Bild? Einfach miteinander leben - Leben mit dem Lesch-Nyhan-Syndrom Ein neues Gesicht für die Elterngruppen - Lebenshilfe Berlin
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43. Jahrgang #6/2021 Einfach miteinander leben Leben mit dem Ein neues Gesicht für Reisen – eine Auszeit Lesch-Nyhan-Syndrom die Elterngruppen mit dem FED Magazin für Mitglieder des Lebenshilfe Berlin e.V. | lebenshilfe-berlin.de Bild?
INHALT | EDITORIAL Mehr Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe Seite 8 8 Mattes liebt Meer und Wellen Seite 11 4 11 Willkommen im Selbstvertreterin 13 Leben Christine Drielich Seite 13 stellt sich vor Seite 15 15 die geleistete Arbeit. Frau Eichner wird Frau Ackermei- er einarbeiten und anschließend neue Aufgaben in den Beratungsdiensten übernehmen. Liebe Leserin, Sorgen bereitet uns nach wie vor die Pandemie. Die Bundesvereinigung Lebenshilfe fordert die Solidarität lieber Leser, aller Bürger:innen und eine allgemeine Impfpflicht. Nur sie könne den bestmöglichen Schutz für die vulnerablen Weihnachten ist das Fest der Familie, und Familie steht Gruppen leisten und einen neuerlichen Ausschluss von auch im Mittelpunkt der aktuellen Emil-Ausgabe. Fami- gesellschaftlicher Teilhabe behinderter Menschen wie lie hat einen hohen Stellenwert für die Lebenshilfe Ber- in der ersten Welle verhindern. Außerdem fordert die lin. Mehr als drei Viertel unserer Mitglieder sind Ange- Lebenshilfe eine umgehende Auffrischungsimpfung für hörige behinderter Menschen. Daher hat der Vorstand Menschen mit Behinderung und die Beschäftigten in entschieden, die Angehörigengruppen und die Eltern- den Einrichtungen. In Berlin bemühen wir uns aktuell und Familienberatung wieder näher an den Verein zu darum, dass die Klient:innen in den Wohnstätten durch binden. Wir freuen uns, die Rehabilitationspädagogin mobile Impfteams geboostert werden. Andrea Ackermeier für diese Arbeit gewonnen zu ha- Dass die Lebenshilfe Berlin bisher gut durch die Co- ben, und bedanken uns bei Kathrin Eichner herzlich für ronakrise gekommen ist, haben wir der besonnenen 2 Emil #6/2021
BRANDHEISS TITEL Berliner Koalitionsvertrag bleibt 4 Leben mit dem Lesch-Nyhan-Syndrom hinter Erwartungen zurück 6 Einfach erklärt Im Koalitionsvertrag hat die neue Regierungskoalition ZU RECHT ihre wichtigsten Themen für die nächsten fünf Jahre ge- 8 Inklusive Jugendhilfe regelt. Die Partner bekennen sich zum Ziel einer inklu- siven Stadt. In vielen Bereichen werden die Bedürfnisse AUS DER LEBENSHILFE von Menschen mit Behinderungen, deren Unterstützer 9 Neues Gesicht für die Elterngruppen und Angehörigen erwähnt. Besonderer Wert soll auf die Einbeziehung der Menschen mit Behinderungen ENGAGEMENT und deren Organisationen gelegt werden. 10 Vertretung für Angehörige Im Bereich Stadtentwicklung, Bauen und Mieten soll die 10 Bezirksteilhabebeiräte Zahl barrierearmer Wohnungen deutlich erhöht werden. Der Zugang zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt für FAMILIE Menschen mit Behinderungen soll verbessert werden, die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen wei- 11 Reisen mit dem FED terentwickelt und Mitarbeitende besser vergütet. HANDVERLESEN Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes wird weiter vorangetrieben. Berichterstattungen im Teilhabever- 12 Unsere Tipps für Sie fahren werden vereinheitlicht, die Teilhabefachdienste KOLUMNE weiter qualifiziert und serviceorientierter aufgestellt. Ab 2022 soll eine Strategiekonferenz Inklusion und Ein- 13 Willkommen im Leben gliederungshilfe aufgelegt werden. Die Einrichtung ei- BERLIN LIVE ner unabhängigen Ombudsstelle für Streitigkeiten bei der Gesamtplanung wird geprüft. 14 Termine Die Mobilität für Menschen mit Behinderung soll durch 14 Impressum Ausbau und Förderprogramme vom öffentlichen Nahver- kehr bis zum Sonderfahrdienst vorangebracht werden. UNSERE STIMME ZÄHLT Der Abbau von Barrieren im Bereich Gesundheit ist 15 Selbstvertreterin Christine Drielich ebenso geplant, wie die Stärkung pflegender Angehöri- ger. Zur Umsetzung des Wohnteilhabegesetzes soll die Heimaufsicht gestärkt werden. Nicht nur im Hinblick auf die in 2023 in Berlin stattfin- denden Special Olympics sollen inklusive Sportange- bote vor allem im Breitensport unterstützt werden. Die kulturelle Teilhabe soll durch inklusive Angebote und Ticketermäßigungen ermöglicht werden. Führung der Leitungskräfte und insbesondere den Mit- Kinder und Jugendliche mit Behinderungen, deren Fa- arbeitenden vor Ort zu verdanken. Unter hohem per- milien und Pflegefamilien werden gestärkt. Auch hier sönlichen Einsatz halten sie seit mehr als 1 ½ Jahren für soll die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes ge- die Klient:innen so viel Normalität wie möglich aufrecht. sichert werden. Alle Schultypen sollen zur inklusiven Schule weiterentwickelt werden. Dazu werden Ausstat- Im Namen meiner Vorstandskolleg:innen danke ich al- tung, multiprofessionelle Teams und erleichterte Bera- len Mitarbeitenden für ihr Engagement und allen Mit- tungsmöglichkeiten sichergestellt. gliedern für ihre Treue zum Lebenshilfe-Verein. Wir Die Verwaltung soll beschleunigt und bürgernäher aus- wünschen Ihnen ein schönes Weihnachtsfest, ein gutes gebaut werden. neues Jahr und vor allem Gesundheit. Aus Sicht der Menschen mit Behinderung ist dem Ko- alitionsvertrag wenig Neues zu entnehmen. Viele der Ihr genannten Maßnahmen sind bereits heute Gesetz, eine Umsetzung also Verpflichtung. Die Umsetzung ande- rer Vorhaben wird zunächst lediglich geprüft. Umso wichtiger ist die Wahrnehmung der Interessen von Menschen mit Behinderungen – die Lebenshilfe Berlin Ihr Ludger Gröting bleibt am Ball! Daniel Fischer Emil #6/2021 3
TITEL Kleines Detail mit großer Wirkung In Felix Weisheimers Erbgut ist etwas anders. Deshalb hat er den Zwang, sich selbst zu verletzen. Ihn zu schützen und ihm ein glückliches Leben zu ermöglichen – den Balanceakt vollziehen seine Eltern täglich. Felix ist ein Sonnenschein. Als Katja Weisheimers Sohn Felix 2012 zur Welt kam, hat- den Kontakt zu der Familie. Dafür sind sie ihm bis heu- te sie schon einen 14-jährigen Sohn, Moritz. Sie spielte te dankbar: „Wir haben von der Familie so viel erfah- mit ihrem Baby, wie sie es mit seinem Bruder getan hat- ren und gelernt“, betonen beide. „Die Familie lebt nicht te. Sie habe Felix sein Füßchen in den Mund gesteckt, mehr in Berlin, aber wir stehen in engem Kontakt und erinnert sie sich, doch dann habe er sich richtig fest- sind außerdem in einer WhatsApp-Gruppe mit Eltern gebissen: „Ich bekam einen riesigen Schreck!“ Damals von Jungs mit Lesch-Nyhan-Syndrom.“ Die Familien le- wussten die Eltern noch nichts von Felix’ Gendefekt. ben über ganz Deutschland verteilt. LNS tritt extrem selten auf. Der zugrundeliegende Der lange Weg zur Diagnose Gendefekt befindet sich auf dem X-Chromosom. Da er Schon früh fiel Felix‘ Eltern auf, dass er sich nicht wie rezessiv vererbt wird, sind fast ausschließlich Jungen erwartet entwickelte: „Mit vier Monaten konnte er sein betroffen, Mädchen tragen den Gendefekt nur ganz Köpfchen nicht richtig halten.“ Die Kinderärztin empfahl selten in sich. So auch Katja Weisheimer. Sie ließ sich Physiogymnastik, aber es wurde nicht besser. Nach lan- gleich nach Felix’ Diagnose testen. Die erste Zeit sei ger Wartezeit bekam die Familie einen Termin im SPZ sehr schwer gewesen, berichtet sie. In die Situation hät- Friedrichshain. Schon bald sei ein Arzt aus dem SPZ ten sie erst hineinfinden müssen. Sie habe viel im Inter- Neukölln dazugekommen, so die Eltern. Er habe sich net gelesen, aber das Wissen um schreckliche Verläufe kurz Felix’ Füßchen angeschaut: Der Junge habe das habe ihnen nicht gutgetan, erzählt sie. Auf Bitten ihres Lesch-Nyhan-Syndrom (LNS). „Ich war richtig sauer“, er- Mannes hin, habe sie damit aufgehört. innert sich Katja Weisheimer, „wie konnte er es wagen! Er hatte Felix ja gar nicht richtig angesehen.“ Als das Felix in seinem Zuhause ärztliche Personal aber feststellte, dass in Felix’ Blut viel An einem Sonntag lernen wir Felix kennen. Als wir das zu viel Harnsäure war, wurde ein Gentest gemacht. Der Haus betreten, erwartet er uns im Flur. Er strampelt la- Test bestätigte die Diagnose. chend mit Armen und Beinen. Mit seinem Strahlen er- obert er uns gleich. Felix sitzt angeschnallt in seinem Die Familie findet sich in die Situation ein Therapiestuhl, dahinter sein Vater Antonio Weisheimer. Jener Arzt aus dem SPZ Neukölln betreute bereits Im Wohnzimmer baut Vater Antonio das Mensch- einen Jungen mit LNS. Er vermittelt den Weisheimers ärgere-dich-nicht-Spiel auf, während die Mutter Felix an 4 Emil #6/2021
TITEL den Tisch fährt und mit einem Hebel per Fußtritt den Felix’ Manschetten sitzen während des Spielens weni- Sitz auf die richtige Höhe senkt. Felix liebt Brettspiele, ger fest. Immer wieder wandert eine prüfende Hand besonders gern kickt er die Spielfiguren seiner Eltern von Vater oder Mutter zu ihnen. „Es ist schwer, Felix sei- heraus. Die Zahlen und Rechnen kann er, allerdings nen Freiraum zu nehmen, ihn mit Polstern, Schnallen kann er nur mithilfe seiner Eltern würfeln. Seine Figuren und Manschetten einzuengen“, erklärt sein Vater, „aber bewegt sein Vater, was Felix mit Argusaugen bewacht. es geht nicht anders.“ Er wolle selbst den Schutz, sonst Felix’ Spielfiguren sind blau. Blau ist seine Lieblingsfar- werde er unruhig. Die Eltern erzählen von den riskan- be, Hertha-Blau, Hertha ist sein Lieblingsverein. Auch ten Autofahrten. Verrutschen die Manschetten, müss- die anderen Spielfiguren sind Fußball-Mannschaften ten sie aussteigen und nach hinten laufen. Jeden Tag zugeordnet. fahren sie Felix zur Schule und holen ihn wieder ab. Er Felix spricht in Silben, manchmal fügt er sie nach einer geht in die dritte Klasse der Karl von Linné-Schule. Pause zu Wörtern zusammen. Sein Bruder Moritz ist „Mo“. An beiden Armen trägt Felix Manschetten, die sei- Schulfreundschaften ne Arme gestreckt halten, damit er seine Hände nicht In seiner Klasse ist Felix glücklich. Auf die Frage, ob ihm zum Mund führen kann. Denn er würde sie hineinste- die Woche oder das Wochenende lieber sei, antwortet cken und zubeißen, ohne wieder loslassen zu können. er prompt: „Woche!“. In seiner Klasse ist sein Freund Ju- Immer wieder überkommt ihn der Zwang, sich selbst zu stin, außerdem sind da noch Lilly und Emilie. Aber Felix verletzen. Manche Kinder mit LNS tragen Beißschienen, wird schon um 15 Uhr abgeholt, da endet seine Schul- manchen mussten sogar alle Zähne gezogen werden. betreuung. Die Schulassistentin wurde ihm eigentlich Felix beißt glücklicherweise weder in seine Zunge noch nur für fünf Wochenstunden bewilligt. Aber wegen Co- in seine Backentaschen. „Allerdings hat er Narben an rona sind andere Schüler:innen nicht da, deren Stun- seinen Oberarmen,“ berichtet seine Mutter. „Dorthin den darf sie für Felix einsetzen. Gerade die Schulnach- gelangt er nachts, wenn die Manschetten verrutschen.“ mittage liebt er: kein Unterricht mehr, dafür Spielen mit Seine Eltern packen ihn daher nachts gut ein. Katja seinen Freunden. Weisheimer holt Neopren- und Stoffmodelle. „Die hat In Felix’ Zimmer hängen Fotos seiner Schulfreunde. Vor sich mein Mann ausgedacht. Durch sie ist schon lange allem aber fallen die vielen Fußballbücher und -zeit- nichts mehr passiert.“ schriften auf. Mit der Neuesten setzen wir uns auf den Emil #6/2021 5
Fußboden. Noch kann Antonio Weisheimer seinen Sohn aus dem Stuhl heben. Beide sitzen oder liegen gern auf einer Matte und schauen sich gemeinsam Zeitschriften an: Papa hält das Heft, Felix guckt sich die Seiten an. Er ist ein wandelndes Fußballlexikon, er weiß genau, in welcher Mannschaft wer Fußball spielt. Dream-Team „Brüder“ Bruder Moritz kommt herein, an ihm vorbei flitzt Lil- ly, eine junge Cockerspaniel-Hündin, die an uns hoch- springt und kaum zu beruhigen ist. Felix lacht und strahlt über das Energiebündel. Seine Mutter legt ihm Leckerlies in die Hand, die Lilly sofort wieder stibitzt. Moritz wohnt im Haus gegenüber. Das bietet Nähe und zugleich Abstand. Jeden Samstagnachmittag ist er da, Kinder wie Felix wären toll. Das Gefühl, alleingelassen die beiden Brüder haben ein gemeinsames Hobby: Fuß- zu sein, überkommt Familie Weisheimer immer wieder. ball-Bundesliga-Spiele anschauen. „Die beiden sind ein Seit dem Sommer liegt der Antrag auf mehr Schulbe- Dream-Team“, meint ihre Mama lächelnd. gleitung beim Amt. „Jetzt haben wir November“, stellen sie fest, „Felix’ fünf Wochenstunden reichen absolut Gemeinsam den Alltag meistern nicht aus.“ Er brauche für alle Schulstunden Begleitung. Die Eltern möchten Moritz nicht mit Babysitten bei Felix Zusammen mit der Rechtsberatung der Lebenshilfe überlasten: „Einen Nachmittag in der Woche, an dem Berlin hat Familie Weisheimer deshalb vor Kurzem ei- jemand für Felix kommt und ihn betreut, das wäre toll.“ nen Eilantrag gestellt. Und endlich haben sie Erfolg. Die Sie haben Aushänge am Schwarzen Brett der Uni ge- Freude ist groß, denn Schule bedeutet für Felix nicht macht, leider erfolglos. Als Paar kämen sie leider viel zu nur lernen, sondern auch teilhaben und Freundschaft kurz. „Darum würden wir uns freuen, wenn sich jemand erleben. meldet, der bei uns zu Hause mit Felix spielt.“ Und was ist mit Felix Zukunft? Daran, sagen die Eltern, Seit ein paar Jahren macht die Mutter mit Felix Ur- denken sie noch nicht. Sie hielten sich lieber an das, laub im Kinderhospiz. Dazu habe sie sich lange nicht was gerade ist. Felix‘ Vater ergänzt: „Wir leben seit neun durchringen können, gesteht sie. Wie soll man Urlaub Jahren mit diesem Syndrom. Wir haben gelernt, mit machen, wo andere Kinder sterben? Aber nur im Hospiz Felix keine Pläne zu schmieden, sondern alles Tag für wird Felix rundum betreut, sodass seine Eltern auch mal Tag auf uns zukommen zu lassen. Und damit leben wir zu zweit etwas unternehmen können. Soziale Teilhabe bisher sehr gut.“ vermissen Felix‘ Eltern am meisten, mehr Angebote für Text: Ina Beyer / Fotos: Dennis Lenz 6 Emil #6/2021
TITEL | EINFACH ERKLÄRT Felix braucht immer Schutz Felix Weisheimer ist 9 Jahre alt. Ein Gen ist bei Felix ein kleines bisschen anders. Die Gene sind das Erb·gut eines Menschen. Dieses andere Gen hat für Felix große Auswirkungen: Felix verspürt immer wieder einen Zwang. Dann muss er sich selbst wehtun. Zum Beispiel stecken sich seine Finger wie von selbst in den Mund. Dann beißt er zu und kann lange nicht wieder loslassen. Das tut ihm sehr weh. Seine Eltern versuchen ihn deshalb zu schützen. Er trägt Polster an den Armen. Darin sind feste Stangen. Dazu sagt man: Manschetten. Wegen der Manschetten kann er seine Arme nicht beugen. Und deshalb kann er seine Hände nicht in den Mund stecken. Wenn Felix so gesichert ist, geht es ihm gut. Er spielt gerne Brett-Spiele mit seinen Eltern. Sein größtes Hobby ist Fußball. Jeden Samstag guckt er mit seinem Bruder Moritz Fußball. Die beiden sind ein super Team. Auch in die Schule geht Felix sehr gern. In seiner Klasse ist sein bester Freund. Manchmal treffen sie sich auch am Wochen·ende. Aber immer muss ein Eltern-Teil dabei sein. Damit sich Felix nicht wehtut. Familie Weisheimer hat für mehr Schul-Begleitung gekämpft. Denn er braucht für die ganze Schul·zeit Begleitung. Dann kann er auch länger in der Schule bleiben. Und am Nachmittag mit seinen Freunden zusammen sein. Text: Ina Beyer / Fotos: Dennis Lenz Emil #6/2021 7
ZU RECHT Mehr Inklusion in der Kinder- und Jugendhilfe Das neue Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) wurde im Frühjahr 2021 nach einem mehrjährigen Prozess unter Beteiligung von Betroffenen, Interessenverbänden und zahlreichen anderen Akteuren der Jugendhilfe verabschiedet. Verbesserter Kinderschutz Selbstvertretung Einrichtungen werden künftig stärker kontrolliert und Durch das KJSG soll die Selbstvertretung in der Jugend- beaufsichtigt. Bei Kindeswohlgefährdungen und Kin- hilfe gestärkt werden. So arbeitet die Jugendhilfe mit derschutzmeldungen arbeiten verschiedenste Akteure selbstorganisierten Zusammenschlüssen von Jugend- verbindlich zusammen. Melden Ärzt:innen und Päda- lichen oder anderen Leistungsempfänger zusammen gog:innen einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung, und fördert diese. Diese Zusammenschlüsse können erhalten sie künftig Rückmeldungen und können Bera- auch in Jugendhilfeausschüssen vertreten sein. Einzel- tungen in Anspruch nehmen. Um Belangen junger Men- heiten dazu müssen auf Landesebene noch definiert schen mit Behinderungen besonders Rechnung zu tra- werden. gen, besteht in diesen Fällen ein Anspruch auf Beratung durch eine erfahrene Fachkraft. Wechsel besser begleiten Zum Wohl von Kindern kann ein dauerhafter Verbleib Überleitungen bei Zuständigkeitswechseln vom Träger von Kindern in Pflegefamilien durch das Familiengericht der Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe sollen recht- angeordnet werden. zeitig geplant und begleitet werden. Bis 2028 werden zur Beratung von Eltern von Kindern mit Behinderung Unterstützung und Beratung Verfahrenslotsen als Ansprechpartner beim Jugendamt Familien mit Unterstützungsbedarf sollen verstärkt prä- geschaffen. ventive Hilfen angeboten werden. Auch vermitteln Om- budsstellen bei Konflikten zwischen jungen Menschen Weitere Umsetzung bis 2028 und deren Familien mit dem Träger der Jugendhilfe. Die aktuell getrennte Zuständigkeit für Kinder ohne Junge Menschen können einen Anspruch auf Beratung Behinderung oder mit seelischen Behinderung (SGB ohne Kenntnis der Sorgeberechtigten haben. VIII) und Kindern mit körperlicher oder geistiger Be- hinderung (SGB IX) soll bis 2028 überwunden werden. Kostenbeteiligung Zuständig soll dann für alle Kinder und Jugendlichen Die Kostenbeteiligung junger Menschen in der Jugend- der Träger der Jugendhilfe sein. Dazu hat der künftige hilfe wird deutlich verbessert. Einkommen aus Ferien- Gesetzgeber den Auftrag, ein entsprechendes Gesetz jobs und Ehrenamt sind anrechnungsfrei. Für Einkom- bis zum 1.1.2027 zu verabschieden. Dies ist nicht als men aus Schülerjobs, Praktika und Ausbildung gibt es Verpflichtung zu sehen, daher bleibt die Umsetzung im einen Freibetrag bis 150 €. Der Kostenbeitrag für Ein- Einzelnen abzuwarten. Die Lebenshilfe wird diesen Pro- kommen darüber beträgt 25 %. Die Forderung vieler zess kritisch begleiten. Interessenverbände nach kompletter Abschaffung der Kostenbeiträge für junge Menschen konnte noch nicht Die meisten Änderungen traten am 10. Juni 2021 in erreicht werden. Kraft. Die Kostenbeteiligung für Eltern wurde durch das KJSG nicht geändert. Wencke Pohle Inklusivere Kinder- und Jugendhilfe Die gleichberechtigte Teilhabe junger Menschen mit Behinderung soll gestärkt werden. Neben einer Anpas- sung des Behinderungsbegriffs sieht das Gesetz inklusi- vere Angebote in der Jugendhilfe vor. Sie sollen Kindern und Jugendliche mit und ohne Behinderung gleichbe- rechtigt offenstehen. Ebenfalls besteht ein Anspruch auf Beratung in verständlicher, nachvollziehbarer und wahrnehmbarer Form. Dies umfasst auch eine Bera- tung in leichter Sprache. 8 Emil #6/2021
AUS DER LEBENSHILFE Herzlich willkommen Andrea Ackermeier! Im Januar beginnt die Rehabilitationspädagogin Andrea Ackermeier in der Eltern- und Familien- beratung und wird künftig die Elterngruppen begleiten. Damit ein fließender Übergang gelingt, wird sie kollegial eingearbeitet durch Kathrin Eichner, die anschließend neue Aufgaben in den Beratungsdiensten übernimmt. Ein guter Arbeitstag beginnt mit Inklusion bedeutet für mich einem guten Start in den Tag und einer Kanne Tee. „Bisher war es wichtig, dass jeder, der anders ist, die gleichen Rechte hat. In Zukunft wird es wichtig sein, Meine Aufgaben sind dass jeder das gleiche Recht hat, anders zu sein" die Beratung, Begleitung und (Vermittlung von) Unter- (Patrick W. de Klerk). stützung für alle Mitglieder einer Familie, zu denen ein Mensch mit Beeinträchtigung(en) gehört. Familien mit behinderten Angehörigen Ich würde es mir gerne zur Aufgabe machen, die Bera- sind in erster Linie einfach Familien. Dazu haben sie tung durch Betroffene zu stärken. Und in der Öffentlich- noch ein Mitglied mit etwas ungewöhnlichen Stärken keitsarbeit das Angebot an Hilfen und Unterstützungen und Schwächen. Das kann manches anders machen viel breiter bekannt zu machen. und andere Wege zum Ziel erfordern. Ich bin dafür die Richtige, weil Ein perfektes Wochenende ich seit über zwanzig Jahren mit besonderen Kindern/ ist sonnig, entspannt und warm. Außerdem unter- Jugendlichen und ihren Familien arbeite. Dabei habe ich nehme ich was mit meinen Hunden und Freunden unterschiedlichste Erfahrungen gemacht/miterlebt, die (nicht unbedingt gleichzeitig ). ich gut einbringen kann. Außerdem habe ich eine riesige Neugierde auf unter- An der Lebenshilfe gefällt mir schiedlichste Menschen . dass sie (auf Wunsch) vom Ungeborenen bis zum Seniorenalter mit Rat und Tat an der Seite der Familien Die erste Zeit wird ist. interessant, anstrengend und eine große Bereicherung mit vielen neuen Eindrücken. So erreichen Sie Frau Ackermeier: Telefon 030 82 99 98 103 efb@lebenshilfe-berlin.de Emil #6/2021 9
ENGAGEMENT Eine starke Vertretung für Eltern und Angehörige Die Mitgliederversammlung der Bundesvereinigung beschloss am 16. Oktober 2021, den Bundeselternrat in Rat der Eltern und Angehörigen umzubenennen. Vertreterin der Lebenshilfe Berlin ist seit 2016 die zweite Vorsitzende Ivonne Kanter. Die Lebenshilfe ist Elternverein und Selbsthilfeorgani- Gewinnung neuer Mitglieder durch bessere Beratung sation der Menschen mit Beeinträchtigung. Der Ange- sowie der Stärkung des Ehrenamts, um Eltern ein hörigenrat berät die Gremien der Bundesvereinigung Engagement zu ermöglichen. Außerdem nahm der Rat aus der Perspektive von Eltern und Angehörigen. Jeder an den Regionalkonferenzen teil, um die Lebenshilfe Landesverband entsendet eine von der Mitgliederver- zukunftsfest zu machen. sammlung gewählte Vertretung in den Rat. Der Rat ist In 2020 und 2021 standen die Belastungen durch die im Bundesvorstand vertreten und hat damit direkten Pandemie stark im Vordergrund. Im Rat ging es um die Einfluss auf die Verbandspolitik. Die Umbenennung er- Situation von Familien, Müttern und Alleinerziehenden, folgte, weil sich zunehmend Geschwister behinderter die Impfung von Menschen mit Behinderung und von Menschen in der Lebenshilfe engagieren. Ivonne Kanter Angehörigen als Kontaktpersonen, der Bildungssituati- hat als Vertreterin mit dem jüngsten Angehörigen ins- on von Kindern mit Beeinträchtigung sowie der Digitali- besondere die Anliegen von Familien mit Kindern und sierung als Chance für mehr Teilhabe. Jugendlichen im Blick. Anfang Dezember wurde Ivonne Kanter zur stellvertre- Der Rat beschäftigt sich mit einem breiten The- tenden Vorsitzenden des Rats gewählt. Mit ihrer Arbeit menspektrum: z.B. der Reform der Kinder- und Jugend- im Rat gibt sie auch starke Impulse für die Lebens- hilfe, Übergang Schule – Beruf, Wohnen und soziale hilfe Berlin. So möchte sie die Selbsthilfe von Eltern wie- Teilhabe, Angehörigenbeiräte in Wohn- und Werkstät- der stärken und mit der neuen Elternberaterin Andrea ten, erwachsene Geschwister, Begleitete Elternschaft, Ackermeier Konzepte für den Einsatz von Eltern als Gewaltprävention, medizinische Versorgung, Assi- Peer-Berater:innen entwickeln. stenz im Krankenhaus, Selbstvertretung, Migration, die Daniel Fischer Machen Sie mit im Bezirksteilhabebeirat! Beteiligungsmöglichkeiten in den Bezirken bieten die Beiräte für Menschen mit Behinderung und seit dem 1.1.2020 die Teilhabebeiräte. Gemäß des Berliner Teilhabegesetzes sollen die zwölf fenenvertretungen. In der Regel besteht ein Bezirks- Berliner Bezirke bezirkliche Teilhabebeiräte gründen, teilhabebeirat aus 12 Mitgliedern. Die Beiräte tagen jedoch kommen die Gründungen nur schleppend vo- mindestens zweimal im Jahr. Pro Bezirk werden vier Trä- ran. Die Bezirksteilhabebeiräte haben ähnliche Aufga- gervertreter:innen sowie vier Vertreter:innen der Men- ben wie der Landesteilhabebeirat – nur auf Bezirkse- schen mit Behinderung – also Betroffene selbst oder bene. Sie sollen Benachteiligungen von Menschen mit Angehörige – gesucht. Nur gemeinsam mit Betroffenen- Beeinträchtigungen im Sinne des Bundesteilhabege- vertretungen können sog. strukturelle Probleme bei setzes erkennen und die gleichberechtigte Teilhabe am der Umsetzung des Bundesteihabegesetzes erkannt gesellschaftlichen Leben fördern. Sie sind Impulsgeber und daraus Konsequenzen abgeleitet werden. für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe im Wenn Sie Interesse an einer Mitarbeit in Ihrem Bezirk- Bezirk, sind beratend tätig gegenüber Leistungsträgern steilhabebeirat haben, wenden Sie sich bitte an Ihre/n und -erbringern und formulieren Handlungsempfeh- bezirklichen Behindertenbeauftragte/n. Fragen beant- lungen. wortet Ihnen auch gern Christiane Müller-Zurek Dem Bezirksteilhabebeirat gehören bezirkliche Ver- (christiane.mueller-zurek@lebenshilfe-berlin.de oder tretungen des sog. leistungsrechtlichen Dreiecks an, 030. 82 99 98-181). Leistungsträger, Leistungserbringende und Betrof- Ludger Gröting 10 Emil #6/2021
FAMILIE Mattes liebt Meer und Wellen Für Mattes‘ Mutter ist es sehr beruhigend, dass ihr Sohn auf einer 14-tägigen Sommerreise an die Ostsee durch seinen vertrauten Einzelfallhelfer begleitet wurde. Der FED hat das möglich gemacht. Auf Reisen braucht Mattes nicht viel, um glücklich zu sein. Er liebt Sand und den Strand. Die Wellen können ihm gar nicht hoch genug sein. Er sei mit sich selbst glücklich und müsse nicht beschäftigt werden, erzählt sein Einzelfallhelfer Felix Kubach. Wenn ihm jemand einen Luftballon aufblase oder wenn er abends unter dem Sternenhimmel stehe und seine Musik hören kön- ne, sei Mattes zufrieden. Der 20-Jährige ist Autist. Er spricht wenig und undeut- lich, hat jedoch ein gutes Sprachverständnis. Ihm sei bewusst, dass er sich nicht gut verständigen könne, be- richtet seine Mutter. Um ihn zu verstehen, müsse man Mattes gut kennen. Fühlt er sich unverstanden, ziehe er sich frustriert zurück. Dann könne es auch zu Au- toaggressionen kommen. Von sich aus baut Mattes kei- ne Kontakte auf. Er braucht vertraute Bezugspersonen, die als Dolmetscher zwischen den Welten agieren, sei- Mattes im Kontakt ne Rituale kennen, wissen, was ihm wichtig ist und ihm Neben Mattes betreute Felix Kubach in diesem Jahr Stabilität geben, so Stephanie Loos. auch einen jungen Mann mit Asperger-Autismus. Der Für Mattes war es die dritte Reise mit dem FED. Seine habe einen großen Wortschatz, spreche jedoch sehr erste Reise ging ins Berliner Umland. Die große Hürde leise und teile sich am liebsten per WhatsApp mit, be- war für seine Mutter, dass ein fremder Betreuer nicht richtet Kubach. Er erkannte, dass Mattes ebenfalls Au- in Frage kam. Sie war sehr froh, dass der FED auf ihren tist ist, und war sehr interessiert, wie Mattes „ticke“. Wunsch, den Einzelfallhelfer einzubinden, flexibel rea- „Seine Vermutungen hat er mir per WhatsApp geschrie- gierte. Felix Kubach kennt Mattes schon seit 2014 und ben, auch wenn wir nebeneinander saßen“, sagt Ku- weiß genau, was er braucht. bach schmunzelnd. Von einem Mitreisenden mit Down- Syndrom konnte Mattes zulassen, dass dieser seine heißgeliebten Kopfhörer aufsetzte, und beide hätten Reiseprogramm 2022 sogar Händchen gehalten. Erstmalig gibt es ein Programm für Kinder und Gegenseitiges Vertrauen Jugendliche und ein Programm für Erwachsene. Stephanie Loos weiß ihren Sohn auf der Reise in guten Sie erhalten es über fed@lebenshilfe-berlin.de Händen: „Ich kann dann auch mal Urlaub machen und oder Telefon 030. 60 00 00 - 0 muss nicht ständig nachfragen, wie es ihm geht.“ Ihr rei- che ab und zu ein Foto per WhatsApp. Bei etwas Gra- Auf unserer Website finden Sie es ab vierendem melde sich Felix Kubach bei ihr. Bei dieser Weihnachten: www.lebenshilfe-berlin.de Reise sei das jedoch nicht vorgekommen. „Wenn Mattes nicht nach Mama fragt, geht’s ihm richtig gut“, meint Ku- bach. Für jeden Reiseteilnehmer gab es zum Abschluss ein Fotobuch – eine schöne Erinnerung für Mattes und für seine Mutter die Möglichkeit, mit ihm über die Reise zu sprechen. Mattes‘ nächste Reise soll auf jeden Fall wieder an die Ostsee gehen, und Felix Kubach wird als Begleiter dabei sein. Text: Christiane Müller-Zurek / Foto: Felix Kubach Emil #6/2021 11
HANDVERLESEN Unsere Tipps für Sie Kinderbuch: Ich bin Emma - Ich bin Anders Das Wendebuch von Rebecca Knecht kann von beiden Seiten aus gelesen werden. Die Geschichten eines Geschwisterpaars treffen sich in der Mitte und zeigen jeweils den Alltag und die Gefühle der beiden. Für das Gespräch in der Familie oder Kita behandelt das Buch auf kindgerechte Weise den Umgang, die Vorurteile und den Alltag mit einer Behinderung. Epubli | ISBN 978-3-753135-49-6 |20 € Das Prader Willi Syndrom Eine unabhängige Broschüre der Prader-Willi-Syndrom Ver- einigung Deutschland informiert Eltern auf 40 Seiten über die Grundlagen dieses seltenen Syndroms. Das Heft sowie weitere Informationsbroschüren (auch in Leichter Sprache!) finden Sie unter prader-willi.de Isabelles Kochbuch für alle Kochen leichtgemacht in einfacher Sprache und mit vielen Bildern: Der 2. Band von Isabelles Kochbüchern enthält Rezepte mit Kartoffeln und Nudeln. Er kostet 10 € zuzüglich Versand- kosten. Die Einnahmen gehen an die Lebenshilfe Reutlingen. Zu bestellen über christiane.boelzle@t-online.de. „Wie kann ich was bewegen?“ Der bekannte Inklusionsaktivist Ràul Krauthausen und der Politikwissenschaftler Benjamin Schwarz ermutigen zu eigenem Engagement, um politische, soziale und ökologische Ziele zu erreichen. Für ihr Buch „Wie kann ich was bewegen – die Kunst des konstruktiven Aktivismus“ sprachen sie mit 16 der bekann- testen Aktivist:innen Deutschlands. Verlag Edition Körber | ISBN: 978-3-89684-291-6 | 18,00 € Berliner Ratgeber Inklusion Die Ausgabe 2021/2022 des erfolgreichen Ratgebers enthält Informationen über Unterstützungsleistungen und Hilfen in allen Lebensbereichen. Es gibt den Ratgeber auch auf CD als Illustration Hörversion und in Leichter Sprache. Herausgeber: Landesamt AlexHliv – Shutterstock und c’ursprung für Gesundheit und Soziales | www.berlin.de 12 Emil #6/2021
KOLUMNE Willkommen im Leben Der umstrittene Bluttest auf Trisomien ist jetzt Kassenleistung. Wir brauchen mehr Botschafter für ein gutes Leben mit Down-Syndrom, empfiehlt unsere Kolumnistin Christiane Müller-Zurek. Bei Familienfeiern ist Sohn 2 immer voll in seinem Element und entfaltet jedes Mal eine regelrechte Charme-Offensive. Beim letzten runden Geburts- tag begrüßte er in blauem Anzug und weißem Hemd alle Gäste und machte lässig Smalltalk. Auf ihm völlig Unbekannte zu zugehen, fällt ihm we- sentlich leichter als seinen Brüdern, die ein Chro- mosom weniger besitzen. Ein junges Paar beobachtete Sohn 2 sehr inte- ressiert. Nennen wir sie Laura und Paul. Im Laufe des Abends kamen wir miteinander ins Gespräch. Laura erzählte, sie sei im 6. Monat schwanger und erwarte ein Baby mit Down-Syndrom. Sie und Paul hatten tausend Fragen. Die erste: „Hat er ein Hungergefühl?“ Sohn 2 pen- delte zwischen dem Tisch und dem Buffet hin und her und hatte sich gerade die zweite Portion Ti- Inklusionsaktivistin Nathalie Dedreux sogar weit ramisu gegönnt. Bevor ich etwas sagen konnte, mehr als 11.000. Der Berliner Sebastian Urbanski beantwortete Paul seine Frage selbst: „Er sieht wurde im Oktober mit überwältigender Mehrheit ja sportlich aus und ist richtig schlank.“ „Wie ge- wieder in den Bundesvorstand der Lebenshilfe hen die Brüder miteinander um?“ Laura fiel auf, gewählt. dass Sohn 1 und Sohn 2 die gleichen Fliegen und Gut, Sohn 2 ist weder Schauspieler noch Influen- Einstecktücher trugen. Sohn 1 hatte sie besorgt. cer oder Politiker. Aber anscheinend brauchen Das Eis war gebrochen, und wir plauderten wie werdende Eltern nicht unbedingt Prominente mit alte Bekannte. „Wo wohnt er?“ „Wo arbeitet er?“ Down-Syndrom als Beispiel. Unsere ganz durch- „Wie war das mit Kita und Schule?“ Bei dieser Fra- schnittlichen Söhne und Töchter und ein Famili- ge klinkte sich Lauras Schwägerin ein, die mit am enleben, in dem alle ihren Platz haben, können Tisch saß. Sie ist Kitaleiterin und sagte: „Also, den Mut machen. Wir alle sind Botschafter. Kitaplatz habt ihr sicher!“ Lauras Tochter soll ein Weihnachtsbaby werden. „Eigentlich bin ich froh, dass ich es vorher weiß“, Zum Abschied umarmten Laura und Paul Sohn 2. meinte Laura. So könnten sie sich besser auf alles Ich wünschte ihnen alles Gute. Laura sah mich an einstellen. Paul ist als Unternehmensberater viel und sagte: „Ich liebe mein kleines Mädchen doch unterwegs. Er will beruflich kürzertreten und Lau- jetzt schon!“ Ganz klar eine Botschafterin für ein ra unterstützen, wenn das Baby da ist. Was Laura gutes Leben mit Down-Syndrom! richtig genervt hat, war die Reaktion ihrer Ärztin: „Diese Kinder sind doch immer so lustig.“ Einfühl- Bild: Eleonora_os / Shutterstock sam geht anders! Noch nie waren in der Öffentlichkeit und den Medien so viele Menschen mit Down-Syndrom präsent. Immer häufiger sehe ich Kinder und Er- wachsene ganz beiläufig in Werbespots. Schau- spielerinnen und Schauspieler mit Down-Syndrom wie die Münchnerin Luisa Wöllisch gehören nicht nur inklusiven Theaterensembles an, sondern treten auch in Hauptrollen großer TV-Produkti- Wenn Sie auch Geschichten aus dem Leben mit onen auf. Dem deutschen Model Tamara Roeske uns teilen möchten, schreiben Sie uns an folgen bei Instagram über 7.000 Abonnenten, der emil@lebenshilfe-berlin.de. Emil #6/2021 13
BERLIN LIVE Termine und Veranstaltungen Bis Frühjahr 2022 Ausstellung Wunschkind Unser Titelbild ist Teil der Ausstellung „Wunschkind“. Der Foto- graf Klaus Heymach hat Familien porträtiert, die sich bewusst für ein Kind mit Behinderung entschieden haben. 3. Etage der Geschäftsstelle der Lebenshilfe Berlin. Anmeldung unter 030. 82 99 98-159. Bis April 2022 „Un certain regard“ – Kunstausstellung im Humboldt Forum Eine Ausstellung in der Ausstellung: Klient:innen der Kunstwerk- statt Kreuzberg der Lebenshilfe Berlin präsentieren ihre Kunst im Rahmen der Ausstellung „Berlin Global“. Besuchszeiten 10 – 20 Uhr | dienstags Geschlossen 10.02.2022 18 – 20 Uhr Impressum Digitaler Infoabend: Mein Kind kommt in die Schule Emil – Rund um die Einschulung von Kindern mit Beeinträchtigung. Einfach miteinander leben Mit Urs Zelle, Lebenshilfe in der Schule gGmbH. Herausgeber Anmeldung unter efb@lebenshilfe-berlin.de Lebenshilfe Berlin e.V. Heinrich-Heine-Straße 15 10179 Berlin 24.02.2022 18 – 20 Uhr Redaktion Angehörigenforum Daniel Fischer (verantw.) Der Vorstand lädt ein zum Austausch über das Bundes- Ludger Gröting teilhabegesetz. Christiane Müller-Zurek Haus der Lebenshilfe | Dohnagestell 10 | 13351 Berlin Titelfoto Anmeldung erforderlich unter Klaus Heymach 030. 82 99 98-124 oder sekretariat.ev@lebenshilfe-berlin.de Leserpost an emil@lebenshilfe-berlin.de 02.07.2022 14 – 17 Uhr Layout Mitgliederversammlung c’ursprung | design.digitale medien Termin bitte vormerken! Voraussichtlich im Haus der Lebenshilfe Herstellung Dohnagestell 10 | 13351 Berlin Irina Hochstein Die Einladung geht allen Mitgliedern rechtzeitig per Post zu. Bilder auf dieser Seite #1: Klaus Heymach , #2: David Permantier, Hinweis #3 + 6: Pixabay, #4: Stefan Präsenztermine stehen wegen Corona unter Vorbehalt und müs- Albers / Lebenshilfe Bre- men, #5: Susann Eckhardt sen je nach aktueller Lage abgesagt werden oder finden digital statt. Bitte informieren Sie sich vorab! Illustration Weitere Termine finden Sie unter www.lebenshilfe-berlin.de. Christoph Kadur – Shutter- stock 14 Emil #6/2021
UNSERE STIMME ZÄHLT Selbstvertreterin Christine Drielich stellt sich vor. Christine Drielich lebt in Berlin. Sie ist Selbstvertreterin und setzt sich für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung ein. Sie ist: • Mitglied im Verein Lebenshilfe Berlin. • Mitglied im Berliner Rat der Lebenshilfe Berlin. • Frauen·beauftragte an ihrem Arbeits·platz in der Werkstatt. • Mitglied in der Projekt· gruppe „Das Internet ist für alle da!“ Christine Drielich unterstützt gerne Menschen in verschiedenen Situationen. Christine Dielich sagt: „Gemeinsam kann man mehr erreichen!“ Frau Drielich, wofür setzen Sie sich ein? „Ich setze mich ein für Teilhabe, Leichte Sprache, Mitbestimmung und Barriere-Freiheit.“ Was möchten Sie verändern? „Ich möchte, dass mehr in den Medien über Menschen mit Beeinträchtigung berichtet wird. Ich möchte, dass Menschen mit Beeinträchtigung mehr Chancen auf dem ersten Arbeits·markt haben.“ Was konnten Sie schon verändern? „Anderen Mut machen, sich für die eigenen Rechte und Interessen einzusetzen.“ Was ist ihr Tipp für gute Selbstvertretung? „Gute Zusammen·arbeit und immer wieder die Rechte einfordern und nicht aufgeben.“ Die Selbstvertretung in Hier erreichen sie Christine Drielich: den sozialen Medien: berliner.rat@lebenshilfe-berlin.de Die Fragen stellte Burcu Yilmaz. Emil #6/2021 15
Lebenshilfe Berlin e.V. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft IBAN: DE54 100 205 00000 311 22 06 BIC: BFSWDE33BER Bleiben Sie mit uns in Verbindung! Besuchen Sie uns in den sozialen Medien. Nur ein Kinderweihnachtswunsch? Wenn unter Menschen dieser Erde, stets Eintracht nur und Friede wäre, wenn Straßenkinder ein Zuhause hätten, schlafen könnten in gepflegten Betten, wenn die Gebrechlichen gesunden, und heilen würden alle Wunden, wenn Geld auch zu den Armen käme, sich ändern würden manch Systeme, wenn doch das Aus käm für Magnaten, die sinnlos gutes Geld verbraten, wenn Luftverschmutzung hätt ein Ende, und für Arbeitslose käm die Wende, wenn es Soldaten nur als Spielzeug gäbe, und alle Waffen wären Zuckerstäbe, dann wär die Welt das Paradies, wie es uns Gott einst überließ. © Horst Rehmann
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