Fernleitungsnetzbetreiber; Stand 31.12.2017 8
Gasinfrastruktur nutzen und weiterentwickeln Sektorkopplung ermöglichen Gasinfrastrukturen können die Optimierung von De- Strom- und Gasbinnenmarkt sollten nicht nur für sich karbonisierungspfaden in verschiedenen Sektoren allein genommen betrachtet werden. Durch ein klu- (z. B. für Heizung und Kühlung, Verkehr, Industriean- ges Zusammenspiel beider Systeme lässt sich die fort- wendungen) ermöglichen. Und sie können Tage der schreitende Dekarbonisierung zu geringeren Kosten bei Dunkelflaute in der energieverbrauchsintensiven kal- einem deutlich höheren Grad an Versorgungssicherheit ten Jahreszeit überbrücken und die nötige Flexibilität erreichen. Das ist die Kernidee von Sektorkopplung.2 bereitstellen, um auf ein zu niedriges oder zu hohes Für eine erfolgreiche Sektorkopplung spielen erneuer- Angebot von Wind- und Sonnenergie zu reagieren. bare und dekarbonisierte Gase eine große Rolle. Die nötige Infrastruktur – bestehend aus Leitungs- netz und Speicher – bis zum Endverbraucher ist beim Eine Schlüsseltechnologie der Sektorkopplung ist Gas weitestgehend schon vorhanden. Das gilt gerade Power-to-Gas (PtG)3. Durch die Umwandlung erneuer- in Deutschland mit seinem dichten Gasnetz und den barer elektrischer Energie in gasförmige Energieträger größten Speicherreserven in der gesamten EU. durch Elektrolyse4 kann diese Energie unter Nutzung existierender Infrastrukturen und Anwendungen in den Um den Erhalt der bestehenden Infrastruktur zu ge- anderen Sektoren nutzbar gemacht werden und somit währleisten und den Aus- und Umbau von Gasnetzen zu deren Dekarbonisierung beitragen. PtG kann derzeit zu ermöglichen, bedarf es langfristiger Investitions- als einzige Anwendung alle Sektoren (Strom, Industrie, sicherheit. Hierzu ist ein verlässliches Konzept für die Wärme und Verkehr) miteinander koppeln und dabei mittel- und langfristige Nutzung der Gasinfrastruktur gleichzeitig eine übersaisonale Speicherfähigkeit von nötig und erforderlichenfalls Maßnahmen zu deren Energie sicherstellen. Power-to-Gas kann eine wichti- Weiterentwicklung. ge Rolle spielen, damit Erneuerbare Energien nicht ab- geregelt werden müssen. Bestandteil eines solchen Konzepts muss auch eine Strategie zum Umgang mit Wasserstoff sein. Wasser- stoff kann sich in die bestehende Gasversorgung ein- Sektorkopplung ist für den BDEW die energie- fügen und einen erheblichen Beitrag zur Erreichung der technische und energiewirtschaftliche Ver- Klimaziele für 2050 leisten. Wasserstoffnetze für die knüpfung von Strom, Wärme, Mobilität und öffentliche Versorgung sollten denselben regulator- industriellen Prozessen sowie deren Infrastruk- ischen Regeln unterliegen wie Gasnetze. Grundsätzlich turen mit dem Ziel einer Dekarbonisierung bei sollte der Aufbau einer umfangreichen, parallelen neu- gleichzeitiger Flexibilisierung der Energienut- en Infrastruktur vermieden werden, soweit dies nicht zung in Industrie, Haushalt, Gewerbe/Handel/ im Einzelfall kostengünstiger ist. Solche reinen Was- Dienstleistungen und Verkehr unter der Prä- serstoffleitungen für zumeist industrielle Verbraucher misse der Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit gibt es bereits heute, z. B. in Deutschland, aber auch in und Versorgungssicherheit. Auf EU-Ebene wird anderen europäischen Mitgliedstaaten. dies auch als „sector integration“ bezeichnet. 2 BDEW-Positionspapier „10 Thesen zur Sektorkopplung“ vom 27. April 2017 und BDEW-Diskussionspapier „Marktregeln für eine erfolgreiche Sektorkopplung“ vom 28. Mai 2019. 3 BDEW-Positionspapier: „Power-to-Gas – Eine Schlüsseltechnologie der Sektorkopplung“ vom 28. Mai 2019. 4 Die Elektrolyse zerlegt unter Nutzung von Strom Wasser in seine Elemente Wasserstoff und Sauerstoff. Der Wasserstoff steht anschließend direkt für die energetische oder stoffliche Nutzung zur Verfügung oder wird unter Zugabe von CO2 methanisiert. Dieses synthetische Methan (Synthetic Natural Gas – SNG) kann dann wie Erdgas eingesetzt werden. 9
Erwartungen der Energiewirtschaft an den Energiebinnenmarkt Potenziale Überschussstrom Abgeregelte Mengen und Redispatch Leistungsreduktion Netzausbau DSM 5.402 MWh Energie- Schwachwind- 2023 für P-t-G effizienz anlagen 13.3 TWh MWh 2012 2013 2014 2015 2016 2017 rd.2018 2019 2020 2021 2022 2024 2025 2026 2027 2028 2029 2030 Potenzial Energie- Schwachwind- effizienz anlagen -7.919 MWh DSM Netzausbau Abregelungen (Einsman nach §13 (2) EnWG) Redispatch Leistungsreduktionen Abbildung 2: Abgeregelte Mengen und Redispatch Leistungsreduktionen: Potenziale Quelle: BDEW Prinzipskizze Bereits heute werden in Wärmenetzsystemen zuneh- Die wirtschaftlichen und infrastrukturellen Aus- mend Power-to-heat-Anlagen (PtH) installiert. Hier- gangsbedingungen für die Einführung von Sektor- durch kann überschüssiger Strom aus Erneuerbaren kopplungstechnologien unterscheiden sich sehr Energien in Wärme zur Versorgung der Wärmekunden stark von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat. Deshalb umgewandelt werden. Daneben werden andere Sek- wird es darauf ankommen, dass die EU die richtige torkopplungstechnologien erprobt (PtX). Um eine Balance findet. Sie sollte die Einführung von Sektor- volkswirtschaftlich effiziente Sektorkopplung zu er- kopplungstechnologien, u. a. durch die Beseitigung reichen, sind technologieoffene und marktliche Rah- von unnötigen regulatorischen Hürden und ein Level menbedingungen unerlässlich. Hierfür sind insbeson- Playing Field im Energiebinnenmarkt, unterstützen. dere ein Level Playing Field im Bereich der Abgaben und Umlagen sowie eine CO2-Bepreisung erforderlich, um einen fairen Wettbewerb um die besten Lösungen zur CO2-Reduktion ermöglichen zu können. 10
GAS ENTHÄLT DEUTLICH WENIGER CO2 ALS ALLE ANDEREN FOSSILEN ENERGIETRÄGER. DAS BRINGT DIE ENERGIEWENDE VORAN. ABER GAS KANN IN ZUKUNFT NOCH MEHR. ES KANN GRÜN WERDEN. DAFÜR MÜSSEN DIE RICHTIGEN VORAUSSETZUNGEN JETZT GESCHAFFEN WERDEN. UM ERNEUERBARE UND DEKARBONISIERTE GASE UND DIE DAHINTERSTEHENDEN TECHNOLOGIEN WIE POWER-TO-GAS ZU ERMÖGLICHEN, MUSS DIE EU NACH DEM PAKET „SAUBERE ENERGIE FÜR ALLE EUROPÄER“ NUN AUCH DIE REGELN FÜR DEN GASBINNENMARKT MODERNISIEREN. 11
Erwartungen der Energiewirtschaft zur Energiewende ERWARTUNGEN DER ENERGIEWIRTSCHAFT ZUR ENERGIEWENDE Weichen für 2050 richtig stellen Denn eine weitestgehende Dekarbonisierung des Die EU ist nicht die Welt, aber wenn es um Klimaschutz Energiesektors stellt eine Grundvoraussetzung für geht, schaut die Welt auf die EU. In der nächsten Le- die Klimaneutralität der Gesamtwirtschaft dar. Strom, gislaturperiode muss ein verlässlicher Rahmen für Fernwärme, erneuerbare und dekarbonisierte Gase langfristige Klimaziele gesetzt werden. Dazu brau- und strombasierte Kraft- und Brennstoffe werden chen wir eine Langfriststrategie bis 2050, die ehrgei- im Zuge der zunehmenden Sektorkopplung verstärkt zig ist, und die zugleich die Wettbewerbsfähigkeit, in den Bereichen Wärme, Verkehr und Industrie zum soziale Ausgewogenheit und Sicherheit der Energie- Einsatz kommen. versorgung gewährleistet. Die von der EU-Kommis- sionspräsidentin vorgelegte Agenda for Europe und Klimaziel für 2030 – eine wichtige Etappe auf dem der darin enthaltene European Green Deal geben die Weg nach 2050 richtigen Anstöße. Durch die beschlossenen 2030-Ziele für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz werden nach Berech- Die deutsche Energiewirtschaft hat vorgemacht, nungen der Europäischen Kommission voraussicht- wie es geht. Im Unterschied zu anderen Sektoren lich bis 2030 zusätzliche Treibhausgas-Minderungen hat sie ihren CO2-Ausstoß seit 1990 drastisch erreicht werden, die in die bisher vom Europäischen reduziert und wird ihren Beitrag zu den lang- Rat anvisierten 40 Prozent nicht eingerechnet waren. fristigen Klimazielen bis 2050 leisten. Sie trägt Inwieweit die Reform des EU-Emissionshandelssys- entscheidend zur Minderung der THG-Emissionen tems (EHS) sowie die am Ende ambitionierter ausge- bei. Trotz Atomausstieg, Wirtschafts- und Bevöl- fallenen Ziele für die Steigerung der Energieeffizienz kerungswachstum hat die Energiewirtschaft bis und des Ausbaus der Erneuerbaren Energien bis 2030 zum Jahr 2018 eine THG-Minderung von 155 Mil- Spielräume für die Anhebung des Klimaziels über 40 lionen Tonnen CO2eq bzw. 33 Prozent Minderung Prozent hinaus eröffnet haben, sollte sorgfältig un- gegenüber 1990 erzielt. Mit einer Umsetzung der tersucht werden. Empfehlungen der KWSB wird sie auch sicher ihre Klimaschutzziele von 61 bis 62 Prozent bis 2030 erreichen. Zwischenziele müssen der Umsetzung der Verpflich- tung aus dem Pariser Übereinkommen dienen. Bei der konkreten Lastenverteilung ist zu berücksichtigen, dass Deutschland für 2030 bereits ein ehrgeiziges Das Übereinkommen von Paris muss die kla- gesamtwirtschaftliches Minderungsziel beschlossen re Richtschnur für das Handeln der EU sein. Der vor hat (56 bis 55 Prozent Minderung gegenüber 1990) diesem Übereinkommen seitens der EU formulierte und derzeit große politische Kraftanstrengungen un- Zielkorridor einer Minderung der Treibhausgase ge- ternimmt, um die Zielsetzungen für 2030 mit kon- genüber 1990 von 80 bis 95 Prozent THG erscheint kreten Programmen und sektoralen Vereinbarungen nicht ausreichend ehrgeizig und ist im Licht von Paris zu unterlegen. Aus deutscher Sicht ist es besonders anzupassen. Dem Energiesektor kommt eine Schlüs- wichtig, dass die Arbeit der Kommission Wachstum, selrolle zur Erreichung des 2050-Klimaziels zu. Die Strukturwandel und Beschäftigung (KWSB) und der Stromversorgung soll deshalb deutlich vor 2050 kli- am Ende erzielte Kompromiss nicht leichtfertig wie- maneutral werden. Die gesamte Energieversorgung der aufs Spiel gesetzt werden sollten. soll dieses Ziel weitestgehend bis 2050 erreichen. 12
Europäischen Zertifikatehandel beibehalten und zentrales Klimaschutzinstrument zur Sicherstellung ausbauen der EU-Treibhausgasminderungsziele für Energie- Das europäische Schlüsselinstrument zur Minderung wirtschaft und Industrie wiederhergestellt worden. der Treibhausgas-Emissionen im Energiesektor und Dieses EU-weit harmonisierte Instrument sollte un- der energieintensiven Industrie ist das europäische bedingt fortgeführt werden und nach Möglichkeit Emissionshandelssystem (EHS). Durch dieses markt- schrittweise um weitere Länder erweitert bzw. mit orientierte Klimaschutzinstrument werden die Zie- anderen internationalen Emissionshandelssystemen le zur Minderung in den EHS-pflichtigen Sektoren verknüpft werden, um auch langfristig über ausrei- zielsicher und kosteneffizient erreicht. Der EU-EHS chende Liquidität und Minderungspotenziale zu ver- wirkt. Durch die jüngste Reform des Emissionshan- fügen. dels ist seine Funktionstüchtigkeit und Integrität als Preisentwicklung CO2-Emissionszertifikate 01.01.2011 bis 12.07.2019 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 35 30 25 20 15 10 5 0 Ø: 12,94 € Ø: 7,38 € Ø: 4,47 € Ø: 5,95 € Ø: 7,68 € Ø: 5,35 € Ø: 5,83 € Ø: 15,82 € Ø: 24,00 € CO2-Emissionszertifikat* [€/t CO2] * 2011: EUA; 2012: EUSP 2008-2013; 2013-08/2015: EUSP 2012-2021; ab 09/2015: EUSP 2013-2020 Abbildung 3: Preisentwicklung CO2-Emissionszertifikate Falls die europäischen Reduktionsziele für 2050 an- pfad einschwenken zu können. Solche Anpassungen gepasst werden, sollte auch das Handelssystem über können, soweit erforderlich, im Rahmen des Mid- eine Anpassung des Linearen Reduktionsfaktors an- Term-Reviews mit Wirkung ab 2025 vorgenommen geglichen werden, um angesichts der erheblichen He- werden. Die Vorbereitungen hierfür sollten anlaufen, rausforderungen der Dekarbonisierung so frühzeitig sobald die EU ein klares Minderungsziel für 2050 vor- wie möglich auf den gemäß des Pariser Klimaabkom- gegeben hat. mens für 2050 notwendigen Emissionsminderungs- 13
Erwartungen der Energiewirtschaft zur Energiewende Bei einer Zielanhebung muss eine faire Verteilung der bereits im EHS erfassten Sektoren Energiewirtschaft zusätzlichen Minderung auf EHS- und Nicht-EHS- und Industrie auswirken würde. Für die neu erfass- Bereich erfolgen. Kosteneffizienz, Vorhersagbarkeit ten Sektoren, hingegen, hätte dies aufgrund der dort der Funktionsweise und Transparenz des EHS müs- herrschenden viel höheren CO2-Vermeidungskosten sen auch künftig in Verbindung mit einem robusten vorerst nur einen geringen THG-Minderungseffekt. Knappheitspreissignal für klimaschonende Investi- tionen gewahrt bleiben. CO2-Preis durchgängig etablieren Auch in den Sektoren, die nicht dem europäischen Dagegen erscheint eine Ausdehnung des EHS auf den Emissionshandel unterliegen, muss CO2 einen Preis Verkehrs- und Wärmesektor nur auf den ersten Blick erhalten. Das gilt vor allem für Wärme und Verkehr. plausibel. Eine Einbeziehung der Sektoren Wärme und Wirksame CO2-Preissignale in allen Sektoren sowie Verkehr in den EU-EHS würde zu höheren CO2-Zer- eine schrittweise Überprüfung und Anpassung der tifikatspreisen führen, was sich in erster Linie auf die heutigen Abgaben-, Umlagen- und Entgeltsystema- CO2-Vermeidungskosten und CO2-Vermeidungspotenziale 500 400 Vermeidungskosten in €/t CO2 300 200 100 0 0 50 100 150 200 250 300 350 400 -100 -200 Vermeidung in Mio. t CO2 Energie Industrie Gebäude Verkehr Landwirtschaft EHS-Bereich Abbildung 4: CO2-Vermeidungskosten und CO2-Vermeidungspotenziale Quelle: BDEW (eigene Darstellung nach BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“; Maßnahmen 95 %-Klimapfad, Abb. 18, S. 83)5 5 Dargestellt sind die Mehrkosten einer CO2-Minderung um 95 % bis 2050 ggü. einem Referenzpfad. In diesem werden die Emissionen um 61 % reduziert, wobei die Energiewirtschaft bereits eine Reduktion von 71 % erreicht. Dem EHS-Bereich werden die Sektoren Energie und Industrie zugerechnet sowie der Umbau der Fernwärme, die in der Originalstudie im Gebäudebereich verortet wird. 14
tik sind notwendig, um faire Wettbewerbsbedingun- im Hinblick auf den Rückfluss von Steuererlösen und gen zwischen den Energieträgern und Technologien die Verwendung von Versteigerungserlösen setzen. über die Sektoren hinweg zu erzeugen. Eine CO2-Be- Maßnahmen zur Dämpfung der sozialen Auswirkun- preisung im Nicht-EHS-Bereich, die einen kostensei- gen einer CO2-Bepreisung von fossilen Brennstoffen tigen Gleichlauf mit dem EHS-Bereich herstellt, wäre ist dabei ausreichend Raum zu geben. ein wichtiger erster Schritt für eine erfolgreiche Sek- torkopplung und eine kosteneffiziente CO2-Minde- Erneuerbare Energien, Motor der Europäischen rung im Wärme- und Verkehrsbereich. Energiewende Erneuerbare Energien sind der Motor der Energie- Die EU muss die entsprechenden Rahmenbedingun- wende. Ihr Ausbau ist zur Erreichung der europäi- gen und Leitplanken für die Einführung bzw. Weiter- schen Klimaziele in den Mitgliedstaaten unabding- entwicklung der CO2-Bepreisung in den Mitgliedstaa- bar. In der vergangenen Legislaturperiode wurden ten einschließlich einer ggf. erforderlichen Anpassung mit der Verabschiedung des Pakets „Saubere Energie der Energiesteuerrichtlinie und der Beihilfeleitlinien für alle Europäer“ wichtige Weichen für den Ausbau Stromerzeugungsmix 2018 In der EU 28 (Quelle: Agora Energiewende/Sandbag, The European power sector in 2018) Lignite Hard coal 9,2 % Other fossil 10,0 % 4,0 % Wind 11,8 % Gas Solar 3,9 % Renewables 18,9 % 32,3 % Biomass 6,1 % Hydro 10,6 % Nuclear 25,5 % In Deutschland (Quellen: BDEW-Schnellstatistikerhebung, Stat. Bundesamt, EEX, VGB, ZSW; Stand: 03/2019) Erdgas Heizöl, Pumpspeicher, 12,9 % Sonstige 5,1 % Wasser 2,6 % Steinkohle 14,1 % Wind onshore 14,3 % Erneuerbare Wind offshore 3,0 % 35,0 % Photovoltaik 7,1 % Braunkohle Biomasse 7,1 % 22,5 % Siedlungsabfälle 0,9 % Kernenergie Geothermie 0,03 % 11,8 % Abbildung 5: Bruttostromerzeugungsmix 2018 in der EU 28 und in Deutschland 15
Erwartungen der Energiewirtschaft zur Energiewende Erneuerbarer Energien in ganz Europa gestellt. Die rumente wie die Fortführung des TEN-E-Programms Erneuerbare-Energien-Richtlinie schafft verlässli- und die „Connecting Europe“-Fazilität unterstützen. che Rahmenbedingungen für Investitionen. Die Go- vernance-Verordnung soll für die Einhaltung der auf Fern- und Nahwärmeversorgung langfristig EU-Ebene verbindlichen Ziele für Erneuerbare Ener- einbeziehen gien und Energieeffizienz durch angemessene Bei- Über die Einbindung von Wärme aus Erneuerbaren träge aller Mitgliedstaaten sorgen. Sie fördert zudem Energien sowie von Abwärme (Sammelfunktion) wer- die grenzüberschreitende Koordination der energie- den Wärmenetze in den nächsten Dekaden wesentlich und klimapolitischen Maßnahmen der Mitgliedstaa- zur Erreichung der Klimaziele und zur Realisierung der ten. Prosumer können als Einzelne oder im Verbund Energiewende im Wärmemarkt beitragen. Perspekti- mit anderen noch besser als zuvor ihren persönlichen Beitrag zur Energiewende leisten. Die deutsche Energiewirtschaft stellt sich den Herausforderungen. Allein im Hinblick auf den Wenngleich die Kosten für Erneuerbare Energien Ausbaubedarf bedeutet das 65-Prozent-Ziel enorm gesunken sind, gelingt der Ausbau nicht von für Deutschland, dass wir die Stromerzeugung selbst. Die Akzeptanz durch die Bürger ist eine zentra- aus Erneuerbaren Energien von heute etwa 226 le Erfolgsbedingung, der Aus- und Umbau der Strom-, TWh (2018) auf etwa 320 TWh im Jahr 2030 Gas- und Fernwärmenetze eine weitere. Hier kann die steigern müssen. Hinzu kommen Folgeinves- EU durch Öffentlichkeitsarbeit, aber auch durch Inst- titionen in Transportnetze und Flexibilitäten zum Erhalt der Versorgungssicherheit. Stromerzeugung nach Energieträgern 226,4 225 216,2 200 188,6 189,9 in Mrd. Kilowattstunden 175 162,5 152,5 150 143,3 125 123,6 105,3 100 94,1 95,7 75 50 25 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018* Wasser Biomasse Siedlungsabfall (50%) Wind offshore Wind onshore Photovoltaik Geothermie * vorläufig Abbildung 6: Entwicklung der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien in Deutschland Quellen: ZSW, BDEW; Stand: 03/2019 16
visch kann die Fernwärme/-kälte sogar klimaneutral Bereits heute ist durchschnittlich ein Wär- werden – und zwar durch Biomethan, synthetisches meanteil auf Basis Erneuerbarer Energien in Gas, Power-to-Heat und Großwärmepumpen. Dies Höhe von 14 Prozent in den Wärmenetzen sollte bei der künftigen Gestaltung der europäischen in Deutschland enthalten. Künftig wird es zu Klima- und Energiepolitik angemessen berücksich- einer weiteren Diversifizierung der Wärmeer- tigt werden. zeugung für die leitungsgebundene Wärmever- sorgung kommen, so dass bis zum Jahr 2050 mehr als 88 Prozent der Wärme aus Erneuerba- Die in der vergangenen Legislaturperiode überarbei- ren Energien, Ab- und Umweltwärme sowie aus tete Erneuerbare-Energien-Richtlinie öffnet die Wär- der Abfallverwertung stammen können. Neben menetze für Erneuerbare Energien. Weitere Schritte KWK-Wärme auf Basis von Biogas, PtG, Abfall zu einer Neuausrichtung der Wärmeversorgung sind und Erdgas werden bis zum Jahr 2050 Wärme- erforderlich. Vor allem bedarf es einer Langfriststra- anteile aus Power-to-Heat, (PtH), Großwärme- tegie der EU, in der eine immer CO2-ärmere Fern- und pumpen, Geo- und Solarthermie sowie die Nahwärmeversorgung ihren Platz findet. Einbindung von Abwärme den übrigen Bedarf decken. Saubere Mobilität: Verkehrspakete der EU durchsetzen Ziel ist, den Verkehrssektor bis zum Jahr 2050 wei- zentrale Rolle zufallen. Ein Elektroauto emittiert in testgehend zu dekarbonisieren. Klimaschutz im Deutschland schon heute fast 60 Prozent weniger Verkehrssektor gelingt nur, wenn alternative Fahr- CO2 als ein Auto mit konventionellem Antrieb. Seine zeugantriebe und Kraftstoffe konsequent zum Ein- Klimabilanz wird durch den zunehmenden Einsatz von satz kommen. Der Elektromobilität wird dabei eine grünem Strom zudem stetig besser. CO2-Emissionen PKW bei 14.300 KM Jahresfahrleistung CO2-Emissionen pro Jahr in t CO2 2,5 2,42 2,38 2,0 1,5 1,51 1,15 1,06 1,0 0,5 0,00 0,00 0,0 Diesel Benzin Erdgas Bio-Methan Autogas Elektro Elektro Super CNG 100% CNG Normalstrom* Grünstrom * CO2 -Emissionen gemäß Bundesmix 2017 Stromkennzeichnung Abbildung 7: CO2-Emissionen PKW Quelle: BDEW (eigene Berechnungen; Durchschnittsverbräuche der zugelassenen Fahrzeuge) 17
Erwartungen der Energiewirtschaft zur Energiewende Allerdings sollte die EU nicht nur auf eine einzige insbesondere beim Ausbau der Ladeinfrastruktur und Technologie setzen. Neben Elektromobilität kann beim Zubau der Erneuerbaren Energien – denn kli- auch Gasmobilität in Form von CNG und LNG, die maschonende Fahrzeuge benötigen klimaschonende Nutzung von Biokraftstoffen und von erneuerbar ge- Kraftstoffe. wonnenem Wasserstoff in Brennstoffzellenfahrzeu- gen sowie von anderen eFuels im Verkehrssektor we- Damit die Verkehrswende gelingen kann, spricht sich sentlich zur Erreichung der Klima- und Umweltziele der BDEW für einen technologieoffenen klimapoli- beitragen. Dabei wird insbesondere Power-to-X auf tischen Instrumentenmix aus. Die zentralen Pfeiler Basis von (zertifizierten) Erneuerbaren Energien ei- dieser Strategie sind die effiziente Umsetzung der nen zentralen Baustein darstellen. CO2-Flottengrenzwerte für PKW und Nutzfahrzeuge, eine CO2-Bepreisung im Verkehrsbereich und die För- Waren es in Deutschland Mitte 2017 noch 10.700 derung der öffentlichen Lade- und Tankinfrastruktur öffentliche und teilöffentliche Ladepunkte, lag für alternative Antriebsformen. die Zahl Ende 2018 bereits bei über 16.100 – ein Zuwachs von über 50 Prozent innerhalb von nur Um der Marktdynamik Rechnung zu tragen, ist aus eineinhalb Jahren. Sicht des BDEW eine Novellierung der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für den Aufbau von Infrastruktur alternativer Kraftstoffe notwendig. Bei Die Energiewirtschaft ist schon jetzt wichtiger Trei- der anstehenden Überarbeitung der Richtlinie für den ber bei der Energiewende im Verkehr. Das zeigt sich Anzahl Elektrofahrzeuge* und öffentlich zugänglicher Ladepunkte 160.000 140.000 120.000 100.000 80.000 35.648 60.000 26.006 150.172 124.432 16.100 40.000 13.496 13.548 20.450 98.280 11.700 87.717 10.878 10.401 77.153 59.951 49.470 7.407 7.497 6.517 6.138 5.894 5.553 5.571 4.356 4.454 4.720 4.356 3.819 2.821 2.241 20.000 0 12/11 06/12 12/12 06/13 12/13 06/14 12/14 06/15 12/15 06/16 12/16 06/17 12/17 06/18 12/18 Ladepunkte Elektro- und Plug-in-Hybridfahrzeuge * einschließlich Plug-in-Hybridfahrzeuge Abbildung 8: Anzahl Elektrofahrzeuge und öffentlich zugänglicher Ladepunkte Quellen: BDEW-Erhebung „Ladeinfrastruktur“, ladesaeulenregister.de; KBA, VDA 18
Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstof- geeignet. Damit hierdurch die Energiewende tat- fe (AFI-Richtlinie)6 sollte mit Blick auf den Hochlauf sächlich erleichtert und beschleunigt werden kann, der Elektromobilität auf starre Vorgaben hinsichtlich sollten auch Investitionen in Aktivitäten, Infrastruk- zu schaffender Ladepunkte verzichtet und auf einen turen und Erzeugungsanlagen als nachhaltig einge- Ausbau analog zu steigenden Zulassungszahlen ge- stuft werden, die den Übergang zu einer klimaneu- setzt werden. Für eine kundenfreundliche Ladeinf- tralen Wirtschaft ermöglichen. Grundsätzlich sollten rastruktur wäre eine einheitliche ID-Kennzeichnung beispielsweise Investitionen in die Netzinfrastruktur hilfreich, mit der jeder öffentlich zugängliche Lade- (Strom-, Gas- und Wärmenetze) als nachhaltig defi- punkt gemäß einheitlicher Vorgaben erfasst und der niert werden, um das weitere Wachstum Erneuerbarer Standort eindeutig an ein Register gemeldet werden Energien und den Energiewandel in allen Sektoren zu kann. ermöglichen (erneuerbare und dekarbonisierte Gase, grüne Fernwärme, Elektro- und Gas-mobilität). Auch Nach- und Umrüstungen sowie Ersatz sollten als Nachhaltige Finanzierung auf den Weg bringen und ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit gelten, pragmatisch ausgestalten wenn hierdurch die Klima- oder Umweltbilanz einer Die Energiewende erfordert neue Finanzierungsquel- Bestandsanlage deutlich verbessert wird, z. B. durch len. Laut der Mitteilung „A Clean Planet for All“ der Umwandlung/Ersatz einer KWK-Anlage auf Kohleba- Europäischen Kommission müssen jährlich zusätzlich sis in/durch eine KWK-Anlage auf Gasbasis. zwischen 175 und 290 Milliarden Euro in der EU in- vestiert werden, um das Ziel einer im Jahr 2050 kli- maneutralen EU-Wirtschaft zu erreichen. Dieser In- Energie- und Umweltbeihilfeleitlinien an Energie- vestitionsbedarf betrifft insbesondere großvolumige wende ausrichten Investitionsvorhaben zur Energieerzeugung und zur Klima- und Umweltschutz sind wichtige Ziele der EU. Netzinfrastruktur. Um solche Investitionen zu för- Aufgabe des Beihilfenrechts ist es, den Wettbewerb dern, muss die EU klare und langfristige Signale für im Binnenmarkt zu schützen. Die Energie- und Um- die Mobilisierung nachhaltiger Finanzmittel aussen- weltbeihilfeleitlinien sollen einen Ausgleich zwischen den. der reinen Lehre des Wettbewerbs einerseits und möglicherweise zu weitreichenden nationalen Wett- bewerbseingriffen zur Förderung des Klima- und Um- Die von der Präsidentin der Europäischen Kommissi- weltschutzes schaffen. Der Prozess zur Organisation on angekündigte Strategie zur Stärkung von nach- des Kohleausstiegs in Deutschland ist ein Beispiel da- haltiger Finanzierung kann einen wichtigen Beitrag für, wie ein gesellschaftlicher Kompromiss für einen zur Transformation des Energiesektors leisten. Da- Transformationsprozess gefunden werden kann. Für mit nachhaltige Finanzierung erfolgreich zur Ener- die Ergebnisse solcher Prozesse müssen die Beihilfe- giewende beitragen kann, sollten alle Technologien richtlinien offen gestaltet werden. die kurz- und langfristig zur Erreichung unserer Ziele beitragen, technologieneutral berücksichtigt wer- den. Des Weiteren bedarf es einheitlicher Kriterien Europäische Politik in einer Gemeinschaft von 28 zur Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftstätigkei- Staaten verlangt Augenmaß. Innovative energie- ten. Als Basis hierfür ist der Verordnungsvorschlag wirtschaftliche Lösungen zur Energieversorgung von der Kommission über die Einrichtung eines Rahmens morgen dürfen nicht durch eine zu enge Ausgestal- zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen (Taxo- tung und Auslegung der europäischen Beihilfeleit- nomie-Verordnung) vom 24. Mai 2018 grundsätzlich linien erschwert werden. Dabei sollte sich die EU an 6 BDEW-Positionspapier zur Revision der EU-Richtlinie „Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe“ vom 8. August 2019. 19
Erwartungen der Energiewirtschaft zur Energiewende positiven Beispielen orientieren. Die geltenden Ener- wer-to-X, berücksichtigen. Auch muss der Freiraum gie- und Umweltbeihilfeleitlinien haben den Mit- für Innovationsförderung und Reallabore erweitert gliedsstaaten genügend Flexibilität gegeben, um die werden. Das heißt auch, dass Entschädigungen und national strukturierte Förderung der Erneuerbaren Restrukturierungsbeihilfen zum Ausstieg aus der Ver- Energien umzusetzen. Zu einer solchen Zurückhal- stromung von Braun- und Steinkohle durch das Bei- tung besteht im Fall der Erneuerbaren Energien umso hilferecht nicht behindert, sondern flankiert werden mehr Anlass als die neugefasste Erneuerbare-Energi- müssen. Im Zuge der Überarbeitung der Energie- und en-Richtlinie detaillierte Regeln enthält. Umweltbeihilfeleitlinien sollte ein Level Playing Field für Biokraftstoffe und Biomasse geschaffen werden. Es gibt keine gleichen Wettbewerbsbedingungen für Die in dieser Legislaturperiode anstehende Neufas- staatliche Beihilfen und Subventionen für Biomasse, sung der Energie- und Umweltbeihilfeleitlinien muss insbesondere für Biomethan. Einige Länder fördern konsequent an den Erfordernissen der Energiewende die Einspeisung von Biomethan und andere die Nut- ausgerichtet sein. Das heißt: Allgemeine Leitplanken zung von Biomethan. In einigen wenigen Ländern sind erscheinen insbesondere vor dem Hintergrund der die Beihilfen und Subventionen unabhängig von den fortlaufenden Veränderungen im Energiesektor sach- Herkunftsnachweisen. Dies führt zu Inkonsistenzen gerechter als zu starre Präzisierungen. Dabei sollten im Handel mit Herkunftsnachweisen. die Leitlinien innovative Technologien wie z. B. Po- 20
DIE IM BDEW VERTRETENE STROM-, WÄRME- UND GASVERSORGUNG UNTERSTÜTZT DAS ZIEL EINER BIS ZUM JAHR 2050 WEITEST- GEHEND KLIMANEUTRALEN ENERGIEVERSOR- GUNG. SIE MUSS ENERGIEWIRTSCHAFTLICH VERANTWORTLICH ERFOLGEN UND DIE VERSORGUNGSSICHERHEIT, DIE BEZAHL- BARKEIT SOWIE DIE GESELLSCHAFTLICHE AKZEPTANZ DER TRANSFORMATION UND DIE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT DER ENERGIEPREISE BERÜCKSICHTIGEN. DAFÜR SIND KLARE KLIMAPOLITISCHE LEITLINIEN NOTWENDIG. 21
Erwartungen der Wasserwirtschaft an die EU-Wasserpolitik ERWARTUNGEN DER WASSERWIRTSCHAFT AN DIE EU-WASSERPOLITIK Trinkwasser: Schutz des Lebensmittels Nummer 1 wichtige Ansatzpunkte, die seitens der Wasserwirt- EU-weit sicherstellen schaft in Deutschland unterstützt werden. Die aus Die Bürger in der EU müssen sich auch in Zukunft dem Jahr 1998 stammende Trinkwasserrichtlinie stets auf einwandfreies Trinkwasser verlassen kön- wurde umfassend an den technisch-wissenschaftli- nen. Dafür sollte auch zukünftig das primäre Ziel chen Fortschritt angepasst. Überzogene Forderungen der EU-Trinkwasserrichtlinie die Sicherstellung ho- zu Probennahmen und Ausnahmen wurden von Rat her europäischen Qualitätsanforderungen sein. Der und Parlament korrigiert, auch die Ausnahmerege- nachhaltige Gewässerschutz ist vor diesem Hinter- lung mit Sanierungspflichten bleibt bestehen. Bei den grund von zentraler Bedeutung und sollte auch im Parametern sollen auf Grundlage der WHO-Bewer- Rahmen der europäischen Debatte für die zukünftige tungen neue Parameter und eine „watch-list“ einge- Gemeinsame Agrarpolitik in den Vordergrund rücken. führt werden. Es ist höchste Zeit, die Nitratrichtlinie in Deutsch- land flächendeckend und konsequent umzusetzen. Regelungsfremde wirtschaftliche Inhalte zu ökono- Der Schutz des Lebensmittels Nr. 1 ist Teil der Kom- mischen Rahmenbedingungen der Wasserwirtschaft munalen Daseinsvorsorge. Diese darf im Rahmen der sollten nicht Gegenstand einer Qualitäts- und Um- anstehenden Evaluierung der Konzessionsvergabe- weltrichtlinie sein. Dies könnte eine Verschiebung richtlinie nicht angetastet werden. der Trinkwasserrichtlinie via Binnenmarkt und Wett- bewerbsrecht auslösen. Die wirtschaftlichen Anfor- Sinnvolle Weichen für die zukünftige derungen würden ohne Mehrwert für die Gesund- EU-Trinkwasserrichtlinie stellen heit zu einem nicht vertretbaren Aufwand bei den Die EU-Trinkwasserrichtlinie ist das Instrument zur Versorgern führen. Das betrifft insbesondere Infor- Sicherstellung höchster Qualität zum Gesundheits- mationspflichten über wirtschaftliche (Kosten oder schutz. Die vorgeschlagene Neufassung enthält viele Preise) und binnenmarktrelevante Aspekte (Effizienz- indikatoren wie Verlustraten oder Energieverbrauch Weitere Forderungen der Wasserwirtschaft pro Kubikmeter u. a.). Beibehaltung des gesundheitlichen Ziels im Für den Zugang zu Wasser konnte aus Sicht des BDEW Geltungsbereich der Richtlinie; ein guter Kompromiss im Rat erreicht werden, der von Wahrung der Verhältnismäßigkeit bei der der neuen Europäischen Kommission und dem neuen Umsetzung des risikobasierten Ansatzes für Europäischen Parlament bestätigt werden sollte. Die Versorgung, Aufbereitung und Verteilung des künftigen Vorgaben für den Zugang zu Wasser soll- Trinkwassers; ten angemessen sein und das Prinzip der Subsidiarität Verzahnung mit der Wasserrahmenrichtlinie berücksichtigen. (Gefährdungsabschätzung für Gewässer); Wiederaufnahme der Indikatorparameter; Wiederaufnahme der Abweichungsregelung; Ein weiterer integraler und essentieller Bestandteil Absenkung der Probenahmenhäufigkei- der neuen Richtlinie ist die Verankerung einheitlicher ten auf der Ebene der geltenden Richtlinie Anforderungen zu Materialien und Bauprodukten in 2015/1787. Kontakt mit Trinkwasser. Die Mitgliedstaaten sol- 22
len – wie in Deutschland üblich – sicherstellen, dass In den letzten drei Jahrzehnten stiegen die Aufbereitungsstoffe, Materialien und die Aufberei- Mengen, der auf dem europäischen Markt tungsverfahren nicht die Trinkwasserqualität beein- verkauften Arzneimittel, sowohl hinsichtlich trächtigen. Der neue Vorschlag von Parlament und des Umsatzvolumens als auch in Bezug auf Rat sollte im Zuge des anstehenden Trilogs, auch von die Anzahl der pharmazeutischen Wirkstof- der Europäischen Kommission mitgetragen werden. fe rasant. In der gesamten Union werden in Oberflächen- und Grundwasser, Böden und tierischen Geweben Arzneimittelrückstände Abwasserwirtschaft nachhaltig gestalten: konstant nachgewiesen. Mehr als 3.000 phar- Stärkung des Verursacherprinzips mazeutische Wirkstoffe sind derzeit auf dem Gewässerschutz und sauberes Trinkwasser sind zwei Markt. Nach der Europäischen Kommission Seiten derselben Medaille. Die kommunale Abwas- werden jedoch bis zu 90 Prozent der Arznei- serrichtlinie hat EU-weit zu einer deutlichen Verbes- mittelwirkstoffe nach ihrer Anwendung in ihrer serung der Abwasserentsorgung und -reinigung ge- ursprünglichen Form wieder ausgeschieden führt. Einige Mitgliedstaaten, wie Deutschland, haben oder abgewaschen. die Ziele überwiegend erreicht. Vor einer Ausweitung der Pflichten sollte eine Konsolidierung im Vorder- grund stehen und auf nachhaltige Ausgestaltung ge- Akteurskette und insbesondere die Verantwortung achtet werden. Dabei muss das Verursacherprinzip im der Hersteller im Sinne des Verursacherprinzips sind Vordergrund stehen und nicht wie bisher „End-of-Pi- wichtige Schritte in die richtige Richtung. pe“-Lösungen der Abwasserreinigung. Dies betrifft selbstverständlich auch die neue EU-Arzneimittel- Zukünftig sind jedoch zusätzliche legislative Hand- strategie, die zukünftig EU-weit verbindlich umzu- lungsoptionen notwendig, um eine nachhaltige und setzen ist. verbindliche Verknüpfung des EU-Arzneimittelrechts mit der Wassergesetzgebung zu gewährleisten. Denn Bei der anstehenden Neufassung der Wasserrahmen- es bestehen keine Zweifel, dass der derzeitige po- richtlinie sind das hohe Schutzniveau und die Um- litische und rechtliche Rahmen nur begrenzte und weltziele zu wahren. Hier werden die Weichen ge- unverbindliche Möglichkeiten zur Verringerung der stellt, um den Gewässerschutz aufrechtzuerhalten Umweltverschmutzung und der Umsetzung des Vor- und zu verbessern, denn eins ist klar: Er ist für das sorge- und Verursacherprinzips anbietet. Diese As- Lebensmittel Nr. 1 – das Trinkwasser – unerlässlich. pekte sollten künftig im Vordergrund stehen, anstelle von „End-of-pipe“-Lösungen7 in der Abwasserwirt- schaft. EU-Arzneimittelstrategie konsequent und verbindlich umsetzen Die neu vorgelegte EU-Arzneimittelstrategie, die sich Darüber hinaus sollten Vorschläge, die sich mit der mit der Vermeidung bzw. Verringerung von Einträ- Einführung einer flächendeckenden vierten Reini- gen in die Gewässer befasst, ist vor dem Hintergrund gungsstufe zur Verminderung der Einträge von Mikro- zunehmender Medikamentenverbräuche unerläss- schadstoffen in die Gewässer befassen, keineswegs lich. Vor allem die in der Mitteilung der Europäischen als nachhaltiger Lösungsansatz oder Allheilmittel an- Kommission enthaltenen Maßnahmen entlang der gesehen werden. Im Rahmen der zukünftigen euro- 7 Eine End-of-pipe-Technologie (von engl. end of pipe: am Ende der Röhre) ist eine nachgeschaltete Umweltschutzmaßnahme (Bsp. Trinkwasseraufbereitung oder Abwasserreinigung). Somit verändert sie nicht den Produktionsprozess selbst, sondern verringert die Umweltbelastung. 23
Erwartungen der Wasserwirtschaft an die EU-Wasserpolitik paweiten Debatte zu diesem Thema sollte man ins- Die EU sollte daher einen klaren Rechtsrahmen, mit- besondere folgende Aspekte berücksichtigen: tels umfassender und verbindlicher Maßnahmen ein- setzen, welche die Hersteller, die Verbraucher, das Die Aufrüstungsoption von Kläranlagen sollte Gesundheitswesen und den Prozess der Zulassung vereinzelt und nur als Ultima Ratio genutzt und Überwachung näher beleuchten und an den rich- werden. tigen Stellen klare Rahmenbedingungen schaffen. Voraussetzung dafür sollte immer die verur- sachergerechte Finanzierung sein – ansonsten wird keinerlei Anreiz zur Verminderung der Einträge von Arzneimittelrückständen geboten. Maßnahmenpaket entlang der Akteurskette Humanmedizin Arzneimittel- Zulassung und Gesundheitswesen Verbraucher hersteller Regulierung Zielgenauere und Umweltverträglichkeit Nachhaltige Sachgemäße biologisch besser als Zulassungskriteri- Verschreibunspraxis, Entsorgung über abbaubare um von Medikamenten d. h. therapiegerechte Haus- und Sondermüll Arzneimittel Einheitliches Kenn- Mengen und oder Rückgabe in Substitution zeichnungs- und passgenaue Apotheken umweltschädlicher Informationssystem Packungsgrößen Verantwortungs- Wirkstoffe zur Umweltrelevanz Substitution umwelt- bewusstes Maß an Transparenz zur Moitoringsystem zum schädlicher Stoffe Selbstmedikation Umweltverträglichkeit Mengenverbrauch von Wiedereinführung ei- Arzneimitteln nes flächendeckenden Restriktive Rücknahmesystems in Handhabung der Apotheken Rezeptfreigabe Siehe oben Siehe oben Sparsamer Einsatz von Sensibilisierung für Veterinärmedizin ökologische Produkte Verbesserung des aus der Viehwirtschaft Tierwohls als Gesundheits- prophylaxe Tiermedizin Abbildung 9: Maßnahmenpaket Quelle: Civity Studie 24
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