Beruf, Berufung und Verpflichtungen des jüdischen Arztes Dr. med. Hans Abelsohn

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Beruf, Berufung und Verpflichtungen des jüdischen Arztes Dr. med. Hans Abelsohn
MEDIZINGESCHICHTE

Beruf, Berufung und Verpflichtungen des
jüdischen Arztes Dr. med. Hans Abelsohn
Eine Spurensuche

Hans Abelsohn wurde am 30. Mai 1895                                                                      genug Optimismus, sogar an eine Fa­­
in Bernburg/Anhalt in einer Kantoren-                                                                    miliengründung zu denken. Er heiratete
familie geboren. Wie alle jüdischen                                                                      die Görlitzerin Käthe Pinner und ging
Familien legten auch die Abelsohns                                                                       mit seiner jungen Frau nach Magde-
großen Wert auf eine gediegene Bil-                                                                      burg, wo der Mediziner seine erste An­­
dung ihres Kindes. So konnte Hans                                                                        stellung – Volontärassistenzarzt der
später in seiner Heimatstadt die Reife-                                                                  Hautklinik des Krankenhauses Altstadt –
prüfung ablegen und danach in Halle,                                                                     erhalten hatte. Er spezialisierte sich
Freiburg/Breisgau und Berlin Medizin                                                                     dort auf dem Gebiet Haut-, Harn- und
studieren. Die Eltern konnten ihrem                                                                      Geschlechtskrankheiten.
Sohn das Medizinstudium aber nur
ermöglichen, weil dieser in den jeweili-                                                                 1921 ging Dr. Abelsohn nach Leipzig.
gen Städten einen sogenannten „Frei-                                                                     Dabei stand Leipzig nicht von Anfang

                                                                                                    rg
                                                                                                   sbe
tisch“ erhielt, also freies Mittagessen in                                                               an auf der Lebensagenda des Medizi-
                                                                                                  ech
einem anderen jüdischen Haus. Das                                                            aW          ners. Er kam vielmehr auf Bitten zio-
                                                                                           Ev
                                                                                             iv

war damals für bedürftige Familien                                                                       nistischer Freunde in die Messestadt,
                                                                                         rch
                                                                                      ta
                                                                                    iva

eine spürbare finanzielle Unterstüt-                                                                     um hier der zionistischen Bewegung in
                                                                                   Pr
                                                                                  ©

zung [1].                                                                                                der Israelitischen Gemeinde stärken zu
                                             Abb. 1: Hans Abelsohn als Offizier im Medizinischen
                                             Dienst im Ersten Weltkrieg                                  helfen. Der Arzt hatte sich stets zu sei-
Spurensuche                                                                                              nem Judentum bekannt und war akti-
Die Zeit der medizinischen Studien                                                                       ver Zionist. So sah er es nun als seine
wur­de vom Ersten Weltkrieg über-            mittelbaren Nachkriegsjahren und Jah-                       Pflicht, zu helfen, obwohl er sich mit der
schattet und beeinflusst. Hans Abel-         ren der Inflation gängige und von den                       Assistenzarztstelle in Magdeburg eben
sohn musste das Studium unterbre-            Fakultäten auch anerkannte Verfah-                          erst eine gute Ausgangsbasis für seine
chen und diente als Sanitätsoffizier an      rensweise. Leider konnte bisher die                         weitere Karriere geschaffen hatte.
der Front (Abb. 1). Über die Zeiten und      Promotionsschrift nicht aufgefunden                         Abelsohn wählte Leipzig also nicht in
Umstände seiner weiteren Studien ist         werden. Die Information im Gesamt-                          erster Linie aufgrund der noch breite-
jedoch nichts bekannt. 1919 erhielt der      verzeichnis 1932 der deutschen Univer-                      ren be­­ruflichen Möglichkeiten, die eine
junge Mediziner seine Approbation [2].       sitäten lautet nach Nennung des The-                        Groß- und Universitätsstadt dem Me­­
Begonnen in der schweren Zeit der            mas und des Promotionsdatums: „Ma­­                         di­ziner zweifellos bot. Für Dr. Abelsohn
Kriegsjahre und abgeschlossen im ers-        schinenschrift. Lag nicht vor. Auszug                       war soziales Engagement genauso
ten Nachkriegsjahr, verteidigte der an­­     nicht gedruckt.“ [4] So sind weder der                      bedeutsam. Dennoch: Die Medizin war
gehende Mediziner am 22. September           Inhalt noch der/die Referenten der Pro-                     und blieb sein Beruf und seine Beru-
1919 an der Universität Berlin seine         motionsschrift, noch überhaupt die                          fung. So ließ er sich in Leipzig nunmehr
Inauguraldissertation zum Thema „Ge­­        Mediziner und die konkrete Klinik der                       als Facharzt in eigener Praxis zent-
schwülste des Schulterblattes“ [3]. Die      Medizinischen Fakultät an der Berliner                      rumsnah in der Frankfurter Straße
Arbeit, die in der Zeit des Krieges ent-     Universität bekannt, bei denen Abel-                        (heute Jahnallee) nieder, wo sich auch
stand und im ersten Nachkriegsjahr           sohn die Arbeit anfertigen konnte.                          die Wohnung der Abelsohns befand. Er
abgeschlossen wurde, also unter                                                                          bemühte sich zudem bald erfolgreich
schwierigsten, auch wirtschaftlichen         Entscheidung für Leipzig                                    um Zulassung als Kassenarzt, was
Bedingungen, wurde „nur“ maschinen-          Das erste Friedensjahr, so schwer es                        seine ersten Jahre als Niedergelassener
schriftlich vorgelegt – eine in den un­­     war, gab Hans Abelsohn aber offenbar                        zweifellos erleichterte.

Ärzteblatt Sachsen 2|2022                                                                                                                             27
Beruf, Berufung und Verpflichtungen des jüdischen Arztes Dr. med. Hans Abelsohn
MEDIZINGESCHICHTE

 1922 wurde die Familie größer. Eva-                                                                                          Lösungsmittel des Salvarsans bei
 Miriam kam zur Welt. Ihr folgte 1930                                                                                         Syphilitikern, die Gelbsucht hatten, zu
 ein Sohn, Ernst Peter. Damit war die                                                                                         [7]. Bisher ist nur aus den Unterlagen
 Familie komplett (Abb. 2). Nunmehr                                                                                           des Oberfinanzpräsidiums Leipzig, De­­
 sieht Eva-Miriam mit der ihr eigenen                                                                                         visenstelle, ersichtlich, welchen wis-
 Energie ihrem 100. Geburtstag am                                                                                             senschaftlichen Gebieten Dr. Abelsohn
 2. März entgegen!                                                                                                            für seine medizinisch-praktische Tätig-
                                                                                                                              keit weiterhin Aufmerksamkeit wid-
     Die Abelsohns führten in Leipzig ein                                                                                     mete. So hatte er ein neues Medika-
     offenes und gastliches Haus; es gab                                                                                      ment zur Behandlung von Furunkeln
     einen breiten Freundeskreis. In der                                                                                      entwickelt und darüber einen Lizenz-
     Frankfurter Straße 1 wie später auch in                                                                                  vertrag mit der damaligen Handelsge-
     der Gohliser Straße 15 waren zum Bei-                                                                                    sellschaft „Noris“ Zahn & Co., Prag,

                                                                                               © Privatarchiv Eva Wechsberg
     spiel der jüdische Theologe Martin                                                                                       geschlossen, welche 1937 offensicht-
     Buber wie auch der bekannte Berliner                                                                                     lich auch den Vertrieb seines Medika-
     Rabbiner Prinz oft zu Gast, aber natür-                                                                                  ments übernahm. Dies hatte er der
     lich auch Berufskollegen und andere                                                                                      Devisenstelle zu melden, da es ja um
     Freunde – jüdische wie nichtjüdische,                                                                                    eventuelle Geldbeträge aus dem Aus-
     das spielte bis 1933 ohnehin keine          Abb. 2: Familie Abelsohn mit Eva und Peter,                                  land gehen könnte, die er, als Jude
                                                 ca. 1934
     Rolle. So gehörten zum Beispiel die Kol-                                                                                 zumal, unbedingt anzumelden gehabt
     legen Dr. med. Paul Bretschneider und                                                                                    hätte [8].
     Dr. med. Nathan Körber, beide Prakti-        Vereinen mit sich brachte, in Einklang                                      Abelsohn publizierte zudem ebenfalls
     sche Ärzte, Dr. med. Willy Michaelis, ein    zu bringen. Dabei wird stets deutlich:                                      erfolgreich zu allgemein interessieren-
     Orthopäde oder der Internist und Bild-       Das Arzt-Sein bestimmte Abelsohns                                           den medizinischen Fragen, unter ande-
     hauer Dr. med. Raphael Chamizer ge­­         Leben in erster Linie. Und er nahm sich                                     rem 1922 zur damaligen Diskussion um
     nauso zum Freundeskreis wie die Fami-        dabei auch noch die Zeit, wissenschaft-                                     Polikliniken, hier zu einer „Jüdischen
     lien des Rauchwarenhändler Siegfried         liche Beiträge – Ergebnisse seiner Ar­­                                     Poliklinik“, und 1928 zu einer im Leip­
     Poser oder die der Bankdirektoren Dr. Max    beit – in verschiedenen Fachzeitschrif-                                     ziger Ringmessehaus präsentierten
     Ellenbogen und Dr. Georg Kosterlitz.         ten zu publizieren. So kam er zu neuen                                      sexualhygienischen Ausstellung. Aber
                                                  Erkenntnissen zum Beispiel in Häufig-                                       auch zu politisch determinierten Fra-
     Der Arzt war erfolgreich und gefragt. Er     keit und Formen des Auftretens von                                          gen, wie zum Problem jüdischer Antise-
     konnte es sich bald erlauben, seine          Ekzemen zu verschiedenen Jahreszei-                                         miten (1922) oder zu Fragen des Wahl-
     Praxis zu vergrößern. Die Räumlichkei-       ten, aber auch nach diätischen Maß-                                         rechts (1922) meldete er sich zu Wort
     ten dazu fand er 1928 ebenfalls in der       nahmen, wie zum Beispiel sein Artikel                                       [9]. In der Medizinischen Gesellschaft
     Frankfurter Straße, in einem Haus, in       „Intertriginöses Ekzem nach Entfet-                                          zu Leipzig, deren Mitglied er ebenfalls
     dem auf dem gleichen Flur sein Berufs-       tungskuren?“ in der Münchener Medizi-                                       war, hielt er Vorträge.
     kollege Dr. med. Felix Cohn, ein Hals-,      nischen Wochenschrift 1931 [5] be­­
     Nasen- und Ohrenarzt, seine Praxis           weist. Seine Ergebnisse fanden in der                                       Dr. Abelsohns Aktivitäten für die Ge­­
     hatte. Abelsohns Praxis war für die          Fachwelt große Beachtung und Aner-                                          meindeinteressen waren insgesamt
     damalige Zeit mit modernsten Geräten         kennung. Auf sie wurde sich oft beru-                                       sehr breit gefächert. So war er zum
     für Röntgen, Lichttherapie und für die       fen. Noch Jahre später bezogen sich                                         Beispiel neben der Funktion als Mit-
     entsprechende kosmetisch-medizini-           Mediziner auf Abelsohns Erkenntnisse                                        glied des Vorstands der Zionistischen
     sche Be­­handlung ausgestattet.              zu Entstehungsbedingungen von Ekze-                                         Vereinigung für Deutschland, Orts-
                                                  men, so unter anderem 1935 ein Pro-                                         gruppe Leipzig, 1935/36, auch als Ge­­
     Beruf, Berufung und Verpflichtung            movend in seiner Arbeit über die Bezie-                                     meindevertreter der Israelitischen Reli-
 Dr. Abelsohn verstand es auf bewunde-            hungen des Ekzems zu Klima, Beruf                                           gionsgemeinde tätig. Er war Mitglied
 rungswürdige Weise, seine stets wach-            und Lebensalter [6]. Das traf ebenfalls                                     der Leipzig-Loge und in der Gesell-
 senden beruflichen Pflichten mit den             auf seine damals neuesten praktischen                                       schaft der Freunde aktiv, die sich der
 Aufgaben, die sein umfangreiches sozi-           Erfahrungen in der Verwendung von                                           Weiterbildung in Kunst und Wissen-
 ales Engagement in Verbänden und                 Decholin bei Ikterus (Gelbsucht) und als                                    schaft der Gemeindemitglieder wid-

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Beruf, Berufung und Verpflichtungen des jüdischen Arztes Dr. med. Hans Abelsohn
MEDIZINGESCHICHTE

mete. Einen großen Teil seiner inzwi-        ­le, vor allem Berliner jüdischer Künstler,
schen ohnehin eng bemessenen Frei-           hervorragender Konzerte eigener oder
zeit widmete der Arzt aber bald der          auswärtiger Künstler oder begeistert
Arbeit im Jüdischen Kulturbund, dem          aufgenommener Revuevorstellungen.
er von 1935 bis zu seiner Emigration         Das alles auf dem erwarteten hohen
1938, angehörte. Er kannte somit alle        Niveau zu halten, kostete nicht nur viel
Schwierigkeiten des Wirkens, denen der       Zeit, sondern ebenso viel Kraft für diese
Verein von Beginn seiner Gründung an         Vereinsarbeit im Jüdischen Kulturbund.
infolge der immer restriktiver werden-       Dr. Abelsohn brachte die schwierige
den politischen Verhältnisse ausge-          Situation, die Anforderungen, aber auch
setzt war. Ab Februar 1936 hatte der          die (begrenzten) Perspektiven des Kul-

                                                                                                                                     © Privatarchiv Eva Wechsberg
Mediziner zudem den Vorstandsvorsitz         turbundes in schonungslos offener
inne, da der bisherige Vorsitzende, ein      Problemsicht im Wortsinn auf den
Jurist, den politisch Herrschenden „zu       Punkt – unter anderem in seinem Auf-
assimilatorisch“ und deshalb von der         satz „Kulturbund?? – Kulturbund!!”, ge­­
Gestapo abgesetzt worden war. In die-        schrieben im Jahre 1938 [10].
ser Zeit wuchsen aber die organisatori-
                                                                                           Abb. 3: Dr. med. Hans Abelsohn, ca.1936
schen Aufgaben und Verantwortlich-           Erzwungene Brüche
keiten des Vereinsvorstandes in einem        Abelsohn war stets Realist. Er ahnte
Maße, die Abelsohns zeitliche Grenzen        bereit 1935, dass Juden in Deutschland        weise Deutschland verlassen können –
zu überschreiten drohten, schließlich        bald keine Existenzmöglichkeit mehr           ihm gelang noch im September die
durfte er gerade in diesen Zeiten seine      haben würden. Als Zionist erwog er mit        Flucht über Prag nach Holland [12]! Er
Aufgaben als Arzt nicht vernachlässi-        seiner Familie die Emigration nach dem        ist dann unter der Nr. 4 auf der Passa-
gen (Abb. 3). Er hatte in erster Linie für   damaligen Palästina. 1935 weilten Dr.         gierliste der am 1. Oktober 1938 von
seine jüdischen Patienten da zu sein,        Abelsohn und seine Frau daher schon           Rotterdam ausgelaufenen „Westbound
die kaum noch nichtjüdische Ärzte fan-       besuchsweise in Palästina – bereits mit       Voyage – T.S.S. Statendam“ zu finden,
den, die sie behandelten. Doch Abel-         dem Gedanken an eine Auswanderung.            die Kurs von Rotterdam über Frank-
sohn bewältigte auch diese Situation.        Abelsohns Frau kam aber mit den kli-          reich und England nach den USA nahm
In jenem Zeitraum hatte der Vorstand         matischen und Lebensbedingungen               und so in die Sicherheit führte. Ziel der
des Kulturbundes eine besonders kom-         nicht zurecht. So kamen sie wieder            Passage war New York [13].
plizierte geschäftlich-organisatorische      zurück in das unsichere Deutschland.
Aufgabe zu bewältigigen: Ein großer          Dennoch erwogen sie nach wie vor              So blieb er nicht nur von einer Verhaf-
Teil der Vorstandsarbeit musste insbe-       auch dieses Emigrationsziel, beantrag-        tung, sondern auch von dem Wüten der
sondere seit 1936 der baulichen und          ten dafür sogar noch 1938 bei der Devi-       Polizei in der Frankfurter Straße 6 vor
organisatorischen Erhaltung und der          senstelle Leipzig die Genehmigung des          den beiden Praxen verschont – und am
inhaltlichen Sicherung der Arbeit des        dafür notwendigen sogenannten „Vor-           Leben! Sein Kollege Dr. Felix Cohn fand
Battenberg-Theaters in Leipzig gewid-        zeigegeldes” von 1.000 RM, das die bri-        in der Folge dieses Wütens den Tod. Die
met werden. Dieses ehemalige Komö-           tische Mandatsregierung von jedem              Gestapo hatte übrigens am 10. Novem-
dientheater und Varieté hatte nach           Einreisewilligen forderte [11]. Die Aus-      ber auch bei Abelsohns noch eine
Einstellung des Theaterbetriebs und          reise der Familie nach Palästina kam          Haus­­suchung vorgenommen und hoff­
Schließung des Hauses 1932 inzwi-            dann aber doch nicht mehr zustande.           ­te vergeblich, den Arzt vorzufinden. Die
schen die Israelitische Religionsge-                                                       16-jährige Tochter Eva war allein zu
meinde anmieten und so für eigene            Die Verfolgungen in der Pogromnacht           Hause. Die Häscher ließen sie unge-
kulturelle Zwecke nutzen dürfen. Damit       wie auch die darauffolgende Auflösung         schoren, als sie merkten, dass der Ge­­
wurde das Haus eines der wenigen             der Jüdischen Vereine – so auch des           suchte nicht da war – was Eva bis
noch verbliebenen kulturellen Treff-         Kulturbundes – musste der Arzt den-           heute noch unbegreiflich ist. Frau Käthe
punkte der jüdischen Leipziger. Bis zum      noch nicht in Deutschland miterleben.         Abelsohn und Tochter Eva nahmen
endgültigen Verbot der Arbeit des Kul-       Bereits Wochen vor dem für die deut-          wenige Tage später auch namens des
turbundes 1938 wurde es rege genutzt         schen Juden folgenschweren November           Vaters und Kollegen an der Beerdigung
und war Ort glanzvoller Operngastspie­       1938 hatte Dr. Abelsohn glücklicher-          von Dr. Felix Cohn teil.

Ärzteblatt Sachsen 2|2022                                                                                                                                           29
MEDIZINGESCHICHTE

 Dr. Hans Abelsohn, der schon
 lange Jahre freundschaftliche
 Verbindungen zu einem ame-
 rikanischen Konsul hatte,
 konnte nun mit dessen Hilfe
 relativ rasch in die USA wei-
 terreisen und im Frühjahr
 1939 über den Weg der Fami-
 lienzusammenführung, was
 die Ame­  rikaner glücklicher-
 weise gestatteten, sogar noch
 die Familie nachholen.
                                      Abb. 4: Die amerikanische Arztlizenz, die Dr. Abelsohn eine neue
  Dr. Abelsohn gehörte zu den berufliche Existenz ermöglichte, ausgestellt im Mai 1940
  ganz wenigen Ärzten, die das
  Glück hatten, wenigstens Teile ihrer nung des Doktor-Titels für Dr. med.
  Praxiseinrichtung mit ausführen und Hans Abelsohn [14].
  so retten zu können. Für einen berufli- Am 7. Juli 1998 erfolgte in Berlin eine
  chen Neubeginn war das eine unge- Erklärung des Präsidenten der Hum-
  heure Erleichterung. Das alles kostete boldt-Universität zu Berlin, Prof. Dr.
  allerdings hohe Steuern. So waren die Hans Meyer:
 „Reichsfluchtsteuer“, die „Vermögens- „[...] I. Ich erkläre für die Humboldt-Uni-
  abgabe“, die „Sühneleistungen“ und versität zu Berlin, daß die Aberkennung
  noch weitere Abgaben zu zahlen. Der des Doktorgrades der nachfolgend auf-
  Selbstbehalt für die Ausreise und den geführten Personen während der Herr-
  Neustart im Ausland: 10 RM!             schaft des Nationalsozialismus wegen
  In den USA ließ sich der Arzt zunächst Sittenwidrigkeit nichtig ist und daher
  in Chicago nieder. Er musste nahezu von Anfang an ungültig war. Eine wis-
  von vorn beginnen. Es galt zudem, noch senschaftliche Leistung hat weder mit
  einmal ein einjähriges Studium zu der Staatsangehörigkeit einer Person
  absolvieren, um einen anerkannten zu tun, noch mit einer ‚Rassenzugehö-
  medizinischen Abschluss und die ame- rigkeit‘ oder einer politischen Einstel-
  rikanische Approbation zu bekommen. lung. Die Entscheidungen waren grob
  Er wurde all diesen Anforderungen ge­­ willkürlich und menschenverachtend.
  recht (Abb. 4). Bereits 1940 konnte Dr. Die insgesamt kriegsbedingt lücken-
  Abelsohn in Chicago eine eigene Praxis haften Akten des Universitätsarchives
  eröffnen! Diese ging bald sehr gut. Der weisen folgende Personen aus, für die
  Neuanfang war erfolgreich. Bis 1964 dies mit hinreichender Wahrscheinlich-
  war der Mediziner für seine Patienten keit zutrifft:
  da. Doch nur drei Jahre waren ihm Hans […] Abelsohn, […].” [15]
  für den Ruhestand noch vergönnt. Am
  28. Juli 1967 beendete er in Palos Ver- Es folgen in dieser Erklärung noch wei-
  des seinen Lebensweg.                   tere 52 Namen, denen von der Univer-
 1940 – welch bittere zeitliche Überein- sität der Doktor-Titel aberkannt und
  stimmung mit dem Neuanfang in den nun mit dieser Erklärung wieder zuer-
  USA – verloren er und seine Familie kannt wurde.
  nicht nur die deutsche Staatsbürger-
  schaft, am 11. November 1940 erfolgte                            Quellenverzeichnis unter
                                                  www.slaek.de ➝ Presse/ÖA ➝ Ärzteblatt
  von der Medizinischen Fakultät der
  Berliner Universität auch die Aberken-                    Dr. rer pol. Andrea Lorz, Leipzig

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