Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59

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Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59
PUBLIKATION NR. 59

                              Bundesarbeitsgemeinschaft der
                               Senioren-Organisationen e. V.

Bildung und Digitalisierung
für ältere Menschen
Im Fokus: Vielfalt stärken

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Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59
Inhalt
       Vorwort von Franz Müntefering                                3

       Einführung: Vielfalt stärken                                 4

       Zugang zu Bildung: Angebote im Umfeld machen                6
       Interview mit Dr. Ewelina Mania

       Besondere Zielgruppen: Bildungsanbieter müssen umdenken     8
       Interview mit Sabine Hantzko

       Ältere mit Migrationshintergrund                            10

    		 Herausforderung digitale Welt                               10

       Ältere mit wenig Bildungserfahrung                          13

         Probieren geht über Studieren                             13

       Ältere mit Einschränkungen                                  14

         Barrieren abbauen                                         14

         Wohnungsnahe Angebote                                     16

       Ältere mit Pflegebedarf                                     18

         Neue Möglichkeiten eröffnen                               18

         Individuelle Interessen fördern                           20

       Ältere mit Demenz                                           22

         Spielerischer Ansatz                                      22

       BAGSO: Bildung als Schlüssel zu Teilhabe                    24

       www.wissensdurstig.de: Nie zu alt für Neues                 26

       Links und weitere Informationen, Bildnachweise, Impressum   27

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Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser,

D     as Leben ist vielfältig, das gilt auch
      im Älterwerden. Diese Erkenntnis
ist simpel, aber nützlich. Man kann et-
was machen aus seinem Leben, auch
im Älterwerden und Altsein. Dazu
müssen wir neugierig bleiben und uns
einlassen auf den Wandel. Nicht jede
Neuheit ist ein Fortschritt, aber Fort-
schritt gibt es. Wir müssen ihn finden
und nutzen.
     Vor 200 Jahren lebten in deutschen
Landen rund 22 Millionen Menschen.
Noch um 1850 konnte die Hälfte von             Gesprächen, ist immer noch der Renner.
ihnen weder lesen noch schreiben.              Ich nenne das Leitkultur.
Und 1950 lag die Lebenserwartung bei               Aber neue, schnelle, bebilderte
gut 60 Jahren.                                 Formen der Kommunikation kamen
     Da hat sich viel verändert. Wir           hinzu. Wir smsen und mailen und
sind jetzt rund 83 Millionen Menschen          schaffen Kontakte, die man sich früher
in Deutschland und viele werden über           mühsam zu Fuß erlaufen musste. Nut-
80 Jahre alt. Menschen aus Polen und           zen wir die Chance. Wie gesagt: Blei-
Italien, der Türkei und anderen Län-           ben wir neugierig.
dern sind seit über 100 Jahren in unser            Die in diesem Heft vorgestellten
Land gekommen und haben geholfen,              Projekte zeigen, wie Bildungsangebote
ein Wohlstandsland zu werden. Eine             für Seniorinnen und Senioren in all
bunte Gesellschaft, mit insgesamt gu-          ihrer Unterschiedlichkeit und Vielfalt
ter Bildung, beruflicher Qualifikation         gelingen können, auch für Pflegebe-
und Mut zur Entwicklung. Und wir               dürftige und für Menschen mit De-
wissen, auch im Alter können wir noch          menz. Lassen Sie sich inspirieren. Ich
viel hinzulernen. Die grauen Zellen            wünsche Ihnen viel Erfolg.
arbeiten, wenn sie Arbeit haben. Neu-
gierig bleiben hilft.                             Mit freundlichen Grüßen
     Vor 50 Jahren war es das Telefon,
das uns in Kontakt hielt, wenn Kinder
aus dem Elternhaus in die ferne Stadt
zur Arbeit zogen. Das Briefeschreiben             Franz Müntefering
und Telefonieren bleiben auch heute               BAGSO-Vorsitzender
immer noch wichtig, auch Besuche.
Sich in die Augen blicken zu können bei

                                                                                        3
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EINFÜHRUNG

             Vielfalt stärken
             Bildung und Digitalisierung für besondere Zielgruppen
             älterer Menschen

             M       an lernt nie aus, lautet ein be-
                     kanntes Sprichwort. Gemeint
             ist damit, dass man ein Leben lang
                                                              Den Schwerpunkt dieses Themen-
                                                         heftes bilden 14 sogenannte Leucht-
                                                         turmprojekte aus dem gesamten Bun-
             neue Erfahrungen macht und neue Er-         desgebiet, die mit Zielgruppen arbei-
             kenntnisse gewinnt – bis ins hohe Al-       ten, die als schwer erreichbar gelten (ab
             ter. Die Redensart verdeutlicht auch,       S. 10). Die Projekte wurden von einer
             dass sich Lernen nicht auf Bildung in       Fachjury ausgewählt und erhielten ei-
             Schule und Ausbildung beschränkt,           nen Zuschuss von bis zu 5.000 Euro aus
             sondern ein vielschichtiger, andauern-      Mitteln des Bundesministeriums für
             der Prozess ist. Das gilt auch für Senio-   Familie, Senioren, Frauen und Jugend
             rinnen und Senioren. Ein lebenslanges       (BMFSFJ). Die Bandbreite der Projekte
             und lebensnahes Lernen kann ihnen           ist groß: Ihre Angebote richten sich an
             dabei helfen, ihr Leben selbstbestimmt      ältere Menschen mit Migrationshinter-
             zu gestalten und an gesellschaftlichen      grund, an Ältere mit knappem Budget,
             Entwicklungen teilzuhaben. Bildungs-        an Menschen, die nur eingeschränkt
             einrichtungen können ältere Men-            sehen oder hören können, an Senio-
             schen mit entsprechenden Angeboten          rinnen und Senioren mit Behinderung
             dabei unterstützen.                         oder begrenzter Mobilität, an Pflegebe-
                  Dieses Heft widmet sich der Frage,     dürftige und Demenzkranke.
             wie Bildung im Alter gelingen kann,              Viele beschäftigen sich mit den
             und rückt dabei Zielgruppen älterer         Herausforderungen und Chancen der
             Menschen in den Mittelpunkt, die tra-       digitalen Welt: Sie unterstützen ältere
             ditionelle Bildungsangebote eher selten     Menschen bei der Handhabung von
             wahrnehmen. Gründe dafür können             Geräten wie Smartphones oder Tablets,
             ein Migrationshintergrund, wenig Bil-       ermuntern sie, das Internet zu erkun-
             dungserfahrung und psychische oder          den, oder nutzen spezielle Software, um
             körperliche Einschränkungen sein. Die       die Teilhabe von kranken und pflege-
             Bildungsforscherin Dr. Ewelina Mania        bedürftigen Menschen zu verbessern.
             erklärt im Interview, was Menschen               Gemeinsam ist ihnen, dass sie ver-
             davon abhält, an Bildungsangeboten          suchen, Hürden abzubauen, spezielle
             teilzunehmen und macht Vorschläge,          Bedürfnisse und Handicaps zu berück-
             wie sich das ändern lässt (S. 6). Auf die   sichtigen und älteren Menschen neue
             vielfältigen Lebenslagen von Seniorin-      Möglichkeiten zu eröffnen. Sie tun dies
             nen und Senioren weist die Pädagogin        zum Beispiel, indem sie das Lernen
             Sabine Hantzko hin und betont, wie          spielerisch gestalten, auf konkrete, in-
             wichtig es ist, die jeweiligen Bedürfnis-   dividuelle Anliegen eingehen und ihre
             se und Fähigkeiten zu berücksichtigen       Angebote vor Ort machen – zu Hause,
             (S. 8).                                     in Alten- und Pflegeheimen oder an

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Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59
EINFÜHRUNG

Orten, an denen sich Seniorinnen und         laufstelle für Seniorinnen und Senioren
Senioren treffen. Die vorgestellten          und für Multiplikatoren an. Auf dem
Leuchtturmprojekte können anderen            Internetportal www.wissensdurstig.de
Bildungsträgern, Vereinen und Selbst-        stellt die Servicestelle Informationen
hilfegruppen als Anregung dienen. Sie        rund um das Thema Digitalisierung
können von der Erfahrung der Projek-         und Bildung im Alter bereit und infor-
te profitieren und sehen, dass es span-      miert über Angebote zur Seniorenbil-
nend und lohnend ist, neue Wege zu           dung in ganz Deutschland (S. 26).
gehen und Vielfalt zu fördern.                    Mit dem vorliegenden Heft setzt
     Die BAGSO engagiert sich seit vie-      die BAGSO ihre dreiteilige Reihe zum
len Jahren in der Entwicklung von Bil-       Thema „Bildung und Digitalisierung
dungsangeboten für ältere Menschen           für ältere Menschen“ fort. Zwei weitere
mit dem Schwerpunkt Digitalisierung          Ausgaben mit den Schwerpunkten
(S. 24). Seit 2017 bietet sie mit der Ser-   „Ländlicher Raum“ und „Quartier
vicestelle „Digitalisierung und Bildung      und Engagement“ stellen 30 weitere
für ältere Menschen“ eine zentrale An-       Leuchtturmprojekte vor.

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ZUGANG ZU BILDUNG

              Angebote im Umfeld machen
              Interview mit der Bildungsforscherin Dr. Ewelina Mania

              Was sind die größten Hindernisse              bestimmte Zielgruppen negativ behaf-
              beim Zugang zu Bildung?                       tet sind. Sie verbinden damit vor allem
              Die Ursachen dafür, dass Menschen             Anstrengung und negative Schulerfah-
              Bildungsangebote unterdurchschnitt-           rungen.
              lich wahrnehmen, sind vielfältig. Man
              kann nicht sagen, es liegt an zu hohen        Sind prinzipiell alle Menschen bil-
              Kosten oder daran, dass der Veranstal-        dungsbereit?
              tungsort zu weit entfernt ist. Es ist viel-   Wir können davon ausgehen, dass alle
              mehr sehr komplex. Manchmal reicht            Menschen lernfähig und lernwillig
              eine Kleinigkeit – dass einem die Uhr-        sind. Ich habe für meine Studie über
              zeit nicht passt oder dass man den Ver-       die Weiterbildungsbeteiligung soge-
              anstaltungsort nicht kennt.                   nannter „bildungsferner Gruppen“ in
                                                            Berlin fast 50 Interviews mit Menschen
    Man sollte versuchen, Begriffe wie                      jeden Alters in einem sogenannten
    Weiterbildung oder Lernen zu ver-                       „sehr benachteiligten“ Quartier ge-
                                                            führt. Und es war keine Person dabei,
    meiden, weil sie für bestimmte
                                                            die nicht lernen wollte, sondern es ging
    Zielgruppen negativ behaftet sind.                      immer nur darum, was und wie man
                                                            lernt. Nicht für jeden sind organisierte
                   Aber der Hauptgrund ist wohl,            Angebote das Richtige.
              dass sehr viele Menschen gar nicht                 Man muss nicht alle Menschen
              wissen, was es alles gibt. Das ist meist      dazu bewegen, an organisiertem Ler-
              die erste Hürde bei den sogenannten           nen in einer Einrichtung teilzuneh-
              „Bildungsfernen“. Wenn sie nicht teil-        men, sondern es gibt auch andere
              nehmen, dann tun sie das nicht, weil          Wege, zum Beispiel selbstorganisiert
              sie kein Interesse haben oder nicht ler-      oder als Austausch im Sozialraum, also
              nen wollen, sondern weil sie oft die Art      im Wohnumfeld oder einfach in der
              der Angebote nicht kennen.                    Umgebung, in der sich die Person häu-
              Ältere Menschen stellen sich zum Bei-         fig aufhält.
              spiel unter Weiterbildung häufig be-               Ich spreche deshalb auch immer
              rufliche Weiterbildung vor und wissen         von „sogenannten Bildungsfernen“.
              gar nicht, dass es dabei auch um Dinge        Denn nicht die Menschen sind der Bil-
              geht wie persönliche Weiterentwick-           dung fern, sondern die Bildung oder
              lung oder Alltagswissen, wie der Um-          die Art, wie Bildung angeboten wird,
              gang mit Geld, oder um Austausch              passt nicht zu dem, was sich die Men-
              und Begegnung. Man sollte versuchen,          schen vorstellen oder was sie brauchen.
              sich stärker auf die Inhalte zu beziehen
              und Begriffe wie Weiterbildung oder
              Lernen eher zu vermeiden, weil sie für

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Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59
ZUGANG ZU BILDUNG

Müssen sich Bildungsträger stärker        nicht praxisnah vermittelt. Angebote
auf die Zielgruppen zubewegen,            zu lebenspraktischen Dingen können
auch räumlich?                            einen Zugang zu schwer erreichbaren
Auf jeden Fall. Wir müssen weg von        Zielgruppen schaffen.
dieser Komm-Struktur und hin zu
einer Geh-Struktur, anstatt dass die      Andere wichtige Aspekte sind Aus-
Leute zu uns kommen, müssen wir zu        tausch und Begegnung, das heißt An-
ihnen hingehen. Das kann heißen, dass     gebote, die gegen Vereinsamung wir-
man die Veranstaltungen im Quartier       ken, die einem das Gefühl vermitteln,
macht oder bei Stadtteilfesten auf die    dass man wichtig ist, dass man etwas
Angebote aufmerksam macht oder die        Sinnvolles tut. Es sollte also nicht nur
Orte besucht, wo die Menschen sowie-      um Kompetenzen für den Alltag gehen,
so hingehen. Das können Mehrgenera-       sondern auch um sozialen Austausch
tionenhäuser sein, das können Kirchen     und persönliche Weiterentwicklung.
sein oder ganz andere Orte, mit denen
man gemeinsam Angebote macht. Man
kann auch mit Ärzten, mit Schuldner-
beratungsstellen oder allen möglichen
sozialen Diensten zusammenarbeiten,
die Kontakt zu den Menschen haben,
und so auf Angebote aufmerksam ma-
chen.

Welche Inhalte sollten angeboten
werden?
                                           ZUR PERSON
Es sollten Inhalte sein, die einen kon-
kreten Nutzen haben, die für den All-
                                             Dr. Ewelina Mania ist Wissen-
tag der Menschen sinnvoll sind. Wir          schaftliche Mitarbeiterin am
beschäftigen uns am Deutschen In-            Deutschen Institut für
stitut für Erwachsenenbildung zum            Erwachsenenbildung –
Beispiel mit dem Thema Finanzielle           Leibniz-Zentrum für Lebens-
Grundbildung. Der Umgang mit Geld            langes Lernen e. V. in Bonn.
betrifft sehr viele Menschen, wird
aber im Bildungssystem immer noch

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BESONDERE ZIELGRUPPEN

              Bildungsanbieter müssen umdenken
              Interview mit der Pädagogin Sabine Hantzko

              Ältere Menschen werden häufig als            abgehängt wird. Hilfreich sind auch
              homogene Gruppe gesehen. Stimmt              Angebote in Leichter Sprache. Es muss
              das?                                         ein geschützter Rahmen sein, in dem
              Die Gruppe der Seniorinnen und Se-           man nachfragen kann und weiß, da
              nioren ist sehr, sehr vielfältig. Es fängt   lacht keiner oder verdreht die Augen.
              schon mit der Frage an, ab wann man          Verschiedene Ansprechpersonen sind
              dazu gehört. Neben der Altershetero-         sinnvoll, weil jeder Mensch unter-
              genität gibt es die Vielfalt der sozialen    schiedliche Bedürfnisse hat – der eine
              Schichten. Es ist sehr wichtig, sich         kommt mit dem einen besser klar, der
              klarzumachen, dass bei älteren Men-          andere mit dem anderen. Die Ange-
              schen ganz unterschiedliche Voraus-          bote sollten auch kostenmäßig nied-
              setzungen vorliegen, auch finanziell.        rigschwellig sein. Dazu gehört auch,
              Das spielt auch beim Thema Digitali-         dass man zum Beispiel Geräte aus-
              sierung eine Rolle: Manche haben eine        leihen kann und dass man ein freies
              Topausstattung, manche bekommen              WLAN anbietet. Die bundesweit 420
              alte Geräte von ihren Kindern ge-            Seniorenbüros verfolgen in ihren Bil-
              schenkt, andere können sich die Ge-          dungsangeboten in Hinsicht auf Digi-
              räte nicht leisten und haben nicht die       talisierung viele verschiedene Ansätze,
              Möglichkeit, zu Hause ins Internet zu        verbindend ist aber, dass immer die
              gehen.                                       individuellen Bedürfnisse und Fähig-
                                                           keiten der Seniorinnen und Senioren
                                                           berücksichtigt werden.
    Es ist wichtig, dass wir jeden Menschen
    in seinem Wert und seinen Fähigkeiten                  Wie kann man spezielle Zielgruppen
    sehen.                                                 erreichen?
                                                           Das ist eine schwierige Frage. Zu-
                  Auch die Kenntnisse sind ganz un-        nächst einmal ist dazu sehr viel Öf-
              terschiedlich. Die einen haben schon         fentlichkeitsarbeit erforderlich. Wenn
              im Beruf Erfahrungen mit digitalen           man alle erreichen will, von bildungs-
              Medien gemacht, andere überhaupt             fernen Schichten bis hin zu Menschen
              nicht.                                       mit Einschränkungen, dann muss man
                                                           umdenken. Mit Werbung in der klas-
              Was heißt das für entsprechende Bil-         sischen Tageszeitung ist es nicht getan,
              dungsangebote?                               weil viele Menschen mit niedrigem
              Sie müssen niedrigschwellig und an           Einkommen sich die nicht mehr leis-
              den unterschiedlichen Bedürfnissen           ten können und auch sonst von vie-
              und Voraussetzungen ausgerichtet             len Dingen abgeschnitten sind. Und
              sein. Das heißt, es muss kleinschrittig      Seniorinnen und Senioren, die nicht
              vorgegangen werden, damit niemand            digital angebunden sind, können auch

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Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59
BESONDERE ZIELGRUPPEN

nicht mal eben googeln, was es an       wenn sie mal nicht teilnehmen kön-
Angeboten gibt. Von daher muss man      nen, nicht das Gefühl haben, den An-
bestimmte Zielgruppen auch anders       schluss zu verpassen, sondern wieder
ansprechen.                             einsteigen können. Wenn Menschen
     Hinweise in „Umsonst-Blättchen“,   geistige Einschränkungen haben, kann
Plakate und Ähnliches können hilf-      das manchmal in einer Gruppe aufge-
reich sein. Bei Menschen mit Migra-     fangen werden. Es ist wichtig, dass wir
tionshintergrund ist es wichtig, dass   jeden Menschen in seinem Wert und
man eine Person hat, die „Türöffner“    seinen Fähigkeiten sehen.
ist, damit man sich erst mal kennen-         Bildung heißt nicht nur, dass es
lernt, einen Bezug findet und dann      einen gibt, der etwas beibringt und ei-
irgendwann diese Vielfalt auch leben    nen, der etwas lernt, einen, der bedürf-
kann. Einige Seniorenbüros haben        tig ist, und einen, der hilft. Sondern alle
dazu Patenschaften ins Leben gerufen.   können ganz viel voneinander lernen
Die Hemmschwelle, Bildungsangebote      – Rücksichtnahme, fachliches Wissen,
zu nutzen, ist bei Menschen mit Mig-    Toleranz, Geduld. Jeder hat etwas zu
rationshintergrund noch relativ groß.   bieten und zu geben, woran der andere
Hier brauchen wir noch mehr Aufklä-     auch wachsen kann.
rung, noch mehr Öffentlichkeitsarbeit
und noch mehr Zeit, dass alles zusam-
menwächst.

Was müssen Bildungsanbieter sonst
noch beachten, um der Vielfalt ge-
recht zu werden?
Für Menschen mit starken körperli-       ZUR PERSON
chen Einschränkungen ist es aus Grün-
                                           Sabine Hantzko leitet den
den der Mobilität schwierig, Gruppen-
                                           Seniorenstützpunkt in Celle
angebote wahrzunehmen. Da müsste           und ist stellvertretende
sich grundlegend etwas ändern, da-         Vorsitzende der Bundes-
mit ihre Teilhabe gewährleistet wird.      arbeitsgemeinschaft
Grundsätzlich sind für Menschen mit        Seniorenbüros e. V.
gesundheitlichen     Einschränkungen
offene Angebote wichtig, damit sie,

                                                                                          9
Bildung und Digitalisierung für ältere Menschen - Im Fokus: Vielfalt stärken - PUBLIKATION NR. 59
ÄLTERE MIT MIGRATIONSHINTERGRUND

                Herausforderung digitale Welt
                In Ratingen, Essen und Regensburg erhalten ältere Menschen
                mit Migrationshintergrund Unterstützung.

                W      ir sind schon über ein halbes
                       Jahrhundert in diesem Land
                und müssen uns auch mit Krankhei-
                                                          telefonisch vereinbaren, sondern nur
                                                          noch über das Internet.“ Der Ver-
                                                          ein hat deshalb das Projekt „Bildung
                ten, Behinderungen und dem Alter          leicht gemacht: Wir lernen spielend“
                beschäftigen – das gehört auch zum        gestartet, ein regelmäßiges Treffen für
                Leben“, sagt Sami Celik, der Geschäfts-   ältere Menschen, die sich technisch
                führer des Türkischen Elternvereins       weiterbilden wollen oder ein spezielles
                Ratingen. Gegründet wurde der Verein      Anliegen haben, bei dem sie Hilfe be-
                vor mehr als 30 Jahren, um eingewan-      nötigen. „Wir erklären die Dinge in ein-
                derten Familien bei Schulproblemen        facher Sprache“, sagt Celik, der früher
                zu helfen. Inzwischen ist er auch eine    Türkischlehrer war. „Das Lernen ist
                Anlaufstelle für Seniorinnen und Seni-    spielerisch, in angenehmer Atmosphä-
                oren. „Sie haben oft Fragen zu gesund-    re. Es gibt Tee, Kaffee und ein paar
                heitlichen Problemen oder zur Rente“,     Kleinigkeiten zu essen. Anschließend
                berichtet Celik. „Wir geben ihnen erste   wird meist Rommé oder Backgammon
                Informationen, nennen ihnen die ent-      gespielt.“
                sprechenden Institutionen und helfen           Bei den Treffen taucht auch häufig
                bei Alltagsproblemen, wie dem Aus-        das Thema Alten- und Pflegeheime auf:
                füllen von Formularen.“                   „Wir werden immer wieder gefragt, ob
                                                          es Häuser gibt, die zum Beispiel mus-
     Es gibt Tee, Kaffee und ein paar                     limisches Essen oder zweisprachige
     Kleinigkeiten zu essen.                              Pflege anbieten“, berichtet Sami Celik.
                                                          „Wir haben uns gemeinsam ein inter-
                    Für viele sei es eine große Heraus-   kulturelles Heim in Duisburg ange-
                forderung, immer mehr Dinge online        schaut und würden gern noch weite-
                erledigen zu müssen, erzählt Celik.       re Häuser besuchen, aber leider gibt
                „Sie können zum Beispiel Termine          es nur ganz wenige.“ Nachholbedarf
                beim Türkischen Generalkonsulat oder      sieht er auch in der eigenen Gemein-
                bei der Rentenversicherung nicht mehr     schaft: „In Nordrhein-Westfalen gibt
                                                          es etwa 500 türkische Vereine und
                                                          Organisationen. Davon sind weniger
 Bildung leicht gemacht: Wir lernen spielend |            als ein Dutzend für ältere oder kranke
 Ratingen, Nordrhein-Westfalen                            Menschen.“
 Türkischer Elternverein Ratingen e. V.
 E-Mail: info@tev-ratingen.de
 http://www.tev-ratingen.de

10
ÄLTERE MIT MIGRATIONSHINTERGRUND

I  n Essen gibt es eine große russische
   Gemeinschaft, zu der auch viele Se-
niorinnen und Senioren gehören. Sie
                                           sie schildern, welche Erfahrungen sie
                                           mit digitalen Medien haben und wo es
                                           Hindernisse gibt.“
treffen sich regelmäßig in den Räumen
der jüdischen Gemeinde. „Einige von                    Der Film kann dabei helfen, mehr
ihnen nutzen bereits digitale Medien,                  Selbstvertrauen im Umgang mit digitalen
andere sind komplette Laien“, berich-                  Medien zu gewinnen.
tet Anna Bondarenko vom Deutschen
Verein russischsprachiger Ärzte und             Außerdem dokumentiert der Film
Psychologen. Um älteren Menschen           einen gemeinsamen Ausflug der Grup-
die Möglichkeiten des Internets vorzu-     pe in den Römerpark in Xanten, den
stellen, brachte sie das Projekt „Senio-   die Seniorinnen und Senioren mit
ren-Filmproduktion Digitale Medi-          ihren neu erworbenen Kenntnissen
en-Challenge“ auf den Weg. Das Ziel:       selbstständig vorbereiteten: Sie nutz-
Russischsprachige Seniorinnen und          ten das Internet, um Informationen zu
Senioren drehen einen Film über die        suchen und Tickets zu kaufen.
alltäglichen Herausforderungen der              Den fertig geschnittenen und un-
digitalen Welt. „Die Idee wurde sehr       tertitelten Film will Anna Bondarenko
gut angenommen“, berichtet Bonda-          anderen russischsprachigen Gruppen
renko. Es fanden sich etwa 15 Perso-       in Deutschland zur Verfügung stellen.
nen zwischen 70 und 80 Jahren, die In-     Sie ist sich sicher: „Der Film kann ih-
teresse daran hatten.                      nen dabei helfen, mehr Selbstvertrau-
     „Wir haben den Seniorinnen und        en im Umgang mit digitalen Medien
Senioren zunächst Skype, Wikipedia         zu gewinnen.“
und Gmail vorgestellt, als Beispiele
dafür, wie sie das Internet nutzen kön-
nen“, erzählt Bondarenko. Außerdem
erhielten sie eine Einführung, wie man       Senioren-Filmproduktion Digitale Medien-
mit dem Smartphone filmen kann.              Challenge | Essen, Nordrhein-Westfalen
„Sie haben sich dann gegenseitig dabei       Deutscher Verein russischsprachiger Ärzte
gefilmt, wie sie mit Verwandten tele-        und Psychologen e.V.
fonieren, sich im Netz Informationen         E-Mail: n.tsirina@gmail.com
besorgen und E-Mails schreiben. Und          https://www.rpa-ev.de
wir haben Interviews gedreht, in denen

                                                                                         11
ÄLTERE MIT MIGRATIONSHINTERGRUND

               I  n Regensburg gibt es etwa 50 Ehren-
                  amtliche, die ältere Menschen beim
               Umgang mit digitaler Technik unter-
                                                         auf Russisch, Türkisch und Deutsch,
                                                         und einen Artikel in einer kostenlosen
                                                         türkischsprachigen Zeitung veröffent-
               stützen, und zwar sowohl in öffentli-     licht“, erklärt Silvia Berthold vom Se-
               chen Räumen als auch zu Hause. Koor-      niorenamt. Die Wirkung dieser Wer-
               diniert vom Treffpunkt Seniorenbüro       bung war allerdings begrenzt.
               (TPS) bieten sie Einzelschulungen an,          „Am besten ist es, wenn man die
               beraten beim Gerätekauf und helfen        Angebote dort vorstellt, wo sich Men-
               bei technischen Problemen. Weil Mi-       schen mit Migrationshintergrund
               grantinnen und Migranten diese An-        treffen“, ist Bertholds Erfahrung. „In
               gebote jedoch selten wahrnehmen, ini-     Regensburg sind das zum Beispiel die
               tiierte das Seniorenamt der Stadt das     Stadtteilprojekte. Dort gibt es russi-
               Projekt „Grenzenlos – Migranten mit       sche bzw. osteuropäische Gruppen.
               Zuhause vernetzt“.                        Und wenn Migrantengruppen spezi-
                                                         elle Treffs haben, dann bieten wir die
     Am besten ist es, wenn man die Ange-                Schulungen dort an, auf Wunsch auch
     bote dort vorstellt, wo sich Menschen               mit Ehrenamtlichen, die dolmetschen
     mit Migrationshintergrund treffen.                  können.“ Letztlich will Berthold die
                                                         verschiedenen Zielgruppen jedoch
                   Es richtet sich an ältere, zugewan-   wieder zusammenführen: „Das Projekt
               derte Menschen, die sich nicht trauen,    soll ein Türöffner sein, um Migrantin-
               ein Tablet oder Smartphone zu bedie-      nen und Migranten an die Standardan-
               nen, und soll ihnen dabei helfen, mit     gebote heranzuführen.“
               ihren Verwandten im Herkunftsland              Dasselbe Ziel verfolgt auch ein
               in Kontakt zu bleiben. „Wir haben         internationales Internetcafé, das die
               einen dreisprachigen Flyer gemacht,       Stadt Regensburg im Aktivzentrum
                                                         des TPS einrichtet. Besucherinnen
 Grenzenlos – Migranten mit Zuhause vernetzt |           und Besucher können die Technik dort
 Regensburg, Bayern                                      selbstständig nutzen, erhalten aber
 Stadt Regensburg, Seniorenamt                           auch Hilfe, wenn sie Fragen haben.
 E-Mail: berthold.silvia@regensburg.de                   „Das Internetcafé ist nicht zielgrup-
 https://www.regensburg.de/leben/senioren/senioren       penspezifisch, sondern für alle“, sagt
 amt-der-stadt-regensburg/treffpunkt-seniorenbuero       Silvia Berthold. „Im Vordergrund steht
                                                         die Technik und nicht die Herkunft.“

12
ÄLTERE MIT WENIG BILDUNGSERFAHRUNG

Probieren geht über Studieren
Ein Projekt in Celle ermutigt Ältere mit knappem Budget,
digitale Medien kennenzulernen.

N     icht jeder ältere Mensch kann
      sich ein Smartphone oder Tablet
leisten. Und die Hemmschwelle, sich
                                           stunde. Begleitet werden die Gruppen
                                           von Ehrenamtlichen.

ein Gerät zu kaufen oder zu Hause                       Uns war wichtig, dass das Projekt
einen Internetzugang zu installieren,
ist umso größer, wenn man sich nicht
                                                        auch in finanzieller Hinsicht niedrig-
damit auskennt und gar nicht weiß, ob                   schwellig ist.
man die Technik nutzen wird. In Celle
gibt es deshalb einen „ComputerTreff           „Die verstehen sich jedoch nicht
für Seniorinnen und Senioren mit           als Allwissende“, sagt Sabine Hantz-
knappem Budget und Bildungsfer-            ko. „In den Gruppen sind Menschen
ne“. Sie können einfach vorbeikom-         mit ganz verschiedenen Kenntnissen,
men und Dinge ausprobieren, auch           die sich gegenseitig unterstützen. Bei
ohne eigenes Gerät.                        diesem Thema ist die Entwicklung ja
     „Uns war wichtig, dass das Projekt    so rasant, dass sich gar nicht mehr so
auch in finanzieller Hinsicht niedrig-     leicht feststellen lässt, wer mehr weiß.
schwellig ist“, erklärt Sabine Hantzko,    Das wechselt ja auch ständig, sobald
die Leiterin des Seniorenstützpunkts       jemand ein neues Gerät hat. Digitale
Celle. „Manche Kurse kosten ja so viel,    Bildung hat andere Herausforderun-
dass die Menschen gar nicht daran teil-    gen als klassische Bildungsarbeit.“
nehmen können, geschweige denn sich
die Geräte kaufen können.“ Der Com-
puterTreff ist deshalb als offener Treff
und nicht als Kurs angelegt. Man muss
nicht regelmäßig kommen und bezahlt
für die Teilnahme nur einen Euro. Man
kann dort Geräte nutzen und sogar
ausleihen. Vorkenntnisse sind nicht
notwendig. Bei Bedarf wird in Leichter
Sprache erklärt.
     „Zur Niedrigschwelligkeit gehört
auch, dass wir auf die konkreten Inter-      ComputerTreff für Seniorinnen und Senioren
essen der Menschen reagieren, sie ein-       mit knappem Budget und Bildungsferne | Celle,
beziehen“, erklärt Hantzko. So haben         Niedersachsen
sich im Laufe der Zeit fünf Gruppen          SPN-Seniorenstützpunkt Celle
zu verschiedenen Themen gebildet, die        E-Mail: info@senioren-celle.de
sich alle 14 Tage treffen. Zudem gibt es     http://www.senioren-celle.de
regelmäßig eine Smartphone-Sprech-

                                                                                             13
ÄLTERE MIT EINSCHRÄNKUNGEN

               Barrieren abbauen
               Bildungsangebote für ältere Menschen, die nur
               eingeschränkt sehen oder hören können.

               W       er kennt das nicht: Schlüssel
                       verlegt, Passwort vergessen,
               Termin versäumt. Vergesslichkeit be-
                                                            was man machen soll, und löst die Auf-
                                                            gabe mündlich für sich selbst – muss
                                                            also nichts lesen und aufschreiben“,
               trifft beileibe nicht nur ältere Men-        erklärt Kleinpeter. Die Ausbildungs-
                        schen, doch ist es für sie be-      referentin des Bundesverbands ist mit
                            sonders sinnvoll, geistig fit   der Materie vertraut, denn sie hat be-
                              zu bleiben. Der Bundes-       reits viele Blinde und Sehbehinderte als
                              verband Gedächtnistrai-       Gedächtnistrainerinnen und -trainer
                              ning beschäftigt sich seit    ausgebildet.
                              vielen Jahren mit dem              Die Übungen werden als CD und
                              Thema und hat Übungen         13-teiliger Podcast angeboten, jede
                              entwickelt, die unter an-     Folge dauert etwa fünf bis zehn Minu-
                            derem die Konzentration,        ten. „Es gibt eine allgemeine Einleitung
                        die Merkfähigkeit, die Denk-        und zwölf Folgen, in denen jeweils ein
               flexibilität, die Wortfindung und die        Trainingsziel und eine entsprechende
               Urteilsfähigkeit verbessern.                 Übung erklärt werden.“ Dabei ist dem
                                                            Bundesverband Gedächtnistraining ein
     Man löst die Aufgabe mündlich – muss                   ganzheitlicher Ansatz wichtig, betont
                                                            Martina Kleinpeter: „Die Übungen
     also nichts lesen und aufschreiben.
                                                            bieten Spannung und Entspannung, es
                                                            werden beide Gehirnhemisphären an-
                   Für viele der Übungen benötigt           gesprochen, es gibt Bewegungsübun-
               man jedoch Stift und Papier, muss le-        gen, um Körper, Seele und Geist zu
               sen oder Bilderrätsel lösen. Für blinde      berücksichtigen. Zum ganzheitlichen
               und sehbehinderte Menschen stellte           Gedächtnistraining gehört auch, dass
               dies bislang eine Hürde dar. Die Ge-         eine angenehme Atmosphäre herrscht,
               dächtnistrainerin Martina Kleinpeter         niemand vorgeführt wird, und es kein
               hat deshalb für das Projekt „zugehört        richtig oder falsch gibt.“
               & nachgedacht“ Übungen zum Hören                  Genutzt werden können die Übun-
               zusammengestellt: „Man hört sich an,         gen zum Hören natürlich von allen In-
                                                            teressierten – nicht nur von Blinden
 zugehört & nachgedacht | bundesweites Angebot              und Sehbehinderten.
 Bundesverband Gedächtnistraining e. V.
 E-Mail: mkleinpeter@bvgt.de
 https://bvgt.de

14
ÄLTERE MIT EINSCHRÄNKUNGEN

B    eim Thema Barrierefreiheit denkt
     man meist zuerst an rollstuhlge-
rechte Zugänge. Eine andere Barriere,
                                            der Sender allerdings immer an dieje-
                                            nige Person weitergereicht werden, die
                                            spricht. Da arbeiten wir gerade noch
die viele Ältere betrifft, wird häufig      an technischen Verbesserungen.“
nicht berücksichtigt: Probleme beim             „Bildungseinrichtungen       sollten
Hören. „Menschen mit einer Hörschä-         Höranlagen stärker einsetzen“, emp-
digung ziehen sich oft aus Gruppen zu-      fiehlt die Mitarbeiterin der Nachbar-
rück, weil sie sich nicht an Gesprächen     schaftsagentur. Hilfreich ist es, wenn
beteiligen können“, hat Carola Wa-          die Betroffenen ein Hörgerät haben,
gener-Ernst von der Nachbarschafts-         das auf diese Systeme zurückgreifen
agentur Dortmund-Wambel beob-               kann, denn dann müssen sie keinen
achtet. „Man kann schon an ihrem            Kopfhörer tragen.
Gesichtsausdruck sehen, dass sie sich
ausgeschlossen fühlen.“                                  Bildungseinrichtungen sollten
     Wenn jemand kaum noch hören
                                                         Höranlagen stärker einsetzen.
kann, reichen Hörgeräte nicht mehr
aus, dann ist eine Höranlage hilfreich.
Diese Systeme sind in manchen Kir-               Carola Wagener-Ernst hat jedoch
chen und öffentlichen Gebäuden ins-         festgestellt, dass solche verstellbaren
talliert, doch immer noch viel zu selten.   Hörgeräte nicht sehr weit verbreitet
Die Nachbarschaftsagentur hat für ihr       sind. Sie wünscht sich, dass Hörakus-
Projekt „Integrative Englischsprach-        tiker stärker auf diese Möglichkeit hin-
gruppe für Menschen mit und ohne            weisen: „Es gibt gute technische Lösun-
Hörschädigung“ ein solches System           gen, um diese Barriere zu überwinden.
angeschafft.                                Aber man muss richtig beraten, damit
     „Die Höranlage funktioniert su-        sie auch genutzt werden können.“
per“, berichtet Wagener-Ernst. „Sie ist
auch deshalb gut, weil sie mobil ist.“
Das Prinzip ist simpel: Die Person, die       Integrative Englischsprachgruppe für Menschen
spricht, erhält einen Sender mit einem        mit und ohne Hörschädigung | Dortmund,
Aufsteckmikrofon. Die Person, die             Nordrhein-Westfalen
Probleme mit dem Hören hat, erhält            Nachbarschaftsagentur Dortmund-Wambel
einen Empfänger. Bei Vorträgen ist            E-Mail: carola.wagener-ernst@nachbarschafts-agentur.de
das ganz einfach, so die Erfahrung von        https://www.nachbarschafts-agentur.de
Wagener-Ernst. „In der Gruppe muss

                                                                                                  15
ÄLTERE MIT EINSCHRÄNKUNGEN

                Wohnungsnahe Angebote
                In Berlin, Düsseldorf und Bielefeld können Ältere mit Behin-
                derung oder begrenzter Mobilität das Internet erkunden.

                D    er Berliner Verwaltungsbezirk
                     Marzahn-Hellersdorf hat gut
                260.000 Einwohnerinnen und Ein-
                                                           Verein kommt, sondern gehen dorthin,
                                                           wo sich Ältere sowieso treffen, zum
                                                           Beispiel zu Tanzveranstaltungen oder
                wohner – und damit etwa so viele wie       zum Skatnachmittag, und weisen auf
                Gelsenkirchen. Die Größe des Bezirks       unsere Angebote hin.“ Derzeit stehen
                erfordert dezentrale Angebote, erklärt     Vereinsmitglieder in vier Außenstellen
                Siegfried Klarhöfer vom Verein Net-        regelmäßig bei allen Fragen rund um
                Computer Lernen: „Für uns sind woh-        Hardware, Software und Internet zur
                nungsnahe Hilfen ganz wichtig, weil        Verfügung. Wenn Menschen gehbe-
                wir auch bewegungseingeschränkte           hindert sind oder Probleme mit Gerä-
                und technisch wenig affine Menschen        ten daheim haben, machen sie Haus-
                erreichen wollen. Deshalb heißt unser      besuche.
                Projekt auch ‚Wohnungsnahe Hilfen               „Zu uns kommen Menschen von
                für ältere Bürger bei der lebenswelt-      Anfang 60 bis Anfang 80, die in ihrem
                bezogenen Nutzung zeitgemäßer In-          Arbeitsleben mit modernen Informa-
                formations- und Kommunikations-            tions- und Kommunikationsmitteln
                technologien‘.“                            nicht viel zu tun hatten“, berichtet Klar-
                                                           höfer. „Angefangen von der Verkäufe-
     Wir warten nicht, bis jemand zu uns                   rin, die über -zig Jahre an der Kasse ge-
     kommt, sondern gehen dorthin, wo sich                 arbeitet hat, bis zum Maurer, der mit
     Ältere sowieso treffen.                               der Kelle und dem Mörtelmixer um-
                                                           gehen kann, aber mit dem Computer
                    Der Computerclub unterstützt äl-       nichts zu tun hatte. Also Leute, die kei-
                tere Menschen nicht nur in seinem          ne Gelegenheit hatten, da näher einzu-
                Vereinslokal, sondern arbeitet eng mit     steigen, und es jetzt endlich mal wissen
                Stadtteilzentren, Mieterclubs und Bür-     wollen.“
                gerhäusern zusammen. „Wir sind im               Der Verein existiert bereits seit 22
                ganzen Stadtbezirk gut vernetzt. Wir       Jahren. Die etwa 50 Mitglieder sind
                warten nicht, bis jemand zu uns in den     selbst schon älter und engagieren sich
                                                           alle ehrenamtlich. Auch Siegfried Klar-
                                                           höfer ist schon seit vielen Jahren mit
 Wohnungsnahe Hilfen für ältere Bürger bei der             Begeisterung dabei: „Wenn wir nicht
 lebensweltbezogenen Nutzung zeitgemäßer Infor-            selber Freude daran hätten, würden
 mations- und Kommunikationstechnologien | Berlin          wir es nicht machen.“
 NetComputer Lernen g. e. V.
 E-Mail: Klarhoefer1@t-online.de; raperichter@web.de
 http://www.netcomputer-lernen.de/leuchtturmprojekt.html

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ÄLTERE MIT EINSCHRÄNKUNGEN

W       ir sind ein inklusives Team: Bei
        uns arbeiten Menschen mit und
ohne Behinderung“, sagt Nadja Zaynel
                                           wer eine sogenannte geistige Behinde-
                                           rung hat, lernt, mit Hürden und Bar-
                                           rieren umzugehen, indem er sich die
vom Piksl-Labor in Düsseldorf. Das         Dinge vereinfacht. Und das ist eine Ex-
Labor will Menschen mit wenig oder         pertise, von der jeder profitiert. Denn
gar keiner Interneterfahrung einen         in einer Welt, in der alles immer kom-
Einstieg in die digitale Welt ermög-       plexer wird, freut sich jeder, wenn et-
lichen. Es richtet sich an Menschen        was einfach erklärt wird.“
jeden Alters, mit und ohne Behinde-
rung. Seit 2011 gibt es das Piksl-Labor                 In einer Welt, in der alles immer
in Düsseldorf, 2015 wurde ein weiteres                  komplexer wird, freut sich jeder, wenn
in Bielefeld-Bethel eröffnet.                           etwas einfach erklärt wird.
    Damit auch ältere Menschen mit
eingeschränkter Mobilität das Ange-             Wichtig sei, zu schauen, was die
bot wahrnehmen können, starteten die       Seniorinnen und Senioren interessiert,
Labore das Projekt „PIKSL mobil in         sie zu motivieren und Ängste abzu-
Altentagesstätten“. „Uns haben immer       bauen, so Nadja Zaynel. „Viele denken,
wieder Seniorinnen und Senioren an-        sie lernen es nie, und geben schnell
gerufen, die sagten, ich wohne in einem    auf. Aber wir vermitteln ihnen: Alles in
anderen Stadtteil und kann nicht zu        Ordnung; niemand kann das aus dem
Ihnen kommen“, erzählt Zaynel. „Wir        Stegreif; es hat viel mit Übung zu tun.
bieten deshalb in Altentagesstätten in     Und oft ist es motivierend für sie, wenn
Düsseldorf und Bielefeld Schulungen        sie sehen, dass jemand, der nicht lesen
an, weil das für ältere Menschen An-       und schreiben kann, damit umgehen
laufstellen in ihrem sozialen Umfeld       kann.“
sind, wo sie Gymnastik machen, Kaf-
fee trinken, mit anderen ins Gespräch
kommen.“
    Das Besondere ist, dass diese            PIKSL mobil in Altentagesstätten | Düsseldorf und
Smartphone- und Tablet-Schulungen            Bielefeld, Nordrhein-Westfalen
von einem Tandem gemacht werden –            In der Gemeinde leben gGmbH
einer Fachkraft und einer Person mit         E-Mail: nadja.zaynel@igl-duesseldorf.de;
                                             benjamin.koepsell@bethel.de
sogenannter geistiger Behinderung.
                                             https://piksl.net
„Wir nennen sie Piksl-Expertinnen
und -Experten“, erklärt Zaynel. „Denn

                                                                                                 17
ÄLTERE MIT PFLEGEBEDARF

               Neue Möglichkeiten eröffnen
               Projekte in Moers und Hannover nutzen digitale Medien,
               um die Teilhabe von Pflegebedürftigen zu verbessern.

               D    ie Grafschafter Diakonie bietet in
                    ihrem Seniorenbüro in Moers-
               Repelen älteren Menschen seit vielen
                                                         Bestellung über Skype oder eine App,
                                                         die Nachrichten übermittelt (Messen-
                                                         ger), entgegennehmen und an Ge-
               Jahren Beratung an. Außerdem koor-        schäfte weiterleiten, die das Gewünsch-
               diniert sie einen nachbarschaftlichen     te dann liefern.
               Unterstützungsdienst: Ehrenamtliche           Die Umsetzung des Vorhabens
               besuchen Seniorinnen und Senioren,        erwies sich jedoch schwieriger als ge-
               lesen ihnen vor, gehen mit ihnen spa-     dacht. „Zunächst mussten die techni-
               zieren und begleiten sie bei Einkäufen.   schen Voraussetzungen im Senioren-
                                                         büro verbessert werden, um mit den
                                                         Ratsuchenden störungsfrei in Ver-
     Wir wollen zum Beispiel für die Beratung
                                                         bindung treten zu können“, erzählt
     auch Skype nutzen.                                  Schwabe. „Dann gab es datenschutz-
                                                         rechtliche Bedenken bezüglich der
                   Mit dem Projekt „Digitalisierung      Messenger-Dienste, die genutzt wer-
               und Bildung für ältere Menschen:          den sollen.“
               Der digitale Besuchs-und Beratungs-           Die größte Herausforderung be-
               dienst“ soll dieses Angebot ausgeweitet   steht jedoch darin, die Hilfesuchenden
               werden. „Wir wollen zum Beispiel für      im Umgang mit der Technik zu schu-
               die Beratung auch Skype nutzen“, er-      len und Akzeptanz für das Projekt zu
               klärt Iris Schwabe von der Grafschafter   schaffen. „Die wirklich Betagten nut-
               Diakonie. „Für immobile, pflegebe-        zen eher die herkömmliche Methode,
               dürftige Menschen ist das hilfreich,      hier anzurufen. Sie wollen auch lieber
               weil sie sich nicht auf den Weg ma-       den persönlichen Kontakt“, so Iris
               chen müssen, man sich aber trotzdem       Schwabes Erfahrung. „Aber die Eh-
               sieht.“ Außerdem ist geplant, dass die    renamtlichen finden die Idee gut, vor
               ehrenamtlich Tätigen die älteren Men-     allem, was das Einkaufen betrifft. Und
               schen auch „digital“ besuchen. Anstatt    auch für jüngere Angehörige von Pfle-
               mit ihnen einzukaufen, könnten sie die    gebedürftigen ist diese Form der Kon-
                                                         taktaufnahme attraktiv.“
 Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen:
 Der digitale Besuchs- und Beratungsdienst | Moers,
 Nordrhein-Westfalen
 Grafschafter Diakonie gGmbH
 E-Mail: seniorenbuero@grafschafter-diakonie.de
 https://www.grafschafter-diakonie.de/seniorenbüro.
 html

18
ÄLTERE MIT PFLEGEBEDARF

I  n Hannover gibt es ehrenamtliche
   Medien- und Techniklotsen, die äl-
tere Menschen in Sprechstunden im
                                           Ansatz, den wir gerade ausprobieren.
                                           Dabei wird zunächst geschaut, was
                                           die Person früher gerne gemacht hat.
Quartier und zu Hause beim Umgang          Wenn sie zum Beispiel oft in Urlaub
mit Smartphone, Tablet und Computer        in Kühlungsborn an der Ostsee war,
unterstützen. „Die Nachfrage ist groß“,    setzen wir ihr die VR-Brille auf und
berichtet Patrick Ney vom Fachbereich      nutzen Google Earth, damit sie sich in
Senioren der Stadt Hannover. „Uns ist      Kühlungsborn umsehen kann.“
aber aufgefallen, dass sich Bewohne-
rinnen und Bewohner von Alten- und                      Digitale Biografiearbeit ist ein
Pflegeheimen kaum melden. Deshalb                       neuerer Ansatz, den wir gerade
haben wir das Angebot erweitert.“
                                                        ausprobieren.
     Die Ehrenamtlichen besuchen
jetzt auch regelmäßig drei Senioren-
zentren. Sie bringen Geräte mit und             Der Vorteil gegenüber einem Bild
zeigen Interessierten, was man damit       sei, dass die Brille einen quasi live in
machen kann. Dabei sei es wichtig,         den Ort versetze: „Das weckt viele Er-
die Dinge möglichst einfach zu erklä-      innerungen. Die Personen sind danach
ren und an die Interessen der älteren      in der Regel sehr positiv gestimmt und
Menschen anzuknüpfen: „Wenn sich           sehr gerührt. Selbst Menschen, die
jemand früher für Handarbeiten oder        sonst nicht viel kommunizieren, fan-
für Gartenarbeit interessiert hat, dann    gen an, zu erzählen“, so Patrick Ney.
kann man zum Beispiel Webseiten wie        Auf diese Weise können auch Men-
Pinterest zeigen. Das kann sehr moti-      schen mit körperlichen Einschränkun-
vierend sein.“                             gen und Menschen mit Demenz digital
     Das Projekt „Be Digital@Home“         teilhaben.
richtet sich aber auch an Menschen, die
Smartphones oder Tablets nicht selbst        Be Digital@Home, Hannover | Niedersachsen
bedienen können. „Dafür nutzen wir           Landeshauptstadt Hannover, Fachbereich Senioren
eine Virtual-Reality-Brille, mit der sie     E-Mail: patrick.ney@hannover-stadt.de
sozusagen in die digitale Welt gucken        https://www.hannover.de/Hannover/für-Senioren
können“, erklärt Ney. Dieses Medium
eigne sich auch sehr gut für digitale
Biografiearbeit: „Das ist ein neuerer

                                                                                               19
ÄLTERE MIT PFLEGEBEDARF

                Individuelle Interessen fördern
                In Memmingen und Friedrichshafen ermöglichen digitale
                Medien Pflegebedürftigen Musikgenuss und Zeitreisen.

                I  ch war während meines Studiums oft
                   im Pflegeheim und habe mit den Be-
                wohnerinnen und Bewohnern Volks-
                                                          zu und ist auf dem Tablet kinderleicht
                                                          zu bedienen. „Man gibt das Alter ein,
                                                          dann wird die Startplaylist gespielt“,
                lieder gesungen“, erzählt Thilo Weller.   erklärt Weller. „Auf dem Bildschirm
                „Dabei habe ich gemerkt, wie wichtig      erscheinen zwei Herzen. Drückt man
                Musik für sie ist.“ Das brachte den       auf das grüne Herz, wird das Stück ge-
                Musiklehrer auf eine Idee: Es müsste      speichert, drückt man auf das durch-
                doch möglich sein, dass Menschen, die     gestrichene rote Herz, dann kommt es
                in Pflegeeinrichtungen leben, jeder-      nicht mehr, bzw. das Genre wird weni-
                zeit selbstständig ihre Lieblingsmusik    ger gespielt. So entsteht nach und nach
                hören können. Gemeinsam mit einem         personalisierte Musik.“
                Informatiker und einer Musikpädago-           Als erste kommen die Bewohne-
                gin entwickelte er eine ganz einfache     rinnen und Bewohner der ambulant
                App, die den individuellen Musikge-       betreuten Wohngemeinschaft „Schloss
                schmack einer Person berücksichtigt.      Künersberg“ in Memmingen in den
                                                          Genuss der App. Doch Weller hofft,
                                                          dass sich die Idee möglichst weit ver-
     Es gibt zahlreiche Studien, die belegen,
                                                          breiten wird. Er hat dabei auch das
     wie beruhigend Musik wirkt.                          Pflegepersonal im Blick: „Wenn es je-
                                                          mand nicht gut geht, können die Fach-
                    Für das Projekt „Personalisier-       kräfte in der Playlist nachschauen, was
                te und barrierefreie Musik“ recher-       hört die Person gern, und das dann ab-
                chierten die drei zunächst, welche Stü-   spielen. Es gibt zahlreiche Studien, die
                cke für eine bestimmte Altersgruppe       belegen, wie beruhigend Musik wirkt
                von Bedeutung sind, und erstellten        und damit auch die Pflege erleichtert.“
                entsprechende Listen, die ganz unter-     Das gilt nicht zuletzt für Menschen mit
                schiedliche Genres umfassen – von         Demenz, wie Thilo Weller aus der Er-
                Schlager, Volksmusik und Musical          fahrung mit seinem Großvater weiß.
                über Klassik und geistliche Musik bis     In Erinnerung an ihn hat er die App
                hin zu Jazz. Die App greift auf YouTube   „Alfred“ genannt.

 Personalisierte und barrierefreie Musik – “Alfred” |
 Memmingen, Bayern
 LichtTalente-soziale Projekte in Memmingen e. V.
 info@mehrgenerationenhaus-mm.de
 http://www.mehrgenerationenhaus-mm.de/index.html

20
ÄLTERE MIT PFLEGEBEDARF

D     ie Bewohnerinnen und Bewoh-
      ner des Gustav-Werner-Stifts in
Friedrichshafen können seit einiger
                                           die Vergangenheit, zu den Gedanken,
                                           die sie beschäftigen, denn die meisten
                                           haben mit ihrer Vergangenheit nicht
Zeit die Software „Memocare“ nutzen,       abgeschlossen.“
die speziell auf die Bedürfnisse älterer       Die Software kann auch für Grup-
Menschen zugeschnitten ist. Sie bietet     pen genutzt werden, indem das Tablet an
Musik, Spiele, Rätsel und großformati-     den Fernseher angeschlossen wird, um
ge Bilder zu vielen Themen, man kann       einen größeren Bildschirm zu haben.
damit aber auch auf Zeitungen oder
die Tagesschau im Internet zugreifen.                  Die digitale Technik eröffnet
Tobias Günther, Fachbereichsleiter der                 den Menschen ein Tor in die
Altenhilfe Bodensee-Oberschwaben,
hat gute Erfahrungen mit „Memocare“
                                                       Vergangenheit.
gemacht: „Das Zusammenspiel von vi-
suellen und akustischen Komponenten             Tobias Günther ist es jedoch wich-
ist sehr hilfreich, denn etwa 80 Prozent   tig, dass der Einsatz digitaler Medien
der Menschen, die bei uns leben, haben     gezielt erfolgt: „Wenn in einer Gruppe
Handicaps, wie Hörschwächen, Seh-          zehn Menschen hochdement sind und
schwächen oder Demenz.“                    nur zwei orientiert, dann ist es nicht
     Manche können die Software auf        zielführend, die ganze Gruppe mit di-
dem Tablet allein bedienen, häufig         gitalen Medien zu bespielen. Andere
wird sie jedoch gemeinsam mit Betreu-      Formen der Betreuung und Aktivie-
ungspersonen, Ehrenamtlichen oder          rung wie Gymnastik, Ballspiele, Hand-
Angehörigen genutzt. Besonders be-         massagen oder Kuchenbacken dürfen
liebt ist Google Maps, erzählt Günther:    nicht sterben, nur weil man jetzt ein
„Wir machen damit so eine Art Zeitrei-     Tablet hat.“
se, indem wir in den Ort oder zu dem
Haus gehen, in dem der Mensch als            Memocare, Friedrichshafen | Baden-Württemberg
Kind oder Erwachsener gelebt hat. Das        Seniorenzentrum Gustav-Werner-Stift
empfinden viele als toll, weil sie Dinge     Friedrichshafen
wiedererkennen, und es löst noch mal         E-Mail: Tobias.Guenther@bruderhausdiakonie.de
andere Erinnerungen aus, als wenn            http://www.seniorenzentrum-friedrichshafen.de
man nur nachfragt. Die digitale Tech-
nik eröffnet den Menschen ein Tor in

                                                                                             21
ÄLTERE MIT DEMENZ

               Spielerischer Ansatz
               Projekte in Memmingen und Heilbronn erkunden die vielen
               Möglichkeiten, die Tablets für Demenzkranke bieten.

               W      enn Menschen an Demenz er-
                      kranken, ist das für die Betrof-
               fenen und ihre Familien oft eine große
                                                          den Möglichkeiten der Digitalisierung
                                                          teilhaben zu lassen“.
                                                               Tablets mit speziellen Program-
               Herausforderung. In Memmingen hat          men für Menschen mit Demenz bie-
               es sich der Verein Familiengesundheit      ten viele Vorteile, erzählt Kuntz: „Man
               21 zur Aufgabe gemacht, sowohl Men-        kann damit besser auf individuelle
               schen mit Demenz als auch ihre Ange-       Wünsche eingehen. Denn jeder kann
               hörigen und Fachkräfte zu unterstüt-       das machen, was er möchte – ein Spiel
               zen. Der im Mehrgenerationenhaus           spielen, Fotos anschauen, Musik hö-
               angesiedelte Verein bietet Beratung,       ren, Bilder malen oder sich Geschich-
               einen Besuchsdienst und zwei Wohn-         ten vorlesen lassen. Früher hatten wir
               gemeinschaften, die von professionel-      eine Spielekiste, aber wenn der eine
               len und ehrenamtlichen Kräften be-         Schach spielen wollte und der andere
               treut werden.                              Mensch ärgere Dich nicht, dann klapp-
                                                          te das nicht gut.“ Ein weiterer Vorteil:
     Menschen, die am Rand stehen, sollen                 Menschen, die schlecht hören, können
                                                          Kopfhörer oder Lautsprecher nutzen.
     an den Möglichkeiten der Digitalisierung
                                                          Für diejenigen, die schlecht sehen, lässt
     teilhaben können.                                    sich die Schriftgröße auf dem Bild-
                                                          schirm anpassen.
                    Einer der Ehrenamtlichen ist Gün-          Auch für pflegende Angehörige
               ther Kuntz, der nach persönlichen          zu Hause kann ein Tablet von Nutzen
               Erfahrungen mit seiner dementen            sein, berichtet Diana Elverich vom
               Mutter beschloss, sich in diesem Be-       Mehrgenerationenhaus. „Es ist für sie
               reich zu engagieren. Der 67-Jährige        eine Entlastung, wenn die demente
               ist federführend am Projekt „Tablets       Person für einen gewissen Zeitraum
               für die Betreuung von Pflegebedürf-        beschäftigt ist. Da reichen oft schon
               tigen und Menschen mit Demenz“             zehn Minuten, in denen sie etwas er-
               beteiligt, denn es ist ihm ein Anliegen,   ledigen können, ohne Angst haben zu
               „Menschen, die am Rand stehen, an          müssen, dass die demente Person das
                                                          Haus verlässt.“
 Tablets für die Betreuung von Pflegebedürftigen und
 Menschen mit Demenz | Memmingen, Bayern
 Familiengesundheit 21 e. V.
 E-Mail: info@mehrgenerationenhaus-mm.de
 http://www.familiengesundheit21.de

22
ÄLTERE MIT DEMENZ

D     as Johanniter-Haus Heilbronn
      arbeitet seit einigen Jahren mit
dem Tablet “Media Dementia”, das auf
                                             verschiedene Sprachen wie Russisch,
                                             Polnisch, Griechisch oder Türkisch
                                             übersetzt. „Angestellte aus allen Berei-
die Betreuung demenzkranker Men-             chen unseres Hauses haben sich betei-
schen ausgerichtet ist. „Das Tablet bie-     ligt und Lieder oder Märchen in ver-
tet mannigfaltige Möglichkeiten – es         schiedenen Sprachen aufgenommen“,
gibt Filme, Bilder, Texte, Spiele, Rätsel,   erzählt die Betreuungsassistentin.
Themen und vieles mehr“, erzählt Mit-        „Jetzt gibt es auf dem Tablet zum Bei-
arbeiter Jürgen Herr. „Ich gehe meis-        spiel Rotkäppchen auf Polnisch. Und
tens spielerisch vor und rufe zum Bei-       wenn eine polnischsprachige Person
spiel das Bild einer Kirsche auf. Über       das hört, dann ist sie nicht so einsam,
die Farbe Rot kommt man dann auf             sondern hat ein bisschen Halt in ihrer
Liebe zu sprechen, den Mann, den En-         Muttersprache.“
kel usw.“ Gut findet Herr auch, dass
sich für jede Person ein Profil anlegen                   Über die Farbe Rot kommt man
lässt, das Reaktionen und Vorlieben
                                                          dann auf Liebe zu sprechen, den Mann,
erfasst, an die er beim nächsten Besuch
anknüpfen kann.                                           den Enkel.
     Auch die Betreuungsassistentin
Alexandra Lesniewski ist begeistert              Alexandra Lesniewski empfiehlt
von dem Tablet. „Das ist wirklich eine       anderen Häusern, die Möglichkeiten
ganz tolle Erfindung. Bevor wir es 2015      zu nutzen, die das Tablet bietet. „Das
bekamen, habe ich viel mit Präsentati-       wird sehr gut angenommen. Und jede
onen gearbeitet, aber es hat mich viel       Einrichtung kann es für ihre Bedürf-
Zeit gekostet, das ganze Material zu         nisse erweitern.“
Hause zusammenzustellen.“ Da ein
Drittel der Bewohnerinnen und Be-
wohner des Johanniter-Hauses einen             Betreuung mal anders – Technik unterstützt
Migrationshintergrund hat, entstand            Integration | Heilbronn, Baden-Württemberg
die Idee, fremdsprachliche Elemente            Johanniter-Haus Heilbronn
in das Tablet zu integrieren.                  E-Mail: beate.tsiaousidis-gertling@jose.johanniter.de
     Im Zuge des Projekts „Betreuung           https://www.johanniter.de/einrichtungen/
mal anders – Technik unterstützt In-           altenpflegeeinrichtungen/heilbronn/
tegration“ wurden einige Inhalte in

                                                                                                  23
BAGSO

               Bildung als Schlüssel zu Teilhabe
               Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen
               fordert, dass die positiven Möglichkeiten des Internets für
               alle nutzbar sind.

               D    ie BAGSO - Bundesarbeitsge-
                    meinschaft der Senioren-Organi-
               sationen ist die Interessenvertretung
                                                           Die Mitgliedsorganisationen der
                                                           BAGSO halten hierfür viele gute Bil-
                                                           dungsangebote bereit.
               der älteren Menschen in Deutsch-                 Die fortschreitende Digitalisierung
               land. Unter ihrem Dach haben sich           erfasst mittlerweile fast alle Lebens-
               rund 120 Verbände aus Seniorenarbeit        bereiche. Jedoch fällt es vielen, insbe-
               und Seniorenpolitik zusammenge-             sondere älteren Menschen schwer, mit
               schlossen. Gemeinsam stehen sie für         dieser Entwicklung Schritt zu halten.
               mehrere Millionen ältere Menschen           Zwar ist die Zahl der älteren Internet-
               in Deutschland. Gegenüber Politik,          nutzerinnen und -nutzer in den ver-
               Wirtschaft und Gesellschaft setzt sich      gangenen Jahren gestiegen: 2017 waren
               die BAGSO für die Schaffung von Rah-        laut Statistischem Jahrbuch 58 Prozent
               menbedingungen ein, die ein aktives,        der Rentnerinnen und Rentner online.
               selbstbestimmtes und möglichst ge-          Das heißt aber auch, dass 42 Prozent
               sundes Älterwerden ermöglichen.             von ihnen nicht im Netz sind. Sie kön-
                                                           nen nicht die Chancen nutzen, die das
     Die BAGSO setzt sich dafür ein, dass                  Internet bietet. Insbesondere für Men-
     den Menschen bis ins hohe Alter                       schen mit Mobilitätseinschränkungen
     barrierearme Zugänge in die digitale                  und für solche, die aufgrund ihres fort-
     Welt eröffnet werden.                                 geschrittenen Alters immer mehr Kon-
                                                           takte zu Gleichaltrigen einbüßen, kann
                    Anders als frühere Generationen        das Internet nicht nur Information und
               haben Menschen am Übergang zum              technische Unterstützung, sondern
               Ruhestand heute statistisch gesehen         auch Kommunikation ermöglichen.
               noch viele Jahre vor sich, die sie – häu-        Die BAGSO setzt sich dafür ein,
               fig in guter Gesundheit – verbringen.       dass den Menschen bis ins hohe Alter
               In einer Gesellschaft des langen Lebens     barrierearme Zugänge in die digitale
               kommen Bildung und Lernen eine be-          Welt eröffnet werden. Das Internet ge-
               sondere Bedeutung zu: Sie sind ein          hört mittlerweile zu den unverzicht-
               Schlüssel zu gleichberechtigter Teilha-     baren Elementen der öffentlichen
               be und ermöglichen es, gesellschaftli-      Grundversorgung. Deshalb ist es Auf-
               che und individuelle Herausforderun-        gabe des Staates, seinen Bürgerinnen
               gen zu meistern. Um ältere Menschen         und Bürgern den Zugang zu digitalen
               mit ganz unterschiedlichen Bildungs-        Dienstleistungen und Angeboten zu
               biografien und Lebenserfahrungen zu         gewährleisten. Hersteller und Dienst-
               erreichen, sind vielfältige Angebote        leister müssen bei der Gestaltung von
               zum lebenslangen Lernen notwendig.          Geräten und Anwendungen noch

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