Bipolare Erkrankung in der Schwangerschaft und im Wochenbett: Neue Entwicklungen in Diagnostik und Therapie
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Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie www.kup.at/ JNeurolNeurochirPsychiatr Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems Bipolare Erkrankung in der Homepage: Schwangerschaft und im Wochenbett: www.kup.at/ Neue Entwicklungen in Diagnostik JNeurolNeurochirPsychiatr und Therapie Online-Datenbank mit Autoren- Kapfhammer HP, Klier C und Stichwortsuche Journal für Neurologie Neurochirurgie und Psychiatrie 2009; 10 (1), 32-36 Indexed in EMBASE/Excerpta Medica/BIOBASE/SCOPUS Krause & Pachernegg GmbH • Verlag für Medizin und Wirtschaft • A-3003 Gablitz P.b.b. 02Z031117M, Verlagsor t : 3003 Gablitz, Mozar tgasse 10 Preis : EUR 10,–
Seggauer Fortbildungstage 2018 Entzündlicher Formenkreis, Therapieansätze und Pathophysiologie. Individualisierte Arzneimitteltherapie 13. bis 14. Oktober 2018 in Schloss Seggau bei Leibnitz zum Programm
Bipolare Erkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett Bipolare Erkrankungen in der Schwangerschaft und im Wochenbett: Neue Entwicklungen in Diagnostik und Therapie H. P. Kapfhammer1, C. M. Klier2 Kurzfassung: Psychische Morbidität von Frau- Im Folgenden sollen nun die schweren psychi- whether a specific medication poses a risk in a en in Schwangerschaft und Wochenbett stellt atrischen Erkrankungen, nämlich die bipolare af- specific situation still remains difficult to answer. für Frauen und das gesamte Behandlungsteam fektive Störung und die Erkrankungen aus dem Recently, many prospective studies have allowed eine besondere Herausforderung dar. Die Fragen schizophrenen Formenkreis und die Implikatio- for an individualized procedure. Most recent zum Risiko einer Weiterbehandlung während nen für deren Behandlung in der Schwanger- studies showing a high relapse risk of women der Schwangerschaft sind auch heute noch nicht schaft beschrieben werden. with psychiatric disorders after discontinuation in allen Fällen eindeutig zu beantworten, aber es of medication might change the rationale for gibt nun schon viele Studien, die ein differenzi- Abstract: Bipolar Affective Disorders in maintaining medication throughout pregnancy. elles Vorgehen ermöglichen. Weiters stellen Pregnancy and Puerperium. New Develop- The article describes clinical management of neuere Untersuchungen zum Rückfallsrisiko hö- ments in Diagnostics and Treatment. Psychi- bipolar affective disorders and schizophrenic here Rückfallsquoten fest, die ein Umdenken atric morbidity of women during pregnancy and disorders and implications for treatment during bewirken könnten, ob man eine laufende Medi- the puerperium are a challenge for women them- pregnancy. J Neurol Neurochir Psychiatr kation plötzlich absetzen soll. selves and the therapeutic team. The question 2009; 10 (1): 32–6. Bipolar affektive Störungen achtungen aus einer anderen Studie entgegen [4]. Selbst zuvor unter einer Lithiumprophylaxe stabile Patientinnen mussten Der in der Regel frühe Erkrankungsbeginn von bipolar affek- nach Absetzen der Medikamente infolge eines Schwanger- tiven Störungen fällt bei betroffenen Frauen mit der Zeit ihrer schaftswunsches bzw. bereits eingetretener Schwangerschaft intensivsten Familienplanung zusammen. Bedeutsam ist fer- innerhalb der nächsten 6 Monate, also noch während der ner, dass infolge des rezidivierenden Krankheitsverlaufs sich Schwangerschaft, in ca. 50 % mit einer Wiedererkrankung viele junge Frauen auch in einem relativ ausgeglichenen seeli- rechnen. Zum Ausmaß des Rezidivrisikos trug offenbar auch schen Zustand befinden können und bei eingetretener Schwan- die Geschwindigkeit bei, mit der Lithium abgesetzt wurde. gerschaft in den weiteren Monaten ihre andauernde Vulnera- Die neueste Arbeit von Viguera et al. [5] hat bei einer pros- bilität nicht bedenken. Gerade im Verlauf von Langzeitbe- pektiven Studie bei bipolaren Frauen eine Rückfallsrate von handlungen kann es häufig zu ungewollten und ungeplanten 71 % während der Schwangerschaft gefunden. Das Risiko Schwangerschaften kommen. Es sollte daher eine grundle- war am höchsten bei den Frauen, die eine Phasenprophylaxe gende Haltung des betreuenden Arztes sein, jeder Frau mit absetzten (85,5 %) und der Rückfall trat umso schneller ein, je bipolarer Krankheitsanamnese einen zuverlässigen Kon- abrupter die Medikamente abgesetzt wurden (50 % Rückfälle zeptionsschutz anzuraten und künftige Schwangerschaften bereits nach 2 Wochen bei abruptem Absetzen). Die meisten bewusst mit fachärztlicher Beratung und engmaschiger Füh- Rückfälle waren depressive (41 %) oder gemischte Episoden rung während Schwangerschaft und Wochenbett zu planen. (38 %), Hypomanie (11 %) und Manie (9,5 %) waren deutlich seltener. Der Einfluss der Schwangerschaft auf die Vulnerabilität bzw. den Krankheitsverlauf wird unterschiedlich gesehen. Rezi- Somit ist das Risiko deutlich höher als ursprünglich angenom- dive nach symptomfreien Intervallen oder Ersterkrankungen men (+30 %) und dies bei einem Sample, das einer sozial be- scheinen in diesen Monaten eher seltener zu sein [1]. Trotz- vorzugten Schicht angehört. Die Autoren schließen, dass das dem geben in einem US-amerikanischen Sample ca. 45 % der Ergebnis bei Hochrisikopatientinnen noch höher ausfallen Patientinnen mit bekannter bipolar affektiver Stimmung vor könnte. Ein Rezidiv während der Schwangerschaft ist häufig allem im ersten Trimenon eine erhöhte emotionale Labilität dramatisch und macht in aller Regel eine stationäre Aufnahme an [2, 3]. Viguera et al. [4] berichteten für ihre Gruppe von erforderlich [6, 7]. bipolar affektiven Patientinnen, die in ihrer Krankheitsanam- nese Lithium-Responder waren, aber während der Schwan- In einer therapeutischen Perspektive gilt es insbesondere die gerschaft keine Medikamente einnahmen, über ein erstaunlich teratogene Risikoträchtigkeit von Stimmungsstabilisierern zu gutes psychisches Befinden. Die seltenen Rezidive ereigneten reflektieren. Das Risikoprofil der derzeit verordneten Präpa- sich während der letzten Schwangerschaftswochen. Diesen rate wie Lithium, Carbamazepin, Valproat und Lamotrigin ist Erfahrungen stehen wiederum klinisch hochrelevante Beob- differenziell zu bewerten und in einer individuellen Risiko- Nutzen-Kalkulation mit den möglichen Gefahren einer unbe- handelten Grunderkrankung und drohender Rezidive für Mut- Aus der 1Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Universität Graz und 2pro ter und Kind abzustimmen [8–10]. mente reha, Sonnenpark Neusiedlersee Korrespondenzadresse: o. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Dr. phil. Hans-Peter Kapfhammer, Universitätsklinik für Psychiatrie, Medizinische Unversität Graz, A-8036 Graz, Carbamazepin und Valproat sind die Substanzen mit dem Auenbruggerplatz 31; E-Mail: hanspeter.kapfhammer@meduni-graz.at höchsten teratogenen Risiko (bis 16 % bei Valproat) hinsicht- 32 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (1) For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH.
Bipolare Erkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett lich skelettaler Fehl- und Spaltbildungen sowie Defekten des Beachtung der hinreichenden Symptomkontrolle eine Reduk- Neuralrohrschlusses. Beide Stimmungsstabilisierer können tion auf ca. 30 % der zuvor eingenommenen Lithiumdosis, perinatal mit Hypoglykämie, hepatischen Dysfunktionen und eine Gabe von verteilten Dosen erscheint vorteilhaft. Ein sehr Carbamazepin auch mit Blutgerinnungsstörungen einherge- sorgfältiges Monitoring des Fetus prä- und peripartal und hen. Werden beide Präparate in einer Kombinationsbehand- dann des Babys postpartal ist notwendig [9]. lung eingesetzt, erhöhen sich diese Risiken (synergistische Teratogenität) signifikant. Die Gabe von 5 mg Folsäure täg- Bei bekanntem Sectiotermin soll Lithium 48 Stunden davor lich 12 Wochen vor bis 12 Wochen nach der Konzeption wird abgesetzt werden, bei einer Spontangeburt mit Einsetzen der empfohlen, es ist jedoch unklar, ob hierdurch das Ausmaß des Wehen. Unter der Geburt muss auf ausreichende Flüssigkeits- pharmakogenen Risikos reduziert werden kann. gabe geachtet und eine Spiegelkontrolle durchführt werden, um bei einem erhöhten Spiegel sofort Gegenmaßnahmen Lamotrogin gilt nach der derzeitigen Datenlage monothera- ergreifen zu können [10]. peutisch in niedrigen bis mittleren Dosen als nur geringgradig teratogen, bei > 400 mg könnte es zu einer Erhöhung der Während Lithium eine solche differenzierte Vorgehensweise Missbildungsrate kommen. Von einer Kombination mit zu Schwangerschaftsbeginn erlaubt und ab dem zweiten Tri- Valproat wird aber abgeraten. Hepatotoxische Fälle und der- menon durchaus mit Sicherheit weitergegeben bzw. wieder- matologische Komplikationen, die in der Erwachsenenthera- angesetzt werden kann, werden Carbamazepin und Valproat pie registriert wurden, sollten perinatal auch beim Neugebore- prinzipiell nicht empfohlen. Frauen unter Carbamazepin ohne nen zu einer sorgfältigen Kontrolle Anlass geben. Lithium vorherigen Lithiumversuch können auf Lithium umgestellt erhöht das Risiko von kardiovaskulären Fehlbildungen, vor werden. Bei Unwirksamkeit oder Unverträglichkeit des Lithi- allem der Ebstein-Anomalie um das ca. 20–40-Fache, wobei ums in der Vorgeschichte wird dem Carbamazepin der Vor- das Grundrisiko in der Allgemeinbevölkerung hierfür aber rang vor Valproat zu geben sein. Frauen, die nur unter insgesamt sehr niedrig ist (1:20.000), sodass es nach heutiger Valproat eine Stabilität erfahren haben, müssen detailliert Auffassung zu einer minimalen Erhöhung des Risikos auf über die teratogenen Risiken aufgeklärt sein. Wichtig ist, 0,05–0,1 % kommt. Neuroleptika, die bisher insgesamt keinen Hinweis auf Teratogenität gaben, als Alternative in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist neben den Teratogenitätsrisiken von Li- thium und Antikonvulsiva die hohe Rezidivquote von bis zu In der Schwangerschaft exazerbierende oder neu auftretende 85 % nach einem Absetzen der Medikation zu diskutieren manische Episoden können mit Lithium, Antipsychotika, [11]. Vor einer geplanten Schwangerschaft kann mit Frauen, Clonazepam oder mit EKT behandelt werden. die einen relativ benignen Krankheitsverlauf (z. B. nur eine manische Episode) zeigen und unter Lithium stimmungsstabil Es besteht wissenschaftlich Einigkeit darüber, dass Frauen sind, erörtert werden, Lithium langsam (d. h. > 2 Wochen) zu mit bipolar affektiver Disposition zu den Hochrisikopatient- reduzieren. Bei einem heikleren Krankheitsverlauf muss sich innen gehören, im Wochenbett ein psychotisches Rezidiv zu dieser Absetzversuch sehr viel vorsichtiger gestalten. Ein erleiden. In einer nosologischen Einordnung der Wochenbett- Wiederauftreten von bedeutsamen Krankheitssymptomen psychosen sprechen derzeit die besten Argumente dafür, dass sollte zum raschen Wiederansetzen von Lithium führen. Ein sie mehrheitlich Varianten einer bipolar affektiven Störung erneuter, noch behutsamerer Absetzversuch nach vorange- darstellen [13–16]. Auf einer syndromalen Ebene imponieren gangener guter Stabilisierung kann gewagt werden. Alterna- einerseits maniforme und schizoaffektive Zustandsbilder mit tiv wird eine allerdings mit höheren Problemen behaftete oft ausgeprägter Verwirrtheit, Ratlosigkeit, oneiroidem Erle- Strategie erwogen: Lithium wird bis zur überwachten frühen ben, Desorganisiertheit des sozialen Verhaltens, Halluzinatio- Dokumentation einer eingetretenen Schwangerschaft beibe- nen, einem Pendeln zwischen psychomotorischer Erregtheit halten, dann rasch (d. h. < 2 Wochen, also noch vor Entste- und Stupor sowie rasch wechselnden, z. T. extremen Affekt- hung der Plazenta und der Bildung des plazentar-fetalen zuständen. Eine ausgesprochene Fluktuation und Variabilität Kreislaufs) abgesetzt. Diese Strategie minimiert zwar die der psychopathologischen Symptome ist typisch. Geschlos- Exposition des Fetus gegenüber Lithium, bedeutet aber mög- sene Wahnsysteme sind vergleichsweise seltener, wenngleich licherweise für die schwangere Frau ein beträchtliches Rezi- bunte Wahnideen mit heftiger Wahndynamik vorgetragen divrisiko [12]. Frauen mit sehr schweren Krankheitsverläufen werden können. Andererseits imponieren depressive Zu- und fortgesetztem starken Kinderwunsch kann nur zu einem standsbilder eines melancholischen Typus. Relativ häufig be- Beibehalten ihrer Lithiumprophylaxe während und nach der stehen hier synthyme Wahnvorstellungen. In beiden syndro- Schwangerschaft geraten werden. Das niedrige absolute, aber malen Zuständen sind oft zentrale Sorgen um Gesundheit, im Einzelfall immer mögliche teratogene Risiko bedarf einer vermeintliche Anomalien oder Bedrohungen des Babys zu einfühlsamen Aufklärung. Die Durchführung eines detaillier- eruieren. Obsessive Ruminationen, das Kind verletzen zu ten Herzechos frühestens in der 11. Schwangerschaftswoche können oder zu müssen, oder infantizide Vorstellungen sind ist notwendig, um die schwangere Patientin vertrauensvoll bei einigen Frauen zu finden, wenngleich das tatsächliche Ri- weiterbetreuen zu können. siko eines Infantizids als wohl sehr niedrig einzustufen, dann oft im Kontext einer erweiterten Suizidalität zu begreifen ist Wird Lithium nach dem ersten Trimenon angesetzt, ist im [17–19]. Das Suizidrisiko ist hoch. Es muss insgesamt beach- weiteren Verlauf eine Dosiserhöhung infolge einer durch die tet werden, dass das Suizidrisiko für Frauen mit Postpartum- Schwangerschaft erhöhten Clearance-Rate vorzunehmen. psychosen im ersten postnatalen Jahr um das ca. 70-Fache Vor dem geplanten Entbindungstermin empfiehlt sich unter erhöht ist im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung [20]. J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (1) 33
Bipolare Erkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett Während das Erkrankungsrisiko für eine postpartale Psychose Entschließen sich Frauen wegen einer schweren Wochenbett- in der Allgemeinbevölkerung bei ca. 1–2 je 1000 Entbindun- psychose abzustillen, ist auf eine sorgfältige Hygiene der gen angesetzt wird, steigt es auf ca. 25–30 % bei bipolar Brüste zu achten, um interkurrenten Mastitiden vorzubeugen. affektiver Anamnese an [21]. Neurobiologische Mechanis- Erfolgt die Abstillung medikamentös, ist der psychotogene men dieser Erkrankung lassen ein sehr komplexes, in den Effekt z. B. von Bromocriptin zu berücksichtigen [27]. Unter Befunden nach wie vor aber inkonsistentes Bild erkennen. antipsychotischer Grundmedikation muss jedoch eine psy- Familienstudien und molekulargenetische Untersuchungen chotische Exazerbation nicht befürchtet werden. Stillen unter deuten eine starke Assoziation zu bipolar affektiven Störun- Lamotrigin und Carbamazepin sollte nur unter einer engma- gen an [22]. Als besondere Risikovariablen werden neben schigen Kontrolle des Gesundheitsstatus des Babys im Hin- bipolar affektiver Eigenanamnese, diesbezüglicher Familien- blick auf Toxizitätszeichen im begründeten Einzelfall erfol- anamnese sowie psychotischen Wochenbetterkrankungen bei gen. Von Lithium und Valproat sollte während des Stillens weiblichen Verwandten ersten Grades der Status als Primi- eher Abstand genommen werden. Antipsychotika der ersten para und schwerwiegende Komplikationen bei der Geburt wie Generation scheinen prinzipiell mit dem Stillen kompatibel zu z. B. notfallmäßige Entbindung über Kaiserschnitt aufgeführt sein, für Antipsychotika der zweiten Generation liegen bisher [14, 23]. weniger Risikoeinschätzungen vor [28]. Eine prinzipielle Vereinbarkeit ist wahrscheinlich, vor allem unter Clozapin Postpartumpsychosen setzen in der überwiegenden Mehrzahl müssen aber auch starke Sedierungseffekte und das assozi- in den ersten 3 Tagen (in über 70 %) bis wenigen Wochen ierte Risiko negativer Effekte auf die Granulozytopoese auch nach der Entbindung ein [24]. In Einzelfällen kann eine Mani- beim Baby bedacht werden [9]. festation der Symptomatik schon kurze Zeit vor der Entbin- dung beobachtet werden. Von zahlreichen Autoren wird der frühe Einsatz einer Elek- trokrampftherapie befürwortet, die gerade unter der Indika- Postpartumpsychosen können von wenigen Tagen bis zu vie- tionsstellung einer Postpartumpsychose schon nach wenigen len Monaten dauern, wobei die Variable „Therapiemodalität“ Anwendungen zu einer raschen Symptomremission führen wichtig ist. Die Remissionsqualität ist für die akute Episode in und die notwendige Aufenthaltsdauer auf einer psychiatri- aller Regel gut. Dies muss jedoch nicht mit einer analogen schen Station erheblich verkürzen kann [29]. Remissionsstabilität einhergehen, was von großer Bedeutung für die ambulante Weiterbetreuung der Patientinnen v. a. im Während des stationären Aufenthalts einer psychotisch er- Hinblick auf die Kontrolle der Suizidalität ist. Psychotische krankten Mutter muss verstärkt auch die supportive und auf- Rezidive beim Wiedereinsetzen der Menstruation sind be- klärende Arbeit vor allem mit dem Vater, aber auch mit weite- schrieben worden. Hinsichtlich des weiteren Krankheitsver- ren Familienangehörigen in die Gesamtbehandlung mit einbe- laufs nach einer Indexepisode stellt sich für die betroffenen zogen werden. Familientherapeutische Interventionen können Frauen einerseits die Frage nach der Höhe des Risikos, bei notwendig werden. Notwendige stationäre Therapien sollten einer weiteren Schwangerschaft und Entbindung erneut zu er- vorteilhaft auf eigenständig konzipierten „Mutter-Kind-Ein- kranken, wie andererseits auch die Frage nach dem non- heiten“ durchgeführt [30, 31]. puerperalen Rezidivrisiko. In verschiedenen Studien wird das puerperale Rezidivrisiko mit 1:5 bis 1:3 veranschlagt. Das Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob Frauen ohne eine nonpuerperale Rezidivrisiko scheint vergleichsweise noch vor der Schwangerschaft etablierte medikamentöse Prophy- höher zu liegen [16, 25, 26]. laxe, bei guter Symptomfreiheit während der Schwanger- schaftsmonate, aber nichtsdestoweniger beträchtlichem Er- In einer therapeutischen Perspektive verlangt das zum Teil krankungsrisiko im bevorstehenden Puerperium präventiv exzessive postpartale Rezidivrisiko ein mehrschichtiges Vor- mit Psychopharmaka behandelt werden sollen. Wird in der gehen im Sinne einer überlegten Prophylaxe einerseits und Überprüfung der individuellen Situation eine solche Indika- einer notwendigen Therapie der dann sehr häufigen psychoti- tion befürwortet, scheint eine unmittelbar nach Entbindung schen Dekompensation andererseits. begonnene Medikation mit Lithium in relativ hoher Dosie- rung durchaus einen beachtlichen Schutz zu vermitteln. Diese Mütter mit postpartal auftretenden psychotischen Erkrankun- Entscheidung kann sich aber vorläufig nur auf unkontrollierte gen müssen in aller Regel stationär behandelt werden. In der Studien stützen [32, 33]. Möglicherweise wird künftig auch syndromorientierten Therapie spielt der Einsatz von Phasen- ein Einsatz von 17β-Estradiol als prophylaktischer Strategie prophylaktika und Antipsychotika eine führende Rolle, eine anerkannt werden [34, 35]. Sedierung bei der offenkundigen Ungesteuertheit des inter- personalen Verhaltens postpartal psychotischer Frauen ist oft Schizophrene Störungen vorrangig. Bei den maniformen Zustandsbildern ist zusätzlich der therapeutische Einsatz von Lithium gewinnbringend, Der Krankheitsverlauf gerade chronisch schizophrener Frau- wobei in dieser Akutphase höhere Plasmaspiegel von 1,0– en in Schwangerschaft und Wochenbett ist selten Gegenstand 1,2 mmol/l angestrebt werden sollen als für rezidivpro- systematischer Forschungen gewesen [36]. Ein Zusammen- phylaktische Ziele notwendig. Überwiegen depressive Syn- hang zu einer komplex vermittelten reduzierten Fertilität mag drome, haben die diversen antidepressiven Medikamenten- in früheren Jahrzehnten ein Grund hierfür gewesen sein. regimes ihre Indikation, wobei anfangs in aller Regel eine Wenngleich Frauen mit der Diagnose Schizophrenie auch Kombination mit Stimmungsstabilisierern oder Antipsycho- heute noch weniger Kinder haben, steigen die Konzeptions- tika vorteilhaft erscheint. raten unter den Bedingungen verbesserter pharmakologischer 34 J NEUROL NEUROCHIR PSYCHIATR 2009; 10 (1)
Bipolare Erkrankungen in Schwangerschaft und Wochenbett Behandlungen und sozialpsychiatrischer Unterstützungs- handelt über die Remission der psychiatrischen Erkrankung angebote deutlich [37]. Schwangerschaften erfolgen aber häu- an. Das größte Risiko dieser Störung ist die Tötung oder Miss- fig ungeplant und ungewollt [38], resultieren nicht selten aus handlung des Kindes, andere Risiken beinhalten eine Störung sexuellen Missbrauchserfahrungen und gehen häufig auch mit der Emotionsregulation des Säuglings und das Nicht-Errei- verschiedenen sexuell übertragenen Infektionskrankheiten chen von Entwicklungsmeilensteinen [57]. einher [39]. Armutsbedingungen, ungünstige familiäre Ver- hältnisse und nachteiliges Gesundheitsverhalten können den Schlussbemerkung Verlauf der Schwangerschaftsmonate und die Wochenbettzeit bestimmen [40, 41]. Psychische Erkrankungen in Schwangerschaft und Wochen- bett zeigen für Frauen eine bedeutsame Vulnerabilität an, die Wenngleich einige Patientinnen während der Schwanger- eine erstrangige Herausforderung für eine differenzierte psy- schaftsmonate eine gewisse Verbesserung ihres psychopatho- chiatrische Betreuung bilden. In der allmählichen Etablierung logischen Status erfahren können und zuweilen auch mit den einer eigenständigen „perinatalen Psychiatrie“ wird dem in Herausforderungen der Mutterrolle konstruktiv umzugehen Wissenschaft und Versorgung sukzessiv Rechnung getragen. lernen, stellen die vielfältigen psychobiologischen und -sozia- Dies setzt eine engmaschige Kooperation zwischen Psychia- len Belastungen von Schwangerschaft und Mutterschaft für tern, Gynäkologen und Pädiatern in ambulanten und klini- eine große Mehrheit vor allem der chronisch schizophrenen schen Einrichtungen voraus. Da im Krankheitsverlauf die Frauen eine Überlastung dar und bedingen meist eine Ver- Gesundheit und das Wohlergehen nicht nur der Mutter, son- schlechterung des Verlaufs [42–44]. Im Wochenbett besteht dern auch des Babys unmittelbar betroffen sind, und im ein hohes psychotisches Rezidivrisiko [45]. Die Gefahr eines Erkrankungsfalle auch weitreichende Konsequenzen für die richterlichen Entzugs der elterlichen Fürsorgepflicht für das Familie insgesamt auftreten, sind mit dieser geschlechter- Baby ist dann gegeben [46, 47]. Die Rate der perinatalen sensiblen Perspektive auch wichtige ärztlich-ethische Frage- Komplikationen erscheint gegenüber Frauen aus der Allge- stellungen verbunden [58]. meinbevölkerung erhöht zu sein [48], zeigt aber keine exzes- siven Risiken im Vergleich mit anderen psychischen Störun- Relevanz für die Praxis gen an [49]. Frauen mit psychischen Erkrankungen, vor allem mit bipo- In einer therapeutischen Perspektive sollten Frauen mit vor lar affektiven Störungen, haben ein erhöhtes Risiko, in der allem chronischen oder häufig rezidivierenden schizophrenen Schwangerschaft und im Wochenbett schwerwiegend zu Erkrankungen während der Schwangerschaft mit einer kli- erkranken. Dieses Risiko sollte sowohl den betreuenden nisch wirksamen Dauermedikation eines Antipsychotikums Gynäkologen als auch den behandelnden Psychiatern be- behandelt werden. Antipsychotika der ersten Generation wusst sein. Eine kollegiale Zusammenarbeit ist von gro- (Haloperidol, Phenothiazine mit nicht-aliphatischer Seiten- ßem Vorteil für die prospektive Beratung bei Kinder- kette) gelten in ihrem teratogenen Gefährdungspotenzial als wunsch und für die sichere Führung in der Schwanger- vertretbar und können auch über die Postpartalzeit hinaus ge- schaft. Medikamentöse Strategien sollten in ihrem thera- geben werden [50]. Aber auch bei Antipsychotika der zweiten peutischen und prophylaktischen Stellenwert bekannt sein. Generation liegen Daten aus einer prospektiven Studie vor, Ein detailliertes Wissen über Nebenwirkungen und eventu- die kein erhöhtes Teratogenitätsrisiko zeigen [51]. Anti- elle teratogene Effekte ist zu fordern. parkinson-Medikamente sind prinzipiell auf ein Minimum zu beschränken. Schizophrene Frauen werden heute vorrangig mit Antipsychotika der zweiten Generation behandelt. Sie Literatur: 7. Sharma V, Persad E. The effect of pregnancy können diese Medikation, speziell bei langfristiger Therapie on three patients with bipolar disorder. Ann 1. Cott AD, Wisner KL. Psychiatric disorders Clin Psychiatry 1995; 7: 39–42. mit Clozapin auch während und nach der Schwangerschaft during pregnancy. Int Rev Psychiatry 2003; 8. Dood S, Opi J, Berk M. Pharmacological beibehalten, auch wenn der Sicherheitsstatus dieser Medika- 15: 217–30. treatment of anxiety and depression in preg- 2. 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