Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen
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WISSENSCHAFT / RESEARCH ÜBERSICHT / REVIEW 169 Elena Günther, Nadine Kommerein, Sebastian Hahnel Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen* Warum Sie diesen Beitrag Einführung: Orale Mikroorganismen sind an der Pathogenese vieler Erkran- lesen sollten? kungen der Mundhöhle wie Karies, Parodontitis und Periimplantitis sowie der Prothesenstomatitis entscheidend beteiligt; darüber hinaus können sie einen Art und Verarbeitung polymerer relevanten Einfluss auf die Entstehung systemischer Beeinträchtigungen wie Werkstoffe können die Biofilm- Lungen- oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausüben. In Biofilmen organisiert, anheftung auf abnehmbarem besiedeln Mikroorganismen Zähne, Schleimhäute und zahnärztliche Restaura- Zahnersatz entscheidend modulie- tionen; diese sind in unterschiedlichem Ausmaß für die häusliche Mundhygie- ren und damit die Entwicklung von ne zugänglich. biofilmassoziierten Erkrankungen beeinflussen. Diskussion: Aufgrund des demografischen Wandels gibt es immer mehr ältere und multimorbide sowie in Pflege befindliche Patienten, von denen ein Groß- teil auch zukünftig mit abnehmbarem Zahnersatz prothetisch versorgt sein wird. Dabei kommt es durch Einschränkungen der Motorik und der kogniti- ven Fähigkeiten nicht selten zu Schwierigkeiten bei der häuslichen Mund- hygiene, die oftmals ohne fremde Hilfe nicht mehr in einem ausreichenden Ausmaß möglich ist. Regelmäßig wird aus diesen Gründen der Biofilm, der sich auf dem meist extendierten abnehmbaren Zahnersatz gesammelt hat, nur unzureichend entfernt, wodurch die Entwicklung und Progression von Erkran- kungen getriggert und begünstigt werden können. Abnehmbarer Zahnersatz wird in aller Regel zu einem Großteil aus polymeren Werkstoffen gefertigt, wo- bei gegenwärtig viele neue Materialien auf den Markt gebracht werden, die zur Herstellung von abnehmbarem Zahnersatz verwendet werden können. Das Spektrum der zur Verfügung stehenden Werkstoffe wird dabei zunehmend breiter und beinhaltet neben verschiedenen Materialien auf Basis von Poly- methylmethacrylat auch Komposit-basierte Werkstoffe und Materialien mit völlig anderer Polymerchemie. Weiterhin finden sich im Hinblick auf die Bio- adhäsion relevante Unterschiede bei Werkstoffen, die in klassischen Verfahren oder mithilfe von CAD/CAM-Techniken verarbeitet werden. Schlussfolgerung: In diesem Zusammenhang möchte die vorliegende Arbeit die Bedeutung von Biofilmen auf abnehmbarem Zahnersatz darstellen, die Interaktion oraler Mikroorganismen mit der Oberfläche polymerer Werkstoffe skizzieren und Strategien zur Minimierung der Bioadhäsion auf Werkstoffen abnehmbaren Zahnersatzes darlegen. Schlüsselwörter: polymere Werkstoffe; abnehmbarer Zahnersatz; Mikroorganismen; Biofilme; CAD/CAM-Verfahren Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde, Universität Leipzig: Elena Günther; Prof. Dr. Sebastian Hahnel Klinik für Zahnärztliche Prothetik und Biomedizinische Werkstoffkunde, Medizinische Hochschule Hannover: Dr. Nadine Kommerein Niedersächsisches Zentrum für Biomedizintechnik, Implantatforschung und Entwicklung (NIFE), Hannover: Dr. Nadine Kommerein *Deutsche Version der englischen Erstveröffentlichung von Günther E, Kommerein N, Hahnel S: Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures. Dtsch Zahnärztl Z Int 2020; 2: 142–151 Zitierweise: Günther E, Kommerein N, Hahnel S: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen. Dtsch Zahnärztl Z 2021; 76: 169–179 Peer-reviewed article: eingereicht: 06.12.2019, revidierte Fassung akzeptiert: 20.03.2020 DOI.org/10.3238/dzz.2020.5626 © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
GÜNTHER, KOMMEREIN, HAHNEL: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen 170 Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures Zahnmedizin unterstreicht. Mit zu- nehmendem Alter steigt der Anteil Biofilms on polymeric materials von Prothesenträgern auf bis zu 86 % for the fabrication of removable bei den älteren Senioren zwischen 75 und 100 Jahren mit Pflegebedarf [47]. dentures Abnehmbarer Zahnersatz bedeckt da- bei große Flächen der Schleimhaut; Introduction: Oral microorganisms can contribute to the pathogenesis of damit kann er in besonderem Maße many diseases in the oral cavity such as caries, periodontitis, peri-implanti- eine extendierte Anheftungsfläche tis and denture-related stomatitis. Yet, oral microorganisms may also have mit optimalen Lebensbedingungen a considerable influence on the onset of systemic medical conditions such für Mikroorganismen bieten und so- as lung or cardiovascular diseases. Microorganisms are organized in bio- mit ihr Wachstum und ihre Prolifera- films and they colonize teeth, mucosa, and dental restorations; the extent tion sowie die Bildung von Biofilmen to which biofilms are accessible during self-performed oral hygiene varies begünstigen. Wie auf Zähnen sollten widely. auch die dem Zahnersatz anheften- den Biofilme regelmäßig entfernt Discussion: The current demographic trends show that the population is werden, was vor allem für ältere, in getting older and that an increasing number of elderly and multimorbid Pflege befindliche Patienten aufgrund patients require nursing care, most of whom already have and/or will re- ihrer oftmals eingeschränkten moto- ceive removable dentures in the future. Impaired motor skills and cognitive rischen und kognitiven Fähigkeiten abilities often lead to difficulties in self-performed oral hygiene, thus mak- schwierig ist (s. Abb. 1 und 2). So ge- ing these patients reliant on others for assistance. The regular accumu- ben knapp 30 % der pflegebedürfti- lation of biofilm on removable dentures, which is not sufficiently removed, gen älteren Senioren an, auf externe may trigger and foster the onset of oral and systemic diseases in immuno- Hilfe bei der Prothesen- und Mund- logically compromised patients. Usually, removable dentures are fabricated hygiene angewiesen zu sein [47]. Die from polymeric materials and polymethylmethacrylate is the most fre- Instruktion von Pflegern und Fremd- quently used material. In spite of this, many new materials are currently putzern besitzt dabei eine entschei- being introduced on the market which can be used to make removable dende Bedeutung [93]. Erschwerend dentures. The range of available materials has become increasingly broad kommt hinzu, dass die Hilfe bei der and it includes materials based on polymethylmethacrylate as well as com- täglichen Mund- und Prothesenpfle- posite-based materials and polymeric materials with a distinct polymer ge vonseiten der Pfleger aus verschie- chemistry. Relevant differences exist between the bioadhesion of materials denen Gründen limitiert ist [23, 48, that are processed using classical methods as compared to CAD/CAM- 78, 79, 107]. Zum einen ruht auf dem manufacturing. Pflegepersonal eine hohe allgemein- pflegerische Arbeitslast, d.h., für die Conclusion: In this context, the current article aims to describe the im- Mundhygiene stehen nur sehr kurze portance of biofilms on removable dentures, to outline relevant inter- Zeitfenster zur Verfügung. Darüber actions of oral microorganisms with the surface of polymeric materials, and hinaus scheinen Defizite bei der to present strategies for minimizing bioadhesion on removable dentures. zahnmedizinischen Schulung des Pflegepersonals zu herrschen, was zu Keywords: polymeric materials; removable dentures; microorganisms; Schwierigkeiten bei der Erkennung biofilms; CAD/CAM-manufacturing von Zahnersatz führt, dessen Ein- und Ausgliederung und nicht zuletzt seiner Reinigung. Untersuchungen zeigten, dass auch die Verweigerung der Annahme von Hilfe bei der Mundhygiene durch den zu Pflegen- 1. Ätiologie und Pathogenese wickelt, sodass heute immer mehr den ein Problem darstellt sowie Be- biofilmassoziierter Menschen auch im hohen Alter viele rührungsängste vonseiten des Pflege- Erkrankungen bei ihrer natürlichen Zähne besitzen [47]. personals [7]. Dieser Sachverhalt ist Patienten mit So hat sich die Zahl der zahnlosen Pa- insbesondere vor dem Hintergrund, abnehmbarem Zahnersatz tienten innerhalb der letzten 20 Jahre dass die mechanische Reinigung von halbiert: Während 1997 noch etwa abnehmbarem Zahnersatz nach wie 1.1 Die Bedeutung von 25 % der jüngeren Senioren zwischen vor den Goldstandard darstellt, von abnehmbarem Zahnersatz 65 und 74 Jahren zahnlos waren, sind Bedeutung, da die einfachere Anwen- Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte es heute nur noch ca. 12 % [47]. dung von chemischen Reinigern le- haben sich sowohl die zahnmedizi- Nichtsdestoweniger trägt fast die diglich unterstützend erfolgen sollte nische Versorgung als auch das Be- Hälfte der jüngeren Senioren (46 %) und gerade im Hinblick auf die Ent- wusstsein für die Mundgesundheit in abnehmbaren Zahnersatz, was dessen fernung von Mikroorganismen nicht Deutschland bedeutend weiterent- nachhaltig große Bedeutung in der in jedem Fall suffizient ist [32]. © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
GÜNTHER, KOMMEREIN, HAHNEL: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures 171 Abbildung 1 und 2 Oberkieferprothese bzw. Unterkieferprothese mit ausgedehnten Biofilmauflagerungen sowie Verfärbungen auf- grund mangelnder Prothesenhygiene zweier pflegebedürftiger Patientinnen (91 und 77 Jahre) 1.2 Werkstoffe für die zierten Tragekomfort mit sich brin- mie) sowie einer minimalen Bruch- Herstellung von gen. anfälligkeit aufgrund der hohen Elas- abnehmbarem Zahnersatz Urethandimethacrylate gehören tizität [90]. Zudem besitzen diese Für die Herstellung von abnehm- zu der Gruppe der Lichtpolymerisate, Werkstoffe auch Vorteile in ästhe- barem Zahnersatz werden Werkstof- die während der Verarbeitung zu- tischer Hinsicht, da gingivafarbene fe differenziert, die zu starren oder nächst knetbar sind, bevor sie mithil- Klammeranteile aus dem Material flexiblen Prothesen verarbeitet wer- fe von Licht in speziellen Öfen aus- hergestellt werden können. Nachteil den können. Es sind verschiedene härten. Bei der Herstellung von Teil- der Polyamide sind ihre bedingte Re- Polymersysteme zur Herstellung von und Totalprothesen erspart diese Ver- paraturfähigkeit und Polierbarkeit abnehmbarem Zahnersatz auf dem arbeitungsform unter Umständen [92]. Darüber hinaus wird eine auf- Markt erhältlich, die sich anhand ih- eine Wachsaufstellung [90]. Weitere grund der Elastizität bedingte un- rer unterschiedlichen Verarbeitung Anwendungsbereiche lichthärtender günstige Druckverteilung diskutiert, gruppieren lassen [90] (s. Tab. 1). Ei- Kunststoffe sind die Herstellung indi- die zu einer verstärkten Atrophie des ne Gruppe stellen die Materialien vidueller Löffel, Unterfütterungen Alveolarfortsatzes führen kann [11]. dar, die mithilfe von Druck, Wärme oder kieferorthopädischer Apparatu- In die Gruppe der Thermoplaste (Sonderform: Mikrowellen) oder ren. Im fertigen Zustand zeigen sie im lassen sich außerdem industriell Licht polymerisiert werden können. Vergleich zu Heißpolymerisaten eine auspolymerisierte thermoplastische Eine weitere Werkstoffgruppe um- erhöhte Festigkeit [17], weisen aller- PMMA-Materialien einordnen. Im fasst die thermoplastischen Materia- dings eine höhere Sprödigkeit sowie Gegensatz zu ihren im konservativen lien, die keiner Polymerisation be- erschwerte Reparaturfähigkeit auf Verfahren hergestellten Pendants dürfen, sondern mithilfe von Wär- [92]. weisen sie einen geringeren Rest- me in Form gebracht werden, bevor Die Gruppe der Thermoplaste monomergehalt auf, besitzen aber sie erstarren. Die dritte Werkstoff- stellt Kunststoffe dar, die während gleichzeitig eine verminderte Repara- gruppe bilden Materialien, die in- der Herstellung von abnehmbarem turfähigkeit. Ein weiterer Vertreter dustriell polymerisiert oder thermo- Zahnersatz durch Zufuhr von Wärme thermoplastischer Werkstoffe ist das plastisch verarbeitet werden und in Form gebracht werden und nach Polyoxymethylen (POM), welches zur schließlich als CAD/CAM-Block er- ihrer Abkühlung flexible Eigenschaf- Herstellung zahnfarbener Prothesen- hältlich sind, aus dem zahnärztliche ten aufweisen. Aufgrund des ent- gerüste und -klammern verwendet Restaurationen und nicht zuletzt ab- fallenden Polymerisationsprozesses werden kann. Aufgrund der Möglich- nehmbarer Zahnersatz gefräst wer- kommt es weder zu Bisssperrungen keit, POM-Gerüste gingivafarben zu den können. noch zur Anwesenheit von Rest- gestalten, ist eine Herstellung kom- Wichtigster Vertreter der Auto- monomeren [90], weshalb diese pletter Prothesenbasen aus POM und Heißpolymerisate ist das Poly- Gruppe bei Patienten mit Methyl- denkbar. Nachteile dieses Materials methylmethacrylat (PMMA), welches methacrylat-Allergie favorisiert An- sind seine fehlende Erweiterungs- im Praxisalltag den am häufigsten wendung findet. Wichtige thermo- fähigkeit und stärkere Dimensionie- verwendeten Prothesenwerkstoff dar- plastische Werkstoffe sind beispiels- rung im Vergleich zu Metallklam- stellt. PMMA überzeugt durch geringe weise Polyamid-basierte Kunststoffe, mern und -gerüsten [92]. Kosten, seine Reparaturfähigkeit so- mit denen die Herstellung flexibler Neuere Verarbeitungsmethoden wie einfache Handhabung [80]. Die Prothesen möglich ist. Diese haben ermöglichen mithilfe der CAD/CAM- hohe Rigidität des Materials kann al- den Vorteil einer einfacheren Einglie- Technologie das Fräsen von Prothe- lerdings Nachteile wie eine erhöhte derbarkeit für Patienten mit einge- senbasen, kompletten Prothesen so- Bruchanfälligkeit sowie einen redu- schränkter Mundöffnung (Mikrosto- wie Prothesengerüsten aus industriell © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
GÜNTHER, KOMMEREIN, HAHNEL: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen 172 Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures Polymerisierbare Kunststoffe Thermo-plastische CAD/CAM-Kunststoffe Kunststoffe Heiß oder kalt polymeri- Lichtpolymerisierbare sierbare Kunststoffe Kunststoffe Polymethylmethacrylat Urethandimethacrylat Polymethylmethacrylat Polyamid (Nylon) (PMMA) (UDMA) (PMMA) Thermoplastisches PMMA Polyaryletherketon (PAEK) Polyoxymethylen (POM) Polyaryletherketon (PAEK) Tabelle 1 Übersicht unterschiedlicher Verarbeitungsformen polymerer Werkstoffe mit Beispielen vorgefertigten Blöcken. Für die Her- barem Zahnersatz dank der gespei- Abb. 3). Über 700 verschiedene Arten stellung von Prothesenbasen oder cherten CAD/CAM-Daten eine ein- von Bakterien konnten bereits als Be- kompletten Prothesen eignet sich in- fache Neuanfertigung bei Prothesen- standteile des oralen Mikrobioms dustriell vorpolymerisiertes PMMA. verlust oder -schaden. Ebenso können identifiziert werden [50]. Bevor sich Die entfallende Polymerisations- Modifizierungen sowie Unterfütterun- Bakterien oder Pilze allerdings auf schrumpfung sowie ein geringer Rest- gen digital vorgenommen und die Zähnen oder zahnärztlichen Restau- monomergehalt stellen dabei wesent- Prothese neu hergestellt werden [90]. rationen anlagern und Biofilme bil- liche Vorteile im Vergleich zu konser- Da sich im Laufe der Tragezeit ei- den, entsteht innerhalb von Sekun- vativ verarbeitetem PMMA dar. Zu- ner Prothese der Kieferknochen und den bis Minuten nach Reinigung eine dem scheint die homogenere und damit das Prothesenlager verändern, sogenannte erworbene Pellikel auf porenfreie Beschaffenheit der CAD/ können Unterfütterungen zur Verbes- allen natürlichen Oberflächen der CAM-Materialien einen positiven Ein- serung der Mastikation und zur Re- Mundhöhle sowie auf der Oberfläche fluss auf mechanische Eigenschaften duktion von Druckstellen angezeigt zahnärztlicher Restaurationen [37, zu haben [90, 97]. Für die CAD/CAM- sein. Dabei unterscheidet man starre 46, 104]. Die Pellikel besteht überwie- Fertigung von Prothesengerüsten für Unterfütterungsmaterialien aus bei- gend aus Proteinen (darunter Enzy- komplexen abnehmbaren Zahnersatz spielsweise kaltpolymerisierendem me), Kohlenhydraten und Lipiden, bei Patienten mit Allergien gegen me- PMMA von weichbleibenden Unter- welche aus dem Speichel, der Sulkus- tallische Werkstoffe eignen sich Polya- fütterungsmaterialien auf Silikon- flüssigkeit oder von Bakterien stam- ryletherketone (PAEK) als stabile alter- oder Acrylatbasis [52, 85]. Letztere men [38]. Ihre Entstehung beruht ini- native Gerüstmaterialien [33]. PAEK Materialgruppe wird vor allem für tial auf elektrostatischen Wechselwir- gehören zur Familie der Hochleis- die Unterfütterung von abnehmbarem kungen. Die im Speichel enthaltenen tungsthermoplaste und wurden im Zahnersatz bei ungünstiger Morpholo- Phophationen tragen zur negativen Jahr 2006 in den Dentalmarkt einge- gie des Alveolarfortsatzes verwendet; Ladung von Zähnen und Zahnersatz führt [90, 94]; zuvor fanden sie bereits Beispiele sind stark unter sich gehende bei; die ebenfalls im Speichel befind- u.a. Verwendung in der Wirbelsäulen- Kieferkämme, Schlotterkämme oder lichen, positiv geladenen Calciumio- chirurgie. PAEK-Materialien besitzen stark atrophierte Kieferkämme mit nen werden durch elektrostatische verbesserte mechanische Eigenschaf- aufliegendem Nervus alveolaris infe- Kräfte angezogen und schließen in- ten [73, 97], ein geringes Gewicht [33] rior [16]. Darüber hinaus finden diese mitten der Ionenschichten Proteine sowie eine geringe Interaktion mit Werkstoffe Anwendung bei Situatio- ein (beispielsweise Phosphoproteine, biologischen Materialien, was zu ih- nen, die einer minimierten Belastung Statherin, Histatin). Durch Van-der- rem niedrigen allergenen Potenzial des Prothesenlagers bedürfen – etwa Waals-Kräfte sowie proteineigene, ge- beiträgt [113]. Allerdings ist die Repa- nach operativen Eingriffen wie Extrak- ladene funktionelle Gruppen wird die ratur- und Erweiterungsfähigkeit von tionen oder Implantationen. Haftkraft der initialen Pellikel an der Polyaryletherketonen gering, und sie Oberfläche von Zähnen und Zahn- zerkratzen schneller als PMMA [41]; 1.3 Bildung von Biofilmen ersatz verstärkt [105, 106]. Anschlie- ebenso liegen bis dato kaum klinische Die Mundhöhle bietet Lebensraum ßend folgt die Ankopplung von Pro- Daten zur Langzeitbewährung der für eine Vielzahl von Mikroorganis- teinaggregaten aus dem Speichel Werkstoffe im oralen Kontext vor. Un- men, wobei Bakterien und Pilze die durch Protein-Protein-Interaktionen abhängig vom Material ermöglicht die Hauptbesiedler von Zähnen, Schleim- mit den bereits immobilisierten Pro- CAD/CAM-Herstellung von abnehm- häuten und Zahnersatz darstellen (s. teinen der initialen Pellikel. © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
GÜNTHER, KOMMEREIN, HAHNEL: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures 173 hung biofilmassoziierter Erkrankun- gen. Krankheiten, die durch orale Mikroorganismen hervorgerufen wer- den können, umfassen sowohl lokale Manifestationen als auch systemische Erkrankungen. 1.4 Durch Biofilme ausgelöste lokale Erkrankungen bei (Abb. 1, 2, Tab. 1: E. Günther; Abb. 3: N. Kommerein) Prothesenträgern Eine besondere Bedeutung besitzt in diesem Zusammenhang der Pilz C. al- bicans, der eine wesentliche Rolle für die Entstehung von Prothesenstomati- tiden spielt [10]. Träger einer Totalpro- these entwickeln dabei häufiger eine Prothesenstomatitis als Träger von partiellen Prothesen [1], was mit ho- her Wahrscheinlichkeit der größeren Grenzfläche geschuldet ist. Die Pro- thesenstomatitis besitzt eine Prävalenz Abbildung 3 Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines oralen Multispezies- von bis zu 75 % [27]; sie äußert sich Biofilms aus der Plaque eines an Parodontitis erkrankten Patienten nach 72-stündiger, als lokale Rötung der von der Prothese anaerober In-vitro-Kultivierung auf Glas bedeckten Schleimhaut und wird häu- fig von Brennen, Missempfindungen, Geschmacksstörungen oder Schmer- zen begleitet. Dabei ist die Entstehung Die Pellikel weist je nach Lokali- Reifung des bakteriellen Biofilms einer Prothesenstomatitis von mehre- sation unterschiedliche Ultrastruktu- kommt es in einem Zeitraum von Ta- ren begünstigenden Faktoren abhän- ren und Dicken auf, die vor allem gen zur Integration weiterer Mikro- gig. Eine insuffiziente Mund- und Pro- durch die an der jeweiligen Lokali- organismen in den Biofilm. Zunächst thesenhygiene, ganztägiges Tragen der sation vorhandenen Speichelbio- lagern sich gramnegative Kokken Prothese und die damit einhergehen- polymere sowie durch Scherkräfte (z.B. Veillonella spp.) an die Früh- de Verringerung des pH-Werts der ora- bestimmt werden, jedoch weniger besiedler an, später adhärieren auch len Mukosa unter 6,5 sowie ein ge- durch materialbezogene Parameter gramnegative, fadenförmige Spezies schwächtes Immunsystem können [36]. Der Werkstoff selbst beeinflusst wie der Brückenkeim Fusobacterium hierbei die Manifestierung von C. albi- allerdings die Zusammensetzung der nucleatum und Spätbesiedler (z.B. cans fördern [27, 63]. Pellikel. So werden auf Prothesenma- Capnocytophaga sputigena, Porphy- In diesem Zusammenhang scheint terialien beispielsweise weniger Sta- romonas gingivalis, Aggregatibacter die Virulenz von C. albicans mit zu- therine und Histatine gefunden, wel- actinomycetemcomitans, Treponema nehmender Reifung des Biofilms zu che für die Abwehr zuständig sind denticola, Tannerella forsythia, Pre- steigen, da es zu einer morpholo- [22]. Gleichzeitig kann die Pellikel votella intermedia), welche teilweise gischen Transformation des Pilzes von die Eigenschaften des darunter lie- Leitkeime oraler Infektionen umfas- überwiegend Blastosporen zu Hyphen genden Substrates verdecken [28, sen [54, 61, 62]. Auch Pilze wie Can- kommt [98]. Untersuchungen haben 35]. Während die Pellikel neben der dida albicans können mit Bakterien gezeigt, dass auch die Werkstoffober- Lubrikation ebenso dem Schutz der wie z.B. Streptococcus gordonii, S. fläche die Transformation von Blasto- Zahnoberfläche dient, spielt sie glei- oralis, S. sanguinis [57, 81], A. oris sporen zu Hyphen triggern kann [16, chermaßen für das mikrobielle At- [31] und F. nucleatum [30] koaggre- 20, 87]. Letztere sind in der Lage, mit- tachment an Zähnen und heraus- gieren, interagieren und Teil der hilfe von Enzymen in die betreffen- nehmbaren Zahnersatz eine bedeu- komplexen oralen Biofilmgemein- den Schleimhautareale zu invadieren tende Rolle. Bestandteile der Pellikel schaft sein [112]. und in tiefere Schleimhautschichten dienen als Rezeptoren für die Anhef- Die Anwesenheit spezifischer Pa- vorzudringen [10, 59, 98]. Dabei tung von Mikroorganismen. Dabei thogene allein ist für die Entstehung scheinen vor allem Aspartatproteina- kolonisieren zunächst vor allem von Erkrankungen der Mundhöhle sen eine Degradation von Wirtsprotei- grampositive Streptokokken (z.B. allerdings nicht ausreichend. Viel- nen zu forcieren und damit die Inva- Streptococcus oralis, Streptococcus mehr spielen die dynamischen Wech- sion von C. albicans zu fördern [42]. sanguinis, Streptococcus mitis) und selbeziehungen zwischen Mikro- Untersuchungen belegen, dass die Ak- Stäbchen (z.B. Actinomyces naeslun- organismen und dem Wirtsorganis- tivität der Proteinasen mit dem dii oder oris) die Pellikel und zählen mus sowie seiner Immunabwehr eine Schweregrad der Prothesenstomatitis somit zu den Frühbesiedlern. Durch entscheidende Rolle bei der Entste- korrelieren [89]. Zudem wiesen die in © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
GÜNTHER, KOMMEREIN, HAHNEL: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen 174 Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures Biofilmen organisierten C. albicans stehung einer Aspirationspneumonie 2.1 Modifikation der Biofilm- höhere Sekretionsmengen von Aspar- [71, 91]. Neben Aspirationspneumo- formation auf abnehm- tatproteinasen auf als planktonisch nien gehören gastrointestinale Infek- barem Zahnersatz durch lebende C. albicans [68]. Darüber hi- tionen zu möglichen disseminierten Werkstoffeigenschaften naus kann dieser Pilz wie andere Mi- Infektionen, welche durch akkumu- Für die Anheftung von Biofilmen auf kroorganismen Werkstoffoberflächen lierte oropharyngeale Bakterien auf polymeren Werkstoffen scheinen ins- degradieren, was zu einer Aufrauung Oberflächen abnehmbaren Zahnersat- besondere ihre chemische Zusammen- derselben führt und wiederum Irrita- zes verursacht werden [77]. setzung sowie ihre Oberflächenrau- tionen der Mukosa unterhält [87]. Verschiedene Untersuchungen igkeit, -energie und -topografie rele- konnten darlegen, dass eine verbes- vante Eigenschaften darzustellen. Da- 1.5 Durch Biofilme ausgelöste serte Mundhygiene und somit eine bei gilt im Allgemeinen, dass ihr Ein- systemische Erkrankungen verminderte Keimlast einen positiven fluss mit zunehmender Biofilmdicke bei Prothesenträgern Effekt auf die Morbidität und Morta- abnimmt [35]; daraus lässt sich fol- In den letzten Jahren konnte in einer lität durch Pneumonien hat: So gern, dass ein potenziell präventiver Vielzahl von Untersuchungen gezeigt konnten 10 % der Pneumonie-be- Einfluss des Werkstoffs durch regel- werden, dass Mikroorganismen der dingten Todesfälle in Altersheimen mäßige mechanische Entfernung des Mundhöhle die Entstehung syste- durch eine verbesserte Mundhygiene anheftenden Biofilms aufrechterhal- mischer Erkrankungen entscheidend vermieden werden [95]. Weiterhin ten werden muss. Dies bedingt zu- beeinflussen und begünstigen kön- scheint eine optimierte Mundhygie- dem, dass innovative materialassozi- nen. So führen orale Infektionen wie ne die Pneumonie-bedingte Mortali- ierte Strategien zur Kontrolle von Bio- Parodontitis zur Zellalterung (Senes- tätsrate effektiver zu senken als deren filmen auf polymeren Werkstoffen für zenz): Die Telomeraseaktivität der be- medikamentöse Therapie; ebenso die Herstellung von abnehmbarem troffenen Patienten ist erhöht und nahm die Zahl der Fiebertage bei Pfle- Zahnersatz genügend Resistenz auf- kann im Gegensatz zu gesunden Pa- gebedürftigen mit verbesserter Mund- weisen müssen, um einer notwendi- tienten nicht oder nur geringfügig und Prothesenpflege ab im Vergleich gen wiederkehrenden mechanischen durch protektive Maßnahmen wie zu denen, die keine Intensivierung Reinigung widerstehen zu können. Sport reduziert werden [67]. Andere ihrer Mund- und Prothesenhygiene Eine hohe Oberflächenrauigkeit Arbeiten identifizierten oropharyn- erfuhren [109]. bedingt im Allgemeinen aufgrund der geale Bakterien in atherosklerotischen vergrößerten zur Verfügung stehen- Plaques [5, 21, 69], wodurch man da- 2. Moderne Werkstoffe und den Anheftungsfläche und der Bereit- von ausgeht, dass Bakterien über den Strategien zur Modulation stellung von vor Scherkräften schüt- parodontalen Halteapparat in den der Biofilmbildung und zenden Nischen eine verstärkte Akku- Blutkreislauf gelangen und somit die -entfernung von mulation von Mikroorganismen, die Entstehung von Herz-Kreislauf-Er- abnehmbarem Zahnersatz durch Politur minimiert werden kann. krankungen fördern können. Im Hin- Bei der Entwicklung neuer dentaler Während makrogefüllte Komposite blick auf die Bedeutung von Biofilmen Werkstoffe stehen meist die Optimie- früherer Generationen Füllkörper auf abnehmbarem Zahnersatz konn- rung mechanischer Eigenschaften enthalten, die mit hoher Oberflä- ten respiratorische Pathogene in Bio- wie Biegefestigkeit, Risszähigkeit oder chenrauigkeit und somit hohen filmen auf Prothesen nachgewiesen Härte sowie die Verbesserung des Plaque-Akkumulationen in Verbin- werden [82, 103], was eine Assoziation ästhetischen Erscheinungsbildes im dung gebracht wurden, zeigen mo- zwischen dem Auftreten von Pneumo- Zentrum des Interesses. Allerdings derne Hybridkomposite diesbezüg- nien und dem Tragen von abnehm- zeigen die oben diskutierten Über- lich ein wesentlich besseres Verhalten barem Zahnersatz bestätigt [23, 43]. legungen zur Prävalenz und Bedeu- [44]. Allerdings wurden für verschie- Die Anwesenheit von Atemwegs- tung von Biofilmen auf abnehm- dene CAD/CAM-Werkstoffe trotz pathogenen in Biofilmen auf Zähnen barem Zahnersatz, dass Strategien, vergleichbarer Oberflächenrauigkeiten und Zahnersatz scheint im Kontext die eine Minimierung der Anheftung unterschiedlich starke Biofilmanhef- mit der Pathogenese nosokomialer von Biofilmen auf Werkstoffen für tungen beobachtet. Dabei wies die Lungenentzündungen, aber auch der die abnehmbare Prothetik bzw. eine Gruppe der Polymere die geringste Initiation oder Progression chronisch leichte Entfernung der Biofilme von Biofilmanheftung auf: Polymere Werk- obstruktiver Lungenerkrankungen zu der Oberfläche der Werkstoffe er- stoffe wie Prothesenbasismaterialien stehen [91]. Pneumonien gehören zu möglichen, erheblich zur Erhaltung besitzen einen größeren Anteil orga- den verbreitetsten Erkrankungen der der oralen und systemischen Ge- nischer Bestandteile, die vermutlich älteren Bevölkerung und stellen mit sundheit von Menschen mit ab- eine geringere Bioadhäsion bedingen einer Mortalitätsrate von 25 % eine nehmbarem Zahnersatz beitragen als anorganische Komponenten [4]. der häufigsten Todesursachen dar [76, könnten. Aus diesem Grund sollten Bis dato liegen nur sehr wenige Unter- 95]. Insbesondere Schluckstörungen dentale Werkstoffe neben einer Opti- suchungen zur Akkumulation von (Dysphagien), das nächtliche Tragen mierung ihrer mechanischen und Biofilmen auf modernen Werkstoffen von Prothesen, eine insuffiziente Pro- ästhetischen Eigenschaften auch in für die CAD/CAM-Fertigung von ab- thesenhygiene sowie eine geschwäch- biologischer Hinsicht weiterent- nehmbarem Zahnersatz vor. Im Hin- te Immunabwehr begünstigen die Ent- wickelt werden. blick auf die Oberflächenrauigkeit © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
GÜNTHER, KOMMEREIN, HAHNEL: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures 175 wurden für im CAD/CAM-Verfahren es nur wenige Studien, die sich mit bietet die Oberflächenstrukturierung verarbeitetes PMMA geringere Werte der Biofilmbildung auf PAEK-Materia- metallener Prothesengerüste mittels sowie eine niedrigere Adhäsion von C. lien beschäftigen [96]. Einige Unter- Laser eine Aussicht für die Weiterent- albicans nachgewiesen als für PMMA, suchungen legten eine geringere Bio- wicklung dentaler Biomaterialien. das auf konventionellem Weg her- adhäsion auf PAEK-Materialien als Die Wirkungsweisen verschiede- gestellt worden ist [72]. Damit ist zu beispielsweise auf konventionell ver- ner Prothesenmaterialien und ihrer vermuten, dass neben verbesserten arbeitetem PMMA dar [35, 70]. Bis Oberflächeneigenschaften auf die bak- mechanischen Eigenschaften von dato ist jedoch nicht abschließend terielle Adhäsion und Biofilmbildung CAD/CAM-verarbeiteten Werkstoffen geklärt, welcher Mechanismus dafür sind bis dato noch nicht hinreichend im Vergleich zu konventionell her- verantwortlich ist. Eine Vermutung charakterisiert. Eine Aufklärung der gestellten polymeren Werkstoffen für ist die homogenere Zusammenset- zugrunde liegenden Mechanismen die Anfertigung von abnehmbarem zung sowie ein hoher Polymerisati- könnte allerdings maßgeblich dazu Zahnersatz [83, 97] auch die Biofilm- onsgrad CAD/CAM-gefertigter Werk- beitragen, Prothesenwerkstoffe in bio- anheftung geringer ist. stoffe im Vergleich zu konservativ logischer Hinsicht zukünftig zu opti- Darüber hinaus scheint die che- verarbeiteten Werkstoffen. mieren; Ziel wäre es dabei, die Präva- mische Zusammensetzung polymerer Studien zur Wirkung der Oberflä- lenz von biofilminduzierten Erkran- Werkstoffe eine bedeutende Rolle für chentopografie dentaler Verbund- kungen bei Prothesenträgern langfris- die Anheftung von Mikroorganismen werkstoffe auf die Adhäsion von Mi- tig zu reduzieren. Für beide Ansätze – zu besitzen. Hierbei kann das Bei- kroorganismen belegen, dass mikro- Aufklärung der Mechanismen und mengen antibakterieller Substanzen strukturierte Oberflächen durch er- Entwicklung innovativer Prothesen- in Dentalwerkstoffe eine Möglichkeit höhte Wasser-Kontaktwinkel hydro- materialien – können reproduzierbare sein, die Biofilmanheftung sowie das phober sind und somit vermehrt und kliniknahe Modellsysteme ver- -wachstum zu verzögern oder zu mi- Lufteinschlüsse bedingen, was wie- wendet werden wie ein orales Multi- nimieren. Mögliche antibakterielle derum die insgesamt verfügbare Kon- spezies-Biofilm-Modell, welches so- Zusätze sind beispielsweise Silber- taktfläche zwischen Werkstoffen und wohl initial unter statischen als auch ionen [15, 108], Zinkoxidnanoparti- Mikroorganismen reduziert [25]. Zu- unter kliniknäheren, dynamischen kel [101] und Chlorhexidin [60]. Der sätzlich führen die topografischen Strömungsbedingungen für In-vitro- bekannteste antibakteriell wirksame Barrieren zu einer Verringerung Studien genutzt werden kann [55, 56] Dentalwerkstoff ist Amalgam. Am des Quorum Sensing zwischen den und bereits in der dentalen Implantat- Beispiel von Amalgam zeigt sich aller- Mikroorganismen [25]. Für direkte forschung Anwendung findet [19]. dings, dass man sich bei der Entwick- zahnärztliche Restaurationen kann Derartige In-vitro-Analysen, die oft- lung antibakteriell wirksamer Mate- dieser Effekt genutzt werden, indem mals vor dem Hintergrund eines rialien stets auf einer Gratwanderung man mikrostrukturierte Matrizen für „High-Throughput“-Ansatzes durch- zwischen antibakteriellem [9, 40] und die Füllungslegung verwendet. Mit geführt werden, sollten durch Unter- zytotoxischem Effekt [64] befindet. dem Ziel, polymere Werkstoffe für in- suchungen in situ, etwa durch Einglie- Zudem birgt das Ausströmen antibak- direkte zahnärztliche Restaurationen derung von Prüfkörpern in Schienen terieller Substanzen den Nachteil ei- zu optimieren, sind spezielle Politur- oder Prothesen, ergänzt bzw. validiert ner zeitlich begrenzten Wirkung. Des regimes denkbar, die eine speziell werden. In-situ-Ansätze bieten den Weiteren können die beigesetzten strukturierte Oberfläche hinterlassen. Vorteil, dass die Biofilmbildung unter Substanzen bzw. deren Freisetzung ei- Studien haben gezeigt, dass unter- den natürlichen Bedingungen der nen negativen Einfluss auf die me- schiedliche Politurregimes mit daraus Mundhöhle erfolgen kann. chanischen Eigenschaften haben [2, entstehenden diversen Oberflächen- 51, 110]. Darüber hinaus konnte ge- mustern verschieden stark zu Bio- 2.2 Modifikation der Adhäsion zeigt werden, dass mit zunehmender adhäsion neigen, auch wenn sie eine von Candida albicans Polymerisationszeit von Kompositen vergleichbare Endrauigkeit besitzen auf abnehmbarem und damit mutmaßlich abnehmen- [34, 44, 86]. Im Hinblick auf nicht Zahnersatz durch der Konzentration unpolymerisierter polierbare Prothesenbasen könnte die Werkstoffeigenschaften Monomere auch die Adhäsion und Herstellung von abnehmbarem Zahn- Da Prothesenbasen in der Regel nicht Proliferation einiger Bakterienstäm- ersatz im CAD/CAM-Verfahren inte- poliert werden und der Prothesen- me abnehmen [14]. Daher ist nicht ressant sein, da diese Materialien po- kunststoff von C. albicans durchdrun- nur aus mechanischen, sondern auch sitive Eigenschaften hinsichtlich der gen werden kann [66], ist vor allem aus biologischen Gründen eine sorg- Biofilmanheftung aufzuweisen schei- bei älterem Zahnersatz und bestehen- same Polymerisation entsprechender nen [72]. Während Polymere durch der Prothesenstomatitis eine Rebasie- Werkstoffe durch Wärme, Druck und/ Politur und Herstellungsweise in ih- rung oder Neuanfertigung des Zahn- oder Licht nach Herstellerangaben rer Oberflächentopografie modifiziert ersatzes angeraten, um nach antimy- dringend anzuraten. In den letzten werden können, ist bei Metallen eine kotischer Therapie der Schleimhäute Jahren hat sich die Verarbeitung und biomimetische Mikrostrukturierung eine Reinfektion zu vermeiden [58]. Prozessierung dentaler Werkstoffe wie mithilfe spezieller Laser möglich und Es ist bekannt, dass C. albicans ins- PAEK oder PMMA mithilfe von CAD/ zeigte eine verringerte Anheftung besondere in Vertiefungen rauer CAM-Verfahren etabliert. Leider gibt von Mikroorganismen [3, 18]. Somit Werkstoffoberflächen wenig sensitiv © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
GÜNTHER, KOMMEREIN, HAHNEL: Biofilme auf polymeren Werkstoffen für die Herstellung von Prothesen 176 Biofilms on polymeric materials for the fabrication of removable dentures auf eine antimykotische Therapie rea- tieren kaum. Auf Basis der zur Ver- stehende Schleimhaut reizen kann. giert [102], aber auch Endotoxine in fügung stehenden Daten kann jedoch Dieses Phänomen scheint dabei ins- diesen Poren hinterlässt, welche gefolgert werden, dass zur Herstellung besondere die polymeren Werkstoffe durch langsame Freisetzung die Infek- von Prothesenbasen möglichst hydro- älterer Generationen zu betreffen tion unterhalten [16]. Insgesamt sinkt phile Werkstoffe Anwendung finden [74]. Empfehlenswert scheint daher die Anheftung von C. albicans auf sollten sowie solche, die nach Herstel- die Verwendung polymerer Werkstof- glatten sowie hydrophilen Oberflä- lung eine möglichst geringe initiale fe neuerer Generationen sowie die re- chen [29, 75, 88, 100, 111]. Darüber Rauigkeit aufweisen; auf diese Weise gelmäßige professionelle Reinigung hinaus konnte eine Beziehung zwi- können Porositäten und somit Ni- und Politur polymerer Restauratio- schen dem basischen Anteil der freien schen für Biofilmformationen mini- nen. Allerdings liegen für moderne Oberflächenenergie und der Adhäsion miert werden, um biofilmassoziierte Werkstoffe zur Herstellung abnehm- von C. albicans nachgewiesen werden Erkrankungen zu reduzieren. baren Zahnersatzes wie Polyarylether- [49]. Weiterhin wurde gezeigt, dass ketone oder CAD/CAM-verarbeitetes die Adhäsion von C. albicans auf Po- 3. Mikroorganismen PMMA noch keine klinischen oder lyamiden höher ist als auf PMMA-ba- verändern Werkstoffe experimentellen Daten hinsichtlich sierten Kunststoffen [24]. Im Hinblick Jeder Werkstoff, der in die Mundhöh- ihrer Langzeitbewährung vor [96]. auf die unterschiedlichen zur Ver- le eingebracht wird, unterliegt im fügung stehenden Werkstoffe gibt es Laufe seines Gebrauchs einem Alte- 4. Ausblick bezüglich der Adhäsion und Prolifera- rungsprozess. So zeigen die Oberflä- Abnehmbarer Zahnersatz wird auf ab- tion von C. albicans widersprüchliche chen abnehmbaren Zahnersatzes sehbare Zeit eine bedeutende Rolle in Ergebnisse: Während manche Auto- durch die tägliche mechanische, ther- der zahnärztlichen Prothetik spielen, ren auf Polymethylmethacrylat eine mische und chemische Belastung wobei aufgrund der demografischen deutlich höhere Candida-Besiedlung beim Gebrauch und bei der Rei- Entwicklung immer ältere Patienten nachwiesen als auf Silikon-basierten nigung Alterungs- und Ermüdungs- mit Prothesen versorgt werden. Da ei- weichbleibenden Unterfütterungsma- erscheinungen [90]. Langfristig kann ne regelmäßige und angemessene Ent- terialien [80], konnten andere Auto- dies zu einer Erhöhung der Oberflä- fernung der Biofilme von der Oberflä- ren eine geringere Besiedelung von chenrauigkeit, zu Verfärbungen und che des abnehmbaren Zahnersatzes Polymethylmethacrylat mit C. albi- Geruchsbildung führen. Zudem be- nicht in allen Fällen sichergestellt wer- cans im Vergleich zu den weichblei- dingen die Feuchtigkeit der Mund- den kann, ist es wünschenswert, Ma- benden Materialien belegen [6]. Eine höhle sowie eine feuchte extraorale terialien und Strategien zu entwickeln, mögliche Erklärung für diese unter- Lagerung die Wasseraufnahme des die die Akkumulation und die Entfer- schiedlichen Ergebnisse kann in der Werkstoffs, die je nach Material un- nung von Biofilmen auf der Oberflä- Porosität weichbleibender Unterfütte- terschiedlich groß ist und zur Beein- che von Prothesen steuer- und vorher- rungen liegen, welche eine Vielzahl trächtigung der Festigkeit des Materi- sagbar machen. Gegenwärtig ist die von Candida-Zellen in ihren Vertie- als führen kann [99]. Dabei scheinen Datenlage zur Interaktion polymerer fungen beherbergen und für die Ana- Thermoplaste weniger Wasser auf- Werkstoffe für abnehmbaren Zahn- lyse unzugänglich machen können; zunehmen als Polymerisate [45]. Eine ersatz mit Biofilmen – insbesondere damit ist eine Verfälschung des Ergeb- Austrocknung des Zahnersatzes wie- im Hinblick auf klinische Studien – nisses denkbar [80]. Darüber hinaus derum kann zum Verzug und einer dürftig. Für moderne polymere Werk- konnte gezeigt werden, dass Materia- verminderten Passgenauigkeit der stoffe mit optimierten Materialeigen- lien mit hohen Oberflächenenergien Prothese führen, wenngleich kürzere schaften konnten diesbezüglich viel- wie Urethandimethacrylat (UDMA) Trockenphasen die Keimbildung auf versprechende erste Ergebnisse be- und Silikon eine stärkere Besiedlung der Oberfläche des Werkstoffs redu- schrieben werden. Weitergehende mit C. albicans aufwiesen als Werk- zieren können [90]. Zusätzlich spie- Strategien, die eine leichte Entfernung stoffe mit vergleichsweise niedrigerer len Mikroorganismen eine entschei- von anheftenden Biofilmen von der Oberflächenenergie [53]. Dabei war dende Rolle bei der Veränderung po- Oberfläche von Prothesenbasiswerk- der Anteil von Hyphen auf silikon- lymerer Prothesenwerkstoffe [8, 26, stoffen versprechen, wurden bislang basierten Werkstoffen höher als auf 39, 84]. Bereits Pellikel können durch nur in sehr eingeschränkten Labor- UDMA- oder PMMA-basierten Werk- Einlagerung zwischen die Matrix und untersuchungen mit meist anderem stoffen [98]. Füllstoffe dazu führen, dass sich Fül- Hintergrund beschrieben; eine Umset- In diesem Kontext ist zu berück- ler aus dem Verbund herauslösen und zung in die Klinik steht zum gegen- sichtigen, dass die meisten der vorlie- somit die Deterioration des Polymers wärtigen Zeitpunkt noch aus. genden Untersuchungen – insbeson- begünstigen. Einige der von Mikro- dere, was die Analyse der Adhäsion organismen sezernierten Enzyme von C. albicans an unterschiedliche [13], aber auch Säuren können Werk- Prothesenbasismaterialien angeht – stoffoberflächen degradieren [12, 65]. Interessenskonflikte unter experimentellen Bedingungen Dadurch kann die Oberflächenrau- Die Autoren erklären, dass kein Inte- durchgeführt worden sind, deren Set- igkeit der Materialien zunehmen [74], ressenkonflikt im Sinne der Richt- tings oftmals nur wenig vergleichbar welche einerseits die Bioadhäsion för- linien des International Committee sind; klinische Untersuchungen exis- dern und gleichzeitig die in Kontakt of Medical Journal Editors besteht. © Deutscher Ärzteverlag | DZZ | Deutsche Zahnärztliche Zeitschrift | 2021; 76 (3)
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