Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? - Wie Eltern die Corona-Zeit erleben und was das für die Schule der Zukunft bedeutet
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Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? Wie Eltern die Corona-Zeit erleben und was das für die Schule der Zukunft bedeutet Nicole Hollenbach-Biele
Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? Wie Eltern die Corona-Zeit erleben und was das für die Schule der Zukunft bedeutet Nicole Hollenbach-Biele
Inhalt Einleitung 6 1| Haben die Erfahrungen in der Pandemie die allgemeine Einstellung von Eltern 8 zu Inklusion beeinflusst? 1.1 Individuelle Erfahrungen haben Reflexionen über das gemeinsame Lernen angeregt 8 1.2 An der grundlegenden Haltung zum inklusiven Schulsystem hat Corona nichts geändert 10 2 | Wie haben Eltern von Kindern mit Förderbedarf die Krise erlebt? 12 2.1 Zufriedenheit mit den Schulen ist gemischt: Eltern geben eine Drei Minus 12 2.2 Wünsche für das Schuljahr 2020/2021: Eltern und Kinder brauchen mehr Unterstützung 14 2.3 Wünsche an die Politik: Eltern erwarten gutes Krisenmanagement und Investitionen 18 3 | Inklusion krisenfest gestalten: Fünf Leitlinien für das gemeinsame Lernen der Zukunft 22 3.1 Schulbesuch für alle Kinder sicherstellen 22 3.2 Zielgerichtet in Bildung investieren 23 3.3 Digitale Geräte nicht nur nach dem Gießkannenprinzip verteilen 23 3.4 Hybrides Lernen im Zusammenhang mit sozialem Lernen denken 23 3.5 Digitales Lernen mit guter Elternarbeit verknüpfen 24 4 | Fazit: Aus den Erfahrungen lernen! 25 Zusammenfassung 26 Executive Summary 27
Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? Einleitung Mit dem Beitritt zur UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-BRK) hat sich Deutschland verpflichtet, „Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen“ auszuschließen. In un- serer jüngst erschienenen Studie „Inklusive Bildung zwischen Licht und Schatten: Eine Bilanz nach zehn Jahren inklusiven Unterrichts“ (Hollenbach und Klemm 20201) konnten wir zeigen, dass Deutschland zehn Jahre nach der Unterzeichnung der UN-BRK, also im Schuljahr 2018/19, beim Abbau des „exklusiven“ Unterrichtens in Förderschulen insgesamt nur langsam vorangekommen ist: 2008/09 wurden 4,8 Prozent aller Kinder der Jahr- gangsstufen 1 bis 9 oder 10 in Förderschulen unterrichtet, zehn Jahre später galt dies immer noch für 4,2 Pro- zent. Im Schuljahr 2018/19 wurden deutschlandweit nahezu 26.000 Schüler:innen aus den Grundschulen und den weiterführenden Schulen in Förderschulen überwiesen. Dabei offenbart ein Blick in die einzelnen Bundes- länder deutliche Unterschiede: Die Entwicklungen etwa in den drei Stadtstaaten oder Schleswig-Holstein zei- gen, dass der Anteil von exklusiv unterrichteten Kindern und Jugendlichen deutlich gesenkt werden konnte; in Ländern wie Baden-Württemberg, Bayern oder Rheinland-Pfalz ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen, die Förderschulen besuchen, im Vergleich zu 2008/09 hingegen gestiegen – Inklusion hängt also in Deutschland stark vom Wohnort ab. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig und oft politisch motiviert. Aus der Empirie abgeleitete Argu- mente gegen das gemeinsame Lernen gibt es jedenfalls nicht: Aus der Lehr-Lern-Forschung liegen keine abge- sicherten Hinweise darüber vor, dass Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf in in- klusiven Lerngruppen geringere Lernfortschritte machen würden als in Förderschulen. Das Gegenteil ist der Fall: Bisher vorliegende Arbeiten sehen im Bereich der kognitiven Leistungen eher Vorteile des inklusiven Ler- nens für die Kinder. Und die acht Bundesländer, die in ihrer offiziellen Statistik Daten zu den erreichten Schul- abschlüssen veröffentlichen, belegen: Schüler:innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf verfehlen im ge- meinsamen Unterricht seltener als diejenigen in Förderschulen den Hauptschulabschluss. Besonders in den Blick genommen werden müssen allerdings die konkreten Maßnahmen zur Lernmotivation und zum Wohlbefin- den von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in inklusiven Schulen: Hier zeigen Studien potenzielle Nachteile für die Kinder und weisen damit darauf hin, dass die soziale Einbindung gut ge- staltet und begleitet sein sollte. Gleichzeitig kann keine Rede davon sein, dass Mitschüler:innen ohne sonderpä- dagogischen Förderbedarf im Kompetenzerwerb benachteiligt werden. Studien zeigen, dass es für sie keinerlei Unterschied macht, ob sie in inklusiven Klassen lernen oder nicht. In den überfachlichen, non-kognitiven Berei- chen hingegen profitieren sie deutlich davon, gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogi- schem Förderbedarf die Schule zu besuchen. Auf eine fehlende Zustimmung der Bevölkerung zum Ausbau des inklusiven Lernens in Schulen können die Un- terschiede zwischen den Bundesländern ebenso wenig zurückgeführt werden: Der Inklusionsgedanke ist in der Gesellschaft insgesamt mittlerweile breit verankert. Wie verschiedene Umfragen der vergangenen Jahre zei- gen, fällt das Stimmungsbild zur schulischen Inklusion hierzulande überwiegend positiv aus: In der Gesamtbe- völkerung befürwortet eine große Mehrheit sowohl die gesellschaftliche Inklusion als auch das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderungen. Gut drei Viertel der Deutschen findet, dass ein inklusives 6
Einleitung Schulsystem zu mehr Toleranz sowie zu einem besseren Miteinander führe, und vertritt die Meinung, dass die Bereitschaft zu sozialem Engagement dadurch gesteigert werde. Auch die Eltern akzeptieren den inklusiven Unterricht grundsätzlich. Dabei variiert in Umfragen allerdings die Zustimmung je nach Förderschwerpunkt deutlich: Weitestgehend unumstritten ist der Besuch einer inklusiven Schule in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit körperlich-motorischen Beeinträchtigungen; bei den Förder- schwerpunkten Sprache und Lernen befürworten zwei Drittel und mehr aller Eltern den gemeinsamen Unter- richt; beim Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung unterstützt dagegen nur etwa ein Drittel die schulische Inklusion. Dass es dabei auf die konkrete eigene Erfahrung der Mütter und Väter ankommt, zeigt die Umfrage der Bertelsmann Stiftung aus dem Herbst 2019: Inklusionserfahrene Eltern sind insgesamt zufrie- dener mit den Schulen, Klassen und Lehrkräften ihrer Kinder als Eltern, deren Kinder nicht inklusiv lernen. Letz- tere äußern sich häufiger verhalten zu den Potenzialen von Inklusion, bewerten die Qualität des Unterrichts sogar kritischer als Mütter und Väter inklusiv lernender Kinder. Kritische Rückmeldungen beziehen sich vor allem auf die Raum- und Personalausstattung inklusiver Schulen und kommen sowohl von Eltern als auch von Lehrkräften (vgl. ebd.1). Die Corona-Pandemie beeinflusst das gesellschaftliche Leben weltweit seit Monaten außergewöhnlich stark und hat Eltern – unabhängig vom Förderbedarf ihrer Kinder – völlig unerwartet vor besondere Herausforderun- gen gestellt: Es galt quasi von einem Tag auf den anderen, die Probleme anzugehen, die sich durch Schulschlie- ßung, Homeschooling und soziale Distanz bei gleichzeitig wegfallender Unterstützung durch Institutionen, Ver- eine und Familie ergaben. Die Erfahrungen aus dieser Zeit rückten – neben anderen Themen – insbesondere die Sicht auf das Schulsystem mehr denn je in den Fokus des öffentlichen Interesses: auf die Chancen und Grenzen von Digitalisierung und auf die Rolle von Schule nicht nur als Lernort, sondern auch als Ort der sozialen Begeg- nungen und als Betreuungsinstitution. In der laufenden öffentlichen Debatte findet die Frage nach inklusivem Lernen bislang kaum Raum. Die besonderen Belange von Kindern und Jugendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf erhalten wenig Aufmerksamkeit und auch die elterlichen Bedürfnisse nach Unterstützung wer- den so gut wie nicht gehört. Bislang bleibt auch unklar, inwiefern sich die Erfahrungen auf die generelle Haltung der Mütter und Väter zur Inklusion ausgewirkt haben. Aus diesen Gründen haben wir die Eltern, die bereits 2019 befragt wurden, im Juli 2020 – also je nach Bundes- land vor bzw. in den Sommerferien – erneut zu ihrer aktuellen Einschätzung des inklusiven Lernens befragt. Im Zentrum standen diesmal offene Fragen, um die Mütter und Väter auch tatsächlich zu Wort kommen zu las- sen und um zu verstehen, wie die Situationen während und nach der Schulschließung in den Familien aussahen. Wichtig waren uns zudem Fragen danach, was Eltern aus diesen Erfahrungen für das schulische Lernen ihrer Kinder für die Zukunft ableiten und welche Unterstützung sie sich künftig von schulischer und (bildungs-)po- litischer Seite wünschen. Damit den Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf ausreichend Platz eingeräumt wird, bestand unsere Kurzbefragung aus zwei Teilen. Der erste Teil richtete sich an fast 2.800 Mütter und Väter, unabhängig davon, ob ihre Kinder sonderpädagogischen Förderbedarf aufweisen oder nicht. Die Ergebnisse der Umfrage finden sich in Kapitel 2. Der zweite Teil ging ausschließlich an rund 600 Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf und hat sie dazu befragt, wie sie die Schulschließungen erlebt haben, welche Unterstützungsbedarfe sie im Hinblick auf das Schuljahr 2020/2021 haben und was sie sich für die schulische Bildung ihrer Kinder von der Politik wünschen. Die Ergebnisse dieses Befragungsteils finden sich in Kapitel 3. Schließlich fasst Kapitel 4 die Ergebnisse in insgesamt fünf Leitlinien zusammen, die sich an die Bil- dungspolitik sowie an Schulen und Lehrkräfte richten. 7
Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? 1| Haben die Erfahrungen in der Pandemie die allgemeine Einstellung von Eltern zu Inklusion beeinflusst? Hat sich durch die Erfahrungen während der coronabedingten trägt der entsprechende Anteil 50 Prozent. Auch eine Differen- Schulschließungen die Sicht der Eltern auf das gemeinsame Ler- zierung nach besuchter Schulform oder Schulstufe weist keine nen von Kindern mit und ohne Förderbedarf verändert? Diese signifikanten Unterschiede bei den Antworten auf, so dass hier Frage beantwortet die Hälfte aller Mütter und Väter zustim- insgesamt vermutlich eher von einer allgemeinen Bewusstseins- mend: 50 Prozent geben an, dass die aktuellen Erfahrungen ihre schärfung quer durch die Elterngruppen auszugehen ist. Wahr- Perspektive auf schulische Inklusion geändert haben. 36 Prozent scheinlich haben die coronabedingten Schulschließungen und aller Mütter und Väter erklären, ihre Sicht auf Inklusion habe sich anschließenden Einschränkungen in stärkerem Maße deutlich ge- durch Corona nicht verändert, 14 Prozent beantworten diese macht, welche Art von Unterstützung Kinder und Jugendliche je Frage mit „teils, teils“. nach individuellem Bedürfnis benötigen, um lernen zu können. Wie diese Bewusstseinsschärfung ausgesehen hat und inwiefern sie zu einem Umdenken in Bezug auf das inklusive Lernen von ABBILDUNG 1 Corona verändert die Sicht auf das Schüler:innen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf gemeinsame Lernen geführt haben könnte, wird in den Antworten der Eltern im offe- Frage: Verändern Corona und die damit einhergehenden Schulschließungen Ihre Sicht auf das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Förderbedarf nen Teil des Fragebogens deutlich. (Inklusion) an einer Regelschule? teils/teils 14 1.1 Individuelle Erfahrungen haben Reflexionen über das gemeinsame ja nein 50 36 Lernen angeregt Die Hälfte aller befragten Eltern (unabhängig davon, ob ihr Kind sonderpädagogischen Förderbedarf hat oder nicht) geben in der Grundgesamtheit: Deutschsprachige Eltern von Kindern im Alter bis 17 Jahre. Befragung an, dass sich ihre Sicht auf das gemeinsame Lernen Werte in Prozent. von Kindern und Jugendlichen in inklusiven Lerngruppen ver- Quelle: infratest dimap ändert habe. In den offenen Kommentaren erklären sie auch, warum: So sei ihnen durch Corona erst oder erneut deutlich ge- Vergleicht man hier die Rückmeldungen der Eltern von Kindern worden, welche Rolle die Lehrkräfte und die Schule für das Ler- mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, zeigen sich auf nen ihrer Kinder konkret spiele und wie die Unterstützung der quantitativer Ebene nur marginale Unterschiede (ohne Abb.): 52 Kinder konkret aussehen müsse. So sei „einem bewusst gewor- Prozent aller Eltern, die (mindestens) ein Kind mit sonderpädago- den, was die Schule durch Förderunterricht leistet“ (#67)1. Allerdings gischem Förderbedarf in der Familie haben, berichten von einer habe in der Phase der Schulschließungen überhaupt kein ge- veränderten Sicht auf das inklusive Lernen durch die Schulschlie- meinsames Lernen stattgefunden, so dass „das Konzept nicht mehr ßungen während des Lockdowns. In der Gruppe der Mütter und so umgesetzt werden konnte“ (#2938). Einigen ist dabei klargewor- Väter von Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf be- den, dass „Integrationskinder auf diese Weise nicht integriert werden 1 Für Informationen zur Herkunft und Lesart der im Text verwendeten Zitate vgl. S. 28. 8
1| Haben die Erfahrungen in der Pandemie die allgemeine Einstellung von Eltern zu Inklusion beeinflusst? können“ (#2910), weil sich die Kinder in der häuslichen Situation nen Ansprechpartner haben, der für solche Situationen ausgebildet ist“ beim „Lernen nicht gegenseitig unterstützen können. Und nicht von- (#3011), oder weil „Fördermaßnahmen untereinander, die im Schulall- einander lernen können“ (#2811). Dabei sei der Kern des inklusi- tag selbstverständlich sind, nicht möglich sind“ (#810). Dies liege si- ven Lernens „Nachahmung und Abschauen, dies fehlt nun“ (#2861). cher nicht nur, aber auch daran, dass „die Lehrer nicht dabei sind und nicht sehen, wo Förderbedarf besteht“ (#3037), eine angemessene Viele Eltern berichten zudem, dass die Motivation ihres Kindes Unterstützung aber „fast ausschließlich von geschultem Personal zu deutlich nachgelassen habe, weil „der Ansporn und Austausch durch leisten ist. Für Eltern ist dies schwer leistbar“ (#2677). Zudem bekä- die Klassenkameraden nicht gegeben ist“ (#2663). An den inklusiven men „Kinder mit erhöhtem Förderbedarf keine Möglichkeit der adäqua- Schulen „helfen die Besseren den Schlechteren, dies fehlt letzteren“ ten Hilfe und bleiben auf der Strecke, da gesonderte Aufgaben für diese (#2668) beim häuslichen Lernen. Einhellig vertreten viele Eltern Kinder nur unzureichend ausgearbeitet werden“ (#1859). außerdem die Meinung, dass „Digitales Lernen und Inklusion nicht einfach zu vereinbaren“ (#2627) sind und dass „der soziale Kontakt Aus den Äußerungen spricht große Hilflosigkeit. Insbesondere genauso wichtig ist wie der Stoff“ (#2355). So hätten „Inklusionskin- Eltern von Kindern mit Förderbedarf berichten, dass sie ihrem der und deren Mitschüler nicht so intensiv zusammen lernen und la- Kind gern helfen würden, sich aber nicht in der Lage dazu sehen, chen können und die Inklusionskinder der Klasse meiner Tochter konn- weil „man zu Hause neben der Berufstätigkeit und dem Haushalt ten während der Corona-Zeit viel weniger lernen“ (#639). Auch eine nicht auch noch das Gleiche lehren/lernen kann wie in der Schule! Be- langsame Rückkehr in die Schulen, wie sie vielerorts kurz vor den sonders bei Kindern mit Förderbedarf ist das unmöglich zu schaffen“ Sommerferien stattgefunden hat, widerspreche dem Gedanken (#446). Noch dazu falle die zusätzliche Unterstützung, auf die ei- der Inklusion, weil „das gemeinsame Lernen dann nur eingeschränkt nige Familien eigentlich (also vor Corona) im Alltag zurückgreifen stattfindet und Halbklassen oft nach Leistung zusammengesetzt sind“ könnten, weg – dies mache die Situation natürlich noch schwie- (#578). riger: „Weil die Kinder sonst einen Einzelfallhelfer haben und wir nun auch noch diese Rolle übernehmen müssen. Das geht einfach nicht“ An dieser Vielzahl der Äußerungen fällt auf, dass viele Eltern das (#1489). Besonders herausfordernd für Kinder mit sonderpäda- inklusive Lernen ganz selbstverständlich als soziales Lernen mit gogischem Förderbedarf und ihre Familien ist zudem, dass „der ge- Helferprinzip übersetzen und der Verlust des sozialen Miteinan- regelte Ablauf total durcheinanderkommt“ (#10181). Dabei sei es ders an einem Ort als größter Hinderungsfaktor für Inklusion ver- vor allem die klare Struktur, die viele Familien brauchen, damit standen wird. Auf digitalem Weg scheint dieser – aus Sicht vieler sich das Kind sicher fühle. Durch die Schulschließungen fehle Eltern – zentrale Faktor zumindest bis zum Zeitpunkt der Befra- „die Sicherheit und Konstanz“ (#1163), die Kinder „haben keine ver- gung nicht kompensiert worden zu sein. Eine Reihe von Eltern er- traute Umgebung und die Einteilung des Tages kommt durcheinander“ klären hierzu auch, dass der individuelle Förderbedarf nicht ge- (#1605). Gemeint ist hier vor allem auch die Struktur in den Auf- deckt sei und ihre Kinder im Lernen schlicht abgehängt würden. gaben und im Lernen insgesamt. Grundfigur in den meisten der diesbezüglichen Äußerungen ist die Überzeugung, dass „die intensive Förderung, so glaube ich, nicht Aus diesen Gründen – da sind sich viele Mütter und Väter einig – am PC erfolgen kann. Das Menschliche fehlt, das benötigen die Kinder seien „Kinder mit Förderbedarf durch Corona noch stärker benach- aber unbedingt“ (#2602). So sei „eine individuelle Förderung auf Dis- teiligt als andere Kinder“ (#1453). Und genau deshalb haben etli- tanz ohnehin weniger umsetzbar“ (#2518). Dies gelte für alle Kin- che Eltern – vor allem Mütter und Väter, deren Kind besondere der, dazu komme aber noch, dass vor allem „Kinder mit Förderbedarf Förderung benötigt – die Sorge, dass ihr Sohn oder ihre Tochter digitale Lernangebote nicht oder nur sehr eingeschränkt nutzen kön- den Rückstand nicht mehr aufholen wird. Sie gehen davon aus, nen“ (#120), weil „sie häufiger Probleme mit der Bedienung haben oder dass vor allem „Kinder mit Defiziten beim Wissensstand spätestens nicht die entsprechende Ausstattung, z. B. großer Monitor“ (#1893). nach den Ferien Nachteile haben können“ (#1215). Diese Sorge Diese Beobachtung geht einher mit der Annahme, dass „die Kin- führt bei einer Teilgruppe von Eltern, deren Kinder an einer in- der mit Inklusion gesondert digital geschult werden müssten, da sie im klusiven Schule lernen, zu der Überlegung, dass nach den Ferien Tempo und beim Handling wahrscheinlich nicht mitkommen“ (#507). nicht nur „extremer Nachholbedarf vorliegt“ (#266), sondern dass „Kinder, die einen Förderbedarf haben, im Schulstress nicht mehr an- Doch auch unabhängig von der Frage des digitalen Lernens schei- schließen können“ (#552). Die Tatsache, dass alle Kinder – mit und nen viele Eltern die Erfahrung gemacht zu haben, dass die individu- ohne sonderpädagogischen Förderbedarf – viel aufzuholen hät- ellen (Lern-)Bedürfnisse im Distanzlernen von institutioneller Seite ten, so erklären viele Eltern, führe zu einer noch größeren He- zu wenig berücksichtigt wurden. Dies berichten sowohl Mütter terogenität in der Klasse, die nicht im gemeinsamen Unterricht und Väter von Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf kompensiert werden könne: „Kinder mit Förderbedarf und auch als auch Eltern von Förderkindern. Letztere führen die fehlende ohne müssen jetzt vieles aufholen. Das funktioniert nur getrennt“ individuelle Förderung auch darauf zurück, dass „die Kinder kei- (#316). Insgesamt sei – so bringt es das folgende Zitat stellver- 9
Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? tretend für weitere, ähnliche Äußerungen auf den Punkt – deut- lich geworden, „dass die individuellen Lernmöglichkeiten zu Hause 1.2 An der grundlegenden Haltung zum fast schon ähnlich sind, wie die Kinder sie in Förderschulen haben. inklusiven Schulsystem hat Corona Jetzt lernt jeder zu Hause im eigenen Tempo mit eigenen Möglichkei- ten. Das widerspricht dem Ansatz der Inklusion“ (#2473). nichts geändert Anders formuliert: Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf geben im Vergleich zu Müttern und Vätern von Kin- Nach der Analyse der qualitativen Daten wäre durchaus zu ver- dern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf insgesamt häufi- muten, dass sich die generelle Sicht auf die Umsetzung der ger konkrete Beispiele dafür, dass der individuelle Förderbedarf UN-Behindertenrechtskonvention bei Eltern verändert haben ihres Kindes nicht gedeckt wurde und sie selbst von der Aufgabe könnte. Lässt sich dies tatsächlich auf quantitativer Ebene fest- überfordert waren, zu Hause die Arbeit der Lehrkräfte zu über- stellen? Dafür lohnt sich ein Vergleich mit den Ergebnissen einer nehmen. Auch berichten sie häufiger, dass ihnen die Zeit und die Elternbefragung aus dem Jahr 20192 und einer Elternumfrage notwendigen Rahmenbedingungen für das häusliche Lernen ihrer 20153. In allen drei Befragungen wurden die Eltern in gleicher Kinder fehlen. Schließlich erklären Mütter und Väter von Förder- Formulierung gefragt, ob Kinder und Jugendliche generell und kindern häufiger, dass das eigene Kind zur Risikogruppe gehöre unabhängig von ihrem individuellen Förderbedarf gemeinsam und/oder die Corona-Regeln weniger gut umsetzen könne. lernen sollten. Wie die folgende Grafik zeigt, ist der Anteil von Eltern, die Inklusion befürworten, über die drei Zeitpunkte leicht Eltern von Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf be- gestiegen – von 21 Prozent im Jahr 2015 über 24 Prozent (2019) mängeln in ihren Erläuterungen – warum sich durch die Schul- auf aktuell 25 Prozent. Mit einem klaren Nein positionieren sich schließungen ihre Sicht auf Inklusion verändert hat – deutlich indes 2015 mit acht Prozent anteilig weniger Eltern gegen das häufiger die fehlenden sozialen Kontakte und beschreiben, dass gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Förderbedarf, das gemeinsame Lernen während der Schulschließungen in ihren als dies 2019 (12 %) der Fall war; der Anteil ist inzwischen wie- Augen kaum oder zu wenig stattgefunden habe. Einig sind sich der leicht gesunken auf zehn Prozent. Ebenfalls insgesamt kleiner die Eltern (unabhängig vom Förderbedarf ihrer Kinder) darin, geworden ist die Gruppe der Mütter und Väter, die den Besuch was die zusätzlichen Nachteile der Schulschließungen für Kinder einer inklusiven Schule von der Art des Förderbedarfs abhängig mit besonderem Förderbedarf betrifft. Zudem sind viele Eltern machen würden – 2015 lag ihr Anteil bei 70 Prozent, 2019 bei beider Gruppen überzeugt, dass die Lern- und Leistungsunter- 63 Prozent und aktuell liegt er bei 64 Prozent. Anders formuliert: schiede deutlich gewachsen sind und es Förderkinder zukünftig Es gibt keine statistisch aussagefähigen Verschiebungen in den besonders schwer haben werden, den Anschluss (wieder) zu Antwortmustern zwischen 2019 (vor Corona) und 2020 (wäh- finden. rend der Pandemie). Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse ist zu fragen, wie sich die Bei genauerem Blick darauf, für welche Arten von sonderpäda- coronabedingten Erfahrungen von Eltern auf ihre grundsätzliche gogischem Förderbedarf sich Eltern das gemeinsame Lernen vor- Meinung zum inklusiven Lernen auswirken: Würden Mütter und stellen können, bestätigen sich ebenfalls im Wesentlichen die Väter im Lichte der vergangenen Monate heute die Frage, ob Kin- Antwortmuster von vor der Corona-Zeit: Die mit Abstand größte der und Jugendliche mit und ohne sonderpädagogischen Förder- Gruppe von Inklusions-Befürworter:innen findet sich im Fall kör- bedarf gemeinsam lernen sollten, anders beantworten als noch perlicher Beeinträchtigungen: 2019 hatten dies 94 Prozent be- vor der Pandemie? Und was bedeutet das gegebenenfalls für die fürwortet, im Juli 2020 fanden dies 91 Prozent unproblematisch. weitere Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention? 2015 lag der entsprechende Anteil bei 90 Prozent. Unabhän- gig von Corona spricht sich die deutliche Mehrheit aller Eltern ebenfalls für den Besuch einer inklusiven Schule von Kindern mit Sprachschwierigkeiten (2015: 67 % // 2019: 71 % // 2020: 72 %), von Kindern mit Lernschwierigkeiten (63 % // 65 % // 69 %) und mit traumatischen Erfahrungen (56 % // 54 % // 60 %) aus. 2 Hollenbach-Biele, Nicole und Klemm Klaus (2019): „Inklusive Bildung zwischen Licht und Schatten: Eine Bilanz nach zehn Jahren inklusiven Unterrichts“. 3 Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2015): Wie Eltern Inklusion sehen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung. 10
1| Haben die Erfahrungen in der Pandemie die allgemeine Einstellung von Eltern zu Inklusion beeinflusst? Etwa die Hälfte aller Eltern kann sich das gemeinsame Lernen ABBILDUNG 2 Mehrheit macht Inklusion vom mit sinnesbeeinträchtigten Kindern vorstellen (43 % // 56 % // Förderschwerpunkt abhängig 49 %) – hier finden wir in den Daten eine der beiden Verände- Frage: Was meinen Sie: Sollten Kinder mit Behinderung/sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam an einer Schule mit Kindern ohne sonderpädagogischen rungen in der Sichtweise von Eltern zwischen 2019 und 2020: Förderbedarf lernen? Der Anteil der Skeptiker:innen bzgl. Inklusion ist leicht gestiegen, kommt auf 70 liegt aber noch immer unter dem Wert von 2015. Keine Mehr- die Art der 64 Behinderung 63 heit finden bei Müttern und Vätern bislang die Stimmen, die sich an für den Besuch inklusiver Schulen von Kindern mit geistiger Be- hinderung (36 % // 48 % // 46 %) oder mit Verhaltensauffälligkei- ten (42 % // 37 % // 44 %) aussprechen. 24 25 21 ja 12 10 Wir halten fest: Im Prinzip hat sich – mit Ausnahme kleiner Ver- 8 nein schiebungen – auch durch die teils negativen Erfahrungen in der 0% Corona-Zeit nichts an der grundlegenden Haltung gegenüber Feb. Sep. Jul. 2015 2016 2017 2018 2019 2020 einem inklusiven Schulsystem verändert. Damit sind die Wei- chen gestellt, die UN-Behindertenrechtskonvention konsequent Grundgesamtheit: Deutschsprachige Eltern von Kindern im Alter bis 17 Jahre. Werte in Prozent / Veränderungen in Prozentpunkten zu September 2019. Fehlende Werte umzusetzen. Die Politik ist gefordert, die notwendigen Rahmen- zu 100 Prozent: Weiß nicht Quelle: infratest dimap bedingungen für eine qualitätsvolle Umsetzung des gemeinsa- men Lernens für alle Kinder zu schaffen und auf diese Weise auch diejenigen, die noch nicht von den Vorteilen überzeugt sind, mit guten Argumenten und transparenten Qualitätskriterien die Möglichkeiten vor Augen zu führen. ABBILDUNG 3 Eltern befürworten Inklusion im Falle von Kindern mit … Frage: Sonderpädagogischer Förderbedarf kann sehr unterschiedlich sein. Befürworten Sie das gemeinsame Lernen von Kindern ohne Behinderung/sonderpädagogischen Förderbedarf und Kindern mit …? 91 körperlichen Beeinträchtigungen 94 90 72 Sprachschwierigkeiten 71 67 69 Lernschwierigkeiten 65 63 60 traumatischen Erfahrungen 54 56 49 Sinnesbeeinträchtigungen 56 43 46 geistiger Behinderung 48 36 2020 44 2019 Verhaltensauffälligkeiten 37 42 2015 Grundgesamtheit: Deutschsprachige Eltern von Kindern im Alter bis 17 Jahre. Werte in Prozent. Fehlende Werte zu 100 Prozent: Weiß nicht. Quelle: infratest dimap 11
Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? 2 | Wie haben Eltern von Kindern mit Förderbedarf die Krise erlebt? In den gesamten Berichterstattungen der vergangenen Monate ging es nur sehr selten um die Frage, wie es den Kindern und Ju- 2.1 Zufriedenheit mit den Schulen ist gendlichen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Zeiten des häuslichen Lernens und der langsamen Schulöffnungen er- gemischt: Eltern geben eine Drei Minus gangen ist. Im zweiten Teil unserer Umfrage haben wir uns daher ausschließlich auf diese Frage konzentriert und nur die Eltern aus unserem Elternpanel befragt, die ein Kind mit sonderpädagogi- Immerhin gut 59 Prozent der rund 600 befragten Mütter und schem Förderbedarf in ihrer Familie haben. Dabei können wir dif- Väter berichten zum Zeitpunkt der Befragung, es gehe ihnen ferenzieren, inwiefern sich Mütter und Väter, deren Kind eine grundsätzlich gut (ohne Abbildung). Das häusliche Lernen und Förderschule besucht, in ihren Erfahrungen von den Eltern unter- die elterliche Betreuung im heimischen Umfeld tue den Kindern scheiden, deren Kind an einer inklusiven Schule lernt. in Teilen auch gut und komme den Bedürfnissen sogar entgegen. So sei „Die Umstellung von wöchentlich Homeoffice und Schule zwar nicht ganz einfach“ gewesen, doch nachdem sich alle daran gewöhnt hätten, ginge es ihnen „sonst im Homeoffice plus Home- schooling gut. Viele Kinder profitieren davon, dass der riesige Leis- tungsdruck wegfällt und die Gesamtsituation entspannter ist. Die Kinder haben mehr Raum und Freiheit sich zu entwickeln und zu entfalten“ (#260). Mit 35 Prozent können dies mehr als ein Drit- ABBILDUNG 4 Eltern von Förderkindern beurteilen rückblickend die Möglichkeiten zum Lernen mehrheitlich kritisch Frage: Wie beurteilen Sie derzeit die Möglichkeiten zum Lernen für Ihr Kind? (Mehrfachnennungen möglich) Nicht gut 52 • schlecht / schwierig (allgemein) • nicht gut, da dem Kind die notwendige Förderung / Unterstützung / Kontakt zu Lehrern fehlt • nicht gut, da zu wenig Präsenzunterricht stattfindet / Kind zuhause schlecht lernt • Möglichkeiten sind nicht / kaum / nur unzureichend vorhanden (allgemein) Gut 42 • gut / sehr gut (allgemein) • ausreichend / annehmbar / normal / okay (allgemein) • gut, da die Schule alternative Lernkonzepte und Unterstützung / Förderung anbietet Mal so, mal so 4 • aufgrund der Ferien derzeit kein Urteil möglich • herausfordernd, da viel selbständiges Lernen verlangt wird Grundgesamtheit: Deutschsprachige Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Werte in Prozent Quelle: infratest dimap 12
2 | Wie haben Eltern von Kindern mit Förderbedarf die Krise erlebt? tel der Befragten allerdings nicht nachvollziehen – sie berichten mals pro Woche) Kontakt zur Schule hatte, was den Erhalt von von Überlastung und Stress. „Wir sind einfach urlaubsreif. Wir hat- Material (über verschiedene Kanäle) oder didaktische Unterstüt- ten die letzten Wochen mehr Stress, arbeiten gehen und dann vor zung betrifft: 31 Prozent geben an, häufig Lehrmaterialien per oder nach der Arbeit noch Schulaufgaben machen“ (#500). Zudem Mail erhalten zu haben, 28 Prozent hatten Materialzugang mit- fehle die notwendige (spezielle) Förderung für das Kind, es gebe tels einer digitalen Plattform. 26 Prozent nutzten die häufig ange- „kaum Anforderungen von der Schule, keine Motivationen (…). Wir botenen onlinebasierten Lernangebote, 22 Prozent wurden häu- sind sehr unzufrieden mit der Situation, da Lehrer kaum Aufgaben fig per Messenger-Kanal mit Lernmaterial versorgt. Schließlich geben bzw. kontrollieren“ (#2048). Viele Mütter und Väter können nutze jede zehnte Familie das häufige Angebot der Schule, Mate- den eigenen Angaben zufolge ihre Kinder nur sehr bedingt un- rial abzuholen (ohne Abbildung). terstützen und bemängeln zudem die fehlende Förderung in den spezifischen Bedarfen ihrer Kinder. Schließlich berichten etwa Der Anteil der Eltern, die von der Schule häufig Hinweise dazu sechs Prozent der Befragten, es gehe ihnen und ihrem Kind zwar erhielten, wie das Kind Aufgaben bearbeiten oder das häusliche nicht gut, aber sie hätten sich im Prinzip mit der Situation arran- Lernen organisieren kann, lag bei knapp 20 Prozent (vgl. Abbil- giert bzw. die Herausforderung angenommen: „Es war anfangs dung 6). In etwa 16 Prozent aller Familien gaben die Lehrkräfte sehr schwierig, mittlerweile haben wir uns schon irgendwie arran- häufiges Feedback zu den bearbeiteten Aufgaben; zusätzliche giert“ (#1522). Angebote zur häuslichen Förderung erhielt jede zehnte Familie (11 %) mit einem Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Möglichkeiten ihres Kindes, in der Zeit der Schulschließun- Regelmäßige und häufige Kontakte mit Mitschüler:innen standen gen lernen zu können, bewerten mit 52 Prozent gut die Hälfte der nur für 17 Prozent dieser Familien auf dem Wochenplan. Aller- Mütter und Väter als schlecht. Es fehle an notwendigen Unter- dings hat etwa die Hälfte aller Mütter und Väter nur sehr selten stützungsmaßnahmen, zudem lerne das Kind zu Hause schlecht – (d. h. monatlich oder seltener) Unterstützungsangebote zur Lern- auch weil es die entsprechenden Rahmenbedingungen nicht gebe. organisation (46 %) oder Hinweise zur Bearbeitung der Aufgaben Insgesamt positiv äußern sich 42 Prozent der Eltern, wenn es um (59 %) erhalten. Feedback der Lehrkräfte gab es für knapp die eine Einschätzung der Lernmöglichkeiten für ihr Kind mit sonder- Hälfte (48 %) der Eltern eher selten, und bei etwa einem Viertel pädagogischem Förderbedarf geht. Vier Prozent der Befragten (26 %) der Familien gab es über die gesamte Zeit der Schulschlie- äußern sich nicht klar positiv oder negativ (vgl. Abbildung 4). ßungen keinerlei Feedback zu den bearbeiteten Materialien. Gefragt nach der konkreten Unterstützung seitens der Schule Auch auf Hinweise zur organisatorischen Gestaltung des häusli- hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse der Kinder, teilt sich chen Lernens haben 32 Prozent der Mütter und Väter vergeblich die Elternschaft in drei etwa gleich große Lager: Mit 37 Prozent gewartet. Ein Austausch mit der Klassengemeinschaft fehlte in würde ein gutes Drittel aller Mütter und Väter den Schulen ihrer zwei Drittel der Fälle (66 %). Auf Hinweise zur zusätzlichen häus- Kinder die Note „sehr gut“ oder „gut“ geben, ein weiteres Drit- lichen Förderung konnten mit 72 Prozent nahezu drei Viertel tel erteilt der schulischen Unterstützung in der Corona-Krise ein aller Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf „befriedigend“ oder „ausreichend“, und 31 Prozent der Eltern sind nur sehr selten oder gar nicht zurückgreifen. mit der Unterstützung der Schule unzufrieden – sie vergeben ein „mangelhaft“ oder „ungenügend“. Im Durchschnitt schreiben die ABBILDUNG 5 Eltern von Förderkindern geben den Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf den Schulen ihrer Kinder eine Drei Minus Schulen also eine Drei Minus (3,4) ins Zeugnis, was die Unterstüt- Frage: Wie gut haben Sie sich während der Corona-Pandemie in Bezug auf die zung während der Pandemie betrifft (vgl. Abbildung 5). besonderen Bedürfnisse Ihres Kindes von der Schule unterstützt gefühlt? Durchschnittsnote Dabei äußern sich Mütter und Väter, deren Kinder eine Förder- 3,4 schule besuchen, etwas positiver als Eltern von Kindern mit Förderbedarf in inklusiven Schulen: So erhalten die Förder- 27 schulen im Schnitt eine 3,3, inklusive Schulen im Schnitt „nur“ 19 eine 3,6. 17 14 13 10 Bei der Abfrage, wie oft die Schule sich mit Material oder auch sehr gut gut befriedigend ausreichend mangelhaft ungenügend mit konkreten Hinweisen und Tipps zur Bearbeitung und Orga- nisation des Lernens gemeldet habe, wird deutlich, dass über alle Grundgesamtheit: Deutschsprachige Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Werte in Prozent Fragen hinweg etwa ein Drittel aller Eltern von Kindern mit son- Quelle: infratest dimap derpädagogischem Förderbedarf häufig (d. h. täglich bis mehr- 13
Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? ABBILDUNG 6 Förderkinder hatten wenig Kontakt zu Mitschüler:innen Frage: Wie oft haben Sie seit der Schulschließung Unterstützung für das Lernen Ihres Kindes durch die Schule erhalten? täglich mehrmals wöchentlich einmal pro Woche ein-bis zweimal pro Monat nie Tipps zur häuslichen Lernorganisation 19 6 13 35 14 32 46 Hinweise, wie mein Kind die Aufgaben bearbeiten soll 18 7 11 23 15 44 59 Feedback zu den bearbeiteten Materialien durch die Lehrkräfte 16 4 12 36 22 26 48 Hinweise zur zusätzlichen häuslichen Förderung meines Kindes 11 3 8 17 12 60 72 Kontakt zur Klassengemeinschaft 17 5 12 17 12 54 66 Austausch zu den bearbeiteten Materialien mit Mitschüler:innen 17 4 13 17 11 55 66 Grundgesamtheit: Deutschsprachige Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Werte in Prozent. Quelle: infratest dimap Didaktische Hinweise, wie die Kinder ihre Aufgaben bearbeiten Fall einer erneuten Homeschooling-Phase einen intensiveren sollten, fehlten 44 Prozent aller Eltern über die gesamte Zeit. Bei Kontakt sichergestellt wissen. Dieser Wunsch bezieht sich – das gut der Hälfte aller Befragten fiel zudem der Kontakt ihrer Kin- zeigen die konkreten Kommentare der Eltern– sowohl auf einen der zu den Mitschüler:innen weg. Hinweise auf eine zusätzliche regelmäßigen Kontakt mit den Klassenlehrer:innen und Fach- Förderung des Kindes im häuslichen Kontext haben 60 Prozent lehrkräften. „Insgesamt wäre mehr Kontakt zu Lehrkräften wün- aller Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbe- schenswert. Während der Klassenlehrer meist sehr gut erreichbar darf während der Schulschließungen nicht erhalten (vgl. Abbil- war, ebenso wie die sonderpädagogische Fachkraft, habe ich an- dung 6). dere Fachlehrer gar nicht erreichen können. Das muss anders wer- den“ (#281). Gleichwohl zeigt die Erhebung, wie unterschiedlich die Wahr- 2.2 Wünsche für das Schuljahr 2020/2021: nehmungen der Eltern in Bezug auf die Lehrkräfte und Sonder- pädagog:innen waren: Viele Mütter und Väter formulieren dies Eltern und Kinder brauchen mehr eher verhalten – „Lehrer haben sich sehr zurückgehalten in den letz- Unterstützung ten Wochen“ (#669), anderen zeigen sich offensichtlich unzu- frieden – „Überhaupt mal ein Kontakt wäre nett, oder mal ein paar motivierende Worte“ (#434). Vor allem wird ein ein direkter per- Für das neue Schuljahr wünschen sich die Eltern von Kindern mit sönlicher Kontakt oder einer per Telefon oder Mail mit den Schü- sonderpädagogischem Förderbedarf folgerichtig deutliche Un- ler:innen und/oder Eltern gewünscht. Auch einen Videochat kön- terstützung in vielen verschiedenen Bereichen – vor allem, aber nen sich viele Befragte vorstellen. Die Vorstellungen gehen von nicht nur für den Fall, dass das Präsenzlernen phasenweise wie- „täglich“ (#520) über „mehrmals wöchentlich“ (#889) bis hin zu „alle der durch ein hybrides Lernmodell abgelöst werden könnte. 14 Tage ein kurzes Telefonat mit der Lehrkraft“ (#1420). Wichtig ist vor allem ein regelmäßiger, verlässlicher Rhythmus mit genügend Zeit für Fragen; einige Eltern würden sich außerdem Kontakt- Unterstützungsbedarf : Schule 5 möglichkeiten nach Bedarf oder eine Sprechstunde wünschen. 75 % brauchen mehr Kontakt mit Schule und Lehrkräften Der Vergleich von Eltern von Kindern und Jugendlichen, die in Förderschulen lernen, und Eltern von inklusiv lernenden Schü- ler:innen mit Förderbedarf zeigt: Die Mehrheit beider Gruppen wünscht sich mehr Kontakt zur Schule und zu den Lehrkräften, Ganz oben auf der Wunschliste der Eltern von Kindern mit son- dies trifft aber in höherem Maße auf die Eltern von inklusiv ler- derpädagogischem Förderbedarf steht ein engerer Kontakt mit nenden Schüler:innen (80 Prozent) als auf Mütter und Väter von Schule und Lehrkräften. Insgesamt 75 Prozent möchten für den Kindern an Förderschulen (64 Prozent) zu. 14
2 | Wie haben Eltern von Kindern mit Förderbedarf die Krise erlebt? lösungen, ggf. Erklärvideos. Dabei kann man laut Eltern durchaus Unterstützungsbedarf5: Lernen auf YouTube-Filme zurückgreifen, wenn die Qualität stimmt. Vie- len wäre allerdings ein Erklärfilm der Lehrkraft selbst lieber - ins- 73 % brauchen mehr didaktische Hilfestellung besondere (aber nicht nur) in den Phasen, in denen neue Inhalte zu erarbeiten sind: „Erklärvideos für neue Themen wären toll und an regelmäßigen Terminen Videochats mit den Fachlehrern, um Fragen Den zweiten Platz auf der Wunschliste hat das Bedürfnis nach zu stellen oder Feedback zu gelösten Aufgaben zu erhalten“ (#2464). didaktischer Hilfestellung: 73 Prozent der Eltern wollen mehr Grundsätzlich sind sich die Eltern einig: Ihre Kinder brauchen Hinweise, wie ihr Kind die gestellten Aufgaben bearbeiten kann. „genauere Erklärungen. In der Schule werden Aufgaben auch durch- Als mögliche Wege für die Erläuterungen können sich Eltern viele gesprochen und nicht nur Buch Seite x, Nummer y und das war’s“ verschiedene vorstellen: Vom kurzen Telefonat über den Aus- (#1776). Das müsse für die Zukunft „(…) auf alle Fälle verbessert tausch per E-Mail oder WhatsApp-Sprachnachricht bis hin zur werden. Sodass alle, auch lernschwache Kinder selbständig Aufgaben Videotelefonie, Zoomsitzung oder Slack werden viele Kanäle vor- bearbeiten können“ (#1931). geschlagen – wichtig ist den meisten allerdings eine gute und zeitnahe oder zumindest regelmäßige Erreichbarkeit. So sei man Sowohl unter Eltern von Kindern und Jugendlichen, die in inklusi- „als Elternteil auch viel zu lange aus der Schule raus und zudem keine ven Schulen lernen, als auch in der Gruppe der Mütter und Väter, Lehrkraft. Einfach einen Ansprechpartner zu haben, der nicht erst drei deren Kind eine Förderschule besucht, meldet eine Mehrheit den Tage später auf ein Mail antwortet – das wäre wichtig“ (#1426). Hin- Bedarf nach zusätzlicher didaktischer Hilfestellung an. Dieser sichtlich der Frequenz gibt es ebenfalls unterschiedliche Vor- Wunsch wird allerdings in der Gruppe der inklusiv lernenden Kin- stellungen: Von „jederzeit“ über „täglich“ bis hin zu „(mehrfach) der mit 77 Prozent häufiger geäußert als von Familien mit För- wöchentlich“ wünschen sich Mütter und Väter eine möglichst eng- derschulkindern (66 %). maschige Begleitung für ihr Kind und sich selbst. Vergleichsweise viele Vorschläge gehen in Richtung einer flexiblen Möglichkeit Unterstützungsbedarf5: Digitalisierung zur Kontaktaufnahme in Verbindung mit einem festen Zeitfens- ter, beispielsweise „(…) per Mail und zu einer regelmäßigen, festen di- gitalen Sprechstunde“ (#1645). Auch über das Format der didak- tischen Unterstützung haben sich die Eltern Gedanken gemacht 62 % brauchen mehr Unterstützung bei der Technik und schlagen Instruktionen, Bearbeitungsbeispiele oder auch Musterlösungen mit Lösungswegen vor. Außerdem wären „Videos An dritter Stelle auf dem Wunschzettel steht die Hilfestellung in oder Meetings mit Lehrern, was es für Aufgaben gibt und wie sie zu be- technischen Fragen, also digitaler Assistenz. 62 Prozent der El- arbeiten sind, ggf. Beispiele“ (#1921) aus Sicht der Befragten hilf- tern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf wün- reich, falls es wieder eine Homelearning-Phase geben sollte. schen sich zukünftig – nicht nur in einer erneuten Phase des Distanzlernens – Hinweise und Unterstützung zur Hard- und Wichtig ist vielen Befragten in diesem Zusammenhang auch, Software für eine qualitätsvolle Umsetzung des digitalen Ler- dass es klare, für Kinder wie Eltern gleichermaßen transparente nens. Die konkreten Wünsche beziehen sich dabei auf die tech- und belastbare Bearbeitungshinweise gibt: In welcher Reihen- nische Ausstattung, auf adäquate und qualitativ gute Lernpro- folge, in welcher Bearbeitungszeit und bis wann Aufgaben erle- gramme und/oder Apps sowie auf die Erläuterungen, die Eltern digt werden sollten, scheint den Äußerungen zufolge sehr häufig und Schüler:innen helfen, um mit den digitalen Aufgaben und unklar gewesen zu sein. Hier wird für die Zukunft mehr Klarheit Hilfsmitteln angemessen umzugehen. gewünscht: Formate wie Wochenpläne, Aufgaben in Stunden- plan-Form oder auch die klare Beschreibung von Lernzielen. Viele wünschen sich vor allem funktionierende Geräte für die Schüler:innen – dazu zählen neben Tablet, Laptop oder PC allge- Für die Schüler:innen selbst wünschen sich Eltern klare, eindeu- mein auch eine gute Internetverbindung und Hilfsmittel wie bei- tig und korrekt formulierte, möglichst „ausführliche Aufgaben und spielsweise Drucker oder eine bestimmte Tastatur, Webcam oder Berücksichtigen von differenzierten Kernangeboten/Aufgabenstellun- auch Kopfhörer und Mikrofon. Denn auch wenn ein mobiles gen“ (#662). In der Vergangenheit hat diese Differenzierung – so Endgerät oder weiteres Equipment in der Familie zur Verfügung wird berichtet – häufig gefehlt. „Da brauchen wir Anleitungen. Ich steht, reicht das in Zeiten von Homeoffice oder bei mehr als bekam die Aufgaben, die alle Schüler bekamen. Diese waren teilweise einem Kind nicht aus: „Wir haben nur einen Laptop für die ganze zu schwer und ich wusste nicht, ob sie (das Kind, Anm. NHB) das wirk- Familie und ich arbeite seit Corona daran 40 Stunden im Homeof- lich alles machen soll“ (#2231). Hilfreich wären aus Sicht der Fa- fice. Das ist zu wenig mit zwei schulpflichtigen Kindern und geht ein- milien zudem Fotos oder Videos von Tafelbildern oder Beispiel- fach nicht auf“ (#802). Dabei sehen Eltern verschiedene Wege, 15
Gemeinsam Lernen oder Exklusion in der Inklusion? wie die technische Ausstattung erfolgen könnte: Die einen wün- Der Wunsch nach mehr Unterstützung in Fragen des digitalen schen sich, dass das technische Equipment den Kindern und Ju- Lernens zeigt sich sowohl bei den meisten Eltern von inklusiv ler- gendlichen dauerhaft zur Verfügung gestellt wird, andere können nenden Kindern und Jugendlichen als auch mehrheitlich bei El- sich einen finanziellen Zuschuss je nach sozialer Lage der Familie tern von Förderschüler:innen (68 % // 60 %). oder auch den temporären Verleih der Geräte vorstellen. Wich- tig ist vielen, das die Schüler:innen ein „gleiches Laptop oder Tab- Unterstützungsbedarf5: Soziale Kontakte let mit vorinstallierten Programmen“ (#1129) erhalten, und zwar als 55 % „technische Grundausstattung für alle – auch Nicht-Hartz-IV-Kin- brauchen mehr Kontakt zu Klasse der“ (#113). und Mitschüler:innen Benötigt werden darüber hinaus konkrete Hilfen im Umgang mit Apps und Lernprogrammen, mit denen die Kinder und Jugendli- Gut die Hälfte (55 Prozent) aller Eltern von Kindern mit sonder- chen arbeiten sollen bzw. können. Hier geht es darum, grundsätz- pädagogischem Förderbedarf wünscht sich für künftige Phasen lich „entsprechende Programme und Lerninhalte zur Verfügung (zu) des Distanzlernens den Kontakt zur Klassengemeinschaft oder zu stellen“ (#1912), darum, eine Übersicht zu bekommen, „welche In- einzelnen Mitschüler:innen. Dieser Wunsch belegt Platz vier und ternetseiten zur Lösung genutzt werden können und welche Übungs- verdeutlicht die Bedürfnisse der Schüler:innen nach Austausch aufgaben es gibt“ (#1659), oder auch um „mehr Möglichkeiten, mit ihren Freund:innen und im Klassenzusammenhalt ebenso wie selber Lernblätter oder Ähnliches frei aus dem Internet herunterzula- dem Wunsch nach gemeinsamen Arbeitsphasen bzw. dem Aus- den. Bzw. das Freigeben von Bezugsquellen“ (#2129). Zudem wün- tausch über die Aufgaben. Viele Eltern beschreiben, wie schwer schen sich die Eltern „mehr auf Kinder mit Förderbedarf zugeschnit- ihren Kindern die soziale Distanz gefallen sei. Es ist „(…) so wich- tene Hilfsmittel, da der Stoff ja gleich der Hauptschule ist“ (#1557), tig für die Kids, Kontakt zu ihren Freunden zu haben“ (#1211). „Die so etwa für einzelne Förderschwerpunkte „konkrete Programme Kinder haben sich sehr vermisst“ (#1815) und „Freundschaften kön- für Kinder mit motorischer Einschränkung und Geeignetheit“ (#2490) nen seit Monaten nicht mehr gepflegt werden“ (55). In diesem Zu- oder auch ganz allgemein für Konzentrationsübungen, Thera- sammenhang wünschen sich die Eltern, dass schulseitig digitale pieansätze und spielerische Ansätze, „die das Kind motivieren“ Formate bereitgestellt werden, die die Klassengemeinschaft als (#2267). Wichtig sind in diesem Zusammenhang allerdings – so Ganze oder auch Teilgruppen von Schüler:innen in den Blick neh- betonen viele Mütter und Väter – genaue Informationen darüber, men. Vorgeschlagen werden moderierte Klassenchats, Whats- wie das jeweilige Programm zu nutzen ist. „Teilweise ist die Nut- App-Gruppen, gemeinsame Onlineveranstaltungen, oder „viel- zung bestimmter Programme zu schwierig, da man sie nicht kennt und leicht in Form von einem Videochat, so dass sich die Kinder auch mal nicht weiß, wie man sie nutzen soll. Hilfsmittel könnten besser in ihrer sehen können. Vor allem für die, die seit der Klassenteilung gar keinen Benutzung beschrieben werden – man weiß auch als Elternteil nicht Kontakt haben“ (#1871). Formate wie Videokonferenzen sollten immer, wie man manche Sachen machen sollte“ (#914). stattfinden „(…) mit Lehrer und anderen Schülern (…)“ (#2267), aber auch „(…) für Kleingruppen, wo auch nicht nur schulische, sondern Schließlich beanstanden die Eltern von Kindern mit sonderpäda- auch Alltägliches wie in der Schule unter den Kids besprochen wer- gogischem Förderbedarf, dass die Schüler:innen zu wenig auf die den kann“ (#644) – und diese Formate sollten nicht erst ab einem Arbeit mit den zur Verfügung gestellten Materialien und Aufga- bestimmten Alter eingeführt werden: „Auch die jüngeren Kinder in ben vorbereitet sind. Diese können den technischen Anforderun- der Grundschule sollten innerhalb der Klassengemeinschaft die Mög- gen des digitalen Lernens kaum gerecht werden – Eltern fragen lichkeit haben, sich per Videokonferenz zu sehen und auszutauschen“ hier, „wie das Kind vernünftig mit Software umgehen soll, wenn es in (#1640). Aber auch die klassische Telefonkette oder Brieffreund- der Schule nie beigebracht wurde“ (#1295) und wie zudem die Ver- Aktionen – von der Schule organisiert – könnten aus Sicht von mittlung von „Grundkenntnissen am PC für Kinder“ (#2559) sicher- Eltern den sozialen Zusammenhang stärken. gestellt werden kann. Dass dies trotz Distanzlernen möglich ist, davon sind einige Eltern überzeugt: So könne man mit Schüler:in- Für das gemeinsame Lernen wichtig ist jedenfalls – hier sind sich nen durchaus über Videochat, per Skype-Konferenz oder Zoom, viele Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf über Microsoft Teams, in Onlineräumen und auf Plattformen oder sicher – der Austausch und die gemeinsame Bearbeitung von auch per Lernvideo zeigen, wie Technik und Programme zu nut- Aufgaben in Gruppen. „Wichtig wäre der Austausch mit anderen zen sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang „einfach die gegebe- Schülern beim Lernen, da lernt man viel mehr als alles allein zu ma- nen digitalen Hilfsmittel zu nutzen und Eltern (…) mit einzubeziehen“ chen“ (#910). Vorstellbar sind dabei verschiedene Formate: Ge- (#200) und nach Möglichkeit auf „funktionierende, zugelassene Vi- nannt werden „Feste Verabredung zum Lernen mit wenigstens einem deokonferenzprogramme“ (#55) zurückzugreifen. anderen Schüler, ggf. Videotelefonie in Kleingruppen“ (#929), „(…) wenn zusätzliche Lerngruppen gebildet werden könnten, als Pflicht- 16
2 | Wie haben Eltern von Kindern mit Förderbedarf die Krise erlebt? veranstaltung“ (#1100), „feste Lernpartner“ (#2665), „(…)ein (mode- weisen Homeschoolings) einen regelmäßigen direkten und per- riertes) Portal, auf dem die Schüler zusammen lernen bzw. sich über sönlichen Kontakt zur Schulbegleitung ihres Kindes. Dies muss, bestimmte (schwierige) Themen austauschen können“ (#496), „eine so erklärt die Mehrheit, nicht unbedingt täglich sein – ein wö- digitale Pinnwand“ (#1039) oder auch – ganz herkömmlich, falls chentlicher Turnus hingegen wäre für die meisten hilfreich. das technische Equipment nicht zur Verfügung steht – ein von Zudem erachten die Eltern es als wünschenswert – über die der Lehrkraft organisierter „Austausch zu den Aufgaben per Tele- Schulbegleitung hinaus – „bei Fragen auch einmal einen Ansprech- fon“ (#426). partner zu haben“ (#1100), und auch die „Kontaktmöglichkeiten zu den Sonderpädagogen sollten für alle offenstehen“ (#1200). Als Kon- Schließlich sprachen sich viele Eltern dafür aus, die Schulen min- taktweg können sich die meisten eine telefonische Sprechstunde destens phasenweise für das Präsenzlernen zu öffnen: Das Gros oder fest vereinbarte Termine vorstellen, auch digitale Kontakte plädiert dabei für ein oder zwei Tage Präsenzunterricht pro in Form von Onlinesprechstunde, Videoanruf/ Videomeeting Woche; auch die konsequente Aufteilung von Klassen oder „Ein- oder ein Austausch per Mail und WhatsApp kommen in Frage. In richtung von z. B. Klassengruppen, in denen die Kinder verpflichtend einigen wenigen Fällen haben die Eltern den konkreten Wunsch sein müssen“, (#1420) müssten in längeren Phasen des Distanz- nach persönlichen Treffen vor Ort und/oder einer wöchentlichen lernens ebenfalls gewährleistet sein – eine Forderung, die je nach Präsenzzeit, in der die Schulbegleitung das häusliche Lernen ihres pandemischer Entwicklung in den nächsten Monaten nicht aus Kindes betreuen kann. dem Blick verloren werden sollte. Konkrete Hilfe von den Schulbegleiter:innen – so beschreiben es Eine differenzierte Betrachtung von Familien mit Kindern an För- die Eltern – würde im Fall weiterer Homeschooling-Phasen so- derschulen im Vergleich zu Familien, deren Kinder in inklusi- wohl beim Lernen der Kinder also auch in Bezug auf allgemeine ven Schulen lernen, zeigt, dass sich wiederum in beiden Gruppen Tipps zur Förderung benötigt. Die Bandbreite der Wünsche der eine Mehrheit Unterstützung in der Frage sozialer Kontakte zur Eltern hinsichtlich einer zusätzlichen Unterstützung ist dabei Klasse oder zu einzelnen Mitschüler:innen wünscht. Bei den För- groß: Benötigt werden zum einen eher freizeitbezogene Betreu- derschüler:innen sind es 61 Prozent der Eltern, bei den inklusiv ungsaktivitäten wie etwa „Angebote zum Auspowern“ (#530), „sich lernenden Kindern und Jugendlichen äußern 56 Prozent der El- mal länger Zeit für die Kids nehmen“ (#1295), zum anderen aber tern hier Unterstützungsbedarf. auch Strukturierungshilfen für den Alltag, „regelmäßige Abspra- chen, was zu erledigen ist und wie es zu erledigen ist und in wel- cher Zeit“ (#2234), sowie eine Brückenfunktion zur Schule. „Wir Unterstützungsbedarf5: Lernbegleitung bräuchten sie auf jeden Fall als Brückenglied zur Schulleitung, da 44 % brauchen mehr Kontakt nichts kommt“ (#1390) und als einen Kontakt für „Gespräche mit zur Schulassistenz dem Förderpersonal, um zu erörtern, welche Maßnahmen zu Hause ergriffen werden können“ (#929). Eine zentrale Funktion schrei- ben die Eltern den Schulbegleiter:innen auch als „Hilfe beim Bear- Platz fünf auf der Liste für einen wie auch immer gestalteten beiten der Unterrichtsmaterialien“ (#598) zu und „vor allem für die Hybrid- oder Distanzunterricht belegt der Kontakt zur Schul- technische Unterstützung, wenn wieder irgendetwas nicht funktio- assistenz : 44 Prozent der Eltern von Kindern mit sonderpäda- 4 niert“ (#1776). gogischem Förderbedarf (46 % der Eltern von inklusiv lernenden Schüler:innen versus 43 % der Eltern von Kindern und Jugend- Insgesamt sehen die Eltern die Schulassistenz weniger als Unter- lichen an Förderschulen) formulieren vor dem Hintergrund ihrer stützung für ihre Kinder, sondern eher als Chance, „dass man die Erfahrungen während der Schulschließung konkrete Bedürfnisse: Eltern unterstützt“ (#2971), zum Beispiel in Form von „Austausch Das es oftmals nur wenig bis gar keinen Kontakt zum Schulassis- über Lernverhalten“ (#1888) und „Lernunterstützung“ (#635), durch tenten oder zur Schulassistentin gab, konkretisieren Mütter und „regelmäßige Nachbesprechung besonderer Situationen“ (#725), Väter die Kontaktfrequenz und benennen hilfreiche Kontaktka- „Rücksprachen über Hilfsangebote/Nachteilsausgleich“ (#662) oder näle sowie konkrete Bereiche, in denen sie Unterstützung von auch eine Hilfe bei der Klärung, wie es weitergeht: „(…) gibt es der Schulassistenz benötigen. Möglichkeiten einer Zusatzförderung, Videochat oder einfach ein Telefonat? Aktuell werden nur über die Schulhomepage die Änderun- Anders als sie es in der Corona-Zeit erlebt haben, wünschen sich gen angegeben“ (#1426). die Eltern zudem für die Zukunft (im Fall eines erneuten, phasen- 4 Insbesondere hier wird aus vielen Äußerungen deutlich, dass die Eltern nicht ausschließlich über die Schulbegleiter:innen, sondern auch über Sonder- und Sozialpädagog:innen sprechen. 17
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