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Bier-, Wein- und Schnapskonsum brechen ein: Die Schweiz geht nüchtern durch den Lockdown Die Schweizer Bevölkerung hat deutlich weniger Alkohol getrunken als sonst. Die Getränkebranche ist unter Druck. Weinbauern setzen auf Traubensaftschorle, alkoholfreies Bier boomt. Moritz Kaufmann 30.05.2020, 21.45 Uhr Anstossen in Zeiten von Corona: Die tiefere Zahl von Sozialkontakten führte zu einem verringerten Alkoholkonsum. Klaus Vedfelt / Digital Vision Hören Teilen
Als zu Beginn der Corona-Krise der Schweiz die Desinfektionsmittel ausgingen, stellte der Thurgauer Weinbauer Othmar Lampert kurzerhand seine Produktion um. Er brannte aus seinen Trauben 8o- prozentigen Alkohol. Seither führt er Händedesinfektionsflüssigkeit in seinem Online-Shop. Geld verdient er weder damit noch mit seinen Weinen. «Wir machten im Frühling noch 20% unseres normalen Umsatzes», sagt er. Lampert beliefert die Gastronomie, verdient aber am meisten durch den Direktverkauf seiner Weine. Beide Geschäftszweige fielen mit dem Lockdown gleichzeitig in sich zusammen. «Viele unserer Kunden sind schon ein bisschen älter. Die sind nicht mehr aus dem Haus gegangen.» Die Schweizer Weinbauern waren bereits in einer schwierigen Situation. Wegen Corona spitzt sich die Krise nun zu. «Wir gehen davon aus, dass während des Lockdown rund 35% weniger Wein abgesetzt wurde», sagt Olivier Savoy, Geschäftsführer der Vereinigung Schweizer Weinhandel. Dies gelte sowohl für in- wie ausländische Weine. Margen im Detailhandel sind kleiner Als der Bundesrat die Bevölkerung im März quasi kollektiv in die Selbstisolation schickte, waren Suchtexperten alarmiert. Die Detailhändler vermeldeten einen überdurchschnittlich hohen Umsatz mit alkoholischen Getränken. Fotos von überfüllten Altglas- Sammelstellen machten in den sozialen Netzwerken die Runde. Machte die Isolation die Menschen zu Trinkern? Hören Teilen
Zweieinhalb Monate später zeigt sich: Ja, die Schweizer Bevölkerung hat sich gerne ein Gläschen genehmigt, als sie wegen Corona zu Hause bleiben musste. Aber sie hat niemals so viel getrunken, wie wenn die Bars offen gewesen und all die geplanten Veranstaltungen über die Bühne gegangen wären. Zwar ist der Umsatz mit alkoholischen Getränken im Detailhandel gestiegen. Das bestätigen Coop und Denner, die beiden grössten Alkoholika-Verkäufer der Schweiz. Damit konnten die Produzenten die Verluste, die durch die geschlossene Gastronomie resultierten, aber nicht wettmachen. Vor allem auch, weil im Detailhandel die Margen kleiner sind. Die Motive der Konsumenten zur Zurückhaltung beim Einkauf mögen unterschiedlich gewesen sein. Die einen sahen möglicherweise den Zeitpunkt gekommen, ihren Weinkeller zu leeren. Andere haben den Lockdown als Anlass genommen, ihr Trinkverhalten zu überdenken. Und ganz sicher fehlten die Gelegenheiten, um mit anderen anzustossen. So fielen im Frühling etwa viele Generalversammlungen aus, die vor allem für Weinhändler ein gutes Geschäft sind. Jede fünfte Brennerei ist gefährdet Unter den Folgen litten Weinbauern, Brauereien und Brennereien gleichermassen. «Ab Mitte März ist der Absatz im Detailhandel zwar gestiegen. Mengenmässig aber nur um 1,7%, wertmässig um knapp 3%», sagt Peter Platzer, Geschäftsführer des Spirituosenverbands Spiritsuisse. Hören Teilen
Da gleichzeitig der Umsatz mit der Gastronomie auf null gefallen sei, rechnet Spiritsuisse damit, dass während der Lockdown-Zeit rund 25% weniger Brände und Spirituosen konsumiert wurden. Von den über 1000 Spirituosen-Produzenten in der Schweiz sei deswegen jeder fünfte gefährdet. Und auch die Bierbrauer haben gelitten. Im 2020 sank der Umsatz gegenüber dem Vorjahr bisher um 5,9%. Im April, als die Gastronomie komplett zu war, machte die Bierbranche gar ein Minus von 15%. Dies gilt sowohl für in der Schweiz hergestelltes wie importiertes Gebräu. Einziger Lichtblick der Branche sind Biere ohne Alkohol. Diese Kategorie verzeichnete dieses Jahr einen überraschenden Umsatzsprung von 11%. Ein klarer Hinweis darauf, dass die Konsumenten auch gerne einmal zur alkoholfreien Variante greifen, wenn sie nicht unter sozialer Beobachtung stehen. Die Schweizer Bevölkerung, so scheint es, ging lieber nüchtern durch diese Krise. Das stellt sogar die Stiftung Sucht Schweiz fest. «Der Lockdown hat sich kurzfristig wohl positiv auf den Alkoholkonsum in weiten Teilen der Bevölkerung ausgewirkt», sagt Pressesprecherin Monique Portner-Helfer. Festivals sind Umsatzgaranten Hören Teilen
Aber auch in den kommenden Monaten dürfte weniger getrunken werden, trotz steigenden Temperaturen und wiedereröffneten Restaurants. Musikfestivals in der Romandie wie das Montreux Jazzfestival oder das Paléo-Festival sind Grossabnehmer von Schweizer Wein. Deutschschweizer Open Airs oder die Fussball-EM sind Umsatzgaranten für die Bierbranche. Alle diese Veranstaltungen sind für 2020 abgesagt oder verschoben, die Event-Abteilungen der grossen Schweizer Brauereien sind bis auf weiteres auf Kurzarbeit. Eine bisher unveröffentlichte Umfrage der Arbeitsgemeinschaft der Schweizerischen Getränkebranche - der neben Bier-, Wein- und Spirituosen- auch die Mineralwasser- und Softdrinkproduzenten angehören - zeigt: Die Schweizer Getränkehersteller rechnen in den nächsten zwei Monaten mit hohen Absatzschwierigkeiten. Über ein Drittel befürchtet Liquiditätsprobleme. Und ein Viertel geht davon aus, Angestellte entlassen zu müssen. An der Börse sind die Kurse der grossen Brauereien längst ins Rutschen gekommen. Der dänische Multi Carlsberg, er ist die Nummer eins im Schweizer Biermarkt, verlor seit Beginn der Krise 16% an Wert. Zu ihm gehört unter anderem Feldschlösschen. Der niederländische Verfolger Heineken, der hierzulande die Biermarken Eichhof und Calanda besitzt, büsste 22% ein. «Für alle geht es jetzt darum, irgendwie den Sommer zu überstehen», sagt Marcel Kreber, Direktor des Schweizer Brauerei-Verbands. Der Pro-Kopf-Konsum sinkt Hören Teilen
Zusätzliche Staatshilfe wollten die Bierbrauer allerdings nicht. «Wir waren uns im Verband einig: Subventionen verschieben das Problem, lösen es aber nicht», sagt Kreber. Auch die Schnaps-Hersteller verzichteten auf einen Antrag. «Die Politik hätte Spirituosen kaum als unterstützenswert betrachtet», sagt Peter Platzer von Spiritsuisse. Einzig die Weinbauern werden mit zusätzlichen 10 Mio. Fr. vom Bund unterstützt. Sie verfügen in der Westschweiz über eine starke Lobby und mit Wirtschaftsminister Guy Parmelin sogar über einen Weinbauern im Bundesrat. Auf der Konsumentenseite zeigt sich: Corona hat bereits bestehende Trends verstärkt. Der Alkohol-Konsum war bereits in den letzten Jahren pro Kopf rückläufig. Nun ist er noch einmal gesunken. Vor allem die Jugend ist gesundheitsbewusster geworden und erkennt auch die Gefahren von regelmässigem, hohem Alkoholkonsum. Das dürfte so bleiben. Die Bier-, Wein und Schnapshersteller sollten sich langsam, aber sicher gesündere Alternativen ausdenken. So wie der Thurgauer Weinbauer Othmar Lampert, der neu neben dem Desinfektionsmittel auch Traubensaft herstellt. «Traubensaftschorle läuft erstaunlich gut.» Hören Teilen
Weniger Durst -35% Weinabsatz verzeichneten die Weinhändler während des Lockdown. -25% Spirituosen wurden wegen der Mehr zum Thema Wir essen uns zu Tode Die Menschen werden dicker, überall auf der Welt. Haben uns die Nahrungsmittelmultis abhängig gemacht von Zucker, Fett und Salz? Hören Teilen Gordana Mijuk
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