BANK SPIEGEL - DAS LEBEN ÄNDERN Mit Herzblut für Natur und Soziales - GLS Bank
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BANK Ausgabe 1/2021 Heft 242 SPIEGEL DAS MAGAZIN DER GLS BANK DAS LEBEN ÄNDERN Mit Herzblut für Natur und Soziales
2 INHALT EDITORIAL 3 4/5 Komm auf den Acker 6//7 Homeless go home 8/9 Kleine Frischluftfanatiker 10/11 Ein Bäcker teilt seine Gewinne 12/13 Wendland — hier baut man auf Solidarität 14—16 Superreiche Guerillas 17 Grüne Welle: Ökostrom für Elektroautos 18/19 Wir können auch anders: Selbstbestimmt Studieren 20/21 People-Power 22 Gemeinschaftlich zum Bioenergiedorf 24—29 Herzstück „… denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.“ So Rainer Maria Rilke 32—34 in seinem Gedicht „Torso“. Tatsächlich können wir uns derzeit in nahezu allen Lebensbereichen aufge- Vorstandssprecher Thomas Jorberg zur fordert fühlen, darauf zu achten, was wirklich wichtig ist, um die Weichen neu zu stellen. Zukunftsfrage Gesundheit In der GLS Bank wird seit ein paar Monaten davon gesprochen, dass wir gleichzeitig eine „Bank in Transformation“ sind und ebenso eine „Bank für Transformation“. Nach innen geschaut heißt das zum Beispiel, dass wir neue Formen der Zusammenarbeit erproben. Aktuell gibt es besonders viele Initiati- 35 ven aus der Kolleg*innenschaft für neue Angebote, aber etwa auch für eine gemeinschaftliche Arbeit Infografik: Auswirkungen des Klimawandels an strategischen Fragen mit über 200 aktiv Beteiligten. Da ist richtig viel in Bewegung! Gleichzeitig fordern uns die globalen Krisen als Geldgeber für Transformation in ganz neuen Dimen- sionen. Wesentlich ist dabei ein ganzheitlicher Blick, denn Klima, Biodiversität, Pandemien und Armut 36/37 können nicht getrennt angegangen werden. Zwar sprechen mittlerweile auch viele Konzerne von Dieser Robo zockt nicht Ökologie, aber ohne Gerechtigkeit ist diese nicht zu haben. Die Transformationsforschung zeigt, dass dauerhafte Veränderungen nur von denjenigen Bewegungen ausgingen, die auch für soziale Gerechtig- keit gekämpft haben. Wie Ökologie und Soziales erfolgreich verbunden werden können, dazu gibt es in der GLS Gemein- schaft eine Fülle von Beispielen. Mit der Natur und mit anderen Menschen in Verbindung zu kommen, sind keine Gegensätze. Davon erzählen wir in diesem Heft. Viel Spaß beim Lesen! Falk Zientz, Redakteur BANKSPIEGEL 1/2021
5 Komm auf (fz) Aufbruch auf dem Gemüseacker: Letztes Jahr hat hier noch ein internationales Unternehmen industrielle Landwirt- seitenhof bedeuten würde. Das wollten die Mitglieder nicht. Aber einige Gärtner*innen machten sich auf den Weg, „aus den Acker schaft betrieben. Jetzt haben die Initiator*innen der KoLa Leipzig eG gemeinsam mit bereits über 1.000 Mitgliedern Verantwortungsgefühl für die ökologische Bewirtschaftung — und auch aus großer Naivität, welche Dimensionen das die Bewirtschaftung der 35 Hektar Land übernommen. Und alles annehmen wird“, sagt die Mitinitiatorin Eva Köhler zwar ökologisch und solidarisch: Die Mitglieder können für heute. Hier eröffnet die größte ein Jahr Ernteanteile bestellen, erhalten wöchentlich bestes Doch die neue KoLa Leipzig eG wurde schnell kräftig: solidarische Landwirtschaft Gemüse und verschaffen den Gärtner*innen ein sicheres durch fähige Menschen, die ins Team dazukamen und durch mit radikalen Wurzeln. Einkommen. Es gibt Solidarpreise und gemeinsames Eigen- die Mitglieder, die bislang bereits über eine Million Euro an tum als Genossenschaft. Bereits zum Start wurde eine be- Anteilen und Darlehen eingebracht haben. Weniger radikal eindruckende Halle gebaut, mitfinanziert von der GLS Bank. als bei der Rote Beete eG gibt es keine Pflicht zur Mitarbeit. Angefangen hat alles vor drei Jahren mit einem Angebot, „Mit hoffentlich bald über 2.000 Mitgliedern wollen wir zei- das man kaum ablehnen konnte: Die bekannte Leipziger gen, dass solidarische Landwirtschaft dennoch auch in viel Gemüsekooperative Rote Beete eG wurde gefragt, ob sie größeren Dimensionen funktioniert“, so Köhler. — Eine zu günstigen Konditionen diese Fläche übernehmen wolle. andere Art von Radikalität. Schnell wurde allerdings klar, dass dies ein Ende der bislang überschaubaren Solidarökonomie in dem idyllischen Vier- kolaleipzig.de BANKSPIEGEL 1/2021
6 7 (fz) Wenn Unsichtbares ins politische Bewusstsein dringend brauchen. „Einige von uns wurden dann aber von Homeless kommen soll, dann müssen auch mal Grenzen überschritten werden. Diese Aktivistinnen versprühen zwar nur Kreide, Menschen gerettet, die an uns drangeblieben sind. Das will ich jetzt zurückgeben und selbst an Menschen dranbleiben, go home die mit dem nächsten Regen verschwindet. Aber sie wollen mit ihren eigenen Erfahrungen das Thema Obdachlosigkeit auf Augenhöhe.“ Die Karuna eG versteht sich als gesellschaftliches Ent- permanent ins Sichtbare bringen, zuerst mit bunten Farben wicklungslabor. Bereits gestartet wurden eine Buslinie und auf Wegen und Plätzen in Berlin, danach mit Aufklebern ein Kiosk für Obdachlose, ein Dorfprojekt mit solidarischer In der Sozialgenossenschaft bundesweit und dann weiter über die sozialen Medien. Landwirtschaft, Tiny Houses für Wohnungslose sowie Karuna eG arbeiten auch „Homeless go home“ ist ihre Botschaft oder „Konsum ist die Hitzehilfe Berlin. Entscheidend ist immer wieder die ehemalige Obdachlose nicht gleich Freiheit“. ganz individuelle Hilfe für Menschen, die aus allen Systemen Flo (Name geändert) war selbst viele Jahre auf der Straße herausgefallen sind. Gemeinsam mit anderen Aktivist*innen an der Abschaffung der und unterstützt nun Kinder und Jugendliche ohne Wohnsitz. und der GLS Bank wird hierfür an einer Art Grundein- Obdachlosigkeit. „Weil ich einfach nur der Fels sein möchte, den ich gebraucht kommen gearbeitet. — Soziale Innnovationen kommen hätte, als ich klein war“, sagt sie. Was viele erlebt haben, nicht selten von der Peripherie der Gesellschaft. sind keine guten Bindungserfahrungen in den ersten fünf Lebensjahren, keine bedingungslose Liebe, die Kinder so karuna.family BANKSPIEGEL 1/2021
8 9 Kleine Doch die Stadt Köln wollte nicht, dass das Haus ausgebaut so Perez Bessone. „Für mich war das am Anfang nicht wird. „Dann lasst eben alle draußen schlafen, da ist genug vorstellbar und für viele andere auch nicht. Das hätte Platz“, sagte der Schreiner und erzählte von seinen Nichten bestimmt Streit und Unmut gegeben, wenn wir das ange- und Neffen in Dänemark, wo das in den Kindergärten ganz ordnet hätten.“ Die Gärtnerin konnte trotzdem einfach mal Frischluftfanatiker selbstverständlich ist. Zur gleichen Zeit kam die bereits anfangen und fragte die anderen bei jedem Schritt um Rat. erwähnte Gärtnerin dazu, die ursprünglich aus Ostdeutsch- So setzte sich letztlich die gute Idee durch — und die Kinder land stammt, wo viele Kinder ebenfalls draußen schlafen. haben nun einen wunderbaren Platz an der frischen Luft „Dadurch sind die Kleinen viel gesünder und stecken sich mitten im Wald. Dazu die Gründerin: „Klar gehen auch hier nicht so leicht mit Krankheiten an.“ die Meinungen und Sorgen auseinander. Aber letztlich Aber Ansteckungen waren damals noch nicht das große treffen sich alle Menschen immer im Konkreten. Das ist Thema in Deutschland. Und mal konkret: Wie könnten gerade sehr gut an den Betten zu sehen, an der Liebe zum Raus aus dem Haus mitten im Corona-Winter: Schlafplätze draußen aussehen und wer sollte das alles Detail, die da reingeflossen ist.“ Wunderschön, dass es Wie ein ganzer Kindergarten gemeinschaftlich bauen ohne viel Geld? „Ich traue mir das nicht zu“, sagte solche Orte gibt! die Gründerin von Amares, Vanda Perez Bessone. „Zeit für die richtige Entscheidung getroffen hat. gemeinsame Planungen gibt es in Kindergärten ohnehin Von Falk Zientz kaum, vielleicht ein paar Stunden im halben Jahr. Und dann würde die Arbeit erst richtig anfangen.“ So schien die Initia- tive wieder einzuschlafen und zwei Jahre gingen ins Land. Dann kam die Corona-Zeit. Die meisten Kinder mussten zu Hause bleiben, sodass es ruhig wurde im Wald. Da sah die Gärtnerin die Zeit für ihren Plan gekommen. Gut, dass bei Amares das „Initiativprinzip“ gilt, sodass alle anderen sagten: „Wenn du das wirklich willst und uns vorher um Rat fragst, dann legen wir dir keine Steine in den Weg.“ Über- haupt sind die Menschen hier sehr miteinander verbunden. „Wir sind vor allem ein sozialer Ort, kein pädagogischer“, wird hier gesagt. Das zeigt sich auch daran, wie mit Krank- heiten umgegangen wird — und es gibt hier ausgesprochen viele Krankengeschichten, ohne dass die Arbeit liegen bleibt. Die Menschen unterstützen sich dann gegenseitig in ihren Notlagen und gewinnen so gleichzeitig einen Blick dafür, was wirklich wichtig ist im Leben. Außerdem scheinen sie damit ihrer Zeit immer ein wenig voraus zu sein. Doch davon gleich. Das Wichtigste war jetzt erst einmal, Unterstände Der Amares-Naturkindergarten wurde 2007 in Köln gegen den Regen und Betten für den Mittagsschlaf draußen eröffnet und betreut derzeit etwa 60 Kinder an zwei zu bauen. Das Material wurde von überall hergebracht: Der Standorten. „Wir möchten Kindern Zeit geben, eine Förster kam mit Robinienstämmen aus dem nahen Wald. Sache kennenzulernen, sie zu befragen, sei es ein Baum, Eltern und Freund*innen brachten kaputte Bollerwagen, eine alte Schreibmaschine, der Schatten oder eines der Strandkörbe und alte Terrassendielen. Mit den Waldarbei- unzähligen kleinen Rätsel im Alltag, an denen wir tern um die Ecke wurde gesprochen und nach ein paar Erwachsene so oft gleichgültig vorbeigehen.“ Monaten war da ein großer Haufen von Rindenmulch für Die GLS Bank finanzierte den Start von Amares mit den Boden. Gekauft wurde so gut wie nichts. Und was dem einer Schenkgemeinschaft und den zweiten Standort mit Schreiner Lorenz immer ganz wichtig ist: „Wir machen das einem Immobilienkredit. Für den GLS Kundenbetreuer alles mit Leichtigkeit. Nichts ist für die Ewigkeit.“ Viele Stefan Möller war in den Gesprächen besonders span- Hände packten an und es entstanden die schönsten Betten nend, wie die Menschen von Amares zusammenarbeiten: — jedes ein Einzelstück oder fast gar ein Kunstwerk. „Vanda Perez hat mir gleich das Buch ‚Reinventing Orga- Ob es ein Zufall war oder nicht: Genau in dem Moment, nizations‘ von Frederic Laloux empfohlen, lange bevor Sie spielen mit Schubkarren und fahren Erde — oder arbei- als das Wichtigste fertig war — im November 2020 —, da das überall bekannt wurde.“ Ganz wichtig darin ist das Hier im Wald zwischen hohen Bäumen und unweit einer ten sie? Einiges an Gemüse steht noch in den vielen Beeten mussten im ganzen Land wieder die Menschen zu Hause „Initiativprinzip“, auch „konsultative Einzelentscheidung“ großen Wiese liegt der Amares-Naturkindergarten. Dass und wartet darauf, geerntet zu werden. Frieren die Kinder bleiben, um sich nicht gegenseitig mit Corona anzustecken. genannt: Wer eine Initiative umsetzen will, muss die sich drum herum die Stadt Köln mit ihrem Häusermeer aus- nicht? Dürfen die nicht bald rein ins Warme? „Wir sind den Bei Amares aber rechnete man nach und schnell wurde klar: wesentlichen Beteiligten um Rat fragen, darf dann aber gebreitet hat, ist kaum zu bemerken. Überhaupt sieht es ganzen Tag draußen“, sagt sichtbar stolz die Gärtnerin Am wenigsten stecken sich die Kinder an, wenn sie nicht zu frei entscheiden. Das soll die persönliche Verantwor- hier eher aus wie am Rande der Zivilisation. Wenn Momo in Simone Schubert. Auch die Kleinsten, die Einjährigen, blei- Hause bleiben, sondern den Tag über hier im Wald sind, an tungsübernahme, die Qualität der Entscheidung und Köln wohnen würde, träfe sie sich bestimmt hier mit Beppo ben die ganzen sechs Stunden Kindergartenzeit an der der frischen Luft. Das konnten sofort alle nachvollziehen: auch das Zusammengehörigkeitsgefühl im Team fördern. Straßenkehrer und all ihren Freundinnen und Freunden. frischen Luft, sogar zum Mittagsschlaf. „Dass es dazu kam, die Eltern, die Menschen von Amares, die hier arbeiten, und Sieben Jahre nach den Gesprächen hörte Möller nun Gebaut wurde offensichtlich viel mit alten Materialien, die dafür musste manches zusammenkommen.“ auch die Kindergartenkinder. Während die allermeisten über von der nebenstehenden Geschichte, die dieses Prinzip sonst nicht mehr gebraucht werden, und mit Holz aus dem Entscheidend war da der Schreiner Lorenz B. Er sollte Wochen und Monate in ihren vier Wänden verharren muss- treffend und anschaulich darstellt, und schlug vor, sie nahen Wald. Auf dem Hof laden Wasserpfützen zum Erkun- sich Gedanken machen, wie ein altes Haus so vergrößert ten, durften diese Kinder weiterhin in den Wald zum Holz im Bankspiegel zu veröffentlichen. den ein, ein lustiges Feuer brennt, statt eines Sandkastens werden kann, dass alle Kinder darin Platz haben. Für die Sammeln, Erde Fahren, Pfützen Treten und — zum Schlafen vergnügen sich die Kinder auf einem großen Sandhaufen. zwölf ganz Kleinen reichte es zwar gut aus, aber die 22 in den neuen Betten. amares-koeln.de Ja, das überrascht wirklich: Viele Kinder tummeln sich hier anderen Kinder hatten nur eine kleine Ecke und mussten „Auch wenn das rückblickend die richtige Entscheidung kita-selbstorganisation-beratung.de unbesorgt im Freien, heute bei 0 Grad und Schneeregen. im Winter zur Mittagsschlafenszeit immer ganz still sein. war — das hätte kein Chef alleine entscheiden können“, BANKSPIEGEL 1/2021
10 11 Ein Bäcker teilt seine Gewinne „Wir verstehen uns nicht nur als Biopioniere, sondern auch als Pioniere in der Gestaltung einer zukunftsweisenden Arbeitswelt.“ Mit diesem Anspruch setzt die Vollkornbäckerei BioKaiser in Mainz-Kastel Maßstäbe und weckt damit sogar international Interesse. Von Renee Herrnkind, Autorin Der Motor des Unternehmens, Volker große Freiheiten bei den Entscheidun- waren dies 1,5 Millionen Euro. Davon schon lange vor unserem Zusammen- Die Werte von BioKaiser stehen also Was wünschen Sie sich für die weitere Schmidt-Sköries, knüpft so bestens an gen, schon lange bevor Konzepte wie wurden 230.000 Euro an Mitarbei- schluss an Kaiser geliefert. Die meisten nicht nur auf dem Papier, sondern Zusammenarbeit? den Gründungsimpuls aus den 1970er- New Work oder Holokratie Verbreitung tende, 100.000 Euro an Erzeuger, Höfe liegen im Umkreis der Bäckerei in werden gelebt? Jahren an. Sein Handwerksbetrieb fanden. Dass dies funktioniert, bestäti- 50.000 Euro an Künstler*innen und Rheinhessen, der Pfalz, im Hunsrück, (Überlegt) Mut zu noch mehr Vollkorn. sollte nicht nur vollwertiges, schmack- gen die Kund*innen in ihrem Feedback. 70.000 Euro an Umwelt- und soziale Taunus und der Wetterau bis hoch Definitiv. Das liegt stark an Volker Mut zum Roggen. Der ist leider das haftes und bekömmliches Biobrot Viele nehmen eine inspirierende Atmo- Projekte ausgeschüttet. Für 2019 gin- nach Marburg. Es sind kleinere bis mit- Schmidt-Sköries. Manchmal ist er ge- unterschätzte Getreide und seit Jahren liefern, sondern der Entfremdung von sphäre und einen wertschätzenden gen sogar 380.000 Euro an Mitarbei- telgroße Betriebe, die für regionale danklich weiter und kommt mit über- auf dem absteigenden Ast. Dabei hat Lebensmitteln entgegenwirken und Umgang miteinander wahr. tende, 150.000 Euro an Erzeuger sowie bäuerliche Landwirtschaft stehen. Das raschenden Ideen um die Ecke. Da er so viele Vorteile, ernährungsphysio- den Menschen Selbstverwirklichung In der Mainzer Zentrale lädt eine 70.000 Euro an Umwelt- und soziale passt natürlich optimal zu den Vorstel- kann man am Anfang etwas überfor- logisch und auf den Klimawandel ermöglichen. Allerdings war das kein Kulturwerkstatt des Betriebes zu Kon- Projekte. Schmidt-Sköries macht seine lungen von BioKaiser. dert sein. Für seinen Vorschlag, in die bezogen, weil er dank tieferer Wurzel- Selbstläufer. In den 1990er-Jahren kam zerten, zu Lesungen oder auch zum Haltung deutlich: „Fünf Prozent Rendite Preisgestaltung eine Nachzahlung aus ausbildung besser dasteht. Für unsere es zu einer handfesten Krise. „Damals Tango ein. Im Fitnessstudio wird mit sind genug, danach beginnt die Gier.“ Was ist das Besondere an dieser dem erwirtschafteten Gewinn an die Zusammenarbeit wünsche ich mir sehr, war das Wachsen zu verlockend und Yoga, Pilates und Alexander-Training Deshalb erhalten die Gesellschafter Geschäftsbeziehung? Erzeuger einzubeziehen, musste ich dass Intensität und Fruchtbarkeit ich hatte aus den Augen verloren, der Körper gestärkt. Seminare und eine maximal fünf Prozent Rendite. „Die erst mal um Vertrauen bei den Bauern erhalten bleiben. wozu wir eigentlich wachsen wollten“, Bibliothek inspirieren den Geist. Aus- Frage nach Sinnhaftigkeit begleitet uns Wir haben generell mit all unseren werben. Wir haben so manchen so Schmidt-Sköries. Diese Erfahrung zubildende bekommen Zeit für gesell- von Anfang an. Die Auseinandersetzung Kunden langjährige Beziehungen und gemeinsamen Reifeprozess erlebt. Die Menschen führte ihn letztlich zu einer neuen schaftliche Aktivitäten, etwa um frei- damit hat unsere Entwicklung voran- guten Austausch. Und dennoch muss Und das Wichtigste dabei: Er will es Knapp 270 Menschen aus über 37 Identität als Unternehmer, wie er es tags an den Klimademos teilzuneh- getrieben und zu kreativen Lösungen ich sagen, mit BioKaiser ist es wirklich nicht nur anders machen. Sondern er Nationen. 18 Bäckermeister*innen auch mit dem Titel seines Buches aus- men. „Unser Charme lebt davon, dass geführt. Dieser Prozess bleibt lebendig.“ ziemlich besonders, noch deutlich zeigt, dass es praktisch funktioniert. aus ganz unterschiedlichen Kultur- drückt: „beseeltes Arbeiten und nach- wir wirtschaftlich erfolgreich sind“, intensiver: Dem BioKaiser gebührt die Davon sind wir begeistert, genauso kreisen. Fünf Coaches für die persön- haltiges Wirtschaften“. Der 66-Jährige verrät Schmidt-Sköries mit einem Das Interview Krone (lacht). Unsere Zusammenarbeit von der Weitsichtigkeit des Unterneh- liche Entwicklung der Mitarbeiten- will mit kernigen Sätzen zum Nach- Augenzwinkern. Das verschafft ihm ist geprägt von ganz großer Offenheit mens. den und der Teams. denken anregen, etwa: „Stell dir vor, den nötigen Freiraum, um für eine Mit den Bauern auf Augenhöhe und ehrlichem Austausch. Probleme So ist er auf uns Landwirte zuge- wir würden Führungskräften Güte und zukunftsweisende Arbeitswelt aktiv zu oder Fehler werden sehr deutlich ange- kommen, um ein Klimaprojekt anzu- Barmherzigkeit beibringen, Demut und werden und andere mit seiner Begeis- Thorsten Neubauer organisiert für sprochen und immer suchen wir nach stoßen. Angesichts der menschenge- Verzeihen lehren.“ terung anzustecken. Eine wichtige Vor- etwa 70 Bioland-Betriebe den Getreide- gemeinsamen Lösungen. Wohltuend machten Klimaveränderung probieren Mit seinen Mitarbeiter*innen begab aussetzung dafür ist eine Eigentümer- verkauf an BioKaiser. ist das große Interesse an landwirt- wir nun niedrigschwellig, aber syste- er sich bereits auf diesen Weg. Das ist struktur, die dies zulässt. Mit der GLS schaftlichen Fragen. Es ist nicht selbst- matisch unter anderem unterschiedli- im neuesten Laden in Frankfurt-Ried- Treuhand wurde ein passender neuer Herr Neubauer, wer ist in der verständlich, dass die Bäckerseite che Getreidesorten auf vier Höfen aus. berg zu erleben: Dort sind die Räume Mitgesellschafter gefunden, der eine Vermarktungsgesellschaft Kornbauern unsere Probleme verstehen will, sich Damit stellen sich die Höfe für die als Kunstprojekt gestaltet und das Orientierung am Gemeinwohl für die organisiert? so tief an den Überlegungen beteiligt, Zukunft auf, wenn Hitze, Dürre und junge Team lebt neue Führungsstruk- Zukunft absichert. nachfragt und Perspektiven entwickelt. andere Extreme noch weiter zuneh- turen. Hier sollen Würde und Achtung Konkret zeigt sich das Ideal des Das sind ungefähr 70 Bäuerinnen und Dieser offene Diskurs ist eine Berei- men. in den Alltag der Bäcker*innen und alternativen Wirtschaftens auch im Bauern. Einige davon haben jahrzehn- cherung, er hat eine andere Tiefe als Verkäufer*innen fließen. Dazu gehören Aufteilen der Jahresgewinne: 2020 telange Beziehungen zu BioKaiser und gewöhnlich. BANKSPIEGEL 1/2021
12 13 Hitzacker Dorf — hier baut man auf Solidarität Sechs erste Häuser im Wendland stehen für eine große Idee: offen für alle Kulturen sein, unabhängig vom Geldbeutel und gemeinschaftlich organisiert. Das Schönste daran: Wie eine sehr bunte Gruppe das alles mit Wärme und Tat- kraft in die Wirklichkeit holt. Von Raimund Witkop, Journalist Karoline Klose Käthe Stäcker Matthias Korn Naram Alomar Matthias Metze Matthias „Mattus“ Korn sucht nach den passenden Worten es aus, mit gelegentlichen Zweifeln zu leben. Man sieht Als eine Kommune verstehen sie sich eher nicht und Neu gedacht wird auch die wirtschaftliche Grundlage. dafür, wie sein erster Besuch in Hitzacker Dorf vor gut einem immer wieder lächelnde Menschen bei der Arbeit, und das „auf jeden Fall nicht als Wohnprojekt!“, so Stäcker. Das klingt „Wir müssen und wollen Arbeit schaffen“, sagt Matthias Jahr war. „Eine glückliche Fügung“, sagt er schließlich. Rita nicht nur, weil gerade Besuch da ist. ihr zu sehr nach Sozialarbeit. Auf jeden Fall wollen sie ein Metze, bislang Experte für E-Commerce und jetzt Vorden- Lassen, die ihn damals in Empfang nahm, nickt freundlich. Die Architektur wirkt anheimelnd und warm, Holz in den Beispiel abgeben für andere. Dazu gehört die Idee der Sozio- ker für gemeinschaftliche Ökonomie. Das Modell ist die Korn musste raus aus Hamburg, war obdachlos („Nur oberen Etagen erinnert an Schwarzwald oder Alpen, die kratie, eine Organisationsform, die über Arbeitsgruppen solidarische Landwirtschaft: Eine Gemeinschaft trägt ein beinahe“, betont er.) und ziemlich verzweifelt. Ein Zimmer- Anordnung der Häuser an die berühmten wendischen Rund- und Delegierte auf Mitverantwortung und „Konsent“ setzt. Unternehmen, indem sie die laufenden Kosten voraus- mann empfahl ihn nach Hitzacker: Dort würde ein Dorf dörfer der Gegend. Auch die jüngere Geschichte ist spürbar: Stäcker sagt dazu scherzhaft: „So lange reden, bis alle ein- bezahlt und die Erzeugnisse später genießt. Diese als gebaut, wo man jede Hand brauchen kann, auch und gerade Die Proteste gegen das Atommülllager in Gorleben seit den verstanden sind.“ Community Supported Agriculture (CSA) weltweit erfolg- die von ihm. Der Zimmermann hatte dort mitgearbeitet 1980er-Jahren haben die abgelegene Landschaft an der Die dörfliche Struktur macht womöglich auch den inter- reiche Wirtschaftsweise soll nun als CSX auf andere und kannte die Menschen. Elbe stark geprägt. Viele Genossen waren Teil der Proteste, kulturellen Ansatz leichter. Die Syrerin Naram Alomar Unternehmen übertragen werden. Zu den Ideen in Hitz- Die Leute im Dorf wiederum erinnern sich, dass Korn im Wendland finden sich viele Biobetriebe, alternative erzählt, wie daheim die erweiterte Familie immer zusam- acker Dorf gehören eine Bäckerei und eine Markthalle, zunächst scheu und eigenbrötlerisch war, als er kam. Heute Geschäftsideen, kulturelle und soziale Initiativen. Eine gute men war: „So erlebe ich es auch hier. Ich finde, die ganze aber auch ein Therapeutikum mit Fachärzt*innen und ist er Mitglied der Genossenschaft, die das Projekt trägt, mit Gegend, um weitere Utopien zu versuchen. Welt sollte so leben.“ Alomar ist 2014 mit ihrer Familie aus Therapeut*innen. „Vertrauen gehört immer dazu“, sagt eigener Wohnung, aufgeschlossen und fröhlich, und keiner Mit großen Begriffen allerdings haben sie es hier nicht Aleppo geflüchtet. Dort war sie Jurastudentin, ihr Mann Sala Metze. Als Community-Projekt ist auch ein ambulanter möchte ihn mehr missen. „So etwas gelingt nur in Gemein- so, aber mit Ansprüchen an sich selber. „Wir sind ein sozia- Mostafa Goldschmied. Jetzt beginnt sie eine Ausbildung zur Pflegedienst nach dem holländischen Modell Buurtzorg schaft“, sagt Lassen. Sie gehört zu den Begründer*innen les Dorf, es soll nicht am Geld scheitern“, sagt Käthe Stäcker. Altenpflegerin, er steht am Ofen einer Pizzeria. Geflüchte- gedacht, der mit selbstständigen Teams und unter Ein- dieser Gemeinschaft, die — so scheint es — glücklichen Ein Drittel der Wohnungen ist für Menschen mit Zuwande- tenschicksal, aber sie ist glücklich: „Hier ist mein Herz auf- beziehung von Verwandten und Freunden arbeitet. Ein Fügungen öfter mal freundlich nachhilft. rungsgeschichte vorgesehen, ein Drittel für jüngere Men- gegangen.“ Genosse will Pilze züchten, sodass es wohl recht oft Pilz- Rein äußerlich wächst das Dorf langsam: Sechs Häuser schen, Familien mit Kindern, Alleinerziehende, Menschen Ihre beste Freundin ist Rita, die schwerbehinderte Frau gerichte geben wird, wenn die Community mitmacht. für rund 30 Bewohner*innen in einem Mischgebiet am mit Handicap, Wohnungslose. Das letzte Drittel ist für eines Arztes, der sein Praxisschild vor dem Dorf aufgestellt Das gemeinsame Bauen hat zusammengeschweißt; Rande von Hitzacker sind fertig, Platz für 300 soll es einmal Ältere, die Erfahrung, Zeit und auch Geld mitbringen. Eine hat. Überzeugt von Hitzacker Dorf hat sie ihre Tochter Karo- allen scheint bewusst, dass es mit den neuen Vorhaben geben. Alles entsteht mit viel Eigenleistung; jede*r wie er Solidar-AG findet Lösungen, wenn jemand die erforderli- line Klose, die im Sommer eine interkulturelle WG eröffnen schwieriger werden könnte. Wie weit wird die Solidarität oder sie kann. Die älteren Frauen haben sich auf Lehmputz chen Genossenschaftsanteile nicht selbst aufbringen kann. wird. Sie habe mal in New York gelebt, verrät Klose — bald führen? Metze sieht sich auf der Baustelle um, auf der spezialisiert — so wie Lassen, Diplomkauffrau im Ruhestand. Nun gehen sie einen Schritt weiter: Es soll soziale stellt sich heraus, dass sie für die UN gearbeitet, in Cam- schon viel Schmuckes zu sehen ist: „Alles hier ist aus dem Das ist körperlich nicht so herausfordernd. Für diese gemein- Mieten im sogenannten Bieterverfahren geben — jeder trägt bridge und anderswo studiert und an Dutzenden Orten in Nichts entstanden, nur durch gemeinschaftliche Tätigkeit. schaftlichen Arbeiten gibt es keine Tabellen und Zeitkonten. nach seinem Ermessen durch versteckte Gebote bei, bis alle aller Welt gelebt hat. Ihre letzte Station in Haiti war trauma- Ich finde das schon ganz ansehnlich.“ Das ist es wirklich, Ein Zeichen für die Verbundenheit und Verbindlichkeit im Kosten gemeinschaftlich gedeckt sind. Stäcker findet es tisch, deshalb ist sie hier. Und personifiziert das interkultu- und dieser Gemeinschaft ist auch auf den zukünftigen Dorf: Man nimmt an, dass jeder das Seine beiträgt, und hält „total spannend, wie sich das auf die Gemeinschaft relle Ideal. Mit Klose jedenfalls hat es einen Perspektivwech- Feldern alles zuzutrauen. auswirkt.“ sel gegeben. „Wir sagen jetzt nicht mehr: Wir betreuen Geflüchtete“, sagt sie. „Sondern wir leben mit ihnen.“ hitzacker-dorf.de BANKSPIEGEL 1/2021
14 15 Guerilla-Chefs sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Methode und einem gleichnamigen digitalen Tool des briti- Superreiche Der junge Mann sitzt glatt rasiert, bekleidet mit einem hell- schen Unternehmens Greaterthan, das es allen Mitgliedern blauen Hemd auf einem Bürostuhl in München und verzieht einer Organisation partizipativ ermöglicht, Projekte vorzu- keine Miene. Die Lage scheint ernst. Zumindest liest es sich schlagen und Mittel zuzuteilen. auch so auf der Website der Stiftung, die er gegründet hat: Doch Schwarz' Teilhabemission endet hier noch nicht. Es sei dringend geboten, „Widerstandsnester aufzubauen“, Die Foundation versucht, ein Netzwerk vermögender Perso- Guerillas Aktivisten zu unterstützen, „die auf einen großen systemi- nen unter dem Namen Rad Donors (Kurzform von Radical schen Wandel hinarbeiten“, und Bewegungen zu helfen, „die Donors, radikale Spender) aufzubauen, die die Guerrilla Paradigmenwechsel in Einstellungen, Verhaltensweisen und Foundation finanziell unterstützen. Schwarz sagt: „Ich finde, Kulturen vorantreiben“. Der Gründer der Guerrilla Founda- vermögende Erben stehen in der besonderen Verantwor- tion sagt es so: „Nach meinem Studium hatte ich überlegt, tung, gesellschaftlichen Fortschritt zu befördern.“ Auch des- ob ich nicht in einer Beratung oder einem Venture Capital wegen hilft die Stiftung derzeit gemeinsam mit der EDGE Fonds arbeiten wollte. Letztlich entschied ich mich aber erst Funders Alliance, einem weltweiten Netzwerk progressiver Die Superreichen vererben hierzulande jedes Jahr rund mal, Aktivist zu werden — und gründete in Griechenland Stiftungen, dabei, ein Netzwerk junger Erb*innen von hohen 100 Milliarden Euro. Das ist etwa ein Viertel aller Vermächt- eine Transparenzplattform wie Abgeordnetenwatch.“ Vermögen zusammenzubringen. Ähnlich dem Projekt Die Waffe dieses Mannes liegt nicht in seiner Hand, son- Resource Generation aus den USA, einer Gemeinschaft nisse. Einige der jungen Erb*innen stellen sich der großen dern auf dem Konto. Geld. Sehr viel Geld. Der Name des Che von 600 sehr wohlhabenden Menschen zwischen 18 und gesellschaftlichen Verantwortung dadurch, dass sie ganz neue aus München ist Antonis Schwarz. Sein Großonkel gründete 35 Jahren, die ihr Geld nach eigenem Bekunden für die Wege ausprobieren und sich direkt mit Aktivist*innen und nach dem Zweiten Weltkrieg die Schwarz Pharma AG, die „gerechte Verteilung von Wohlstand, Land und Macht“ mit einem Umsatz von fast einer Milliarde Euro und 4.100 einsetzen wollen. deren Projekten verbinden, sei es aus einer Stiftung oder Beschäftigten einmal zu den 80 größten deutschen Aktien- einem Unternehmen heraus. Ihr Anspruch: reale, menschliche gesellschaften gehört hat, ehe sie 2006 vom belgischen „Es ist leichter, sich als queer zu outen denn als reich.“ Verbindungen schaffen für einen radikalen Wandel Pharmakonzern UCB gekauft wurde. Für 4,4 Milliarden Euro. Antonis Schwarz erbte sein Vermögen, als er 18 Jahre alt Eine der Gründer*innen dieses Netzwerkes für den DACH- Von Thomas Friemel, Kommunikationsbüro Kombüse war — und rührte das Geld erst mal nicht an. Nach seinem Raum sitzt in Wien, mitten in der City. Marlene Engelhorn Managementstudium zog es ihn 2013 zunächst in das Land gehört ebenfalls zu der sehr kleinen Gruppe der sehr rei- seiner Mutter, nach Griechenland. Ein Schritt zur weiteren chen Menschen in Europa. Die Österreicherin wird „irgend- Identitätsfindung. „Mein Großonkel war in der kommunisti- wann über so viel Geld verfügen, dass man es sich kaum schen Partei engagiert, unsere Familie in Griechenland litt vorstellen kann“, sagt sie selbst. Das Geld kommt aus dem unter starker politischer Verfolgung“, sagt der heute 32-Jäh- Vermögen ihres 1991 verstorbenen Großvaters Peter Engel- rige. „Daher kommt wohl meine linke Seite.“ Er engagierte horn, der bis zu seinem Tod Mitgesellschafter des Pharma- sich für Social Entrepreneurs, in der Flüchtlingshilfe, für konzerns Boehringer Mannheim war, der 1997 an die Demokratieaktivisten, spendete mal hier, mal da. Bis es ihm Schweizer Roche AG verkauft wurde. „Ich hatte Glück in der zu unübersichtlich wurde. 2016 gründete er schließlich die Geburtenlotterie“, sagt Engelhorn. Guerrilla Foundation, in der er seitdem all seine Spenden- Es hat gedauert, bis sie offen über ihren Reichtum spre- aktivitäten strukturiert bündelt. chen konnte, in einer Zeit, „in der es in meinem Umfeld leichter ist, sich als queer zu outen denn als reich“. Und das Radikale Spender für zivilen Ungehorsam gehe vielen so. „Reich zu sein und das auch so zu sagen, ist nicht einfach, man muss es üben“, sagt die 28-Jährige. Auch Jedes Jahr spendet Schwarz heute 700.000 Euro in seine deswegen baut sie gemeinsam mit weiteren Mitstreiter*in- gemeinnützige Good Move GmbH, der größte Teil davon nen ihr Netzwerk auf, um „diese unglaubliche Kultur des fließt in 40 bis 50 Projekte von Aktivist*innen und soziale Schweigens zu durchbrechen“ und einen geschützten Bewegungen überall in Europa. Und das auf erstaunliche Diskussionsraum zu bieten, in dem man einerseits in Grup- Weise. Die Arbeit der Guerrilla Foundation basiert auf dem pen von vier bis acht Leuten entlang eines strukturierten sogenannten Participatory Grantmaking, also der inten- Leitfadens reflektiert, woher der Reichtum kommt („Wurden siven Beteiligung der geförderten Zielgruppen an der Stif- Menschen dafür ausgebeutet und wenn ja, wer?“), was er tungsarbeit, etwa durch das Einbinden der geförderten bedeutet („Welche Verantwortung haben wir?“), wie man Projekte in die Strategiearbeit der Stiftung, vor allem aber ihn kommuniziert („Wie rede ich mit meiner Familie und in in Bezug auf die Vergabe der Spendenmittel: Im Beirat der meinem Umfeld offen darüber?“) und insbesondere: Was Guerrilla Foundation sitzen drei Aktivist*innen, die über man mit ihm anfangen will. Dabei werden andererseits Spendenentscheidungen gleichberechtigt mitbestimmen. auch Mitglieder aus sozialen Bewegungen gleichberechtigt Entscheidungen werden in der Regel einstimmig gefällt und eingebunden, um deren Perspektive ebenso von Anfang an bei Dissens so lange besprochen, bis noch offene Themen mit einzubeziehen. geklärt sind. „Uns helfen das Know-how und die Erfahrun- „Es geht dabei insgesamt um die Umverteilung von gen unserer Beiratsmitglieder enorm bei der Entscheidungs- Macht, Ressourcen, Land und Kapital jeder Art“, sagt Engel- findung“, so Schwarz. Und weil Vertrauen für die Arbeit der horn. Deswegen müsse man gemeinsam über grundsätz- Guerrilla Foundation mit ihren geförderten Projekten eine liche Fragen diskutieren: Was ist das gute Leben für alle? so große Rolle spielt, plant sie nun sogar, dass sich die Welche Gesellschaft stellen wir uns vor? Welche Rolle habe Aktivist*innen aus dem bestehenden Netzwerk transparent, ich als reicher Mensch in der jetzigen Gesellschaft? Und: auf Vertrauensbasis und Augenhöhe selbst Kleinbeträge bis Wie viel ist genug? 1.000 Euro ohne große bürokratische Hürden auszahlen Derzeit haben zehn Menschen diese Art der Auseinan- können. „Ein philanthropisches Experiment“, sagt Schwarz dersetzung begonnen, bald sollen zehn bis 20 neue dazu- — und nicht unähnlich dem Ansatz von CoBudget, einer kommen und es gebe reges Interesse in der DACH-Region. BANKSPIEGEL 1/2021
16 17 Grüne Welle Unter Vermögenden und Privilegierten „kennt man sich ein- „Sie betrachten Geld als soziales Gestaltungsmittel.“ fach”, sofort sei man per Du und problematische hierarchi- sche Strukturen verfestigten sich in ihrer gut gemeinten Gemeinsam Geld dorthin bringen, wo es benötigt wird — Exklusivität — etwas, das „wir dringend verändern müssen”. darum geht es auch Angelika Stahl, Abteilungsleiterin Ver- Die neue Organisation wolle nun besonnen wachsen und mögensmanagement, Stiftungsbetreuung und institutio- Um Elektroautos mit Ökostrom zu versorgen, gehen vier Energie- sich sukzessive mit Bewegungen verbinden, die man ein- nelle Anleger bei der GLS Bank. „Unsere vermögenden versorger und die GLS Bank einen ungewöhnlichen Weg: Sie schließen binden und unterstützen wolle. Engelhorn sagt: „Wir wollen Kund*innen sind meist Menschen, für die sich aus ihrem unsere Verantwortung schließlich nicht nur erkennen, son- Privileg eine hohe gesellschaftliche Verantwortung ergibt.“ sich in der Genossenschaft Ladegrün! zusammen — und wollen mit dern auch übernehmen.“ Sie würden Geld als soziales Gestaltungsmittel betrachten ihren Kunden eine Bewegung anstoßen. und sich fragen, was das konkret für sie bedeutet. „Gemein- Von Kristina Duveneck, Journalistin Hilfe aus der Flasche für eine GLS Zukunftsstiftung sam suchen wir dann nach passenden Lösungen“, so Stahl. „Sei es rund um das Thema Schenken und Spenden von Geld, Einer, der seine Verantwortung bereits auf eine ganz eigene seien es Anlagekonzepte mit sozial-ökologischer Wirkung.“ Weise wahrnimmt, ist Quentin Pratley. Sein Vermögen ist Diese Art der Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit dem das Ergebnis eigener unternehmerischer Tätigkeit, auch Fokus auf Wirksamkeit gehörte bereits zum Gründungs- wenn er durch den frühen Tod seiner Mutter diverse Beteili- impuls der GLS Bank. Besonders in den vergangenen zehn gungen an mittelständischen Industriebetrieben in Deutsch- Jahren hat sie intensiv daran mitgewirkt, dass nachhaltige Das Ziel der Genossenschaft Ladegrün!: 100 Prozent Ökostrom tanken, denn land und der Schweiz geerbt hat — was der 28-Jährige als Geldanlagen auch bei Stiftungen auf der Agenda landeten, nur so macht E-Mobilität wirklich Sinn. „Puffer“ für sein Leben sieht, obwohl sie ihm derzeit eher etwa mit dem Format Mission Investing Forum. „Zusam- „Kopfschmerzen“ bereiten. men mit der GLS Treuhand sehen wir uns als Partner, die Seine Firma, das ist die FLSK Products GmbH, ausge- Stiftungen immer wieder neue Anregungen geben, um sprochen „Flask“, Flasche. Die Produkte: hochwertige Ther- Schenkungsgeld wirksam einzusetzen", so die GLS Expertin. mosflaschen und Snackpots, sogenannte To-go-Produkte, Das gelte für die Vermögensanlage ebenso wie für die För- aus Edelstahl. 2015 gegründet, erwirtschaftete das Münch- dermittel der Stiftung. ner Unternehmen mit seinen 35 festen und assoziierten Immer wieder bringt die Bank ihre Kund*innen mitein- Mitarbeitenden im vergangenen Jahr bereits sieben Millio- ander in Verbindung. Stahl sagt: „Es liegt viel Potenzial darin, nen Euro Umsatz. Pratley ist Geschäftsführer und einer von wenn die richtigen Menschen zusammenkommen und sich drei Gesellschaftern, die freundschaftlich verbunden sind. gemeinsam auf den Weg machen — Menschen mit einer Und alle eint nach „intensiven Diskussionen“ die Über- gemeinsamen Haltung und ähnlichen Werten und zeugung, sich nachhaltig aufzustellen. „Eigentlich sollte es Zielen." selbstverständlich sein, eine Wirtschaft zu etablieren, die der Welt nicht nur schadet, sondern sie sogar besser Eigentlich sind sie Konkurrenten. Rivalen. Eigenständige Mobilität der GLS Bank und Aufsichtsrat von Ladegrün!, macht“, so Pratley. Dafür hat die Firma FLSK Movement ent- Ein Schatz für Innovationen Unternehmen, die um Kunden kämpfen und in deren Gunst sieht darin einen weiteren Vorteil: „Mit diesem Modell wickelt, ein Konzept für eine „ständige Bewegung zum öko- Antonis Schwarz ackert auf vielen Feldern. Auf einem vorne liegen wollen. Und nicht auf dem zweiten oder drit- können wir unseren Kunden die Chance geben, Teil einer logisch und sozial Bestmöglichen“, wie es auf der Website davon liegt ein Schatz, der bislang in Deutschland nicht ten Platz. „Manchmal aber gibt es wichtigere Ziele als den Bewegung zu werden. Sie sollen die Transformation heißt. Was zum einen bedeutet, dass eine langlebige Iso- gehoben ist: Geld aus sogenannten nachrichtenlosen Wettbewerb untereinander“, sagt Roland Philipps. Die Ener- mitgestalten.“ lierflasche natürlich per se nachhaltiger ist als eine aus Plas- Vermögenswerten. Das sind zum Beispiel nachrichten- gie- und Mobilitätswende ist so ein Fall. „Deshalb arbeiten Der Bau von Stationen im öffentlichen Raum, etwa in tik, aber zum anderen auch, dass die Herstellung in China lose Konten, bei denen Finanzdienstleister den Kunden- wir jetzt zusammen.“ Innenstädten, steht nicht im Vordergrund. „Kommunen fällt nach sozial fairen Standards erfolgt und der Transport weit- kontakt verloren haben und nicht wiederherstellen konn- Wir, das sind die Versorger Elektrizitätswerke Schönau, es häufig schwer, ihre Flächen umzuwidmen, deshalb müss- gehend umweltfreundlich ist, genauso wie die Verpackung. ten, weil zum Beispiel deren Eigentümer*innen bereits Greenpeace Energy, Naturstrom und die Inselwerke Bürger- ten wir uns lokale Partner vor Ort suchen, um die Politik zu Das Ziel ist Klimaneutralität. verstorben sind und den Erb*innen die Existenz dieser energiegenossenschaft sowie die GLS Bank. Gemeinsam überzeugen“, sagt Philipps. Eine weitere Hürde: Vielfach So weit, so fast gut. Doch das Movement will mehr: Vermögenswerte nicht bekannt ist. Aktuell sind Finanz- haben sie Ladegrün! gegründet, eine Genossenschaft, die müssen erst Netzanschlüsse gebaut werden, was sehr teuer Seit 2017 spendet FLSK ein Prozent seines Jahresumsatzes, dienstleister in Deutschland berechtigt, das Konto nach Ladesäulen errichten und Fahrer*innen von Elektroautos werden kann. Aber ganz egal, wo die Ladesäulen letztlich um Menschen im Bereich Entwicklungszusammenarbeit, 30 Jahren zu schließen und den Betrag zu behalten. eine saubere Alternative zu dem Strom herkömmlicher stehen: Erzeugt und geliefert wird der regenerative Strom Bildung und Forschung zu unterstützen. Diese Stoßrichtung Geschätztes Volumen: zwei bis neun Milliarden Euro. Stationen anbieten möchte. Damit das gelingt, wollen die von den Ladegrün!-Initiatoren, die Bezahlung wickelt die kommt nicht von ungefähr: Pratley war nach der Schule im Das wollen Finanzexperte Schwarz, das Social Entre- fünf Unternehmen nicht nur vorübergehend kooperieren, GLS Bank über ihr Zahlsystem Giro-e ab. 100 Ladepunkte Rahmen seiner Ausbildung zum Straßenbauer im Kongo preneurship Netzwerk Deutschland (SEND) und weitere sondern „langfristig ins Handeln kommen“, so Philipps. Er wollen sie noch in diesem Jahr aufstellen, bis 2025 sollen es unterwegs und verliebte sich in den Kontinent. Doch ein Bündnispartner ändern. Die Idee: Es soll ein zentrales ist Projektingenieur für nachhaltige Mobilität bei EWS Schö- rund 4.000 sein. Wie schnell der Ausbau vorangeht, hängt Gedanke ließ ihn seitdem nicht mehr los: „Wie und wo kön- Register bei der KfW entstehen, mit dem Erb*innen ver- nau und als Vorstand der Genossenschaft verantwortlich aber nicht allein von ihnen ab. „Wir sind mit unserer Idee nen wir am meisten bewegen für das Wohl aller?“ lorene Vermögenswerte finden können. Meldet sich für den Aufbau des neuen Geschäfts. nicht allein auf dieser Welt und das ist im Sinne der Ver- Und weil Pratley schon lange Kunde bei der GLS Bank ist, innerhalb von zehn Jahren niemand, sollen die Finanzins- Grundsätzlich hakt es in Deutschland bei den Strom- kehrswende auch gut so“, sagt Schulte. „Zum Teil sind die fragte er dort einfach mal nach, welchen Beitrag er leisten titute die Vermögenswerte auf die KfW übertragen. Ein tankstellen. Eine Million Ladepunkte will die Bundesregie- benötigten Komponenten und Kunststoffe knapp und die könne. Und es wundert nicht, dass er eine Antwort bekam: Teil dieser Mittel soll in einen Dachfonds fließen, aus dem rung bis 2030 in Betrieb haben — derzeit sind es gerade Lieferzeiten, die bei drei Monaten liegen, steigen eher an, Der Ein-Prozent-Umsatz fließt in den FLSK Future Fonds, heraus in Zielfonds investiert wird, die neben einer finan- mal 40.000. „Und selbst wenn neue angeschlossen werden, als dass sie kürzer werden.“ der von der GLS Zukunftsstiftung Entwicklung gemanagt ziellen Rendite auch eine messbare soziale und/oder liefern sie meistens keinen echten Ökostrom“, sagt Philipps. Auch deshalb sei es gut gewesen, die Kräfte der beteilig- wird, die 77 Partner in 18 Ländern auf dem Weg zu einer ökologische Rendite generieren. Ein entsprechendes Sein Angebot richtet sich vor allem an mittelständische ten Partner zu bündeln, erklärt Vorstand Philipps. Alleine nachhaltigen Tragfähigkeit begleitet und unterstützt. Rechtsgutachten der Bundesregierung ist derzeit in Firmen und regionale Bürger- oder Energiegenossenschaf- hätte jeder nur wenig erreichen können. Gemeinsam aber Gemeinsam mit FLSK identifiziert die Stiftung passende Bearbeitung. Fällt es positiv aus, steigt die Chance einer ten. Planen diese, ihre Parkplätze mit Ladesäulen zu ergän- sei die Schlagkraft groß. Und darum müsse es jetzt gehen. Projekte und fördert sie. Im Fonds liegt mittlerweile immer- Umsetzung weiter, wenn zudem die Idee nach der Bun- zen oder ihre Mitglieder beim Umstieg auf E-Fahrzeuge zu Damit die Energie- und Mobilitätswende endlich voran- hin ein sechsstelliger Betrag. „Alle Beteiligten sind in einer destagswahl im Koalitionsvertrag als Forderung festge- unterstützen, kann Ladegrün! die Infrastruktur bereitstellen. kommt. guten Verbindung — und das ist doch das Entscheidende“, schrieben wird. „Das ist unser Ziel“, sagt Schwarz. „Und Erste Projekte mit Unternehmen aus dem Kundenkreis der so Pratley. „Nur so kommt man gemeinsam vorwärts.“ es sieht gut aus.“ Ladegrün!-Gründer laufen bereits. Mirko Schulte, Leiter lade-gruen.de BANKSPIEGEL 1/2021
18 19 Selbstbestimmt Studieren Wir können auch anders. Was passiert, wenn einige junge Charlotte von Bonin (24) Johanna Hueck (36) Daria Urman (33) Mitinitiatorin des Studienganges, startete im Oktober 2019 Studiengangsleiterin und Mitarbeiterin am philosophischen Investmentpartnerin der Purpose Stiftung, lebt auf Menschen ihre Bildung selbst in zusammen mit 15 Mitstudierenden das Pionierjahr Seminar der Kueser Akademie Sonnerden, einem 2020 gegründeten Zukunftsdorf die Hand nehmen? Sie probieren, philosophieren und starten einen Fragen und Demut Philosophiegeschichte und bewegliche Prozesse Gemeinschaft und Lernen Es geht darum, fragend durch die Welt zu gehen und nicht Durch die gemeinsame Auseinandersetzung mit philoso- Ich bin in einem Vorort von Sankt Petersburg aufgewachsen. ersten Studiengang. Im Zukunfts- immer gleich auf alles eine Antwort finden zu wollen. Das phischen Fragen kommen wir zu Evidenzmomenten. Meine Eltern saßen, während ich gespielt habe, nie vor dem dorf Sonnerden finden sie ihr Fragende, damit kommt Unsicherheit auf. Aber ich glaube, Die tauchen nur auf, weil wir gemeinsam nachdenken. Spielplatz, um aufzupassen. Wir Kinder waren einfach drau- Domizil. Es geht um Philosophie dass das auszuhalten eine Fähigkeit ist, die wir in der heuti- So lernen sich Menschen noch einmal ganz anders kennen ßen, es gab immer Nachbarn, die hätten meinen Eltern gen Zeit besonders brauchen. als in ihrem tagtäglichen Tun. Da sehe ich ein Potenzial schon gesagt, wenn etwas passiert wäre. Dieses Gefühl, und Gesellschaftsgestaltung. für Philosophie heute. sich als Kind frei zu bewegen und zu entwickeln und nicht Was sie antreibt und welche Denk- Unser Studium ist in Blockseminare aufgeteilt. Wir versu- die ganze Zeit von der eigenen Familie abhängig zu sein, anstöße für andere darin stecken. chen, uns Themen in ihrer Tiefe zu erschließen. Bei einer Dabei stellt sich die Grundfrage: Wie können akademische das ist hier auf Sonnerden auch so. Wahrnehmungsübung ging es darum zu fragen: Was Lehre und Zusammenarbeit an Hochschulen so gedacht Von Lisa Neal, Journalistin kommt eigentlich von mir, was kommt von außen auf mich werden, dass sie zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen? Wir haben uns als Gruppe von Menschen zusammengetan, zu und wie ist mein Verhältnis zu dem, was ich wahr- Die Freude an der Imperfektion ist für mich dabei ein wich- um Sonnerden zu gründen. Wir wollten anders leben als nehme? In Verbindung mit anderen zu kommen, bedeutet tiger Schritt. Dass gerade eigentlich das Erleben von Hin- bisher. Unser Bedürfnis war es, wertverwandte Menschen selbstbestimmt-studieren.org für mich, offen zu sein für alles, was da ist. Zu beobachten, dernissen ein produktives Moment sein kann und daran als direkte Nachbarn um uns herum zu haben. Nicht zu ver- wie ich mit anderen in Verbindung trete, hilft mir auch, Entwicklungsmöglichkeiten entstehen. Es gibt beispiels- einzeln. Wir wollten in Verbindung sein, ins Teilen kommen mit mir in Verbindung zu kommen. weise eine Arbeitsgruppe für Seminarplanung, da gab es und gemeinsam Dinge schaffen und voneinander lernen. Konflikte, weil wir gemerkt haben: Das betrifft alle, was die Wir merken, dass wir damit nicht einfach eine verrückte Gerade beschäftigt mich auch mein Ethikseminar noch machen. Deshalb haben wir eine Vollversammlung einge- Idee hatten, sondern dass dieser Wunsch dem Zeitgeist sehr. Hier ging es um Fragen wie: Bin ich ein tugendhafter führt. Da kommen nicht nur die Studierenden zusammen, entspricht. Er trifft die Sehnsucht, sei es als Familie mit Mensch? und: Was soll ich tun? Jeder hat sich eine Tugend sondern die Lehrenden sind auch eingeladen. An einzelnen Kindern oder als alleinstehende Rentnerin anders im Leben ausgewählt und die wollen wir in unserem Leben vertiefen, Tischen wird über Module gesprochen und die Wünsche gehalten zu werden. Es ist auch eine pragmatische Ent- beobachten und ausbilden. Ich habe mir Demut ausgesucht. werden dann nach und nach zu einer konkreten Idee ver- scheidung, die vieles vereinfacht. Das können Alltagssachen Das hängt damit zusammen, dass ich mich frage, mit dichtet. sein, wie zum Beispiel das Kind zu den Nachbarn zu schi- welcher Haltung wir der Natur und anderen Lebewesen cken, zusammen zu kochen oder ein zu Auto teilen, einen respektvoller begegnen können. Aus dem schrittweisen Abtasten ist eine Arbeitsform ent- Garten zusammen zu gestalten oder auch Projekte zusam- standen. Was müssen wir anders greifen, wo müssen wir men voranzubringen. Im Studiengang lerne ich sehr viel über selbstständiges etwas neu machen? Wir haben keine Organisationsstruktur Arbeiten. Das lerne ich auch bei Fridays for Future und so von außen aufgesetzt, sondern aus den Notwendigkeiten Ein wichtiges Motiv auf Sonnerden ist Lernen: Wir leben profitieren diese beiden Aktivitäten voneinander. Ich habe der einzelnen Aufgabenbereiche Strukturen entstehen hier in verschiedenen Generationen und lernen dadurch, wir Lust, zu etwas Größerem beizutragen. Die Entscheidung lassen. Jetzt ist aber die Frage: Ist dieser Rahmen starr oder lernen von den Projekten und der Arbeit der anderen und für einen freien Studiengang bedeutet, Mut zur Unsicherheit wächst der mit, ist der beweglich? Das ist auch das Kunst- dazu kommt nun auch Lernen mit der Initiative „Selbstbe- aufzubringen: sich gegen die geregelten Bildungswege zu stück mit der Akkreditierung, vor dem wir stehen. Es geht stimmt Studieren“. Zum einen leben einige von den Studie- stellen und für etwas zu entscheiden, bei dem noch un- nicht darum, irgendwo auf der grünen Wiese irgendwas zu renden hier, wir essen immer wieder zusammen, debattie- sicher ist, ob es am Ende einen Abschluss gibt. machen, in dem man sich wunderbar wohlfühlt, das aber ren über politische Fragen wie direkte Demokratie, oder sie mit der Gesellschaft nicht mehr viel zu tun hat. Im Dialog zu wollen zum anderen im Dorf mit anpacken und helfen uns sein mit der Hochschullandschaft, verstehen wir als eine beim Verputzen von Lehmwänden. wichtige Aufgabe. BANKSPIEGEL 1/2021
20 21 People-Power Für ein anderes Wirtschaften ist die Macht der Vielen ein starkes Werkzeug. Von Thomas Friemel, Kommunikationsbüro Kombüse Diese drei GLS Kunden ändern das Einkaufs- Die Kaffee-Familie Eins plus Eins macht doppelt Sinn Hilfe, die wie Öl runtergeht verhalten: Teikei lässt mithilfe der Community Das Kind hat viele Namen: In den USA heißt es Community Wenn Sebastian Stricker sagt, die „Idee steht erst am Ein Kreis ist, nun ja, eine wirklich runde Sache. Als geo- fairen Biokaffee in Mexiko anbauen und mit Supported Agriculture (CSA), in Italien Gruppo di Acquisto Anfang“, dann darf man das gerne als höfliche Untertrei- metrische Figur ohnehin, übertragen auf die Olivenöl- dem Segelschiff nach Deutschland transportieren, Solidale (GAS), bei uns in Deutschland solidarische Land- bung werten. Das von ihm gegründete Unternehmen bande allzumal. Matthias Riepe, Holger Scholz und Michael bei share hilft jeder Kunde Menschen in Not wirtschaft — Spitzname Solawi. Und in Japan Teikei, was share wirtschaftet nach dem Prinzip „Buy one, give one“: von der Lohe nennen sich so, eine verschworene Gemein- mit jedem Kauf eines seiner Produkte, die Partnerschaft bedeutet. Doch in seinem Wesen ist es über- Wer einen Snack der Marke kauft, finanziert eine Mahlzeit schaft, die zarte und gleichzeitig feste Bande unter- Olivenölbande unterstützt mit ihren Gewinnen all gleich: Eine Gruppe von Verbraucher*innen bezahlt die für einen Menschen in Not, für jedes Pflegeprodukt gibt einander und weit darüber hinaus knüpft, um einen hohen Geflüchtete in Griechenland. Was alle eint: Landwirt*innen vorab für Anbau und Lieferung von zumeist es andernorts für jemanden einen Hygieneartikel, jedes gesellschaftlichen Mehrwert zu kreieren. In diesem Fall: Wirtschaft wird so zu einer gesellschafts- in Bioqualität produzierten Lebensmitteln. So können diese Getränk gewährleistet einen Tag Frischwasser an einem Ort für geflüchtete Menschen auf der griechischen Insel verändernden Kraft. Und das Schöne ist: mit gesicherten Beträgen kalkulieren und die Kund*innen des Mangels. Anfang 2018 gestartet, flossen über dieses Lesbos. Jeder kann Teil davon sein. werden mit regionalen Lebensmitteln versorgt. Meistens 1+1-Prinzip bisher zwei Millionen Euro in Projekte weltweit, Die drei Männer aus Nordrhein-Westfalen lassen im zumindest. Denn das Hamburger Team von Teikei Coffee eine Million Menschen wurden erreicht, der Umsatz hat die Südwesten des Peloponnes von ihren Partner*innen Bio- hat sich aufgemacht, das Prinzip auf die globale Ebene zu zweistellige Millionenhürde genommen. olivenöl aus der Koroneiki-Olive herstellen und verkaufen hieven. Im südmexikanischen Tal Oaxaca bauen derzeit Das Netz des Guten ist groß: Auf der einen Seite gibt es es hier in Deutschland. Der Gewinn fließt zurück nach zehn indigene Landwirt*innen Kaffee an und werden gleich- die rund 25 Lieferanten, die zu 95 Prozent in Deutschland Griechenland, an die Partner der Hilfsorganisation Attika zeitig in biodynamischer Landwirtschaft ausgebildet. Mit produzieren und zu fairer und ökologischer Produktion ver- Human Support, die sich um die notleidenden Geflüchteten dem Segelschiff Avontuur wird der Kaffee in 70 Tagen klima- pflichtet sind. Vertrieben werden die rund 50 Produktarten auf den Inseln ihres Landes kümmern. Ein Kreis der guten freundlich nach Hamburg gebracht und von dort an die rund vor allem über Rewe-Supermärkte, dm-Drogerien, Aral- und Tat. Mit der Olive als Medium. Oder ein wenig ökonomischer 800 Mitglieder große Kaffeegemeinschaft verteilt. Shell-Tankstellen, IKEA, DB und Eurowings. Rund sieben ausgedrückt, darf man die noch kleine GbR getrost als Der erfahrene Solawi-Entwickler Hermann Pohlmann Prozent des Umsatzes fließen schließlich auf der anderen Social Business bezeichnen, dessen Zweck nicht der sieht seine Aktivität innerhalb von Teikei als „soziale Skulp- Seite in soziale Projekte von Partnerorganisationen wie das monetäre, sondern der ideelle Profit ist. tur“ — ein Begriff des Künstlers Joseph Beuys, der besagt, UN-Welternährungsprogramm, Aktion gegen den Hunger Die drei Bandenmitglieder kennen sich seit rund dass in einem System „Freiheit, Gleichheit und Brüderlich- oder die Caritas. Damit es funktioniert, müssen sich die Pro- 30 Jahren und treffen sich regelmäßig zum Austausch, keit lebendig sein müssen“, so Pohlmann. Teikei bringt die dukte preislich am Premium-Segment orientieren — sogar, „um uns über unsere beruflichen und persönlichen Entwick- Menschen über den Kaffee hinaus auch in anderer Weise in wenn für klassisches Marketing nicht ein Euro ausgegeben lungen auszutauschen“ (von der Lohe), „was uns das Herz Verbindung: Sie treffen sich zum Beispiel gemeinsam in wird. Share setzt auf die Community und ist auf „vielen erweitert“ (Scholz) und in „ein hohes Vertrauen“ (Riepe) Videokonferenzen oder tauschen Videobotschaften mit den Social-Media-Kanälen aktiv, macht dort Umfragen und ver- fließt. Sie treten nicht nur in eine tiefe Verbindung mitein- Bauern und Bäuerinnen aus. Einmal im Jahr finden Besuche öffentlicht Interviews“, so Stricker. Transparenz steht ganz ander ein, sondern in jegliche Dimensionen, in die Zukunft, im Tal von Oaxaca statt. Auch eine Reise der Landwirt*innen oben auf der Liste. Deswegen hat jede*r Käufer*in über ins Umfeld, in die Natur, in den Geist. Im November 2018 nach Deutschland ist geplant. Die Bauern haben das Prinzip einen auf die Verpackung gedruckten QR-Code einen digita- mündete schließlich alles in der Gründung ihres kleinen von Teikei schätzen gelernt, so Pohlmann: „Einer der Bauern len Zugang zu Informationen über das jeweils geförderte Unternehmens, im vergangenen Jahr lieferten sie schon sagte: ‚Wir entwickeln also eine große Familie.‘“ Manchmal Projekt. „Wir haben eine gesellschaftliche Relevanz“, sagt 1,5 Tonnen Olivenöl aus. Doch dabei soll es nicht bleiben. lässt sich das Kind auch sehr einfach beim Namen nennen. der CEO. „Dieses Potenzial wollen wir mit allen gemeinsam „Wir laden alle in unseren Kreis ein“, sagt Scholz. Schließlich ausschöpfen.“ fällt die Ernte der Hilfe desto höher aus, je größer der gesamte Kreis ist. Coffee to go beyond Wer Kaffee von Teikei erhalten möchte, kann ein Jahres- Buy, buy! abo abschließen. Der Arabica-Kaffee wird je nach Das Berliner Unternehmen mit 55 Mitarbeitenden So wirst du Teil des Kreises Wunsch gemahlen oder als ganze Bohnen vier-, sechs- aus elf Nationen verkauft unter seinem Label share Wer also erstklassiges und leckeres Bioolivenöl nicht oder zwölfmal im Jahr geliefert, kommt in Ein-Kilo- Lebensmittel (Pasta, Mehl, Schokolade), Hygieneartikel nur schätzt, sondern Genuss mit Hilfe paaren möchte, gramm-Verpackungen oder in einer Pfandversion unver- (Gels, Seifen, Cremes), Getränke (Wasser mit und kann das Öl in umweltfreundlichen Drei-Liter-Blech- packt und kostet im Abo ab 30 Euro. Wer mag, kann sich ohne Geschmack) und Schreibwaren (Hefte, Stifte). kanistern zum Preis von 54 Euro online bestellen. Und bereits existierenden Teikei-Gemeinschaften anschlie- Als sogenanntes B-Corp-Unternehmen wurde es 2019 wenn man Glück hat, kommt eins der Bandenmitglieder ßen. Nicht benötigte Gewinne werden in die Verbesse- als „Best of the World“ in der Kategorie „Community“ dann sogar persönlich vorbei, um es mit dem schönen rung des Bioanbaus und Bildungsarbeit reinvestiert. ausgezeichnet. Satz „Du bist ein Segen!“ zu überbringen. teikeicoffee.org share.eu olivenoelbande.com BANKSPIEGEL 1/2021
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