Begutachtungs-leitlinien zur Kraftfahreignung

 
WEITER LESEN
Begutachtungs-
                                                                                               leitlinien zur
                                                                                          Kraftfahreignung
                                                                                                Gültig ab 1. Mai 2014

                                     Heft M 115
                                     Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen

                                                                                                       Berichte der
                                                                                   Bundesanstalt für Straßenwesen
                                                                                          Mensch und Sicherheit   Heft M 115
            ISSN 0943-9315
            ISBN 978-3-95606-082-3

20140425_Umschlag M 115.indd 1                                                                                                 06.05.14 06:15
Begutachtungs-
                                             leitlinien zur
                                        Kraftfahreignung
                                              Gültig ab 1. Mai 2014

                                                                  bearbeitet von

                                                       Dr. med. Nicole Gräcmann
                                                        Dr. med. Martina Albrecht

                                                  Bundesanstalt für Straßenwesen

                                                     Berichte der
                                 Bundesanstalt für Straßenwesen
                                        Mensch und Sicherheit     Heft M 115

20140425_Umschlag M 115.indd 2                                                      06.05.14 06:15
Die Bundesanstalt für Straßenwesen
                   veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs-
                   ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe
                   besteht aus folgenden Unterreihen:
                   A - Allgemeines
                   B - Brücken- und Ingenieurbau
                   F - Fahrzeugtechnik
                   M - Mensch und Sicherheit
                   S - Straßenbau
                   V - Verkehrstechnik
                   Es wird darauf hingewiesen, dass die unter
                   dem Namen der Verfasser veröffentlichten
                   Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des
                   Herausgebers wiedergeben.
                   Nachdruck und photomechanische Wieder-
                   gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi-
                   gung der Bundesanstalt für Straßenwesen,
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
                   Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen können
                   direkt bei der Carl Schünemann Verlag GmbH,
                   Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen,
                   Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden.
                   Über die Forschungsergebnisse und ihre
                   Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im
                   Informationsdienst Forschung kompakt berichtet.
                   Dieser Dienst wird kostenlos angeboten;
                   Interessenten wenden sich bitte an die
                   Bundesanstalt für Straßenwesen,
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit.
                   Ab dem Jahrgang 2003 stehen die Berichte der
                   Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)
                   zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen
                   BASt-Archiv ELBA zur Verfügung.
                   http://bast.opus.hbz-nrw.de

                   Impressum

                   Bericht zum Forschungsprojekt F 1100.4388001
                   der Bundesanstalt für Straßenwesen
                   Herausgeber
                   Bundesanstalt für Straßenwesen
                   Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach
                   Telefon: (0 22 04) 43 - 0
                   Telefax: (0 22 04) 43 - 674
                   Redaktion
                   Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit
                   Druck und Verlag
                   Fachverlag NW in der
                   Carl Schünemann Verlag GmbH
                   Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen
                   Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53
                   Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48
                   www.schuenemann-verlag.de
                   ISSN 0943-9315
                   ISBN 978-3-95606-082-3
                   Bergisch Gladbach, Mai 2014

20140425_Impressum M 115.indd 1                                           25.04.14 16:00
3

Kurzfassung – Abstract

Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung         Evaluation guidelines for driving ability

Die Begutachtungsleitlinien sind eine Zusammen-      The evaluation guidelines are a compilation of
stellung eignungsausschließender oder eignungs-      physical and/or mental handicaps that make people
einschränkender körperlicher und/oder geistiger      unable to drive or limit their driving ability. They are
Mängel und sollen die Begutachtung der Kraftfahr-    intended to ease the case-by-case evaluation of
eignung im Einzelfall erleichtern. Sie dienen als    driving ability. They are also intended as a
Nachschlagewerk für Begutachtende, die Fahr-         reference tool for evaluators who have to judge
erlaubnisbewerber oder -inhaber in Bezug auf ihre    driving licence applicants or holders with regard to
Kraftfahreignung beurteilen.                         their ability to drive.

In der 6. Auflage im Jahr 2000 wurden die Begut-     The evaluation guidelines “Disease and road traffic“
achtungsleitlinien „Krankheit und Kraftverkehr“      (5th edition, 1996) and the “Psychological expertise
(5. Auflage 1996) und das „Psychologische Gut-       on driving ability“ dated 1995 were combined for the
achten Kraftfahreignung“ von 1995 zusammenge-        6th edition. The Federal Highway Research Institute
führt. Für die weitere Überarbeitung wurden unter    (BASt) coordinated the assembly of expert groups,
der Federführung der Bundesanstalt für Straßen-      including representatives of the respective
wesen (BASt) und unter Beteiligung der jeweiligen    professional bodies for further revision. The
Fachgesellschaften Expertengruppen einberufen,       guidelines are revised and then published online
die die Leitlinien kapitelweise überarbeiten. Die    after approval by the Federal Ministry for Transport
überarbeiteten Leitlinien werden nach Zustimmung     and Digital Infrastructure.
des Bundesministeriums für Verkehr und digitale
Infrastruktur online veröffentlicht.                 The general section of the guidelines contains basic
                                                     evaluation instructions and deals with the selection
Im allgemeinen Teil der Leitlinien werden grund-     and legal position of the evaluators as well as the
sätzliche Beurteilungshinweise, Auswahl und          requirements for mental capabilities and possible
rechtliche Stellung der Begutachtenden sowie die     ways to compensate for handicaps. The chapters of
Anforderungen an die psychische Leistungsfähig-      the special section relate to physical and mental
keit und die Möglichkeiten der Kompensation von      handicaps that can have a long-term impact on the
Mängeln dargelegt. Im speziellen Teil werden in      capabilities relevant for the control of a motor
einzelnen Kapiteln körperliche und geistige Krank-   vehicle and therefore on road safety.
heiten und Mängel behandelt, die längerfristige
Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit beim
Führen eines Kraftfahrzeugs haben, und somit die
Sicherheit im Straßenverkehr gefährden können.
5

Inhalt

Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      7   3.8       Lungen- und Bronchial-
                                                                                    erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         24
1        Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        7   3.9       Krankheiten des Nervensystems . . . .                      25
1.1      Entstehung der Leitlinien . . . . . . . . . . .              7   3.9.1     Erkrankungen und Folgen von
1.2      Zuordnung der Fahrerlaubnis-                                               Verletzungen des Rückenmarks. . . . .                      25
         klassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    7   3.9.2     Erkrankungen der neuromuskulären
2        Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . .         7             Peripherie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     25

2.1      Grundsätzliche Beurteilungs-                                     3.9.3     Parkinsonsche Krankheit, Parkinsonis-
         hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     7             mus und andere extrapyramidale
                                                                                    Erkrankungen einschließlich
2.2      Auswahl des Gutachters. . . . . . . . . . . .                8
                                                                                    zerebellarer Syndrome . . . . . . . . . . . . 26
2.3      Rechtliche Stellung des Gutachters . . .                     9
                                                                          3.9.4     Kreislaufabhängige Störungen der
2.4      Inhalt und Aufgabe der                                                     Hirntätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     27
         Begutachtungsleitlinien. . . . . . . . . . . . .             9
                                                                          3.9.5     Zustände nach Hirnverletzungen
2.5      Anforderungen an die psychische                                            und Hirnoperationen, angeborene
         Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .        10             und frühkindlich erworbene Hirn-
2.6      Kompensation von Eignungs-                                                 schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .      27
         mängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     12   3.9.6     Epileptische Anfälle und
2.7      Kumulierte Auffälligkeiten . . . . . . . . . . .            13             Epilepsien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .     28
                                                                          3.10      Störungen des Gleichgewichts-
3        Spezieller Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       13             sinnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   31
3.1      Sehvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         13   3.11      Tagesschläfrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .         38
3.2      Hörvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         13   3.12      Psychische Störungen . . . . . . . . . . . .               41
3.3      Bewegungsbehinderungen . . . . . . . . . .                  15   3.12.1 Organisch-psychische
                                                                                 Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .         41
3.4      Herz- und Gefäßkrankheiten . . . . . . . .                  15
3.4.1 Herzrhythmusstörungen . . . . . . . . . . . .                  15   3.12.2 Demenz und organische
                                                                                 Persönlichkeitsveränderungen . . . . . .                      41
3.4.2 Hypertonie (Blutdruckkrankheit,
      zu hoher Blutdruck) . . . . . . . . . . . . . . .              17   3.12.3 Altersdemenz und Persönlichkeits-
                                                                                 veränderungen durch pathologische
3.4.3 Hypotonie (zu niedriger Blutdruck) . . . .                     17          Alterungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . .               42
3.4.4 Koronare Herzkrankheit                                              3.12.4 Affektive Psychosen . . . . . . . . . . . . . .               42
      (Herzinfarkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .        18
                                                                          3.12.5 Schizophrene Psychosen . . . . . . . . . .                    43
3.4.5 Herzleistungsschwäche durch
      angeborene oder erworbene Herz-                                     3.13      Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    44
      fehler oder sonstige Ursachen . . . . . . .                    19   3.13.1 Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          44
3.4.6 Periphere Gefäßerkrankungen . . . . . . .                      20   3.13.2 Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .          45
3.5      Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . .         20   3.14      Betäubungsmittel und Arzneimittel . . .                    47
3.6      Nierenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . .            23   3.14.1 Sucht (Abhängigkeit) und
3.7      Organtransplantationen . . . . . . . . . . . .              24          Intoxikationszustände . . . . . . . . . . . . .               47
6

3.14.2 Dauerbehandlung mit
       Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       48
3.15      Intellektuelle Leistungsein-
          schränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .       49
3.16      Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   50
3.17      Verstöße gegen verkehrsrechtliche
          Vorschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .    51
3.18      Auffälligkeiten bei der Fahr-
          erlaubnisprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . .       52
3.19      Fahrgastbeförderung . . . . . . . . . . . . .            53
3.20      Ausnahmen vom Mindestalter . . . . . .                   53

Anhang A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   55

Anhang B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   55
7

Präambel                                                Gruppe 1: Führer von Fahrzeugen der Klassen A,
                                                                  A1, A2, B, BE, AM, L, T
Die Begutachtungsleitlinien basieren auf den Aus-
                                                        Gruppe 2: Führer von Fahrzeugen der Klassen C,
führungen der Europäischen Führerscheinrichtlinie
                                                                  C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und die
sowie der Fahrerlaubnis-Verordnung. Sie tragen
                                                                  Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung
sowohl der Entwicklung der Eignungsbegutachtung
                                                                  (FzF)
auf medizinischem Gebiet als auch der Entwicklung
auf psychologischem Gebiet Rechnung. Die Leit-
linien dienen der Einzelfallgerechtigkeit und tragen
so dazu bei, die Mobilität zu sichern.                  2    Allgemeiner Teil
                                                        2.1 Grundsätzliche
                                                            Beurteilungshinweise
1    Einführung
                                                        Die Aufgabe der Begutachtungsleitlinien besteht
1.1 Entstehung der Leitlinien                           darin, Beurteilungsgrundsätze aufzuzeigen, die den
                                                        Gutachtern (gem. § 11 Abs. 2-4 und den §§ 13 und
Das Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr” wurde        14 FeV) als Entscheidungshilfe für den Einzelfall
erstmals 1973 publiziert, die fünfte Auflage erfolgte   dienen sollen. Fachwissenschaftliche Grundlagen
1996. Das „Psychologische Gutachten Kraftfahreig-       für Fahreignungsbegutachtungen, z. B. von Fach-
nung” wurde 1995 veröffentlicht. Als Zusammen-          gesellschaften, die den Stand der Wissenschaft
führung dieser beiden Gutachten erschienen im           und Technik darstellen, sind als Empfehlungen ein-
Jahr 2000 die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahr-    zubeziehen.
eignung als 6. Auflage.
                                                        Bei der Erstellung der Beurteilungsgrundsätze wur-
Um der zunehmenden Spezialisierung Rechnung             den sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen zur Teil-
zu tragen und auf wissenschaftliche Erkenntnisse        nahme am motorisierten Straßenverkehr als auch
und die Änderung rechtlicher Grundlagen schneller       das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit
reagieren zu können, beauftragte das damalige           berücksichtigt.
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
                                                        Bei der Beurteilung der Fahreignung wird davon
wicklung die Bundesanstalt für Straßenwesen, die
                                                        ausgegangen, dass ein Betroffener ein Kraftfahr-
Überarbeitung der Leitlinien kapitelweise unter Ein-
                                                        zeug nur dann nicht sicher führen kann, wenn auf-
beziehung zuständiger Expertinnen und Experten
                                                        grund des individuellen körperlich-geistigen (psy-
sowie der jeweiligen Fachgesellschaften zu leiten
                                                        chischen) Zustandes beim Führen eines Kraftfahr-
und nach Genehmigung durch Bund und Länder zu
                                                        zeugs Verkehrsgefährdung zu erwarten ist.
veröffentlichen. Die Überarbeitung erfolgt kontinu-
ierlich durch eine Expertengruppe für jedes Kapitel.    Für die gerechtfertigte Annahme einer Verkehrsge-
Die Fertigstellung eines Kapitels wird jeweils im       fährdung muss die nahe durch Tatsachen begrün-
Internet veröffentlicht. Die letzte Druckauflage mit    dete Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schädi-
Stand 2009 erschien im Dezember 2010. Die vor-          gungsereignisses gegeben sein.
liegende Druckauflage entspricht der zum 1.5.2014
                                                        Die Möglichkeit – die niemals völlig auszuschließen
online veröffentlichten Fassung.
                                                        ist –, dass es trotz sorgfältiger Abwägung aller Um-
                                                        stände einmal zu einem Schädigungsereignis kom-
                                                        men kann, wird für die Fälle der empfohlenen posi-
1.2 Zuordnung der                                       tiven oder bedingt positiven Begutachtung hinge-
    Fahrerlaubnisklassen                                nommen. Die Grenze zwischen den Bereichen po-
Die Einteilung der Fahrerlaubnisklassen wird in § 6     sitiv (auch bedingt positiv) bzw. negativ zu beurtei-
und § 6a der jeweils gültigen Fahrerlaubnisverord-      lender Fälle ist nur unter Beachtung des Einzelfalls
nung (FeV) geregelt.                                    zu ziehen. Dass Kompensationen durch besondere
                                                        menschliche Veranlagungen, durch Gewöhnung,
Für die Zwecke der Begutachtungsleitlinien werden       durch besondere Einstellung oder durch besondere
die Klassen entsprechend des jeweils gültigen           Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich
Anhangs III der EU-Führerscheinrichtlinie und der       sind, kann als erwiesen angesehen werden. Im Ein-
Anlage 4 der FeV in zwei Gruppen unterteilt:            zelfall hat jeder Gutachter unter Berücksichtigung
8

der speziellen Befundlage aber die Kompensa-            tungen, z. B. mit automatischer Kraftübertragung,
tionsfrage zu prüfen.                                   Handgasbetätigung etc.

Für die Konkretisierung des Gefährdungssachver-         Werden von einem Gutachter Beschränkungen
haltes wurde davon ausgegangen, dass er dann            empfohlen, so sollten optimale technische Bedin-
gegeben ist, wenn                                       gungen angestrebt werden, die nach Möglichkeit
                                                        auch eine Normal-Bedienung des Kraftfahrzeuges
a) von einem Kraftfahrer nach dem Grad der fest-        zulassen.
   gestellten Beeinträchtigung der körperlich-geis-
   tigen (psychischen) Leistungsfähigkeit zu erwar-     Stets sollten klare Vorstellungen über die Zweckmä-
   ten ist, dass die Anforderungen beim Führen          ßigkeit und Durchführbarkeit einer empfohlenen
   eines Kraftfahrzeuges, zu denen ein stabiles         Maßnahme bestehen. Auflagen und Beschränkun-
   Leistungsniveau und auch die Beherrschung            gen können von erheblich einschneidender Wirkung
   von Belastungssituationen gehören, nicht mehr        für einen Fahrerlaubnisinhaber oder Fahrerlaubnis-
   bewältigt werden können oder                         bewerber sein. Die Notwendigkeit für entsprechen-
                                                        de Maßnahmen muss darum beweisbar sein.
b) von einem Kraftfahrer in einem absehbaren
   Zeitraum die Gefahr des plötzlichen Versagens
   der körperlich-geistigen (psychischen) Leis-         2.2 Auswahl des Gutachters
   tungsfähigkeit (z. B. hirnorganische Anfälle, apo-
   plektische Insulte, anfallsartige Schwindelzu-       a) Zur Gutachterauswahl
   stände und Schockzustände, Bewusstseins-                Die Behörde gibt die Art der Begutachtung vor
   trübungen oder Bewusstseinsverlust u. Ä.) zu            (§ 11 Abs. 6 FeV), die Auswahl der konkreten
   erwarten ist,                                           Untersuchungsstelle bleibt dem Betroffenen
c) wegen sicherheitswidrigen Einstellungen, man-           überlassen. Innerhalb der Begutachtungsstelle
                                                           für Fahreignung soll dem Auftraggeber jedoch
   gelnder Einsicht oder Persönlichkeitsmängeln
                                                           kein Einfluss auf die Wahl der Gutachter einge-
   keine Gewähr dafür gegeben ist, dass der Fahrer
                                                           räumt werden. Nach Möglichkeit sind alle rele-
   sich regelkonform und sicherheitsgerecht verhält.
                                                           vanten Vorbefunde beizuziehen.
Ergibt die Untersuchung eines Fahrerlaubnisinha-
                                                           Sofern ein Gericht ein Gutachten für erforderlich
bers oder Fahrerlaubnisbewerbers, dass die fest-
                                                           hält, obliegt diesem die Auswahl des für die Fra-
gestellten Beeinträchtigungen der körperlich-geisti-
                                                           gestellung geeigneten und hierfür qualifizierten
gen (psychischen) Leistungsfähigkeit ein stabiles
                                                           Gutachters.
Leistungsniveau zur Beherrschung der Anforderun-
gen bedingt gewährleisten oder dass besondere           b) Zur Qualifikation des Gutachters
Bedingungen die Gefahr des plötzlichen Versagens
abwenden können, so sind die Bedingungen vorzu-            Der ärztliche oder psychologische Gutachter
schlagen, die im Einzelfall gem. § 11 Abs. 2 und           muss nicht nur über spezielle Erfahrungen in der
§ 46 FeV erfüllt werden müssen. Dabei handelt es           Verkehrsmedizin bzw. in der Verkehrspsycholo-
sich um Auflagen oder Beschränkungen der Fahr-             gie verfügen (praktische Tätigkeit, Fortbildung
erlaubnis.                                                 und Weiterbildung), sondern sich auch bereits
                                                           durch eine langfristige Tätigkeit in entsprechen-
Die Begriffe „Auflagen” und „Beschränkungen”               den Institutionen (Kliniken, Facharztpraxen bzw.
haben eine unterschiedliche rechtliche Bedeutung:          Begutachtungsstellen für Fahreignung) qualifi-
                                                           ziert haben (siehe hierzu §§ 65 bis 67 und 72
Auflagen richten sich an den Führer eines Fahrzeu-
                                                           FeV). Bei speziellen medizinischen Fragestel-
ges, z. B. sich in bestimmten zeitlichen Abständen
                                                           lungen ist die fachärztliche Begutachtung
ärztlichen Nachuntersuchungen zu unterziehen
                                                           sicherzustellen.
oder beim Führen eines Kraftfahrzeuges stets eine
Brille zu tragen etc.                                   c) Zur Vermeidung des Vorwurfs der Parteilichkeit
                                                           des Gutachters
Beschränkungen betreffen das Fahrzeug: Sie be-
schränken den Geltungsbereich einer erteilten              Dieselben Gründe, die einen Zeugen berechti-
Fahrerlaubnis auf bestimmte Fahrzeugarten oder             gen, das Zeugnis zu verweigern (siehe hierzu
auf bestimmte Fahrzeuge mit besonderen Einrich-            u. a. §§ 52 bis 53a StPO), berechtigen einen
9

   Sachverständigen zur Verweigerung des Gut-          a) die Verwaltungsbehörden und
   achtens. Gibt es einen solchen Anlass, dann
   sollte der Gutachter das den Verfahrensbeteilig-    b) die Gerichte.
   ten mitteilen und den Gutachtenauftrag nicht        Das Gutachten ist eine Hilfe, die der Rechtsinstanz
   übernehmen. Das gleiche Recht steht auch dem        durch begründete Aussagen über das mögliche
   Betroffenen zu.                                     künftige Versagen oder Verhalten eines Fahr-
   Nachdem der Gesetzgeber dies (u. a. § 76            erlaubnisinhabers oder Fahrerlaubnisbewerbers
   StPO) jedem Sachverständigen einräumt, sollte       die rechtliche Entscheidung begründbar machen
   jeder vor Annahme eines Gutachtenauftrages          soll; insbesondere soll es aufzeigen, welche Gefah-
   überprüfen, ob Sachverhalte vorliegen, die An-      ren von gegebenen Krankheiten, Defekten, Leis-
   lass zum Vorwurf der Besorgnis der Befangen-        tungsmängeln oder anderen Sachverhalten ausge-
   heit eines Sachverständigen geben könnten,          hen. Die Beurteilung der Sachlage durch den je-
   was zur Ablehnung führen kann.                      weils zuständigen Gutachter muss daher klar, fol-
                                                       gerichtig, widerspruchsfrei und verständlich –
   Angesichts der Vielzahl von Gründen, die es
                                                       grundsätzlich auch für den Auftraggeber – sein.
   rechtfertigen, einen Gutachtenauftrag abzuleh-
                                                       Rechtsbegriffe wie „geeignet” oder „ungeeignet” hat
   nen, sollte der Sachverständige jeden Anschein
                                                       der Gutachter nicht zu verwenden. Adressat der An-
   vermeiden, der für eine Befangenheit sprechen
                                                       ordnung, ein Eignungsgutachten beizubringen, ist
   oder dahingehend ausgelegt werden könnte.
                                                       der betroffene Fahrerlaubnisbewerber oder -inha-
   Dazu gehört im weitesten Sinne auch der Ver-        ber. Er – nicht die Behörde – ist Auftraggeber der
   dacht, im Dienst des zu Begutachtenden zu ste-      Begutachtung und damit auch Vertragspartner und
   hen, falls zuvor der zum Sachverständigen Er-       Kostenschuldner des Gutachters bzw. der begut-
   nannte gegen Honorar beraten bzw. therapiert        achtenden Stelle. Ihm, dem Betroffenen, steht auch
   hat. Dies gilt gleichermaßen für den Arzt wie für   die Auswahl des Gutachters bzw. bei einer Begut-
   den Psychologen (§ 11 Abs. 2 letzter Satz FeV).     achtungsstelle für Fahreignung die Auswahl der
   In begründeten Ausnahmefällen ist die Begut-        Stelle (siehe Kapitel 2.2 a) „Zur Gutachterauswahl“)
   achtung durch den behandelnden Arzt nicht           zu – natürlich im Rahmen der Vorgaben, die die be-
   ausgeschlossen.                                     hördliche Anordnung hinsichtlich der Art der Begut-
                                                       achtung setzt. Er – und nicht die Behörde – hat An-
d) Nach Weisung der jeweiligen obersten Landes-
                                                       spruch auf die Aushändigung des Gutachtens. Nur
   behörden können die Fahrerlaubnisbehörden
                                                       mit seiner ausdrücklichen Zustimmung darf das
   zusätzliche Gutachten anfordern, die von Per-
                                                       Gutachten unmittelbar der Behörde oder Dritten zu-
   sönlichkeiten mit herausragender Qualifikation
                                                       geleitet werden, sonst steht die Schweigepflicht
   erstattet werden und die dazu besonders be-
                                                       (§ 203 StGB) entgegen.
   nannt worden sind.

                                                       2.4 Inhalt und Aufgabe der
2.3 Rechtliche Stellung des
                                                           Begutachtungsleitlinien
    Gutachters
                                                       Es ist nicht Aufgabe der Leitlinien, alle vorkommen-
Bei allen Gutachtern ist zu beachten, dass sie ge-
                                                       den Leistungseinschränkungen eines Menschen zu
genüber einer rechtlich verantwortlichen und darum
                                                       berücksichtigen und zu prüfen, ob die festgestellten
entscheidenden Instanz (Behörden, Gerichte) stets
                                                       Beeinträchtigungen ein stabiles oder bedingt stabi-
nur die Stellung eines Beraters haben. Dabei bleibt
                                                       les Leistungsniveau gewährleisten oder u. U. zu
unbestritten, dass je nach Sachlage nur der Arzt
                                                       einem plötzlichen Leistungszusammenbruch führen
oder der Psychologe die Kompetenz hat, eine
                                                       könnten. Es werden nur solche körperlich-geistigen
Krankheit oder einen Mangel festzustellen und sich
                                                       (psychischen) Mängel in die Begutachtungsleit-
zur Prognose im Hinblick auf die Auswirkung bei
                                                       linien einbezogen, deren Auswirkungen die Leis-
Teilnahme eines Betroffenen am motorisierten Stra-
                                                       tungsfähigkeit eines Kraftfahrers häufig längere
ßenverkehr zu äußern.
                                                       Zeit beeinträchtigen oder aufheben. Für akute, vor-
Daraus ergibt sich die Leistung des Gutachters: Er     übergehende, sehr selten vorkommende oder nur
soll die rechtlichen Folgerungen ableitbar machen.     kurzzeitig anhaltende Erkrankungen (grippale In-
Die Folgerungen selbst treffen nur                     fekte, akute infektiöse Magen-Darm-Störungen,
10

aber auch Migräne, Heuschnupfen, Asthma etc.) ist       rechtfertigt hält, muss er seine Beurteilung sehr
es dem Verantwortungsbewusstsein jedes Ver-             ausführlich und mit entsprechenden Hinweisen auf
kehrsteilnehmers aufgegeben, durch kritische            die zugrunde gelegte Fachliteratur begründen.
Selbstprüfung festzustellen, ob er unter den jeweils
gegebenen Bedingungen noch am Straßenverkehr,
insbesondere am motorisierten Straßenverkehr,           2.5 Anforderungen an die psychische
teilnehmen kann oder nicht (siehe § 2 Abs. 1 der            Leistungsfähigkeit
FeV). In Zweifelsfällen bleibt stets die Möglichkeit,
einen Arzt zu befragen, dessen Rat sich bei even-       Zweifel an der psychischen Leistungsfähigkeit kön-
tuellen Komplikationen nach den allgemeinen Beur-       nen sich ergeben wegen einer Minderung der opti-
teilungsgrundsätzen (siehe Kapitel 2.1 „Grundsätz-      schen Orientierung, der Konzentrationsfähigkeit,
liche Beurteilungshinweise“) richten wird. Die Beur-    der Aufmerksamkeit, der Reaktionsfähigkeit und
teilung von Erkrankungen, die sich auf mehrere          der Belastbarkeit.
Organsysteme erstrecken, muss den Begutach-
                                                        Psychische Leistungsmängel können sich folgen-
tungsleitlinien folgen, die für diese Krankheitsgrup-
                                                        dermaßen auswirken:
pen vorgesehen sind; hierbei ist zu beachten, dass
die Auswirkungen der einzelnen Krankheiten oder         -   Optische Informationen werden in ihrem Bedeu-
Behinderungen sich gegenseitig ungünstig beein-             tungsgehalt nicht ausreichend schnell und si-
flussen können. Für alle Auswirkungen der im Fol-           cher wahrgenommen.
genden aufgeführten Leiden hat der Verkehrsteil-
nehmer stets die Hauptlast der Verantwortung zu         -   Die Zielorientierung im jeweiligen optischen Um-
tragen. Diese Leitlinien geben Gutachtern und allen         feld, d. h. im Verkehrsraum, gelingt nicht oder
verantwortlichen behördlichen Instanzen für ihre            nicht sicher oder nur mit einem so deutlich er-
Tätigkeit im Rahmen der vorbeugenden Gefahren-              höhten Zeitaufwand, dass daraus in der konkre-
abwehr Entscheidungshilfen.                                 ten Verkehrssituation eine Gefährdung entste-
                                                            hen würde.
Die Aufgabe der Begutachtungsleitlinien wird erfüllt
mit der Zusammenstellung eignungsausschließen-          -   Die Konzentration ist zeitweilig oder dauernd
der oder eignungseinschränkender körperlich-                gestört in der Weise, dass die jeweils anstehen-
geistiger (psychischer) und charakterlicher Mängel          de Fahraufgabe aufgrund von Abgelenktsein
beim Fahrerlaubnisbewerber und Fahrerlaubnis-               oder Fehldeutungen verkannt oder fehlerhaft
inhaber. Es sind die ärztlichen und verkehrspsy-            gelöst wird.
chologischen Erkenntnisse und Erfahrungen, die
hier ihren Niederschlag finden und die in der Ab-       -   Die Aufmerksamkeitsverteilung ist unzulänglich,
stimmung mit der FeV die Praxis der Begutachtung            weil nur ein Teilbereich der für den Kraftfahrer
des Einzelfalles erleichtern sollen. Da alle aufge-         bedeutsamen Informationen erfasst wird
führten Beurteilungsleitsätze und -begründungen             und/oder bei Situationswechsel, z. B. nach einer
sehr eingehende Beratungen unter Einbeziehung               Phase der Monotonie, neue Informationen der
aktueller Stellungnahmen aller relevanten medizini-         Aufmerksamkeit entgehen.
schen und psychologischen Fachgesellschaften
                                                        -   Die Aufmerksamkeitsbelastbarkeit ist zu gering,
und gutachtliche Erfahrungen zur Grundlage haben,
                                                            weil es unter Stress oder nach länger andauern-
kann sich der Gutachter im Einzelfall auf diese Be-
                                                            der Beanspruchung zu fehlerhaften Wahrneh-
gutachtungsleitlinien beziehen und muss nicht jede
                                                            mungen, Interpretationen oder Reaktionen
gutachtliche Schlussfolgerung eingehend erläutern.
                                                            kommt.
Die Leitsätze der Begutachtungsleitlinien ersetzen
nicht die Begründung des Gutachtens im Einzelfall.      -   Notwendige motorische Reaktionen setzen zu
Es bleibt eine Aufgabe des Gutachters, den Mangel           spät ein und/oder werden stark verzögert aus-
individuell zu interpretieren und so einen Bezug des        geführt.
Mangels zu den Begutachtungsleitlinien in ver-
ständlicher Weise herzustellen. Wenn der Gutach-        -   Reaktionen erfolgen unsicher, eventuell vor-
ter jedoch unter besonderen, von der Regel abwei-           schnell und situationsunangemessen, oder wer-
chenden Umständen des Einzelfalls ein Abweichen             den unpräzise, motorisch ungeschickt, „über-
von den aufgeführten Beurteilungsleitsätzen für ge-         schießend” oder überhastet ausgeführt.
11

-   Die psychischen Leistungen sind instabil in dem              -   Grenzwertunterschreitungen sind zwar nicht als
    Sinne, dass die erforderliche Ausgewogenheit                     situationsbedingt anzusehen, werden aber
    zwischen Schnelligkeit und Sorgfaltsleistung                     durch stabile Leistungen in den anderen Verfah-
    fehlt.                                                           ren ausgeglichen, so dass eine Mängelkumula-
                                                                     tion ausgeschlossen ist.
Die psychische Leistungsfähigkeit wird mit geeig-
neten, objektivierbaren psychologischen Testver-                 -   Bei Grenzwertunterschreitungen kann durch Er-
fahren untersucht. Ausschlaggebend ist, ob die                       gebnisse weiterer Verfahren (Ergänzungsver-
Mindestanforderungen erfüllt werden.                                 fahren, Verhaltensbeobachtung, Wiederho-
                                                                     lungsuntersuchung) nachgewiesen werden,
Die Frage nach der Verursachung psychischer                          dass das aus den Leistungsresultaten zu er-
Leistungsmängel steht dabei nicht im Vordergrund.                    schließende Risiko durch das Kompensations-
Ursächlich kommen u. a. auch psychische Krank-                       potenzial (vorausschauendes Denken, ausge-
heiten in Betracht (siehe Kapitel 3 „Spezieller Teil“),              prägtes Risikobewusstsein, sicherheitsbetonte
z. B. Demenz, organische Persönlichkeitsverände-                     Grundhaltung) angemessen gemindert werden
rung und andere organisch-psychische Störungen                       kann.
sowie intellektuelle Minderbegabung. Die Verursa-
chung und die medizinische Diagnose sollen durch                 -   Auch wenn von einem Inhaber einer Fahr-
den Arzt und speziell durch den Psychiater mög-                      erlaubnis, der sich bereits in der Fahrpraxis be-
lichst genau erfasst werden, auch weil sich hieraus                  währt hat, in den Leistungsprüfverfahren insge-
Hinweise für die Behandlung (und damit ggf. für die                  samt unzureichende Leistungen erzielt wurden,
Verbesserung der Fahreignung) sowie Hinweise für                     konnte der Betreffende aber doch in einer Fahr-
die Prognose der Erkrankung und der Fahreignung                      verhaltensprobe nachweisen, dass die in der
ergeben können. Die Feststellung der aktuellen                       (ungewohnten) Testsituation festgestellten Min-
psychischen Leistungsfähigkeit bzw. Leistungs-                       derleistungen sich auf das gelernte Fahrverhal-
mängel ist aber diagnose-übergreifend bzw. diag-                     ten nicht entscheidend negativ auswirken.
nose-unabhängig, d. h., sie gilt auch dann, wenn
eine Diagnose nicht oder nicht mit Sicherheit ge-                -   Es liegen keine Hinweise auf verkehrsmedizi-
stellt werden kann.                                                  nisch relevante eignungseinschränkende oder
                                                                     eignungsausschließende Eignungsmängel vor,
Die Zweifel können in der Regel als ausgeräumt                       z. B. Mängel des „Sehvermögen“s (Kapitel 3.1),
gelten, wenn sich eine der folgenden Feststellun-                    „Bewegungsbehinderungen“ (Kapitel 3.3),
gen treffen lässt:                                                   „Herz- und Gefäßkrankheiten“ (Kapitel 3.4).

                                                                 Früheres verkehrsgefährdendes Verhalten ist in die
Gruppe 1                                                         Bewertung der Leistungsfähigkeit einzubeziehen.
-   Der Prozentrang 161 wurde, bezogen auf alters-
                                                                 Ein Kraftfahrer bzw. ein Bewerber um eine Fahr-
    unabhängige Normwerte, in allen eingesetzten
                                                                 erlaubnis kann trotz psychischer Leistungsmängel
    Leistungstests erreicht oder überschritten.
                                                                 gemäß § 11 Abs. 2 FeV zum Führen von Kraftfahr-
-   Grenzwertunterschreitungen (Prozentrang < 16)                zeugen bedingt geeignet sein.
    sind nur situationsbedingt (störende Faktoren
                                                                 Die Feststellung der bedingten Eignung kommt in
    bei der Testdurchführung, Unausgeruhtsein
                                                                 Betracht, wenn zwar gravierende Leistungsbeein-
    nach Nachtarbeit o. Ä.) und damit nicht aussa-
                                                                 trächtigungen bestehen und deshalb eine uneinge-
    gefähig.
                                                                 schränkte Fahrtätigkeit im Rahmen der beantragten
                                                                 oder bereits erteilten Fahrerlaubnisklasse nicht in
                                                                 Frage kommt, aber das Risiko durch geeignete Auf-
                                                                 lagen und Beschränkungen auf ein vertretbares
1 Die Ergebnisse für die Leistungstests sind in Prozenträngen    Maß zu reduzieren ist.
  (PR) ausgedruckt. Ein Prozentrang sagt aus, wie viele Per-
  sonen einer vergleichbaren Stichprobe schlechtere Leistun-
                                                                 Geeignete Auflagen und Beschränkungen sind:
  gen erzielen als der Untersuchte. Der PR für die bestmög-
  liche Leistung ist 100, für die geringste Leistung 0. Ein PR   -   die Fahrtätigkeit wird nur unter bestimmten Auf-
  von 70 bedeutet, 30 % sind besser, 70 % sind schlechter.           lagen (z. B. Einhaltung einer Höchstgeschwin-
12

     digkeit, Fahren nur innerhalb festgelegter Lenk-   ausfällen bzw. fahreignungsrelevanten Defiziten
     zeiten) ausgeübt,                                  durch andere Funktionssysteme verstanden.

-    die Fahrtätigkeit wird nur innerhalb eines be-     Die Kompensation von chronischen, überdauern-
     grenzten Umkreises gestattet,                      den Eignungsmängeln kann z. B. erfolgen

-    die Fahrtätigkeit wird auf eine bestimmte Fahr-    -   durch technische oder medizinisch-technische
     zeugart oder ein bestimmtes Fahrzeug be-               Maßnahmen, z. B. Umbauten von Kraftfahrzeu-
     schränkt (z. B. auf Fahrzeuge mit einer bauart-        gen für Behinderte oder Einsatz von Prothesen,
     bedingten reduzierten Höchstgeschwindigkeit).
                                                        -   durch Arzneimittelbehandlung von Krankheiten,
Voraussetzung für die Erteilung einer einge-
                                                        -   durch psychische Qualitäten, z. B. besondere
schränkten Fahrerlaubnis ist die nachvollziehbar zu
                                                            Umsicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftig-
erwartende Praktikabilität und Effektivität der Auf-
                                                            keit, die den Kraftfahrer veranlassen, z. B. am
lagen und/oder Beschränkungen.
                                                            motorisierten Straßenverkehr bei Dämmerung
                                                            oder Dunkelheit nicht teilzunehmen, oder Leis-
Gruppe 2                                                    tungsdefizite, z. B. bei älteren Kraftfahrern, oder
                                                            auch Persönlichkeitsstörungen auszugleichen
Es gelten sinngemäß die Ausführungen zur
Gruppe 1.                                               -   oder durch deren Zusammenwirken.

Darüber hinaus gilt die erhöhte Anforderung, dass in    Die Kompensationsmöglichkeiten bei Einschrän-
der Mehrzahl der eingesetzten Verfahren der Pro-        kung der psychischen Leistungsfähigkeit (siehe Ka-
zentrang 33 – gemessen an altersunabhängigen            pitel 2.5 „Anforderungen an die psychische Leis-
Normwerten – erreicht oder überschritten werden         tungsfähigkeit“) sind, wenn es in Teilbereichen zu
muss, dass aber der Prozentrang 16 in den rele-         Minderleistungen kommt, nur in begrenztem Maße
vanten Verfahren ausnahmslos erreicht sein muss.        gegeben. Sie sind umso geringer, je krasser der
                                                        Leistungsausfall in einem Teilbereich oder je vielfäl-
Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn in ein-         tiger die Leistungseinschränkungen – im Sinne
zelnen Untertests bei Abweichungen nach unten           einer Mängelkumulation – sind.
Kompensationsmöglichkeiten gegeben sind. Ande-
rerseits muss sichergestellt werden, dass eine          Kompensationsfaktoren sind
Kumulation ausgeschlossen ist (siehe Gruppe 1).
                                                        -   eine trotz einzelner funktionaler Mängel insge-
In Zweifelsfällen ist eine Fahrverhaltensprobe              samt gesehen ausreichende intellektuelle Leis-
durch den psychologischen Gutachter vorzuneh-               tungsfähigkeit, die ein vorausschauendes Fah-
men (Gruppe 1 und 2).                                       ren bzw. eine Früherkennung von Gefahren-
                                                            situationen ermöglicht,

                                                        -   mindestens normgerechte körperliche, insbeson-
2.6 Kompensation von Eignungs-                              dere sinnesphysiologische Voraussetzungen,
    mängeln
                                                        -   (bei Fahrerlaubnisinhabern) Vertrautheit mit
Bei der Beurteilung von festgestellten Eignungs-            dem Führen von Kraftfahrzeugen,
mängeln ist die Frage ihrer möglichen Kompensier-
barkeit von zentraler Bedeutung.                        -   eine sicherheits- und verantwortungsbewusste
                                                            Grundeinstellung, die erwarten lässt, dass die
Die Verfügbarkeit der erforderlichen Leistungs -            Unzulänglichkeiten der eigenen Leistungsaus-
fähigkeit ist keine stabile Größe. Sie unterliegt           stattung selbstkritisch reflektiert wurden und
vorübergehenden Beeinträchtigungen, die z. B. in-           diese beim Fahrverhalten berücksichtigt wer-
folge Ermüdung, Stress, Alkohol und Drogen ein-             den.
treten können, und sie kann durch chronische Be-
                                                        Wenn chronische Eignungsmängel einer ständigen
einträchtigungen vermindert oder gestört sein, z. B.
                                                        Kompensation bedürfen, kann die Eignung nur
infolge Krankheiten oder Verhaltensstörungen.
                                                        noch bedingt gegeben sein. Der betreffende Kraft-
Unter Kompensation wird die Behebung oder der           fahrer darf nur unter festgelegten Beschränkungen
Ausgleich von Leistungsmängeln oder Funktions-          oder Auflagen der Fahrerlaubnis am motorisierten
13

Verkehr teilnehmen (siehe Kapitel 2.1 „Grundsätz-        3    Spezieller Teil
liche Beurteilungshinweise“).
                                                         3.1 Sehvermögen
Eine risikoarme Verkehrsteilnahme ist bei bedingter
Eignung nur dann gewährleistet, wenn der betref-         In der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) sind die An-
fende Kraftfahrer die erforderliche Sensibilität, Kri-   forderungen an das Sehvermögen im § 12 und der
tikfähigkeit und die nötige Zuverlässigkeit besitzt,     Anlage 6 geregelt.
um die geforderte Verfügbarkeit der notwendigen
kompensatorischen Funktionen für eine situations-        Über die jeweils aktuelle Fassung der Fahrerlaub-
angepasste Leistung aufrecht zu erhalten und ein-        nis-Verordnung informiert das Bundesministerium
setzen zu können, d. h. die Regeln des Straßen-          der Justiz in Zusammenarbeit mit der juris GmbH
verkehrs und die Auflagen und Beschränkungen             kostenlos im Internet unter:
der Fahrerlaubnis zu beachten.                           www.gesetze-im-internet.de.

Es ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des          Die amtliche Fassung eines Gesetzes oder einer
Ausmaßes und der zu erwartenden Verlaufsformen           Rechtsverordnung enthält nach geltendem Recht
einer vorliegenden Funktionseinschränkung oder           nur die Papierausgabe des Bundesgesetzblattes,
Krankheit die Selbstbeobachtung, Selbstkontrolle         das vom Bundesministerium der Justiz herausge-
und Zuverlässigkeit (compliance) des Fahrerlaub-         geben wird und über die Bundesanzeiger Verlags-
nisbewerbers ausreichen, um die notwendigen the-         gesellschaft mbH, Amsterdamer Straße 192,
rapeutischen Maßnahmen vor dem Benutzen eines            50735 Köln, bezogen werden kann.
Kraftfahrzeuges zu beachten oder ggf. das Kraft-
fahren zu unterlassen.
                                                         3.2 Hörvermögen
                                                         Leitsätze
2.7 Kumulierte Auffälligkeiten
                                                         Eine Beeinträchtigung der Hörleistung bis hin zur
Mehrfache Auffälligkeiten können Zweifel an der
                                                         beidseitigen völligen Gehörlosigkeit stellt kein Hin-
Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfer-
                                                         dernis zur Erteilung der Fahrerlaubnis dar. Bei
tigen, auch dann, wenn jede Auffälligkeit für sich
                                                         Zweifeln an der Fahreignung ist eine HNO-ärztliche
allein noch keinen Eignungszweifel auslöst.
                                                         Begutachtung erforderlich.
Der Gutachter, der ggf. einen weiteren Gutachter
                                                         Zur Beurteilung der Kraftfahreignung müssen auch
hinzuzuziehen hat, muss beachten, dass es zu
                                                         mögliche assoziierte Erkrankungen berücksichtigt
einer Summation oder auch Kumulation von Auffäl-
                                                         werden, falls notwendig auch durch Konsultation
ligkeiten auch dann kommen kann, wenn sie unab-
                                                         weiterer Fachdisziplinen.
hängig voneinander sind oder eine einseitige oder
wechselseitige Abhängigkeit nicht zu vermuten ist.       Hochgradige Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit
Insofern ist die Frage der Kumulation, wenn mehre-       ist definiert als „besseres Ohr: Hörverlust > 60 %”.
re Auffälligkeiten vorliegen, stets zu prüfen und die    Das Ton- und das Sprachaudiogramm stellen die
Art des Zusammenwirkens der Auffälligkeiten nach-        Grundlage der Begutachtung dar. Die Bestimmung
vollziehbar darzustellen. Das gilt erst recht bei Auf-   des prozentualen Hörverlustes erfolgt anhand der
fälligkeiten, bei denen wechselseitige Abhängigkei-      Vierfrequenztabelle nach ROESER (1973) aus der
ten schon erkennbar vorliegen oder zumindest zu          Luftleitungskurve des Tonaudiogramms, ausge-
vermuten sind.                                           hend von den Hörverlusten in dB bei 500, 1.000,
                                                         2.000 und 4.000 Hz im schallisolierten Raum.
Es kann erforderlich werden, dass gerade bei Auf-
fälligkeiten oder Mängeln, die unabhängig vonei-         Für Träger von Hörgeräten ist das ohne Hörhilfen
nander zu sein scheinen, auch mehrere für die Fra-       ermittelte Audiometrieergebnis maßgebend. Bei
gestellungen zuständige Fachärzte mit verkehrs-          Vorliegen einer hochgradigen Hörstörung müssen
medizinischer Qualifikation oder eine Begutach-          – soweit möglich – die Versorgung und das Tragen
tungsstelle für Fahreignung mit der Begutachtung         einer adäquaten Hörhilfe nach dem aktuellen Stand
beauftragt werden müssen.                                der medizinisch-technischen und audiologisch-
                                                         technischen Kenntnisse erfolgen.
14

Gruppe 1                                                      mittelt werden. Das Gehör als Hilfsmittel ist im Stra-
                                                              ßenverkehr weitgehend zurückgetreten. Entschei-
Bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis der Gruppe 1            dend bei der Beurteilung der Fahreignung ist vor
ergeben sich bei hochgradiger Schwerhörigkeit                 allem die Frage der möglichen Kompensierbarkeit.
oder Gehörlosigkeit keine Bedenken, wenn nicht
                                                              Durch eine vorhandene Hörminderung kann eine
weitere körperliche oder psychische Defizite vorlie-
                                                              Steigerung anderer sensorischer Leistungen er-
gen, die eine fachärztliche Untersuchung erforder-
                                                              reicht werden. Somit sind hörgeminderte oder
lich machen.
                                                              gehörlose Fahrer in der Lage, durch besondere
                                                              Umsicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit
                                                              sicher am Straßenverkehr teilzunehmen.
Gruppe 2

Bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis der Gruppe 2            Auch die Führer eines Kraftfahrzeugs, das der Per-
sind bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder Gehör-             sonenbeförderung gemäß § 11 Abs. 1 (Klasse D
losigkeit eine fachärztliche Eignungsuntersuchung             oder D1) und § 48 FeV (Fahrerlaubnis zur Fahr-
bei Führerscheinerwerb und regelmäßige ärztliche              gastbeförderung) dient, sind bei hochgradiger
Kontrollen Voraussetzung. Zusätzlich ist eine 3-jäh-          Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit fahrgeeignet.
rige Fahrpraxis mit einem Kraftfahrzeug der Klasse            Grundsätzlich beeinflusst das Fehlen einer münd-
B nachzuweisen. Bei Zweifeln an der Fahreignung               lichen Verständigung weder die Fahrkompetenz,
ist eine fachärztliche Begutachtung erforderlich.             noch beeinträchtigt es die Verkehrssicherheit.
Entscheidend bei der Beurteilung der Fahreignung
                                                              Die Auflage der 3-jährigen Fahrpraxis mit einem
ist auch die Frage nach einer möglichen Kompen-
                                                              Kraftfahrzeug der Klasse B für die Gruppe 2 hat
sierbarkeit.
                                                              einerseits zum Ziel, durch mehr Fahrpraxis und
                                                              Routine die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhö-
Begründung                                                    hen, andererseits kann durch die vorhandene Hör-
                                                              minderung eine Steigerung anderer sensorischer
Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit gelten nicht              Systeme (vor allem Schulung des optischen Sys-
als Mängel, die generell für das Führen von Fahr-             tems) erreicht werden. Die Voraussetzungen zum
zeugen ungeeignet machen. Die Orientierung im                 Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 sind strenger
motorisierten Straßenverkehr erfolgt überwiegend              aufgrund der höheren Anforderung beim Fahren
über das optische System, da verkehrsrelevante In-            (z. B. längere Lenkzeiten) sowie der möglichen Un-
formationen maßgeblich über visuelle Signale ver-             fallschwere.

Tabellarische Übersicht (zu Einzelheiten s. Text)

Hochgradige
                            Eignung oder bedingte Eignung                  Beschränkungen/Auflagen bedingter Eignung
Schwerhörigkeit
oder Gehörlosig-
keit                      Gruppe 1                    Gruppe 2                  Gruppe 1              Gruppe 2

                   Ja, wenn nicht gleichzei-   Ja, wenn nicht gleichzei-           –           Fachärztliche Eignungs-
                   tig andere schwerwiegen-    tig andere schwerwiegen-                        untersuchung. Regelmä-
                   de Mängel (z. B. Sehstö-    de Mängel (z. B. Sehstö-                        ßige ärztliche Kontrolle.
                   rungen, Gleichgewichts-     rungen, Gleichgewichts-
                                                                                               Vorherige Bewährung
                   störungen) vorliegen        störungen) vorliegen
                                                                                               von 3 Jahren Fahrpraxis
                                                                                               auf Kfz der Klasse B.
                                                                                               Hochgradige Schwerhö-
                                                                                               rigkeit muss – soweit
                                                                                               möglich – mit einer
                                                                                               adäquaten Hörhilfe nach
                                                                                               dem aktuellen Stand der
                                                                                               medizinisch-technisch
                                                                                               und audiologisch-techni-
                                                                                               schen Kenntnisse korri-
                                                                                               giert werden.
15

3.3 Bewegungsbehinderungen                              Symptome nicht wieder aufgetreten sind. Nach
                                                        Implantation eines implantierbaren Kardioverter/
Auf Vorschlag des Verbandes der Technischen             Defibrillator (ICD) kann erst nach einer längeren
Überwachungsvereine (Merkblatt VdTÜV Kraftfahr-         Verlaufsbeobachtung (wenigstens 6 Monate), die
wesen 745, Ausgabe 10.93 „Sicherheitsmaßnah-            von entsprechend ausgerüsteten Kardiologen
men bei körperbehinderten Kraftfahrern”) sind spe-      durchgeführt wird, eine Beurteilung erfolgen.
zielle Anforderungen an die Anpassung am Fahr-
zeug oder an orthopädischen Hilfsmitteln zu stellen.    Basierend auf einheitlichen europäischen Empfeh-
Diese Anforderungen sind im Anhang B aufgeführt.        lungen wird in der nachfolgenden Tabelle eine Klas-
Nach der FeV werden die medizinisch-psychologi-         sifizierung zur Begutachtung von ICD-Patienten
schen Untersuchungen in der Begutachtungsstelle         dargestellt.
für Fahreignung (§ 66 FeV), früher amtlich aner-
kannte Medizinisch-Psychologische Untersu-                    Empfehlungen zur Begutachtung von ICD*-Patienten
chungsstelle, durchgeführt. Das fachärztlich-ortho-
pädische oder chirurgische Gutachten soll Aussa-            Kategorie I     Prophylaktische           keine
                                                                            Implantation              Einschränkung
gen über Prothesenverträglichkeit, Stumpfverhält-
nisse, Belastbarkeit der betroffenen Gliedmaßen             Kategorie II    Alle anderen              Einschränkung für
                                                                            ICD-Patienten             einen bestimmten
bzw. der Prothesen, eventuelle Auswirkungen bei                             (nicht Berufskraftfahrer) Zeitraum
Langzeitbelastung, Restfunktionen bei Teillähmung
                                                                       A    Niedriges Risiko:         6 Monate
und dergleichen enthalten.
                                                                            Kein Rezidiv

Bei der Beurteilung der Bewegungsbehinderungen                         B    Mittleres Risiko:         Bis zum Nachweis
sind auch die Kapitel 3.9.1 „Erkrankungen und Fol-                          Patienten mit gut         der Symptomfreiheit
                                                                            tolerierten VTs**         unter ICD-Therapie
gen von Verletzungen des Rückenmarks“ bis 3.9.3
„Parkinsonsche Krankheit, Parkinsonismus und an-            Kategorie III   Hohes Risiko: Instabile   Voraussetzungen
                                                                            VT (Berufskraftfahrer)    zum sicheren Führen
dere extrapyramidale Erkrankungen einschließlich                                                      von Kraftfahrzeugen
zerebellarer Syndrome“ zu beachten.                                                                   nicht gegeben.

                                                            * ICD = Implantierbarer Kardioverter/Defibrillator
                                                            ** VT = Kammertachykardie
3.4 Herz- und Gefäßkrankheiten
3.4.1 Herzrhythmusstörungen                             -     Bei Patienten der Kategorie I besteht keine Ein-
                                                              schränkung der Fahrerlaubnis, da das Risiko
Leitsätze                                                     einer ICD-Entladung mit relevanter hämodyna-
                                                              mischer Beeinträchtigung bei dieser Patienten-
Wenn ein Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber
                                                              gruppe (prophylaktische Implantation) als gering
unter Herzrhythmusstörungen leidet, die anfallswei-
                                                              eingestuft wird. Nach entsprechender Erholung
se zu wiederholter Unterbrechung der Blutversor-
                                                              von dem operativen Eingriff (in der Regel etwa
gung des Gehirns führen und damit zur Ursache
                                                              nach 3 Monaten) können die Betroffenen wieder
von Bewusstseinstrübungen oder Bewusstlosigkeit
                                                              risikolos Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 führen.
werden können, so ist er nicht in der Lage, den ge-
stellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahr-        -     Für Kategorie II A mit niedrigem Risiko ohne er-
zeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Grund-               neutes Auftreten von Kammerrhythmusstörun-
lage der Beurteilung sollte in jedem Fall eine einge-         gen sind die Gefahren für 6 Monate doch noch
hende internistisch-kardiologische Untersuchung               so groß, dass ein Kraftfahrzeug nicht sicher ge-
einschließlich 24-Stunden-Langzeit-EKG sein.                  führt werden kann.
Nach erfolgreicher Behandlung der Rhythmusstö-          -     Für Kategorie II B mit einem mittleren Risiko
rungen, entweder durch Arzneimittel oder durch An-            kann bis zum Nachweis der Symptomfreiheit
wendung eines sog. Herzschrittmachers, kann an-               (z. B. Fehlen von Präsynkopen und Synkopen)
genommen werden, dass der Betroffene bedingt                  unter der ICD-Therapie ein Kraftfahrzeug nicht
wieder in der Lage ist, Kraftfahrzeuge der Gruppe 1           sicher geführt werden.
zu führen, wenn die Herzfunktion über 3 Monate
normalisiert blieb und die durch die Unterbrechung      -     Die Kategorie III umfasst Patienten mit einem
der Blutversorgung des Gehirns entstehenden                   sehr hohen Risiko für hämodynamisch instabile
16

     tachykarde Rhythmusstörungen. Sie können        Herzinfarkt, Mitralstenose, Herzinsuffizienz, Schild-
     daher ein Kraftfahrzeug nicht sicher führen.    drüsenüberfunktion.

Darüber hinaus gilt, dass die Voraussetzungen zur    Die ventrikuläre Extrasystolie ist nur dann als harm-
Bewältigung der Anforderungen zum Führen eines       los zu bewerten, wenn aufgrund eingehender ärzt-
Kraftfahrzeuges der Gruppe 2 in der Regel für ICD-   licher Untersuchungen eine organische Herz-
Patienten nicht mehr gegeben sind.                   erkrankung ausgeschlossen werden kann. Beacht-
                                                     lich sind insbesondere das Auftreten in Salven, po-
Die regelmäßige ärztliche Überwachung des Zu-        lytope Extrasystolen, früheinfallende Extrasystolen,
standes in Abständen von längstens 6 Monaten in      Bigeminus und solche, die unter Belastung auftre-
Form einer regelmäßigen Kontrolle muss nachge-       ten. Als Grundleiden kommen post-infektiöse Herz-
wiesen werden.                                       schäden (die wieder abklingen können) in Betracht
                                                     und koronare Durchblutungsstörungen sowie ande-
Bei komplexen ventrikulären Herzrhythmusstörun-
                                                     re Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien).
gen, nach Auftreten von Synkopen oder bei Zu-
                                                     Rhythmusstörungen der genannten Art entspre-
stand nach Reanimation ist für mindestens 6 Mo-
                                                     chen in der Klassifikation nach LOWN den Schwe-
nate anzunehmen, dass der Betroffene den Anfor-
                                                     regraden III – V. Außerdem ist zur Beurteilung der
derungen beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht
                                                     Gefährdung durch ventrikuläre Extrasystolen die
gewachsen ist. Danach ist regelmäßige Kontrolle
                                                     Kenntnis über Art und Ausmaß der zugrunde lie-
der Effektivität einer Behandlung von Rhythmusstö-
                                                     genden Herzerkrankung entscheidend.
rungen mit Durchführung eines 24-Stunden-Lang-
zeit-EKGs und eventuell zusätzlicher Spezialunter-   In besonderen Fällen sind zusätzliche Spezialun-
suchungen erforderlich.                              tersuchungen (z. B. Ableitung sog. Spätpotenziale,
                                                     elektrische Stimulationsverfahren) erforderlich.
Die Voraussetzungen zur Bewältigung der Anforde-
rungen zum Führen eines Kraftfahrzeuges der          Die paroxysmale Tachykardie, auch Herzjagen ge-
Gruppe 2 sind in der Regel nicht gegeben.            nannt, kann wie alle anderen Herzanfälle mit unbe-
                                                     rechenbarer Plötzlichkeit auftreten. Vor allem bei
Begründung                                           jungen Menschen ist immer ein Grundleiden nach-
                                                     zuweisen. Auch die paroxysmale Tachykardie kann
Eine ausreichende Durchblutung des Gehirns ist für   die Hirndurchblutung einschränken und das Be-
das volle Wachbewusstsein, die Konzentration, die    wusstsein unter Umständen stark beeinträchtigen,
Reaktionsfähigkeit und die Aufmerksamkeit bedeu-     je nach Frequenz und nach der im Anfall noch er-
tungsvoll. Gefährlich sind manche Herzrhythmus-      haltenen Leistungskraft des Herzens.
störungen.
                                                     Bei einem Teil der Kranken mit anfallsartigem Herz-
Für praktische Zwecke kann man diese Rhythmus-       jagen finden sich im Elektrokardiogramm verkürzte
störungen unterteilen in:                            Überleitungszeiten, die als Präexzitations-Syn-
                                                     drome bezeichnet werden. Die EKG-Konstellation
Überleitungsstörungen zweiten und höheren Gra-       ist eng mit einer Neigung zu tachykarden Anfällen
des, die dann besonders gefährlich sind, wenn es     verbunden. Beim Präexzitations-Syndrom können
zum völligen Aussetzen des Herzschlages (Asys -      aber auch tachykarde Anfälle zeitlebens ausblei-
tolie) kommt (Adams-Stokes-Syndrom); dann tritt      ben.
innerhalb von Sekunden Bewusstlosigkeit ein. Aber
schwere Störungen der Bewusstseinstätigkeit kön-     Das Carotis-Sinus-Syndrom wird bei bestimmten
nen sich auch zeigen, wenn es zu sogenannten         Kopfbewegungen durch Reizung des Blutdruckzüg-
bradykarden (sehr langsamen) oder tachykarden        lerapparates im Bereich der Halsschlagader ausge-
(sehr schnellen) rhythmisch gestörten Herzfrequen-   löst. Die Folge der Reizung ist ein überschießender
zen kommt.                                           Kreislaufreflex mit Bewusstlosigkeit.

Vorhofflattern tritt oft anfallsweise auf und kann   Die Komplikationen der Herztätigkeit sind also viel-
subjektiv erhebliche Beschwerden machen, Vorhof-     fältig, auf unterschiedliche Ursachen zurückzufüh-
flimmern besteht häufiger permanent und wird sub-    ren und zum Teil gefährlich. Eine Reihe dieser Stö-
jektiv weniger unangenehm registriert. Zu beachten   rungen lässt sich durch Arzneimittelbehandlung,
ist das Grundleiden der Rhythmusstörungen, z. B.     durch elektrische Kardioversion (evtl. auch mit au-
17

tomatischen, implantierbaren Defibrillatoren) und       druck in der Lage ist, den gestellten Anforderungen
durch die Implantation von elektrischen Herzschritt-    bedingt gerecht zu werden, ist nur begründet, wenn
machern beseitigen. Ein solcher Schrittmacher           keine krankhaften Urinbefunde, keine Linkshyper-
dient also der Erhaltung eines adäquaten Herz-          trophie des Herzens, keine Veränderung des Au-
rhythmus. Das Grundleiden wird dadurch nicht be-        genhintergrunds vorliegen.
einflusst. Die Störanfälligkeit der Geräte ist zwar
                                                        Bei diesen Voraussetzungen ist die Auflage inter-
auch heute noch nicht völlig beseitigt, doch ist die
                                                        nistischer Nachuntersuchungen und Begutachtun-
Technik in den letzten Jahren stark verbessert wor-
                                                        gen in Abständen von längstens 3 Jahren erforder-
den, und das Risiko eines technischen Versagens
                                                        lich.
ist bei weitem nicht so groß wie das Risiko bei einer
Herzerkrankung mit gefährlichen Rhythmusstörun-
gen. Grundsätzlich ist die ärztliche Überwachung        Begründung
und Beurteilung eines mit Herzschrittmacher aus-
gerüsteten Fahrerlaubnisinhabers durch einen ent-       Bei einem Bluthochdruck mit ständigen diastoli-
sprechend ausgerüsteten Kardiologen erforderlich.       schen Werten von mehr als 130 mm Hg hat man es
                                                        stets mit einem sehr schweren Krankheitsbild zu
                                                        tun (siehe Kapitel 3.6 „Nierenerkrankungen“). Die
3.4.2 Hypertonie (Blutdruckkrankheit, zu hoher          Gefahren nehmen bereits jenseits 120 mm Hg für
      Blutdruck)                                        den diastolischen Blutdruck schnell zu. Es kommt
                                                        zu Netzhautblutungen, Überlastungen des Herz-
Leitsätze
                                                        muskels mit der Gefahr des Herzversagens, und es
Wer unter einem Bluthochdruck mit ständig zu mes-       steigt schließlich auch das Risiko für den Eintritt
sendem diastolischen Wert über 130 mm Hg leidet,        einer Hirnblutung (z. B. apoplektischer Insult). Jen-
ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen     seits 130 mm Hg für den diastolischen Blutdruck-
zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen           wert ist diese Gefahr so naheliegend, dass jede
gerecht zu werden.                                      Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ausge-
                                                        schlossen werden muss.
Wer unter einem Bluthochdruck leidet, bei dem der
diastolische Wert über 100 mm Hg liegt, ist nicht in    Schon bei diastolischen Blutdruckwerten jenseits
der Lage, den Anforderungen zum Führen von              100 mm Hg häufen sich Blutungszwischenfälle,
Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden,         Kreislaufversagen, Niereninsuffizienzzeichen und
wenn gleichzeitig andere prognostisch ernste Sym-       Netzhautschäden, so dass eine regelmäßige ärzt-
ptome, z. B. Zeichen einer gestörten Nierenfunk-        liche Überwachung dieser Kranken besonders
tion, starke Augenhintergrundveränderungen (Blu-        dann sichergestellt sein muss, wenn sie als Kraft-
tungen und Exsudate), neurologische Restsympto-         fahrer am Straßenverkehr teilnehmen oder als
me nach Hirndurchblutungsstörungen oder eine            Fahrerlaubnisbewerber teilnehmen wollen.
deutliche Linkshypertrophie des Herzens nachzu-
                                                        Liegt der diastolische Blutdruck ständig über
weisen sind. Für das Führen von Kraftfahrzeugen
                                                        100 mm Hg, ohne dass die oben angeführten sons-
der Gruppe 1 ist der Betroffene nur unter besonde-
                                                        tigen Befunde erhoben werden können, so handelt
ren Bedingungen in der Lage, den gestellten Anfor-
                                                        es sich bei dem betreffenden Fahrerlaubnisbewer-
derungen gerecht zu werden.
                                                        ber oder Fahrerlaubnisinhaber jedenfalls um einen
Beim Vorliegen dieser Befunde (soweit sie nicht         Kranken mit Bluthochdruck. Der weitere Verlauf
von sich aus ein sicheres Verhalten bei Teilnahme       hängt von der Dauer des Leidens und vom Le-
am motorisierten Straßenverkehr ausschließen) ist       bensalter ab. Er lässt sich schwer abschätzen. In
eine vorbeugende Gefahrenabwehr beim Führen             solchen Fällen müssen im Allgemeinen internis-
von Fahrzeugen der Gruppe 1 nur unter der Auf-          tische Nachuntersuchungen in Abständen von läng-
lage regelmäßiger internistischer Kontrollen und        stens 3 Jahren durchgeführt werden.
Nachbegutachtungen in Abständen von 2 Jahren
zu gewährleisten (im Zweifelsfall neurologisch-         3.4.3 Hypotonie (zu niedriger Blutdruck)
psychiatrisches Gutachten).
                                                        Die Hypotonie hat im Unterschied zur Hypertonie
Die Annahme, dass ein Betroffener mit einem stän-       in der Regel keinen Krankheitswert. Es gibt viele
dig über 100 mm Hg liegenden diastolischen Blut-        Menschen mit auffallend niedrigem Blutdruck, die
Sie können auch lesen