Back.Business UNSICHTBARE TÖCHTER - AUFBRECHEN - generation töchter
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Back.Business C 12331 D NR. 7 - 6. JUNI 2015 DAS ENTSCHEIDER-MAGAZIN FÜR DIE BACKBRANCHE UNSICHTBARE TÖCHTER ALTES AUFBRECHEN UND NEUES FORMEN
Back.Business UNTER DIE LUPE GENOMMEN Die Soziologin Dr. Daniela Jäkel-Wurzer (34, links im Bild) promovierte zum Thema Frauen in Familienunternehmen. Nach langjähriger Tätigkeit in der Unternehmensberatung rief sie mit Diplom-Kauffrau Kerstin Ott (35, rechts im Bild) die Initi- ative „generationen töchter” ins Leben. Ihr gemeinsames Ziel: Töchter für die Nachfolge stark zu machen. Hierfür stehen sie Unternehmerfamilien beratend zur Seite. © generationen töchter WEIBLICHE UNTERNEHMENSNACHFOLGE Die unsichtbaren Töchter K Sie sind qualifiziert, interessiert und eine leichten Fragen, auch deswegen, weil voller Elan: die Unternehmer-Töchter. die „weibliche Nachfolge“ noch weitestge- hend unerforscht ist. Fakt ist aber, dass Trotzdem überlassen gerade Väter ih- über die Hälfte der Eigentümer (54 Prozent) zu- ren Töchtern nur ungern den Chefses- nächst versuchen, ihre Nachfolge familienintern sel und geben ihren Söhnen den Vortritt. zu regeln und hierfür ihre eigenen Kinder bezie- Dieses althergebrachte Rollenverständ- hungsweise andere Familienmitglieder bevorzu- gen. Dies ergibt eine Analyse von vollzogenen nis führt dazu, dass Frauen in der Un- Nachfolgelösungen des Instituts für Mittelstands- ternehmensnachfolge deutlich unter- forschung (IfM Bonn). An wen das Unternehmen repräsentiert sind. Doch warum sind in der Familie übergeht, hänge wiederum maß- Töchter in Führungspositionen so exo- geblich vom Geschlecht des Übergebers ab: „Gibt es einen übernahmewilligen Sohn oder männli- tisch und wieso favorisieren vor allem chen Verwandten und ist der bisherige Eigentümer Väter ihre Söhne und ignorieren ihre männlich, so wird in der Regel die Wahl auf ihn Töchter? fallen. Vorausgesetzt natürlich, der Angehörige 6 | 6. Juni 2015
Back.Business UNTER DIE LUPE GENOMMEN milienunternehmen gerufen werden. Vorher wür- den sie häufig gar nicht erst als potenzielle Nach- folgerinnen erkannt. Das haben auch die Gründe- rinnen der Initiative generationen töchter Kerstin Ott und Dr. Daniela Jäkel-Wurzer in ihrer Studie festgestellt, für die sie Interviews mit 50 Unter- nehmerinnen führten. „Frauen sind häufig Plan B. Erst, wenn beispielsweise der Vater stirbt oder sich der Sohn spontan gegen die Fortführung des Betriebes entscheidet, kommt die Tochter als Fir- menlenkerin ins Gespräch“, sagt Jäkel-Wurzer gegenüber Back.Business. Daher seien die Töchter oft Quereinsteiger. Sie verfolgen ihre eigenen Kar- rieren mit betriebsfremden Studiengängen oder einer Ausbildung und werden plötzlich zurückge- holt, statt wie die Söhne eine Ausbildung abge- schlossen zu haben, die von vornherein auf die Übernahme und Führungsverantwortung abzielt. „Die Söhne werden eher an der engen Leine ge- halten, während das Potenzial der Töchter oft erst spät erkannt wird. Statt also fair nach Eignung, Interessen und Qualifikationen zu entscheiden, fällt die Wahl durch über Generationen geprägte Muster auf die Söhne“, fasst Jäkel-Wurzer zusam- men. Insgesamt, so schätzen die Initiatorinnen von Unter der Fragestellung „Nachfolgeentscheidungen in Familienun- generationen töchter, machen die Nachfolgen ternehmen“ führte Dr. Dominique Otten-Pappas für ihre Doktorar- beit 16 qualitative Interviews mit weiblichen und männlichen Nach- durch Töchter je nach Bundesland nur etwa zehn folgern. © WIFU - Wittener Institut für Familienunternehmen bis 30 Prozent der Gesamtnachfolgen aus. Oft sei- en es aber nicht nur die Familien, die vergessen, ist hinreichend qualifiziert“, sagt Pressespreche- ihre Töchter einzubeziehen. Es seien auch die rin Dr. Jutta Gröschl des IfM Bonn gegenüber Töchter selbst, die sich gar nicht als Nachfolge- Back.Business. Dagegen würden weibliche Ange- rinnen und Unternehmensleiterinnen in Betracht hörige nur zu 27,2 Prozent von männlichen Über- ziehen. gebern als Nachfolgerin in Betracht gezogen. Anders das Bild bei Unternehmerinnen: Sie prä- Frauen oft Quereinsteiger ferieren eher die Übergabe an weibliche Nach- kommen (55,2 Prozent) als an einen männlichen Die Gründe dafür, dass die Töchter bei der (44,8 Prozent). Nachfolge so selten erste Wahl seien und sich oft auch gar nicht als solche betrachten, seien histo- In der Not reicht risch bedingt. So hätten Nach Schätzungen des IfM Bonn wird jähr- die kleinen und mittleren die Tochter lich für rund 27.000 Unternehmen bis 2018 Familienbetriebe des Mit- In manchen Situatio- ein Nachfolger gesucht, da die Eigentümer telstandes schon immer nen richten aber plötzlich aufgrund von Alter, Krankheit oder Tod aus mit wenigen Personen, die alle Familienmitglieder der Geschäftsführung ausscheiden. meist alle zur Familie ge- ihre Augen auf die Tochter hörten, viel Arbeit leisten und zwar immer dann, wenn es brenzlig wird. So müssen. „Dabei haben Männer traditionell immer fand das Institut für Familienunternehmen der die Führungspositionen übernommen. Die Unter- Universität Witten/Herdecke bei der Analyse der nehmer-Frauen haben wiederum für die Familie Werdegänge von Nachfolgerinnen heraus, dass gesorgt und im Hintergrund unverzichtbare Arbeit Frauen häufig erst in einer Notsituation in das Fa- wie Buchhaltung erledigt oder interne Kommuni- 8 | 6. Juni 2015
kation sowie Friedensstiftung geführt - meist ohne klar definierte, rechtliche Stellung“, sagt Ott. Auf die heutige Nachfolge-Generation schau- end, muss man sich zudem vor Augen führen, dass die Emanzipation gar nicht so lange her ist: „Meist sind die Nachfolgerinnen Mitte 30 und ihre Eltern damit in den 1940er und -50er Jahren auf- gewachsen. Für sie war es bis in die 1960er Jah- re keine Selbstverständlichkeit, dass die Frau arbeiten geht, sie musste bis dato sogar um Er- laubnis bitten. Leben die Großeltern noch, kom- men noch ältere Denkmuster zum Tragen. Der kulturelle Wandel zugunsten der Frauen ist somit noch im vollen Gange“, ergänzt Dr. Dominique Otten-Pappas, Senior Research Fellow und Wis- senschaftlerin am Lehrstuhl für Führung & Dy- namik von Familienunternehmen der Universität Witten/Herdecke. Sie schätzt daher, dass künftig immer mehr Frauen zu Nachfolgerinnen in Fami- lienunternehmen ernannt werden. Daran glauben auch die Projektgründerinnen, weisen aber darauf hin, dass es noch viel Luft nach oben gebe. So hatten von den Nachfolgerinnen aus der Studie nur etwa 30 Prozent Brüder. „Damit steigt die Chance auf eine Nachfolge, wenn die Töchter kei- ne Brüder haben. Das sollte nicht die Regel blei- ben“, sagt Ott. Familie ist kein Hindernis Die größten Skrupel, die Frauen vor einer Nachfolge hätten, sei die Familienplanung. „Um Familie und Beruf zu vereinbaren, können sie nicht wie ihre Väter 60 Stunden in der Woche arbeiten. Vielmehr müssen sie auf kooperative Führungsstile und breite Management-Strukturen setzen, bei denen sie Verantwortung an das Team abgeben. Zum Beispiel im Tandem mit einem Fremdgeschäftsführer oder dem Ehemann“, emp- fiehlt Jäkel-Wurzer und verweist darauf, dass 70 Prozent der befragten Studienteilnehmerinnen Kinder hätten und sogar 80 Prozent der Befragten der Ansicht seien, dass die Führung eines Fami- lienbetriebes ideal sei, um Privatleben und Beruf zu vereinbaren, zum Beispiel durch die Unterstüt- zung des Ehemannes, Betreuungseinrichtungen oder die Mithilfe der Eltern. Schwierig werde es aber, wenn es im Unter- nehmen „brennt“: „Dann findet plötzlich kein Familienmitglied mehr Zeit, sich um den Nach-
Back.Business UNTER DIE LUPE GENOMMEN wuchs zu kümmern. Schließlich ist jeder von ihnen Mentor zur Seite stehen, sagt Jäkel-Wurzer. „Zu- mit unterschiedlichen Aufgaben in den Betrieb dem fällt es Frauen grundsätzlich leichter, sich eingespannt und muss diesen in solchen schwie- dem Vater an die Seite zu stellen und gemeinsame rigen Zeiten besonders intensiv nachkommen“, Sache zu machen. Die Söhne stehen oft unter weiß Otten-Pappas. Druck, besser als der Vater sein zu müssen, so dass es zu Konkurrenz- oder Verdrängungskämp- Fuß fassen - aber wie? fen kommen kann“, weiß Otten-Pappas. Überdies stünden Söhne unter einem größeren Erwartungs- Entscheidet sich eine Frau dafür, definitiv die druck seitens der Eltern, die vor allem den erstge- Nachfolge anzutreten, sei es am besten, über ein borenen Sohn im Visier für eine Nachfolge haben. Projekt einzusteigen, in dem sie sich fachlich be- „Ihr Karriereweg ist oft vorgezeichnet, sie haben weisen kann, empfiehlt Ott. Zudem sollten Frauen weniger Freiheiten in ihren Entscheidungen, da mutig genug sein, Vorschläge für Innovationen das Vermächtnis der Übergabe auf ihnen lastet“, wie neue Produkte einzubringen, um den Betrieb sagt Otten-Pappas. Bei den Töchtern entspringe zukunftsfähig zu machen. Das sei auch wichtig, die Motivation, den Betrieb zu übernehmen, hin- um sich vom Vater unterscheidbar zu machen und gegen weniger einem Pflichtgefühl, sondern viel- somit die Akzeptanz der Mitarbeiter zu gewinnen. mehr dem Interesse für das, was das Unternehmen tut sowie dem Interesse, die eigene Karriere zu Papa, ich schaff das auch allein! fördern. „Die Zusammenarbeit mit dem Vater kann aber auch zum Problem werden und zwar spätestens Fazit dann, wenn er sich vom Betrieb nicht lossagen kann und der Tochter den Posten als Chefin durch Die Nachfolgeprobleme, egal in welcher Bran- inoffizielle Führung streitig macht“, sagt Jäkel- che, wären somit mutmaßlich weniger drastisch, Wurzer und warnt, dass zu lang anhaltende Vater- wenn mehr Frauen die Leitungsfunktionen in Fa- Tochter-Tandems, bei denen der Vater sich nicht milienbetrieben übernehmen „dürften“ und die von der Rolle des Firmenpatriarchen lösen kann, weiblichen Ressourcen nicht so unterschätzt be- nicht selten Innovationen ziehungsweise ignoriert oder Investitionen verhin- Zudem fällt es Frauen grundsätzlich würden, wie es heute viel- dern. „Oft halten solche leichter, sich dem Vater an die Seite fach der Fall ist. Allerdings Zweierkonstellationen sogar zu stellen und gemeinsame Sache zu begünstigt der kulturelle mehrere Jahren, teilweise machen. Die Söhne stehen oft unter Wandel und die Politik ein sogar Jahrzehnte“, weiß Druck, besser als der Vater sein zu Umdenken und die neuen Otten-Pappas und emp- Generationen wachsen in fiehlt, möglichst zu Beginn müssen. einer offeneren Gesell- einen Fahrplan festzulegen, schaft auf, die stark für das in dem die Aufgaben klar übergeben werden und Thema Gleichberechtigung sensibilisiert ist. Zu- für die Mitarbeit des Vaters ein klares Ende be- dem muss das Ziel nicht 50 Prozent Frauen und stimmt wird. Um sich besser gegen den Vater 50 Prozent Männer sein, schließlich sind nicht alle durchzusetzen und einen eigenen Führungsstil zu Söhne und Töchter gleich gut ausgebildet oder entwickeln, sei es bei mittleren bis großen Betrie- geeignet, haben Führungsqualitäten oder über- ben zudem denkbar, sich eine eigene zweite haupt Lust, den elterlichen Betrieb zu führen. „Die Führungsriege aufzubauen. „Damit entgeht man Tochter ist nicht zwingend die bessere Wahl. Es der Gefahr, dass das Management, das sich um geht nicht darum, eine Quote zu erreichen, son- den Vater schart, einen nicht akzeptiert und Vor- dern die Fähigsten und Willigsten an die Spitze schläge abblockt“, sagt Otten-Pappas. des Unternehmens zu setzen“, sagt Otten-Pappas, die sich eine möglichst „faire und ausgewogene“ Harmonisches Duo - so geht´s auch Verteilung für die Zukunft wünscht. Es gibt aber auch positive Beispiele, in denen Sarah Hölting die Väter die Firma in einer Übergangszeit gerne gemeinsam mit der Tochter führen und ihnen als 10 | 6. Juni 2015
BÄCKEREI BÖHMER Chefin trotz drei Brüdern Diese Bäckereifamilie läuft gegen den Strom. Karolina Ruhl wächst mit drei Brüdern auf, die alle eine Ausbildung zum Bäcker und Konditor oder sogar zum Bäckermeister machen. Trotzdem übernehmen nicht sie den Betrieb, son- dern ihre taffe, energische Schwester, die seit ihrer Jugend tatkräftig im Be- trieb mithilft. D avon, dass Karolina Ruhl den elterlichen Betrieb in Dortmund übernehmen soll, war nie die Rede. Sie wurde auch nie gefragt. Zwei ihrer Brüder hatten Ausbildungen zum Bäcker absolviert, der Jüngste zum Bäckermeister sowie Betriebswirt des Handwerks und der Älteste zum Konditor. Während es den Ältesten letztlich aber in die IT-Branche verschlug, blieb der Jüngste der Backbranche treu. „Ich dachte immer, dass er den Betrieb übernehmen würde“, sagt Ruhl gegenüber Back.Business. Doch es tat sich nichts. Ihr Bruder hüllte sich lieber in Schweigen, als das Thema Nachfolge anzusprechen. Die Uhr tickt Doch langsam wurde es Zeit, eine Entschei- dung zu treffen. Denn im Betrieb selbst herrschte Stillstand. „Es ging nicht voran, Innovationen mussten her, dringend“, erinnert sich die 46-Jäh- rige. Für Investitionen und Veränderungen braucht man jedoch Mut und einen kühlen Kopf. Schließlich hängt damit ein Batzen Geld zusammen, der erst einmal von der Bank geliehen werden muss. „Das war meinem Bruder mit zu viel Risiko behaftet. Er ist ein Kopfmensch, nicht wie ich ein Macher und wollte lieber als Angestellter statt Unternehmer tätig sein“, sagt Ruhl, die sich Ende 2010 letztlich dazu entschloss, das Ruder einfach selbst in die Hand zu nehmen. „Ich feilte an einer neuen Unter- nehmensstrategie und unterzeichnete parallel den Kaufvertrag für drei weitere Filialen, deren Inhaber den Betrieb aus gesundheitlichen Gründen aufge-
Back.Business UNTER DIE LUPE GENOMMEN geben hatten und deren Töchtern der Hausbank vor, um Gelder bei ent- andere Ziele als die Betriebsüber- sprechenden Banken wie KfW und nahme vorschwebten“, erzählt Ruhl. NRW Bank beantragen zu können. Das sei ihr großes Glück gewesen, denn die Standorte waren in sehr Den Betrieb umkrempeln guter Lage und zu expandieren war ohnehin notwendig, um die Backstu- Als Erstes durchleuchtete die be auszulasten. frischgebackene Geschäftsführerin die Bäckerei gemeinsam mit einem Mit besten Qualifikationen Karolina Ruhl. © privat Betriebsberater. „Daten und Fakten mussten auf den Tisch, um überhaupt gewappnet erst mal einen Anfang zu bekommen“, sagt Ruhl Die nötige Expertise zum Zeitpunkt der Über- und investierte kräftig, unter anderem in einen nahme hatte Ruhl sich unlängst angeeignet. „Al- neuen Etagenofen, die Optimierung der Corporate lerdings unbewusst. Ich habe nie darauf hingear- Identity, Sitzecken in allen Filialen sowie ein neu- beitet, später den Betrieb fortzuführen“. So schloss es Außer-Haus-Konzept, das stark auf Snacks und sie mit 18 Jahren eine Ausbildung zur Bürokauffrau Coffee-to-go setzt. „Da alles unter Existenzgrün- im familiären Unternehmen ab, arbeitete anschlie- dung lief, war für mich die größte Herausforde- ßend weiter bei ihren Eltern - in Büro, Verkauf so- rung, die von der Bank gestatteten Beträge in ei- wie der Filialbetreuung - und qualifizierte sich nem vorgegebenen Zeitraum ausgeben zu müssen. damit zur Verkaufsleiterin, als die sie 15 Jahre tätig Ich hätte lieber etwas auf die hohe Kante gelegt“, war. Für ihre beiden Söhne geht die damals allein- sagt Ruhl. Die Position als Führungskraft fiel ihr erziehende Mutter für viereinhalb Jahre in Eltern- wiederum leicht, da sie seit ihrer Jugend an Ent- zeit und bildet sich in der Grundschulzeit erneut scheidungen im Betrieb beteiligt gewesen ist und als Diplom-Betriebswirtin bei der Handwerkskam- sich über die Betreuung der Filialen den Respekt mer fort. Im Mai 2011 sitzt sie bereits im Chefses- der Mitarbeiter erarbeitet hat. sel. Doch weshalb bürdet sich eine alleinerziehen- de Mutter so viel Arbeit, Verantwortung und Stress Keine Pausen auf? „Weil ich das Lebenswerk meines Großvaters Ewald Böhmer aufrechterhalten wollte und mir Dass Führung aber auch Full-Time bedeutet, unser Familienbetrieb sehr am Herzen liegt“, ant- hat Ruhl schnell zu spüren bekommen. So arbeitet wortet Ruhl entschlossen und legte ihr Konzept bei sie manchmal zwölf bis 14 Stunden am Stück und sieht ihren Lebensgefährten, der die Bäckerei als Fahrer unterstützt, an solch langen Tagen nur etwa eine knappe halbe Stunde. Auch ihre mitt- lerweile 14- und 15-jährigen Söhne wuchsen da- her sehr selbstständig auf. „Besonders kräfte- zehrend waren der November und Dezember letzten Jahres, in denen wir zwei weitere Filialen übernommen haben.“ In dieser Zeit kam sie auf knapp 700 Arbeitsstunden. Auch bei der über- nommenen Bäckerei schieden die Eltern aus ge- sundheitlichen Gründen aus und die Kinder woll- ten die Bäckerei nicht weiterführen. Ein glückli- cher Zufall aber war, dass der Sohn Bäckermeis- ter, die Tochter Filialleiterin und deren Mann Teigmacher sind. So gewann Ruhl gleich drei neue Mitarbeiter. Mitarbeiter brauchen eine Spitze Ihren Führungsstil beschreibt Ruhl als team- v.l.n.r.: Karolina, Adelheid und Udo Ruhl © privat orientiert mit einer gewissen Strenge: „Wenn alle 12 | 6. Juni 2015
Mitarbeiter von alleine an einem Strang ziehen würden, wäre das zwar klasse. Allerdings ist das eher Wunschdenken als Realität. Wenn ich bei- spielsweise Anweisungen für die Umsetzung neu- er Arbeitsabläufe herausgebe, klappt das in einigen Filialen hervorragend, in anderen eben weniger gut. Und bevor ich weiter ins Leere rede, kann es auch schon mal vorkommen, dass ich die Anwei- sungen schriftlich herausgebe, um den Druck zu erhöhen.“ Weiterhin sei es wichtig, dass es nur einen „Chef“ gebe. Daher gelten die Eltern auch nicht als inoffizielle Chefs. „Im Hintergrund reden wir selbstverständlich auf Augenhöhe und im Team über Pläne und Ideen.“ Eltern helfen, wo sie können Trennen konnten und wollten sich die Eltern Adelheid und Udo Ruhl vom Betrieb noch nicht. „Wir hängen zu sehr an unserer Bäckerei. Außer- dem entlasten wir Karolina durch unseren Einsatz, wir werden immer gebraucht und das ist ein schö- nes Gefühl“, sagt Adelheid Ruhl, die am ersten April ihr 50-jähriges Jubiläum feierte. Während sie früher bis zu zwölf Stunden arbeitete, sind es jetzt immer noch sieben Stunden pro Tag, in denen sie Aufgaben erledigt, für die sonst niemand Augen und Zeit findet. So kümmert sie sich unter anderem um die Frischdienstbestellungen und achtet darauf, dass die Retouren möglichst gering bleiben. „Das Thema Retouren liegt mir sehr am Her- zen. Durch das heutige Kauf- und Essverhalten hat sich die Rücklaufquote von etwa fünf auf 15 Pro- zent erhöht. Daher setze ich mich dafür ein, dass die Backwaren an Institutionen wie Gasthäuser für Wohnungslose, Suppenküchen oder Nachtreffs ge- spendet werden.“ Meinungsverschiedenheiten mit ihrer Tochter würden wie in jeder Großfamilie zum Alltag gehören. Doch nach längeren Diskussionen hätten die beiden letztlich immer einen Kompro- miss gefunden. „Genau das macht es so erfüllend, den Betrieb zu führen: Die Familie steht hinter einem und ist immer da, es ist die perfekte Kom- bination“, sagt Karolina Ruhl. Sarah Hölting In BB 12/14 nahmen wir bereits die Situation von Frauen im backenden Gewerbe ausführlich unter die Lupe und stellten Frauen aus unter- schiedlichen Bereichen vor, die alle im Back- gewerbe tätig und interessante Persönlichkei- ten sind.
Back.Business UNTER DIE LUPE GENOMMEN ON TOUR Chefinnen im Handwerk Weibliche Top-Manager sind in Deutsch- hat das Bundesministerium für Familie, Senio- land eine Seltenheit. So haben laut dem ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) als Teil des nationalen Stufenplans „Mehr Frauen – mehr Viel- Deutschen Institut für Wirtschaftsfor- falt in Führungspositionen“ in Kooperation mit schung (DIW Berlin) nur bei 5,4 Prozent dem Zentralverband des Deutschen Handwerks der Top 200 größten deutschen Firmen und der bundesweiten Gründerinnenagentur Frauen eine Vorstandsposition. Im Mit- (bga) die Roadshow „Meine Zukunft: Chefin im Handwerk“ gestartet, die speziell auf das Hand- telstand hingegen ist ein Umdenken werk zugeschnitten ist. Mit sechs Porträts von spürbar, das auch von der Politik an- Handwerks-Chefinnen aus unterschiedlichen Ge- gekurbelt wird. werken zieht die Roadshow durch Deutschland und stellt auf Veranstaltungen in Handwerkskam- M it rund 150 unterschiedlichen Gewerken mern, Ausbildungseinrichtungen des Handwerks bietet das Handwerk zahlreiche Beschäf- und Handwerksbetrieben die selbstbestimmte tigungen, die zu den verschiedensten Arbeit der Unternehmerinnen vor. Interessen, Neigungen und Talenten passen. Trotz- dem scheuen viele Frauen eine berufliche Zukunft Martina Hübner im Handwerk - oft, weil sie sich insbesondere Tä- tigkeiten in den Bereichen Mathematik, Informa- Unter den porträtier- tik, Naturwissenschaften und Technik nicht zu- ten Chefinnen ist auch die trauen. Derzeit sind laut Zentralverband des Deut- Geschäf tsführer in der schen Handwerks e.V. (ZDH) nur etwa 30 Prozent Großbäckerei Annaberger der im Handwerk beschäftigten Personen Frauen Backwaren Martina Hüb- (siehe Grafik). Chefinnen findet man vor allem in ner. Sie war eine der ers- typisch weiblichen Berufen wie Friseurin, Kosme- ten Unternehmerinnen tikerin, Fotografin oder Raumausstatterin. Auch nach der Wende, deren bei den Auszubildenden standen den rund 110.495 Großbäckerei ursprüng- männlichen Auszubildenden im Jahr 2012 nur lich ein volkseigener Be- rund 36.831 weibliche Auszubildende gegenüber. trieb der DDR war. Nach- dem sie ihr Studium zur Roadshow: Sechs Frauen als Vorbilder Dipl.-Technologin beendet M artina hatte, stieg sie mit 26 Jah- Hübner © bga Um die Männerdomänen aufzubrechen und ren zur Produktionsleite- Frauen für die Vielfalt der Gewerke zu begeistern, rin auf und wurde acht Jahre später mit den Auf- gaben einer stellvertretenden Betriebsleiterin betraut. Als die Mauer fiel, war Hübner Mitte 30, Mutter von zwei Kindern und musste mit ansehen, wie Westdeutsche sich den Betrieb zu eigen ma- chen wollten. Schließlich wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit, wandelte den Volkseigenen Backbetrieb (VEB) in eine GmbH um und kaufte diese selbst. Mittlerweile macht die 56-Jährige mit ihrer Großbäckerei einen Millionenumsatz und beschäftigt mehr als 200 Mitarbeiter. Die Back- waren werden in rund 40 Filialen verkauft und © Vgl. Ebenda: Frauen im © Vgl. Ebenda: Neu abgeschlos- Handwerk. sene Ausbildungsverträge 2012 – weltweit ausgeliefert. Ihre Tochter hat zwar Musik (www.zdh.de > Wirtschaft und Erhebung des Bundesinstituts für studiert, möchte den Betrieb aber später überneh- Umwelt > Statistik > Kennzahlen Berufsbildung. (www.zdh.de > Daten men. Sarah Hölting Handwerk) und Fakten > Ausbildung / Bildung > BIBB- Erhebung 30. September) 14 | 6. Juni 2015
Back.Business JUNGUNTERNEHMER Sohn mit Anfang 20 Chef Im Familienbetrieb Kasprowicz gibt es zwar keine Tochter, dafür aber einen ambitionierten Sohn, der sich bereits im Alter von 20 Jahren zur Fortführung des Familienbetriebes entschlossen hat. Genau wie Karolina Ruhl (siehe Seite 11) musste er Existenzgründer werden. Doch als Jungunternehmer steht Julian Kasprowicz vor vielen He- rausforderungen. In einem Interview mit Back.Business erzählt er, was ihn motiviert hat und vor welchen Heraus- forderungen er steht. Viele fragen sich: Wer will denn heute schon Unternehmer in der Backbranche werden? Schließlich leidet die Branche unter vielen wirt- schaftliche Problemen, die Konkurrenz durch die Backstationen der Discounter wird immer Julian und Fritz Kasprowicz © COMTECH visuelle kommunikation härter. Was hat Sie trotz widriger Umstände an- getrieben, das Familienunternehmen weiterzu- führen? Ehrlich gesagt, hatte ich in meiner Jugend kei- nen glasklaren Berufswunsch, wusste aber, dass Und dann haben Sie gleich den Meister ange- es etwas Handwerkliches sein sollte. Da ich zu schlossen? meinem Vater ein sehr vertrauensvolles Verhältnis habe und immer den Eindruck hatte, dass er für Richtig, doch ich habe mit der Meisterschule den Betrieb brennt, wollte ich es auch versuchen nicht nur extrem früh begonnen, sondern sie auch und habe mit 17 Jahren eine Ausbildung zum Bä- sehr schnell durchgezogen. Denn während ich den cker gemacht. Meister gemacht habe, wurde die neue Produkti- on von Inning am Ammersee nach Gut Kerschlach Haben Sie während der Ausbildung daran ge- verlegt, die wiederum auf meinen Namen laufen dacht, einfach alles hinzuschmeißen und doch sollte. Ich stand somit unter Druck, denn um einen anderen Beruf zu lernen? selbstständig zu sein und günstig an Fördermittel zu kommen, benötigt man zwingend den Meister- Nein, aufzugeben, kam mir nie in den Sinn. titel. Schließlich habe ich im Alter von 21 Jahren Dafür hatte ich ab dem ersten Lehrtag einfach zu als Jahrgangsbester den Bäckermeistertitel in der viel Spaß und Interesse an dem Beruf entwickelt. Tasche gehabt. Seither läuft die konventionelle Außerdem hat sich die Maxime meines Vaters - Produktion auf meinen Namen und die ökologische „Wer nichts leistet, erreicht auch nichts“ - so tief auf den Namen meines Vaters Fritz Kasprowicz. in mein Bewusstsein gegraben, dass ich die Aus- bildung von vornherein mit einer ordentlichen Portion Ehrgeiz begonnen habe. 6. Juni 2015 | 15
Back.Business nem guten Gefühl verlassen und nicht nur wegen der Produkten wiederkommen, sondern auch, weil ihnen die Atmosphäre in positiver Erinnerung geblieben ist. Auf welche Produkte setzen Sie dieses Jahr? Womit wollen Sie sich abheben und Ihre Bäcke- rei zu etwas Besonderem machen? Eigentlich sind wir nicht auf ein bestimmtes Pro- dukt-Segment spezialisiert, sondern haben ein breit gefächertes Angebot. So werben wir das ganze Jahr über mit Schweizer Mehlen, die in unserer Region sehr selten verwendet werden. In unserer Region profitieren wir zudem von der Bereitschaft der Kunden, für gute Qualität auch mehr Geld auszugeben. Seit September letzten Jahres bieten wir al- lerdings tatsächlich ein neues Produkt an, und zwar Chia-Brot, das wir stets in einer Brotkörb- chen verkaufen. Da das Chia-Brot sehr gut bei unseren Kunden angekommen ist, bieten wir seit gut einem Monat auch Bürli mit Chia an. Das Kli- Chia-Brot in einer Holzbackform. entel, das unsere Chia-Backwaren kauft, ist bunt © COMTECH visuelle kommunikation gemischt. Oft sind die Kunden aber extrem er- nährungsbewusst oder haben vorher das Eiweiß- Mit welchen Schwierigkeiten müssen Sie als brot gekauft. „Jung“-Unternehmer kämpfen? Zur Zeit tüfteln wir in der Produktion an Mehr- kornriegeln mit Chia und zu Weihnachten haben Eigentlich mit keinen. Ich werde von meinen Bran- wir uns an Chia-Lebkuchen versucht. Geworben chenkollegen auch als Mitte 20-Jähriger ernst haben wir für unsere Chia-Linie mit Plakaten, The- genommen. Schließlich habe ich dasselbe gelernt kenaufstellern, über unsere Website sowie über und verfüge über fachliche Kompetenz. die Verkäuferinnen. Hier zahlt sich gutes Verkaufs- personal wieder aus. Was sind die größten Herausforderungen in der Backbranche, die für Ihren Betrieb spürbar sind? Vielen Dank für das Gespräch. Mit Julian Kasprowicz sprach Sarah Hölting Als demotivierend und frustrierend empfinde ich vor allem das Bäckereisterben. Wenn jedes BÄCKEREI KASPROWICZ Jahr etwa 700 Bäckereien schließen, bekommt man es selbstverständlich auch mit der Angst um Vor 30 Jahren gründete Fritz Kasprowicz die Zukunft zu tun. Eines der größten Probleme damals in Inning am Ammersee die gleichnami- speziell für uns als mittelständisches Unterneh- ge Handwerksbäckerei Kasprowicz, die mittler- men sehe ich zudem in der Rekrutierung von neu- weile in der zweiten Generation geführt wird. em Personal, insbesondere im Verkauf. Wenn gute Zuvor hatte er das Bäckerhandwerk in seiner Produkte schlecht verkauft werden, hat das Heimat, der Steiermark, in einer kleinen Dorf- schnell Umsatzeinbußen zur Folge. Schließlich bäckerei erlernt. Bevor er im Jahre 1980 die Bä- sind die Produkte in den Discountern und Back- ckerei in Inning eröffnete, betrieb er ein kleines Café am Pilsensee. shops nicht schlecht. Wir Bäcker müssen dem- Derzeit betreibt die Bäckerei 14 Filialen so- nach einen Mehrwert erzeugen und das tun wir wie ein Café und beschäftigt 100 Mitarbeiter. Im eben über die persönlichen Verkaufsgespräche, Oktober dieses Jahres soll eine weitere Filiale die Brücke zwischen dem Produkt und den Kun- hinzukommen. den. Ziel ist es, dass uns unsere Kunden mit ei- 16 | 6. Juni 2015
Back.Business UNTER DIE LUPE GENOMMEN WISSENSCHAFT Neue Erkenntnisse über Chia-Gel Als Back.Business-Leser ist Ihnen die mus, wenn das Chia-Gel in Brot verbacken sei. Schließlich finde der Stoffwechsel langsamer statt, Ölsaat Chia seit Sommer letzten Jahres als wenn der Körper die Chia-Samen pur verdau- kein Fremdwort mehr*. Reich an Ome- en müsste. Die Universität Hohenheim (siehe ga-3-Fettsäuren, Magnesium oder Ei- Seite 18) hatte bereits im September letzten Jahres sen ist die Saat ein kleine Nährstoff- eine wissenschaftliche Ausarbeitung zu den er- bombe und verwandelt Brote in wahre nährungsphysiologischen und backtechnologi- schen Effekten in Auftrag gegeben und ein Chia- Topseller. Nach neuesten Erkenntnis- Gel auf Basis von Wasser und gemahlenen Chia- sen kann die Saat in gemahlener Form Samen hergestellt. Das Ergebnis: Die Frischhal- besser vom Körper verarbeitet werden tung des Brotes verlängert sich und die Knusprig- als Chia-Samen und das, aufgepasst, keit sowie elastische Struktur sind deutlich ver- bessert. sogar noch besser, wenn das Gel über Diese Erkenntnis bestätigt auch eine Studie von Brot und Backwaren aufgenommen Borneo**, bei der ein Gewichtsteil gemahlener wird. Chia-Samen mit neun Gewichtsteilen Wasser zu einem Gel verarbeitet wurde. Mit diesem Gel konn- W er hätte das gedacht: Wer Chia in ge- te in Gebäcken 25 Prozent der Ei– oder Ölmenge mahlener Form über Brot und Backwa- einer Kuchenrezeptur ersetzt werden. So ergibt ren zu sich nimmt, fördert seine Ge- sich ohne sensorische Einbußen der Qualität ein sundheit mehr, als wenn er die Chia-Saat in seiner ernährungsphysiologisch wertvolles Produkt. Rohform essen würde. Warum das so ist, fand der Ernährungsexperte Dr. Günter Harnisch bei einer Chia ist nicht gleich Chia Versuchsreihe zu seinem aktuellen Buch „Chia“ heraus. So ergab die Studie von Harnisch, dass Wer Chia verbacken will, sollte achtsam bei der menschliche Körper die Inhaltsstoffe von Chia der Wahl seines Lieferanten sein. Denn wie hoch in gemahlener Form schneller und in größerem der Nährwertgehalt von Chia-Samen ist, kann Umfang aufnehmen und verwerten kann, als es stark variieren. Wie bei jedem pflanzlichen Pro- bei Chia-Samen der Fall ist. Demnach hängt die dukt ist sie abhängig von Standort und Wachs- sogenannte Bioverfügbarkeit von dem Grad der tumsbedingungen sowie dem Genotyp, also dem „Aufschließung“ ab, also ganz, gemahlen oder als Erbgut des Saatgutes. Bei Chia-Lieferungen ist es Öl. Der Grund für die höhere Verwertbarkeit der daher empfehlenswert, einen Nachweis über die Nährwerte ist die gesteigerte Biokonversion von Nährwerte anzufordern. Nur bei einem möglichst gemahlenem Chia, also die Umwandlung von or- hohen Nährwertgehalt kann eine Bäckerei die ganischen Verbindungen (Biomasse) in energe- Vorteile von Chia-Gel in Brot und Backwaren be- tisch und stofflich nutzbare Produkte. denkenlos vermarkten. Sarah Hölting Nährstoffverwertung in Brot am besten * BB 09/14, Seite 18 ff./ BB 15/14, Seite 6 ff. **Borneo R, Aguirre A, León AE (2010) Chia (Salvia Am höchsten, so Harnisch, sei die Aufnahme hispanica L) gel can be used as egg or oil replacer in der Nährstoffe durch den menschlichen Organis- cake formulations. J Am Diet Assoc 110: 946-949 6. Juni 2015 | 17
Back.Business Studie testet Backeigenschaften von Chia In einer wissenschaftlichen Studie der Univer- zwei Prozent Salz, vier Prozent Hefe, 0,13–0,27 sität Hohenheim, die 2013 startete, werden ge- Prozent Propionsäure (Konservierungsmittel ge- mahlene Chia-Samen in ihren backtechnologi- gen Schimmel) und dem entsprechenden Chiazu- schen Eigenschaften untersucht. Diplom-Lebens- satz bezogen auf die Mehlmenge (100 Prozent). mittelingenieurin Viktoria Zettel und Professor Die Aufarbeitung erfolgte auf die für Kastenweiß- Dr. Bernd Hitzmann vom Institut für Lebensmit- brot übliche Art. Die Brote wurden bei 225 Grad telwissenschaft und Biotechnologie gehen der Celsius Ober-und Unterhitze für 40 Minuten ge- Frage nach, wie man ohne Backmittel eine besse- backen (Backofen war vorgeheizt auf 240 Grad re Frischhaltung und Teigentwicklung mit einem Celsius). Die theoretischen Teigausbeuten (zusätz- natürlichen Rohstoff erreichen kann. Seit 2009 lich eingebrachtes Wasser durch die Chiagele be- sind Chiasamen in der Europäischen Union zuge- rücksichtigt) der Versuchsbrote betrugen 165, 170 lassen, seit 2013 ist bei Backwaren ein Zusatz von und 175, wobei bei dem Brot mit drei Prozent 10 Prozent Chia erlaubt. Chiazusatz - verquollen mit der fünffachen Menge Wasser - kein gutes Backergebnis erzielt werden konnte. Das zusätzliche Wasser konnte hier nicht im Teig gebunden werden. Lagerfähigkeit der Brote: Die Brote wurden über sieben Tage in ihrer Krumenfestigkeit untersucht. Diese steigt mit der Lagerdauer an, zu Beginn sind die Krumenfestigkeiten der Versuchsbrote, abge- sehen von dem Brot mit drei Prozent Chiazusatz, sehr ähnlich. Ab Tag 1 sieht man einen Unterschied zwischen dem Standard und den Broten mit Chia- © Uni Hohenheim gelzusatz. Ab Tag 3 wird deutlich, dass sich die Standardweizenbrot. Ein Prozent Chia, 5fache Wassermenge. Versuchsbrote mit ein und zwei Prozent Chiazusatz sehr ähnlich verhalten und auch eine weichere Krume aufweisen, als der Standard. Die Feuchtig- keiten der Versuchsbrote mit Chiagelzusatz waren bis Tag 3 deutlich höher als die des Standards. Krumenfarbe: Es wurden Bilder einzelner Brot- scheiben aufgenommen, um den Einfluss des Chia- gelzusatzes auf die Brotkrumenfarbe zu bestimmen. Bei drei Prozent Chiazusatz ist die Krume deutlich grauer. Bei ein und zwei Prozent Chiazusatz ist die Krume ein wenig dunkler als beim Standard. Zusammenfassung: Der Zusatz von Chiagel hat Ein Prozent Chia, 10fache Zwei Prozent Chia, 5fache Wassermenge. Wassermenge. die Versuchsbrote bezüglich der Volumenausbeu- te und Lagerfähigkeit positiv beeinflusst. Die Ver- Es wurden Backversuche zur Bestimmung des suchsbrote mit ein und zwei Prozent Chiazusatz Effekts des Chiazusatzes auf die Frischhaltung erzielten großvolumige Brote mit langer Frisch- und die Teigentwicklung von Weizenteigen durch- haltung. Die Farbe der Krume wird etwas dunkler geführt. Insgesamt wurden fünf Versuchsbrote bei dem Zusatz von Chiagel. verglichen: das Standardweizenbrot, Weizenbrot Viktoria Zettel wird bald die Eigenschaft von mit einem, zwei und drei Prozent Chiazusatz (ver- Chia in Feinbackwaren untersuchen. Möglicher- quollen mit der fünffachen Wassermenge des Ei- weise können durch die Verwendung der Samen gengewichtes von Chia) und Weizenbrot mit einem Fette reduziert oder auch Eier ersetzt werden. Bis Prozent Chiazusatz (verquollen mit der zehnfachen 2016 wird sie sich den Chiasamen in ihrer Promo- Wassermenge des Eigengewichtes von Chia). Die tionsarbeit widmen. DB Teigbereitung erfolgte mit 1,1 Kilogramm Mehl Quelle: www.uni-hohenheim.de/publikation/influence-of-gel-from- (Type 550, korrigiert auf 14 Prozent Feuchte), der ground-chia-salvia-hispanica-l-for-wheat-bread-production entsprechenden korrigierten Wassermenge auf die Farinograph-Wasseraufnahme von 59 Prozent, 18 | 6. Juni 2015
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