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8 Vorwort Liebe Sportlehrerin, lieber Sportlehrer, liebe Lehrerin, lieber Lehrer, die/der Sie fachfremd Sport unterrichten (müs- sen), liebe Vereinstrainerin, lieber Vereinstrainer, liebe Angestellte, lieber Angestellte in einer pädagogischen Institution mit Sportangebot, liebe Sportstudentin, lieber Sportstudent, die vorliegende Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts möchte Ihnen zunächst mit der begrifflichen Klärung helfen, das besser zu verstehen, was Sie tagtäglich – bestimmt meist erfolgreich und zu Ihrer Zufriedenheit, viel- leicht sogar mit Erfüllung und Freude, manchmal jedoch auch mit Enttäu- schung und Frust – tun: altgriechisch „didaskein“, lehren. Sie tun das jedoch nicht zum Selbstzweck, sondern Ihr Handeln ist darauf ausgerichtet, dass die Heranwachsenden, die der Erziehung bedürfen und die Ihnen anvertraut sind, etwas lernen, und dass Sie zu ihrer Bildung durch Ihren Bewegungs- und Sportunterricht beitragen. Dieser Lehr-Lern-Prozess stellt eine je neu zu bewältigende Aufgabe dar: Die Lernenden sind immer andere; Ziele, Inhalte, Rahmenbedingungen usw. verändern sich; Gegensätze sind immer wieder neu auszubalancieren. Deshalb stellt der Lehr-Lern- Prozess letztlich ein „nicht machbares“ Geschehen dar. Dies fordert die „Lehrkunst“, von der schon W. Radtke und J. A. Comenius sprachen (vgl. Peterßen, 2001, S. 138), immer wieder heraus. Im Lehr-Lern-Prozess machen Sie und Ihr Handeln lediglich einen – wenngleich einen ganz wichtigen – Faktor aus; zu seinem Gelingen tragen Sie durch Ihr „professionelles Lehrer- handeln“, das ja ein Stück weit erlernbar ist (auch wenn es dabei bisweilen gegen die „subjektiven Theorien“ ankämpfen muss), wesentlich bei. Dabei sind Sie immer – bewusst oder unbewusst – mit Didaktik konfrontiert: Sie bereiten Ihren Unterricht gewissenhaft vor und bringen dabei teils be- währte, teils neue Ideen ein. Ihre Entscheidung für das Eine und gegen das Andere ist bereits eine didaktische Entscheidung. Sie gestalten Ihren Unter- richt, womit Sie noch mehr in Didaktik verstrickt sind. Nach den Unterrichts- stunden überlegen Sie sich, vor allem dann, wenn etwas unerwartet lief, war- um dies wohl so kam – nun lässt Sie die Didaktik gar nicht mehr los, denn spätestens jetzt steht alles auf dem Prüfstand: Waren Ihre Unterrichtsziele richtig gewählt? Haben die Inhalte die Heranwachsenden erreicht? Waren die methodischen Entscheidungen zutreffend – oder waren die Schüler über-
9 oder unterfordert? Hatten Sie differenzierende Maßnahmen in ausreichendem Maße vorgesehen? Standen die richtigen Medien und Materialien zur Verfü- gung? Nach welcher sportdidaktischen Konzeption hatten Sie Ihren Unter- richt vorbereitet und gestaltet? Generell ist evtl. zu fragen, ob Sie – vielleicht bisher unbemerkt – sehr stark einem bestimmten sportdidaktischen Ansatz folgen? (Über-)Betonen Sie möglilcherweise eine bestimmte Perspektive von Bewegung und Sport – gut gemeint – deshalb, weil Sie einer gewissen didak- tischen Mode huldigen, die vielleicht zur Zeit Ihrer Ausbildung „in“ war? Usw. usf. Die hier vorgelegte Abhandlung konzentriert sich auf die Didaktik des Be- wegungs- und Sportunterrichts. Im Terminus „Bewegung und Sport“ soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die hier vertretene Position – in bewusster Abkehr von (derzeit auch anzutreffenden) Vereinseitigungen – um eine integrative Sicht bemüht. Die Komplexität sportdidaktischer Entwürfe und die Vielgestaltigkeit des Bewegungs- und Sportunterrichts werden als Chance für einen interessanten und motivierenden Bewegungs- und Sportun- terricht (vgl. Größing, 2001. S. 33) gesehen. Wenn Sie einen Überblick über die aktuelle sportdidaktische Diskussion von Zielen (vor allem ob „Bewegungsfelder“ oder „Sportarten), von Inhalten (vor allem „bewegungserzieherisch“ oder „sportartenorientiert“), von Methoden (ob besser „offen“ oder „lehrerzentriert“), von Medien und Materialien su- chen, finden Sie hier eine zusammenfassende Darstellung. Wenn Sie darüber hinaus an einer Darstellung und kritischen Auseinandersetzung mit aktuellen sportdidaktischen Konzeptionen interessiert sind, lesen Sie das zweite Kapi- tel in diesem Buch. Das Hauptaugenmerk in diesem Kapitel, das der herme- neutischen Methode folgt, liegt auf der Fachdidaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts als Theorie. Diese sehen wir als immer kritik- und verbesse- rungswürdig an (vgl. Lange & Sinning, 2008a, S. 142). Sie muss sich näm- lich zum einen immer wieder den sich ändernden Anforderungen, Vorausset- zungen und Erwartungen an einen Bewegungs- und Sportunterricht stellen. Zum anderen ist es ihre Aufgabe, ihre Voraussetzungen zu prüfen und kri- tisch zu hinterfragen, ob sie das Ganze in angemessener Weise im Blick hat oder ob sie Verengungen unterliegt, indem sie bspw. bestimmten Setzungen, Moden usw. folgt. Dass theoretische Aspekte der Didaktik von Bewegung und Sport hier fokussiert werden, heißt nicht, dass hier kein Bezug zur Praxis hergestellt werden würde. Im Gegenteil: in stetem Bezug zur Praxis wird die Theorie veranschaulicht. Das Hinterfragen der Voraussetzungen als Grundlage der kritischen Ausei- nandersetzung mit dem fachdidaktischen Denken erstreckt sich nicht allein
10 auf sportdidaktische Konzeptionen. Ihm muss vielmehr eine Klärung des Menschenbildes vorausgehen, das Antworten auf die wesentlichen (fach-) didaktischen Fragen gibt: Warum soll der Mensch überhaupt erzogen wer- den? Warum braucht er Bildung? Was beinhaltet ein gegenwärtig aktueller Bildungsbegriff? Wie ist ein Bewegungs- und Sportunterricht in der Bil- dungsdiskussion zu verorten, zu begründen, zu legitimieren? Wie stellt sich Bewegungslernen sinnvoll dar? Usw. Wenn Sie die phänomenologisch und hermeneutisch begründeten Antworten auf diese Fragen interessieren, lesen Sie das erste Kapitel der vorliegenden Abhandlung. Die Antworten werden in einem Abriss strukturanthropologi- schen Denkens im Anschluss an H. Rombach und in einem Rekurs auf die konstruktiv-kritische Didaktik W. Klafkis gegeben. Darüber hinaus werden Sie in diesem Kapitel eine Reflexion des Verhältnisses von Allgemeiner Didaktik und der Fachdidaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts finden. Auch bei der theoretischen Begründung des hier bezogenen Standpunktes wird dessen Bedeutung für die Praxis nicht aus den Augen verloren. Im ersten Teil des dritten Kapitels werden Konsequenzen aus der Sicht des engen Wechselverhältnisses von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts gezogen. Zunächst stehen dabei Möglich- keiten der Verbesserung des Bewegungs- und Sportunterrichts durch das subjektive Lehrerhandeln im Mittelpunkt. Sie lehnen sich an die Merkmale guten Unterrichts aus der empirischen Unterrichtsforschung der Allgemeinen Didaktik an. Es liegt nahe, dass hier eine verbesserungsfähige und verbesse- rungswürdige Praxis (vgl. Elflein, 2008, S. 59) im Mittelpunkt steht, was der aktuellen didaktischen Forderung der Rückbesinnung auf den Unterricht als wesentlichem Faktor für einen erfolgreichen Lehr-Lern-Prozess entspricht. Denn letztlich gibt es „nur eine wirkliche Möglichkeit schlechte Bildungser- gebnisse zu korrigieren, und das ist eine Verbesserung der Qualität des Leh- rens und Lernens“ (Weinert, 2000, S. 4f.). Doch nicht allein im Lehrer als Einzelkämpfer, sondern gerade auch in der Möglichkeit der Kooperation sehen wir (noch) viel Potenzial zur Steigerung der Unterrichtsqualität, weshalb im zweiten Teil dieses dritten Kapitels Über- legungen zu einem Qualitätsmanagement des Bewegungs- und Sportunter- richts angestellt werden. Wenn Sie dies interessiert, lesen Sie das dritte Kapitel. Es liegt nahe, dass Sie hier ein direkter Bezug zur Praxis mit vielen Beispielen aus der täglichen Unterrichtspraxis und mit Vorschlägen, diese zu verbessern, erwartet.
11 Als idealisierte, nicht jedoch als idealistische Entwürfe, als Anregungen, nicht jedoch als Rezepte, als Beispiele, nicht jedoch als Kopiervorlagen, sind die „Best-Practice-Beispiele“ im vierten Kapitel zu verstehen. Experten der Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts aus Schule, Hochschule und Verbänden haben für dieses Kapitel die Konzeptionen von Unterrichtsstun- den beigetragen, die die Umsetzung des zuvor Dargelegten in die tägliche Unterrichtspraxis leisten. Aus Platzgründen konnte im vorliegenden Band nur ein Teil der ausgearbeiteten Best-Practice-Beispiele abgedruckt werden. Weitere Beispiele finden Sie, indem Sie diesen Titel auf www.klinkhardt.de aufrufen. Die Zuordnungen zu den zuvor explizierten didaktischen Überle- gungen werden vor allem in den Vorüberlegungen zu jeder Stunde deutlich. Der (geplante) Stundenverlauf wird in einer Stundenskizze dargestellt. In einem dritten Abschnitt werden jeweils Punkte, die eines besonderen Au- genmerks bedürfen, herausgearbeitet. Die Ausführungen haben dabei vor allem den Schulsport im Blick. Wir gehen dennoch davon aus, dass die hier angestellten didaktischen Überlegungen und Anregungen auch auf andere pädagogische Prozesse übertragbar sind, die Bewegung und Sport in einer erzieherischen Intention verfolgen. Obwohl der Aufriss der vorliegenden Didaktik des Bewegungs- und Sportun- terrichts einem roten Faden folgt, ist es nicht unbedingt nötig, ihm von An- fang bis Ende zu folgen. Wenn Sie wollen, können Sie auch „zwischendrin“ einsteigen. Dadurch, dass wir Ihnen diese Möglichkeit eröffnen wollen, ist es unvermeidlich, gewisse Aspekte wiederholt anzusprechen. Dies liegt jedoch auch bereits in der Sache selbst. Die didaktischen Überlegungen zum gegen- wärtigen Bewegungs- und Sportunterricht kreisen nun einmal wesentlich um die Dimensionen des Unterrichts (Ziele, Inhalte usw.), die eben auch bei den sportdidaktischen Konzeptionen eine Rolle spielen. Der geneigte Leser1 mö- ge die Querverweise in solchen Fällen ebenso wie die Hinweise zur Literatur als Anregung für weiterführende und vertiefende Lektüre nehmen. 1 Im Folgenden wird nur noch die maskuline Form von „Lesern“, „Lehrern“, „Schülern“ usw. verwendet. Dies wird um der besseren Leserlichkeit willen getan – die „Leserinnen“, „Lehrerin- nen“, „Schülerinnen“ usw. mögen sich dadurch bitte nicht zurückgesetzt fühlen.
12 Die vorliegende Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts will also: Ö dass sich der Leser einen Überblick über die aktuelle sportdidaktische Diskussion in ihren Kernbereichen (vgl. Lange & Sinning, 2008a, S. 137) verschaffen kann Ö dass er – nach Interesse und Bedarf – die gegebenen systematisch- kritischen Darstellungen anhand der Literaturhinweise selbstständig ver- tiefen kann Ö dass er – etwas besser als vorher – auf Grund des aktuellen Standes der Didaktik von Bewegung und Sport seinen Unterricht theoriegeleitet pla- nen, durchführen und reflektieren kann Ö dass er – etwas bewusster als zuvor – zur Selbst-Konstituierung der He- ranwachsenden und ihrer Allgemeinbildung durch Bewegungsbildung und Erziehung zum und durch Sport beitragen kann Ö dass er das theoretische Fundament seines professionellen Lehrerhandelns stärken kann Ö dass er viele Anregungen für die Verbesserung (s)einer täglichen Unter- richtspraxis findet. Biberg, im März 2009 Axel Horn
13 Kapitel I Grundlegung Im ersten Kapitel geht es darum, die Grundlagen darzustellen, auf denen die hier vorgelegte Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts aufbaut. In einem ersten Schritt stehen die Allgemeine Didaktik in ihrem gegenwärti- gen Selbstverständnis und in aktuellen Orientierungen sowie das Verhältnis zwischen der Allgemeinen Didaktik und den Fachdidaktiken im Mittelpunkt. Von hier aus erfolgt eine erste Annäherung an die Sportdidaktik. In einem zweiten Schritt wird der wesentlichen Frage nach dem Menschen- bild, das allen pädagogisch-didaktischen Überlegungen – oft implizit – zu Grunde liegt, nachgegangen und mit der Strukturanthropologie des Würzbur- ger Philosophen Heinrich Rombach beantwortet. Dabei werden der Struktur- begriff im Allgemeinen, seine Bedeutung für die Anthropologie und nicht zuletzt seine Bedeutung für Leiblichkeit und Bewegung skizziert. Struktur- pädagogische Gedanken geben Antworten auf den didaktischen Grundbegriff des Lernens. Der dritte Abschnitt des ersten Kapitels verortet die hier vorgelegte Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts in der konstruktiv-kritischen Didaktik Wolfgang Klafkis. Hierfür ist es unerlässlich, sie in ihren Grundzügen zu skizzieren und vor allem den Bildungsbegriff herauszuarbeiten. Das Ver- ständnis von Bildung ist nämlich nicht allein für die Allgemeine Didaktik wesentlich, sondern sie ist auch in der aktuellen sportdidaktischen Diskussion von zentraler Bedeutung. 1 Didaktik 1.1 Was ist „Didaktik“? Fragt man nach dem, was Didaktik ist, ist Verwirrung angesagt. Denn: „Di- daktik ist nicht gleich Didaktik!“ (Peterßen, 2001, S. 12). Zum Beleg dieser
14 Aussage führt W. Peterßen mehrere Seiten mit Definitionen von Didaktik an und schlussfolgert: Dass es Didaktik gibt, besser: geben muss!, wird heute von niemandem bestritten; aber was Di- daktik ist, wird seit allen Zeiten und wird auch heute noch heftig umstritten. Solch verwirrende und übermäßige Vielfalt von Definitionsversuchen ist darauf zurückzuführen, dass Didaktik we- der etymologisch noch historisch eindeutige Vorgaben vorfindet. Begriff und Struktur von Di- daktik stehen somit allen darauf gerichteten Bemühungen offen (Peterßen, 2001, S. 15). Trotz dieser Vielfalt des Verständnisses ist ein Arbeitsbegriff von Didaktik unverzichtbar. Er soll im Rückgriff auf einige wesentliche und grundlegende Momente gewonnen werden, die in der Diskussion dessen, was Didaktik „ist“, immer wieder begegnen. Didaktik wird als Teil der Erziehungswissenschaft und im schulpädagogi- schen Sinne als „Theorie des Unterrichts“ gesehen. „Unterricht ist die plan- mäßige Interaktion von Lehrenden und Lernenden zum Aufbau von Sach-, Sozial- und Selbstkompetenz im institutionellen Kontext der Schule“ (Jank/Meyer, 2005, S. 46). Der Beginn der Allgemeinen Didaktik der Neuzeit wird übereinstimmend mit J. A. Comenius’ „Didactica magna“ (= große Didaktik) aus dem Jahr 1628 bzw. 1638 angesetzt (vgl. Jank/Meyer, 2005, S. 11f.). Daran anknüpfend hat J. Dolch bereits 1952 vorgeschlagen, Didaktik als „die Wissenschaft (und Lehre) von Lernen und Lehren überhaupt“ (Dolch, 1960, S. 45 – zit. nach Klafki, 1996, S. 90f.) zu verstehen. Dieses zunächst sehr allgemeine Ver- ständnis begegnet auch noch in der aktuellen didaktischen Literatur. So spre- chen bspw. W. Jank und H. Meyer (2005) von der Didaktik als der „Wissen- schaft vom Lehren und Lernen“ (Jank/Meyer, 2005, S. 12) oder weist ihr T. Bohl die Aufgabe der grundlegenden Klärung des Lehrens und Lernens zu (vgl. Bohl, 2004, S. 417). Sofern Didaktik dabei auf Sollensaussagen ausgerichtet ist, wird sie als nor- mative Didaktik bezeichnet; sofern sie die Frage des Nachweises, ob über- haupt und in wie weit das Angestrebte tatsächlich gelingt, in das Zentrum des Interesses rückt, ist sie empirische Didaktik. Wenngleich diese beiden didak- tischen Ansätze zunächst unvereinbar scheinen, sind sie letztlich als die zwei Seiten ein und derselben Medaille zu verstehen: Wenn einerseits die empiri- sche Didaktik bspw. Merkmale benennen kann, die den Unterrichtserfolg erhöhen (siehe hierzu Kap. III), schließt dies die normative Aufforderung ein, solche Merkmale umzusetzen. Andererseits sieht W. Klafki die Notwendig- keit, den historisch-hermeneutischen Ansatz der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik um den empirischen und gesellschaftskritischen Ansatz zu erwei-
15 tern, was ihn zu seiner kritisch-konstruktiven Didaktik (vgl. Klafki, 1996, S. 9 – siehe hierzu Kap. I, 3) führt. Während der Begriff Didaktik auch in der deutschen Pädagogik zunächst vorwiegend auf den Unterricht in Schulen, Hochschulen und schulähnlichen Institutionen bezogen wurde, spielt er inzwischen auch in vielen anderen außerschulischen pädagogischen Arbeitsfeldern eine wichtige Rolle. W. Klafki definiert Didaktik deshalb als übergreifende Bezeichnung für erziehungswissenschaftliche Forschung, Theorie- und Konzeptbildung im Hinblick auf alle Formen intentionaler (zielgerichteter), systematisch vor- bedachter ‚Lehre’ (im weitesten Sinne von reflektierter Lern-Hilfe) und auf das im Zusam- menhang mit solcher ‚Lehre’ sich vollziehende Lernen (Klafki, 1996, S. 91). T. Bohl schließt an dieses Verständnis von Didaktik an und verdeutlicht: Didaktik bewegt sich im Definitionsspektrum von Kunst, Wissenschaft, Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens. Didaktik ist ein Teilbereich der Erziehungswissenschaft und blickt über enge Unterrichts- und Erziehungssituationen hinaus. Als Allgemeine Didaktik bezieht sie sich auf alle Alters- und Lernstufen und auf alle zu vermittelnden Inhaltsbereiche. Sie fokus- siert vorrangig (Aus-) Bildungsprozesse angehender Lehrkräfte. Didaktik soll dabei helfen, Unterricht systematisch zu analysieren, zu planen und zu konstruieren. Didaktik hat demnach einen Theorie- und einen Praxisbezug, vermittelt zwischen beiden und bemüht sich um die Klärung der Zusammenhänge und Ausdifferenzierung von Zielen, Inhalten, Methoden und Medien in Unterrichtsprozessen, sowie von gesellschaftlichen, anthropologischen und indivi- duellen Lernvoraussetzungen (Bohl, 2004, S. 416). 1.2 Gegenstandsbereiche der Didaktik Aus der Begriffsbestimmung von Didaktik ergeben sich für einen ersten Überblick drei wesentliche Aufgabenbereiche der Didaktik als Wissenschaft. Zunächst soll sie „als Wissenschaft von der Praxis für die Praxis“ (Klafki, 1996, S. 100) das Handeln von Lehrenden und Lernenden im Lehr-Lern- Prozess unterstützen. Das beobachtbare Handeln ist damit ebenso gemeint wie das vorbereitende, begleitende und auswertende Handeln im Lehr-Lern- Prozess (vgl. Jank/Meyer, 2005, S. 15). M.a.W.: die Unterrichtsplanung, die Unterrichtsgestaltung und die Reflexion des Unterrichts. Das Ziel jeder Didaktik als Lehre und Wissenschaft für die Praxis ist letzt- lich, die Professionalisierung des Lehrerhandelns im Lehr-Lern-Prozess zu verbessern. Schlüsselbegriff des pädagogisch-professionellen Ansatzes ist das „professionelle Selbst“. In seiner strukturierenden und integrierenden Funktion ermöglicht es Lehrern, auch in schwierigen Situationen handlungs- fähig zu bleiben (Bauer et al., 1996, S. 13ff.). Voraussetzungen für das pro- fessionelle Selbst sind fachliche Ausbildung über ein Fachstudium, berufs-
16 wissenschaftliche Ausbildung (erziehungswissenschaftliche Fundierung), Kooperation und Reflexion (vor allem Fortbildungen, Supervisionen, Schul- entwicklung) (vgl. Brückel/Gieß-Stüber, 2005, S. 35f.). Zwar gibt es das Phänomen des „geborenen Lehrers“, der „mit Fingerspitzengefühl“ und „aus dem Bauch heraus“ „mit einem Händchen für Schüler“ das situativ Richtige tut. Wenn dem so ist, ist es gut. Bei vielen Lehrern und in vielen Situationen ist dies jedoch nicht (immer) der Fall. Deshalb ist die Professionalität des Lehrerhandelns gefordert. Damit sind das Wissen von Gesetzmäßigkeiten und gelingenden Strukturen und die Fähigkeit, sie anzuwenden gleicherma- ßen gemeint. Die Professionalität des Lehrers zeigt sich zum einen in der bewussten, ge- planten, systematischen Vorbereitung, Gestaltung, Reflexion und Evaluie- rung von Unterricht, in der bewussten Auswahl bestimmter Ziele, Inhalte, Methoden usw. Die Professionalität erstreckt sich zum anderen innerhalb einzelner Unterrichtsstunden etwa auf die auszuwählenden Methoden, auf die Gestaltung von Gelenkstellen, auf mögliche Differenzierungen usw. Profes- sionelles Lehrerhandeln zeigt sich bei mehrstündigen Unterrichtsblöcken z.B. hinsichtlich des zu verfolgenden „roten Fadens“ – und auf ein ganzes Schul- jahr bezogen bspw. darin, in jeder Stunde eine bestimmte Schwerpunktset- zung zu verfolgen. Professionalität bedeutet jedoch zugleich auch, von der Planung abzurücken, wenn sich der Unterricht in seinem prozessualen Ge- schehen in eine andere Richtung entwickelt, die (noch) fruchtbarer zu sein scheint. Da Unterricht niemals völlig (ver-)planbar ist und als lebendiger Lehr-Lern-Prozess in seinen personalen Bezügen notwendigerweise ein gan- zes Stück weit unvorhersehbar bleibt, ist das Verständnis von „Didaktik als Lehrkunst“ (Funke-Wieneke, 2007, S. 5) durchaus nachvollziehbar. Hinzu kommt der vom Lehrer stets zu leistende Balanceakt der Vermittlung von eigentlich Unvereinbarem – z.B. von Führung und Selbsttätigkeit, von Ler- nen in der Gemeinschaft und Lernen für sich selbst, von fachlichen und über- fachlichen Lernzielen, von eher lehrgangsförmigem und eher projektförmi- gem Unterricht, von lehrerzentrierter Führung und offenem Unterricht, von individueller Förderung und vorgegebenen Zielen, von selbst gestalteten Lernwegen und effektiver Nutzung der zur Verfügung stehenden Lernzeit usw. (vgl. Meyer, 2005, S. 166; siehe hierzu auch L. Klingbergs Didaktisches Modell: Unterricht als dialektisches Geschehen – vgl. Jank/Meyer, 2005, S. 241ff.). Gerade hierin liegen immer wieder neue Herausforderungen und ein stets neues Wagnis für guten Unterricht im Allgemeinen und für Bewegung und Sport im Besonderen. Sie können jedoch nicht allein subjektiv-spontanen Reaktionen überantwortet bleiben, sondern sie verlangen professionelle Ver-
17 haltensweisen. Mehr noch: Die Aufgabenerweiterung des Lehrerberufs mit bspw. einer stärkeren Gewichtung der Handlungsweisen des Vermittelns, Betreuens und Beratens verlangt gerade nicht eine Deprofessionalisierung (vgl. Schultheiß, 1997, S. 323ff.), sondern eine Professionalisierung. Denn auch diese Aufgaben können nicht aus dem hohlen Bauch heraus bewältigt werden, sondern müssen durch professionelle Strukturen gestützt werden. Es sei ausdrücklich hervorgehoben, dass mit der Forderung nach Professiona- lität nicht einem schematisierten oder standardisierten Unterricht das Wort geredet wird. Im Gegenteil. Die Professionalität eines Lehrers beinhaltet sowohl die bewusste Planung als auch die spontane Gestaltung von Unter- richt, sowohl die Nutzung bewährter Kompetenzen im praktischen Handeln als auch die persönlichen Stärken des Lehrenden. Die Forderung nach Professionalisierung des Lehrens wird durch eine weite- re Beobachtung gestützt, die in der didaktischen Literatur mit subjektiven Theorien bezeichnet wird und die an späterer Stelle (siehe Kap. III, 2.1.1) ausführlicher zur Sprache zu bringen sein werden. Unter subjektiven Theo- rien werden lang gereifte, tief verwurzelte und deshalb stabile Verhaltens- verweisen verstanden, die zumeist und zunächst das menschliche Verhalten im Allgemeinen und das (unterrichts-)praktische Handeln im Besonderen leiten. An die Stelle der subjektiven Theorien sollen im Lehr-Lern-Prozess professionelle Verhaltensweisen, d.h. theoriegeleitete, bewusste Entschei- dungen hinsichtlich Planung, Gestaltung, kritischer Reflexion des Unterrichts und ggf. Verhaltensänderung treten. „Theoriegeleitet“ bedeutet dabei nicht die Festlegung auf eine einzige Sichtweise von Unterricht, vielmehr bedeutet es: didaktische Entscheidungen nicht allein auf Grund eigenen Wissens, Könnens und subjektiver Erfahrungen, sondern mit Hilfe didaktischen, d.h. wissenschaftlich abgesicherten und erweiterten Wissens, zu treffen: Auf Grund welcher Konzeption, welchen Modells, welcher Theorie treffe ich meine unterrichtspraktischen Entscheidungen? Warum entscheide ich mich gerade für dieses und lasse jenes weg? Theoretisch erworbenes Wissen wird zunächst vor allem in der mittleren Reichweite des Handelns, also in der Planung und Reflexion des Unterrichts – mit der entsprechenden Ruhe und Zeit – fruchtbar. Hinsichtlich der Inszenierung des Unterrichts mit vielen unvorhersehbaren Entscheidungen, in der sog. geringen Reichweite, ist es wesentlich schwieriger, die subjektiven Theorien zu durchbrechen und Ver- haltensänderungen herbeizuführen. Jedoch ist auch dies möglich (vgl. Wahl, 2005, S. 20). Professionelles Unterrichten mit dem Ziel der Steigerung der Unterrichtsqualität braucht beides: Reflexion und Verhaltensänderung so-
18 wohl auf der mittleren Handlungsebene von Planung und Reflexion als auch auf der unmittelbaren Handlungsebene der Inszenierung des Unterrichts. Darüber hinaus bezieht sich die Didaktik in Theorie und Praxis auf Entschei- dungen, Entscheidungsbegründungen und Entscheidungsprozesse, die Ziele, Inhalte, Methoden, Medien und Materialien für das Lehren und Lernen be- treffen (vgl. Klafki, 1996, 92f.). In der Zuordnung dieser Problembereiche der Didaktik begegnen wesentliche Unterschiede. Die bildungstheoretische Didaktik geht vom „Primat der Zielentscheidungen“ (Klafki, 1996, S. 116) aus. In der Weiterentwicklung der geisteswissenschaftlichen Didaktik zur konstruktiv-kritischen Didaktik spricht W. Klafki zwar von der wechselseiti- gen Abhängigkeit und Beeinflussung aller Faktoren, die für den Unterricht konstitutiv sind. Diese Interdependenz könne jedoch gerade nicht als glei- chartiges Abhängigkeitsverhältnis, sondern eben nur als Wechselverhältnis unter dem Primat der Zielentscheidungen verstanden werden (vgl. Klafki, 1996, 117): „Die verschiedenen Entscheidungsdimensionen bzw. Faktoren hängen zwar wechselseitig voneinander ab, aber im Sinne qualitativ unter- schiedlicher Beziehung“ (Klafki, 1996, S. 117). Demgegenüber betonen andere Didaktiker die Gleichwertigkeit der didakti- schen Problembereiche in ihrer gegenseitigen Verwiesenheit, vor allem die Wechselwirkung von Zielen, Inhalten und Methoden zu sehen (vgl. Jank/Meyer, 2005, S. 55ff.). So deuten etwa W. Jank und H. Meyer mit ihren neun W-Fragen an, wie umfangreich der Gegenstandsbereich der Didaktik ist: „Wer, was, von wem, wann, mit wem, wo, wie, womit und wozu lernen soll“ (Jank/Meyer; 2005, S.16 – siehe hierzu auch die folgenden Ausführun- gen in Jank/Meyer, 2005, S. 17ff.). Seit H. Blankertz Ende der 1960er Jahre erstmals seine Gesamtdarstellung der Allgemeindidaktischen Theoriebildung vorlegte, werden das bildungs- theoretische, lerntheoretische und informationstheoretische Modell unter- schieden. Die enthaltenen Bestimmungsbegriffe werden von W. Klafki als zentrale und zentralisierende Begriffe bezeichnet (vgl. Klafki, 1996, S. 94 f.). Damit ist gemeint, dass die unterschiedlichen Modelle der Allgemeinen Di- daktik einerseits begründete Kategorien bilden, die sie von anderen didakti- schen Theorien abgrenzen, und dass sie andererseits als Regulative zu be- stimmtem didaktischem Denken und Handeln auffordern. W. H. Peterßen unterscheidet drei aktuelle didaktische Modelle und ordnet ihnen folgende Zentralkategorien bzw. didaktische Regulative zu:
19 − die lerntheoretische Didaktik, die den Begriff des Lernens und die Bedin- gungen, unter denen Lernen gelingt, in den Mittelpunkt rückt, − die bildungstheoretische (kritisch-konstruktive) Didaktik, die den Bil- dungsbegriff und die Bedingungen des Denkens und Handelns zur Förde- rung von Bildung zum zentralen Gegenstand macht (siehe dazu Kap. I, 3), − die konstruktivistische Didaktik, in deren Zentrum der Konstruktionsbe- griff und die Frage, auf welche Weise die eigenständige Konstruktion von Wissen ermöglicht wird, steht (vgl. Peterßen, 2001, S. 36ff.). W. Jank/H. Meyer erweitern diese drei Modelle um − die dialektische Didaktik, die das Lehren und Lernen als dialektisches Geschehen zwischen Lehrendem und Lernendem sieht, so dass die Frage im Mittelpunkt steht, wie das spannungsreiche, widersprüchliche Verhält- nis von Führung und Selbsttätigkeit, von Vermittlung und Aneignung, von Methoden und Inhalt usw. durch eine entsprechende Inszenierung des Lehrens und Lernens fruchtbar gemacht werden kann (vgl. Jank/Meyer, 2005, S. 241ff.). Einen etwas anderen Überblick gibt H. Gudjons, der fünf „große“ didaktische Modelle (die kritisch-konstruktive, die lehrtheoretische, die kybernetische, die kritisch-kommunikative, die Curriculumentwicklung und die lernziel- orientierte Didaktik) und neuere didaktische Konzepte (u.a. die Lehrkunst, die konstruktivistische, die subjektive Didaktik) unterscheidet (vgl. Gudjons, 2006, S. 230ff.). Schließlich bezieht sich Didaktik als Wissenschaft auch auf die im jeweiligen pädagogischen Feld (Schule, Volkshochschule, Lehrwerkstatt, Freizeitein- richtung usw.) tatsächlich stattfindenden Prozesse, die den Entscheidungsin- tentionen entsprechen oder die ihnen zuwiderlaufen können, und auf die sozialen Prozesse, die unter allen Beteiligten des Lehr-Lern-Prozesses ablau- fen. Gegenstandsbereich der Didaktik ist also die kritische Überprüfung der explizit gesetzten oder vereinbarten Ziele, Themen, Methoden und darüber hinaus der Prozesse, die gewissermaßen nebenbei und meist unbemerkt ge- schehen (vgl. Klafki, 1996, S. 93). Doch nicht allein die spezifischen Gegenstandsbereiche der Didaktik gilt es kritisch zu hinterfragen, sondern auch die anthropologischen und gesell- schaftlichen Voraussetzungen des Denkens, auf denen die Didaktik – wie jede andere Wissenschaft auch – zwangsläufig aufbaut. Insofern beinhaltet Didaktik immer auch „Voraussetzungen philosophischen Gehalts“ (Klafki,
20 1996, S. 100) und ist sie notwendigerweise gesellschaftskritisch (vgl. Klafki, 1996, S. 90). M.a.W.: Die Aufgabenbestimmung schließt die Klärung ihrer theoretischen Grundlagen, die empiri- sche Analyse der vorgefundenen Praxis des Lehrens und Lernens, die Warnung vor theoreti- schen und praktischen Irrwegen sowie den Hinweis auf immer noch uneingelöste Versprechen der Didaktik ein (Jank/Meyer, 2005, S. 16). Insofern nun diese Aufgaben der Didaktik für alle Schultypen, Fächer und Lehr-Lern-Prozesse zutreffen, spiegeln sie sich in der konstruktiv-kritischen Didaktik W. Klafkis (vgl. Klafki, 1996, 89f.), die sich als „Bildungstheorie“ versteht, wider. Jedoch spielen sie nicht allein hier, in der Allgemeinen Di- daktik, sondern ebenso in den Fachdidaktiken eine grundlegende Rolle, inso- fern sie in der spezifischen Fokussierung einer Fachwissenschaft – etwa der „Sportdidaktik“ – zu diskutieren und in ein stimmiges Ganzes zu bringen sind. Die vorliegende Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts orientiert sich an den genannten Aufgabenbereichen der Didaktik, indem sie zunächst in Kapitel I mit der Strukturphilosophie und der Bildungstheorie die Voraus- setzungen des hier vertretenen didaktischen Ansatzes darlegt. Im darauf fol- genden Schritt werden die Entscheidungen, Entscheidungsprozesse und Ent- scheidungsbegründungen über Ziele, Inhalte, Methoden, Medien und Mate- rialien einer Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts expliziert (Kap. II). Schließlich werden in den Kapiteln III - IV mögliche Konsequenzen für eine Verbesserung der unterrichtlichen Praxis eines Bewegungs- und Sport- unterrichts dargestellt. 1.3 Input- und outputorientierte Didaktik Als ein wesentlicher Gegenstandsbereich der Didaktik wurde ihr Beitrag zur Lehre und einer – oft – verbesserungsfähigen und verbesserungswürdigen Praxis herausgestellt (vgl. Elflein, 2008, S. 59). Als Orientierung hierfür galt lange Zeit vor allem in der normativen Allge- meinen Didaktik, die sich hauptsächlich auf die Zielbestimmungen und den Prozess des Lehr-Lern-Geschehens konzentrierte, die Input-Orientierung. Die Allgemeine Didaktik brachte eine Vielzahl von Regeln, Schemata und Anweisungen hervor, wie das Lehren zu gestalten sei (vgl. Helmke, 2005, S. 28f.). In der Sportdidaktik schlug sich dieser Ansatz in der „Theorie der Lei- beserziehung“ bis in die späten 1960er Jahre nieder.
21 Die Input-Orientierung richtete sich dabei zunächst auf die Persönlichkeit des Lehrers. Ausgehend von der Annahme, dass es bestimmte Persönlichkeitsmerkmale seien, die einen guten Lehrer und somit einen guten Unterricht ausmachen würden, suchte man im sog. „Persönlichkeits-Paradigma“ nach Persönlich- keitsmerkmalen erfolgreicher Lehrer. Diese Versuche erbrachten jedoch nur wenige Zusammenhänge und wenn, dann erwiesen sie sich als relativ trivial. Lehrer können mit ganz unterschiedlichen Charaktereigenschaften die Komp- lexität des Lehr-Lern-Geschehens erfolgreich gestalten, weshalb das Persön- lichkeitsparadigma als gescheitert gilt. Dennoch spielen personzentrierte Aspekte in der aktuellen empirischen Unterrichtsforschung immer noch eine Rolle. Allerdings geht es jetzt im „Experten-Paradigma“ nicht mehr um Cha- raktereigenschaften oder Führungsstile, sondern um den Lehrer als Experten für das Unterrichten. Die KMK und alle Bildungs- und Lehrergewerkschaften haben sich auf die Beschreibung des Berufsbildes von Lehrkräften geeinigt, in dem der Lehrerschaft der Status von ‚Experten für das Lernen’ zugewiesen wird. Als die Kernaufgabe von Lehrkräften wird dabei die ‚gezielte und nach wissenschaftlichen Erkennt- nissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation (Arnold, 2001a) angesehen’ (Helm- ke, 2005, S. 86). Im Fokus des Experten-Paradigmas stehen berufsbezogenes Wissen und Können, fachliche und fachdidaktische Kompetenzen und Fähigkeiten wie Engagement, Motivierungsfähigkeit, Reflexion subjektiver Theorien usw. (siehe dazu Kap. III, 2). Einen anderen aktuellen Ansatz der empirischen Unterrichtsforschung, auf den sich die meisten Empiriker zumindest im deutschsprachigen Raum ver- ständigt haben (vgl. Meyer, 2005, S. 158), stellt das „Angebots-Nutzungs- Modell“ dar. Es basiert auf der Überlegung, „dass man auf empirische Weise Zusammenhänge zwischen der Art des Lehrerhandelns (Prozess) und den Ergebnissen oder Wirkungen auf Seiten der Schüler (Produkt) herstellen kann“ (Terhart, 2007, S. 21). Im Angebots-Nutzungs-Modell werden zum einen wohlbegründete Standards des Lehrerverhaltens und wichtige Merkma- le guten Unterrichts, über die man sich in der Allgemeinen Didaktik weitge- hend einig ist (vgl. Helmke, 2005, S. 47), formuliert. So lassen sich seit etwa einem Jahrzehnt Gütekriterien, die das Lernen fördern und Merkmale, die Lernprozesse stören, klar benennen (vgl. Meyer, 2005, S. 7 – siehe Kap. III, 2). Dabei wird jedoch explizit die Seite des Lehrerhandelns nur als die eine Seite der Medaille gesehen. Die andere Seite macht die Einsicht aus, dass der von
22 der Lehrperson gestaltete Unterricht lediglich ein Angebot darstellt, das nicht notwendigerweise zu den gewünschten Wirkungen führen muss. Da sich Lernen und Bildung immer nur durch die Leistung des Einzelnen selbst voll- ziehen können und nur im Sinne aktiver Aneignung möglich sind (vgl. Rom- bach, 1969, S. 19), kann man Lernen nicht „machen“. So hängen Unter- richtserfolg, Lernen und Bildung nur bedingt vom Lehrer ab und liegen zum entscheidenden Teil bei den Schülern selbst. Ob und wie nämlich die Ange- bote des Lehrers genutzt werden, hängt beispielsweise davon ab, inwieweit die Erwartungen des Lehrers und die unterrichtlichen Maßnahmen von den Schülern überhaupt wahrgenommen und wie sie interpretiert werden, oder zu welchen motivationalen, emotionalen und volitiven Prozessen die Unter- richtsmaßnahmen bei den Schülern führen. Völlig zu Recht verweist deshalb H. Meyer darauf, dass es unerlässlich sei, ein „Arbeitsbündnis“ mit den Schülern als gemeinsame Grundlage zu verein- baren. Auch der Sportdidaktiker J. Funke-Wieneke, der vor allem die subjek- tive Seite des Lernenden im Blick hat, hebt die Bereitschaft des Schülers, dessen Lernen wollen und mit ihm verbunden die „Absichtsentwicklung“ hervor (vgl. Funke-Wieneke, 2007, S. 95f.). Der empirische Ansatz des An- gebots-Nutzungs-Modells geht – wie dies an späterer Stelle auch von der „konstruktiv-kritischen Didaktik“ und aus der strukturpädagogischen Sicht zu zeigen sein wird – über eine solche (Über-)Betonung der subjektiven Seite hinaus. Es versucht vielmehr, „Faktoren der Unterrichtsqualität in ein umfas- sendes Modell der Wirkungsweise und Zielkriterien des Unterrichts zu integ- rieren“ (Helmke, 2005, S. 41 – siehe hierzu Abb. 1 auf der folgenden Seite). Das Angebots-Nutzungs-Modell trägt also dem Rechnung, dass es zwar auch auf den Lehrer und den von ihm gestalteten Unterricht ankommt, dass es darüber hinaus aber auch weitere, teilweise sogar kräftigere Einflussfaktoren für Lernerfolg und Bildung der Schüler gibt, z.B. Begabung, familiales und soziales Umfeld usw. Doch diese Faktoren sind deutlich schwerer zu beein- flussen und zu verändern als das Lehrerhandeln. Deshalb gilt ihm in der Di- daktik die Aufmerksamkeit. Und immerhin hängen 20 – 40% des Lernerfolgs vom Unterricht bzw. vom Lehrer ab. „Das ist eine ganze Menge, die alle Anstrengungen im Unterrichtsalltag lohnt, aber auch kein Anlass zu Eupho- rie“ (Einsiedler, 1997, S. 234).
23 Lehrer- Unterricht Individuelle Eingangsvoraussetzungen -persönlichkeit (Angebot) Expertise in Qualität des Mediations- Lernaktivitäten Wirkungen Unterrichts prozesse Fachwissen- Passung auf Schüler - der Schüler (Ertrag) schaft Adaptivität seite (Nutzung) Fachdidaktik Klarheit Klassenführung Angemessene Aktive Lernzeit Fachliche Diagnostik Methoden- Motivationale im Unterricht Effekte variation und emotionale Fachwissen Individuali- Vermittlungs- Grundver- sierung prozesse ständnis Werte und Ziele Motivierung Wahrnehmung Außerschu- Lernstrate- Subjektive Theo- Effizienz der und Interpre- lische Lern gien rien Klassenführung tation des Unter- aktivitäten Überfach- Bereitschaft zu Quantität der richts liche Effekte Selbstreflexion Unterrichtszeit, Schlüssel- und Selbstver- Lerngelegen- kompetenzen- besserung heiten, Quali- Sozialisa- Selbstwirksam- tät des Lehr- tionseffekte keit materials Klassenkontext und fachlicher Kontext Abb. 1: Ein Angebots-Nutzungs-Modell der Wirkungsweise des Unterrichts (aus: Helmke, 2005, S. 42) Da das Angebots-Nutzungs-Modell darüber hinaus prozessbezogene Unter- richtsvariablen und produktbezogene Effektvariablen zusammenbringt, wird es auch als ein „Prozess-Produkt-Modell“ bezeichnet (vgl. Meyer, 2005, S. 158). In ihm findet sowohl die Frage nach empirisch belegbaren Merkmalen guten Unterrichts als auch die Frage nach der Lehrperson ihren Platz, denn Unterricht wird ja immer von Personen und nicht von Variablen veranstaltet. Außerdem wird im Prozess-Produkt-Modell der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass die Verbesserung des Unterrichtsprozesses auch zu besseren Unterrichtsergebnissen – gleichwohl nicht im Verständnis von Machbarkeit, wohl aber im Sinne eines Qualitätsmanagements (vgl. Horn/Bläse, 2006, S. 196ff.) – führt.
24 Seit dem PISA-Schock Anfang 2000 wurde die Input-Orientierung durch eine klare Output-Orientierung abgelöst (vgl. Stibbe, 2008, S. 79). Was viel- fach nur wie eine Änderung der Begrifflichkeit aussieht, stellt in Wirklichkeit eine tief greifende Veränderung der Sichtweise von Lernen und Bildung dar. An Stelle von Bildung wird nun von Qualifikationen gesprochen, die als Ergebnisse von Lernprozessen abrufbar und durch Testverfahren überprüfbar sein sollen. In bestimmten Altersgruppen, z.B. bei den 15-Jährigen wie bei der PISA-Studie, und an bestimmten Gelenkstellen der Schulkarriere sollen sich die Schüler regelmäßig überregionalen Tests vor allem in den Fächern Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften unterziehen. In nationalen und internationalen Vergleichen sollen die Erfolge der Lehr-Lern-Prozesse, der einzelnen Schulen und der Schulsysteme anhand gesetzter Standards überprüft werden. Sicherlich sind messbare Leistungen sowohl für die Allgemeine Didaktik als auch für die Fachdidaktiken von großem Interesse und gewiss verlangen einige der gewonnenen Ergebnisse – etwa die sozial bedingte Ungleichheit der Bildungschancen in Deutschland – nach bildungspolitischen Konsequen- zen. Dennoch gilt es, die aktuell vorherrschende Output-Orientierung, die in erster Linie wirtschaftlichen Interessen entspricht, mit einigen kritischen didakti- schen Anmerkungen zu versehen. So stellt sich bspw. die Frage nach dem Niveau der Standards. Sie sollten nach dem Konzept der Klieme- Kommissi- on (vgl. Klieme et al., 2003) Mindestanforderungen formulieren, die darauf abzielen, dass leistungsschwächere Schüler nicht zurückgelassen werden und dass immer weniger Schüler die notwendigen Basisqualifikationen verfehlen. Dem kommt vor allem angesichts der Schwächen des deutschen Bildungssys- tems im unteren Leistungsbereich besondere Bedeutung zu. Die KMK habe aus diesen Mindeststandards jedoch Regelstandards gemacht, was der urs- prünglichen Intention deutlich widerspreche. Auch die Funktion von Stan- dards gilt es kritisch zu hinterfragen. So zielt man mit den standardisierten Leistungserhebungen darauf ab, wie gut eine einzelne Schule ihren Bildungs- auftrag erfüllt. Damit aber geht es um Schulevaluation, nicht um die Zensie- rung eines einzelnen Schülers. Darüber hinaus betont K.-J. Tillmann, dass die Standards nicht allein auf die Leistungsevaluation ausgerichtet sein dürften, dass mit ihnen ursprünglich vielmehr – den Leistungserhebungen vorausge- hend – eine Verstärkung der Lerngelegenheiten und eine gezielten Förderung der Heranwachsenden angezielt worden sei. Diese Bereiche seien jedoch z.T. massiv vernachlässigt worden. Darüber hinaus ist auch der Geltungsbereich von Standards zu hinterfragen. Das Qualitätsverständnis, das mit den Bil-
25 dungsstandards verbunden ist, ist nämlich fachspezifisch. Und dabei richtet es sich nicht einmal auf die schulischen Fächer insgesamt, sondern allein auf vier fachliche Felder. Damit geht die Gefahr des pädagogischen Reduktio- nismus einher: Die Schule hat eben mehr als vier Fächer und viele Aufgaben liegen jenseits des Fachunter- richts. […] Die real existierenden ‚Bildungsstandards’ der KMK führen dazu, dass hier nur ein spezifischer Teil der schulischen Aufgabenerfüllung in den Blick gerät. Und man muss sehr aufpassen, dass nicht unter der Hand diese vier Fächer zum alleinigen Bewertungsmaßstab für die schulische Arbeit werden (Tillmann, 2007, S. 81). Schließlich gilt es zu bedenken, dass man aus dem Testen gar nicht mehr herauskäme, würde man alle Fächer (in der Sek. I sind es mehr als 15) regel- mäßigen, überregionalen Leistungsvergleichen unterziehen. Da stellt sich doch die Frage, ob man mit den Schülern von Test zu Test hecheln, oder sich nicht doch besser die Zeit für Bildungsprozesse nehmen sollte (vgl. Tillmann, 2007, S. 80ff.). Abschließend sei in dieser Darstellung über die Vorbehalte gegenüber Bil- dungsstandards auf den grundsätzlichen didaktischen Vorbehalt verwiesen, dass sich die Qualität von Lehr-, Lern- und Bildungs-Prozessen durch die Resultate nur indirekt erfassen lässt (vgl. Clausen, 2002, S. 11f.) und dass sich nicht alle Lernprozesse – auch wenn die Unterrichtsqualität hervorra- gend war – direkt in den gewünschten Ergebnissen niederschlagen. Insofern es eine wesentliche Aufgabe der Didaktik ist, Bildungsziele im All- gemeinen und für Fach-Lehrpläne im Besonderen, zu formulieren, gibt es jedoch aus didaktischer Sicht auch einige Gründe, die für eine Überprüfung von Bildungszielen und -inhalten bzw. des Lehr-Lern-Prozesses sprechen. Dies gilt angesichts der offenen Formulierungen in der gegenwärtigen Gene- ration der Lehrpläne, die die Gefahr von Unverbindlichkeit, Beliebigkeit und „Gleich-Gültigkeit" v.a. hinsichtlich der Bildungsinhalte bergen. Dies gilt für die Allgemeine Didaktik und die Fachdidaktiken gleichermaßen und für die Sportdidaktik angesichts des hohen Anteils an Lehrkräften, die Sport fach- fremd unterrichten, in ganz besonderem Maße. An dieser Stelle soll die Fest- stellung genügen, dass mit der Formulierung von Standards ein Minimalkon- sens an Bildungszielen, die erreicht bzw. an Bildungsinhalten, die verbindlich behandelt wurden, garantiert werden soll. In wie weit nun Standards grundsätzlich tatsächlich nötig sind und/oder in welcher Anzahl und welcher Weise es sinnvoll ist, sie einzusetzen, wird sowohl in der Allgemeinen Didaktik als auch in den Fachdidaktiken – auch in der Sportdidaktik – kontrovers diskutiert.
26 Einen interessanten Weg für den Umgang mit Standards weist H. Ehni. Er hält sowohl am Begriff der Bildung im Sinne der Förderung subjektiver Dis- positionen als auch an der Notwendigkeit von Qualifikationen fest. Unter Ersterem versteht er Möglichkeiten, allgemeine Fähigkeiten und Potenzen. Letzteres ist auf spezifisches Wissen, Können, Verhalten usw. gerichtet. H. Ehni schlägt, in Anlehnung an die Curriculumtheorie, eine Ordnung der Ziele in übergeordnete Leitziele und in daraus abgeleitete, untergeordnete Feinziele vor. Lediglich Letztere, als präzis formulierte und auf einen klar definierten Bereich beschränkte Zielqualifikationen, sind mit Standards operationalisier- bar und evaluierbar. Übergeordnete pädagogische Aufgaben wie die funda- mentalen Bildungsziele Selbstständigkeits-, Mitbestimmungs- und Solidari- tätsfähigkeit (vgl. Klafki, 1996, S, 52), wie Mündigkeit, Emanzipation, Ge- rechtigkeit, soziale und ethische Haltungen, Fairness usw. entziehen sich der Überprüfung durch Standards und sind nur diskursiv über rationales und kommunikatives Handeln bewertbar (vgl. Ehni, 2001, S.178ff.). In der ent- sprechenden Zuweisung und unter Anerkennung ihrer begrenzten Aussage- kraft hinsichtlich Lernerfolg und vor allem Bildung haben Standards in der Pädagogik und Didaktik also durchaus ihren Sinn. 1.4 Allgemeine Didaktik und Fachdidaktiken Die Fachdidaktiken bauen gegenüber der Allgemeinen Didaktik auf ihrem je spezifischen Gegenstand und ihren je spezifischen Methoden auf (vgl. Helm- ke, 2005, S. 29). Die Fachdidaktiken sind durch ihren Zusammenhang nicht nur mit der Allgemeinen Didaktik, sondern auch mit der Fachwissenschaft und dem Schulfach zu charakterisieren. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass die Fachdidaktiken nur als wurmfortsatzähnlicher Anhang etablierter Fachwissenschaften (wie sie in der Universität or- ganisiert sind) verstanden werden, [die] lediglich die Funktion haben, das Problem der Lehr- und Lernbarkeit der von den Fachwissenschaften längst vorentschiedenen Inhalte zu lösen (Peterßen, 2001, S. 29f.). Die Fachdidaktiken sind als eigenständige Wissenschaften in die Allgemeine Didaktik integriert und nehmen deren Aufgaben unter ihrem besonderen fachlichen Aspekt wahr (vgl. Peterßen, 2001, S. 29ff.). Dies ist jedoch nicht in der Weise zu verstehen, dass Erkenntnisse der Allgemeinen Didaktik vor- gegeben würden und von den Fachdidaktiken jeweils lediglich in ihre spezifi- schen Arbeitsbereiche zu transferieren seien. Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik gelten uns beide als integrierende Teile ein- und der- selben Didaktik als Teildisziplin(en) der Erziehungswissenschaft. Sie sind einander auf Grund ihrer Bedeutung für die Lösung der aufgegebenen Lehr- und Lernfragen gleichgeordnet. […]
27 Keiner der beiden Ansätze muss warten, bis der andere ein Ergebnis vorlegt, um es dann zu übertragen, d.h. entweder auf das Besondere zuzuschneiden oder auf das Allgemeine zu über- tragen. Beide haben den ursprünglichen Auftrag, auf ihre je besondere Weise nach Lösungen für didaktische Probleme zu suchen. […] Allgemeine Didaktik und Fachdidaktik stehen in ständiger und unauflöslicher Korrespondenz miteinander (Peterßen, 2001, S. 31f.). Das Verhältnis von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktiken stellt sich also grundsätzlich nicht als ein Verhältnis von Vor-, Über- oder Unterordnung, vielmehr als „wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Allgemeiner Didaktik und Bereichs- bzw. Fachdidaktiken“ (Klafiki, 1996, S. 161) dar. Die soeben skizzierte Sicht des Verhältnisses von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktiken wird nicht von allen Autoren der Sportdidaktik geteilt. J. Funke-Wieneke etwa sieht das Besondere einer Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts darin, dass das, was hier gelernt werde, nicht symbo- lisch, sondern bewegungspraktisch ausgedrückt werde. Der Gegenstand der Bewegungs- und Sportdidaktik sei damit so grundlegend verschieden von anderen Fächern, dass ein Transfer allgemein didaktischer Erkenntnisse nicht möglich sei (vgl. Funke-Wieneke, 2007, S. 16f.). Es ist zwar sicherlich rich- tig, dass das Bewegungslernen mehr als in anderen Fächern die Ganzheit- lichkeit des Lernenden – ein Lernen mit Körper und Geist, mit Sinnen und Verstand usw. – verlangt. Dennoch gibt es auch hierbei vielfache Gemein- samkeiten mit anderen Unterrichtsfächern – man denke nur an die bereits angesprochene unverzichtbare Voraussetzung des Lernen-Wollens, an die Bedeutung von Kommunikation und Verständigung über den Sinn im Unter- richtsgeschehen, die gerade Funke-Wieneke so stark betont (vgl. Funke- Wieneke, 2007, S. 95f. bzw. S. 124ff. – siehe hierzu auch Kap. III, 2.2.5). Darüber hinaus zeigt sich, dass das Anliegen der Vermittlung von Bildung allen Fächern gemeinsam ist. Die Frage, wie Bildung im unterrichtlichen Geschehen vermittelt werden kann, steht sowohl im Mittelpunkt der kon- struktiv-kritischen Didaktik – und sie bewegt auch die Sportdidaktik der letzten Jahre wie keine andere Frage. Schließlich sei auch noch auf die Dar- stellung der Merkmale guten Unterrichts als Anliegen der aktuellen Allge- meinen Didaktik verwiesen, deren Transfer in die Didaktik des Bewegungs- und Sportunterrichts im Kap. III diskutiert wird. Die hier vorliegende Ab- handlung geht somit bewusst den Weg, der eine enge Verbindung zwischen Allgemeiner Didaktik und einer Didaktik des Bewegungs- und Sportunter- richts verfolgt, wie es bspw. auch H. Lange & S. Sinning sehen: „Eine Zu- sammenarbeit zwischen den Fachdidaktikern als Spezialisten und den Allge- meindidaktikern als Generalisten ist daher unentbehrlich“ (Lange & Sinning, 2008, S. 14).
28 Die Sportdidaktik pflegt darüber hinaus traditionell ein enges Verhältnis auch zu weiteren Wissenschaften, wie es das Schaubild aus H. Lange & S. Sinning widerspiegelt: Beratungsleistungen für den Schulsport Weitere Trainings- fachdidaktische und Bewegungs- Impulse lehre Erziehungs- Allgemeine Sport- Sport- Sport- wissen- Didaktik/Schul- didaktik pädagogik/ wissen- schaften pädagogik -philosophie schaften weitere fach- weitere fach- wissenschaftliche wissenschaftliche Zugänge Zugänge Beratungsleistungen für den außerschulischen Sport Abb. 2: Wissenschaftssystematische Verortung der Sportdidaktik (aus Lange & Sinning, 2008, S. 17) Der Arbeit an mehreren Schnittstellen und die daraus resultierende Aufgabe, die Erkenntnisse unterschiedlicher Wissenschaften für den Sportunterricht zu ordnen, zu strukturieren (vgl. Lange, 2008, S. 18) und fruchtbar werden zu lassen, kommt in der Bezeichnung der Sportdidaktik als „Integrationswissen- schaft“ (Lange & Sinning, 2008, S. 17) oder als „Brückenbildung“ (Elflein, 2008, S. 59) treffend zum Ausdruck. 1.5 Sportdidaktik - eine Annäherung In Anlehnung an zuvor Gesagtes wird die Sportdidaktik in engem Verhältnis zur Allgemeinen Didaktik – P. Elflein spricht von der „Sportdidaktik als angewandte Allgemeine Didaktik“ (Elflein, 2002, S. 12) –, zu den Erzie- hungswissenschaften, zu den anderen Disziplinen der Sportwissenschaft, vornehmlich der Sportpädagogik, und zu den Fachdidaktiken der einzelnen Sportarten gesehen. Das Verhältnis der Sportdidaktik zu ihnen muss als wechselseitiges Nehmen und Geben gesehen werden. D.h.: Die Sportdidaktik übernimmt Erkenntnisse der ihr benachbarten Wissenschaften, entwickelt sie
29 entsprechend ihrer spezifischen Ausrichtung weiter und bringt ihre Ergebnis- se in die Diskussion ein (vgl. Größing, 2001, S. 40f.). Als „Wissenschaft vom Lehren und Lernen“ (Lange & Sinning, 2008, S. 16) in Bewegung und Sport soll sie Handlungsangebote, Handlungsalternativen und Entscheidungshilfen für einen gelingenden Lehr-Lern-Prozess bereitstel- len (vgl. Größing, 2001, S. 41). Gegenstand der Sportdidaktik sind sportpädagogische Prozesse in ihrer Re- alisierung (vgl. Hummel, 2001, S. 157), wobei es wesentlich darum geht, wie aus „bloßem“ Sporttreiben eine pädagogische Angelegenheit im Sinne einer Sporterziehung wird (vgl. Ehni, 2001, S. 175). Dies bedingt, dass die Sportdidaktik wie keine andere sportwissenschaftliche Disziplin an der Nahtstelle von Sporttheorie und Sportpraxis angesiedelt ist, weshalb sie auch gerne und immer wieder als „praxeologische Wissenschaft“ (z.B. Elflein, 2008, S. 59) bezeichnet wird. Sie muss einerseits die Voraus- setzungen ihrer Konzeption, ihre Ziele, Inhalte, Methoden usw. benennen, begründen und sie mit bestehenden Theorien, Modellen und Konzeptionen – auch – der ihr benachbarten Wissenschaften diskutieren2. Sportdidaktik ist notwendigerweise normativ, insofern nämlich, als sie formuliert, was sein soll, was man „aus sportlicher oder pädagogischer Sicht für wertvoll oder sinnvoll hält und in der Schule haben möchte“ (Martin, 2000, S. 12). Dabei muss die Sportdidaktik auch die Entscheidungsgrundlagen für diese Sollen- saussagen, z.B. die Pädagogik bzw. die Bildungstheorie, die Voraussetzun- gen der Schüler, die Sache des Sports, die Rahmenbedingungen der Schule usw. (vgl. Balz, 2001, S. 149) bedenken. Über die theoretischen Begründun- gen hinaus muss die Sportdidaktik andererseits auch den Nachweis ihrer praktischen Realisierungsmöglichkeiten liefern. Dabei muss sie der Komple- xität des Unterrichts entsprechen und alle seine Ebenen – seine anthropologi- schen und gesellschaftlichen Voraussetzungen, dessen Gestaltung und seine Auswertung – bedenken (vgl. Größing, 2001, S. 38ff.) und sie im Hinblick auf ihren spezifischen Bereich beantworten. 2 Eine strukturelle Unterscheidung der Sportdidaktik von der Sportpädagogik, wie sie R. Prohl vornimmt, indem er ihr – als Praxis des Lehrens und Lernens – lediglich den Bereich der Inhalte und darüber hinaus – als Lehre von den Vermittlungsprozessen – den Bereich der Unterrichtsme- thodik zuweist (vgl. Prohl, 2006, S. 14), kann hier nicht mitgegangen werden. Das hier vertrete- ne Verständnis von Sportdidaktik ist dem gegenüber viel umfassender.
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