BIBLIOTHEKSLEITUNGSTAG 2021: PANDEMIESCHUB, PERSONALGEWINNUNG UND DER START DES WORLDCAT-GRAPH - B.I.T. ONLINE
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Bergmann REPORTAGEN 57 BibliotheksLeitungsTag 2021: Pandemieschub, Personalgewinnung und der Start des WorldCat-Graph Bericht über die von OCLC veranstaltete Tagung zu Themen des Bibliotheksmanagements in Öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliotheken; im Internet am 9. und 10. Dezember 2021 Helga Bergmann „Schon wieder schaue ich in die Kamera statt in Ihre Gesichter“ bedauerte Andreas Schmidt, General Manager von OCLC, die Notwendigkeit, den BibliotheksLeitungsTag 2021 wieder virtuell durchführen zu müssen. Mit dem Motto „Achtung, fertig, Neustart! Neue Chancen als Aufwind für Ihre Zukunft“ wolle man nach vorne blicken, erklärte Andreas Mittrowann (Strategieberatung Nachvorndenken.de), der die Veranstaltung moderierte. Drei Programmpunkte behandelten Themen zum Management wissenschaftlicher Bibliotheken, vier Führungsfragen Öffentlicher Bibliotheken. Die Keynote und ein Vortrag zu der Frage, wie Bibliotheken als Arbeitsstätte attraktiver werden, wandten sich an alle Teilnehmenden. ❱ Wie haben Bibliotheken auf die COVID-19-Pandemie reagiert? Welche Aufgaben stellen sich zukünftig für Öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken? Um diese Fragen ging es in der zweitägigen Online-Ver- anstaltung. Den Auftakt machte Sascha Lobo, Autor, Blogger, Vortragsredner und Digitalunternehmer mit der Keynote „Wie das Netz die Welt verändert und … warum sich Bibliotheken digital nicht (ab)hängen las- sen sollten.“ „Veränderung mit digitaler Grundierung“ Mediennutzungsverhalten verändert habe. Niemand Die Pandemie habe deutlich gemacht, dass sich ge- könne es sich heute mehr leisten, ein Medienangebot sellschaftlich etwas verändert habe, und dass die Ver- außerhalb der digitalen Smartphone-Welt zu machen. änderung in vielen Fällen eine „digitale Grundierung“ habe, stellte Sascha Lobo zu Beginn seiner Keynote Die drei Wesenskerne der Bibliothek fest. Plötzlich wollten auch Menschen, die vorher kei- Lobo sieht drei wesentliche Merkmale, die Bibliothe- nen Gedanken an digitale Services verschwendet hät- ken und ihre Arbeit charakterisieren: ten, diese ohne Verzug in Anspruch nehmen. Dies sei, 1. Bibliotheken als große Demokratisierer des Wis- so Lobo, ein Phänomen, das die Digitalisierung beglei- sens und der Wissensarbeit te. Und das vor dem Hintergrund, dass Deutschland 2. Bibliotheken als Ort der Konfrontation mit Kultur mit einer „gruseligen digitalen Infrastruktur“ aufwar- und Archiv te und es versäumt habe, die Glasfaserversorgung in 3. Bibliothek als „third place“ im erweiterten Sinn die Haushalte und Gebäude voranzutreiben. In einer Ray Oldenburgs1. 2020 veröffentlichten Untersuchung liege Deutsch- land mit Angola gleichauf und erreiche nicht einmal Während der erste Wesenskern „essentiell zeitlos“ eine fünfprozentige Versorgung der Haushalte. sei, reflektiere der zweite die Entwicklung, dass Kultur Das Beispiel Smartphone mache deutlich, wie in- und Archiv „sich von den medialen Zuschreibungen“ nerhalb einer Dekade sich die Gesellschaft inklusive ablösten, Zuschreibungen, die heute „viel vernetzter 1 https://www.worldcat.org/title/great-good-place-cafes-coffee-shops-community-centers-beauty-parlors-general-stores-bars-hangouts-and-how- they-get-you-through-the-day/oclc/227971562 www.b-i-t-online.de 25 (2022) Nr. 1 online Bibliothek. Information. Technologie.
58 REPORTAGEN Bergmann verstanden werden“ müssten. Die Weiterentwicklung auch gezeigt, dass „Online Collaboration“ neu gelernt von Kultur und Archiv müsse seiner Meinung nach in werden müsse. Der Begriff, „digitales dezentrales Ar- Bibliotheken abgebildet werden. Den dritten Wesens- beiten steht für die Virtualisierung selbst“, betonte kern – den „Dritten Ort“ – will Lobo auch als digitalen Lobo und Virtualisierung sei „die Entwicklung in ei- Ort verstanden wissen, der Transformation bedeu- ner digitalen Gesellschaft von der Hardware zur Soft- te. Erfreut zeigte er sich über den Koalitionsvertrag ware zur vernetzten Software“. Er verdeutlichte diese der neuen Bundesregierung, in dem die Digitalisie- Entwicklung am Beispiel Digitalkamera: von der Ca- rung vorangetrieben werde und Bibliotheken explizit non ixus, einer Hardware, zur App Camera auf dem als zu stärkende dritte Orte aufgeführt würden. Doch iPhone, einer Software, bis hin zu Instagram, einer warnte er die Bibliotheken, wachsam zu sein und sich vernetzten Software, einer Plattform. Bei der Virtua- nicht Aufgaben aufbürden zu lassen, die sie nicht er- lisierung spiele die Plattform-Ökonomie eine wesent- füllen könnten. Für den gesellschaftlichen Zusam- liche Rolle, da Plattformen Datenströme am besten menhalt zu sorgen, sei nicht Aufgabe der Bibliothe- verwerten könnten. Lobo definierte Plattformen als ken. Als hochproblematisch bezeichnete Lobo das, digitale Ökosysteme rund um Kunden- bzw. Nutzerin- was sich hinter dem Begriff „faire Rahmenbedingun- nen-/Nutzer-Beziehungen. gen bei E-Lending“ verbergen könne, von denen auch Damit Kultur-, Buch- und Medienwirtschaft in der im Koalitionsvertrag die Rede sei. Er verwies auf die Plattform-Ökonomie noch wirken können, bedarf Initiative „Fair lesen“, die „offensiv und aggressiv mit es laut Lobo digitaler dritter Orte, die sich durch ei- Fake News“ arbeite. Die Auseinandersetzung um fai- ne „breite Offenheit“ auch im technologischen Sinn, re Rahmenbedingungen müsse politisch geführt wer- durch „Zugänglichkeit“ und „Drucklosigkeit der Nicht- den, was ein tieferes Verständnis von Digitalisierung kommerzialität“ auszeichneten. Bibliotheken seien voraussetze. „Wir stehen vor einer gesellschaftlichen gut beraten, in Zukunft solche Orte zu schaffen. Diskussion, wie wir mit Wissen in Buchform bzw. E- Book-Form im digitalen Raum umgehen.“ Zukünftige Wesenskerne der Bibliothek Lobo betrachtet Vernetzung als unerlässliches Inst- Mit drei Bereichen müssten Bibliotheken sich laut rument für innovative Lösungen. Als Beispiel für die Lobo in den nächsten Jahren beschäftigen: Kraft der Vernetzung führte er die Campusumgestal- 1. „Die Bibliothek als Ort digitaler Teilhabe“ (zitiert tung der Universität von Oregon, USA, im Jahr 1970 nach Ralf Stockmann, Innovation Management an an. Dabei hätten die Studenten alle Bereiche zwi- der Staatsbibliothek zu Berlin). Hier sei es Aufgabe schen den Gebäuden planieren und Rasen aussäen der Bibliotheken, im Detail auszuformulieren, was lassen. Nach sechs Monaten prüften sie, wo der Ra- digitale Teilhabe bedeute. sen niedergetreten war und ließen dort Wege anle- 2. „Die Bibliothek als Shared Knowledge Space, hyb- gen. Herausgekommen sei das effektivste Wegenetz, rides Lernen, hybrides Arbeiten”. Bei diesem We- das kein Einzelner so hätte anlegen können. Dieses senskern gehe es nicht nur um Wissen, sondern Ergebnis sei dank der richtigen Technologie, näm- um gemeinschaftlichen Zugriff auf Wissen. Biblio- lich einer anonymisierten Nutzungsdatenerhebung theken sollten Räume schaffen, in denen über das mit Gras, zustande gekommen. Nicht einzelne Daten, bereitgestellte Wissen gesprochen werden könne. sondern Verlaufsdaten hätten dazu geführt. Und ge- 3. „Die Bibliothek als Hub für Kultur- und Alltags-KI nau das werde bei der digitalen Transformation be- – Künstliche Intelligenz-Konfrontation“. Dieser zu- nötigt, wo es um Datenströme gehe. Es sei wichtig zu künftige Wesenskern adressiere die Entwicklung, verstehen, dass beim Übergang vom Analogen ins Di- dass die Plattform-Ökonomie den Alltag erobern gitale „eine Transformationsleistung anhand von Da- werde und künftige Kultur- und Arbeitsformen mit tenströmen“ erbracht werden müsse. KI befasst sein würden. Bibliotheken hätten die Möglichkeit, die vielen Facetten künstlicher Intelli- Digital dezentral arbeiten ist zum Alltag genz in einem nicht-kommerziellen Umfeld erfahr- geworden bar zu machen. In eineinhalb Jahren der Pandemie sei es gelungen, Homeoffice zu etablieren, ein Vorgang, der nach Die Eroberung des Alltags durch die Plattform-Öko- Lobos Einschätzung ohne Pandemie in Deutschland nomie konfrontiere die Bibliotheken mit einem neuen ein Jahrzehnt gebraucht hätte. Homeoffice als Begriff Phänomen, nämlich der „unerbittlichen Erwartungs- ist ihm allerdings zu eng gefasst, es gehe eher um radikalität des Publikums“, die ein Merkmal der post- dezentrales digitales Arbeiten und das sei von vielen pandemischen Gesellschaft sei. Deswegen rief Sa- verschiedenen Orten möglich. Allerdings habe sich scha Lobo zum Schluss seines Beitrags auf, „Verant- online 25 (2022) Nr. 1 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
Bergmann REPORTAGEN 59 wortung für die Wissensgesellschaft in ihren vielen und vier zentralen Abteilungen, elf bedienten und wei- Facettierungen zu übernehmen, was Informationsver- teren unbedienten Standorten. mittlung, Wissensarchive, Shared Knowledge Spaces und die soziale Besprechung, die soziale Verbindung „Aufbau eines Gesamtversorgungssystems“ zwischen Menschen zum Thema Wissen angeht“ und Im Aufbauprozess der UB sei die Mitwirkung der ZB er forderte auf: „Kämpfen! Für Bibliotheken des 21. immer umfassender geworden, resümierte Oester- Jahrhunderts“. Lobo ist überzeugt, dass die Verant- held, und es habe sich ein Verständnis herauskristal- wortung für die Weiterentwicklung der Wissensgesell- lisiert, dass es um „den Aufbau eines umfassenden schaft zu einem großen Teil bei den Bibliotheken liegt Gesamtversorgungssystems für die Anspruchsgrup- und dort auch gut aufgehoben ist. pen der Universität“ gehe. Mittlerweile existiere ein einheitlicher Produktkatalog der ZB und UB, der Di- „Eine neue Zeit für die universitären rektor der UB sitze jetzt im Stiftungsrat der ZB und Bibliotheken beginnt … der Direktor der ZB im Bibliotheksboard der UB. … – Impulse von der Neugründung der UB Zürich“ war Während die Budgets und die Anstellungsverhältnis- das Thema von Prof. Dr. Rudolf Mumenthaler, Direktor se der beiden Bibliotheken getrennt blieben, fänden der Universitätsbibliothek (UB) Zürich, und Dr. Christi- Absprachen über Einsatz der Mittel und der Ressour- an Oesterheld, Direktor der Zentralbibliothek (ZB) Zü- cen statt. Die Konsolidierung der Zusammenarbeit rich. Die Neugründung der UB Zürich am 1.1.2022 er- zwischen UB und ZB sei auch als eine Kernaufgabe folgte auf einen Beschluss der Universitätsleitung Zü- in der Projektphase 2022 bis 2024 festgeschrieben. rich vom Juli 2017. Die heterogene Struktur mit rund Ein wichtiger Wegbereiter für die Zusammenarbeit sei 40 Bibliotheken schien nicht in der Lage, den Anfor- der Systemumstieg auf die Swiss Library Service Plat- derungen der Zukunft gewachsen zu sein, berichte- te Mumenthaler. In einem Vorprojekt „UZH Bibliothek der Zukunft“, das teilweise auf heftigen Widerstand „Die Übersetzung ins Digitale als gigantische stieß, gelang es dennoch, die Weichen für das Haupt- Aufgabe für Bibliotheken. projekt „Aufbau der Universitätsbibliothek Zürich“2 Bei der Transformation vom Dinglichen ins Virtuelle ist es von Mai 2019 bis Ende 2021 zu stellen. Zu berück- essentiell, von der Funktion auszugehen“. Sascha Lobo sichtigen gewesen sei eine Besonderheit in Zürich, betonte Oesterheld. Dort gibt es nämlich seit 1914 mit der ZB Zürich eine Stadt-, Kantons- und zentra- form (SLSP) gewesen, den beide Bibliotheken vollzo- le Universitätsbibliothek. Seit 2017 sei die ZB in das gen hätten, betonte der Direktor der ZB. Dabei hätte Projekt Aufbau der UB Zürich mit einbezogen. Die Zu- man bereits „eine gemeinsame Arbeitskultur für den sammenarbeit der ZB und der neu zu schaffenden UB Alltag“ erprobt. wurde als „tragender Pfeiler“ des Projekts definiert. Die Mitarbeitenden beider Bibliotheken seien in Ein Kernteam, bestehend aus einem externen Pro- acht Workshops über das Projekt informiert und in jektleiter, Vertretern der Hochschulbibliotheken und die Entwicklung einbezogen worden. Zusätzlich die- der ZB sowie seit 2021 auch mit dem Direktor der ne ein interner Blog der Kommunikation, berichtete UB, habe die Vorschläge aus den Arbeitsgruppen zu Mumenthaler. Die Bibliotheksmitarbeitenden hätten 13 Arbeitspaketen ausgearbeitet und für den Steue- in Gesprächen mit ihren Vorgesetzten die Gelegen- rungsausschuss vorbereitet, an dem Vertreter aller heit gehabt, ihre Vorstellungen über ihre zukünftige Fakultäten und Stände beteiligt waren. Nach ausführ- Stelle zu äußern. Nach Abwägung der Interessen der lichen Diskussionen seien Service-Level-Agreements Mitarbeitenden mit den Interessen der UB seien die verabschiedet worden, die von der Universitätslei- Stellen besetzt worden und eine neue Lohneinrei- tung zu genehmigen waren. Auf diese Weise sei die hung vorgenommen worden, die sich einheitlich an UB einvernehmlich als gemeinsames strategisches der Funktion orientiere. und organisatorisches Dach geschaffen worden, wo- bei den Besonderheiten der verschiedenen Diszipli- Liaison Librarians als Membran nen und Forschungskulturen Rechnung getragen wur- Für eine Vielzahl von Aufgaben wie Medien- und Nut- de. Zusätzlich wurde ein Bibliotheksboard eingesetzt, zendendienste, die intensive Kontakte zu den Institu- das die weitere strategische Entwicklung der UB be- ten und ihren Angehörigen erforderten, würden mit gleiten soll. Die neue UB besteht aus sechs Bereichen Liaison Librarians gemischte Teams gebildet, die ein 2 Siehe dazu auch das Interview „Eine neue Kultur für die künftige UB Zürich: Mehr Handlungsspielraum und Kompetenzen für die Mitarbeiten- den.“, b.i.t.online 2021; 3: 325-330. www.b-i-t-online.de 25 (2022) Nr. 1 online Bibliothek. Information. Technologie.
60 REPORTAGEN Bergmann hohes Maß an Autonomie erhielten, so Mumenthaler. Bibliotheken sollten wissen, was sich Berufs ein Auch auf dem Gebiet der Forschungs- und Publika- steigerinnen/-einsteiger für ihre Arbeit wünschten: tionsunterstützung sollen gemischte Teams aus ZB Laut einer Studie von StepStone aus dem Jahr 2018 und UB eng mit den Wissenschaftlerinnen und Wis- wollten 82 Prozent in einem selbstverantwortlichen senschftlern der Universität zusammenarbeiten und Team arbeiten, 78 Prozent möchten selbstbestimmt als Membran zwischen Akademie und Bibliothek fun- arbeiten, 77 Prozent bevorzugten ein Unternehmen gieren. mit flachen Hierarchien und 67 Prozent erwarteten Nun gelte es, so die Vortragenden, die Abstimmungs- von einem Vorgesetzten klare Anweisungen. Dies de- strukturen zu erproben, gemischte Teams zu etablie- cke sich mit dem 10-Punkte-Plan3, den Nachwuchs- ren und die operativen Strukturen zu harmonisieren. kräfte aus dem Bibliotheksbereich auf der D-A-CH-S- Es müsse sich zeigen, wie sich Projekt und Betrieb Tagung 2019 „Bibliothek – Qualifikation – Perspekti- verhielten, denn es müsse vermieden werden, dass ven“ erarbeitet hätten. die operativen Prozesse die Entwicklung blockierten. Als Impuls nicht nur für die Zukunft von ZB und UB, Stellenanzeigen brauchen frischen Wind sondern für die wissenschaftliche Bibliothekscommu- Eine Trendanalyse zu den berufspraktischen Anfor- nity insgesamt, nannte Oesterheld, kluge Koopera- derungen und Bedarfen von Bibliotheken4 in Öffentli- tionen einzugehen und Partnerschaften mit den Ak- chen und wissenschaftlichen Bibliotheken habe erge- teuren der wissenschaftlichen Informationsszene wie ben: Mit „Bearbeitung“, „Betreuung“ oder „Weiterent- IT-Services, Forschungsinfrastrukturen, Forschenden wicklung“ würden sehr wenig gestalterische Anforde- und Verlagen zu suchen. Die Kooperation in der all- rungen formuliert. Die Stellenausschreibungen seien täglichen Praxis hat am 1.1.2022 begonnen. auch eher passiv formuliert, betonte Schade. Eine Textanalyse der Stellenausschreibungen in Öffentli- Wie Bibliotheken als Arbeitsstätte chen Bibliotheken zeige ein trostloses Bild: Es würden attraktiver werden hauptsächlich Kenntnisse in EDV, Microsoft Office „Veränderung beginnt im Kopf“ – So werden Biblio- und Bibliothekssoftware verlangt. Bei den Stellen- theken jetzt attraktiver für Berufsinteressierte“ laute- anzeigen im wissenschaftlichen Bibliotheksbereich te der Beitrag von Dr. Ute Engelkenmeier, Vorsitzen- könnte man, so Schade, den Eindruck gewinnen, es de Bundesvorstand Berufsverband Information Biblio- würden Anglisten gesucht und auch die Anforderung thek e.V. (BIB), und Prof. Frauke Schade, HAW Ham- nach Kenntnissen in PICA, RDA oder gar Regelwer- burg. Bibliotheken hätten bei Stellenbesetzungen oft ken sei nicht geeignet, Quereinsteigerinnen/-einstei- Schwierigkeiten, geeignete Bewerberinnen und Be- ger anzusprechen. Aber nicht nur die Formulierung werber zu finden, stellte Engelkenmeier einführend der Stellenanzeigen bedürfe einer Revision, auch die fest. Das sei kein Wunder, denn bei jeder 4. zu beset- Überlegung, wo neue Mitarbeitende gesucht werden. zenden Stelle in Deutschland gebe es keine qualifi- Die Platzierung in BiblioJobs5 sei nicht mehr ausrei- zierten Bewerbungen. Was wird von einem attraktiven chend, heute würden zunehmend auch andere Re Arbeitgeber erwartet? Umfragen aus den Jahren 2019 krutierungskanäle wie „Mitarbeiter gewinnen Mitar- von Xing und 2020 vom Deutschen Beamtenbund, beiter“ (49%) sowie „Social Media Plattformen“ (41%) hätten an erster bzw. zweiter Stelle „ein attraktives genutzt. Dies habe eine Untersuchung bei 160 der Gehalt“ ergeben. Schade erläuterte, wie es um Ein- 1.000 Topunternehmen in Deutschland, durchgeführt stiegsgehälter im Bibliotheksbereich aussieht. Hier von der Jobbörse Monster, gezeigt. liege das Bruttoeinstiegsgehalt für Bachelor-Absol- Engelkenmeier ergänzte, Bibliotheken sollten auch venten [E9b (VKA)] deutlich unter den Einstiegsgehäl- örtliche Veranstaltungen nutzen, um Bibliotheken als tern anderer Branchen, wie eine Untersuchung von Arbeitgeber bekannt zu machen und die Sinnhaftig- StepStone aus dem Jahr 2020 ermittelt habe. Höhere keit der Bibliotheksarbeit darzustellen. Ebenso biete Bruttoeinstiegsgehälter als der Durchschnitt würden die Initiative des Öffentlichen Dienstes „durchstaaten. Master-Absolventen bekommen, die mit E13 (TV-L) de“ die Möglichkeit, die Bibliothek als staatliche Ins- vergütet würden. Schade fügte aber hinzu, dass es titution mit ins Spiel zu bringen. Nicht zu vergessen sich bei 80 Prozent der ausgeschriebenen E13-Stel- seien Praktika, mit denen Interessenten langfristig be- len um befristete Projektstellen handele. geistert werden könnten. Vorausgesetzt diese Prakti- 3 https://doi.org/10.5282/o-bib/2019H2S99-101 4 Neher G, Schade F, Schmunk S. Wanted!?! Berufspraktische Anforderungen und Bedarf von Bibliotheken und Informationseinrichtungen. b.i.tonline 2021; 24 (1):54-63 5 Heute OpenBiblioJobs https://jobs.openbiblio.eu/ online 25 (2022) Nr. 1 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
Bergmann REPORTAGEN 61 ka würden so attraktiv wie möglich gestaltet und die Videos zu den Coffee Lectures wurden zusammen mit ganze Bandbreite der Bibliotheksarbeit abgebildet. dem Academic Lab aufgenommen, einer zentralen In- Eine Kultur der vertrauensvollen Zusammenarbeit, stitution der Universität Leipzig zur Vermittlung von der Wertschätzung und des offenen Ohrs für neue wissenschaftlichen Kompetenzen. Wegen der Pan- Ideen verbunden mit flexiblen, eigenverantwortlichen demie habe auch die „Lange Nacht des Schreibens“ Arbeitsstrukturen und einer inspirierenden Führungs- ersetzt werden müssen durch den digitalen Schreib- kultur seien Voraussetzungen, nicht nur, um gute Mit- tag. Wöckel erklärte, dieser sei in der Open-Source- arbeiterinnen und Mitarbeiter zu halten, sondern sie Umgebung WorkAdventure durchgeführt worden. Die auch begeistert von ihrer Arbeit sprechen zu lassen. digitale Arbeitsumgebung für den digitalen Schreib- Und das sei, so Engelkenmeier, eine gute Werbung für tag bot einen Besprechungsraum für die Experten- die Bibliothek und fördere die Gewinnung neuer Mit- Beratung, Vortragsräume mit Input-Veranstaltungen arbeitenden. auf Deutsch und Englisch, Schreibräume sowie einen Videoraum. Die mit spielerischen Elementen durch- Pandemie-Push in wissenschaftlichen geführte Veranstaltung habe den Teilnehmenden und Bibliotheken dem Bibliotheksteam viel Spaß gemacht. Diese Form Dr. Claudia Wöckel, Fachreferentin Medizin, Phar- bietet nach dem Dafürhalten der Vortragenden „eine mazie und Veterinärmedizin an der Universitätsbi- großartige Gelegenheit, spielerisch zu lernen“. bliothek Leipzig (UBL) und Annette Strauch-Davey, Forschungsdatenmanagement Stiftung Universität Hildesheim berichteten in ihrem Vortrag „Ganz Prak- „Linked data als Schlüssel, Sammlungen über Sparten hinweg tisch – Neue Ansätze mit ‚Pandemie-Push‘ in Wissen- für die Forschung zusammenzuführen.“ Hubertus Neuhausen schaftlichen Bibliotheken“ von neuen Services, die im Lauf der Pandemie entstanden seien. Auch habe sich die Bereitschaft von Kolleginnen, Kollegen und Nut- Präsenzschulungen hat die UBL durch Webinare er- zenden zugenommen, sich im digitalen Raum zu be- setzt, so Wöckel. Dafür habe man das Open-Source- wegen. Beide Referentinnen betonten, dass während Webkonferenzsystem BigBlueButton (BBB) eingesetzt der Pandemie eine engere Zusammenarbeit mit der und dann vier- bis fünfmal mehr Registrierungen fest- Universität entstanden sei. gestellt als bei den Präsenzveranstaltungen. BBB sei auch für die interne Kommunikation genutzt worden. Neue Ansätze der UB Leipzig Dank der IT-Unterstützung der Universität habe man Das Arbeitsplatzbuchungssystem der UB Leipzig, schnell über die Infrastruktur für Videokonferenzen erklärte Wöckel, sei eine im Haus entwickelte Soft- und mobiles Arbeiten verfügt. ware, die mit dem Bibliotheks-Log-in funktioniere. Damit hätten sich ab Juni 2020 Studierende für ei- UB Hildesheim: ne bestimmte Zeit einen Arbeitsplatz reservieren und Auf Abstand gemeinsam lernen sogar Kriterien wie Computerarbeitsplatz oder Steh- Der Vortrag von Annette Strauch-Davey trug den Ti- pult festlegen können. Aufgrund der guten Akzeptanz tel „Forschungsdatenmanagement als Game Chan- werde eine Weiterführung überlegt. Um den Wegfall ger – E-Learning und Research Commons in neu- von Präsenzschulungen in der Bibliothek zu kompen- gestalteten Räumen“. Pandemiebedingt habe auch sieren, habe man Videos für die Bibliotheksnutzung das Forschungsdatenmanagement (FDM) teilweise erstellt, die jetzt auf dem Standortkanal und dem zen digital durchgeführt werden müssen6. Das habe, so tralen YouTube-Kanal der UBL genutzt werden kön- Strauch-Davey, auch über BBB und ein Learnweb zum nen. Teile davon würden sogar für die Einführungsver- Forschungsdatenmanagement gut funktioniert. Das anstaltung der Universität nachgenutzt, teilte Wöckel auf der Moodle-Software aufgebaute Learnweb wur- mit. Seien es zu Beginn noch Videos gewesen, die mit de in einer Kooperation zwischen den Universitäten Smartphone oder Tablet selbst gedreht wurden, so Hildesheim und Wuppertal entwickelt. Bis Dezember produziere man seit Herbst 2021 professionelle Vi- 2021 hätten sich 160 Teilnehmer angemeldet, die deos. So ersetzten die mit einem professionellen Ka- sich, so Strauch-Davey, „in den Moodle-Kursen zeit- merateam gedrehten Videos zur Bibliotheksführung und ortsunabhängig über alle Aspekte des Datenle- teilweise die Nutzerführungen durch die Häuser. Die benszyklus informieren können“. Das Learnweb solle 6 Siehe dazu auch die Beiträge von Annette Strauch-Davey: Forschungsdatenmanagement-Unterstützung in Zeiten von Corona. b.i.t.online 2020; 23 (1): 264-265 und Die Bedeutung des Digitalen („Digital Shift“) in Workshops zum FDM der Universitätsbibliothek Hildesheim. b.i.t.online 2021; 24 (1): 83-87 und FDM als ein forschungsnaher Dienst in wissenschaftlichen Bibliotheken. b.i.t.online 2021; 24 (6): 635-637 www.b-i-t-online.de 25 (2022) Nr. 1 online Bibliothek. Information. Technologie.
62 REPORTAGEN Bergmann auch in Zukunft von Forscherinnen und Forschern für men Zugang, Registrierung und Authentifizierung sei das generische FDM genutzt werden können, wäh- man in der Schweiz in Richtung nationale Lösung ge- rend für das fachspezifische FDM persönliche Bera- gangen. In der Schweiz gebe es einen zentralen IT- tungen während der Pandemie online, später wieder Provider für das Hochschulsystem, der für den tertiä- persönlich durchgeführt würden. Die UB Hildesheim ren Bildungsbereich eine zentrale Authentifizierungs- plant nach ihrer Aussage, in der Bibliothek Räume lösung entwickelt habe. Dadurch verfüge man über einzurichten, in denen unter entsprechenden Hygie- ein Single-Sign-on für Bibliotheksservices und digitale nevorschriften und mit Abstand auch wieder persön- Angebote der Hochschulen in der ganzen Schweiz. In liche Besprechungen durchgeführt werden können. der Pandemie habe es sich als Goldstandard bewährt, Solche Räume – Research Commons – könnten von lokale Lösungen überwunden zu haben. Studierenden und Universitätsteams zu Besprechun- gen sowie von der Bibliothek zu Schulungs- und Be- Das Projekt: Shared Entity Management ratungszwecken genutzt werden und seien in einigen Infrastucture (SEMI) anderen Ländern schon vor der Pandemie erfolgreich Zum Einstieg in die Diskussion um die Chancen für eingerichtet worden. „Auf Abstand gemeinsam lernen und mit Metadaten berichtete Müller, OCLC habe – das ist der Neustart, den wir versuchen.“, bekräftig- mit finanzieller Unterstützung der Andrew W. Mellon te Strauch-Davey. Foundation eine „Entity Management Infrastruc- ture“ für Linked Data aufgebaut. Gestartet werde am Neustart durch die Pandemie und der Start 1.1.2022 mit 100 Millionen Entitäten „Werke“ und des WorldCat-Graph „Personen“. Es sei geplant, die skalierbare Entitä- In der abschließenden Paneldiskussion „Neustart teninfrastruktur nach und nach weiter auszubauen. durch die Pandemie“ ging es darum, was wissen- Müller bezeichnete es als „evolutionären Übergang schaftliche Bibliotheken aus den letzten 1½ Jahren in eine Linked Data-Umgebung. Bei OCLC werde sie gelernt haben und um zukünftige Chancen für die WorldCat-Graph genannt. Welche Rolle Linked Data Nutzung von Metadaten. Antworten auf die Fragen in der UB Köln spielen könnte, erklärte Neuhausen. gaben Henriette Mehn, Referentin für Grundsatzfra- Es gebe Überlegungen, wie man mit den Metadaten gen in der Generaldirektion SLUB Dresden, Dr. Hu- einen Zugang schaffen könne für Sammlungen, die bertus Neuhausen, Leitender Bibliotheksdirektor der über verschiedene Kultureinrichtungen verstreut sei- Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, Dr. Christian en. Linked Data scheinen ihm ein Schlüssel zu sein, Oesterheld, Direktor der Zentralbibliothek Zürich, und Sammlungen über verschiedene Sparten hinweg für Dr. Sebastian Müller, Director Sales DACH OCLC. die Forschung sinnvoll zusammenzuführen. Mehn be- richtete, an der SLUB werde an einem Projekt Linked Erkenntnisse und Lehren aus der Open Data gearbeitet, das Datenquellen im Biblio- Pandemiezeit thekskatalog sichtbarer machen und Verknüpfungen Für OCLC habe der vermehrte Einsatz von Videokon- verstärken wolle. Nutzenden solle auf diese Weise ein ferenz Zusammenarbeit und Kommunikation verbes- exploratives Suchen ermöglicht werden. Für Biblio- sert – sowohl intern als auch extern. Die Pandemie theken in der Schweiz spiele Linked Data eine zentra- habe auch bewirkt, dass E-Government-Lösungen le Rolle, so Oesterheld, nicht zuletzt wegen der Mehr- für Bibliotheken zu einem Muss geworden seien. Bei sprachigkeit. Er wünsche sich, dass mit SEMI eine of- der Digitalisierung habe man tatsächlich einen Ent- fene Infrastruktur entstehe. Auch er sehe in graphen- wicklungssprung gemacht, der ohne Pandemie wohl basierten Zugängen die Zukunft. ❙ zehn Jahre gedauert hätte. Die Bibliotheksarbeit sei flexibler, kollaboratives Arbeiten gestärkt, Workflows beschleunigt und die Kommunikation verbessert wor- den, stellte Mehn fest, was allgemein bestätigt wur- de. Entscheidend für die Ausweitung digitaler Ser- vices sei gewesen, so Neuhausen, ob die Bibliothek schon vor der Pandemie an der Modernisierung gear- beitet habe. Er fügte hinzu: „Wenn man als Universi- Helga Bergmann-Ostermann tätsbibliothek bereits über digitale Kanäle gut erreich- Journalistin bar war, dann ist man in der Pandemie dafür belohnt Dipl.-Übersetzerin worden.“ Auf eine Schweizer Besonderheit machte h.bergmann-ostermann@t-online.de der Direktor der ZB Zürich aufmerksam: Bei den The- online 25 (2022) Nr. 1 Bibliothek. Information. Technologie. www.b-i-t-online.de
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