Aufstehen gegen Ausgrenzung - Landkreis Pfaffenhofen
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Sprache - Bildung - Arbeit - Teilhabe Aufstehen gegen Ausgrenzung Was eine Gesellschaft gegen Diskriminierung tun kann weitere Themen im Heft: Chancen hybrider kultureller Herkunft Interviews mit Angehörigen verschiedener Kulturen Integrationsarbeit in der Pandemie Beratungsangebote der Caritas in Pfaffenhofen Unternehmer sein Blerim Cakiqis Weg zum eigenen Handwerksbetrieb Heft 4 | September 2021 landkreis-pfaffenhofen.de Seite
Impressum Herausgeber: Landratsamt Pfaffenhofen a.d.Ilm Integration Hauptplatz 22 85276 Pfaffenhofen a.d.Ilm Telefon: 08441 27-2961 E-Mail: integration@landratsamt-paf.de Redaktion: Tu Trang Tram Do, Gerhard Trautmannsberger, Admir Kraja & Gerhard Wenzl Ausgabe: Heft 4 | September 2021 Homepage: https://www.landkreis-pfaffenhofen.de/leben/integration Besuchen Sie uns hier für alle weiteren Projekte, Veranstaltungen und Informationen! Seite 2
DIVERSECO Das Integrationsmagazin für den Landkreis Pfaffenhofen a.d.Ilm Inhalt Vorwort Seite 4 Leitartikel: Aufstehen gegen Ausgrenzung Seite 5 Was eine Gesellschaft gegen Rassismus & Diskriminierung tun kann Interview: Chancen einer hybriden kulturellen Herkunft Seite 10 Interviewreihe Teil 1: Landkreisbürgerinnen und -bürger sprechen über ihre diversen kulturellen Identitäten sowie ihre Perspektiven auf Selbst- und Fremdwahrnehmung Aus der Integrationspraxis Seite 14 Projekte und Veranstaltungen im Landkreis Pfaffenhofen a.d.Ilm Integrationsarbeit in der Pandemie Seite 16 Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Beratung für Zugewanderte? Akteure der Integration: Caritas-Zentrum Pfaffenhofen Seite 18 Ein weiterer starker Netzwerkpartner in der Gestaltung der Integrationsarbeit im Landkreis »Unternehmer sein ...« Seite 20 Story: Blerim Cakiqis Weg zum eigenen Handwerksbetrieb Mistero – Die Seite zum Mitdenken Seite 22 Rätsel und Nachdenkliches Ihr Sachgebiet Integration Seite 23 Kontaktadressen und Ansprechpartner Seite 3
Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, die Meinungsfreiheit ist ein zentraler Bestandteil jeder demokratischen Gesellschaft. Doch keine Freiheit ist völlig ohne Grenzen und so scheint im täglichen Miteinander nicht immer ganz klar, wo die Trennlinien zwischen freier Meinung und der Würde des Mitmenschen verlaufen. Die sogenannten »Sozialen Medien« erlauben es jedem Einzelnen persönliche Ansichten zu jedem Thema auch unreflektiert zu äußern. Die weitgehende Anonymität er- möglicht es dabei, sowohl fortwährend die Grenzen des guten Geschmackes als auch manchmal die der Gesetz- gebung zu überschreiten. Konsequenzen gibt es nur selten, sodass munter weiter diskutiert, interpretiert oder polemisiert werden darf. Natürlich sind das wie so oft extreme Formen und spiegeln nicht die breite Masse der Nutzer*innen wider. Jedoch scheint es, dass es auch Personen, die sich weder politisch noch emotional motiviert durchs »Netz« bewegen, immer schwerer fällt, diese Grenzen nicht zu verletzen. Ein unbedachtes Wort oder ein Kommentar in der Hitze der Debatte können hier schon genügen, damit der Vorwurf der Diskriminierung im Raum steht und im Falle sozialer Medien sind diese kritischen Worte manchmal schon weit verbreitet, ehe man die Möglichkeit hat, sie zu überdenken. Gerade wenn einmal nicht von Anfang an klar sein sollte, wie verletzend man- che Worte sein können, hilft es, erst einmal mit denen ins Gespräch zu kommen, über die man spricht. Personen, die aus dem Herzen Europas stammen, kennen rassistische Ausgrenzung meistens gar nicht, sprich, dass man aufgrund seines Aussehens be- oder verurteilt wird. Was kann nun ein »Weißer Mensch« über Diskrimi- nierung sagen? Wie soll man damit umgehen? Vor allem in den letzten Jahren haben sich so manche Diskussio- nen an Themen entzündet, die ein großer Teil der Mehrheitsgesellschaft aufgrund fehlender Betroffenheit nicht nachvollziehen konnte oder wollte. Dabei ist es immer wieder passiert, dass durch nicht betroffene Personen die- se Zustände und die damit verbundene Emotionalität relativiert wurden. Oftmals fehlte es allein an der nötigen Sensibilität. Da die Wahrnehmung von Diskriminierung oder Ausgrenzung immer sehr individuell ist, gibt es auch keine pauschale Lösung oder Erklärung. So vielfältig diese Wahrnehmungen und Reaktionen sind, so vielfältig ist eben auch der Umgang mit dieser Herausforderung. Die Macht der Bilder ist hierbei oft stärker als die der ver- nunftbasierten Kommunikation. Da uns diese Bilder aber fast täglich im Fernsehen, im Internet, in Zeitungen, auf den Straßen oder im Austausch mit der Familie, im Freundeskreis und Kolleg*innen begegnen, können wir uns einer Verantwortung gar nicht entziehen. Daher stellen sich die Fragen ganz konkret und persönlich: Was ist »Diskriminierung« oder »Rassismus« eigentlich und wann beginnt dies überhaupt für einen selbst? Worauf kann man wie Rücksicht nehmen und wie reagieren andere hierauf? Auch wenn diese Fragen natürlich nicht abschlie- ßend geklärt werden können, möchten wir Ihnen in diesem Heft ein paar Hintergrundinformationen anbieten und die eine oder andere neue Perspektive aufzeigen. Es erwarten Sie also wieder jede Menge interessante Beiträge rund ums Thema Integration in unserem Heimat- landkreis. Wir wünschen eine anregende Lektüre! Ihr Team Integration Seite 4
Aufstehen gegen Ausgrenzung Was eine Gesellschaft gegen Rassismus & Diskriminierung tun kann Bei der Beschäftigung mit dem Thema Ras- Doch wie konnte es überhaupt so weit kom- simus und Diskriminierung bleiben viele Frage- men? Als der erfahrene TV-Moderator Steffen steller selbst im Jahr 2021 bereits bei der ers- Hallaschka seine Gäste – unter ihnen Fernseh- Info: »Shitstorm« Der Anglizismus »Shitstorm« ten Frage hängen. Wann spricht man eigentlich Legende Thomas Gottschalk oder auch der kursiert erst seit einigen von Rassismus, wie und wann Journalist Micky Beisenherz – in Jahren in der deutschen wird jemand diskriminiert? Ganz »Eine Sendung, in der vier der WDR Talk-Sendung zum Medienlandschaft. vereinfacht gesagt geht es zu- Kartoffeln sitzen und mit- »Meinungstalk« begrüßt, ahnt Gemeint ist der Sturm der nächst um die persönliche Wahr- tels Karten über Rassis- noch keiner, was auf alle Beteilig- Entrüstung im Internet, der nehmung. Wenn sich eine Person mus abstimmen hat ein ten zukommen sollte. Vier Themen beispielsweise auf kritische aufgrund von Merkmalen wie Problem. Und auch meine hatte die Redaktion aufbereitet, Aussagen von Persönlich- Hautfarbe oder Herkunft ausge- Rolle in der Show war die die Gesellschaft mehr oder keiten des öffentlichen Inte- grenzt oder angegriffen fühlt, dann keine gute. Ich habe die weniger bewegen: angefangen bei resses folgen kann. Meist handelt es sich um Rassismus. Kritik aufmerksam gelesen tätowierten Lehrer*innen über entlädt sich die oftmals auch unsachliche Kritik vor Aber wann handelt es sich um und finde sie auch berech- Social Media bis hin zum Vertrau- allem in den sozialen Medi- Diskriminierung? tigt. Ganz klar mein Fehler. en in die Polizei und eben auch der en und reicht nicht selten Am praktischen Beispiel durfte die Sorry #DieletzteInstanz« Streitpunkt »Zigeunersauce«. Die bis zu Beleidigungen oder Nation dies unlängst live im Fern- Micky Beisenherz am folgende Diskussion könnte dabei Drohungen. sehen erleben. Der WDR wollte in 01.02.2021 auf Twitter beispielhaft für den allgemeinen Wie im Falle der in die Kritik seiner Sendung »Die letzte In- über seinen TV-Auftritt öffentlichen Diskurs zum Thema geratenen WDR-Sendung stanz« hierzu zur Diskussion anre- Rassismus sein. Man müsse doch »Die letzte Instanz« kann ein gen. Vier prominente Gäste und das Publikum nicht alles ändern, was schon immer so war, solcher Shitstorm aber auch sollten über die Frage abstimmen, ob man das nur weil sich angeblich jemand daran störe. Die zum Umdenken der Verant- Z-Wort aus dem Namen der guten alten Prominenten kamen aus ihrer privilegierten Stel- wortlichen anregen und so letztlich zu einer Versachli- »Zigeunersauce« wirklich streichen müsse. Das lung heraus zu dem Schluss, dass man nicht chung der Diskussion oder Votum im Fernsehen: Nein! Ging die ursprüngli- alles ändern müsse, nur weil es einige wenige einer generellen Neubewer- che Ausstrahlung der Sendung im November nicht gut fänden. Der Name muss bleiben dür- tung führen. 2020 noch weitgehend an der öffentlichen fen! Wahrnehmung vorbei, fegte nun einen Tag nach Am Tag nach der Wiederholung im Spätpro- der Wiederholung Ende Januar ein beeindru- gramm gab es in den Medien plötzlich eine rege ckender »Shitstorm« über den Sender hinweg. Diskussion zu diesem »Urteil«. War das nur ein Seite 5
Ausrutscher oder haben wir es mit einem struk- Ben’s Reis«, welche uns die Genüsse der kreoli- Info: »Erinnerungskultur« turellen Problem unserer Gesellschaft zu tun? schen Küche der US-amerikanischen Südstaa- Die Bewältigung histori- ten (ehemaligen Sklavenstaaten) schmackhaft scher Ereignisse in einer Erbe der Vergangenheit, kulturelle Traditionen machen wollten. Gesellschaft kann nur gelin- oder kollektives Unbewusstsein? Aber worüber wird denn eigentlich gesprochen? gen, wenn die Gesamtheit »Die letzte Instanz« hat das Thema natürlich Wie weit muss die Auseinandersetzung über der Gesellschaft beteiligt nicht erfunden. Nach und nach kommen immer Diskriminierung und Rassismus geführt werden, ist. Denn was in der Vergan- neue Diskussionen auf, an welchen Stellen Dis- wie energisch? Für den Menschen in unserer genheit geschehen ist, kriminierung in unserer Gesellschaft existiert. Gesellschaft wäre ein erster wichtiger Schritt zu prägt die Gegenwart und Vor allem die Frage, wann es denn »damit ge- erkennen, dass es schlicht inakzeptabel ist, die Zukunft. Vor allem die Werteentwicklung einer nug sei?«, wird dabei besonders oft heiß disku- wenn stereotype Darstellungen bzw. Bezeich- Gesellschaft wird dadurch tiert. Darf man noch ein »Eskimo-Eis« bestellen nungen jemanden ausgrenzen oder Menschen beeinflusst. Sich an Vergan- oder warum darf der klebrige schokoüberzoge- dadurch Eigenschaften zugeschrieben werden. genes zu erinnern und dem ne Sahneschaum nun auf einmal nicht mehr Wie man sich nun diesem stets präsenten The- zu gedenken führt dazu, »Negerkuss« heißen? Die historische Tradition ma nähern soll, wird ebenso diskutiert. Oft wie dass sich Menschen immer von Begriffen mag stellenweise ein bewusst eben zuletzt im WDR, wo eher Unverständnis wieder mit der Vergangen- herabwürdigendes Element ge- gezeigt und Übertreibung attes- heit auseinandersetzen. habt haben, aber in der Gegen- tiert wurde. Ein Auftritt, für den die In Deutschland wird Erinne- wart wird vieles davon einfach Verantwortlichen prompt die Quit- rungskultur oftmals mit dem nicht mehr hinterfragt. Warum tung über die sozialen Medien NS-Regime und Gedenken an die unzähligen jüdischen auch, wenn man mit Rassismus bekommen haben. Radikales An- Opfer der damaligen Zeit in eigentlich nichts zu tun haben will. greifen dagegen, wie es der Verbindung gebracht. Dabei Hier trifft es aber auch einen Kern Mohrenbrauerei im Sommer 2020 gibt es verschiedene Erinne- des Problems. Rassismus verbirgt Das alte Logo wurde von aufgrund der Weigerung ihr Logo rungsformen, von politi- sich nicht nur hinter bewusstem 1946 bis 2021 verwendet, zu ändern widerfahren ist, scheint schen Reden über Gedenk- Handeln, sondern auch im unbe- bis aufgrund der »Black auch nicht zielführend zu sein. Die tage, bis hin zu historischen dachten Akzeptieren, nicht Hinter- Lives Matter«-Bewegung Kommunikation miteinander als Gedenkstätten und -orten. fragen des scheinbar banalen All- ein neues Logo entworfen gleichwertige Menschen, die sich Mithilfe der Erinnerungskul- täglichen – der Alltagsrassismus wurde. © Mars über Erfahrungen und Wahrneh- tur wird also das kritische als ständiger Begleiter. Als konkre- mungen austauschen und somit Denken gefördert, damit das Selbstverständnis über die tes Beispiel könnte hier der soge- dem Unbewussten Präsenz verlei- heutige Gegenwart in Frage nannte »Mohr« dienen, als veralte- hen sowie Eigenreflexion ansto- gestellt wird. Allerdings te Bezeichnung für die Menschen ßen, hat bisher viel bewirkt. Das geht es hier nicht explizit Nordafrikas und später Synonym eigene Handeln sowie die eigene um Schuldfragen, sondern für alle Personen mit dunkler Haut- Sprache zu reflektieren, um so darum, zu realisieren, dass farbe. Durch die historischen Kon- rassistischer Diskriminierung ent- die Vergangenheit einen takte, die vom 17. bis 19. Jahrhundert in eine gegenzuwirken, wird u.a. in den Critical Whiten- Gegenwartsbezug hat. Denn Begeisterung für Exotisches aus Afrika und Ara- ess Studies näher beleuchtet. So beschreiben nur so kann die Wiederho- bien gipfelten, fand der stilisierte »Mohr« Einzug Unterstützende der Critical Whiteness, dass lung vergangener Fehler in Produktbezeichnungen, Firmennamen, Sym- Weiße, die keinen Rassismus erfahren, sich vermieden werden. Gerade im Zuge der Black- bole, Straßennamen und vieles mehr. In stereo- meist ihrer eigenen Privilegien nicht bewusst Lives-Matter Bewegung im typischer Darstellung mit vollen Lippen, krau- sind und dementsprechend unbewusst Rassis- vergangenen Jahr wurden sem Haar, oft devoter Haltung und meist regio- men ausüben. Den Unbedachten aufmerksam deshalb auch hierzulande naler Bekleidung bzw. Schmuck wurde und wird zu machen und dem Abgeneigten Alternativen verstärkt die deutsche Kolo- der »Mohr« auf Wappen wie dem der Stadt anzubieten, hat zu äußerst kreativen Lösungen nialzeit und ihr Erbe in den Coburg gezeigt, in orientalischer Form auf Tafeln geführt, auch wenn nicht alle Vorschläge Zu- Blick genommen. der Sarrotti-Schokolade bzw. auch verneigend stimmung fanden, wie die »Wiener Zeitung« im Logo des Meinl-Kaffees. Und wer kennt bereits 2014 anschaulich zusammenstellte. Zur nicht die Werbefilme und das Logo von »Uncle Lösung unserer Gesellschaft von rassistischer Seite 6
Wahrnehmung bedarf es eines Prozesses, der aktuelles Diskussionsthema sind vor allem De- in Worten, aber ebenso in Bildern des Alltages batten zu kolonialen Straßennamen. Vielerorts fortgeführt wird. Auch wenn nicht immer alle wurden mithilfe des Engagements zivilgesell- Empfindungen gleich sein werden, verpflichten schaftlicher Gruppen einige bereits durch die uns die Prinzipien einer offenen und gerechten Kolonialzeit vorbelastete Namen geändert. Al- Gesellschaft auf andere Gefühle Rücksicht zu lerdings ist eine Umbenennung allein nicht aus- nehmen und Wege zu finden aufeinander zuzu- reichend, sondern es bedarf mehr Auseinander- gehen. setzung mit der Thematik. Seit gut 20 Jahren ist beispielsweise der Begriff des »Migrations- Begriffe im Wandel hintergrunds« fester Bestandteil vieler Bevölke- Tatsächlich ist Diskriminierung aber nicht nur rungsstatistiken. Gemeint sind Menschen, die eine Frage der persönlichen Wahrnehmung. entweder selbst nach Deutschland eingewan- Auch die Sozialwissenschaft kennt und be- dert sind oder von denen zumindest ein Eltern- schreibt das Phänomen. Von Diskriminierung teil nicht von hier stammt. Rechnet man alle spreche man laut dieser dann, wenn eine Un- zusammen, hat heute jeder vierte Einwohner terscheidung verschiedener Gruppen anhand unseres Landes einen solchen »Migrations- von gewissen Merkmalen vorgenommen wer- hintergrund«. Nun lässt sich darüber streiten, de, mit der Absicht eine meist schwächere ob der Begriff noch allzu viel Aussagekraft be- Gruppe und deren Mitglieder gezielt abzuwer- sitzt, wenn 25% der Bevölkerung gemeint sind. ten, beispielsweise um ihnen den Zugang zu Andererseits spiegelt er auch die diverse Her- bestimmten Angeboten zu verwehren. Beide kunft unserer Mitmenschen wider. Dabei ist er Definitionen, also sowohl die über die persönli- jedoch nicht ohne Kritik geblieben. Nicht weni- che Wahrnehmung als auch die der Sozialwis- ge sehen ihn sogar als eine Art Stigmatisierung. senschaften, sind weder abschließend noch Die von der aktuellen Regierung geschaffene immer und zu jeder Zeit deckungsgleich. So Fachkommission Integrationsfähigkeit hat An- kann objektiv betrachtet jemand diskriminiert fang 2021 ihren Bericht vorgelegt und darin werden, weil er etwa in irgendeiner Form be- unter anderem vorgeschlagen, den Begriff gänz- nachteiligt wird, dies gleichzeitig aber nicht als lich zu ersetzen. Besser könnte man nun von negatives Erlebnis bewerten. »Eingewanderten und ihren (direkten) Nach- So könnte ein Mensch, der selbst afrikanische kommen« sprechen. Rein statistisch ändert sich Info: »Firmenlogos« Vorfahren hat, eine Abbildung wie auf dem nicht viel. Lediglich Menschen, bei denen nur »Der Affenbrotbaum als Coburger Stadtwappen sehen und sich nichts ein Elternteil eingewandert ist, sind nicht mehr künstlerische Antwort auf den »Mohrenkopf«. Auch dabei denken, vielleicht auch, weil er solche mitgemeint. Jetzt geht es nur noch um Einge- Julius Meinl verzichtet mitt- Darstellungen schon gewohnt ist, während ein wanderte und Kinder von eingewanderten El- lerweile darauf, seine Mar- anderer sich direkt angegriffen fühlt, weil er tern. Die Gesamtzahl sinkt dadurch etwas, aber kenfigur dunkelhäutig darzu- eine Darstellung mit wulstigen Lippen und Gol- nicht sehr. Ein weiterer Vorteil neben der Able- stellen. Beim deutschen dohrringen für sich als rassistisch wertet. Da es gung des Stigmas soll sein, dass der Begriff Schokoladeproduzenten nicht immer möglich ist, wissenschaftliche eindeutiger ist. Allerdings merkt nicht nur der Sarotti wurde der Mohr zum Standards anzulegen, müsste ein Gradmesser Migrationsexperte Dr. Stefan Böckler im Online- Zauberer. Mohrenbräu will das Empfinden der Betroffenen sein, deren Fachmagazin »Migazin« an, dass gerade der hingegen an seinem Logo Stimme im öffentlichen Diskurs noch wenig Begriff »Nachkommen« alles andere als eindeu- nichts ändern. © facebook/ Gehör findet. In diesem Sinne war es ein Schritt tig sei. Letztlich handele es sich bei der Neufas- wikipedia/meinl/wirinherten/ sarottihoefe« in die richtige Richtung das Thema im Fernse- sung nur um »alten Wein in neuen Schläuchen«. hen aufzugreifen, jedoch bedauerlicherweise Wie sich der Begriff in der Praxis bewährt, Quelle: https:// www.wienerzeitung.at/ ohne Vertretung der Betroffenen. bleibt abzuwarten und beileibe hat er nicht nur nachrichten/chronik/ Ein weiteres Thema im Umgang mit Rassismus Kritik hervorgerufen. So unterstützt Annette oesterreich/628980-Hier-in- wäre, dass mehr Sensibilität bei der Namens- Widmann-Mauz, die Integrationsbeauftragte Vorarlberg-haelt-es-niemand- gebungen von öffentlichen Einrichtungen, Stra- des Bundes, die Idee ausdrücklich. fuer-rassistisch.html ßen und Gedenkstätten einfließen könnte. Ein Seite 7
Info: »Colorism« Hass & Hetze im Netz haben nicht nur eine Corona-Pandemie, wir Warum werden Wörter wie Diskussionen zu den Themen Rassismus und haben auch eine Hass- oder Rassismus- »Weiß«, »Schwarz« und Diskriminierung laufen leider bei weitem nicht Pandemie in Deutschland. Das drückt sich in »Coloured« verwendet, immer so gesittet und sachlich ab. Blickt man den sozialen Netzwerken aus«, schlussfolgert obwohl es wissenschaftlich auf die Artikel mancher einschlägigen (rechts-) Matthias Quent, Direktor des Instituts für De- gesehen keine Rassen gibt? populistischen Nachrichtenseiten oder in die mokratie und Zivilgesellschaft. Farbenblindheit im Kampf gegen Rassismus ist keine Kommentarspalten der sozialen Medien im In- Lösung. Die aufgeführten ternet, kann es einem leicht die Sprache ver- Kritisches Weißsein Termini werden verwendet, schlagen. Von einfachen Beleidigungen über Rassismus ist eine gesamtgesellschaftliche um die Positionen der Men- Kampfbegriffe wie »Hochverrat« bis hin zu Ver- Herausforderung, welche nicht nur Menschen schen zu beschreiben, wel- gleichen der BRD mit einer Diktatur kann man betrifft, die es erfahren, sondern auch die, die che Rassismus und Diskri- hier alles lesen. Sachliche Beiträge sind hier es nicht erfahren. In vielen Situationen umge- minierung erfahren. Es sind häufig in der Minderzahl. Doch woher kommt ben uns Rassismen, die wir nicht wahrnehmen politische Begriffe und zie- dieser Hass im Netz? Experten machen dabei und unbewusst in der Gesellschaft reproduzie- len nicht auf den Phänotyp die Grundkonstruktion des Internets als mögli- ren. Wie kann also ein Rassismus-Problem eines Menschen ab. Daher che Ursache aus. Dabei fällt das Schlagwort der überwunden werden, wenn nicht realisiert wird, werden diese Bezeichnun- gen auch nicht wie Adjekti- »intimisierten Öffentlichkeit«, wie es die Profes- dass Rassismus unbewusst unser Verhalten ve behandelt, sondern wer- sorin Dr. Elke Wagner von der Universität Würz- prägt? den immer großgeschrie- burg nennt. Jeder habe die Möglichkeit, sich Wie bereits erwähnt befassen sich die »Critical ben. am Diskurs zu beteiligen. Whiteness Studies« bzw. die Die Aussage »alle sind Nutzer würden insbesondere Kritische Weißseinsforschung gleich« mag richtig klingen, von Sozialen Medien persön- mit der Annahme, dass spiegelt aber die Realität in lich angesprochen. Dadurch »Weiße« Menschen auch Teil unserer Gesellschaft nicht HASS & HETZE falle es Menschen leichter, des Rassismus-Problems sind. wider. Über die Diskriminie- IM NETZ ihr privates Empfinden nach Kritisches Weißsein zielt darauf rung, die durch Rassismus außen zu tragen. Diese mögli- ab, zu sensibilisieren, sich mit in unserer Gesellschaft exis- tiert, würde ohne Benen- che Emotionalität könne eine geschichtlichen Ereignissen nung hinweggesehen und gewisse Eigendynamik entwi- auseinanderzusetzen und sich die Betroffenen würden ckeln und habe gleichzeitig der eigenen Privilegien bewusst ignoriert werden. eine große Reichweite. Das zu werden. Denn im Laufe der Die französische Soziologin mache es so leicht, vor allem Zeit entstand ein Machtgefüge und Feministin Colette bei kontroversen Themen auch starke Gefühle von Weißen Menschen gegenüber Nicht- Guillaumin sagte einst: wie Hass ans Tageslicht zu fördern und zu ver- Weißen Menschen, die sogenannte »White »Rasse existiert nicht, doch breiten. Für solche Beiträge, die hasserfüllt oder Supremacy« (= Weiße Überlegenheit). sie tötet Menschen.« verletzend sind, gebe es zwar in der Regel Mel- Ursprünglich entstanden die Critical Whiteness demechanismen auf den Plattformen. Doch vor Studies in den 1990er Jahren in den USA als Info: »Hate-Speech« allem bei den großen Tech-Giganten hat sich in Kritik an den zahlreichen Forschungen zu Rasse Heißt zu deutsch der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass und Ethnizität, wie etwa den African American »Hassrede« und wird u.a. in diese Firmen teilweise gar nicht mehr in der Studies, Native American Studies oder anderen Zusammenhang mit grup- Lage sind, den Auswüchsen mancher Nutzer- Forschungszweigen zur ethnischen Herkunft. So penbezogener Menschen- feindlichkeit oder Volksver- kreise noch Herr zu werden. Kritiker mahnen wurde bemängelt, dass innerhalb solcher Stu- hetzung im Internet verwen- schon lange an, dass hier viel zu wenig und dien die Attribute »rassisch« oder »ethnisch« det. Hierbei werden Aus- meist zu spät getan wird. So ist es leicht, oft lediglich auf Nicht-Weiße Menschen bezogen drucksweisen geäußert, die genug anonym, »Hate-Speech« zu äußern. Ent- wurden. Als Folge daraus wurden Nicht-Weiße andere Menschen abwer- sprechende Filterblasen, in denen die Informati- Menschen »markiert« anders zu sein, fremdartig ten, angreifen oder zu Hass onen sehr stark einseitig geprägt sind, werden zu sein. Wohingegen Weißsein zur unsichtbaren und Gewalt aufrufen. Hate- befeuert und bewirken oft großes psychisches Norm wurde, weil »Weißsein« nicht benannt Speech kann strafbare und Leid bei den Opfern, während Täter meist keine wurde. Sich nicht damit auseinanderzusetzen nicht strafbare Kontexte Konsequenzen für ihr Handeln erleben. »Wir führte demnach schließlich dazu, dass Rassis- beinhalten. Seite 8
men ins Unterbewusstsein gelangten und unre- flektiert in das Verhalten der Menschen über- gingen. Die kritische Weißseinsforschung soll also beleuchten, inwiefern sich Weißsein als unsichtbarer Maßstab und damit das Nicht- Weiße als Abweichung darstellt sowie als min- derwertig abstuft. Mithilfe der Kritischen Weiß- seinsforschung wird versucht, diese rassisti- sche Markierung zu überwinden und Weißen zu verdeutlichen, dass auch sie nicht davon ausge- nommen sind, durch ethnische Merkmale in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. In der breiten Gesellschaft ist Critical Whiteness noch sehr unbekannt, obwohl die Kritische Screenshot aus der Sendung Schleichfernsehen, Bayeri- scher Rundfunk vom 01.04.2021 (Quelle: Spiegel Online) Info: »Blackfacing« Weißseinsforschung schon längst zu den Kul- Die Darstellung Schwarzer turwissenschaften in Deutschland gehört. So sismus und Diskriminierung erst am Anfang. Menschen durch dunkel sind unbewusste Denkmuster weiterhin in der Denn auch nach der Diskussion um den Sende- geschminkte Weiße Men- Gesellschaft verankert und führen dazu, dass beitrag »Die letzte Instanz« im WDR werden schen wird als Blackfacing beispielsweise viele Weiße Personen in rassistische Klischees weiterhin aufgegriffen. bezeichnet. Ihren Ursprung Deutschland lebende Menschen mit Weißen So zeigte sich Anfang April der bayerische Ka- hat das ursprünglich soge- nannte »Blackface« in den Menschen assoziieren, obwohl auch Nicht- barettist Helmut Schleich in seiner Sendung im amerikanischen Minstrel- Weiße Menschen hier leben, einen deutschen Bayerischen Rundfunk als fiktiver unehelicher Shows vergangener Jahr- Pass besitzen, bereits von Geburt an hier aufge- afrikanischer Sohn von Franz Josef Strauß, der hunderte. Auch ohne den wachsen sind und sich deutsch fühlen. sein ebenfalls fiktives Land als Diktator be- Bezug zu diesen Shows Oftmals zeigt ein Großteil unserer Mehrheitsge- herrscht. Zum Sketch gehörte auch eine ordent- wird die Praxis inzwischen sellschaft bei einer Konfrontation mit den eige- liche Portion brauner Farbe im Gesicht des Ko- weithin als rassistisch ein- nen Privilegien Abwehrhaltungen, man habe es mikers, das sogenannte »Blackfacing«, was gestuft und daher kritisiert. doch nicht so gemeint, man solle doch nicht so auch in diesem Fall zu deutlicher Kritik führte. Auch Deutschland hat eine empfindlich sein oder wieso dürfe man nicht Sowohl der Künstler als auch der Sender konn- koloniale Vorgeschichte, in mehr »Zigeunersoße« sagen. Für viele Men- ten der Kritik anfänglich nichts abgewinnen. deren Rahmen immer wie- der Schwarze Menschen schen ist es schwierig ihre eigenen Denkmuster Dass der Sender inzwischen jedoch die Figur für karikiert und diskriminiert aufzubrechen, über die Ursprünge gewisser die Zukunft aus dem Programm gebannt hat, wurden. Von daher scheint Begrifflichkeiten nachzudenken und sich eigene zeigt, dass durch kritisches Rückmelden Be- auch das Gegenargument, Privilegien einzugestehen. wusstsein geschaffen wurde, wenn auch nicht hierzulande habe der Begriff Es sind also eben nicht nur die radikalen Men- flächendeckend. Unsere Gesellschaft befindet keine geschichtliche Rele- schen, die Rassismen ausüben. Nicht immer sich hier am Anfang eines Prozesses. Es gilt vanz, zumindest fragwürdig. stehen hinter rassistischen Handlungen oder hierbei gemeinsam und offen ein wertschätzen- Deshalb hat sich ausgehend Äußerungen feindliche Absichten. Dennoch sind des Miteinander zu entwickeln und sich gegen- von Diskussionen rund um solche Aussagen oder Taten dadurch nicht we- seitig immer wieder aufs Neue zu sensibilisie- die Theater-Szene auch in niger rassistisch. Unsere Denkmuster bestim- ren und aufmerksam zu machen. Deutschland der Konsens gebildet, dass die Praxis des men, was wir mit welchen Worten assoziieren. (Tram Do/Trautmannsberger/Wenzl) Blackfacings der Geschichte Doch wenn unsere Denkmuster von Rassismus Quellen und weiterführende Links: angehören sollte. geprägt sind, muss dieses Muster durchbro- chen werden. Dazu gehört auch die aktive Aus- einandersetzung mit geschichtlichen Ereignis- sen (Erinnerungskultur), um zu verstehen, dass Rassismus an die Historie anschließt. Obwohl wir in einer zunehmend aufgeklärten • Gesellschaft leben, steht die Debatte um Ras- Seite 9
Chancen einer hybriden kulturellen Herkunft Interviewreihe Teil 1: Landkreisbürgerinnen und -bürger sprechen über ihre diversen kul- turellen Identitäten sowie ihre Perspektiven auf Selbst- und Fremdwahrnehmung. Der Landkreis Pfaffenhofen a.d.Ilm ist Heimat für eine vielfältige Gesellschaft, Menschen unterschiedlichster Migrationsbiografien sowie Men- schen verschiedener kultureller Identitäten. Info: »Deutsch-Sein« HANA BESIREVIC (17 JAHRE) viel mit der Kultur hier gemeinsam zu haben Was bedeutet eigentlich ABITURIENTIN und ganz andere Erfahrungen als deine deut- »Deutschsein«? Was bedeutet für Dich »Deutschsein« (z.B. schen Freunde oder Mitschüler zu machen, Vielen Menschen in bringt einen wieder zu dem Gedanken »wirklich Werte, Traditionen, Denk- und Verhaltensmus- Deutschland sind die eige- ter, usw.)? deutsch bin ich aber auch nicht«. nen Verhaltensweisen, die Besirevic: Für mich hieß Ich weiß, dass es vielen Men- wir im gesellschaftlichen Zusammenleben ausüben, »Deutschsein« immer in Deutsch- schen, die hier aufgewachsen und nicht bewusst. Deutschsein land geboren oder aufgewachsen sich hier ein Leben aufgebaut ha- kann also Lebens- und zu sein. Erst als ich mich selbst ben, so geht. Das Gefühl zwischen Arbeitsweisen oder auch mit der Frage auseinandergesetzt zwei Stühlen zu stehen. Die Frage Werte und Normen be- habe, ist mir aufgefallen, wie viel- »Bin ich deutsch?« kann man nicht schreiben. Genau festgeleg- fältig »Deutschsein« ist und dass einfach beantworten, man könnte te Kriterien gibt es dafür es jeder für sich selbst definieren ein Leben lang darüber philoso- nicht. Lediglich verbreitete muss. Ich kann mittlerweile selbst phieren und würde zu keiner Ant- Praktiken in der Mehrheits- nicht genau sagen, wen ich als »Ich selbst konnte entde- wort kommen und das muss man, gesellschaft. »deutsch« sehen würde und ich cken, dass ich mich nicht denke ich, auch gar nicht. Ich bin Wenn wir dem Prinzip der Differenzkonstruktion glau- denke, ich kann es mir selbst nicht an eine Kultur oder Natio- in Deutschland geboren, aufge- ben schenken, kann eine rausnehmen zu sagen, was nalität binden muss, um wachsen, lebe hier und fühle mich Bedeutung erst generiert »Deutschsein« ist. zu wissen, wer ich bin und wohl, das reicht mir. Meine Identi- werden, nachdem wir eine wofür ich stehe.« tät definiere ich dann lieber aus Abgrenzung zu anderen Inwiefern würdest Du Dich inzwi- meinen eigenen Werten, Verhal- Dingen schaffen. Bedeutung – Hana Besirevic schen sogar selbst als »deutsch« tens- und Denkweisen. entsteht quasi nicht im bezeichnen? leeren Raum. Das impliziert, Besirevic: Wie wir uns sehen und definieren, Wirst Du von anderen Menschen als »deutsch« dass wir zunächst andere, hat viel damit zu tun, wie andere Menschen uns oder »nicht-deutsch« oder als beides wahrge- uns fremde Kulturen bzw. sehen und mit uns umgehen. Für mich kam es nommen? Lebens- und Verhaltenswei- sen kennenlernen müssen, lange nicht infrage, mich als »nicht-deutsch« zu Besirevic: Ich bin mir oft unsicher, ob ich als um für uns »Deutschsein« sehen, wenn ich von Leuten aus dem Land mei- deutsch wahrgenommen werde oder nicht. Ich zu definieren. ner Eltern als »die Deutsche« beschrieben wur- denke, meine Mitmenschen sind sich selbst de. Man denkt sich dann eben »ok, ich bin wohl teils unsicher, ob sie mich als deutsch wahr- deutsch«. In Deutschland aufzuwachsen, nicht nehmen sollen. Mitmenschen, die mir in dieser Seite 10
Hinsicht Interesse entgegenbringen und auf AYOUB BOUALI (28 JAHRE) Info: »Kulturwissenschaft« respektvolle Weise nachhaken, schätze ich im- AZUBI IN DER PFLEGE Die Kulturwissenschaft mer sehr. Von allem anderen versuche ich mich Was bedeutet für Dich »Deutschsein« (z.B. erforscht die materielle und nicht zu sehr beeinflussen zu lassen. symbolische Dimension von Werte, Traditionen, Denk- und Verhaltensmus- Kulturen. Sie ist interdiszipli- ter, usw.)? när ausgerichtet und bildet Welche weiteren multikulturellen Identitäten Bouali: Deutsch zu sein heißt für mich die Su- viele Schnittmengen mit hast Du? Welche positiven und negativen Erfah- che nach Perfektion und Präzision in allen Le- anderen Bereichen wie der rungen hast Du damit gemacht? bensbereichen, das Gefühl der Zugehörigkeit zu Kommunikation, der Spra- Besirevic: Meine Eltern kommen beide aus Bos- Deutschland als Mitglied der Gesellschaft sowie che, der Geschichte, der nien und bis vor einem Jahr, also vor der Pande- die Offenheit gegenüber der Außenwelt für die Wirtschaft, der Soziologie, mie, haben wir auch jeden Sommer dort ver- Entwicklung des Selbst (Respekt vor Minderhei- der Ethnologie, der Anthro- bracht. Meinen Eltern war es wichtig, dass ich ten und Ausländern und die Anwendung des pologie, den Medien, der mich mit der Geschichte des Landes befasse Gesetzes) und natürlich die Feier von Feiertagen Kunst, der Musik, der Litera- tur oder der Technologie. und mich mit der Kultur und Sprache auseinan- wie Weihnachten und Ostern, usw. Analysiert werden das Ver- dersetze. Das Gefühl eines zwei- halten des Menschen und ten Zuhauses, die Menschen und Inwiefern würdest Du Dich inzwi- die Veränderungsprozesse Werte, die damit verbunden wa- schen sogar selbst als »deutsch« im kulturellen Raum . ren, haben mein Leben schon im- bezeichnen? Beschreibe bitte, mer bereichert und geprägt. Einige warum bzw. warum nicht. meiner schönsten Erinnerungen Bouali: Tatsächlich ist mir bis jetzt stammen aus einem der Sommer die Integration in die deutsche in Bihac (Bosnien). Im Laufe der Gesellschaft leichtgefallen, weil Jahre entwickelten sich jedoch ich mich meistens schnell anpas- immer mehr Identitätsfragen. Bin se. Wenn ich mich mit Bekannten ich deutsch oder bosnisch? Was und Kolleg*innen austausche, heißt es, bosnisch oder deutsch zu »Das Bier oder die Brezen dann versuche ich möglichst ähn- sein? Wie wichtig sind diese Fra- schmecken mir immer lich zu kommunizieren. Im Allge- gen? Oder auch Sachen wie z. B. mehr. Manchmal ertappe meinen gefallen mir die deutsche Defizite in der bosnischen Sprache ich mich dabei, wie ich Sprache und besonders der baye- konnten oft Unsicherheit auslösen. länger plane oder mehr rische Dialekt sehr. Ich bin nicht so Wie kann ich darüber nachdenken Kritik als früher über Sa- lange in Deutschland und fühle bosnisch zu sein, wenn ich die chen äußere.« mich aber so, als ob ich länger hier Sprache nicht richtig spreche. Mit gewesen bin. Seitdem bin ich – Ayoub Bouali der Zeit lernt man darüber hinweg- pünktlicher, selbstständiger und zusehen und sich einfach zu verbessern. lösungsorientierter geworden. Das Bier oder die Brezen schmecken mir immer mehr. Manchmal Welchen Mehrwert siehst Du für Dich und die ertappe ich mich dabei, wie ich länger plane Gesellschaft aufgrund der hybriden kulturellen oder mehr Kritik als früher über Sachen äußere. Einflüsse? Zusätzlich bilde ich mich hier im Pflegebereich Besirevic: Wir werden immer empathischer und weiter aus und erlebe einen Durst nach mehr toleranter im Umgang mit unseren Mitmen- Wissen über unterschiedliche Themen. Mir ge- schen und können Gewinne für die gesamte fällt die deutsche Kultur und ich möchte viele Gesellschaft hinsichtlich Sprache, Kunst, Musik Bräuche und Traditionen weiter kennenlernen. und Kultur erzielen. Ich selbst konnte entde- cken, dass ich mich nicht an eine Kultur oder Wirst Du von anderen Menschen in Deutsch- Nationalität binden muss, um zu wissen, wer land als »deutsch« oder »nicht-deutsch« oder ich bin und wofür ich stehe. als beides wahrgenommen? Bouali: Andere Menschen betrachten mich oft —————— eher als eine deutsche Person, weil ich be- Seite 11
weil mir die Kommunikation mit Menschen an- derer Kulturen oder mit multikulturellen Identitä- ten leichtfällt. Welchen Mehrwert siehst Du für Dich und die Gesellschaft aufgrund der hybriden kulturellen Einflüsse? Bouali: Die Auseinandersetzung mit den kultu- rellen Einflüssen, die Kommunikation in Fremd- sprachen und die Leidenschaft für Philosophie haben mich zu einem sehr toleranten und offe- nen Menschen gemacht. Dank meines mitge- brachten und hier weiterentwickelnden Potenzi- als würde ich gerne der Gesellschaft mehr zu- Info: »Kulturelle Identität« stimmte Verhaltensweisen erlangt habe, von rückgeben. Mit meinem Geschick im elektro- Das Phänomen, wenn sich denen die wichtigste darin bestehen, »Nein« zu technischen und meinem Engagement im Pfle- ein Mensch einer Kultur sagen, ernsthaft zu arbeiten, zu studieren, das gebereich könnte ich einen Beitrag zum besse- oder Region zugehörig fühlt Timing zu respektieren, immer in einem anstän- ren Leben in der sozialen Umgebung beitragen. und sich mit ihr identifiziert, digen und eleganten Erscheinungsbild aufzutre- Vielleicht lassen sich diese auch miteinander wird kulturelle Identität ten und natürlich die deutsche Sprache gut zu verknüpfen, z.B., wenn man als Hausmeister genannt. sprechen. Im Alltag erlebe ich viel Respekt, oder als Fachmann für die Reparatur von Gerä- Fühlt sich ein Mensch auch zu einer anderen oder meh- Toleranz und Offenheit, die ich auch gerne zu- ten im Gesundheitswesen arbeitet. All diese reren Kulturen bzw. Regio- rückgebe. Facetten betrachte ich als eine gute Vorausset- nen zugehörig, dann spricht zung für eine Integration, eine bessere gegen- man von hybriden kulturel- Welche weiteren multikulturellen Identitäten seitige Verständigung und Teilhabe in der Ge- len Identitäten. hast Du? Welche positiven und negativen Erfah- sellschaft. Hybride kulturelle Identitä- rungen hast Du damit gemacht? ten entstehen oft in trans- Bouali: Ich bin ursprünglich Berber aus Tunesi- —————— nationalen oder multikultu- en, aber ein Teil meiner Familie hat italienische rellen sozialen Kontexten. Wurzeln. Ich bin in einer religiösen Familie auf- SHEMSI HAZIRI (59 JAHRE) In den Zeiten des kulturellen gewachsen, aber heute bin ich eher philoso- EHRENAMTLICHER DOLMETSCHER & MITAR- Wandels sowie der Migrati- on stehen Menschen mit phisch unterwegs. Meine Hobbys haben meist BEITER IM GARTEN- UND LANDSCHAFTSBAU Migrationsgeschichte oft mit der Leidenschaft und Erkundungen in den Was bedeutet für Dich »Deutschsein« (z.B. zwischen zwei oder mehre- Bereichen der Astronomie, Psychoanalyse Werte, Traditionen, Denk- und Verhaltensmus- ren Welten, wobei sie einen (Charakteranalyse) und Geschichte zu tun. Mo- ter, usw.)? »dritten« Raum schaffen mentan konzentriere ich mich auf die Ausbil- Haziri: Ich habe die deutsche Staatsbürger- und dadurch ihren eigenen dung und die Arbeit, sodass wenig Zeit für Hob- schaft. Ich liebe das Land, weil es auch meine Status pflegen. bys bleibt. Das Lernen fremder Sprachen fiel mir Heimat, historisch betrachtet, immer unter- leicht. Heute spreche ich fünf davon. All dies stützt hat. Als ich mich damals von der Familie macht meine Person bzw. meine Identität aus. verabschiedete, sagten meine Eltern, dass Die vielen Freundschaften mit Menschen aus Deutschland unser Freund ist und sie sich des- anderen Kulturen und die Hobbyfreunde können halb keine Sorgen um mich machten. dies bestätigen. Einzelfälle sind immer die Aus- Typisch deutsch finde ich die besondere alte nahme. Einmal hat ein Bekannter mich mit deutsche Sprache und die Philosophie. Auch die »Ausländer« angesprochen. Dann erinnerte ich vielfältige Kultur finde ich besonders schön. Hier ihn an seine polnischen Wurzeln. So kamen wir in Bayern wird ein interessanter Dialekt gespro- zum Thema Multikulturalität und standen einan- chen, melodiös, aber auch etwas härter als in der plötzlich toleranter gegenüber. Daher habe den anderen Regionen Deutschlands. ich meistens positive Erfahrungen gemacht, Seite 12
Inwiefern würdest Du Dich inzwischen sogar ben möchte ich die deutschen Freunde, die selbst als »deutsch« bezeichnen? etwas mehr Zeit zum Kennenlernen brauchten, Haziri: Für mich, der mit 30 Jahren nach aber einem dann mit offenen Armen begegnen. Deutschland migrierte, bleibt die Heimat mein Durch meine Offenheit, gegenseitiges Vertrauen Geburtsort. Jedoch muss ich sagen, dass ich und ständige Kommunikation konnte ich die mich hier genauso wohlfühle, dahoam. Ich habe bayerische bzw. deutsche Kultur besser ken- sehr viele Freunde und Kontakte. Ich fühle mich nenlernen. Ich finde dabei viele Parallelen zu sowohl albanisch als auch deutsch. In Deutsch- den Grundprinzipien der Erziehung, die ich aus land habe ich mich gleich am Anfang sehr wohl meiner Heimat mitgenommen habe. Respekt »Mit meinem 20-jährigen gefühlt, da ich zum ersten Mal die Freiheit und und Gastfreundschaftlichkeit habe ich oft erlebt. Engagement als ehren- einen sozialen Staat erlebte. Dafür bin ich Deutschland sehr dankbar. Ich lebe hier sehr Welchen Mehrwert siehst Du für Dich und die amtlicher Dolmetscher gern und würde nicht unbedingt weiterziehen Gesellschaft aufgrund der hybriden kulturellen versuche ich der Gesell- wollen. Einflüsse? schaft meinen Dank zu- Dennoch bin ich sehr stolz auf meine Herkunft, Haziri: Mit meinem Verhalten und sozialen En- rückzugeben.Während weil meine Wurzeln und die Verbundenheit mit gagement versuche ich hier ständig ein gutes meiner Dolmetschertätig- der Heimat noch stark sind. Zusätzlich finde ich Bespiel als Shemsi sowie als Albaner zu geben. keit erkläre ich oft die auch die Lebensumstände und die erlebte Zeit So gebe ich der Gesellschaft nicht nur eine Leis- Kulturunterschiede und prägend. Ich komme aus einem kleinen Dorf, tung, sondern auch ein lebendiges Image eines trage zur besseren Ver- das sehr traditionell ist. Wäre ich in der integrierten Albaners. Durch die guten Kontakte ständigung bei.« (Haupt-)Stadt geboren, hätte ich es vielleicht und den vielfältigen Austausch habe ich bis jetzt – Shemsi Haziri leichter mit der Identitätsentwicklung. Ich bin meistens nur Gutes erlebt. In Pfaffenhofen fühle davon überzeugt, dass die Jugendlichen und die ich mich sehr wohl. jüngere Generation sich in den Zeiten der Globa- In den Anfangsjahren als Migrant hat mich der lisierung schneller integrieren können, weil die Staat sehr viel unterstützt. Mit meinem Verbindung mit der Heimat nicht sehr stark sein 20-jährigen Engagement als ehrenamtlicher kann. Dolmetscher versuche ich der Gesellschaft mei- nen Dank zurückzugeben. Bei meiner Dolmet- Wirst Du von anderen Menschen als »deutsch« schertätigkeit erkläre ich oft die Kulturunter- oder »nicht-deutsch« oder als beides wahrge- schiede und trage zur besseren Verständigung nommen? bei. Haziri: Meine Freunde und Arbeitskollegen se- Aus der Herkunftskultur bringe ich auch die hen mich mehr als einen Kosovo-Albaner. Dies tolerante Haltung gegenüber anderen Religio- vielleicht, weil ich es auch ausstrahle. Würde nen mit, was mir den Integrationsweg erleich- ich aber in ein fremdes Land gehen, dann zeigte tert hat. Gleichzeitig unterstütze ich die albani- ich mich wahrscheinlich mehr als Deutscher. sche Community durch die Organisation von Beispielsweise bin ich für die Freunde in den Kinderveranstaltungen wie Malen, Tanzen oder USA deutsch. Ich werde so gesehen, weil ich Ausflüge. Ich mag Kinder und Kinder mögen hier oft Deutsch rede, deutsche Musik höre, mich. Dies erlebe ich auch mit den Kindern mei- sehr gerne ins Theater gehe und total verrückt ner deutschen Freunde. nach bayerischen Heimatfilmen bin. Für diejeni- gen bin ich deshalb deutsch. Die Gespräche führten Admir Kraja und Welche weiteren multikulturellen Identitäten Tu Trang Tram Do. hast Du? Welche positiven und negativen Erfah- rungen hast Du damit gemacht? Die Reihe wird im nächsten Heft mit weiteren Haziri: Ich bin sehr interkulturell unterwegs und Interviews zu den hybriden kulturellen Identitä- auch zufrieden mit meinem bisherigen Leben. ten von Bewohnerinnen und Bewohnern unse- Ich habe viele internationale Freunde. Hervorhe- res Landkreises fortgesetzt. Seite 13
Aus der Integrationspraxis Projekte und Veranstaltungen zwischen Öffnung und Kontaktbeschränkungen Corona und Integrationsarbeit Auch wenn uns die digitalen Hilfsmittel überall einen enorm großen Dienst geleistet haben, Dieser Bericht aus der Integrationspraxis be- gibt es doch gerade bei der Begegnung von ginnt erneut mit einem Verweis auf die Corona- Menschen untereinander keinen Ersatz für den Pandemie. Aber zum jetzigen Zeitpunkt scheint direkten Kontakt. Genau auf diese Zwischen- es zumindest, als würde sich die Lage zuse- menschlichkeit kommt es beim Thema Integra- hends verbessern. Man hört zwar von immer tion insbesondere an. Solange uns diese grund- neuen Mutationen und manchmal auch von sätzlichen Möglichkeiten nur sehr begrenzt zur bedenklichen lokalen Entwicklungen, jedoch Verfügung stehen, haben wir keine andere Peter Schleibinger lassen die immer intensiveren Impfbemühungen Wahl, als damit auszukommen. Wir bitten Sie Integrationsberater am Hoffnungen zu, dass bald wieder eine Form der daher, unseren Online-Angeboten genauso zu Landratsamt Pfaffenhofen Normalität einkehrt. Das wäre aus medizini- folgen, wie Sie dies bisher im direkten Kontakt a.d.Ilm scher Sicht, für das persönliche und gesell- getan haben und laden Sie gerne herzlich ein, schaftliche Allgemeinwohl, die seelische Gene- mit uns in Kontakt zu treten und zu bleiben. Beim Thema Integration sung, insbesondere bei den Kindern und Ju- geht es für mich in erster gendlichen und natürlich auch für die existenti- Vortragsreihe »Lebenswelten im Wandel« Linie darum, Chancengleich- ellen Bedürfnisse der Wirtschaft bitter erforder- heit zu gewährleisten. In- tegration verlangt dabei lich. Die Vortragsreihe wurde auch in diesem Jahr beiden Seiten, also der In den Zeiten der Krise verschieben sich natür- fortgesetzt, wenn auch nur in Form von Online- aufnehmenden Gesellschaft lich Wahrnehmungsperspektiven und man fo- Vorträgen. Zunächst referierte Daniela Spitzer- und der Person mit Migrati- kussiert sich auf die brisantesten Herausforde- Hochmuth über das Thema »Ankommen in der onserfahrung, Anstrengung rungen. Dies bedeutet dabei nicht, dass andere Mitte Bayerns – Förderangebote zum Deutsch- ab. Es ist ein wechselseiti- Themen inzwischen »auf Eis« gelegt wurden, spracherwerb für Kinder und Jugendliche«. Die ger Prozess, der die migrie- auch wenn diese zwischenzeitlich nicht mehr Vohburger Förderlehrerin berichtete über ihre rende Person zwar nicht im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses la- tägliche Praxis und darüber, wie Schüler*innen ihrer kulturellen Identität gen. Viele Aufgaben können dank der zuneh- gezielt gefördert werden können. Doch erst beraubt, jedoch die Wert- menden Rücknahme der Maßnahmen wieder einmal verstanden alle Teilnehmenden nur schätzung der aufnehmen- den Kultur und der dort schrittweise angegangen werden. Nur eine ist Bahnhof. Zu sehen war ein Video aus der be- geltenden Werte und Re- dabei der Umgang mit den Menschen mit Mig- kannten »Sendung mit der Maus«, aber welche geln voraussetzt. rationsgeschichte bzw. die zahlreichen Facetten Sprache war das denn? Die Antwort: Es handel- Im Idealfall bedeutet gelun- der Integrationsarbeit. Auch im Sachgebiet te sich dabei um die Fantasiesprache gene Integration einen Zu- Integration fand neben der alltäglichen Integrati- »Klingonisch« aus dem Science-Fiction Univer- gewinn für alle Beteiligten. onsberatung die Unterstützung bei der Anerken- sum »Star Trek«. Der Hintergedanke wurde In der Beratung ist es hilf- nung von Bildungsabschlüssen sowie die Be- schnell klar. Die Zuhörer*innen hatten auf ein- reich, stets die Hintergründe treuung von Klientinnen und Klienten weiterhin mal die Perspektive gewechselt: weg vom staatlicher Regeln zu erläu- statt. Zusätzlich war es uns auch ein Anliegen, Lehrerpult hin zur Schulbank, wo junge Men- tern. Auch das Erlernen der fortwährend alle Kontaktpartner, von den ehren- schen im täglichen Unterricht mit einer Sprache deutschen Sprache und die Teilhabe an der Arbeitswelt amtlich Tätigen bis zu den Klientinnen und Kli- konfrontiert werden, die ihnen zum Teil noch sind sicherlich ein wichtiger enten, zeitnah mit den aktuellsten Informatio- völlig unbekannt ist. Bestenfalls einige Brocken Schlüssel für einen gelin- nen zur Pandemie und zu gesundheitlichen In- verstehen die frisch angekommenen Schü- genden Integrationsprozess. fektionsschutzmaßnahmen zu versorgen. Das ler*innen und damit nicht mehr als das Publi- Sachgebiet Integration unterstützte in diesem kum zu Beginn von Frau Spitzer-Hochmuths Rahmen auch die Impfaktionen des Landrats- Präsentation. So ein Perspektivenwechsel kann amtes in den dezentralen Unterkünften. dabei helfen, sich besser einfühlen zu können Seite 14
und das ist auch wichtig, denn die Herausforde- rellen Bräuche erläutert, welche das tägliche rungen für die Schüler*innen mit Migrationsge- Leben in der weltweit verzweigten Diaspora schichte sind bisweilen enorm. Durchschnittlich immer noch nachhaltig prägen. »Die tiefe Ver- 10 neue Wörter gilt es am Tag zu lernen. Das bundenheit mit den albanischen Heimatregio- betrifft in Bayern etwa 42.000 Schüler*innen, nen ist für die albanische Diaspora und insbe- die vor allem auf Grund- und Mittelschulen ge- sondere auch für den Verein »Sali Çekaj« ein hen. Der Besuch von Realschulen und Gymnasi- Herzensanliegen, was sich in der Unterstützung en ist hierbei selten. Einige Schulen weisen zahlreicher humanitärer Projekte widerspiegelt«, einen hohen Anteil von Schüler*innen mit Ein- so Drilon Gubetini. wanderungsgeschichte auf. Die meisten von Wie sich der Verein »Sali Çekaj« seit über 30 ihnen kommen aus Staaten der Europäischen Jahren um die Integration im Landkreis, aber Leseprojekt Union. Für sie wurden spezielle Förderinstru- auch um die Förderung der albanischen Com- »Lies‘ ein Buch mente geschaffen wie etwa der Vorkurs munity bemüht, erläuterte der Referent an zahl- mit mir!« Deutsch 240, der schon in der Kita ansetzt, reichen Beispielen wie dem »Tisch der Religio- oder auch die Berufsintegrationsklassen, die es nen«, den Gedenkakademien relevanter albani- auch älteren Schüler*innen ab 16 Jahren noch scher Persönlichkeiten, aber auch an den inzwi- Lesen Sie gern und ermöglichen, einen Schulabschluss zu machen. schen allseits bekannten Veranstaltungen von möchten zusammen In der Praxis ist vor allem Geduld gefragt, aber der albanischen Festnacht bis zum jährlichen mit Kindern und Ju- genauso soll der Spaß am Lernen nicht zu kurz Fußballturnier. »Natürlich kann hier nicht auf die gendlichen die Welt kommen. Frau Spitzer-Hochmuth, die selbst in bekannte Kindertanzgruppe des Vereins verzich- Förderkursen unterrichtet und als Beraterin zum tet werden«, so Gubetini, womit ein weiterer der Bücher entde- Thema Migration für den Schulamtsbezirk Pfaf- konkreter Punkt der interkulturellen Vereinsar- cken? fenhofen a.d.Ilm fungiert, verdeutlichte die Me- beit erläutert wurde, der Generationenwechsel. Dann melden Sie sich thodik für gelingende Sprachförderung am Ende Die Gründergeneration übergibt schrittweise die als Lesepatin oder des Vortrags auf scherzhafte Weise anhand von Aufgaben an die jungen Nachfolger und Nach- Lesepate an und un- zwanzig nicht ganz ernst gemeinten Vorschlä- folgerinnen, welche großteils hier in Deutsch- gen. So solle man möglichst viele Arbeitsblätter land geboren und aufgewachsen und somit die terstützen Sie Schü- einsetzen, jeden noch so kleinen Fehler penibel erste Generation sind, welche die Heimat nicht ler*innen bei der Er- korrigieren und die Kinder ja nicht miteinander mehr direkt erlebt hat. »Umso stolzer ist man weiterung ihrer Lese- sprechen lassen. Einige der ehemaligen Schü- im Verein ›Sali Çekaj e.V.‹ darauf, dass so viele kompetenz! ler*innen von Frau Spitzer-Hochmuth machen junge Menschen das kulturelle Erbe annehmen jetzt eine Berufsausbildung, andere steuern auf und sich an der Vereinsarbeit beteiligen«, fasste ihren Schulabschluss oder sogar aufs Abitur zu. Drilon Gubetini zusammen. Das Engagement Telefon: Jede einzelne Geschichte zeigt jedoch eines des interkulturellen Vereins mit seiner Integrati- 08441 27-2964 oder deutlich: Ohne viel Liebe zur Arbeit und gemein- onsarbeit im Landkreis sowie mit der Unterstüt- -2967 same Anstrengung aber auch Spaß am Lernen zung von Familien in den Heimatregionen wird wäre das alles nicht möglich. nun auch durch diese nächste Generation fort- E-Mail: gesetzt und weiter erfolgversprechend ausge- Integrationslotsen Zum Abschluss lieferte Drilon Gubetini ebenfalls baut. @landratsamt- einen sehr praxisnahen Vortrag. Der wissen- schaftliche Mitarbeiter der Technischen Univer- Die nächste Saison unserer Vortragsreihe paf.de sität München (TUM) aus Pfaffenhofen berich- »Lebenswelten im Wandel« beginnt voraus- tete hierbei von den Erfahrungen seiner langjäh- sichtlich im Winter 2021/22. Wir informieren rigen Tätigkeit beim »Internationalen Albanisch- rechtzeitig auf der Homepage des Landkreises. Deutschen Kulturverein Sali Çekaj«. Der Refe- rent führte die zahlreichen Gäste zunächst in die eindrucksvolle albanische Kulturgeschichte ein. Hierbei wurde nicht nur über die albanische(n) Sprache(n) gesprochen, sondern auch die kultu- Seite 15
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