BedrOhtes gleichgewicht - Die Situation der Meere wird immer ernster. Ob Überfischung, Plastikverschmutzung oder Klimawandel: Ihre Folgen ...
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Ozeane Bedrohtes Gleichge Die Situation der Meere wird immer ernster. Ob Überfischung, Plastikverschmutzung oder Klimawandel: Ihre Folgen gefährden auch die menschliche Gesundheit. 6
securvita - krankenkasse 3 | 21 E r hat die EU über Monate in Atem gehalten: der Brexit – und mit ihm die Fischerei. Am Ende haben fast alle etwas ewicht verloren. Die britischen Fischer den unkom- plizierten Zugang zum europäischen Markt. Die europäischen Fischer einen Teil ihrer traditionellen Fangquoten in britischen Gewässern. Und die Politik einmal mehr ihre Glaubwürdigkeit in puncto Wahlkampfver- sprechen. Bekommen haben viele Fischer dafür mehr Bürokratie, einen Haufen logis tischer Probleme und weniger Einkommen. Der Brexit sollte so manchen Wunsch er- füllen. Den britischen Fischern erschien er als Rettung im Kampf gegen unlautere Kon- kurrenz aus dem Ausland. Und so stimmten in einigen Küstenstädten mehr als 70 Pro- zent der Bevölkerung für den EU-Austritt. Stein des Anstoßes bildete die Gemeinsame Fischereipolitik (GFP) der EU. Sie bestimmt seit den 70er-Jahren die Mengen, welche die Flotten der Mitgliedsstaaten fangen dürfen. Zudem regelt sie den Zugang von Fangbooten zur 200-Meilen-Küstenzone der Meeresanrainer. Die Nutzung ihrer »Ausschließlichen Wirtschaftszone«, so die Hoffnung der britischen Fischer, würde nach dem Austritt allein Großbritannien zustehen und damit eine Renaissance der britischen Fischerei einleiten. Düstere Bilanz Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Zu groß waren die Zugeständnisse, die Lon- don in den Verhandlungen am Ende gemacht hat. Mit dem Ergebnis, dass die EU schrittweise auf lediglich 25 Prozent ihrer bisherigen Fangquoten in britischen Gewässern verzichtet. Und so kämpfen vor allem die kleinen Fischer nach wie vor damit, dass ein erheblicher Teil der Fangrechte einigen wenigen großen Unternehmen gehört. So manchem geht es deutlicher schlechter als vor dem Brexit. Und die Fische, profitieren wenigstens sie? Leider nicht. Zwar sind die Quoten für See- lachs, Scholle und Hering in der ersten Ver- einbarung zwischen der EU, Großbritannien und Norwegen nach dem Brexit gesenkt worden, um die Bestände zu erhalten. Doch noch immer mündet das Ringen um Fang- quoten allzu oft in politischen Entscheidun- 7
gen, die weit hinter den Empfehlungen zur Ernährungssicherung. Circa 3,2 Milliar- zeigt, haben sie seit 1970 mehr als 90 Pro- von Umweltverbänden zurückbleiben. den Menschen decken weltweit mehr als zent der zusätz lichen Wärme aus der Zwar liegen die Fangquoten bei fünf von 20 Prozent ihres Eiweißbedarfs durch Fisch. Erdatmosphäre aufgenommen und sich sechs Fischarten der gemeinsamen Be- Für mehr als zehn Prozent aller Menschen dadurch kontinuierlich erwärmt. Wasser- stände in den Grenzen dessen, was vom bildet der Fischereisektor die Existenz- schichten durchmischen sich in der Folge Internationalen Rat für Meeresforschung grundlage. schlechter, wodurch viele Meereslebewe- (ICES) als nachhaltig angesehen wird. Die Dabei stellt Überfischung nur eine der sen nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff von Wissenschaftlern empfohlene Sen- Bedrohungen dar. Auch der vom Menschen und Nährstoffen versorgt werden. Erhöhte kung der Fangmenge für Kabeljau wurde verursachte Klimawandel verändert die Wassertemperaturen sorgen für eine ther- jedoch nicht umgesetzt. Und so ist auch Ozeane dramatisch. Wie ein vom Weltkli- mische Ausdehnung der Ozeane und da- der Brexit ein Beispiel dafür, dass Meeres- marat IPCC veröffentlichter Sonderbericht mit zu einem Anstieg des Meeresspiegels. und Artenschutz leider hintenanstehen müssen, wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind. »Die Überfischung in Europa Was kann der Einzelne tun? wird auch im Jahr 2021 weitergehen«, sagt Um die Meere und ihre Artenvielfalt zu erhalten, sind vor allem die Staaten- Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. gemeinschaft und die Wirtschaft gefordert. Doch auch der Einzelne kann etwas Und kritisiert, dass die Kontrolle und Um- tun. Das Umweltbundesamt hat Tipps für Privatverbraucher zusammengestellt: setzung der Quoten lückenhaft seien oder So tragen ein reduzierter Fleischkonsum und die bewusste Entscheidung für gar nicht stattfänden. Fleisch aus biologischer Haltung dazu bei, dass weniger Nährstoffe wie Stickstoff Bereits 2018 galten nach Informationen und Phosphor in die Gewässer gelangen. Die ordnungsgemäße Entsorgung des WWF weltweit gut 3o Prozent der von Medikamenten verhindert, dass die Inhaltsstoffe ins Abwasser fließen. Und kommerziell genutzten Fischbestände als auch die Verwendung von Mehrwegverpackungen statt Einwegplastik hilft, »überfischt« und circa 60 Prozent als »ma- den Zustand der Meere zu verbessern. ximal genutzt«. Besonders schlimm sieht es danach in den europäischen Gewässern aus: So werden im Mittelmeer und im Schwarzen Meer sogar gut 60 Prozent der Bestände als überfischt eingestuft. Zudem führt der anhaltend hohe Fischkonsum da- zu, dass die Boote immer weiter fahren und immer kleinere und jüngere Fische fangen, wie auch der Naturschutzbund Deutsch- land (NABU) anprangert. 93 Prozent des Nordsee-Kabeljaus landen inzwischen in den Netzen, bevor die Tiere sich zum ersten Mal fortgepflanzt haben. Einzelne Wissenschaftler befürchten, dass die kommerziell genutzten Fischbestände bis zum Jahr 2048 vollständig vernichtet sein könnten. Ein k atastrophales Szenario. KLare Fakten Mehr als 70 Prozent unseres Planeten sind von Weltmeeren bedeckt. Als weltweit wichtigste Sauerstoffproduzenten und größte Speicher von CO₂ ist ihre Bedeutung für das globale Ökosystem entscheidend. Sie sind laut Greenpeace »unsere Verbün- Ein weiter ansteigender Meeres deten im Kampf gegen die Klimakrise«, spiegel gefährdet die Existenz vieler denn sie kühlen den Planeten. Meere be- Menschen in Küstengebieten. herbergen eine enorme biologische Vielfalt und leisten einen entscheidenden Beitrag 8
securvita - krankenkasse 3 | 21 Ein Effekt, der durch das Schmelzen riesi- etwa 15 Prozent des gesamten Meeres- sind. Einzelne Laborstudien lassen jedoch ger Eisschilde und Gletscher verstärkt mülls. Im Meer hat Plastik eine Haltbarkeit vermuten, dass sich die Aufnahme negativ wird. Bis 2100 ist nach Angaben des WWF von bis zu 450 Jahren. Durch Salz, Sonne auswirkt und Fruchtbarkeit sowie Sterb- damit zu rechnen, dass der Meeresspiegel und Reibung wird es zwar langsam zer- lichkeit beeinflusst. Forscher des Umwelt- um bis zu 110 Zentimeter steigt – mit setzt, doch dabei werden giftige Inhalts- bundesamtes befürchten, dass sich die verheerenden Konsequenzen für die stoffe freigesetzt. Hunderttausende Wale, Partikel im Körper einlagern und Entzün- 745 Millionen Menschen, die an niedrig Delfine, Schildkröten, Seevögel und andere dungen im Darm- oder Lebergewebe aus- liegenden Küsten und in Inselstaaten le- ben. Sie sind es auch, die besonders von den marinen Hitzewellen betroffen sein werden, wenn ganze Fischbestände infol- ge des Temperaturanstiegs abwandern. Immer mehr Risiken Plastiktüten, Cremetuben, PET-Flaschen, Einwegbesteck und vieles mehr: Von den über 400 Millionen Tonnen Plastik, die je- des Jahr produziert werden, landen Schät- zungen zufolge bis zu 10 Millionen Tonnen in den Meeren. Bis zu 18.000 Plastikteile schwimmen nach Angaben des UN-Um- Das Plastik am Strand weltprogramms (UNEP) auf jedem Qua bildet nur einen Bruchteil dratkilometer Wasseroberfläche. Das sind der Menge im Meer. so lange bleibt der müll im meer Angelschnur Plastikflasche Wegwerfwindel Plastikboje Getränkedose 600 Jahre 450 Jahre 450 Jahre 450 Jahre 200 Jahre Quelle: NOAA, U.S. / Woods Hole Sea Grant, U.S. Blechdose Plastiktüte Sperrholz Zigarettenkippen 50 Jahre 10‒20 Jahre 1‒3 Jahre 1‒5 Jahre Kerngehäuse Apfel Pappkarton Baumwollshirt Tageszeitung Papiertaschentücher 2 Monate 2 Monate 2‒5 Monate 6 Wochen 2‒5 Wochen Meerestiere verenden qualvoll, da sie die lösen, eventuell sogar Krebs begünstigen. Plastikteile mit Nahrung verwechseln. In Belege dafür gibt es j edoch noch nicht. der Folge verhungern sie, weil Kunststoffe Die Umweltschäden sind auf jeden Fall ihren Magen verstopfen. Zudem werden immens. Dazu kommt, dass immer mehr im Meer entsorgte Fischernetze zu tödli- Branchen unter der Verschmutzung leiden. chen Fallen, in denen sich die Tiere verfan- Badeorte, die allmorgendlich den Müll an gen und ertrinken. den Stränden entsorgen müssen. Schiff- Über die Fische gelangen kleinste Plas- fahrtsbetreiber, in deren Schiffsschrauben tikpartikel – sogenanntes Mikroplastik – sich umhertreibende Netze verfangen. und mit ihm schädliche Zusatzstoffe über 13 Milliarden Euro jährlich – so hoch wird der die Nahrungskette auch in den mensch wirtschaftliche Schaden durch Plastikmüll lichen Körper. Wie gefährlich Mikroplastik in den Meeren geschätzt. Kosten, die nicht für den menschlichen Organismus ist, da- durch ihre Verursacher getragen werden. zu fehlen finale Befunde, weil die Langzeit- Ob industrielle Überfischung, Plastikmüll folgen noch nicht ausreichend untersucht oder der Klimawandel: Sie alle setzen den 9
Ozeanen schwer zu, gefährden die Arten- trag zur Einrichtung und Durchsetzung von flächige echte Schutzgebiete ohne mensch- vielfalt und damit in der Folge auch mensch Meeresschutzgebieten auf hoher See gibt. lichen Zugriff«, so M eeresbiologe Maack. liches Leben. Die alarmierenden Berichte Um das zu ändern, verhandeln Regierungs- Auf internationale Regeln setzt auch des Weltklimarats (IPCC) und des Weltbio- vertreter unter dem Dach der Vereinten Heike Vesper, Leiterin Meeresschutz des diversitätsrats (IPBES) dokumentieren, wie Nationen nun über einen globalen Ozean- WWF Deutschland: »Wenn wir kein Plastik gefährdet die Meere sind. Ihre Nutzung Vertrag. Er soll ein verbindliches Regelwerk in unserem Körper wollen, müssen wir ver- durch den Menschen hat in wenigen Jahr- schaffen, das den »Schutz und die nach hindern, dass jedes Jahr Millionen Tonnen zehnten dazu geführt, dass die ältesten haltige Nutzung der biologischen Vielfalt Kunststoffmüll in die Natur geraten.« Da- Ökosysteme der Erde wärmer, saurer, sauer- außerhalb nationaler Hoheitsgewässer« für bedürfe es verbindlicher Ziele für Wirt- stoff- und artenärmer werden. gewährleistet. Denn langfristig »sichern schaft und Politik. Denn Meeresschutz ist lassen sich die Bestände nur durch groß Gesundheitsschutz. n Ruf nach Schutz Umweltverbände dringen daher auf schnelles Handeln. So fordert Greenpeace Welchen Fisch kann man noch essen? gemeinsam mit Wissenschaftlern, bis Rund 15 Kilogramm Fisch und Meeresfrüchte konsumiert jeder Deutsche im 2030 mindestens 30 Prozent der Ozeane Durchschnitt pro Jahr. Mit der Entscheidung für umweltgerecht gefangenen Fisch unter konsequenten Schutz zu stellen. Bis- können Verbraucher die Überfischung der Ozeane verringern. Hilfe bietet dabei lang sind es nur rund ein P rozent, darunter der WWF-Fischratgeber, der seit fast zwanzig Jahren erscheint. Ihn gibt es gedruckt vor allem die Gewässer um die hawaiiani- sowie im Internet und als App und er empfiehlt, welche Fischarten unbedenklich schen Inseln und das Great Barrier Reef vor verzehrt werden können. Gängige Umweltsiegel werden erläutert und Fakten zur Australien. Lage der Meere präsentiert. Einig sind sich die Naturschützer vor allem darin: Genau Ein zentrales Problem ist, dass es bislang wie Fleisch sollte auch Fisch als Delikatesse verzehrt werden. Nur so lässt sich der keinen globalen, rechtsverbindlichen Ver- Konsum mit den natürlichen Ressourcen wieder in Einklang bringen. Bedrohte Vielfalt: Bis zu 90 Prozent der weltweit genutzten Fischbestände gelten als gefährdet. 10
securvita - krankenkasse 3 | 21 Mayday, mayday Heimische Meere Wie kann Nord- und Ostsee geholfen werden? S chon der Beginn ist spektakulär. Beim Eintritt ins Ozeanum in Stral- sund erwarten die staunenden Besucher drei originale Walskelette. Über eine Roll treppe, die mit 34 Metern so lang wie ein Blauwal ist, gelangt man in das Museum, das sich innerhalb kürzester Zeit zu einem Besuchermagneten entwickelt hat. Fünfzig zum Teil riesige Meerwasseraquarien und mehrere Themenausstellungen zeigen ein- drucksvoll die Lebensräume der nördlichen Meere. Kinder wie Erwachsene können die vielfältige Tier- und Pflanzenwelt spiele- risch entdecken und den marinen Lebens- raum mit allen Sinnen erfahren. Der Rundgang endet in einer 20 Meter hohen Halle mit der eindrucksvollen Multi- Deutschlands einzige Walart, der Schweinswal, muss besser geschützt werden. media-Ausstellung »1:1 Riesen der Meere«, die das Museum in Kooperation mit der ten Verkehrsdichte. Die stärkste Gefähr- Nord- und Ostsee sowie die Reduzierung Umweltschutzorganisation Greenpeace dung für die Meeresumwelt stellt aktuell des Fischfangs auf nachhaltige Mengen bis entwickelt hat. Über die gesamte Raum die Überfischung dar. Sie bedroht die Be- 2020 wurden nicht erreicht. Zwar hat höhe schweben, in sanftes blaues Licht stände, besonders von Dorsch und Hering. Deutschland fast 50 Prozent seiner Meeres getaucht, Nachbildungen von Walen in In der Ostsee wurden sie jahrelang derart regionen als Schutzgebiete ausgewiesen, Originalgröße. Hier erleben die Besucher überfischt, dass der Nachwuchs irgend- doch besteht dieser Schutz laut Meeres- die Riesen hautnah – und erfahren, wie sehr wann ausblieb. Dazu kommt, dass Fische schutzorganisation Sea Shepherd nur auf die faszinierenden Tiere durch menschliche reigerät den Meeresboden zerstört. dem Papier. Die Bundesregierung müsse kon- Aktivitäten wie Walfang, Klima- sequenter handeln und die Zerstörung durch wandel und chemische Verseu- den Menschen verbieten: »Schutz gebiete »Schutzgebiete müssen chung der Meere bedroht sind. müssen auch wirklich Schutzgebiete sein, auch wirklich Schutzgebiete Nord- und Ostsee sind nicht ohne Ausnahmen«, fordert Manuel Abraas, sein, ohne Ausnahmen.« nur beliebte Urlaubsziele mit Geschäftsführer Sea Shepherd Deutschland. Manuel Abraas, Sea Shepherd zahlreichen touristischen At- Dazu zählt, dass die kommerzielle Fi- traktionen. Beide Meere wer- scherei in den Schutzgebieten abgeschafft den auch stark wirtschaftlich genutzt. Dies Für die Baubranche und zum Küsten- werden muss. Konkret betrifft dies nach führt regelmäßig zu Interessenkonflikten schutz werden Kies und Sand in viel zu einem Greenpeace-Report die Grund- und mit dem Naturschutz. großen Mengen abgebaut. Allein für den Stellnetz fischerei vor den Nordsee inseln Vom Tanker über Kreuzfahrtschiffe bis Schutz der Nordseeinsel Sylt werden jähr- Sylt und Amrum sowie die Ostseegebiete hin zu den Sportbooten: Zunehmender lich bis zu eine Million Kubikmeter Sand Pommersche Bucht und Oderbank. Anders Schiffsverkehr verursacht einen immer aus der Nordsee vor die Küste gespült. lasse sich das jährliche Sterben der stark größeren Ausstoß von Abgasen und Lärm. Auch die Windkraftanlagen, so dringend gefährdeten Schweinswale, Deutschlands Mehr als 300.000 Schiffe fahren Jahr für erforderlich sie sind, beeinträchtigen den einziger Walart, in den Fangnetzen nicht Jahr durch die deutsche Nordsee. Die Ost- Lebensraum der Tiere. aufhalten. Nur ein Prozent des Bestandes see gehört mit mehr als 50.000 Schiffs Die von der Bundesregierung angestrebte dürfte auf diese Weise sterben, damit die passagen pro Jahr allein im Fehmarnbelt Verringerung der Nährstoffbelastung durch Population keine nachhaltige Störung er- zu den Gewässern der Welt mit der höchs- eine Verminderung des Stickstoffeintrags in fährt – es sind jedoch bis zu 18 Prozent. n 11
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