Bericht des Regionaldirektors

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Regionalkomitee für Europa                                                                 EUR/RC70/5 Rev.2
70. Tagung
Virtuelle Tagung, 14.–15. September 2020                                                 13. September 2020
                                                                                                    200691
Punkt 2 b) der vorläufigen Tagesordnung                                                ORIGINAL: ENGLISCH

                           Bericht des Regionaldirektors
                  Die Arbeit von WHO/Europa im Zeitraum 2019–2020

    In diesem Bericht sollen die wichtigsten Aktivitäten von WHO/Europa im Zeitraum 2019–2020
    geschildert werden.

    WHO/Europa hat sich im Wesentlichen darauf konzentriert, die Länder im Umgang mit der
    COVID-19-Pandemie zu unterstützen. Gleichzeitig hat es weiterhin auf die Erfüllung der
    Zielvorgaben des Dreizehnten Allgemeinen Arbeitsprogramms der WHO (GPW 13) hingearbeitet
    und Vorbereitungen getroffen, um für die Umsetzung der im Entwurf des Europäischen
    Arbeitsprogramms 2020–2025 entworfenen länder-orientierten Zukunftsvision gerüstet zu sein.

     W ELTGESUNDHEITSORGANISATION REGIONALBÜRO FÜR EUROPA
        UN City, Marmorvej 51, DK-2100 Kopenhagen Ø, Dänemark Tel.: +45 45 33 70 00 Fax: +45 45 33 70 01
               E-Mail: eugovernance@who.int Web: http://www.euro.who.int/de/who-we-are/governance
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Vorwort des Regionaldirektors .................................................................................................. 3
Einleitung ................................................................................................................................... 5
Die Arbeit von WHO/Europa ..................................................................................................... 5
     Gesundheitliche Notlagen ................................................................................................. 6
     Allgemeine Gesundheitsversorgung ............................................................................... 13
     Gesundheit und Wohlbefinden ....................................................................................... 18
Gesundheitssicherheit in einer sich verändernden Welt: Was haben wir aus COVID-19
gelernt? ..................................................................................................................................... 24
      Solidarität ist der Schlüssel zum Erfolg .......................................................................... 24
      Stärkere Gesundheitssysteme für mehr Gesundheitssicherheit ...................................... 26
      Gesundheit und Wirtschaft: zwei Seiten einer Medaille ................................................ 27
Zwecktaugliche Umgestaltung von WHO/Europa ................................................................... 29
    Unterstützung der Umgestaltung der WHO.................................................................... 29
    Umstrukturierung von WHO/Europa zur Umsetzung strategischer Prioritäten .................. 30
    Einführung einer neuen Organisationskultur durch Einbindung der Mitarbeiter ........... 30
    Rechenschaftslegung gegenüber den Mitgliedstaaten und Beteiligung externer
    Akteure............................................................................................................................ 31
    Mobilisierung von Finanzmitteln.................................................................................... 32
Abschließende Bemerkungen des Regionaldirektors ............................................................... 33
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Vorwort des Regionaldirektors
1.    Die Pandemie der Coronavirus-Krankheit (COVID-19), die mit dem tragischen Verlust zu
vieler Menschenleben und verheerenden Auswirkungen auf unsere Gesellschaften einhergeht,
führt uns unsere Verwundbarkeit vor Augen und stellt eine Herausforderung für unsere
Gesundheitssysteme und unseren Lebensstil dar. Sie hat vielen Menschen Kummer und Sorge
bereitet und Ungewissheit hinsichtlich der Zukunft unserer jüngeren Generationen gebracht.

2.    Gleichzeitig erinnert uns diese beispiellose gesundheitliche Krise an die Bedeutung und
den Wert von Gesundheit. Sie macht auch Solidarität und gemeinsames Handeln erforderlich und
sollte uns in unserem Engagement und unserer Entschlossenheit bestärken, die
gesundheitsbezogenen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) zu verwirklichen und dabei
niemanden zurückzulassen. Mehr denn je wird heute Führung in der Gesundheitspolitik benötigt,
und die Politiker müssen die berechtigten Erwartungen der Bürger, denen sie dienen, erfüllen.
Die Krise gibt uns die Gelegenheit, die auf dem Weg zu einer echten Gesundheitskultur und einer
Ökonomie des Wohlergehens erforderlichen mutigen Entscheidungen zu treffen.

3.    Vor einem Jahr, während meines Wahlkampfs, bereiste ich Mitgliedstaaten, hörte mir ihre
Bedürfnisse und Erwartungen an und teilte meine Vision „Gemeinsam für mehr Gesundheit“, die
der Verwirklichung zweier Zielsetzungen dienen soll: „niemanden zurücklassen“ und
„Befähigung der gesundheitspolitischen Führungsebene“. Natürlich hätte ich mir nicht vorstellen
können, gleich zu Beginn meiner Amtszeit mit der größten gesundheitlichen Krise unseres
Lebens konfrontiert zu werden. Aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, hat die COVID-19-
Pandemie die strukturellen Probleme, denen wir uns im Gesundheitswesen seit langem
gegenübersehen, schonungslos offengelegt: Einigkeit bei Gesundheitsmaßnahmen ist selten eine
Realität, viele Schwächere werden zurückgelassen, und Gesundheitsverantwortliche haben oft
Mühe, sich im breiteren staatlichen und öffentlichen Raum Gehör zu verschaffen. Als WHO-
Regionaldirektor für Europa rufe ich nun gemeinsam mit meinem Team dazu auf, diese Pandemie
in Solidarität, zum ausgewogenen Wohle aller durch effektive Führung zu bekämpfen. Im
Einklang mit dieser Vision ist die Arbeit von WHO/Europa 1 seit Beginn der Pandemie von der
Anerkennung zweier zentraler Tatsachen geprägt.

4.    Erstens ist gegenseitiges Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten und der WHO von
grundlegender Bedeutung, insbesondere in Krisenzeiten. Dies erfordert die Aufrechterhaltung
eines direkten und engen Kontaktes mit den Ländern, um Unterstützung auf ihre jeweiligen
Bedürfnisse zuschneiden zu können. Ich hatte das große Privileg, täglich unter anderem mit
Gesundheitsministern, Außenministern, Staats- und Regierungschefs sowie Betroffenen
sprechen zu können, um mir ein besseres Bild von diesen Bedürfnissen zu machen. Diese engen
Kontakte ermöglichten auch einen kontinuierlichen Informationsaustausch über jeden
einzelnen Aspekt der sich ausbreitenden Pandemie. Durch eine intensive tägliche Unterstützung
vonseiten der WHO-Länderbüros und über 74 Experten- und hochrangige Missionen haben wir
eng mit den Gesundheitsbehörden zusammengearbeitet, um unter Berücksichtigung der
kulturellen und ökonomischen Vielfalt der Region globale Leitlinien in pragmatische Lösungen

1
  Der Begriff „WHO/Europa“ umfasst das Regionalbüro in Kopenhagen, 32 Länderbüros, Außenstellen und
Verbindungsbüros, drei subregionale Schaltzentralen des Programms der WHO für gesundheitliche Notlagen
(WHE), fünf ausgelagerte Fachzentren und eine von der WHO betreute Partnerschaft. Das Büro der WHO zur
Stärkung der Gesundheitssysteme (Büro Barcelona) hat nicht den gleichen Status wie die ausgelagerten
Fachzentren, da es für die Präsenz der WHO in Spanien keinen vereinbarten Rechtsrahmen gibt. Spanien und die
WHO haben sich jedoch erneut verpflichtet, eine Lösung in dieser seit Langem bestehenden Angelegenheit zu
finden, und derzeit laufen unter Beteiligung des Büros des Generaldirektors diesbezügliche Verhandlungen.
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umzusetzen, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Länder entsprechen. Diese Dimension des
Vertrauens sollte bei der unabhängigen Evaluation der globalen Reaktion auf die Pandemie
einen wichtigen Bestandteil bilden, was zu einer sinnvolleren Festlegung der Aufgaben und
Zuständigkeiten führen wird. Ich bin auch davon überzeugt, dass bei jeder sich daraus ergebenden
Reform die Rolle der WHO-Regional- und -Länderbüros gestärkt werden sollte, nicht zuletzt in
Europa, wo die Möglichkeiten für eine maßgeschneiderte Unterstützung und zum
Wissensaustausch dank gezielter subregionaler Gesundheitsdiplomatie so reichlich vorhanden sind.

5.    Zweitens kann eine Krise diesen Ausmaßes nur gemeinsam bewältigt werden. Die Schlacht
gegen COVID-19 ist kein Sprint, sondern ein Marathon, und gemeinsame und gestärkte
Partnerschaften auf der regionsweiten und globalen Ebene sind nötig, um diese Situation zu
überstehen. In unserer Region ist eine enge Zusammenarbeit und Abstimmung mit der
Europäischen Union (EU) entscheidend für vereintes Handeln und gebündelte Anstrengungen.
Doch es kommt auch darauf an, Partnerschaften auf andere Teile unserer Region und auf andere
wichtige subregionale Partner auszudehnen, etwa den Kooperationsrat der türkischsprachigen
Staaten, den Rat für gesundheitspolitische Zusammenarbeit der Gemeinschaft Unabhängiger
Staaten, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit und die Mitteleuropäische Initiative,
um die subregionale Zusammenarbeit zu stärken und bedarfsgerechte Unterstützung für
Mitgliedstaaten mit ähnlichem epidemiologischem und historischem Profil anzubieten. Aufgrund
meines besonderen Engagements für die Mitgliedstaaten im östlichen Teil der Region reiste ich
unmittelbar nach meiner Ernennung nach Zentralasien und in die Westbalkanregion, um diese
neue Zusammenarbeit und Partnerschaft in die Wege zu leiten.

6.    Aufgrund der Präsenz von WHO/Europa auf Ebene der Länder und der damit verbundenen
ausgezeichneten Kapazitäten waren und sind wir gut aufgestellt, um auf diese Pandemie zu
reagieren. Dies hat mich in meiner Überzeugung und Entschlossenheit bestärkt, die Unterstützung
für die Länder durch politischen Dialog, fachliche Hilfe in strategischen Bereichen und
operationelle Unterstützung durch die Länderbüros auszuweiten und zu verstärken. Die
Länderbüros machen einen großen Teil unseres Wertes aus, da sie einen politischen Wandel
durch ihren Beitrag zur Umsetzung von Evidenz sowie durch ihre normative Arbeit unter
Berücksichtigung der besonderen Gegebenheiten in den einzelnen Ländern mitgestalten und
diesen unterstützen. Letztendlich ermöglicht uns unsere Präsenz in den Ländern, näher dran an
den Orten zu sein, wo Führung, Koordination und Hilfe erforderlich ist.

7.    Es trifft sich gut, dass 2020 das Internationale Jahr der Pflegekräfte und Hebammen ist.
Durch die Kraft, das Mitgefühl und die Entschlossenheit des gesamten Gesundheits- und
Pflegepersonals wird COVID-19 eingedämmt, und viele Menschenleben konnten bereits gerettet
werden. In diesem Bericht, in dem die Tätigkeit von WHO/Europa geschildert wird, bitte ich Sie,
sich meinem Beifall für den Mut und das Engagement des Gesundheitspersonals anzuschließen,
das bei der Bekämpfung der Pandemie – oft unter Gefährdung der eigenen Sicherheit – an
vorderster Front steht. Deshalb habe ich beschlossen, die Kampagne zum Internationalen Jahr der
Pflegekräfte und Hebammen in der Europäischen Region ins Jahr 2021 zu verlängern.

8.    Im Lauf der kommenden fünf Jahren werde ich mich, zusammen mit den äußerst
engagierten Mitarbeitern von WHO/Europa in allen Teilen der Region, dafür einsetzen, eine
gesündere, sicherere und wohlhabendere Europäische Region zu schaffen, der ein
Wiederaufbau zum Besseren und mit mehr Widerstandsfähigkeit gelingt. Wir sind
entschlossen, der Gesundheit und dem Wohlbefinden aller Menschen in der Region so gut wir
können zu dienen und niemanden zurückzulassen.
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Einleitung
9.    In diesem Bericht sollen die wichtigsten Aktivitäten von WHO/Europa seit der 69. Tagung
des WHO-Regionalkomitees für Europa (RC69) im September 2019 geschildert werden; er sollte
in Verbindung mit der mündlichen Präsentation des Regionaldirektors zu diesem
Tagesordnungspunkt auf der 70. Tagung des WHO-Regionalkomitees für Europa (RC70) gelesen
werden. Der Bericht umfasst jeweils Teile der Amtszeiten der früheren Leitung und des
amtierenden Regionaldirektors, der sein Amt am 3. Februar 2020 antrat. Während dieses
Übergangszeitraums hat WHO/Europa weiterhin auf die Erfüllung der Zielvorgaben des
Dreizehnten Allgemeinen Arbeitsprogramms der WHO (GPW 13) hingearbeitet und gleichzeitig
Vorbereitungen getroffen, um für die Umsetzung der länder-orientierten Zukunftsvision aus dem
Entwurf des Europäischen Arbeitsprogramms (EPW) gerüstet zu sein, das in Abstimmung mit
allen Mitgliedstaaten in der Europäischen Region, dem Ständigen Ausschuss des
Regionalkomitees (SCRC), der Europäischen Kommission, Organisationen der Vereinten
Nationen, nichtstaatlichen Akteuren, WHO-Mitarbeitern und der breiten Öffentlichkeit
entwickelt wurde.

10. In diesem Bericht soll keine umfassende Darstellung der Tätigkeit von WHO/Europa
vorgenommen werden. Ausführlichere Informationen über die programmbezogenen
Aktivitäten finden sich in den begleitenden Dokumenten für das Regionalkomitee, namentlich
den Fortschrittsberichten. Da die Arbeit von WHO/Europa 2020 in hohem Maße von der
COVID-19-Krise geprägt war, durchziehen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Krise den
gesamten Bericht.

11. Der Bericht präsentiert wichtige Aspekte einiger Maßnahmen zu jeder der drei Säulen der
dreifachen Milliarden-Zielmarke des GPW 13: gesundheitliche Notlagen, allgemeine
Gesundheitsversorgung und Gesundheit und Wohlbefinden. Aus der Betrachtung der
Herausforderungen und Chancen, die sich aus der COVID-19-Krise ergeben, ziehen wir drei
wichtige Lehren: die Bedeutung von Solidarität, die Notwendigkeit der Bereitschaftsplanung
der Gesundheitssysteme und die Interdependenz von Gesundheit und Wirtschaft. Darauf folgt
eine Beschreibung der Anstrengungen von WHO/Europa, seine Zwecktauglichkeit in Bezug
auf die vierte, unterstützende Säule des GPW 13 zu erhöhen.

Die Arbeit von WHO/Europa
12. In diesem Abschnitt wird die programmbezogene Arbeit von WHO/Europa zwischen
dem RC69 (September 2019) und dem RC70 (September 2020) unter dem Gesichtspunkt der
dreifachen Milliarden-Zielmarke – Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen Notlagen,
Ausbau der allgemeinen Gesundheitsversorgung und Verbesserung von Gesundheit und
Wohlbefinden – dargestellt.

13. Obwohl in der gesamten Europäischen Region in den vergangenen zehn Jahren beträchtliche
Fortschritte hinsichtlich der gesundheitlichen Resultate erzielt worden sind, gibt es doch zwischen
den Ländern Unterschiede von 10 Jahren bei der Gesamtlebenserwartung und von 12,4 Jahren bei
der gesunden Lebenserwartung. Innerhalb der Länder geht ein deutliches geschlechtsspezifisches
Gefälle sowohl bei der Mortalität als auch bei der Morbidität mit Unterschieden bei Bildungsniveau
und sozioökonomischem Status einher. Diese gesundheitlichen Ungleichheiten spiegeln nicht nur
Unterschiede bei Einkommen und Lebensstandard, sondern auch bei der Exposition gegenüber
Risikofaktoren und dem Zugang zur Gesundheitsversorgung wider.
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14. Die gewaltige Kraft der COVID-19-Pandemie und ihre sozioökonomischen Auswirkungen
gefährden nicht nur frühere Zugewinne, sondern können auch zu einer weiteren Verschärfung der
gesundheitlichen Ungleichheiten führen. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Tätigkeit von
WHO/Europa lag daher auf der Unterstützung der Länder bei der Eindämmung der Pandemie,
der Entlastung der Gesundheitssysteme und der Vorbereitung auf einen sicheren Übergang aus
der akuten Krise. Gleichzeitig wurde die reguläre programmbezogene Arbeit fortgesetzt, jedoch
unter dem neuen Aspekt der Abfederung der nachteiligen Auswirkungen von COVID-19.

15. Die beispiellose Herausforderung für die öffentliche Gesundheit, mit der die gesamte Region
seit Anfang 2020 konfrontiert war, zwang WHO/Europa, schnell auf COVID-19 zu reagieren und
sein gesamtes Personal – beim Regionalbüro, in den ausgelagerten Fachzentren und Länderbüros,
in den Schaltzentralen und Außenstellen – zu mobilisieren, um den Sachverstand aller verfügbaren
Mitarbeiter einsetzen zu können. Das Personal arbeitete in flexiblen, abteilungsübergreifenden
Teams, um die Mitgliedstaaten bei ihren sofortigen Gegenmaßnahmen zu unterstützen. Während
auch für das Personal in Kopenhagen und an anderen Dienstorten Ausgangsbeschränkungen galten,
wurden Mitarbeiter (sowohl im Regionalbüro als auch in sämtlichen Länderbüros) mit neuen
Aufgaben betraut und Aktivitäten neu ausgerichtet, um die Länder und das für die Unterstützung
im Bereich Ereignis-Management (IMST) zuständige Team des Programms der WHO für
gesundheitliche Notlagen (WHE) zu unterstützen.

Gesundheitliche Notlagen

16. Mit mehr als 3,5 Mio. bestätigten Infektionsfällen und mehr als 215 000 bestätigten
Todesfällen (Stand: 7. August 2020) in der Region infolge der COVID-19-Pandemie haben die
Prävention und Erkennung von Ausbrüchen und die Einleitung zügiger Gegenmaßnahmen für
die Arbeit von WHO/Europa oberste Priorität. Daten über die zusätzliche Mortalität deuten auf
noch höhere Opferzahlen und Auswirkungen auf die Menschen hin: Nach Angaben aus 23
europäischen Ländern gibt es eine kumulierte Übersterblichkeit von 187 527 Fällen (Daten des
Europäischen Projekts für die Beobachtung der Mortalität vom 2. August 2020).

17. Die ältere Bevölkerung unserer Region hat während der Pandemie eindeutig am meisten
gelitten. Während 58% der Infektionen bei Menschen im erwerbsfähigen Alter gemeldet
wurden, entfallen 90,3% der zusätzlichen Sterbefälle auf die Altersgruppe ab 65, die Hälfte
davon auf die Altersgruppe ab 85. Neben dem tragischen Verlust von Menschenleben waren
ältere Menschen auch am meisten von den strengen Ausgangsbeschränkungen und
Isolationsmaßnahmen betroffen. Als die Region mit dem höchsten Altersquotienten müssen wir
besonders darauf achten, ältere Menschen wirksamer zu schützen, unter anderem durch
Investitionen in die Prävention und Behandlung chronischer Vorerkrankungen, die die Gefahr
eines komplizierten Verlaufs von COVID-19 erhöhen.

18. Zahlreiche Länder in der Region erleben inzwischen einen Wiederanstieg der Fallzahlen
von COVID-19 und der daraus resultierenden Todesfälle, was verdeutlicht, dass die Schlacht
noch nicht geschlagen ist. Eine ständige Wachsamkeit und länderspezifische Strategien müssen
aufrechterhalten werden und die zusätzliche Belastung der Gesundheitssysteme durch die
saisonale Grippe in den Wintermonaten in Betracht ziehen. Der Kampf gegen COVID-19
erinnert uns an die überragende Bedeutung der primären Gesundheitsversorgung und der
grundlegenden gesundheitspolitischen Aufgaben.
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Bereitschaftsplanung für Notlagen

19. Vor dem COVID-19-Ausbruch stellte WHO/Europa im Rahmen integrierter Pakete auf
Länderebene und unter Führung der Leiter der Länderbüros strategische Orientierungshilfe für
die Entwicklung, Einleitung, Steuerung und Umsetzung umfassender und wirkungsorientierter
Pläne bereit, bei denen die Länder im Mittelpunkt stehen. Drei Schaltzentralen in der
Europäischen Region unterstützen unsere Länderbüros und leisten Hilfe in den Ländern.

20. WHO/Europa arbeitet eng mit den Mitgliedstaaten zusammen, um die Kapazitäten für die
Prävention von und die Bereitschaftsplanung für Notlagen im Einklang mit den nach den
Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) (2005) geforderten Kernkapazitäten zu
bewerten und zu stärken. Dies umfasst die Koordination und Kommunikation zwischen den
zuständigen Stellen sowie die Schulung des Personals für die Erstellung, Einleitung und
Umsetzung umfassender und wirkungsorientierter Pläne für die Reaktion auf Notlagen:
     •     Nach den Masernausbrüchen in mehreren Ländern im Zeitraum 2018–2019 und ihrer
           Einstufung als Notlage der Stufe 2 unterstützte WHO/Europa viele
           Gesundheitsbehörden in der Region bei der Durchführung strategischer
           Risikobewertungen, der Erarbeitung nationaler Pläne für die Reaktion auf Notlagen,
           der Notfallplanung für Risiken hoher Priorität, der Durchführung von Bewertungen,
           Planungen und Simulationen in Gesundheitseinrichtungen, der Erstellung von
           Prüflisten für die Handlungsbereitschaft und der Dokumentation der aus
           Maßnahmenüberprüfungen gezogenen Lehren. Als die COVID-19-Pandemie diese
           Länder traf, gab es bereits Strukturen und Systeme für die Einleitung sofortiger
           Gegenmaßnahmen und eine Verständigung darüber, wie von der regulären Arbeit auf
           den Ereignis-Management-Modus umgestellt werden kann, um alle Elemente der
           Gegenmaßnahmen zu bewältigen.
     •     Ende 2019 wurden viele Aspekte der nach der H1N1-Pandemie 2009 errichteten
           grippebezogenen Infrastruktur im Zuge der Umsetzung des Planungsrahmens für die
           pandemische Influenza weiter gestärkt und weiterentwickelt. Dies bedeutete, dass die
           Infrastruktur rasch für neue Zwecke genutzt werden konnte, indem als Hauptgerüst
           einer Plattform für die Reaktion auf COVID-19 unter anderem das Netzwerk für die
           Influenza-Bereitschaftsplanung, die Initiative „Bessere Labors für mehr Gesundheit“,
           die Labor-Sonderarbeitsgruppe für hochgefährliche Erreger sowie das regionsweite
           Influenza-Netzwerk in Koordination mit dem Europäischen Zentrum für die
           Prävention und die Kontrolle von Krankheiten und nationalen Programmen zur
           Infektionsprävention und -bekämpfung kombiniert wurden. Vor allem die Systeme
           zur Überwachung und Bekämpfung von Influenza sind auf COVID-19 umgestellt
           worden. Die jährliche Sensibilisierungskampagne für Grippe, mit der die
           Länderprogramme für die saisonale Grippeimpfung gefördert werden, soll im Herbst
           2020 angepasst werden, um der Notwendigkeit einer sicheren Bereitstellung des
           Impfstoffs für Menschen mit erhöhtem Komplikationsrisiko aufgrund von Influenza
           und COVID-19 Rechnung zu tragen.
     •     Im Oktober 2019 wurden die regelmäßigen Kapazitätsaufbau-Workshops für die
           Nationalen IGV-Anlaufstellen in der Europäischen Region fortgesetzt, gefolgt von
           einer Simulation für die gemeinsame Bewertung und Erkennung von Ereignissen für
           alle 55 Nationalen IGV-Anlaufstellen in der Region. Wie sich herausstellte, kamen
           diese Aktivitäten gerade zur rechten Zeit, da die rasche Durchführung von Ereignis-
           Management-Maßnahmen gemäß den IGV (2005), einschließlich der Abstimmung,
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           des Informationsaustauschs und der Kommunikation unter den Nationalen
           Anlaufstellen, die Meldung von COVID-19-Fällen beschleunigte und damit
           möglicherweise die Belastung für die Gesellschaften verringerte.
     •     Mitte Dezember 2019 nahmen 20 Länder an der zweiten SocialNET-Schulung teil, die
           von Experten der United States Centers for Disease Control and Prevention, des
           Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten, des
           Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen und des Roten Kreuzes durchgeführt und
           ermöglicht wurde. Als Szenario für das einwöchige Training, das eine Brücke
           zwischen Risikokommunikation, Bürgerbeteiligung und Sozialwissenschaften schlug,
           wurde eine Pandemie gewählt, was wenige Wochen später Realität wurde.
     •     Unter dem Dach der Themenbezogenen Koalition der Vereinten Nationen für
           Gesundheit und Wohlbefinden richtete das WHE eine koordinierte Plattform für die
           Partner ein, darunter die WHO, Organisationen der Vereinten Nationen, das Rote
           Kreuz und internationale nichtstaatliche Organisationen aus der gesamten Region. Die
           Plattform ermöglicht Diskussionen über Strategiepläne für Vorsorge- und
           Bekämpfungsmaßnahmen (SPRP), über Pläne für humanitäre Maßnahmen und über
           länderspezifische Herausforderungen und hat ein eng koordiniertes und harmonisiertes
           ressortübergreifendes Vorgehen erleichtert, das nicht nur Leben rettet, sondern auch
           über den Gesundheitsbereich hinausgeht, um den Mitgliedstaaten Unterstützung und
           Informationen für die Gestaltung der umfassenderen Reaktion auf COVID-19 und den
           Wiederaufbau zum Besseren anzubieten.

21. Zur Stärkung der von WHO/Europa bereitgestellten regionsweiten Unterstützung für die
Bereitschaftsplanung für Notlagen in den Ländern unterzeichneten der Regionaldirektor und das
türkische Gesundheitsministerium am 8. Juli 2020 eine finanzielle Vereinbarung über die
Einrichtung eines neuen Kompetenzzentrums der WHO in Istanbul zur Bereitschaftsplanung für
humanitäre und gesundheitliche Notlagen. Bei dieser Gelegenheit besuchte der Regionaldirektor
auch die Außenstelle der WHO und ein Zentrum für die primäre Gesundheitsversorgung mit in
der Türkei geschulten und zertifizierten syrischen Ärzten und Pflegekräften in Gaziantep an der
Grenze zwischen der Türkei und der Arabischen Republik Syrien, das bei der Unterstützung der
von den Vereinten Nationen geleiteten humanitären Maßnahmen im Nordwesten der Arabischen
Republik Syrien und des von der EU finanzierten Programms der WHO für die Gesundheit von
Flüchtlingen in der Türkei eine wesentliche Rolle spielt.

Reaktion auf die Notlage

22. Sobald am 31. Dezember 2019 die ersten Berichte erschienen, setzte das WHE in der
Europäischen Region ein Team zur Beobachtung des damals kleinen Clusters atypischer
Lungenentzündungen ein. Am 7. Januar 2020, als der neue Stamm des Coronavirus identifiziert
wurde, verstärkte das WHE die Bereitschafts- und Vorsorgemaßnahmen in der Region weiter. Am
23. Januar beauftragte das WHE in Übereinstimmung mit der Einstufung von Gefahren und
Notlagen durch die WHO offiziell das IMST mit der Vorbereitung und Reaktion auf die wachsende
Bedrohung durch das Virus. Einen Tag später, am 24. Januar 2020, wurden in Frankreich die ersten
Fälle von COVID-19 in der Europäischen Region entdeckt. Das IMST beschleunigte seine
Maßnahmen zur Unterstützung der Länder bei der raschen Entdeckung und Meldung von
Verdachtsfällen und Fallhäufungen. Im Februar 2020 wurde die öffentliche Übersichtsseite zu
COVID-19 in der Europäischen Region der WHO (in englischer und russischer Sprache)
eingerichtet, die bis heute mehr als 8 Mio. Besuche (Unique Visits) verzeichnet.
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23. In der gesamten Region wurden rasch Fachwissen und Material bereitgestellt, und bereits
im Januar wurde Personal aus allen Bereichen von WHO/Europa (sowohl aus den Länderbüros
als auch dem Regionalbüro) mit neuen Aufgaben betraut, um das IMST bei der Reaktion auf
die Pandemie zu unterstützen, wobei ein klarer länderbezogener und operativer Schwerpunkt
gesetzt wurde.

24. Mit Unterstützung von WHO/Europa und auf Grundlage des SPRP führten die
Mitgliedstaaten jeweils detaillierte Analysen durch und entwickelten einen Plan für Vorsorge-
und Bekämpfungsmaßnahmen für COVID-19 (CPRP), in dem die Angebote des öffentlichen
Gesundheitswesens und die grundlegenden Gesundheitsleistungen dargelegt werden, die
erforderlich sind, um auf COVID-19 vorbereitet zu sein und die Pandemie zu bekämpfen. In
einigen Fällen waren die nationalen Behörden in der Lage, die für die Vorsorge für und
Reaktion auf die COVID-19-Pandemie erforderlichen Maßnahmen mit minimaler
Unterstützung von außen umzusetzen. In anderen Fällen haben WHO/Europa und seine
Partnerorganisationen intensive Unterstützung geleistet und Fachwissen bereitgestellt, u. a. durch
die Beschaffung und Verteilung von persönlicher Schutzausrüstung, Tests, Gebrauchsgütern und
Reagenzien, durch die Bereitstellung von fachlicher Unterstützung und Orientierungshilfe, durch
die Ausarbeitung von Standardverfahren und durch Kapazitätsaufbau, durch die Bereitstellung
von Hilfe bei der Umsetzung von Kontrollen an Grenzübergangsstellen, bei der Falluntersuchung
und bei der Ermittlung von Kontaktpersonen.

    Neuausrichtung des Büros in Venedig
    Ein gutes Beispiel für die Neuausrichtung in einer Notlage lieferte das Europäische Büro
    der WHO für Investitionen in Gesundheit und Entwicklung in Venedig mit der
    Koordination des Austauschs klinischer Erfahrungen im Zuge zunehmenden Wissens über
    COVID-19. Das Büro organisierte mehr als 40 Webinare, an denen durchschnittlich
    300 Fachleute (darunter Spezialisten für Infektionskrankheiten, Personal von
    Intensivstationen und Leiter von Gesundheitseinrichtungen) aus den verschiedenen
    Regionen Italiens und aus anderen Ländern teilnahmen, zu verschiedenen Themen wie
    therapeutische Ansätze, Wahl der Medikamente, Erleichterung der Kommunikation von
    Patienten auf Intensivstationen mit Familienangehörigen und Ermittlung von
    Kontaktpersonen. Zusätzlich wurden über das umfangreiche Netz von Experten der WHO
    logistische Unterstützung vor Ort und fachliche Beratung (in Bereichen wie Laborarbeit,
    Epidemiologie und Infektionsprävention und -bekämpfung) bereitgestellt. Über das
    Netzwerk Regionen für Gesundheit und die Initiative kleiner Länder wurde dieser
    Austausch international auf Einsatzkräfte in zahlreichen Ländern ausgeweitet und hat bis
    zu 1500 Fachkräfte für öffentliche Gesundheit in Europa und darüber hinaus erreicht.

25. Wegen der eingeschränkten Möglichkeiten, Länder zu bereisen, und der
Ausgangsbeschränkungen wurden innovative Ansätze zur Unterstützung der Länder verfolgt,
etwa virtuelle Missionen, Webinare und die Einreise in Länder mit Fracht- und anderen eiligen
Flügen. Mit Hilfe des starken Engagements und der Führungskompetenz der WHO-
Länderbüros ermöglichten die drei subregionalen Schaltzentralen des WHE in der
Balkanregion, der südlichen Kaukasusregion und Zentralasien die rasche Bereitstellung von
Hilfe für Länder in Zentralasien, Ost- und Südosteuropa.

26. Dank des starken WHE-Netzwerks operativer Teams konnten mehr als 20 standardisierte
medizinische Notfallteams und Experten aus über 10 Partnerinstitutionen des Globalen
Netzwerks zur Warnung und Reaktion bei Krankheitsausbrüchen nach Bedarf schnell in die
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Länder entsandt werden. Neue Standards für medizinische Notfallteams und mobile Laboratorien
für den Soforteinsatz wurden entwickelt und haben geholfen, Standards für unentbehrliche
Gesundheitsleistungen in der gesamten Region festzulegen und aufrechtzuerhalten.

27. Neben der erheblichen direkten Unterstützung für die Länder im Rahmen persönlicher und
virtueller Missionen erstellte die WHO über 150 Leitlinien und Instrumente für nahezu jeden
Aspekt der Reaktion auf COVID-19 nach dem Bedarf der Länder zu Themen wie
Infektionsprävention und -bekämpfung, klinisches Management, Labortests, Aufrechterhaltung
unentbehrlicher Gesundheitsleistungen, Schaffung von Notfallkapazitäten, Bereitstellung
unentbehrlicher Arzneimittel und Gesundheitstechnologien, Prävention und Management von
COVID-19 in Einrichtungen der Langzeitpflege, Risikokommunikation und verhaltensbezogene
Erkenntnisse; sowie Berücksichtigung der Bedürfnisse von Risikogruppen und marginalisierten
Bevölkerungsgruppen.

28. Im März 2020 wurde vom Regionaldirektor der strategische Sonderbeirat zum Thema
COVID-19 mit dem Ziel eingesetzt, strategische Rückmeldungen von Experten aus der
gesamten Europäischen Region einzuholen. Der Beirat lieferte wertvolle Erkenntnisse für die
Grundsatzüberlegungen von WHO/Europa über die Verschärfung und Anpassung von
Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit während Übergangsphasen der COVID-
19-Pandemie (veröffentlicht im April 2020) sowie die Stärkung der Vorbereitung und Reaktion
auf COVID-19 für die Herbst-/Wintersaison 2020, wenn die Grippe und grippeähnliche
Erkrankungen ihren Höhepunkt erreichen.

Zusammenarbeit mit Mitgliedstaaten, Partnern und der Öffentlichkeit

29. Offene Kommunikation und offener Austausch sowie ein koordiniertes Vorgehen haben
sich als wesentliche Faktoren bei der Reaktion auf die Pandemie erwiesen. Trotz
Reisebeschränkungen widmete sich WHO/Europa – und insbesondere der Regionaldirektor –
mit großem Engagement der Kommunikation mit nationalen Politikern und internationalen
Partnern sowie der proaktiven Arbeit mit den europäischen und globalen Medien zur Förderung
der Transparenz der gesundheitspolitischen Führung in den Ländern. Am 31. August 2020
haben das italienische Gesundheitsministerium und das WHO-Regionalbüro für Europa eine
hochrangige Tagung der Europäischen Region über die sichere Wiedereröffnung von Schulen
einberufen, um über konkrete Maßnahmen auf nationaler und subnationaler Ebene zu beraten.

30. Häufig wurden Fach- und Strategietagungen mit Mitgliedstaaten der gesamten Region
organisiert. Durch das Zusammenbringen multilateraler und subregionaler Netzwerke von
Mitgliedstaaten konnte WHO/Europa den Erfahrungsaustausch erleichtern und eine
evidenzgeleitete Reaktion fördern. Es wurden regelmäßige Informationsveranstaltungen für die
Minister und subregionale virtuelle Tagungen mit den Mitgliedstaaten der EU, den baltischen
Staaten, den zentralasiatischen Republiken und der Russischen Föderation, den nordischen
Ländern, Mitgliedern der Initiative kleiner Länder, den vier Visegrad-Staaten und den
Westbalkanländern abgehalten. Der Regionaldirektor pflegte auch Kontakte mit der
Mitteleuropäischen Initiative, dem Rat für gesundheitspolitische Zusammenarbeit der
Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, dem Südosteuropäischen Gesundheitsnetzwerk, dem
Kooperationsrat der türkischsprachigen Staaten und der Bewegung der Blockfreien Staaten und
nahm an Tagungen des Rates für Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz
(EPSCO-Rat), der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und des Ausschusses
für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments teil.
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31. Außerdem arbeitete der Regionaldirektor im Rahmen der Themenbezogenen Koalition der
Vereinten Nationen für Gesundheit und Wohlbefinden (unter der Federführung von
WHO/Europa) kontinuierlich mit den Netzwerken der residierenden Koordinatoren der Vereinten
Nationen und den Regionaldirektoren anderer Organisationen der Vereinten Nationen in der
Region zusammen, um eine koordinierte sektorübergreifende Unterstützung für die Länder zu
gewährleisten. Gemeinsam mit den Landesteams der Vereinten Nationen unterstützte
WHO/Europa auch die Bemühungen der Mitgliedstaaten zur Bewältigung der COVID-19-
Pandemie im Rahmen anderer themenbezogener Koalitionen, unter anderem in den Bereichen
nachhaltige Lebensmittelsysteme, Gleichstellung der Geschlechter, Sozialschutz sowie Umwelt
und Klimawandel. Ab Mitte März fanden regelmäßige Informationsveranstaltungen für alle
diplomatischen Vertretungen in Kopenhagen und Genf sowie Informationsveranstaltungen für
Gesundheitsminister, Generaldirektoren und leitende Gesundheitsbeamte statt. Bei vielen der
fachlichen, diplomatischen und strategischen Informationsveranstaltungen stand dem
Regionaldirektor Dr. David Nabarro, der Sonderbeauftragte des Generaldirektors der WHO für
COVID-19 (der strategisch berät und weltweit auf hoher Ebene politische Überzeugungsarbeit
leistet), zur Seite.

32. Zur Neubelebung und Stärkung der Partnerschaft mit der Europäischen Kommission mit
dem Ziel, die Komplementaritäten in Bezug auf COVID-19 zu optimieren und die
Unterstützung für die EU-Mitgliedstaaten und die anderen Länder in der Region zu
koordinieren, unterhielt der Regionaldirektor Kontakt mit der EU-Kommissarin für Gesundheit
und Lebensmittelsicherheit und dem EU-Kommissar für die Europäische Nachbarschaftspolitik
und Erweiterungsverhandlungen sowie mit anderen Amtsträgern, wie dem EU-
Sonderbeauftragten für Zentralasien, dem Leiter der EU-Delegation bei den Vereinten Nationen
in Genf und den Leitern von EU-Delegationen in den Ländern.
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    COVID-19-Solidaritätsprogramm der EU für die Östliche Partnerschaft
    Ein gutes Beispiel für die flexible Teamarbeit innerhalb von WHO/Europa, wenn es
    darum geht, zur Bereitstellung umgehender Unterstützung für Mitgliedstaaten der WHO
    bestehende Partnerschaften zu intensivieren und neue zu schmieden, ist das gemeinsame,
    auf zwei Jahre angelegte Projekt über 30,5 Mio. Euro, das im März 2020 mit der
    Generaldirektion Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen der Europäischen
    Kommission vereinbart wurde. Die erste Komponente dieses Programms zur Unterstützung
    von sechs Ländern Osteuropas und der Kaukasusregion zielt darauf ab, deren kurz- und
    mittelfristigen Bedarf bei der Reaktion auf die COVID-19-Pandemie sowie bei der
    anschließenden Erholung und der Eindämmung weiterer Wellen zu decken. Mehr als
    4,7 Mio. von WHO/Europa beschaffte Artikel persönlicher Schutzausrüstung sind an die
    Länder geliefert worden. Die zweite Komponente ist darauf gerichtet, die Kapazitäten
    der Gesundheitssysteme und des öffentlichen Gesundheitswesens zur Erkennung und
    Prävention potenzieller gesundheitlicher Notlagen in der Zukunft zu stärken. Die
    Projektmittel werden vom Regionalbüro und seinen Länderbüros in enger Abstimmung
    mit nationalen Behörden und internationalen Partnern, einschließlich der betreffenden
    EU-Delegationen und anderer Partner im System der Vereinten Nationen, verwaltet. Mit
    diesem Projekt wird das Modell der flexiblen Umgestaltung für WHO/Europa erprobt,
    indem eine komplexe Thematik durch Kooperationen, eine kontinuierliche
    Schwerpunktlegung auf die Mitgliedstaaten und Zeiteinsparungen bei der Umsetzung auf
    der Ebene der Länder in Angriff genommen wird.

33. WHO/Europa hat seine Medienpräsenz verstärkt, um die Öffentlichkeit über COVID-19
zu informieren, die Infodemie zu bekämpfen und die Integrität der Organisation zu schützen.
Aktuelle Informationen und evidenzbasierte Empfehlungen zu COVID-19 wurden über
wöchentliche, live im Internet übertragene Pressekonferenzen bereitgestellt, die sich Themen
von besonderem Interesse, wie körperliche und psychische Gesundheit, ältere Menschen,
Impfungen, häusliche Gewalt und Erkenntnisse über das Verhalten der Bevölkerung, widmeten.
Zum ersten Mal führte WHO/Europa auch live übertragene Pressegespräche in russischer
Sprache, bei denen sich der Regionaldirektor zum Thema COVID-19-Krise direkt an die
russischsprachige Bevölkerung wandte. Über jede Pressekonferenz wurde in den Medien der
Region und der ganzen Welt umfangreich berichtet.

34. Zusätzlich zu diesen live übertragenen wöchentlichen Pressekonferenzen gab der
Regionaldirektor vielen führenden internationalen, europäischen und nationalen Medien
Interviews, darunter Agence France Presse, Al Jazeera, Bloomberg, CNN, BBC, De Morgen,
Euronews, Europe 1, The Guardian, Hürriyet, Khabar 24, La Republica, Russia One, RT, Sky
News, The Telegraph und ZDF. Über die Online-Pressekonferenzen zum Abschluss der WHO-
Missionen nach Belarus, Italien, Nordmazedonien, Tadschikistan und Turkmenistan berichteten
europäische und internationale Medien.

35. WHO/Europa war auch an der Einführung des COVID-19-Chatbots des Kinderhilfswerks
der Vereinten Nationen beteiligt, einer kostenlosen Plattform, die Zugang zu sicheren, schnellen
und korrekten Informationen über COVID-19 und eine zusätzliche Funktion zur Verfolgung von
Gerüchten als Maßnahme gegen potenziell schädliche Fehlinformationen bietet. Darüber hinaus
wurden im Rahmen einer Zusammenarbeit mit der Global Shapers Community, einer Gruppe
junger Influencer in sozialen Medien, Gesundheitshinweise in der gesamten Region verbreitet.
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Allgemeine Gesundheitsversorgung
36. Die Politische Erklärung der Vereinten Nationen über allgemeine Gesundheitsversorgung
vom September 2019 enthält einen nachdrücklichen Aufruf zum Handeln, um die Zielvorgabe 3.8
der Ziele für nachhaltige Entwicklung einzuhalten, und eine Bekräftigung der Bedeutung der
primären Gesundheitsversorgung als Eckpfeiler eines nachhaltigen Gesundheitssystems im
Einklang mit der Erklärung von Astana. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Unterstützung, die
WHO/Europa für die Länder bereitstellt, besteht genau darin zu gewährleisten, dass
unentbehrliche Gesundheitsleistungen für alle Menschen, unabhängig von Wohnort, Geschlecht,
Alter, sozioökonomischem Status oder Gesundheitszustand, verfügbar und erschwinglich sind.
Das Europäische Zentrum der WHO für primäre Gesundheitsversorgung in Almaty (Kasachstan)
spielt eine führende Rolle bei den Bemühungen, die Mitgliedstaaten in der Region bei der Stärkung
der primären Gesundheitsversorgung auf dem Weg zur Verwirklichung der allgemeinen
Gesundheitsversorgung zu unterstützen.

37. In diesem Kontext und nach dem Beginn einer neuen Arbeitsphase im Juli 2019 wurde
im Zusammenhang mit dem Partnerschaftsprogramm der WHO und der Europäischen
Kommission zur Stärkung der Gesundheitssysteme für eine allgemeine Gesundheitsversorgung
(Partnerschaft für eine allgemeine Gesundheitsversorgung) das Spektrum der Aktivitäten in der
Region erweitert. Zwei Länder traten der Partnerschaft bei, womit sich die Gesamtzahl der
beteiligten Länder auf sieben erhöhte, und internationale konzeptionelle Berater wurden
rekrutiert und in den beteiligten Ländern eingesetzt.

38. COVID-19 betrifft besonders die ohnehin schwächeren Gruppen, darunter Menschen mit
chronischen Vorerkrankungen und Behinderungen, Menschen, die Langzeitpflege benötigen,
oder Menschen, die auf Sozialdienstleistungen angewiesen sind, Flüchtlinge, Migranten,
Obdachlose und Menschen in Haftanstalten und anderen Einrichtungen des Strafvollzugs. Neben
einem höheren Morbiditäts- und Mortalitätsrisiko im Zusammenhang mit COVID-19 können die
wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und die im Gesundheitswesen getroffenen
Gegenmaßnahmen weitere negative Auswirkungen auf ihre Gesundheit und ihren Zugang zu
Gesundheits- und Sozialleistungen haben, wie dies bei den Sparmaßnahmen nach der Finanzkrise
von 2008 zu beobachten war. Außerdem zeigte sich bei der Reaktion auf COVID-19, welche
Defizite die Gesundheitssysteme noch immer aufweisen, wenn es um die Bereitstellung
ganzheitlicher, multidisziplinärer, integrierter und am Menschen orientierter Dienste und die
Aufrechterhaltung unentbehrlicher Gesundheitsleistungen während schwerer Ausbrüche geht.
Aus all diesen Gründen ist die Unterstützung der Länder in Bezug auf eine allgemeine
Gesundheitsversorgung heute wichtiger denn je.

Zugang zu hochwertigen Gesundheitsleistungen, gestützt auf zukunftsfähiges und
kompetentes Personal

39. In Weiterverfolgung der auf dem RC69 angenommenen Resolution über den
beschleunigten Ausbau der primären Gesundheitsversorgung hat WHO/Europa fachliche
Arbeit geleistet und Orientierungshilfe gegeben, um die primäre Gesundheitsversorgung
rascher im Zentrum der Gesundheitssysteme zu positionieren und in eine Reihe von Leistungen
der Sekundär- und Tertiärversorgung und der sozialen Fürsorge, einschließlich der
Langzeitpflege, einzubinden. In diesem Kontext wurden in mehreren Ländern Bewertungen mit
dem Ziel durchgeführt, patientenorientierte Modelle der Leistungserbringung in der primären
Gesundheitsversorgung zu gestalten und zu erproben.
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40. Diese Arbeit steht auch in engem Zusammenhang mit der fachlichen Arbeit zur
Entwicklung kompetenten, reaktions- und zukunftsfähigen Gesundheitspersonals,
einschließlich eines Ressourcenpakets zur nationalen Gesundheitspersonalrechnung, das die
WHO zur Unterstützung der nationalen Gesundheitspersonalpolitik und -planung erarbeitet hat.
Bei einer Fachtagung im Dezember 2019 wurden die Herausforderungen bei der Entwicklung
nachhaltiger Gesundheitsangebote und widerstandsfähigen Gesundheitspersonals in kleinen
Ländern untersucht. Im Zusammenhang mit dem Jahr der Pflegekräfte und Hebammen wurden
Analysen zur Stärkung der Rolle der Pflegekräfte, unter anderem zu den Kernkompetenzen für
Pflegekräfte in der primären Gesundheitsversorgung, und länderspezifische Fallstudien
(einschließlich Erfolgsgeschichten) durchgeführt und ein Bewertungsinstrument für
Hebammen veröffentlicht. WHO/Europa hat in Zusammenarbeit mit der Association of Schools
of Public Health in the European Region einen Kompetenzrahmen für das Personal im Bereich
der öffentlichen Gesundheit erarbeitet.
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    Unterstützung der Gesundheitssysteme bei der Reaktion auf COVID-19
    Um die Gesundheitssysteme dabei zu unterstützen, wirksam auf die Pandemie zu
    reagieren und aus den Erfahrungen der Länder in der Region zu lernen, entwickelte
    WHO/Europa ein breites Spektrum an fachlichen Leitlinien, Grundsatzempfehlungen,
    Prüflisten sowie Instrumenten für Planung und Beobachtung, darunter auch Instrumente
    für den Notfallmodus zur Unterstützung bei der Planung der Kapazitäten und personellen
    Ressourcen der Gesundheitssysteme während des Höhepunkts des Ausbruchs.
    Anfang April 2020 wurde der Gesundheitssystem-Reaktionsmonitor für die COVID-19-
    Pandemie in Betrieb genommen, eine Internet-Plattform, die die Maßnahmen zur
    Bekämpfung der Pandemie in der gesamten Region dokumentiert und analysiert (und die
    in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Observatorium für Gesundheitssysteme und
    Gesundheitspolitik und der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit der
    Europäischen Kommission entwickelt wurde). Darauf folgte die Veröffentlichung von
    wichtigen Erwägungen für eine allmähliche Lockerung der in vielen Ländern als Reaktion
    auf COVID-19 verhängten Ausgangsbeschränkungen. Zudem wurde ein Instrument für die
    Gewinnung verhaltensbezogener Erkenntnisse zu COVID-19 entwickelt, mit dem Wissen,
    Risikowahrnehmung, Verhaltensweisen und Vertrauen der Öffentlichkeit schnell, flexibel
    und kostengünstig beobachtet werden können. Das soll die Länder in die Lage versetzen,
    angemessene und praktische Antworten auf COVID-19 zu erarbeiten, einschließlich einer
    sicheren und allmählichen Lockerung der Ausgangsbeschränkungen.
    Parallel dazu haben Fachreferate weiter Leitlinien, Schulungsmaterial und andere Mittel zur
    Untersuchung der Auswirkungen von COVID-19 auf bestimmte Gruppen und Umfelder,
    darunter Schulkinder, Menschen mit Behinderungen, Flüchtlinge und Migranten,
    Schwangere und Neugeborene, ältere Menschen und Bewohner von Langzeitpflege-
    Einrichtungen, Menschen in Haftanstalten und Menschen mit psychischen Problemen, unter
    Hervorhebung der Menschenrechtsdimension erarbeitet. Gute Beispiele dafür waren die
    Einführung einer Datenbank zur Überwachung von COVID-19-Ausbrüchen in Haftanstalten
    und die Verteilung einer Prüfliste für die Mitgliedstaaten, mit der sie ihre Bereitschaft zur
    Prävention und Bekämpfung von COVID-19 in Haftanstalten und anderen Einrichtungen des
    Strafvollzugs selbst bewerten können. WHO/Europa hat außerdem vorläufige Empfehlungen
    zur Bereitschaftsplanung für sowie Prävention und Bekämpfung von COVID-19 in
    Haftanstalten und anderen Einrichtungen des Strafvollzugs herausgegeben, die in elf
    Sprachen übersetzt wurden und von nationalen und kommunalen Behörden als Leitfaden für
    ihre Reaktion verwendet werden.

41. In dem Bewusstsein, dass eine zugängliche und hochwertige primäre
Gesundheitsversorgung eine Voraussetzung für die Früherkennung und Behandlung
nichtübertragbarer Krankheiten ist, veranstaltete WHO/Europa im Februar 2020 eine Konferenz
zur Einführung regionsweiter Leitlinien über Vorsorgeprogramme für nichtübertragbare
Krankheiten (an der 45 Mitgliedstaaten teilnahmen). Auf der Länderebene wurde eine erhöhte
Wirksamkeit von Vorsorgeprogrammen angestrebt, indem von der Nutzung bestimmter nicht-
evidenzbasierter Vorsorgeprogramme abgeraten wurde, Länder bei der Umsetzung von
Qualitätsanforderungen in Vorsorgeprogrammen unterstützt wurden und die Einführung nationaler
Pläne für die Krebsbekämpfung einschließlich angemessener Vorsorgekonzepte, gefördert wurde.
Gleichzeitig wurden im Zusammenhang mit COVID-19 Instrumente zur Verbesserung der
Versorgungsqualität im Umgang mit nichtübertragbaren Krankheiten entwickelt und nach
Möglichkeit für die Zwecke der Fernbetreuung angepasst (zum Beispiel durch standardisierte
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Datenerhebung zur Bewertung grundlegender Interventionen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen in
Umfeldern der primären Gesundheitsversorgung mit begrenzten Ressourcen und ein Instrument für
klinische Audits im Zusammenhang mit akutem Koronarsyndrom und Schlaganfall). Die fachliche
Unterstützung, operative Orientierungshilfe und Schulung wurden in Zusammenarbeit mit
Berufsverbänden und WHO-Kooperationszentren organisiert.

42. Sexuelle und reproduktive Gesundheit ist ein Lackmustest für Fortschritte hin zu einer
allgemeinen Gesundheitsversorgung. Voraussetzungen für hochwertige Versorgungsleistungen
im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit sind ein gut funktionierendes
Gesundheitssystem, die Überwindung politischer und gesetzlicher Barrieren sowie die Achtung
und Förderung der Menschenrechte und der Geschlechtergleichstellung. Um die Barrieren der
Gesundheitssysteme für eine allgemeine Versorgung im Bereich sexuelle und reproduktive
Gesundheit in acht Ländern zu bewerten, wurde ein neues Instrument eingesetzt. Das gab den
Anstoß zu einem Grundsatzdialog mit verschiedenen Akteuren auf Länderebene über den Aufbau
und die Stärkung der Evidenzgrundlage für die allgemeine Gesundheitsversorgung und die
sexuelle und reproduktive Gesundheit. Dieser Dialog soll einen Politikwandel im Hinblick auf
sexuelle und reproduktive Gesundheit ermöglichen, der zur Erarbeitung entsprechender
Aktionspläne und zur Überprüfung von Interventionen im Bereich sexuelle und reproduktive
Gesundheit in den Gesundheitsleistungspaketen führt.

Verringerung finanzieller Härten aufgrund von Zahlungen aus eigener Tasche

43. Die Analyse der Erstattungspraxis – der Art und Weise, wie die Kostenerstattung geregelt
und durchgeführt wird – ist eine wesentliche Komponente bei der Verfolgung der nationalen
und regionsweiten Fortschritte hin zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung und kann dabei
helfen, die Bevölkerungsgruppen zu ermitteln, bei denen ein hohes Risiko ungedeckten Bedarfs
und finanzieller Härten bestehen dürfte. Nach der Veröffentlichung des ersten Berichts der
Region über finanzielle Absicherung mit dem Titel „Können sich die Menschen ihre
Gesundheitsversorgung leisten? Neue Erkenntnisse über finanzielle Absicherung in der
Europäischen Region“ im Jahr 2019 hat das WHO-Büro in Barcelona für die Stärkung der
Gesundheitssysteme weiterhin Länderberichte über finanzielle Absicherung erstellt, die im
Rahmen kontextspezifischer Analysen nutzbare Erkenntnisse für die Unterstützung von
Maßnahmen zur allgemeinen Gesundheitsversorgung liefern.

44. Diese Arbeit wird im Kontext der Pandemie und ihrer verheerenden wirtschaftlichen
Auswirkungen in der Region noch wichtiger werden. Um eine erhebliche Verschlechterung der
finanziellen Absicherung zu vermeiden, müssen von den Mitgliedstaaten zentrale Maßnahmen
der Gesundheitsfinanzierung ergriffen werden, um Gesundheitsausgaben aus eigener Tasche
durch die Neuregelung der Erstattungspraxis und die Mobilisierung zusätzlicher öffentlicher
Mittel für Gesundheit zu verringern und auf niedrigem Niveau zu halten. Die Erkenntnisse aus
der Analyse der finanziellen Absicherung in der Europäischen Region stützen unsere
Empfehlung, für die Zahlungen aus eigener Tasche auch weiter eine Zielmarke von unter 15%
der Gesamtausgaben für Gesundheit anzuvisieren: als Gradmesser für eine erfolgreiche
finanzielle Absicherung durch eine übergeordnete, zielunabhängige Gesundheitsausgabenpolitik.
Tatsächlich liegen diese Zahlungen in den meisten Ländern der Region immer noch oberhalb
dieser kritischen Schwelle, was für viele Haushalte finanzielle Härten zur Folge hat und
zusätzliche, gezielte Konzepte wie Befreiungen von Zuzahlungen für anfällige Gruppen sowie
Ausgabenobergrenzen erforderlich macht, vor allem für verschreibungspflichtige Arzneimittel.
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