Begutachtungs-leitlinien zur Kraftfahreignung
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Begutachtungs- leitlinien zur Kraftfahreignung Gültig ab 1. Mai 2014 Heft M 115 Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 115 ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-95606-082-3 20140425_Umschlag M 115.indd 1 06.05.14 06:15
Begutachtungs- leitlinien zur Kraftfahreignung Gültig ab 1. Mai 2014 bearbeitet von Dr. med. Nicole Gräcmann Dr. med. Martina Albrecht Bundesanstalt für Straßenwesen Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Mensch und Sicherheit Heft M 115 20140425_Umschlag M 115.indd 2 06.05.14 06:15
Die Bundesanstalt für Straßenwesen veröffentlicht ihre Arbeits- und Forschungs- ergebnisse in der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen. Die Reihe besteht aus folgenden Unterreihen: A - Allgemeines B - Brücken- und Ingenieurbau F - Fahrzeugtechnik M - Mensch und Sicherheit S - Straßenbau V - Verkehrstechnik Es wird darauf hingewiesen, dass die unter dem Namen der Verfasser veröffentlichten Berichte nicht in jedem Fall die Ansicht des Herausgebers wiedergeben. Nachdruck und photomechanische Wieder- gabe, auch auszugsweise, nur mit Genehmi- gung der Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Die Hefte der Schriftenreihe Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen können direkt bei der Carl Schünemann Verlag GmbH, Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen, Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53, bezogen werden. Über die Forschungsergebnisse und ihre Veröffentlichungen wird in der Regel in Kurzform im Informationsdienst Forschung kompakt berichtet. Dieser Dienst wird kostenlos angeboten; Interessenten wenden sich bitte an die Bundesanstalt für Straßenwesen, Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit. Ab dem Jahrgang 2003 stehen die Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) zum Teil als kostenfreier Download im elektronischen BASt-Archiv ELBA zur Verfügung. http://bast.opus.hbz-nrw.de Impressum Bericht zum Forschungsprojekt F 1100.4388001 der Bundesanstalt für Straßenwesen Herausgeber Bundesanstalt für Straßenwesen Brüderstraße 53, D-51427 Bergisch Gladbach Telefon: (0 22 04) 43 - 0 Telefax: (0 22 04) 43 - 674 Redaktion Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Druck und Verlag Fachverlag NW in der Carl Schünemann Verlag GmbH Zweite Schlachtpforte 7, D-28195 Bremen Telefon: (04 21) 3 69 03 - 53 Telefax: (04 21) 3 69 03 - 48 www.schuenemann-verlag.de ISSN 0943-9315 ISBN 978-3-95606-082-3 Bergisch Gladbach, Mai 2014 20140425_Impressum M 115.indd 1 25.04.14 16:00
3 Kurzfassung – Abstract Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung Evaluation guidelines for driving ability Die Begutachtungsleitlinien sind eine Zusammen- The evaluation guidelines are a compilation of stellung eignungsausschließender oder eignungs- physical and/or mental handicaps that make people einschränkender körperlicher und/oder geistiger unable to drive or limit their driving ability. They are Mängel und sollen die Begutachtung der Kraftfahr- intended to ease the case-by-case evaluation of eignung im Einzelfall erleichtern. Sie dienen als driving ability. They are also intended as a Nachschlagewerk für Begutachtende, die Fahr- reference tool for evaluators who have to judge erlaubnisbewerber oder -inhaber in Bezug auf ihre driving licence applicants or holders with regard to Kraftfahreignung beurteilen. their ability to drive. In der 6. Auflage im Jahr 2000 wurden die Begut- The evaluation guidelines “Disease and road traffic“ achtungsleitlinien „Krankheit und Kraftverkehr“ (5th edition, 1996) and the “Psychological expertise (5. Auflage 1996) und das „Psychologische Gut- on driving ability“ dated 1995 were combined for the achten Kraftfahreignung“ von 1995 zusammenge- 6th edition. The Federal Highway Research Institute führt. Für die weitere Überarbeitung wurden unter (BASt) coordinated the assembly of expert groups, der Federführung der Bundesanstalt für Straßen- including representatives of the respective wesen (BASt) und unter Beteiligung der jeweiligen professional bodies for further revision. The Fachgesellschaften Expertengruppen einberufen, guidelines are revised and then published online die die Leitlinien kapitelweise überarbeiten. Die after approval by the Federal Ministry for Transport überarbeiteten Leitlinien werden nach Zustimmung and Digital Infrastructure. des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur online veröffentlicht. The general section of the guidelines contains basic evaluation instructions and deals with the selection Im allgemeinen Teil der Leitlinien werden grund- and legal position of the evaluators as well as the sätzliche Beurteilungshinweise, Auswahl und requirements for mental capabilities and possible rechtliche Stellung der Begutachtenden sowie die ways to compensate for handicaps. The chapters of Anforderungen an die psychische Leistungsfähig- the special section relate to physical and mental keit und die Möglichkeiten der Kompensation von handicaps that can have a long-term impact on the Mängeln dargelegt. Im speziellen Teil werden in capabilities relevant for the control of a motor einzelnen Kapiteln körperliche und geistige Krank- vehicle and therefore on road safety. heiten und Mängel behandelt, die längerfristige Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit beim Führen eines Kraftfahrzeugs haben, und somit die Sicherheit im Straßenverkehr gefährden können.
5 Inhalt Präambel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.8 Lungen- und Bronchial- erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1 Einführung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.9 Krankheiten des Nervensystems . . . . 25 1.1 Entstehung der Leitlinien . . . . . . . . . . . 7 3.9.1 Erkrankungen und Folgen von 1.2 Zuordnung der Fahrerlaubnis- Verletzungen des Rückenmarks. . . . . 25 klassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 3.9.2 Erkrankungen der neuromuskulären 2 Allgemeiner Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Peripherie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.1 Grundsätzliche Beurteilungs- 3.9.3 Parkinsonsche Krankheit, Parkinsonis- hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 mus und andere extrapyramidale Erkrankungen einschließlich 2.2 Auswahl des Gutachters. . . . . . . . . . . . 8 zerebellarer Syndrome . . . . . . . . . . . . 26 2.3 Rechtliche Stellung des Gutachters . . . 9 3.9.4 Kreislaufabhängige Störungen der 2.4 Inhalt und Aufgabe der Hirntätigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Begutachtungsleitlinien. . . . . . . . . . . . . 9 3.9.5 Zustände nach Hirnverletzungen 2.5 Anforderungen an die psychische und Hirnoperationen, angeborene Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 und frühkindlich erworbene Hirn- 2.6 Kompensation von Eignungs- schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 mängeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 3.9.6 Epileptische Anfälle und 2.7 Kumulierte Auffälligkeiten . . . . . . . . . . . 13 Epilepsien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.10 Störungen des Gleichgewichts- 3 Spezieller Teil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 sinnes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.1 Sehvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.11 Tagesschläfrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3.2 Hörvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3.12 Psychische Störungen . . . . . . . . . . . . 41 3.3 Bewegungsbehinderungen . . . . . . . . . . 15 3.12.1 Organisch-psychische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.4 Herz- und Gefäßkrankheiten . . . . . . . . 15 3.4.1 Herzrhythmusstörungen . . . . . . . . . . . . 15 3.12.2 Demenz und organische Persönlichkeitsveränderungen . . . . . . 41 3.4.2 Hypertonie (Blutdruckkrankheit, zu hoher Blutdruck) . . . . . . . . . . . . . . . 17 3.12.3 Altersdemenz und Persönlichkeits- veränderungen durch pathologische 3.4.3 Hypotonie (zu niedriger Blutdruck) . . . . 17 Alterungsprozesse . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.4.4 Koronare Herzkrankheit 3.12.4 Affektive Psychosen . . . . . . . . . . . . . . 42 (Herzinfarkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3.12.5 Schizophrene Psychosen . . . . . . . . . . 43 3.4.5 Herzleistungsschwäche durch angeborene oder erworbene Herz- 3.13 Alkohol . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 fehler oder sonstige Ursachen . . . . . . . 19 3.13.1 Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.4.6 Periphere Gefäßerkrankungen . . . . . . . 20 3.13.2 Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3.5 Diabetes mellitus . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 3.14 Betäubungsmittel und Arzneimittel . . . 47 3.6 Nierenerkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . 23 3.14.1 Sucht (Abhängigkeit) und 3.7 Organtransplantationen . . . . . . . . . . . . 24 Intoxikationszustände . . . . . . . . . . . . . 47
6 3.14.2 Dauerbehandlung mit Arzneimitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.15 Intellektuelle Leistungsein- schränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3.16 Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.17 Verstöße gegen verkehrsrechtliche Vorschriften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.18 Auffälligkeiten bei der Fahr- erlaubnisprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.19 Fahrgastbeförderung . . . . . . . . . . . . . 53 3.20 Ausnahmen vom Mindestalter . . . . . . 53 Anhang A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Anhang B . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55
7 Präambel Gruppe 1: Führer von Fahrzeugen der Klassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T Die Begutachtungsleitlinien basieren auf den Aus- Gruppe 2: Führer von Fahrzeugen der Klassen C, führungen der Europäischen Führerscheinrichtlinie C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E und die sowie der Fahrerlaubnis-Verordnung. Sie tragen Fahrerlaubnis zur Fahrgastbeförderung sowohl der Entwicklung der Eignungsbegutachtung (FzF) auf medizinischem Gebiet als auch der Entwicklung auf psychologischem Gebiet Rechnung. Die Leit- linien dienen der Einzelfallgerechtigkeit und tragen so dazu bei, die Mobilität zu sichern. 2 Allgemeiner Teil 2.1 Grundsätzliche Beurteilungshinweise 1 Einführung Die Aufgabe der Begutachtungsleitlinien besteht 1.1 Entstehung der Leitlinien darin, Beurteilungsgrundsätze aufzuzeigen, die den Gutachtern (gem. § 11 Abs. 2-4 und den §§ 13 und Das Gutachten „Krankheit und Kraftverkehr” wurde 14 FeV) als Entscheidungshilfe für den Einzelfall erstmals 1973 publiziert, die fünfte Auflage erfolgte dienen sollen. Fachwissenschaftliche Grundlagen 1996. Das „Psychologische Gutachten Kraftfahreig- für Fahreignungsbegutachtungen, z. B. von Fach- nung” wurde 1995 veröffentlicht. Als Zusammen- gesellschaften, die den Stand der Wissenschaft führung dieser beiden Gutachten erschienen im und Technik darstellen, sind als Empfehlungen ein- Jahr 2000 die Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahr- zubeziehen. eignung als 6. Auflage. Bei der Erstellung der Beurteilungsgrundsätze wur- Um der zunehmenden Spezialisierung Rechnung den sowohl die Bedürfnisse des Einzelnen zur Teil- zu tragen und auf wissenschaftliche Erkenntnisse nahme am motorisierten Straßenverkehr als auch und die Änderung rechtlicher Grundlagen schneller das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit reagieren zu können, beauftragte das damalige berücksichtigt. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent- Bei der Beurteilung der Fahreignung wird davon wicklung die Bundesanstalt für Straßenwesen, die ausgegangen, dass ein Betroffener ein Kraftfahr- Überarbeitung der Leitlinien kapitelweise unter Ein- zeug nur dann nicht sicher führen kann, wenn auf- beziehung zuständiger Expertinnen und Experten grund des individuellen körperlich-geistigen (psy- sowie der jeweiligen Fachgesellschaften zu leiten chischen) Zustandes beim Führen eines Kraftfahr- und nach Genehmigung durch Bund und Länder zu zeugs Verkehrsgefährdung zu erwarten ist. veröffentlichen. Die Überarbeitung erfolgt kontinu- ierlich durch eine Expertengruppe für jedes Kapitel. Für die gerechtfertigte Annahme einer Verkehrsge- Die Fertigstellung eines Kapitels wird jeweils im fährdung muss die nahe durch Tatsachen begrün- Internet veröffentlicht. Die letzte Druckauflage mit dete Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schädi- Stand 2009 erschien im Dezember 2010. Die vor- gungsereignisses gegeben sein. liegende Druckauflage entspricht der zum 1.5.2014 Die Möglichkeit – die niemals völlig auszuschließen online veröffentlichten Fassung. ist –, dass es trotz sorgfältiger Abwägung aller Um- stände einmal zu einem Schädigungsereignis kom- men kann, wird für die Fälle der empfohlenen posi- 1.2 Zuordnung der tiven oder bedingt positiven Begutachtung hinge- Fahrerlaubnisklassen nommen. Die Grenze zwischen den Bereichen po- Die Einteilung der Fahrerlaubnisklassen wird in § 6 sitiv (auch bedingt positiv) bzw. negativ zu beurtei- und § 6a der jeweils gültigen Fahrerlaubnisverord- lender Fälle ist nur unter Beachtung des Einzelfalls nung (FeV) geregelt. zu ziehen. Dass Kompensationen durch besondere menschliche Veranlagungen, durch Gewöhnung, Für die Zwecke der Begutachtungsleitlinien werden durch besondere Einstellung oder durch besondere die Klassen entsprechend des jeweils gültigen Verhaltenssteuerungen und -umstellungen möglich Anhangs III der EU-Führerscheinrichtlinie und der sind, kann als erwiesen angesehen werden. Im Ein- Anlage 4 der FeV in zwei Gruppen unterteilt: zelfall hat jeder Gutachter unter Berücksichtigung
8 der speziellen Befundlage aber die Kompensa- tungen, z. B. mit automatischer Kraftübertragung, tionsfrage zu prüfen. Handgasbetätigung etc. Für die Konkretisierung des Gefährdungssachver- Werden von einem Gutachter Beschränkungen haltes wurde davon ausgegangen, dass er dann empfohlen, so sollten optimale technische Bedin- gegeben ist, wenn gungen angestrebt werden, die nach Möglichkeit auch eine Normal-Bedienung des Kraftfahrzeuges a) von einem Kraftfahrer nach dem Grad der fest- zulassen. gestellten Beeinträchtigung der körperlich-geis- tigen (psychischen) Leistungsfähigkeit zu erwar- Stets sollten klare Vorstellungen über die Zweckmä- ten ist, dass die Anforderungen beim Führen ßigkeit und Durchführbarkeit einer empfohlenen eines Kraftfahrzeuges, zu denen ein stabiles Maßnahme bestehen. Auflagen und Beschränkun- Leistungsniveau und auch die Beherrschung gen können von erheblich einschneidender Wirkung von Belastungssituationen gehören, nicht mehr für einen Fahrerlaubnisinhaber oder Fahrerlaubnis- bewältigt werden können oder bewerber sein. Die Notwendigkeit für entsprechen- de Maßnahmen muss darum beweisbar sein. b) von einem Kraftfahrer in einem absehbaren Zeitraum die Gefahr des plötzlichen Versagens der körperlich-geistigen (psychischen) Leis- 2.2 Auswahl des Gutachters tungsfähigkeit (z. B. hirnorganische Anfälle, apo- plektische Insulte, anfallsartige Schwindelzu- a) Zur Gutachterauswahl stände und Schockzustände, Bewusstseins- Die Behörde gibt die Art der Begutachtung vor trübungen oder Bewusstseinsverlust u. Ä.) zu (§ 11 Abs. 6 FeV), die Auswahl der konkreten erwarten ist, Untersuchungsstelle bleibt dem Betroffenen c) wegen sicherheitswidrigen Einstellungen, man- überlassen. Innerhalb der Begutachtungsstelle für Fahreignung soll dem Auftraggeber jedoch gelnder Einsicht oder Persönlichkeitsmängeln kein Einfluss auf die Wahl der Gutachter einge- keine Gewähr dafür gegeben ist, dass der Fahrer räumt werden. Nach Möglichkeit sind alle rele- sich regelkonform und sicherheitsgerecht verhält. vanten Vorbefunde beizuziehen. Ergibt die Untersuchung eines Fahrerlaubnisinha- Sofern ein Gericht ein Gutachten für erforderlich bers oder Fahrerlaubnisbewerbers, dass die fest- hält, obliegt diesem die Auswahl des für die Fra- gestellten Beeinträchtigungen der körperlich-geisti- gestellung geeigneten und hierfür qualifizierten gen (psychischen) Leistungsfähigkeit ein stabiles Gutachters. Leistungsniveau zur Beherrschung der Anforderun- gen bedingt gewährleisten oder dass besondere b) Zur Qualifikation des Gutachters Bedingungen die Gefahr des plötzlichen Versagens abwenden können, so sind die Bedingungen vorzu- Der ärztliche oder psychologische Gutachter schlagen, die im Einzelfall gem. § 11 Abs. 2 und muss nicht nur über spezielle Erfahrungen in der § 46 FeV erfüllt werden müssen. Dabei handelt es Verkehrsmedizin bzw. in der Verkehrspsycholo- sich um Auflagen oder Beschränkungen der Fahr- gie verfügen (praktische Tätigkeit, Fortbildung erlaubnis. und Weiterbildung), sondern sich auch bereits durch eine langfristige Tätigkeit in entsprechen- Die Begriffe „Auflagen” und „Beschränkungen” den Institutionen (Kliniken, Facharztpraxen bzw. haben eine unterschiedliche rechtliche Bedeutung: Begutachtungsstellen für Fahreignung) qualifi- ziert haben (siehe hierzu §§ 65 bis 67 und 72 Auflagen richten sich an den Führer eines Fahrzeu- FeV). Bei speziellen medizinischen Fragestel- ges, z. B. sich in bestimmten zeitlichen Abständen lungen ist die fachärztliche Begutachtung ärztlichen Nachuntersuchungen zu unterziehen sicherzustellen. oder beim Führen eines Kraftfahrzeuges stets eine Brille zu tragen etc. c) Zur Vermeidung des Vorwurfs der Parteilichkeit des Gutachters Beschränkungen betreffen das Fahrzeug: Sie be- schränken den Geltungsbereich einer erteilten Dieselben Gründe, die einen Zeugen berechti- Fahrerlaubnis auf bestimmte Fahrzeugarten oder gen, das Zeugnis zu verweigern (siehe hierzu auf bestimmte Fahrzeuge mit besonderen Einrich- u. a. §§ 52 bis 53a StPO), berechtigen einen
9 Sachverständigen zur Verweigerung des Gut- a) die Verwaltungsbehörden und achtens. Gibt es einen solchen Anlass, dann sollte der Gutachter das den Verfahrensbeteilig- b) die Gerichte. ten mitteilen und den Gutachtenauftrag nicht Das Gutachten ist eine Hilfe, die der Rechtsinstanz übernehmen. Das gleiche Recht steht auch dem durch begründete Aussagen über das mögliche Betroffenen zu. künftige Versagen oder Verhalten eines Fahr- Nachdem der Gesetzgeber dies (u. a. § 76 erlaubnisinhabers oder Fahrerlaubnisbewerbers StPO) jedem Sachverständigen einräumt, sollte die rechtliche Entscheidung begründbar machen jeder vor Annahme eines Gutachtenauftrages soll; insbesondere soll es aufzeigen, welche Gefah- überprüfen, ob Sachverhalte vorliegen, die An- ren von gegebenen Krankheiten, Defekten, Leis- lass zum Vorwurf der Besorgnis der Befangen- tungsmängeln oder anderen Sachverhalten ausge- heit eines Sachverständigen geben könnten, hen. Die Beurteilung der Sachlage durch den je- was zur Ablehnung führen kann. weils zuständigen Gutachter muss daher klar, fol- gerichtig, widerspruchsfrei und verständlich – Angesichts der Vielzahl von Gründen, die es grundsätzlich auch für den Auftraggeber – sein. rechtfertigen, einen Gutachtenauftrag abzuleh- Rechtsbegriffe wie „geeignet” oder „ungeeignet” hat nen, sollte der Sachverständige jeden Anschein der Gutachter nicht zu verwenden. Adressat der An- vermeiden, der für eine Befangenheit sprechen ordnung, ein Eignungsgutachten beizubringen, ist oder dahingehend ausgelegt werden könnte. der betroffene Fahrerlaubnisbewerber oder -inha- Dazu gehört im weitesten Sinne auch der Ver- ber. Er – nicht die Behörde – ist Auftraggeber der dacht, im Dienst des zu Begutachtenden zu ste- Begutachtung und damit auch Vertragspartner und hen, falls zuvor der zum Sachverständigen Er- Kostenschuldner des Gutachters bzw. der begut- nannte gegen Honorar beraten bzw. therapiert achtenden Stelle. Ihm, dem Betroffenen, steht auch hat. Dies gilt gleichermaßen für den Arzt wie für die Auswahl des Gutachters bzw. bei einer Begut- den Psychologen (§ 11 Abs. 2 letzter Satz FeV). achtungsstelle für Fahreignung die Auswahl der In begründeten Ausnahmefällen ist die Begut- Stelle (siehe Kapitel 2.2 a) „Zur Gutachterauswahl“) achtung durch den behandelnden Arzt nicht zu – natürlich im Rahmen der Vorgaben, die die be- ausgeschlossen. hördliche Anordnung hinsichtlich der Art der Begut- achtung setzt. Er – und nicht die Behörde – hat An- d) Nach Weisung der jeweiligen obersten Landes- spruch auf die Aushändigung des Gutachtens. Nur behörden können die Fahrerlaubnisbehörden mit seiner ausdrücklichen Zustimmung darf das zusätzliche Gutachten anfordern, die von Per- Gutachten unmittelbar der Behörde oder Dritten zu- sönlichkeiten mit herausragender Qualifikation geleitet werden, sonst steht die Schweigepflicht erstattet werden und die dazu besonders be- (§ 203 StGB) entgegen. nannt worden sind. 2.4 Inhalt und Aufgabe der 2.3 Rechtliche Stellung des Begutachtungsleitlinien Gutachters Es ist nicht Aufgabe der Leitlinien, alle vorkommen- Bei allen Gutachtern ist zu beachten, dass sie ge- den Leistungseinschränkungen eines Menschen zu genüber einer rechtlich verantwortlichen und darum berücksichtigen und zu prüfen, ob die festgestellten entscheidenden Instanz (Behörden, Gerichte) stets Beeinträchtigungen ein stabiles oder bedingt stabi- nur die Stellung eines Beraters haben. Dabei bleibt les Leistungsniveau gewährleisten oder u. U. zu unbestritten, dass je nach Sachlage nur der Arzt einem plötzlichen Leistungszusammenbruch führen oder der Psychologe die Kompetenz hat, eine könnten. Es werden nur solche körperlich-geistigen Krankheit oder einen Mangel festzustellen und sich (psychischen) Mängel in die Begutachtungsleit- zur Prognose im Hinblick auf die Auswirkung bei linien einbezogen, deren Auswirkungen die Leis- Teilnahme eines Betroffenen am motorisierten Stra- tungsfähigkeit eines Kraftfahrers häufig längere ßenverkehr zu äußern. Zeit beeinträchtigen oder aufheben. Für akute, vor- Daraus ergibt sich die Leistung des Gutachters: Er übergehende, sehr selten vorkommende oder nur soll die rechtlichen Folgerungen ableitbar machen. kurzzeitig anhaltende Erkrankungen (grippale In- Die Folgerungen selbst treffen nur fekte, akute infektiöse Magen-Darm-Störungen,
10 aber auch Migräne, Heuschnupfen, Asthma etc.) ist rechtfertigt hält, muss er seine Beurteilung sehr es dem Verantwortungsbewusstsein jedes Ver- ausführlich und mit entsprechenden Hinweisen auf kehrsteilnehmers aufgegeben, durch kritische die zugrunde gelegte Fachliteratur begründen. Selbstprüfung festzustellen, ob er unter den jeweils gegebenen Bedingungen noch am Straßenverkehr, insbesondere am motorisierten Straßenverkehr, 2.5 Anforderungen an die psychische teilnehmen kann oder nicht (siehe § 2 Abs. 1 der Leistungsfähigkeit FeV). In Zweifelsfällen bleibt stets die Möglichkeit, einen Arzt zu befragen, dessen Rat sich bei even- Zweifel an der psychischen Leistungsfähigkeit kön- tuellen Komplikationen nach den allgemeinen Beur- nen sich ergeben wegen einer Minderung der opti- teilungsgrundsätzen (siehe Kapitel 2.1 „Grundsätz- schen Orientierung, der Konzentrationsfähigkeit, liche Beurteilungshinweise“) richten wird. Die Beur- der Aufmerksamkeit, der Reaktionsfähigkeit und teilung von Erkrankungen, die sich auf mehrere der Belastbarkeit. Organsysteme erstrecken, muss den Begutach- Psychische Leistungsmängel können sich folgen- tungsleitlinien folgen, die für diese Krankheitsgrup- dermaßen auswirken: pen vorgesehen sind; hierbei ist zu beachten, dass die Auswirkungen der einzelnen Krankheiten oder - Optische Informationen werden in ihrem Bedeu- Behinderungen sich gegenseitig ungünstig beein- tungsgehalt nicht ausreichend schnell und si- flussen können. Für alle Auswirkungen der im Fol- cher wahrgenommen. genden aufgeführten Leiden hat der Verkehrsteil- nehmer stets die Hauptlast der Verantwortung zu - Die Zielorientierung im jeweiligen optischen Um- tragen. Diese Leitlinien geben Gutachtern und allen feld, d. h. im Verkehrsraum, gelingt nicht oder verantwortlichen behördlichen Instanzen für ihre nicht sicher oder nur mit einem so deutlich er- Tätigkeit im Rahmen der vorbeugenden Gefahren- höhten Zeitaufwand, dass daraus in der konkre- abwehr Entscheidungshilfen. ten Verkehrssituation eine Gefährdung entste- hen würde. Die Aufgabe der Begutachtungsleitlinien wird erfüllt mit der Zusammenstellung eignungsausschließen- - Die Konzentration ist zeitweilig oder dauernd der oder eignungseinschränkender körperlich- gestört in der Weise, dass die jeweils anstehen- geistiger (psychischer) und charakterlicher Mängel de Fahraufgabe aufgrund von Abgelenktsein beim Fahrerlaubnisbewerber und Fahrerlaubnis- oder Fehldeutungen verkannt oder fehlerhaft inhaber. Es sind die ärztlichen und verkehrspsy- gelöst wird. chologischen Erkenntnisse und Erfahrungen, die hier ihren Niederschlag finden und die in der Ab- - Die Aufmerksamkeitsverteilung ist unzulänglich, stimmung mit der FeV die Praxis der Begutachtung weil nur ein Teilbereich der für den Kraftfahrer des Einzelfalles erleichtern sollen. Da alle aufge- bedeutsamen Informationen erfasst wird führten Beurteilungsleitsätze und -begründungen und/oder bei Situationswechsel, z. B. nach einer sehr eingehende Beratungen unter Einbeziehung Phase der Monotonie, neue Informationen der aktueller Stellungnahmen aller relevanten medizini- Aufmerksamkeit entgehen. schen und psychologischen Fachgesellschaften - Die Aufmerksamkeitsbelastbarkeit ist zu gering, und gutachtliche Erfahrungen zur Grundlage haben, weil es unter Stress oder nach länger andauern- kann sich der Gutachter im Einzelfall auf diese Be- der Beanspruchung zu fehlerhaften Wahrneh- gutachtungsleitlinien beziehen und muss nicht jede mungen, Interpretationen oder Reaktionen gutachtliche Schlussfolgerung eingehend erläutern. kommt. Die Leitsätze der Begutachtungsleitlinien ersetzen nicht die Begründung des Gutachtens im Einzelfall. - Notwendige motorische Reaktionen setzen zu Es bleibt eine Aufgabe des Gutachters, den Mangel spät ein und/oder werden stark verzögert aus- individuell zu interpretieren und so einen Bezug des geführt. Mangels zu den Begutachtungsleitlinien in ver- ständlicher Weise herzustellen. Wenn der Gutach- - Reaktionen erfolgen unsicher, eventuell vor- ter jedoch unter besonderen, von der Regel abwei- schnell und situationsunangemessen, oder wer- chenden Umständen des Einzelfalls ein Abweichen den unpräzise, motorisch ungeschickt, „über- von den aufgeführten Beurteilungsleitsätzen für ge- schießend” oder überhastet ausgeführt.
11 - Die psychischen Leistungen sind instabil in dem - Grenzwertunterschreitungen sind zwar nicht als Sinne, dass die erforderliche Ausgewogenheit situationsbedingt anzusehen, werden aber zwischen Schnelligkeit und Sorgfaltsleistung durch stabile Leistungen in den anderen Verfah- fehlt. ren ausgeglichen, so dass eine Mängelkumula- tion ausgeschlossen ist. Die psychische Leistungsfähigkeit wird mit geeig- neten, objektivierbaren psychologischen Testver- - Bei Grenzwertunterschreitungen kann durch Er- fahren untersucht. Ausschlaggebend ist, ob die gebnisse weiterer Verfahren (Ergänzungsver- Mindestanforderungen erfüllt werden. fahren, Verhaltensbeobachtung, Wiederho- lungsuntersuchung) nachgewiesen werden, Die Frage nach der Verursachung psychischer dass das aus den Leistungsresultaten zu er- Leistungsmängel steht dabei nicht im Vordergrund. schließende Risiko durch das Kompensations- Ursächlich kommen u. a. auch psychische Krank- potenzial (vorausschauendes Denken, ausge- heiten in Betracht (siehe Kapitel 3 „Spezieller Teil“), prägtes Risikobewusstsein, sicherheitsbetonte z. B. Demenz, organische Persönlichkeitsverände- Grundhaltung) angemessen gemindert werden rung und andere organisch-psychische Störungen kann. sowie intellektuelle Minderbegabung. Die Verursa- chung und die medizinische Diagnose sollen durch - Auch wenn von einem Inhaber einer Fahr- den Arzt und speziell durch den Psychiater mög- erlaubnis, der sich bereits in der Fahrpraxis be- lichst genau erfasst werden, auch weil sich hieraus währt hat, in den Leistungsprüfverfahren insge- Hinweise für die Behandlung (und damit ggf. für die samt unzureichende Leistungen erzielt wurden, Verbesserung der Fahreignung) sowie Hinweise für konnte der Betreffende aber doch in einer Fahr- die Prognose der Erkrankung und der Fahreignung verhaltensprobe nachweisen, dass die in der ergeben können. Die Feststellung der aktuellen (ungewohnten) Testsituation festgestellten Min- psychischen Leistungsfähigkeit bzw. Leistungs- derleistungen sich auf das gelernte Fahrverhal- mängel ist aber diagnose-übergreifend bzw. diag- ten nicht entscheidend negativ auswirken. nose-unabhängig, d. h., sie gilt auch dann, wenn eine Diagnose nicht oder nicht mit Sicherheit ge- - Es liegen keine Hinweise auf verkehrsmedizi- stellt werden kann. nisch relevante eignungseinschränkende oder eignungsausschließende Eignungsmängel vor, Die Zweifel können in der Regel als ausgeräumt z. B. Mängel des „Sehvermögen“s (Kapitel 3.1), gelten, wenn sich eine der folgenden Feststellun- „Bewegungsbehinderungen“ (Kapitel 3.3), gen treffen lässt: „Herz- und Gefäßkrankheiten“ (Kapitel 3.4). Früheres verkehrsgefährdendes Verhalten ist in die Gruppe 1 Bewertung der Leistungsfähigkeit einzubeziehen. - Der Prozentrang 161 wurde, bezogen auf alters- Ein Kraftfahrer bzw. ein Bewerber um eine Fahr- unabhängige Normwerte, in allen eingesetzten erlaubnis kann trotz psychischer Leistungsmängel Leistungstests erreicht oder überschritten. gemäß § 11 Abs. 2 FeV zum Führen von Kraftfahr- - Grenzwertunterschreitungen (Prozentrang < 16) zeugen bedingt geeignet sein. sind nur situationsbedingt (störende Faktoren Die Feststellung der bedingten Eignung kommt in bei der Testdurchführung, Unausgeruhtsein Betracht, wenn zwar gravierende Leistungsbeein- nach Nachtarbeit o. Ä.) und damit nicht aussa- trächtigungen bestehen und deshalb eine uneinge- gefähig. schränkte Fahrtätigkeit im Rahmen der beantragten oder bereits erteilten Fahrerlaubnisklasse nicht in Frage kommt, aber das Risiko durch geeignete Auf- lagen und Beschränkungen auf ein vertretbares 1 Die Ergebnisse für die Leistungstests sind in Prozenträngen Maß zu reduzieren ist. (PR) ausgedruckt. Ein Prozentrang sagt aus, wie viele Per- sonen einer vergleichbaren Stichprobe schlechtere Leistun- Geeignete Auflagen und Beschränkungen sind: gen erzielen als der Untersuchte. Der PR für die bestmög- liche Leistung ist 100, für die geringste Leistung 0. Ein PR - die Fahrtätigkeit wird nur unter bestimmten Auf- von 70 bedeutet, 30 % sind besser, 70 % sind schlechter. lagen (z. B. Einhaltung einer Höchstgeschwin-
12 digkeit, Fahren nur innerhalb festgelegter Lenk- ausfällen bzw. fahreignungsrelevanten Defiziten zeiten) ausgeübt, durch andere Funktionssysteme verstanden. - die Fahrtätigkeit wird nur innerhalb eines be- Die Kompensation von chronischen, überdauern- grenzten Umkreises gestattet, den Eignungsmängeln kann z. B. erfolgen - die Fahrtätigkeit wird auf eine bestimmte Fahr- - durch technische oder medizinisch-technische zeugart oder ein bestimmtes Fahrzeug be- Maßnahmen, z. B. Umbauten von Kraftfahrzeu- schränkt (z. B. auf Fahrzeuge mit einer bauart- gen für Behinderte oder Einsatz von Prothesen, bedingten reduzierten Höchstgeschwindigkeit). - durch Arzneimittelbehandlung von Krankheiten, Voraussetzung für die Erteilung einer einge- - durch psychische Qualitäten, z. B. besondere schränkten Fahrerlaubnis ist die nachvollziehbar zu Umsicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftig- erwartende Praktikabilität und Effektivität der Auf- keit, die den Kraftfahrer veranlassen, z. B. am lagen und/oder Beschränkungen. motorisierten Straßenverkehr bei Dämmerung oder Dunkelheit nicht teilzunehmen, oder Leis- Gruppe 2 tungsdefizite, z. B. bei älteren Kraftfahrern, oder auch Persönlichkeitsstörungen auszugleichen Es gelten sinngemäß die Ausführungen zur Gruppe 1. - oder durch deren Zusammenwirken. Darüber hinaus gilt die erhöhte Anforderung, dass in Die Kompensationsmöglichkeiten bei Einschrän- der Mehrzahl der eingesetzten Verfahren der Pro- kung der psychischen Leistungsfähigkeit (siehe Ka- zentrang 33 – gemessen an altersunabhängigen pitel 2.5 „Anforderungen an die psychische Leis- Normwerten – erreicht oder überschritten werden tungsfähigkeit“) sind, wenn es in Teilbereichen zu muss, dass aber der Prozentrang 16 in den rele- Minderleistungen kommt, nur in begrenztem Maße vanten Verfahren ausnahmslos erreicht sein muss. gegeben. Sie sind umso geringer, je krasser der Leistungsausfall in einem Teilbereich oder je vielfäl- Hiervon kann nur abgesehen werden, wenn in ein- tiger die Leistungseinschränkungen – im Sinne zelnen Untertests bei Abweichungen nach unten einer Mängelkumulation – sind. Kompensationsmöglichkeiten gegeben sind. Ande- rerseits muss sichergestellt werden, dass eine Kompensationsfaktoren sind Kumulation ausgeschlossen ist (siehe Gruppe 1). - eine trotz einzelner funktionaler Mängel insge- In Zweifelsfällen ist eine Fahrverhaltensprobe samt gesehen ausreichende intellektuelle Leis- durch den psychologischen Gutachter vorzuneh- tungsfähigkeit, die ein vorausschauendes Fah- men (Gruppe 1 und 2). ren bzw. eine Früherkennung von Gefahren- situationen ermöglicht, - mindestens normgerechte körperliche, insbeson- 2.6 Kompensation von Eignungs- dere sinnesphysiologische Voraussetzungen, mängeln - (bei Fahrerlaubnisinhabern) Vertrautheit mit Bei der Beurteilung von festgestellten Eignungs- dem Führen von Kraftfahrzeugen, mängeln ist die Frage ihrer möglichen Kompensier- barkeit von zentraler Bedeutung. - eine sicherheits- und verantwortungsbewusste Grundeinstellung, die erwarten lässt, dass die Die Verfügbarkeit der erforderlichen Leistungs - Unzulänglichkeiten der eigenen Leistungsaus- fähigkeit ist keine stabile Größe. Sie unterliegt stattung selbstkritisch reflektiert wurden und vorübergehenden Beeinträchtigungen, die z. B. in- diese beim Fahrverhalten berücksichtigt wer- folge Ermüdung, Stress, Alkohol und Drogen ein- den. treten können, und sie kann durch chronische Be- Wenn chronische Eignungsmängel einer ständigen einträchtigungen vermindert oder gestört sein, z. B. Kompensation bedürfen, kann die Eignung nur infolge Krankheiten oder Verhaltensstörungen. noch bedingt gegeben sein. Der betreffende Kraft- Unter Kompensation wird die Behebung oder der fahrer darf nur unter festgelegten Beschränkungen Ausgleich von Leistungsmängeln oder Funktions- oder Auflagen der Fahrerlaubnis am motorisierten
13 Verkehr teilnehmen (siehe Kapitel 2.1 „Grundsätz- 3 Spezieller Teil liche Beurteilungshinweise“). 3.1 Sehvermögen Eine risikoarme Verkehrsteilnahme ist bei bedingter Eignung nur dann gewährleistet, wenn der betref- In der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) sind die An- fende Kraftfahrer die erforderliche Sensibilität, Kri- forderungen an das Sehvermögen im § 12 und der tikfähigkeit und die nötige Zuverlässigkeit besitzt, Anlage 6 geregelt. um die geforderte Verfügbarkeit der notwendigen kompensatorischen Funktionen für eine situations- Über die jeweils aktuelle Fassung der Fahrerlaub- angepasste Leistung aufrecht zu erhalten und ein- nis-Verordnung informiert das Bundesministerium setzen zu können, d. h. die Regeln des Straßen- der Justiz in Zusammenarbeit mit der juris GmbH verkehrs und die Auflagen und Beschränkungen kostenlos im Internet unter: der Fahrerlaubnis zu beachten. www.gesetze-im-internet.de. Es ist zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des Die amtliche Fassung eines Gesetzes oder einer Ausmaßes und der zu erwartenden Verlaufsformen Rechtsverordnung enthält nach geltendem Recht einer vorliegenden Funktionseinschränkung oder nur die Papierausgabe des Bundesgesetzblattes, Krankheit die Selbstbeobachtung, Selbstkontrolle das vom Bundesministerium der Justiz herausge- und Zuverlässigkeit (compliance) des Fahrerlaub- geben wird und über die Bundesanzeiger Verlags- nisbewerbers ausreichen, um die notwendigen the- gesellschaft mbH, Amsterdamer Straße 192, rapeutischen Maßnahmen vor dem Benutzen eines 50735 Köln, bezogen werden kann. Kraftfahrzeuges zu beachten oder ggf. das Kraft- fahren zu unterlassen. 3.2 Hörvermögen Leitsätze 2.7 Kumulierte Auffälligkeiten Eine Beeinträchtigung der Hörleistung bis hin zur Mehrfache Auffälligkeiten können Zweifel an der beidseitigen völligen Gehörlosigkeit stellt kein Hin- Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen rechtfer- dernis zur Erteilung der Fahrerlaubnis dar. Bei tigen, auch dann, wenn jede Auffälligkeit für sich Zweifeln an der Fahreignung ist eine HNO-ärztliche allein noch keinen Eignungszweifel auslöst. Begutachtung erforderlich. Der Gutachter, der ggf. einen weiteren Gutachter Zur Beurteilung der Kraftfahreignung müssen auch hinzuzuziehen hat, muss beachten, dass es zu mögliche assoziierte Erkrankungen berücksichtigt einer Summation oder auch Kumulation von Auffäl- werden, falls notwendig auch durch Konsultation ligkeiten auch dann kommen kann, wenn sie unab- weiterer Fachdisziplinen. hängig voneinander sind oder eine einseitige oder wechselseitige Abhängigkeit nicht zu vermuten ist. Hochgradige Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit Insofern ist die Frage der Kumulation, wenn mehre- ist definiert als „besseres Ohr: Hörverlust > 60 %”. re Auffälligkeiten vorliegen, stets zu prüfen und die Das Ton- und das Sprachaudiogramm stellen die Art des Zusammenwirkens der Auffälligkeiten nach- Grundlage der Begutachtung dar. Die Bestimmung vollziehbar darzustellen. Das gilt erst recht bei Auf- des prozentualen Hörverlustes erfolgt anhand der fälligkeiten, bei denen wechselseitige Abhängigkei- Vierfrequenztabelle nach ROESER (1973) aus der ten schon erkennbar vorliegen oder zumindest zu Luftleitungskurve des Tonaudiogramms, ausge- vermuten sind. hend von den Hörverlusten in dB bei 500, 1.000, 2.000 und 4.000 Hz im schallisolierten Raum. Es kann erforderlich werden, dass gerade bei Auf- fälligkeiten oder Mängeln, die unabhängig vonei- Für Träger von Hörgeräten ist das ohne Hörhilfen nander zu sein scheinen, auch mehrere für die Fra- ermittelte Audiometrieergebnis maßgebend. Bei gestellungen zuständige Fachärzte mit verkehrs- Vorliegen einer hochgradigen Hörstörung müssen medizinischer Qualifikation oder eine Begutach- – soweit möglich – die Versorgung und das Tragen tungsstelle für Fahreignung mit der Begutachtung einer adäquaten Hörhilfe nach dem aktuellen Stand beauftragt werden müssen. der medizinisch-technischen und audiologisch- technischen Kenntnisse erfolgen.
14 Gruppe 1 mittelt werden. Das Gehör als Hilfsmittel ist im Stra- ßenverkehr weitgehend zurückgetreten. Entschei- Bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis der Gruppe 1 dend bei der Beurteilung der Fahreignung ist vor ergeben sich bei hochgradiger Schwerhörigkeit allem die Frage der möglichen Kompensierbarkeit. oder Gehörlosigkeit keine Bedenken, wenn nicht Durch eine vorhandene Hörminderung kann eine weitere körperliche oder psychische Defizite vorlie- Steigerung anderer sensorischer Leistungen er- gen, die eine fachärztliche Untersuchung erforder- reicht werden. Somit sind hörgeminderte oder lich machen. gehörlose Fahrer in der Lage, durch besondere Umsicht, Aufmerksamkeit und Gewissenhaftigkeit sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Gruppe 2 Bei der Erteilung einer Fahrerlaubnis der Gruppe 2 Auch die Führer eines Kraftfahrzeugs, das der Per- sind bei hochgradiger Schwerhörigkeit oder Gehör- sonenbeförderung gemäß § 11 Abs. 1 (Klasse D losigkeit eine fachärztliche Eignungsuntersuchung oder D1) und § 48 FeV (Fahrerlaubnis zur Fahr- bei Führerscheinerwerb und regelmäßige ärztliche gastbeförderung) dient, sind bei hochgradiger Kontrollen Voraussetzung. Zusätzlich ist eine 3-jäh- Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit fahrgeeignet. rige Fahrpraxis mit einem Kraftfahrzeug der Klasse Grundsätzlich beeinflusst das Fehlen einer münd- B nachzuweisen. Bei Zweifeln an der Fahreignung lichen Verständigung weder die Fahrkompetenz, ist eine fachärztliche Begutachtung erforderlich. noch beeinträchtigt es die Verkehrssicherheit. Entscheidend bei der Beurteilung der Fahreignung Die Auflage der 3-jährigen Fahrpraxis mit einem ist auch die Frage nach einer möglichen Kompen- Kraftfahrzeug der Klasse B für die Gruppe 2 hat sierbarkeit. einerseits zum Ziel, durch mehr Fahrpraxis und Routine die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhö- Begründung hen, andererseits kann durch die vorhandene Hör- minderung eine Steigerung anderer sensorischer Schwerhörigkeit oder Gehörlosigkeit gelten nicht Systeme (vor allem Schulung des optischen Sys- als Mängel, die generell für das Führen von Fahr- tems) erreicht werden. Die Voraussetzungen zum zeugen ungeeignet machen. Die Orientierung im Führen von Fahrzeugen der Gruppe 2 sind strenger motorisierten Straßenverkehr erfolgt überwiegend aufgrund der höheren Anforderung beim Fahren über das optische System, da verkehrsrelevante In- (z. B. längere Lenkzeiten) sowie der möglichen Un- formationen maßgeblich über visuelle Signale ver- fallschwere. Tabellarische Übersicht (zu Einzelheiten s. Text) Hochgradige Eignung oder bedingte Eignung Beschränkungen/Auflagen bedingter Eignung Schwerhörigkeit oder Gehörlosig- keit Gruppe 1 Gruppe 2 Gruppe 1 Gruppe 2 Ja, wenn nicht gleichzei- Ja, wenn nicht gleichzei- – Fachärztliche Eignungs- tig andere schwerwiegen- tig andere schwerwiegen- untersuchung. Regelmä- de Mängel (z. B. Sehstö- de Mängel (z. B. Sehstö- ßige ärztliche Kontrolle. rungen, Gleichgewichts- rungen, Gleichgewichts- Vorherige Bewährung störungen) vorliegen störungen) vorliegen von 3 Jahren Fahrpraxis auf Kfz der Klasse B. Hochgradige Schwerhö- rigkeit muss – soweit möglich – mit einer adäquaten Hörhilfe nach dem aktuellen Stand der medizinisch-technisch und audiologisch-techni- schen Kenntnisse korri- giert werden.
15 3.3 Bewegungsbehinderungen Symptome nicht wieder aufgetreten sind. Nach Implantation eines implantierbaren Kardioverter/ Auf Vorschlag des Verbandes der Technischen Defibrillator (ICD) kann erst nach einer längeren Überwachungsvereine (Merkblatt VdTÜV Kraftfahr- Verlaufsbeobachtung (wenigstens 6 Monate), die wesen 745, Ausgabe 10.93 „Sicherheitsmaßnah- von entsprechend ausgerüsteten Kardiologen men bei körperbehinderten Kraftfahrern”) sind spe- durchgeführt wird, eine Beurteilung erfolgen. zielle Anforderungen an die Anpassung am Fahr- zeug oder an orthopädischen Hilfsmitteln zu stellen. Basierend auf einheitlichen europäischen Empfeh- Diese Anforderungen sind im Anhang B aufgeführt. lungen wird in der nachfolgenden Tabelle eine Klas- Nach der FeV werden die medizinisch-psychologi- sifizierung zur Begutachtung von ICD-Patienten schen Untersuchungen in der Begutachtungsstelle dargestellt. für Fahreignung (§ 66 FeV), früher amtlich aner- kannte Medizinisch-Psychologische Untersu- Empfehlungen zur Begutachtung von ICD*-Patienten chungsstelle, durchgeführt. Das fachärztlich-ortho- pädische oder chirurgische Gutachten soll Aussa- Kategorie I Prophylaktische keine Implantation Einschränkung gen über Prothesenverträglichkeit, Stumpfverhält- nisse, Belastbarkeit der betroffenen Gliedmaßen Kategorie II Alle anderen Einschränkung für ICD-Patienten einen bestimmten bzw. der Prothesen, eventuelle Auswirkungen bei (nicht Berufskraftfahrer) Zeitraum Langzeitbelastung, Restfunktionen bei Teillähmung A Niedriges Risiko: 6 Monate und dergleichen enthalten. Kein Rezidiv Bei der Beurteilung der Bewegungsbehinderungen B Mittleres Risiko: Bis zum Nachweis sind auch die Kapitel 3.9.1 „Erkrankungen und Fol- Patienten mit gut der Symptomfreiheit tolerierten VTs** unter ICD-Therapie gen von Verletzungen des Rückenmarks“ bis 3.9.3 „Parkinsonsche Krankheit, Parkinsonismus und an- Kategorie III Hohes Risiko: Instabile Voraussetzungen VT (Berufskraftfahrer) zum sicheren Führen dere extrapyramidale Erkrankungen einschließlich von Kraftfahrzeugen zerebellarer Syndrome“ zu beachten. nicht gegeben. * ICD = Implantierbarer Kardioverter/Defibrillator ** VT = Kammertachykardie 3.4 Herz- und Gefäßkrankheiten 3.4.1 Herzrhythmusstörungen - Bei Patienten der Kategorie I besteht keine Ein- schränkung der Fahrerlaubnis, da das Risiko Leitsätze einer ICD-Entladung mit relevanter hämodyna- mischer Beeinträchtigung bei dieser Patienten- Wenn ein Fahrerlaubnisbewerber oder -inhaber gruppe (prophylaktische Implantation) als gering unter Herzrhythmusstörungen leidet, die anfallswei- eingestuft wird. Nach entsprechender Erholung se zu wiederholter Unterbrechung der Blutversor- von dem operativen Eingriff (in der Regel etwa gung des Gehirns führen und damit zur Ursache nach 3 Monaten) können die Betroffenen wieder von Bewusstseinstrübungen oder Bewusstlosigkeit risikolos Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 führen. werden können, so ist er nicht in der Lage, den ge- stellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahr- - Für Kategorie II A mit niedrigem Risiko ohne er- zeugen beider Gruppen gerecht zu werden. Grund- neutes Auftreten von Kammerrhythmusstörun- lage der Beurteilung sollte in jedem Fall eine einge- gen sind die Gefahren für 6 Monate doch noch hende internistisch-kardiologische Untersuchung so groß, dass ein Kraftfahrzeug nicht sicher ge- einschließlich 24-Stunden-Langzeit-EKG sein. führt werden kann. Nach erfolgreicher Behandlung der Rhythmusstö- - Für Kategorie II B mit einem mittleren Risiko rungen, entweder durch Arzneimittel oder durch An- kann bis zum Nachweis der Symptomfreiheit wendung eines sog. Herzschrittmachers, kann an- (z. B. Fehlen von Präsynkopen und Synkopen) genommen werden, dass der Betroffene bedingt unter der ICD-Therapie ein Kraftfahrzeug nicht wieder in der Lage ist, Kraftfahrzeuge der Gruppe 1 sicher geführt werden. zu führen, wenn die Herzfunktion über 3 Monate normalisiert blieb und die durch die Unterbrechung - Die Kategorie III umfasst Patienten mit einem der Blutversorgung des Gehirns entstehenden sehr hohen Risiko für hämodynamisch instabile
16 tachykarde Rhythmusstörungen. Sie können Herzinfarkt, Mitralstenose, Herzinsuffizienz, Schild- daher ein Kraftfahrzeug nicht sicher führen. drüsenüberfunktion. Darüber hinaus gilt, dass die Voraussetzungen zur Die ventrikuläre Extrasystolie ist nur dann als harm- Bewältigung der Anforderungen zum Führen eines los zu bewerten, wenn aufgrund eingehender ärzt- Kraftfahrzeuges der Gruppe 2 in der Regel für ICD- licher Untersuchungen eine organische Herz- Patienten nicht mehr gegeben sind. erkrankung ausgeschlossen werden kann. Beacht- lich sind insbesondere das Auftreten in Salven, po- Die regelmäßige ärztliche Überwachung des Zu- lytope Extrasystolen, früheinfallende Extrasystolen, standes in Abständen von längstens 6 Monaten in Bigeminus und solche, die unter Belastung auftre- Form einer regelmäßigen Kontrolle muss nachge- ten. Als Grundleiden kommen post-infektiöse Herz- wiesen werden. schäden (die wieder abklingen können) in Betracht und koronare Durchblutungsstörungen sowie ande- Bei komplexen ventrikulären Herzrhythmusstörun- re Herzmuskelerkrankungen (Kardiomyopathien). gen, nach Auftreten von Synkopen oder bei Zu- Rhythmusstörungen der genannten Art entspre- stand nach Reanimation ist für mindestens 6 Mo- chen in der Klassifikation nach LOWN den Schwe- nate anzunehmen, dass der Betroffene den Anfor- regraden III – V. Außerdem ist zur Beurteilung der derungen beim Führen eines Kraftfahrzeuges nicht Gefährdung durch ventrikuläre Extrasystolen die gewachsen ist. Danach ist regelmäßige Kontrolle Kenntnis über Art und Ausmaß der zugrunde lie- der Effektivität einer Behandlung von Rhythmusstö- genden Herzerkrankung entscheidend. rungen mit Durchführung eines 24-Stunden-Lang- zeit-EKGs und eventuell zusätzlicher Spezialunter- In besonderen Fällen sind zusätzliche Spezialun- suchungen erforderlich. tersuchungen (z. B. Ableitung sog. Spätpotenziale, elektrische Stimulationsverfahren) erforderlich. Die Voraussetzungen zur Bewältigung der Anforde- rungen zum Führen eines Kraftfahrzeuges der Die paroxysmale Tachykardie, auch Herzjagen ge- Gruppe 2 sind in der Regel nicht gegeben. nannt, kann wie alle anderen Herzanfälle mit unbe- rechenbarer Plötzlichkeit auftreten. Vor allem bei Begründung jungen Menschen ist immer ein Grundleiden nach- zuweisen. Auch die paroxysmale Tachykardie kann Eine ausreichende Durchblutung des Gehirns ist für die Hirndurchblutung einschränken und das Be- das volle Wachbewusstsein, die Konzentration, die wusstsein unter Umständen stark beeinträchtigen, Reaktionsfähigkeit und die Aufmerksamkeit bedeu- je nach Frequenz und nach der im Anfall noch er- tungsvoll. Gefährlich sind manche Herzrhythmus- haltenen Leistungskraft des Herzens. störungen. Bei einem Teil der Kranken mit anfallsartigem Herz- Für praktische Zwecke kann man diese Rhythmus- jagen finden sich im Elektrokardiogramm verkürzte störungen unterteilen in: Überleitungszeiten, die als Präexzitations-Syn- drome bezeichnet werden. Die EKG-Konstellation Überleitungsstörungen zweiten und höheren Gra- ist eng mit einer Neigung zu tachykarden Anfällen des, die dann besonders gefährlich sind, wenn es verbunden. Beim Präexzitations-Syndrom können zum völligen Aussetzen des Herzschlages (Asys - aber auch tachykarde Anfälle zeitlebens ausblei- tolie) kommt (Adams-Stokes-Syndrom); dann tritt ben. innerhalb von Sekunden Bewusstlosigkeit ein. Aber schwere Störungen der Bewusstseinstätigkeit kön- Das Carotis-Sinus-Syndrom wird bei bestimmten nen sich auch zeigen, wenn es zu sogenannten Kopfbewegungen durch Reizung des Blutdruckzüg- bradykarden (sehr langsamen) oder tachykarden lerapparates im Bereich der Halsschlagader ausge- (sehr schnellen) rhythmisch gestörten Herzfrequen- löst. Die Folge der Reizung ist ein überschießender zen kommt. Kreislaufreflex mit Bewusstlosigkeit. Vorhofflattern tritt oft anfallsweise auf und kann Die Komplikationen der Herztätigkeit sind also viel- subjektiv erhebliche Beschwerden machen, Vorhof- fältig, auf unterschiedliche Ursachen zurückzufüh- flimmern besteht häufiger permanent und wird sub- ren und zum Teil gefährlich. Eine Reihe dieser Stö- jektiv weniger unangenehm registriert. Zu beachten rungen lässt sich durch Arzneimittelbehandlung, ist das Grundleiden der Rhythmusstörungen, z. B. durch elektrische Kardioversion (evtl. auch mit au-
17 tomatischen, implantierbaren Defibrillatoren) und druck in der Lage ist, den gestellten Anforderungen durch die Implantation von elektrischen Herzschritt- bedingt gerecht zu werden, ist nur begründet, wenn machern beseitigen. Ein solcher Schrittmacher keine krankhaften Urinbefunde, keine Linkshyper- dient also der Erhaltung eines adäquaten Herz- trophie des Herzens, keine Veränderung des Au- rhythmus. Das Grundleiden wird dadurch nicht be- genhintergrunds vorliegen. einflusst. Die Störanfälligkeit der Geräte ist zwar Bei diesen Voraussetzungen ist die Auflage inter- auch heute noch nicht völlig beseitigt, doch ist die nistischer Nachuntersuchungen und Begutachtun- Technik in den letzten Jahren stark verbessert wor- gen in Abständen von längstens 3 Jahren erforder- den, und das Risiko eines technischen Versagens lich. ist bei weitem nicht so groß wie das Risiko bei einer Herzerkrankung mit gefährlichen Rhythmusstörun- gen. Grundsätzlich ist die ärztliche Überwachung Begründung und Beurteilung eines mit Herzschrittmacher aus- gerüsteten Fahrerlaubnisinhabers durch einen ent- Bei einem Bluthochdruck mit ständigen diastoli- sprechend ausgerüsteten Kardiologen erforderlich. schen Werten von mehr als 130 mm Hg hat man es stets mit einem sehr schweren Krankheitsbild zu tun (siehe Kapitel 3.6 „Nierenerkrankungen“). Die 3.4.2 Hypertonie (Blutdruckkrankheit, zu hoher Gefahren nehmen bereits jenseits 120 mm Hg für Blutdruck) den diastolischen Blutdruck schnell zu. Es kommt zu Netzhautblutungen, Überlastungen des Herz- Leitsätze muskels mit der Gefahr des Herzversagens, und es Wer unter einem Bluthochdruck mit ständig zu mes- steigt schließlich auch das Risiko für den Eintritt sendem diastolischen Wert über 130 mm Hg leidet, einer Hirnblutung (z. B. apoplektischer Insult). Jen- ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen seits 130 mm Hg für den diastolischen Blutdruck- zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen wert ist diese Gefahr so naheliegend, dass jede gerecht zu werden. Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr ausge- schlossen werden muss. Wer unter einem Bluthochdruck leidet, bei dem der diastolische Wert über 100 mm Hg liegt, ist nicht in Schon bei diastolischen Blutdruckwerten jenseits der Lage, den Anforderungen zum Führen von 100 mm Hg häufen sich Blutungszwischenfälle, Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 gerecht zu werden, Kreislaufversagen, Niereninsuffizienzzeichen und wenn gleichzeitig andere prognostisch ernste Sym- Netzhautschäden, so dass eine regelmäßige ärzt- ptome, z. B. Zeichen einer gestörten Nierenfunk- liche Überwachung dieser Kranken besonders tion, starke Augenhintergrundveränderungen (Blu- dann sichergestellt sein muss, wenn sie als Kraft- tungen und Exsudate), neurologische Restsympto- fahrer am Straßenverkehr teilnehmen oder als me nach Hirndurchblutungsstörungen oder eine Fahrerlaubnisbewerber teilnehmen wollen. deutliche Linkshypertrophie des Herzens nachzu- Liegt der diastolische Blutdruck ständig über weisen sind. Für das Führen von Kraftfahrzeugen 100 mm Hg, ohne dass die oben angeführten sons- der Gruppe 1 ist der Betroffene nur unter besonde- tigen Befunde erhoben werden können, so handelt ren Bedingungen in der Lage, den gestellten Anfor- es sich bei dem betreffenden Fahrerlaubnisbewer- derungen gerecht zu werden. ber oder Fahrerlaubnisinhaber jedenfalls um einen Beim Vorliegen dieser Befunde (soweit sie nicht Kranken mit Bluthochdruck. Der weitere Verlauf von sich aus ein sicheres Verhalten bei Teilnahme hängt von der Dauer des Leidens und vom Le- am motorisierten Straßenverkehr ausschließen) ist bensalter ab. Er lässt sich schwer abschätzen. In eine vorbeugende Gefahrenabwehr beim Führen solchen Fällen müssen im Allgemeinen internis- von Fahrzeugen der Gruppe 1 nur unter der Auf- tische Nachuntersuchungen in Abständen von läng- lage regelmäßiger internistischer Kontrollen und stens 3 Jahren durchgeführt werden. Nachbegutachtungen in Abständen von 2 Jahren zu gewährleisten (im Zweifelsfall neurologisch- 3.4.3 Hypotonie (zu niedriger Blutdruck) psychiatrisches Gutachten). Die Hypotonie hat im Unterschied zur Hypertonie Die Annahme, dass ein Betroffener mit einem stän- in der Regel keinen Krankheitswert. Es gibt viele dig über 100 mm Hg liegenden diastolischen Blut- Menschen mit auffallend niedrigem Blutdruck, die
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