BIBLIOTHEKSLEITUNGSTAG 2021: PANDEMIESCHUB, PERSONALGEWINNUNG UND DER START DES WORLDCAT-GRAPH - B.I.T. ONLINE

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BIBLIOTHEKSLEITUNGSTAG 2021: PANDEMIESCHUB, PERSONALGEWINNUNG UND DER START DES WORLDCAT-GRAPH - B.I.T. ONLINE
Bergmann                                                                                                                             REPORTAGEN                               57

BibliotheksLeitungsTag 2021: Pandemieschub,
Personalgewinnung und der Start des WorldCat-Graph
Bericht über die von OCLC veranstaltete Tagung zu Themen des
­Bibliotheksmanagements in Öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken;
im Internet am 9. und 10. Dezember 2021

Helga Bergmann

„Schon wieder schaue ich in die Kamera statt in Ihre Gesichter“ bedauerte Andreas
Schmidt, General Manager von OCLC, die Notwendigkeit, den BibliotheksLeitungsTag 2021
wieder virtuell durchführen zu müssen. Mit dem Motto „Achtung, fertig, Neustart! Neue
Chancen als Aufwind für Ihre Zukunft“ wolle man nach vorne blicken, erklärte Andreas
Mittrowann (Strategieberatung Nachvorndenken.de), der die Veranstaltung moderierte.
Drei Programmpunkte behandelten Themen zum Management wissenschaftlicher
Bibliotheken, vier Führungsfragen Öffentlicher Bibliotheken. Die Keynote und ein Vortrag
zu der Frage, wie Bibliotheken als Arbeitsstätte attraktiver werden, wandten sich an alle
Teilnehmenden.
❱ Wie haben Bibliotheken auf die COVID-19-Pandemie
reagiert? Welche Aufgaben stellen sich zukünftig für
Öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken? Um
diese Fragen ging es in der zweitägigen Online-Ver-
anstaltung. Den Auftakt machte Sascha Lobo, Autor,
Blogger, Vortragsredner und Digitalunternehmer mit
der Keynote „Wie das Netz die Welt verändert und …
warum sich Bibliotheken digital nicht (ab)hängen las-
sen sollten.“

„Veränderung mit digitaler Grundierung“                                 Mediennutzungsverhalten verändert habe. Niemand
Die Pandemie habe deutlich gemacht, dass sich ge-                       könne es sich heute mehr leisten, ein Medienangebot
sellschaftlich etwas verändert habe, und dass die Ver-                  außerhalb der digitalen Smartphone-Welt zu machen.
änderung in vielen Fällen eine „digitale Grundierung“
habe, stellte Sascha Lobo zu Beginn seiner Keynote                      Die drei Wesenskerne der Bibliothek
fest. Plötzlich wollten auch Menschen, die vorher kei-                  Lobo sieht drei wesentliche Merkmale, die Bibliothe-
nen Gedanken an digitale Services verschwendet hät-                     ken und ihre Arbeit charakterisieren:
ten, diese ohne Verzug in Anspruch nehmen. Dies sei,                    1. Bibliotheken als große Demokratisierer des Wis-
so Lobo, ein Phänomen, das die Digitalisierung beglei-                     sens und der Wissensarbeit
te. Und das vor dem Hintergrund, dass Deutschland                       2. Bibliotheken als Ort der Konfrontation mit Kultur
mit einer „gruseligen digitalen Infrastruktur“ aufwar-                     und Archiv
te und es versäumt habe, die Glasfaserversorgung in                     3. Bibliothek als „third place“ im erweiterten Sinn
die Haushalte und Gebäude voranzutreiben. In einer                         Ray Oldenburgs1.
2020 veröffentlichten Untersuchung liege Deutsch-
land mit Angola gleichauf und erreiche nicht einmal                     Während der erste Wesenskern „essentiell zeitlos“
eine fünfprozentige Versorgung der Haushalte.                           sei, reflektiere der zweite die Entwicklung, dass Kultur
Das Beispiel Smartphone mache deutlich, wie in-                         und Archiv „sich von den medialen Zuschreibungen“
nerhalb einer Dekade sich die Gesellschaft inklusive                    ablösten, Zuschreibungen, die heute „viel vernetzter
1 https://www.worldcat.org/title/great-good-place-cafes-coffee-shops-community-centers-beauty-parlors-general-stores-bars-hangouts-and-how-
  they-get-you-through-the-day/oclc/227971562

www.b-i-t-online.de                                                                                                                 25 (2022) Nr. 1                        online
                                                                                                                                                      Bibliothek. Information. Technologie.
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                                        verstanden werden“ müssten. Die Weiterentwicklung          auch gezeigt, dass „Online Collaboration“ neu gelernt
                                        von Kultur und Archiv müsse seiner Meinung nach in         werden müsse. Der Begriff, „digitales dezentrales Ar-
                                        Bibliotheken abgebildet werden. Den dritten Wesens-        beiten steht für die Virtualisierung selbst“, betonte
                                        kern – den „Dritten Ort“ – will Lobo auch als digitalen    Lobo und Virtualisierung sei „die Entwicklung in ei-
                                        Ort verstanden wissen, der Transformation bedeu-           ner digitalen Gesellschaft von der Hardware zur Soft-
                                        te. Erfreut zeigte er sich über den Koalitionsvertrag      ware zur vernetzten Software“. Er verdeutlichte diese
                                        der neuen Bundesregierung, in dem die Digitalisie-         Entwicklung am Beispiel Digitalkamera: von der Ca-
                                        rung vorangetrieben werde und Bibliotheken explizit        non ixus, einer Hardware, zur App Camera auf dem
                                        als zu stärkende dritte Orte aufgeführt würden. Doch       iPhone, einer Software, bis hin zu Instagram, einer
                                        warnte er die Bibliotheken, wachsam zu sein und sich       vernetzten Software, einer Plattform. Bei der Virtua-
                                        nicht Aufgaben aufbürden zu lassen, die sie nicht er-      lisierung spiele die Plattform-Ökonomie eine wesent-
                                        füllen könnten. Für den gesellschaftlichen Zusam-          liche Rolle, da Plattformen Datenströme am besten
                                        menhalt zu sorgen, sei nicht Aufgabe der Bibliothe-        verwerten könnten. Lobo definierte Plattformen als
                                        ken. Als hochproblematisch bezeichnete Lobo das,           digitale Ökosysteme rund um Kunden- bzw. Nutzerin-
                                        was sich hinter dem Begriff „faire Rahmenbedingun-         nen-/Nutzer-Beziehungen.
                                        gen bei E-Lending“ verbergen könne, von denen auch         Damit Kultur-, Buch- und Medienwirtschaft in der
                                        im Koalitionsvertrag die Rede sei. Er verwies auf die      Plattform-Ökonomie noch wirken können, bedarf
                                        Initiative „Fair lesen“, die „offensiv und aggressiv mit   es laut Lobo digitaler dritter Orte, die sich durch ei-
                                        Fake News“ arbeite. Die Auseinandersetzung um fai-         ne „breite Offenheit“ auch im technologischen Sinn,
                                        re Rahmenbedingungen müsse politisch geführt wer-          durch „Zugänglichkeit“ und „Drucklosigkeit der Nicht-
                                        den, was ein tieferes Verständnis von Digitalisierung      kommerzialität“ auszeichneten. Bibliotheken seien
                                        voraussetze. „Wir stehen vor einer gesellschaftlichen      gut beraten, in Zukunft solche Orte zu schaffen.
                                        Diskussion, wie wir mit Wissen in Buchform bzw. E-
                                        Book-Form im digitalen Raum umgehen.“                      Zukünftige Wesenskerne der Bibliothek
                                        Lobo betrachtet Vernetzung als unerlässliches Inst-        Mit drei Bereichen müssten Bibliotheken sich laut
                                        rument für innovative Lösungen. Als Beispiel für die       ­Lobo in den nächsten Jahren beschäftigen:
                                        Kraft der Vernetzung führte er die Campusumgestal-          1. „Die Bibliothek als Ort digitaler Teilhabe“ (zitiert
                                        tung der Universität von Oregon, USA, im Jahr 1970             nach Ralf Stockmann, Innovation Management an
                                        an. Dabei hätten die Studenten alle Bereiche zwi-              der Staatsbibliothek zu Berlin). Hier sei es Aufgabe
                                        schen den Gebäuden planieren und Rasen aussäen                 der Bibliotheken, im Detail auszuformulieren, was
                                        lassen. Nach sechs Monaten prüften sie, wo der Ra-             digitale Teilhabe bedeute.
                                        sen niedergetreten war und ließen dort Wege anle-           2. „Die Bibliothek als Shared Knowledge Space, hyb-
                                        gen. Herausgekommen sei das effektivste Wegenetz,               rides Lernen, hybrides Arbeiten”. Bei diesem We-
                                        das kein Einzelner so hätte anlegen können. Dieses              senskern gehe es nicht nur um Wissen, sondern
                                        Ergebnis sei dank der richtigen Technologie, näm-               um gemeinschaftlichen Zugriff auf Wissen. Biblio-
                                        lich einer anonymisierten Nutzungsdatenerhebung                 theken sollten Räume schaffen, in denen über das
                                        mit Gras, zustande gekommen. Nicht einzelne Daten,              bereitgestellte Wissen gesprochen werden könne.
                                        sondern Verlaufsdaten hätten dazu geführt. Und ge-          3. „Die Bibliothek als Hub für Kultur- und Alltags-KI
                                        nau das werde bei der digitalen Transformation be-             – Künstliche Intelligenz-Konfrontation“. Dieser zu-
                                        nötigt, wo es um Datenströme gehe. Es sei wichtig zu           künftige Wesenskern adressiere die Entwicklung,
                                        verstehen, dass beim Übergang vom Analogen ins Di-             dass die Plattform-Ökonomie den Alltag erobern
                                        gitale „eine Transformationsleistung anhand von Da-            werde und künftige Kultur- und Arbeitsformen mit
                                        tenströmen“ erbracht werden müsse.                             KI befasst sein würden. Bibliotheken hätten die
                                                                                                       Möglichkeit, die vielen Facetten künstlicher Intelli-
                                        Digital dezentral arbeiten ist zum Alltag                      genz in einem nicht-kommerziellen Umfeld erfahr-
                                        geworden                                                       bar zu machen.
                                        In eineinhalb Jahren der Pandemie sei es gelungen,
                                        Homeoffice zu etablieren, ein Vorgang, der nach            Die Eroberung des Alltags durch die Plattform-Öko-
                                        ­Lobos Einschätzung ohne Pandemie in Deutschland           nomie konfrontiere die Bibliotheken mit einem neuen
                                         ein Jahrzehnt gebraucht hätte. Homeoffice als Begriff     Phänomen, nämlich der „unerbittlichen Erwartungs-
                                         ist ihm allerdings zu eng gefasst, es gehe eher um        radikalität des Publikums“, die ein Merkmal der post-
                                         dezentrales digitales Arbeiten und das sei von vielen     pandemischen Gesellschaft sei. Deswegen rief Sa-
                                         verschiedenen Orten möglich. Allerdings habe sich         scha Lobo zum Schluss seines Beitrags auf, „Verant-

                     online 25 (2022) Nr. 1
Bibliothek. Information. Technologie.
                                                                                                                                        www.b-i-t-online.de
Bergmann                                                                                                                           REPORTAGEN                                59

wortung für die Wissensgesellschaft in ihren vielen                    und vier zentralen Abteilungen, elf bedienten und wei-
Facettierungen zu übernehmen, was Informationsver-                     teren unbedienten Standorten.
mittlung, Wissensarchive, Shared Knowledge Spaces
und die soziale Besprechung, die soziale Verbindung                    „Aufbau eines Gesamtversorgungssystems“
zwischen Menschen zum Thema Wissen angeht“ und                         Im Aufbauprozess der UB sei die Mitwirkung der ZB
er forderte auf: „Kämpfen! Für Bibliotheken des 21.                    immer umfassender geworden, resümierte Oester-
Jahrhunderts“. Lobo ist überzeugt, dass die Verant-                    held, und es habe sich ein Verständnis herauskristal-
wortung für die Weiterentwicklung der Wissensgesell-                   lisiert, dass es um „den Aufbau eines umfassenden
schaft zu einem großen Teil bei den Bibliotheken liegt                 Gesamtversorgungssystems für die Anspruchsgrup-
und dort auch gut aufgehoben ist.                                      pen der Universität“ gehe. Mittlerweile existiere ein
                                                                       einheitlicher Produktkatalog der ZB und UB, der Di-
„Eine neue Zeit für die universitären                                  rektor der UB sitze jetzt im Stiftungsrat der ZB und
Bibliotheken beginnt …                                                 der Direktor der ZB im Bibliotheksboard der UB.
… – Impulse von der Neugründung der UB Zürich“ war                     Während die Budgets und die Anstellungsverhältnis-
das Thema von Prof. Dr. Rudolf Mumenthaler, Direktor                   se der beiden Bibliotheken getrennt blieben, fänden
der Universitätsbibliothek (UB) Zürich, und Dr. Christi-               Absprachen über Einsatz der Mittel und der Ressour-
an Oesterheld, Direktor der Zentralbibliothek (ZB) Zü-                 cen statt. Die Konsolidierung der Zusammenarbeit
rich. Die Neugründung der UB Zürich am 1.1.2022 er-                    zwischen UB und ZB sei auch als eine Kernaufgabe
folgte auf einen Beschluss der Universitätsleitung Zü-                 in der Projektphase 2022 bis 2024 festgeschrieben.
rich vom Juli 2017. Die heterogene Struktur mit rund                   Ein wichtiger Wegbereiter für die Zusammenarbeit sei
40 Bibliotheken schien nicht in der Lage, den Anfor-                   der Systemumstieg auf die Swiss Library Service Plat-
derungen der Zukunft gewachsen zu sein, berichte-
te Mumenthaler. In einem Vorprojekt „UZH Bibliothek
der Zukunft“, das teilweise auf heftigen Widerstand                    „Die Übersetzung ins Digitale als gigantische
stieß, gelang es dennoch, die Weichen für das Haupt-                   Aufgabe für Bibliotheken.
projekt „Aufbau der Universitätsbibliothek Zürich“2                    Bei der Transformation vom Dinglichen ins Virtuelle ist es
von Mai 2019 bis Ende 2021 zu stellen. Zu berück-
                                                                       essentiell, von der Funktion auszugehen“.                            Sascha Lobo
sichtigen gewesen sei eine Besonderheit in Zürich,
betonte Oesterheld. Dort gibt es nämlich seit 1914
mit der ZB Zürich eine Stadt-, Kantons- und zentra-                    form (SLSP) gewesen, den beide Bibliotheken vollzo-
le Universitätsbibliothek. Seit 2017 sei die ZB in das                 gen hätten, betonte der Direktor der ZB. Dabei hätte
Projekt Aufbau der UB Zürich mit einbezogen. Die Zu-                   man bereits „eine gemeinsame Arbeitskultur für den
sammenarbeit der ZB und der neu zu schaffenden UB                      Alltag“ erprobt.
wurde als „tragender Pfeiler“ des Projekts definiert.                  Die Mitarbeitenden beider Bibliotheken seien in
Ein Kernteam, bestehend aus einem externen Pro-                        acht Workshops über das Projekt informiert und in
jektleiter, Vertretern der Hochschulbibliotheken und                   die Entwicklung einbezogen worden. Zusätzlich die-
der ZB sowie seit 2021 auch mit dem Direktor der                       ne ein interner Blog der Kommunikation, berichtete
UB, habe die Vorschläge aus den Arbeitsgruppen zu                      ­Mumenthaler. Die Bibliotheksmitarbeitenden hätten
13 Arbeitspaketen ausgearbeitet und für den Steue-                      in Gesprächen mit ihren Vorgesetzten die Gelegen-
rungsausschuss vorbereitet, an dem Vertreter aller                      heit gehabt, ihre Vorstellungen über ihre zukünftige
Fakultäten und Stände beteiligt waren. Nach ausführ-                    Stelle zu äußern. Nach Abwägung der Interessen der
lichen Diskussionen seien Service-Level-Agreements                      Mitarbeitenden mit den Interessen der UB seien die
verabschiedet worden, die von der Universitätslei-                      Stellen besetzt worden und eine neue Lohneinrei-
tung zu genehmigen waren. Auf diese Weise sei die                       hung vorgenommen worden, die sich einheitlich an
UB einvernehmlich als gemeinsames strategisches                         der Funktion orientiere.
und organisatorisches Dach geschaffen worden, wo-
bei den Besonderheiten der verschiedenen Diszipli-                     Liaison Librarians als Membran
nen und Forschungskulturen Rechnung getragen wur-                      Für eine Vielzahl von Aufgaben wie Medien- und Nut-
de. Zusätzlich wurde ein Bibliotheksboard eingesetzt,                  zendendienste, die intensive Kontakte zu den Institu-
das die weitere strategische Entwicklung der UB be-                    ten und ihren Angehörigen erforderten, würden mit
gleiten soll. Die neue UB besteht aus sechs Bereichen                  Liaison Librarians gemischte Teams gebildet, die ein
2 Siehe dazu auch das Interview „Eine neue Kultur für die künftige UB Zürich: Mehr Handlungsspielraum und Kompetenzen für die Mitarbeiten-
  den.“, b.i.t.online 2021; 3: 325-330.

www.b-i-t-online.de                                                                                                                25 (2022) Nr. 1                        online
                                                                                                                                                     Bibliothek. Information. Technologie.
60                          REPORTAGEN                                                                                                                         Bergmann

                                        hohes Maß an Autonomie erhielten, so Mumenthaler.                  Bibliotheken sollten wissen, was sich Berufs­   ein­
                                        Auch auf dem Gebiet der Forschungs- und Publika-                   steigerinnen/-einsteiger für ihre Arbeit wünschten:
                                        tionsunterstützung sollen gemischte Teams aus ZB                   Laut einer Studie von StepStone aus dem Jahr 2018
                                        und UB eng mit den Wissenschaftlerinnen und Wis-                   wollten 82 Prozent in einem selbstverantwortlichen
                                        senschftlern der Universität zusammenarbeiten und                  Team arbeiten, 78 Prozent möchten selbstbestimmt
                                        als Membran zwischen Akademie und Bibliothek fun-                  arbeiten, 77 Prozent bevorzugten ein Unternehmen
                                        gieren.                                                            mit flachen Hierarchien und 67 Prozent erwarteten
                                        Nun gelte es, so die Vortragenden, die Abstimmungs-                von einem Vorgesetzten klare Anweisungen. Dies de-
                                        strukturen zu erproben, gemischte Teams zu etablie-                cke sich mit dem 10-Punkte-Plan3, den Nachwuchs-
                                        ren und die operativen Strukturen zu harmonisieren.                kräfte aus dem Bibliotheksbereich auf der D-A-CH-S-
                                        Es müsse sich zeigen, wie sich Projekt und Betrieb                 Tagung 2019 „Bibliothek – Qualifikation – Perspekti-
                                        verhielten, denn es müsse vermieden werden, dass                   ven“ erarbeitet hätten.
                                        die operativen Prozesse die Entwicklung blockierten.
                                        Als Impuls nicht nur für die Zukunft von ZB und UB,                Stellenanzeigen brauchen frischen Wind
                                        sondern für die wissenschaftliche Bibliothekscommu-                Eine Trendanalyse zu den berufspraktischen Anfor-
                                        nity insgesamt, nannte Oesterheld, kluge Koopera-                  derungen und Bedarfen von Bibliotheken4 in Öffentli-
                                        tionen einzugehen und Partnerschaften mit den Ak-                  chen und wissenschaftlichen Bibliotheken habe erge-
                                        teuren der wissenschaftlichen Informationsszene wie                ben: Mit „Bearbeitung“, „Betreuung“ oder „Weiterent-
                                        IT-Services, Forschungsinfrastrukturen, Forschenden                wicklung“ würden sehr wenig gestalterische Anforde-
                                        und Verlagen zu suchen. Die Kooperation in der all-                rungen formuliert. Die Stellenausschreibungen seien
                                        täglichen Praxis hat am 1.1.2022 begonnen.                         auch eher passiv formuliert, betonte Schade. Eine
                                                                                                           Textanalyse der Stellenausschreibungen in Öffentli-
                                        Wie Bibliotheken als Arbeitsstätte                                 chen Bibliotheken zeige ein trostloses Bild: Es würden
                                        attraktiver werden                                                 hauptsächlich Kenntnisse in EDV, Microsoft Office
                                        „Veränderung beginnt im Kopf“ – So werden Biblio-                  und Bibliothekssoftware verlangt. Bei den Stellen-
                                        theken jetzt attraktiver für Berufsinteressierte“ laute-           anzeigen im wissenschaftlichen Bibliotheksbereich
                                        te der Beitrag von Dr. Ute Engelkenmeier, Vorsitzen-               könnte man, so Schade, den Eindruck gewinnen, es
                                        de Bundesvorstand Berufsverband Information Biblio-                würden Anglisten gesucht und auch die Anforderung
                                        thek e.V. (BIB), und Prof. Frauke Schade, HAW Ham-                 nach Kenntnissen in PICA, RDA oder gar Regelwer-
                                        burg. Bibliotheken hätten bei Stellenbesetzungen oft               ken sei nicht geeignet, Quereinsteigerinnen/-einstei-
                                        Schwierigkeiten, geeignete Bewerberinnen und Be-                   ger anzusprechen. Aber nicht nur die Formulierung
                                        werber zu finden, stellte Engelkenmeier einführend                 der Stellenanzeigen bedürfe einer Revision, auch die
                                        fest. Das sei kein Wunder, denn bei jeder 4. zu beset-             Überlegung, wo neue Mitarbeitende gesucht werden.
                                        zenden Stelle in Deutschland gebe es keine qualifi-                Die Platzierung in BiblioJobs5 sei nicht mehr ausrei-
                                        zierten Bewerbungen. Was wird von einem attraktiven                chend, heute würden zunehmend auch andere Re­
                                        Arbeitgeber erwartet? Umfragen aus den Jahren 2019                 kru­tierungskanäle wie „Mitarbeiter gewinnen Mitar-
                                        von Xing und 2020 vom Deutschen Beamtenbund,                       beiter“ (49%) sowie „Social Media Plattformen“ (41%)
                                        hätten an erster bzw. zweiter Stelle „ein attraktives              genutzt. Dies habe eine Untersuchung bei 160 der
                                        Gehalt“ ergeben. Schade erläuterte, wie es um Ein-                 1.000 Topunternehmen in Deutschland, durchgeführt
                                        stiegsgehälter im Bibliotheksbereich aussieht. Hier                von der Jobbörse Monster, gezeigt.
                                        liege das Bruttoeinstiegsgehalt für Bachelor-Absol-                Engelkenmeier ergänzte, Bibliotheken sollten auch
                                        venten [E9b (VKA)] deutlich unter den Einstiegsgehäl-              örtliche Veranstaltungen nutzen, um Bibliotheken als
                                        tern anderer Branchen, wie eine Untersuchung von                   Arbeitgeber bekannt zu machen und die Sinnhaftig-
                                        StepStone aus dem Jahr 2020 ermittelt habe. Höhere                 keit der Bibliotheksarbeit darzustellen. Ebenso biete
                                        Bruttoeinstiegsgehälter als der Durchschnitt würden                die Initiative des Öffentlichen Dienstes „durchstaaten.
                                        Master-Absolventen bekommen, die mit E13 (TV-L)                    de“ die Möglichkeit, die Bibliothek als staatliche Ins-
                                        vergütet würden. Schade fügte aber hinzu, dass es                  titution mit ins Spiel zu bringen. Nicht zu vergessen
                                        sich bei 80 Prozent der ausgeschriebenen E13-Stel-                 seien Praktika, mit denen Interessenten langfristig be-
                                        len um befristete Projektstellen handele.                          geistert werden könnten. Vorausgesetzt diese Prakti-

                                        3 https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H2S99-101
                                        4 Neher G, Schade F, Schmunk S. Wanted!?! Berufspraktische Anforderungen und Bedarf von Bibliotheken und Informationseinrichtungen.
                                          b.i.tonline 2021; 24 (1):54-63
                                        5 Heute OpenBiblioJobs https://jobs.openbiblio.eu/

                     online 25 (2022) Nr. 1
Bibliothek. Information. Technologie.
                                                                                                                                                     www.b-i-t-online.de
Bergmann                                                                                                                             REPORTAGEN                                61

ka würden so attraktiv wie möglich gestaltet und die                    Videos zu den Coffee Lectures wurden zusammen mit
ganze Bandbreite der Bibliotheksarbeit abgebildet.                      dem Academic Lab aufgenommen, einer zentralen In-
Eine Kultur der vertrauensvollen Zusammenarbeit,                        stitution der Universität Leipzig zur Vermittlung von
der Wertschätzung und des offenen Ohrs für neue                         wissenschaftlichen Kompetenzen. Wegen der Pan-
Ideen verbunden mit flexiblen, eigenverantwortlichen                    demie habe auch die „Lange Nacht des Schreibens“
Arbeitsstrukturen und einer inspirierenden Führungs-                    ersetzt werden müssen durch den digitalen Schreib-
kultur seien Voraussetzungen, nicht nur, um gute Mit-                   tag. Wöckel erklärte, dieser sei in der Open-Source-
arbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, sondern sie                    Umgebung WorkAdventure durchgeführt worden. Die
auch begeistert von ihrer Arbeit sprechen zu lassen.                    digitale Arbeitsumgebung für den digitalen Schreib-
Und das sei, so Engelkenmeier, eine gute Werbung für                    tag bot einen Besprechungsraum für die Experten-
die Bibliothek und fördere die Gewinnung neuer Mit-                     Beratung, Vortragsräume mit Input-Veranstaltungen
arbeitenden.                                                            auf Deutsch und Englisch, Schreibräume sowie einen
                                                                        Videoraum. Die mit spielerischen Elementen durch-
Pandemie-Push in wissenschaftlichen                                     geführte Veranstaltung habe den Teilnehmenden und
Bibliotheken                                                            dem Bibliotheksteam viel Spaß gemacht. Diese Form
Dr. Claudia Wöckel, Fachreferentin Medizin, Phar-                       bietet nach dem Dafürhalten der Vortragenden „eine
mazie und Veterinärmedizin an der Universitätsbi-                       großartige Gelegenheit, spielerisch zu lernen“.
bliothek Leipzig (UBL) und Annette Strauch-Davey,
Forschungsdatenmanagement Stiftung Universität
Hildesheim berichteten in ihrem Vortrag „Ganz Prak-                     „Linked data als Schlüssel, Sammlungen über Sparten hinweg
tisch – Neue Ansätze mit ‚Pandemie-Push‘ in Wissen-                     für die Forschung zusammenzuführen.“  Hubertus Neuhausen
schaftlichen Bibliotheken“ von neuen Services, die im
Lauf der Pandemie entstanden seien. Auch habe sich
die Bereitschaft von Kolleginnen, Kollegen und Nut-                     Präsenzschulungen hat die UBL durch Webinare er-
zenden zugenommen, sich im digitalen Raum zu be-                        setzt, so Wöckel. Dafür habe man das Open-Source-
wegen. Beide Referentinnen betonten, dass während                       Webkonferenzsystem BigBlueButton (BBB) eingesetzt
der Pandemie eine engere Zusammenarbeit mit der                         und dann vier- bis fünfmal mehr Registrierungen fest-
Universität entstanden sei.                                             gestellt als bei den Präsenzveranstaltungen. BBB sei
                                                                        auch für die interne Kommunikation genutzt worden.
Neue Ansätze der UB Leipzig                                             Dank der IT-Unterstützung der Universität habe man
Das Arbeitsplatzbuchungssystem der UB Leipzig,                          schnell über die Infrastruktur für Videokonferenzen
erklärte Wöckel, sei eine im Haus entwickelte Soft-                     und mobiles Arbeiten verfügt.
ware, die mit dem Bibliotheks-Log-in funktioniere.
Damit hätten sich ab Juni 2020 Studierende für ei-                      UB Hildesheim:
ne bestimmte Zeit einen Arbeitsplatz reservieren und                    Auf Abstand gemeinsam lernen
sogar Kriterien wie Computerarbeitsplatz oder Steh-                     Der Vortrag von Annette Strauch-Davey trug den Ti-
pult festlegen können. Aufgrund der guten Akzeptanz                     tel „Forschungsdatenmanagement als Game Chan-
werde eine Weiterführung überlegt. Um den Wegfall                       ger – E-Learning und Research Commons in neu-
von Präsenzschulungen in der Bibliothek zu kompen-                      gestalteten Räumen“. Pandemiebedingt habe auch
sieren, habe man Videos für die Bibliotheksnutzung                      das Forschungsdatenmanagement (FDM) teilweise
erstellt, die jetzt auf dem Standortkanal und dem zen­                  digital durchgeführt werden müssen6. Das habe, so
tralen YouTube-Kanal der UBL genutzt werden kön-                        Strauch-Davey, auch über BBB und ein Learnweb zum
nen. Teile davon würden sogar für die Einführungsver-                   Forschungsdatenmanagement gut funktioniert. Das
anstaltung der Universität nachgenutzt, teilte Wöckel                   auf der Moodle-Software aufgebaute Learnweb wur-
mit. Seien es zu Beginn noch Videos gewesen, die mit                    de in einer Kooperation zwischen den Universitäten
Smartphone oder Tablet selbst gedreht wurden, so                        Hildesheim und Wuppertal entwickelt. Bis Dezember
produziere man seit Herbst 2021 professionelle Vi-                      2021 hätten sich 160 Teilnehmer angemeldet, die
deos. So ersetzten die mit einem professionellen Ka-                    sich, so Strauch-Davey, „in den Moodle-Kursen zeit-
merateam gedrehten Videos zur Bibliotheksführung                        und ortsunabhängig über alle Aspekte des Datenle-
teilweise die Nutzerführungen durch die Häuser. Die                     benszyklus informieren können“. Das Learnweb solle

6 Siehe dazu auch die Beiträge von Annette Strauch-Davey: Forschungsdatenmanagement-Unterstützung in Zeiten von Corona. b.i.t.online 2020;
  23 (1): 264-265 und Die Bedeutung des Digitalen („Digital Shift“) in Workshops zum FDM der Universitätsbibliothek Hildesheim. b.i.t.online
  2021; 24 (1): 83-87 und FDM als ein forschungsnaher Dienst in wissenschaftlichen Bibliotheken. b.i.t.online 2021; 24 (6): 635-637

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                                                                                                                                                       Bibliothek. Information. Technologie.
62                          REPORTAGEN                                                                                       Bergmann

auch in Zukunft von Forscherinnen und Forschern für        men Zugang, Registrierung und Authentifizierung sei
das generische FDM genutzt werden können, wäh-             man in der Schweiz in Richtung nationale Lösung ge-
rend für das fachspezifische FDM persönliche Bera-         gangen. In der Schweiz gebe es einen zentralen IT-
tungen während der Pandemie online, später wieder          Provider für das Hochschulsystem, der für den tertiä-
persönlich durchgeführt würden. Die UB Hildesheim          ren Bildungsbereich eine zentrale Authentifizierungs-
plant nach ihrer Aussage, in der Bibliothek Räume          lösung entwickelt habe. Dadurch verfüge man über
einzurichten, in denen unter entsprechenden Hygie-         ein Single-Sign-on für Bibliotheksservices und digitale
nevorschriften und mit Abstand auch wieder persön-         Angebote der Hochschulen in der ganzen Schweiz. In
liche Besprechungen durchgeführt werden können.            der Pandemie habe es sich als Goldstandard bewährt,
Solche Räume – Research Commons – könnten von              lokale Lösungen überwunden zu haben.
Studierenden und Universitätsteams zu Besprechun-
gen sowie von der Bibliothek zu Schulungs- und Be-         Das Projekt: Shared Entity Management
ratungszwecken genutzt werden und seien in einigen         Infrastucture (SEMI)
anderen Ländern schon vor der Pandemie erfolgreich         Zum Einstieg in die Diskussion um die Chancen für
eingerichtet worden. „Auf Abstand gemeinsam lernen         und mit Metadaten berichtete Müller, OCLC habe
– das ist der Neustart, den wir versuchen.“, bekräftig-    mit finanzieller Unterstützung der Andrew W. ­Mellon
te Strauch-Davey.                                          Foundation eine „Entity Management Infrastruc-
                                                           ture“ für Linked Data aufgebaut. Gestartet werde am
Neustart durch die Pandemie und der Start                  1.1.2022 mit 100 Millionen Entitäten „Werke“ und
des WorldCat-Graph                                         „Personen“. Es sei geplant, die skalierbare Entitä-
In der abschließenden Paneldiskussion „Neustart            teninfrastruktur nach und nach weiter auszubauen.
durch die Pandemie“ ging es darum, was wissen-             Müller bezeichnete es als „evolutionären Übergang
schaftliche Bibliotheken aus den letzten 1½ Jahren         in eine Linked Data-Umgebung. Bei OCLC werde sie
gelernt haben und um zukünftige Chancen für die            WorldCat-Graph genannt. Welche Rolle Linked Data
Nutzung von Metadaten. Antworten auf die Fragen            in der UB Köln spielen könnte, erklärte Neuhausen.
gaben Henriette Mehn, Referentin für Grundsatzfra-         Es gebe Überlegungen, wie man mit den Metadaten
gen in der Generaldirektion SLUB Dresden, Dr. Hu-          einen Zugang schaffen könne für Sammlungen, die
bertus Neuhausen, Leitender Bibliotheksdirektor der        über verschiedene Kultureinrichtungen verstreut sei-
Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, Dr. Christian      en. Linked Data scheinen ihm ein Schlüssel zu sein,
Oesterheld, Direktor der Zentralbibliothek Zürich, und     Sammlungen über verschiedene Sparten hinweg für
Dr. Sebastian Müller, Director Sales DACH OCLC.            die Forschung sinnvoll zusammenzuführen. Mehn be-
                                                           richtete, an der SLUB werde an einem Projekt Linked
Erkenntnisse und Lehren aus der                            Open Data gearbeitet, das Datenquellen im Biblio-
Pandemiezeit                                               thekskatalog sichtbarer machen und Verknüpfungen
Für OCLC habe der vermehrte Einsatz von Videokon-          verstärken wolle. Nutzenden solle auf diese Weise ein
ferenz Zusammenarbeit und Kommunikation verbes-            exploratives Suchen ermöglicht werden. Für Biblio-
sert – sowohl intern als auch extern. Die Pandemie         theken in der Schweiz spiele Linked Data eine zentra-
habe auch bewirkt, dass E-Government-Lösungen              le Rolle, so Oesterheld, nicht zuletzt wegen der Mehr-
für Bibliotheken zu einem Muss geworden seien. Bei         sprachigkeit. Er wünsche sich, dass mit SEMI eine of-
der Digitalisierung habe man tatsächlich einen Ent-        fene Infrastruktur entstehe. Auch er sehe in graphen-
wicklungssprung gemacht, der ohne Pandemie wohl            basierten Zugängen die Zukunft. ❙
zehn Jahre gedauert hätte. Die Bibliotheksarbeit sei
flexibler, kollaboratives Arbeiten gestärkt, Workflows
beschleunigt und die Kommunikation verbessert wor-
den, stellte Mehn fest, was allgemein bestätigt wur-
de. Entscheidend für die Ausweitung digitaler Ser-
vices sei gewesen, so Neuhausen, ob die Bibliothek
schon vor der Pandemie an der Modernisierung gear-
beitet habe. Er fügte hinzu: „Wenn man als Universi-                      Helga Bergmann-Ostermann
tätsbibliothek bereits über digitale Kanäle gut erreich-                  Journalistin
bar war, dann ist man in der Pandemie dafür belohnt                       Dipl.-Übersetzerin
worden.“ Auf eine Schweizer Besonderheit machte                           h.bergmann-ostermann@t-online.de
der Direktor der ZB Zürich aufmerksam: Bei den The-

                     online 25 (2022) Nr. 1
Bibliothek. Information. Technologie.
                                                                                                                     www.b-i-t-online.de
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