"Fly me to the moon " - Mobilitätspolitik der Zukunft!
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ó ó Im Fokus ó ó Im Fokus „Fly me to the moon…” – Mobilitätspolitik der Zukunft! Einleitung zum Schwerpunkt von Kai Burmeister, Sascha Howind, Ralf Höschele und Lars Neumann Foto: www.fotolia.com, © Paylessimages Elektromobilität, Stuttgart 21, S-Bahn Es bleiben die Fragen: Berlin, Bahnstreiks sowie Sommer-, Winter, Herbst-Chaos bei der Bahn sind beinahe Ergibt die Summe dieser Beispiele aktueller tägliche Bestandteile der öffentlichen mobilitätspolitischer Debatten ein Ganzes? Berichterstattung. Der Ausbau und die Wei- Oder ist die Neubestimmung einer gegen- terentwicklung der Verkehrsinfrastruktur, warts- und zukunftstauglichen mobilitäts- die Privatisierung der Deutschen Bahn – oder politischen Orientierung dringend einzelner Tochterunternehmen – die Tren- notwendig? Und, was ist hier die nung von Netz und Betrieb, der sogenannte Rolle der Sozialdemokratie? Recast der europäischen Bahnpolitik, LKW- und PKW-Maut, Gigaliner, die Liberalisierung Die DB AG betreibt heute wesentliche Teile des Buslinienfernverkehrs, die Ausschreibung der Schieneninfrastruktur in Deutschland. von Schienen- und Busverkehren, die Privati- Sie ist hauptsächlich für den Vertrieb des Pro- sierung von Nahverkehrsunternehmen, die duktes Eisenbahn verantwortlich. Sie ist einer Novelle des Allgemeinen Eisenbahngesetzes, der wichtigsten Energienutzer der Republik. des Personenbeförderungsgesetzes sowie Und sie betreibt Züge – im Schienengüterver- des sogenannten Regionalisierungsgesetztes kehr von Spanien bis nach Polen (manchmal bestimmen die alltägliche verkehrspolitische sogar über Russland bis nach China) oder im Debatte. Personenverkehr bald von Berlin nach London. 12 spw 3 | 2011
Im Fokus ó ó Sie betreibt LKWs in den USA oder Nahver- wettbewerb (…) um einen Verkehrsvertrag.“ kehrsleistungen in England. Und sie betreibt Dabei können sie die Verkehrsleistungen, die Miet-Fahrrad-Flotten, Carsharing Angebote Fahrzeugqualität, die Beschäftigungsbedin- namens Flinkster oder BeMobility. Übrigens, gungen und vieles mehr gestalten. Manche 100%iger Eigentümer der Deutschen Bahn ist Bundesländer tun es, andere nicht. Die Libe- der Bund. ralisierung des Personenfernverkehrs auf der Schiene oder des Buslinienfernverkehrs lässt Daimler baut Autos. Renault auch. Beide der Bund gegenwärtig einfach geschehen. betreiben aber auch hoch innovative Mobili- tätsangebote namens Car2Go oder Mu und Eine Fahrt ins Blaue, ohne Ziel, aber immer versuchen mit diesen Mietangeboten, vom auf dem Gaspedal. Autobauer zum Mobilitätsanbieter zu wer- den. Die Hamburger Hochbahn ist einer der Es bleiben die Fragen: wichtigsten Wettbewerber der DB Regio im regionalen Personenverkehr auf der Schie- Wer reguliert Mobilität? ne, genauso wie staatsnahe Unternehmen Wer entscheidet über den Aus- oder aus Italien, Dänemark, den Niederlanden und Abbau von Nah- und Fernverkehrslinien? Frankreich. Wie wird reguliert? Welche Kriterien sind maßgeblich? Wie können bestehende Es bleiben die Fragen: Strukturen sinnvoller genutzt werden? Was ist privat, was ist öffentlich? Was ist Die Initiative zur Förderung der automo- privater, eigenwirtschaftlicher Verkehr? bilen E-Mobilität lässt sich die Bundesregie- Was ist öffentlicher Personen- und Güter- rung fast 4 Mrd. Euro kosten. Darin sind noch verkehr im Sinne der öffentlichen nicht die weiteren Kosten zur Markteinfüh- Daseinsvorsorge? rung berücksichtigt. Die Bundesregierung unterstützt die Entwicklung der Schienenin- In Baden-Württemberg entscheiden die frastruktur mit rund 2,8 Mrd. Euro. Der Betrieb Bürger über den Bau des neuen Stuttgarter von S-Bahnen, RE- und RB-Leistungen im Re- Hauptbahnhofs. Eigentlich sind der Bund und gionalverkehr wurde alleine im vergangenen die Länder für die Infrastrukturentwicklung Jahr mit 6,8 Mrd. Euro unterstützt. Hinzu kom- verantwortlich. men Mittel für die Binnenschifffahrt, den See- hafenausbau, den Luftverkehr und den Stra- Der Bund kann als Eigentümer auf die Leis- ßenbau nicht nur des Bundes sondern auch tungen der DB Fernverkehr Einfluss nehmen. der Länder und der Kommunen. Für die Planung und Durchführung des Schie- nenpersonennahverkehrs haben die Bundes- Dennoch, die Schlaglöcher auf den Straßen länder weit mehr als 30 regionale Institutionen und die Langsamfahrstellen auf der Schiene gegründet. Der öffentliche Nahverkehr wird nehmen zu. Der Ausbau der Hafeninfrastruk- durch die Kommunen und Landkreise entwi- tur geht nur langsam voran. Und im Jahr 2008, ckelt und erbracht. Sie suchen und finden spe- auf dem Konjunkturhöhepunkt vor dem Leh- zifische lokale Lösungen, vergeben Verkehrs- man-Crash, war zum ersten Mal spürbar, dass konzessionen direkt oder im Wettbewerb. die Kapazitäten der Verkehrsinfrastruktur an ihrem Limit waren. Und damit können sie sehr weitgehend regulieren. Laut Raoul Machalet ist „der Wett- Außerdem bleibt die „soziale Dimension“ bewerb im SPNV ein reiner Ausschreibungs- der Mobilität, wie Florian Pronold sie nennt, spw 3 | 2011 13
ó ó Im Fokus oftmals im Stau stecken. Die Mobilitätskos- struktur effizienter nutzen? Wo ist der ten steigen nicht nur an der Zapfsäule son- Neu- und Ausbau notwendig? Und, wie dern auch im Kontext der Diskussion um die können wir die Entwicklung flexibler, PKW-Maut, die Pendlerpauschale, dem Schü- realitäts- und bürgernäher umsetzen? ler-Fahrschein oder dem ÖPNV Einzelfahr- schein oder Abo. Junge Menschen bis 35 Jahren fahren im- mer weniger PKW. Das Auto verliert seinen Es bleiben die Fragen: Kultstatus. Das iPhone wird zum Navi und zur Fahrkarte. In den Niederlanden kann man mit Wie viel Geld braucht Mobilität? der Chipkarte einfach in Busse, Bahnen und Woher sollen die notwendigen Mittel Mietautos ein- und aussteigen. Die Abrech- kommen? Was sollte öffentlich ge- nung erfolgt am Monatsende, wie beim Mo- fördert werden und was nicht? bilfunktarif. Der Bund plant seine Infrastrukturin- Der demografische Wandel beschleunigt vestitionen in einem komplexen, zeit- und die Veränderungen. In Mecklenburg-Vorpom- kostenintensiven Prozess. In Berlin entsteht mern und einigen Teilen des Ruhrgebiets einer der modernsten Flughäfen Europas, wird Mobilität immer weniger nachgefragt. leider ohne einen adäquaten Bahnanschluss. In München, Hamburg, Frankfurt, Berlin und In Nordrhein-Westfalen warten die Pendler Stuttgart dafür umso mehr. seit Jahren auf einen Aufbau der Bahnkapa- zitäten zwischen Hamm und Köln. René Bor- Es bleiben die Fragen: mann kommt zu einem einfachen Ergebnis, „dass die Verkehrswegeplanung des Bundes Welche Auswirkungen werden die Ver- nur bedingt effizient und effektiv ist.“ änderungen der Nutzung von Mobilitäts- angeboten haben? Wie können diese Astrid Ziegler gibt das Ziel vor „Die zentrale ausgestaltet werden? Stellschraube (…) ist das Vorhandensein einer entsprechenden Verkehrsinfrastruktur, diese RWE baut am Zionskirchplatz in Ber- muss gleichberechtigt Lösungen für das Stra- lin eine Stromtankstelle auf. In Hamburg ßen-, Bahn-, Wasserstraßen- und Fluglinien- werden die ersten Busse allein mit Wasser- netz umfassen.“ stoff betrieben. In China fahren Busse allein durch Akkus betrieben. Und die Bundesre- Alex Kirchner bringt es auf einen ein- gierung möchte gerne bis zum Jahr 2020 fachen Nenner: „Die Schieneninfrastruktur 1 Mio. Elektroautos auf deutschen Straßen muss ausgebaut werden.“ sehen. Siemens liefert seinen ICE / Velaro nach Spanien, China und Russland. Die ers- Gleichzeitig stellt René Bormann fest, dass ten Straßenbahnen, allein durch Induktions- „die Bevölkerung auf Grund des Verkehrsl- spulen betrieben, fahren bereits. Gleichzeitig ärms, des Feinstaubs und der Auswirkungen fallen im Sommer Klimaanlagen, im Herbst auf die Landschaft den Neubau von Verkehrs- Bremsen und im Winter Heizungen aus. wegen zunehmend kritisch sieht.“ Es bleiben die Fragen: Es bleiben die Fragen: Was geht? Welche technologischen Wie viel Infrastruktur brauchen wir wo? Innovationen in der Mobilitätsbran- Wie können wir die bestehende Infra- che sind denkbar und sinnvoll? 14 spw 3 | 2011
Im Fokus ó ó Welche Bedeutung und welche Es gibt einen europäischen Lokführer- Folgen werden sie haben? schein. Gleichzeitig zeigt der Verein Mobifair regelmäßig auf, unter welchen Bedingungen In Deutschland sind etwa 120.000 Beschäf- Triebfahrzeugführer arbeiten. In Berlin wer- tigte in der Bahnindustrie tätig. Alstom, ein den Bus- und Straßenbahnführer von Fahr- französischer Hersteller von Schienenfahr- gästen verprügelt. In Brandenburg werden zeugen, hat angekündigt mehrere hundert Kinder und Jugendliche mitten in der Nacht Beschäftigte am Standort in Salzgitter zu aus Zügen geworfen. entlassen. Gleichzeitig werden hochinnova- tive, deutsche Technologien in alle Welt ver- Astrid Ziegler weist darauf hin, dass „ein kauft. Und in Deutschland fahren bald Züge stimmiges Konzept, das die Bewältigung des aus Polen, Spanien und China. Strukturwandels in der Verkehrswirtschaft zum Ziel hat, muss auch Antworten für die Antje Blöcker weist mit Blick auf die Auto- Beschäftigten in den einzelnen Verkehrsbran- mobilindustrie darauf hin, „dass mittelfristig chen (…) geben.“ massive Beschäftigungsprobleme drohen“. Im Blick auf die Beschäftigungssicherung an Es bleiben die Fragen: deutschen Standorten wird es in den jähr- lichen Verhandlungsrunden, in denen die Wie viel Arbeit macht Mobilität? Investitionszuweisungen für die einzelnen Wie verändern sich Beschäftigungsver- Standorte der nächsten Jahre verhandelt wer- hältnisse in der Mobilitätsbranche? den, nicht nur um ein Ringen um Investitions- volumina wegen der geopolitischen Verlage- „Fly me to the moon…“ rung der Produktion gehen, sondern auch um neue Investitionsschwerpunkte in der Produk- Ja, eine Neubestimmung einer gegen- tentwicklung, neue Nutzungskonzepte, um warts- und zukunftstauglichen mobilitäts- Energie- und Ressourceneffizienz und zuneh- politischen Orientierung erscheint dringend mend um den Aufbau neuer Geschäftsfelder notwendig. gehen.“ Ein Beispiel das durchweg auch für die anderen Mobilitätsindustrien gilt. Stephan Rammler fordert in einem älteren Artikel „Ein Apolloprojekt für die kollektiven Es bleiben die Fragen: Verkehrsträger. Eine Investitions- und Mo- dernisierungsoffensive für die kollektiven Ist das Marktwirtschaft und Globalisie- Verkehrsträger (öffentlicher Nahverkehr, rung? Oder ist es der sukzessive Verlust Fern- und Regionalbahnen, Schienengüter- deutscher Technologie-, Innovations- und transport) ist der Dreh- und Angelpunkt zu- Wertschöpfungskompetenz? Was tun? kunftsfähiger Mobilitätspolitik nach dem Erdöl.“ Auf zum Mond, aber immer schön auf Die DB AG hat heute noch weit über dem Teppich bleiben. 100.000 Beschäftigte und einen vitalen konzerninternen Arbeitsmarkt. Die Gewerk- Er macht gleichzeitig deutlich, dass Ver- schaft der Lokomotivführer streikt. Die Eisen- kehrspolitik sehr viel mehr ist, als das feier- bahn- und Verkehrsgewerkschaft nicht. Und liche Durchschneiden von Bändern bei der ver.di ist eigentlich auch beteiligt. Ralf Halb- Autobahneröffnung. „Die herkömmliche auer weist in seinem Artikel nachdrücklich sektorale und verkehrsträgerspezifische Ver- auf die innerbetrieblichen Probleme bei der kehrspolitik muss sich als Mobilitätspolitik DB Regio hin. neu erfinden und sich als einen Beitrag zur spw 3 | 2011 15
ó ó Im Fokus Gesellschaftspolitik interpretieren. Mobili- täten führen muss. Dieser Heftschwerpunkt tätspolitik kann heute nur als paradigma- knüpft gleichzeitig an spw 166 (Staatswirt- tischer Angriffspunkt einer gesamtkulturellen schaft 3.0) sowie spw 180 (Wirtschaftsde- transformativen Praxis begriffen werden.“ mokratie) an und versucht, Mobilität im Zusammenhang mit öffentlicher Aufgaben- Alex Kirchner fordert „mit Nachdruck ein erfüllung und wirtschaftsdemokratischer nationales Verkehrskonzept, das allen Be- Steuerung zu denken. Damit ergeben sich langen Rechnung trägt.“ Darin könnte dann genügend Anknüpfungspunkte für die so- endlich auch eine Antwort für die Zukunft zialdemokratische Linke, rund um Mobilität der DB AG gefunden werden: „Keinen Kon- und Verkehr stärker Position zu beziehen. sens gibt es bislang in der Frage, wie das Un- Dass linke Positionen dabei gesellschaftlich ternehmen DB AG künftig geführt werden keineswegs randständig sind, macht der ge- soll.“ sellschaftliche Protest gegen die Bahnreform deutlich. Innerhalb der SPD gelang die Mobi- Florian Pronold zeichnet die wesentlichen lisierung gegen die Reformpläne, nun gilt es, Aufgaben der Sozialdemokratie: „Sozialde- das Politikfeld Mobilität insgesamt aus linker mokratische Mobilitätspolitik braucht einen Perspektive zu definieren. ó positiven Bezug zu moderner Infrastruktur als Rückgrat eines innovativen Industrie- standortes Deutschland. Sie muss die Inter- essen der Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer in den Mittelpunkt stellen, wie in anderen Politikfeldern auch. (…) Die Rolle des Staates, die Frage in wie weit Infrastruktur und Mobilität als Teil der öffentlichen Da- seinsvorsorge verstanden wird und in wie weit auch in strukturschwachen Räumen für gleichwertige Lebensverhältnisse gesorgt wird, unterscheidet Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten an zentralen Punkten von schwarz-gelb-grün.“ In der energiepolitischen Debatte hat die Sozialdemokratie konzeptionell einen Weg zwischen dringend notwendigen ökolo- gischen Veränderungen, industriellen Anfor- derungen, sozialen Erwartungen und demo- kratischen Regulierungsmodellen gefunden. Es ist an der Zeit, dass die Sozialdemokratie in der Mobilitätspolitik die Pole Position ein- nimmt und den notwendigen Wandel mutig und entschieden gestaltet. û Kai Burmeister ist Gewerkschaftssekretär und wohnt in Stuttgart. Mit diesem Schwerpunktheft wollen wir û Sascha Howind ist Sozialwissenschaftler und lebt in Hannover. Anstöße zur Diskussion leisten, in dem Wis- û Ralf Höschele ist stellv. Juso-Bundesvorsitzender und lebt in Berlin. sen, dass sie erst am Anfang steht und trotz- û Lars Neumann ist Sozialwissenschaftler und Unternehmensberater dem möglichst schnell in konkrete Aktivi- und lebt und arbeitet in Berlin 16 spw 3 | 2011
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