BIOVERBUNDWERKSTOFFE Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK und Holz-Polymer-Werkstoffe WPC - Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK ...

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biowerkstoffe.fnr.de

BIOVERBUNDWERKSTOFFE
Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK)
und Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC)

                               KUNSTSTOFFE
                               WERKSTOFFE
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IMPRESSUM

Herausgeber
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR)
OT Gülzow, Hofplatz 1
18276 Gülzow-Prüzen
Tel.: 03843/6930-0
Fax: 03843/6930-102
info@fnr.de
www.fnr.de

Gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages

Autoren
Dipl-Phys. Michael Carus und Dipl.-Ing. Dr. Asta Partanen (nova-Institut GmbH)

Redaktion
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR), Abteilung Öffentlichkeitsarbeit

Bilder
Titel: Four Motors/FotoFlach

Gestaltung/Realisierung
www.tangram.de, Rostock

Druck
MKL Druck GmbH & Co. KG, Ostbevern

Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier mit Farben auf Pflanzenölbasis

Bestell-Nr. 227
3., unveränderte Auflage
FNR 2019
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BIOVERBUNDWERKSTOFFE
Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK)
und Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC)
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©© FNR/Michael Hauri
                                      ©© FNR/Hardy Müller
INHALT

1     Naturfaserverstärkte Kunststoffe im Wandel der Zeit –
      am Beispiel Automobilindustrie                                                          4

2     Bioverbundwerkstoffe                                                                    6
2.1   Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK)                                                  7
2.2   Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC)                                                           8

3     Die Rohstoffe: Kunststoffe, Biokunststoffe, Naturfasern,
      Holz und Bio-Carbonfasern                                                    9
3.1   Bewährte petrochemische Kunststoffe                                          9
3.2   Innovative Biokunststoffe                                                   10
3.3   Starke Naturfasern                                                          11
3.4   Bewährtes Holz: Holzmehl und Holzfasern                                     17
3.5   Zellulosefasern – im Aufschwung                                             19
3.6   Bio-Carbonfasern – High-Tech aus Biomasse                                   20

4     Herstellungsverfahren – viele Optionen für Bioverbundwerkstoffe             21
4.1   Form- und Fließpressen mit Naturfasern – ein neuer, attraktiver Werkstoff   21
4.2   WPC-Extrusion – Erfolgsgeschichte in der Bauindustrie                       26
4.3   Naturfaserspritzgießen – ein Bereich mit großem Marktpotenzial              29
4.4   3D-Druck – für vielfältige Formen und kleine Serien                         32
4.5   Resin-Transfer-Moulding (RTM) – für hochbelastete Naturfaser-Bauteile       33
4.6   Weitere Verfahren für neue Anwendungsfelder                                 34

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©© FNR/Michael Hauri

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5     Anwendungen und Marktzahlen                                           36
5.1   Bioverbundwerkstoffe – aktuelle Marktsituation                        36
5.2   Naturfaser- und holzfaserverstärkte Kunststoffe in der europäischen
      Automobilindustrie                                                    37
5.3   Der WPC-Markt                                                         39
5.4   WPC und NFK in Spritzgieß-Serienproduktionen – wachsendes Interesse
      bei der Industrie                                                     42

6     Potenziale für naturfaserverstärkte Kunststoffe und
      Holz-Polymer-Werkstoffe                                               45

7     Ansprechpartner und Internet-Links                                    47

8     Glossar                                                               48

9     Literatur und weitere Informationen                                   51

                                                                                       3
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1 NATURFASERVERSTÄRKTE
  KUNSTSTOFFE IM WANDEL DER ZEIT –
  AM BEISPIEL AUTOMOBILINDUSTRIE

Naturwerkstoffe waren über Jahrtausende                                     Im 20. Jahrhundert entwickelten Chemiker
die primären Materialien der Menschen.                                      Bindemittel, mit deren Hilfe Naturfasern zu
Holz diente zum Haus- und Schiffbau,                                        stabilen Bauteilen verarbeitet und der jun-
Flachs- und Hanffasern wurden zu Tauen                                      gen Automobilindustrie zugänglich gemacht
und technischen Textilien, wie Segel, Ge-                                   werden konnten. Henry Ford präsentierte
treidesäcke und Feuerwehrschläuche, ver-                                    1941 ein Fahrzeug, dessen Karosserie weit-
arbeitet. In der Neuzeit und während der                                    gehend aus harzgebundenen Hanffasern
industriellen Revolution kamen weitere An-                                  bestand.
wendungsgebiete hinzu.
                                                                            Ab 1950 waren mit Phenolharz gebunde-
                                                                            ne Holz- und Baumwollfasern lange Zeit
                                                                            wichtige Werkstoffe für Kraftfahrzeuge. In
                                                                            Ostdeutschland bestand die Karosserie
                                                                            des Trabants aus einem Duroplast, das mit
                                                                            Baumwollfasern verstärkt war, daher auch
                                                                            der Spitzname „Plastikbomber“. Aber auch
                                                                            der westdeutsche Fahrzeugbau setzte auf
                                                                            nachwachsende Rohstoffe: So fertigte die
                                                                            zur Borgward-Gruppe gehörende Lloyd Ma-
                                                                            schinenfabrik in Bremen die Karosserie ihrer
                                                                            Modelle Lloyd P 300 und 400 Anfang der
                                                                            1950er-Jahre aus mit Kunstleder bezoge-
                                                                            nem Sperrholz – wofür der Volksmund wie-
                                                                            derum die Bezeichnung „Leukoplastbom-
                                                                            ber“ erfand. Mitte der 1950er-Jahre wurde
                                       ©© Michal Durinik/Shutterstock.com

                                                                            bei Lloyd das Sperrholz durch Stahl ersetzt,
                                                                            der Trabant hingegen blieb dem Baumwoll-
                                                                            Phenolharz-Konzept bis zu seinem letzten
                                                                            Baujahr 1990 treu.

                                                                            Heute werden noch viele LKW-Fahrerkabi-
                                                                            nen aus Baumwollfasern und Phenolharzen
Trabant                                                                     produziert.

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©© Four Motors/BRfoto
Bioconcept-Car

Während in den 1950er und 1960er-Jah-           Ein Beispiel hierfür ist das Bioconcept-Car –
ren der Einsatz von naturfaserverstärkten       ein Rennwagen, bei dem mehrere Karosse-
Kunststoffen seine Ursache in der Material­     riebauteile aus naturfaserverstärkten Kunst-
knappheit der Nachkriegszeit bzw. der DDR       stoffen hergestellt sind. Nachdem sich diese
hatte, werden Naturfasern heute eingesetzt      Bauteile unter den harten Bedingungen auf
bzw. erforscht, um genau diese Materialien      der Rennstrecke etabliert haben, wird nun
zu ersetzen. Zudem macht ihr großes Leicht-     an der Umsetzung des Konzepts in die Se-
baupotenzial sie hochinteressant für die        rienproduktion gearbeitet.
Entwicklung moderner kraftstoffsparender
Autos und für die Elektromobilität. Ein wei-
terer Pluspunkt von Flachs, Hanf, Jute, Kenaf
und Co. ist ihre geringere Splitterneigung,
die bei Unfällen und bei der Verarbeitung
von Vorteil ist.

Bei Armaturenbrettern, Kofferraumausklei-
dungen und Tür- und Säulenverkleidungen
greifen Autobauer deshalb vor allem im
Premium-Segment schon seit Jahren auf Na-
turfasern als Verstärkungsmaterial zurück.
Im Außenbereich haben sich naturfaserver-
stärkte Kunststoffe noch nicht durchgesetzt,
werden hier jedoch intensiv erforscht und
erprobt.

                                                                                                      5
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2 BIOVERBUNDWERKSTOFFE

Ein Verbundwerkstoff oder Kompositwerk-                       petrochemische Kunststoffe bezeichnet wer-
stoff (engl. Composite) ist ein Werkstoff, der                den. Werden nachwachsende Rohstoffe für
aus zwei oder mehr miteinander verbunde-                      die Herstellung eingesetzt, spricht man von
nen Materialien besteht. In dieser Broschüre                  bio-basierten Kunststoffen (kurz: Biokunst-
geht es dabei vor allem um Faserverbund-                      stoffen) (s. Kap. 3.2).
werkstoffe. Sie bestehen aus einer Kunst-
stoff-Komponente, der sogenannten Matrix,                     Bioverbundwerkstoffe liegen dann vor,
und einer Faser-Komponente. In der Regel                      wenn mindestens eine der beiden Haupt-
sind Faserverbundwerkstoffe deutlich steifer                  komponenten (Matrix und Fasern) bio-ba-
und fester als ihre Einzelkomponenten.                        siert ist, d. h. auf Basis von Biomasse her-
                                                              gestellt wurde.
Kunststoffe bestehen aus langkettigen che-
mischen Verbindungen (Polymere), die aus                      Im Folgenden werden die beiden wichtigs-
einzelnen sich wiederholenden Bausteinen,                     ten Gruppen der Bioverbundwerkstoffe, die
den sog. Monomeren zusammengesetzt                            naturfaserverstärkten Kunststoffe (NFK) und
sind, und in linearen oder verzweigten Mo-                    die Holz-Polymer-Werkstoffe – international
lekülen angeordnet sein können. Hergestellt                   Wood-Plastic-Composites (WPC) genannt –
werden sie in der Regel aus fossilen Roh-                     näher vorgestellt.
stoffen, wie z. B. Erdöl, sodass sie auch als

                                                  Bioverbundwerkstoffe

             Naturfasern                          Naturfaserverstärkte
       Hanf, Flachs, Jute, Kenaf,                  Kunststoffe (NFK)
           Sisal, Abaka, ...

                                                                                   (Bio-basierte)
                                                                                    Kunststoffe

         Holzmehl und -fasern                        Holz-Polymer-
                                                    Werkstoffe (WPC)

    Quelle: FNR nach Carus & Eder et al. (2015)

Abb. 2.1: Bioverbundwerkstoffe im Überblick

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2.1 Naturfaserverstärkte                                            und ökologischen Eigenschaften attraktiv,
    Kunststoffe (NFK)                                               sondern weisen im Bauteilkonzept bereits
                                                                    ökonomische Vorteile gegenüber den klassi-
Unter naturfaserverstärkten Kunststoffen                            schen faserverstärkten Kunststoffen, wie z. B.
(NFK) werden Werkstoffe verstanden, die                             glasfaserverstärkte Kunststoffe (GFK), auf.
aus einem fossil- oder bio-basierten Kunst-
stoff bestehen, der seine Stabilität durch ein-                     Hinter dem Begriff NFK stehen unterschied-
gearbeitete Naturfasern erhält. Bauteile aus                        liche Verarbeitungsprozesse. Mit einem
NFK weisen hohe Steifigkeiten und Festig-                           Marktanteil von über 90 % ist das Formpres-
keiten sowie eine geringe Dichte auf. Einfach                       sen das bislang erfolgreichste Verfahren, bei
gesagt: Sie sind mechanisch stark belastbar                         dem Naturfaservliese bzw. -filze mit Kunst-
und gleichzeitig leicht, also z. B. ideal für den                   stoffen heiß verpresst werden. Es wird vor
modernen Automobilbau.                                              allem bei automobilen Innenraumteilen ein-
                                                                    gesetzt, ebenso wie bei der Produktion von
                                                                    Schalenkoffern und Tabletts (s. Kap. 4.1).

                                                                    Auch das in der Kunststoffindustrie ins-
                                                                    gesamt am häufigsten verwendete Spritz-
                                                                    gießen kann heute für NFK genutzt werden.
                                                                    Unterschiedliche Kunststoff-Naturfaser-Gra-
                                                                    nulate sind am Markt verfügbar und können
                                                                    mit Standard-Spritzgieß-Formen genutzt
                                                                    werden. Am Markt erfolgreich platzierte Pro-
                                              ©© FNR/Hardy Müller

                                                                    dukte sind u. a. Schleifscheibenträger, Lade-
                                                                    geräte und Autoinnenteile (s. Kap. 4.3).

                                                                    Will man besonders belastbare Teile aus
Autotür aus einer Naturfasermatte, verfestigt mit                   NFK herstellen, die auch konstruktiv genutzt
einem duroplastischen Kunststoff                                    werden können, so gibt es weitere Verfah-
                                                                    ren wie Resin-Transfer-Moulding (RTM) und
                                                                    Pressverfahren, die mit Langfasern in Form
Diese Naturfaserwerkstoffe wurden in den                            von Gelegen und Textilien arbeiten. Die Ver-
1980er-Jahren vor allem in Deutschland ent-                         fahren erzielen zwar sehr gute mechanische
wickelt. In den 1990er-Jahren begann ihre                           Eigenschaften, werden jedoch nur in Klein-
Erfolgsgeschichte in der Automobilindustrie.                        serien genutzt, was in einem höheren Auf-
Mittlerweile konnten sie auch in anderen                            wand und entsprechenden Kosten resultiert
Branchen, wie z. B. im Konsumgüterbereich,                          (s. Kap. 4.5).
Fuß fassen. In vielen Anwendungen sind
NFK nicht nur wegen ihrer mechanischen

                                                                                                                7
BIOVERBUNDWERKSTOFFE Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK und Holz-Polymer-Werkstoffe WPC - Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK ...
2.2 Holz-Polymer-Werkstoffe                                   Der Einsatz von bio-basierten Kunststoffen
    (WPC)                                                     ist bis jetzt noch die Ausnahme, wird aber
                                                              in kleinen Nischen wie Spielwaren für Kinder
Holz-Polymer-Werkstoffe – Wood-Plastic-                       bereits eingesetzt.
Composites (WPC) – sind Verbundwerkstof-
fe, die aus unterschiedlichen Anteilen an                     Durch die Zugabe von Additiven werden
Holzmehl oder Holzfasern, Kunststoffen und                    die Verarbeitbarkeit und die mechanischen
Additiven bestehen.                                           Eigenschaften verbessert.

Als Holzanteil werden Sägenebenprodukte                       WPC lässt sich durch thermoplastische Form-
der Holzwerkstoffindustrie wie insbesondere                   gebungsverfahren, wie Extrusion (s. Kap.
preiswertes Holzmehl, selten hochwertige                      4.2), Presstechniken (s. Kap. 4.1), Spritzgie-
Holzfasern, eingesetzt. Je nach Produkt und                   ßen (s. Kap. 4.3) und 3D-Druck (s. Kap. 4.4).
gewünschter Materialeigenschaft kann der                      verarbeiten.
(Ligno-)Zellulose-Anteil im WPC von 20 bis
80 % variiert werden.                                         Wichtige Anwendungsfelder für ein extru-
                                                              diertes WPC sind Bauprodukte wie Terras-
Die Kunststoffmatrix besteht in der Regel                     senbeläge, Bootsstege und Promenaden
aus preisgünstigen petrochemischen Mas-                       („Deckings“) sowie Außenfassaden, Sicht-
senkunststoffen wie Polyethylen (PE), Poly-                   schutz für Gärten, Lärmschutzwände, Zäune
propylen (PP) oder Polyvinylchlorid (PVC).                    sowie Geländer, Fensterrahmen und Türen
                                                              oder auch Schalungselemente im Beton-
                                                              bau. Seit 2013 gibt es auch Bauplanken für
                                                              Heimwerker.

                                                              Im Pressverfahren hergestelltes WPC wird in
                                                              der Automobilindustrie für Innenraumteile
                                                              verwendet, ähnlich wie naturfaserverstärk-
                                                              te Kunststoffe (NFK). Die Holzpartikel oder
                                                              -fasern sorgen hier für eine gute Steifigkeit,
                                                              während die Festigkeit meist hinter Naturfa-
                                                              ser-Formpressteilen zurück bleibt.
                                        ©© NATURinFORM GmbH

                                                              Schließlich finden sich zunehmend auch
                                                              WPC-Anwendungen im Spritzgießbereich wie
                                                              diverse Konsumgüterartikel, Gehäuse von
                                                              Geräten, Möbel (z. B. Stühle) und Kleinteile
                                                              für die Möbelindustrie und Spielwaren.
Schwimmbad-Steg mit WPC-Dielen

8
3 DIE ROHSTOFFE:
  KUNSTSTOFFE, BIOKUNSTSTOFFE, NATUR-
  FASERN, HOLZ UND BIO-CARBONFASERN

3.1 Bewährte petrochemische                     Werden besonders feste und zähe Konstruk-
    Kunststoffe                                 tionswerkstoffe benötigt, greift man auf teu-
                                                re Spezialkunststoffe zurück oder verstärkt
Um aus Naturfasern oder auch Naturfaser-        Standardkunststoffe wie Polypropylen durch
halbzeugen moderne Werkstoffe herstellen        Glas- oder Carbonfasern. Jedes Jahr werden
zu können, benötigt man Bindemittel oder        in Europa etwa 2 Mio. t glasfaserverstärkte
eine Kunststoffmatrix zu ihrer Verfestigung.    Kunststoffe eingesetzt [10] und können je
Traditionell wurden hierzu tierische und        nach Anforderung sogar Metallkonstruktio-
pflanzliche Leime, Kleber und Harze ver-        nen ersetzen. Typische Anwendungen sind
wendet, heute vor allem petrochemische          Automobilteile, Rotorblätter von Windkraft-
Kunststoffe. Eine Alternative stellen bio-ba-   anlagen und sogar selbsttragende Brücken.
sierte Kunststoffe dar (s. Kap. 3.2).           Die weltweite Produktionskapazität von Car-
                                                bonfasern lag 2014 bei etwa 80.000 t [10].
In Deutschland wurden im Jahr 2015 ca.          Europa hat davon einen Anteil von 24 %.
10,2 Mio. t Kunststoffe erzeugt [8]. Wesent-    Dabei wird Carbonfasern in der Flugzeug-
liche Anteile an der Produktion haben da-       und Automobilindustrie sowie bei Highend-
bei Polypropylen (PP) mit ca. 2,0 Mio. t so-    Produkten für Sport und Freizeit eine große
wie Polyethylen (PE) mit ca. 1,7 Mio. t und     Zukunft vorhergesagt.
Polyvinylchlorid (PVC) mit ca. 1,6 Mio. t.
Hauptanwendungsbereiche sind die Verpa-         Eine weitere Option zur Verstärkung der
ckungs-, Bau- und Automobilindustrie.           Kunststoffe stellen Naturfasern dar – was
                                                sie leisten können, ist das Thema dieser
Nur in wenigen Fällen kommen bei der            Broschüre.
Kunststoffherstellung lediglich die reinen
Polymere zum Einsatz. In der Regel werden       Duro- und Thermoplaste
Additive und Füllstoffe zugefügt, um die        Grundsätzlich unterscheidet man unabhän-
Kunststoffe je nach Anwendung steifer oder      gig davon, ob es sich um Kunststoffe auf pe-
weicher, UV-beständiger oder auch farbig        trochemischer oder nachwachsender Basis
zu machen. Hierfür eignen sich neben syn-       handelt, zwischen duro- und thermoplasti-
thetischen Chemikalien auch Mineralien          schen Kunststoffen.
wie Talkum oder nachwachsende Rohstoffe
wie z. B. Holzfasern und Holzmehl.              Thermoplastische Kunststoffe sind Kunst-
                                                stoffe, die sich unter dem Einfluss von

                                                                                           9
Wärme plastisch verformen lassen. In der         zen sich die Kettenmoleküle dreidimensional
Regel bestehen Thermoplaste aus linearen         untereinander und werden dadurch sehr sta-
oder wenig verzweigten Kettenmolekülen.          bil und thermisch belastbar. In Verbindung
Sie lassen sich mehrfach einschmelzen und        mit Holz- und Naturfasern werden vor allem
neu formen. Dies erweist sich beim stoffli-      Acrylat-, Epoxid- und Phenolformaldehyd-
chen Recycling als wichtiger Vorteil. Thermo-    harze, Polyurethan und ungesättigte Polyes-
plaste können sowohl im Spritzgießverfah-        terharze verwendet. Einige dieser Harze, wie
ren (s. Kap. 4.3) verarbeitet werden, als auch   z. B. Epoxidharze, können auch vollständig
mittels Extrusion (s. Kap. 4.2) und thermo-      oder anteilig bio-basiert produziert werden.
plastischem Formpressen (s. Kap. 4.1).

In Verbindung mit Natur- und Holzfasern kom-     3.2 Innovative Biokunststoffe
men vor allem die petrochemischen Thermo-
plaste Polypropylen (PP), Polyethylen (PE),      Biokunststoffe – also bio-basierte Kunststof-
Polyvinylchlorid (PVC) und Polystyrol (PS) zum   fe – bestehen teilweise oder vollständig aus
Einsatz. Die hohen Schmelztemperaturen der       Biomasse wie z. B. Zucker, Stärke, Zellulose,
Polyamide (PA), bei denen Bestandteile der       Pflanzenölen und Lignin. Der Anteil von Bio-
Naturfasern leicht geschädigt werden, stehen     kunststoffen am Weltmarkt für Kunststoffe
einer Verwendung eher entgegen.                  liegt heute bei ca. 2 % [1].

Um die Bindung zwischen Kunststoff und           Unter den thermoplastischen Biokunststof-
Naturfasern zu verbessern, sind in vielen Fäl-   fen finden neben Stärkepolymeren vor allem
len Haftvermittler notwendig. So verbinden       Polymilchsäure (PLA) sowie Polyhydro­xy-
sich etwa Polypropylen (PP) und Naturfasern      alkanoate (PHA/PHB) Verwendung. Aber
aufgrund ihrer Polaritäten nur sehr schwer.      auch bekannte Thermoplaste wie Poly­
Ein Haftvermittler überwindet das Problem.       ethylenterephthalat (PET) sowie PE können
Neue Forschungsarbeiten zeigen, dass auch        bereits heute bio-basiert produziert werden.
eine Plasmabehandlung der Naturfasern zu         In größeren Volumina werden aktuell Bio-
einer besseren Bindung an unpolare Kunst-        PET und Bio-PE aus brasilianischem Zucker-
stoffe führt.                                    rohr hergestellt. Bei den Duroplasten findet
                                                 man bio-basierte Epoxidharze auf Basis von
Neben Haftvermittlern kommen in der Praxis       Glyzerin (Beiprodukt der Biodieselproduk-
noch eine Reihe weiterer Additive zum Ein-       tion), zudem bestehen auch einige Polyure-
satz, so z. B. zur Einfärbung oder als UV- und   thane anteilig aus nachwachsenden Roh-
Flammschutz.                                     stoffen, wie z. B. Sojaöl.

Duroplastische Kunststoffe dagegen las-          Kunststoffe auf Basis nachwachsender Roh-
sen sich, einmal ausgehärtet, nicht mehr ver-    stoffe tragen zur zukünftigen Versorgungs-
formen. Im Prozess des Aushärtens vernet-        sicherheit bei. Sie können petrochemische

10
Kunststoffe ersetzen, deren Herstellung mit       auf Grund ihrer besonderen Eigenschaften
der Verknappung von Erdöl und -gas tenden-        für Textilien und Spezialgewebe genutzt.
ziell teurer wird. Die Biokunststoffe sollen
dabei – wie die petrochemischen Kunst-            Bei Flachs, Hanf, Jute und Kenaf, den so-
stoffe auch – möglichst mehrfach stofflich        genannten Bastfaserpflanzen, wachsen die
genutzt (Recycling) und am Ende ihres Le-         Fasern aus den Sprossachsen. Bastfasern
bensweges thermisch verwertet werden, um          bilden sich im äußeren Teil des Pflanzen-
einen großen Teil der Herstellungsenergie         stängels und stabilisieren den schlanken
zurückzugewinnen und fossile Ressourcen           und hohen Stängel, um z. B. ein Abknicken
bei der Energiegewinnung zu ersetzen. Dies        der Pflanzen bei starkem Wind zu verhin-
wirkt sich wiederum positiv auf die Flächen-      dern. Der Fasergehalt dieser Pflanzen konnte
und Ressourceneffizienz aus.                      von ursprünglich 5 bis 10 % durch Züchtung
                                                  auf heute 25 bis 30 % gesteigert werden.
Für Bioverbundwerkstoffe stellen Biokunst-
stoffe ein besonders interessantes Einsatz-           MECHANISCHE EIGENSCHAFTEN
gebiet dar, da mit ihnen – zusammen mit                  VON NATURFASERN [7]
Natur- oder Holzfasern – vollständig bio-ba-
sierte Verbundwerkstoffe realisierbar sind.        • Die Dichten von Flachs, Hanf, Jute, Ke-
Mit Naturfasern kann das Eigenschaftsprofil          naf, Ramie, Abaka, Nessel sind etwa
von Biokunststoffen erweitert werden, ohne           alle gleich (1,2 bis 1,6 g/cm3). Sisal
auf fossile oder mineralische Fasern zurück-         hat eine etwas geringere Dichte.
greifen zu müssen.                                 • Die Feinheit ist stark abhängig vom
                                                     Aufschlussgrad, als grobe Orientierung
Generell gilt für Biokunststoffe, dass sie sich      dient folgende Reihenfolge: Nessel =
in der Verarbeitung und in den Material-             Ramie > Flachs = Jute > = Kenaf > Hanf >
eigenschaften mit klassischen Kunststoffen           Sisal > Abaka = Bambus > Kokos.
messen lassen müssen. Erst vergleichba-            • Bei Festigkeit kann folgende Reihenfol-
re oder bessere Eigenschaften und Her-               ge als Orientierung angesetzt werden:
stellungskosten werden ihnen den breiten             Ramie = Flachs = Hanf > Abaka = Nessel
Marktzugang ermöglichen.                             > Kenaf > Jute = Bambus > Sisal > Kokos.
                                                   • Für den Elastizitätsmodul wird folgen-
                                                     de Reihenfolge zur Orientierung vorge-
3.3 Starke Naturfasern                               nommen: Ramie > Flachs > = Hanf > Ke-
                                                     naf > = Jute = Abaka > Bambus = Nessel
In naturfaserverstärkten Kunststoffen werden         > Sisal > Kokos.
vor allem Flachs- und Hanffasern sowie Jute-,      • Und schließlich für die Dehnung fol-
Kenaf-, Sisal- und Abakafasern eingesetzt.           gende Reihenfolge: Jute < = Ramie < =
Brennnesselfasern spielen für diesen An-             Flachs = Hanf = Kenaf < Abaka < = Bam-
wendungsbereich keine Rolle, sie werden              bus < Sisal < Kokos.

                                                                                           11
Bei Sisal und Abaka dagegen stammen die
Fasern aus Blattscheiden und verstärken

                                                                                          ©© FNR/Volker Petersen
die großen Blätter, bei der Baumwollpflan-
ze wachsen die Fasern als Samenhaare aus
dem Samen.

Diese Broschüre beschäftigt sich vor allem      Hanf
mit Flachs und Hanf, den beiden Faserpflan-
zen, die in Europa angebaut, verarbeitet und
in neuen Werkstoffen verwendet werden.          Papier. Im 17. Jahrhundert erreichte Hanf als
Am Beispiel von Hanf, der im Gegensatz zu       Wirtschaftsgut durch den enormen Bedarf
Flachs überwiegend in technische Anwen-         der Schifffahrt an Seilen und Segeltuch seine
dungen geht, soll zunächst die gesamte Pro-     größte Bedeutung – 50 bis 100 t Hanffasern
zesskette der Naturfaserproduktion exemp-       mussten für ein typisches Segelschiff samt
larisch dargestellt werden. Im Anschluss wird   Besatzung bereitgestellt und jeweils binnen
auf die Unterschiede bei Flachs gesondert       zwei Jahren erneuert werden.
eingegangen.
                                                Ab dem 18. Jahrhundert verlor der deut-
Hanf                                            sche Hanf kontinuierlich an Bedeutung: Die
Hanffasern werden seit Jahrtausenden für        Konkurrenz durch osteuropäischen Hanf,
Kleidungsstücke, Schnüre, Seile oder Netze      Naturfasern aus den Kolonien, den Einsatz
genutzt. Hanf gehört wie Flachs zu den äl-      von Baumwolle im Textilbereich („Spinning
testen Kulturpflanzen: Etwa um 2.800 v. Chr.    Jenny“) und das Aufkommen der Dampf-
wurden in China die ersten Seile aus Hanf-      schifffahrt im 19. Jahrhundert ließen die
fasern erzeugt.                                 Nachfrage zusammenbrechen.

Es folgte die Verwendung als Textilfaser;       Anfang der 1990er-Jahre wurde Hanf inner-
in einem Grab aus der Chou-Dynastie             halb der Europäischen Union (EU) praktisch
(1.122 bis 249 v. Chr.) fand sich ein Textil-   ausschließlich in Frankreich angebaut – für
fragment, das wohl älteste erhaltene Hanf-      die Produktion von Spezialzellstoffen mit
produkt. Auch das erste Papier wurde aus        besonders hohen technischen Anforderun-
Hanf hergestellt – so blieb in China ein        gen, wie z. B. Zigarettenpapiere, Dünndruck-
Stück Hanfpapier aus der Zeit von 140 bis       papiere und Banknoten. Als der Anbau und
87 v. Chr. erhalten.                            die Nutzung von Hanf Ende der 1990er-
                                                Jahre wiederentdeckt wurden, mussten in
Hanfprodukte sind auch aus dem Europa           vielen EU-Ländern zunächst die Anbauver-
des Mittelalters nicht wegzudenken – Hanf       bote überwunden werden, die im Rahmen
war der Rohstoff für die Herstellung von        der weltweiten Marihuana-Prohibition auch
Seilen, Segeltuch, Bekleidungstextilien und     für rauschfreien Nutzhanf erlassen worden

12
waren. Infolge dieser „Wiederentdeckung          dicht über dem Boden ab, führen die langen
der Nutzpflanze Hanf“ haben sich die An-         Stängel durch die Maschine und kürzen sie
bauflächen in der EU fast verdreifacht – bei     dabei auf ca. 60 cm lange Stücke ein, um die
gleichzeitig stetig fallenden EU-Beihilfen für   Weiterverarbeitung zu erleichtern. Das ein-
den Anbau bzw. die Verarbeitung von Hanf.        gekürzte Hanfstroh bleibt zur sogenannten
2016 lag die Hanfanbaufläche in der EU           Feldröste für zwei bis vier Wochen auf dem
bei 33.000 ha [11], rund 40 % dieser Flä-        Feld liegen und wird in dieser Zeit ein- bis
che entfallen auf Frankreich. In Deutschland     zweimal gewendet.
lagen die Flächen in den letzten Jahren zwi-
schen 1.000 und 2.000 ha. Wichtigste An-         Röste
wendungen für Hanffasern sind heute Spe-         Bei der Röste lösen sich die Kittsubstanzen
zialzellstoff (55 %), Dämmstoffe (26 %) und      (Pektine, Lignin) zwischen den Fasern und
Verbundwerkstoffe (15 %) [4].                    dem Reststängel und legen die Fasern frei.
                                                 Es handelt sich dabei um einen biologi-
Anbau, Ernte und Röste von Hanf                  schen Prozess, bei dem Mikroorganismen
Die Aussaat des Hanfes erfolgt in Deutsch-       wie Bakterien und Pilze sowie die von ihnen
land Mitte April bis Mitte Mai. Bis zum Hoch-    erzeugten Enzyme wirksam sind. Durch die
sommer haben die Hanfbestände Höhen              Röste wird der spätere mechanische Faser-
von zwei bis vier Meter erreicht. Soll die Fa-   aufschluss deutlich vereinfacht sowie die
ser für technische Zwecke genutzt werden,        Ausbeute und Feinheit der Fasern erhöht.
ist der optimale Erntezeitpunkt die Vollblüte    Nach der Röste wird das Hanfstroh an tro-
der männlichen Pflanzen, meist im Juli.          ckenen Tagen zu Ballen gepresst und bis
                                                 zum Faseraufschluss trocken gelagert. Die
Ökologie                                         Lagerung kann ohne Qualitätsverluste über
Hanf wird ohne Pflanzenschutzmittel ange-        mehrere Jahre erfolgen.
baut. Der Schädlingsdruck ist meist gering
und bedroht die Faserernte nur marginal.
Auch der Einsatz von Herbiziden ist nicht
erforderlich, weil die Pflanzen schnell und
dicht wachsen, sodass Unkräuter keine
Chance haben. Hanf wird in der Fruchtfolge
gerne gesehen, da er den Boden unkrautfrei
und mit verbesserter, lockerer Struktur und
nährstoffreich zurücklässt.
                                                 ©© BAFA Neu GmbH

Ernte
In den letzten zehn Jahren wurde die Ernte-
technik für Hanf neu entwickelt. Moderne
Erntemaschinen schneiden die Hanfpflanze         Moderne Erntetechnik für Hanf

                                                                                          13
©© BAFA Neu GmbH

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Eingekürztes Hanfstroh während der Feldröste                  Faseraufschlussanlage

Der in den 1990er-Jahren zum Teil propa-                      wird der verholzte Kern des Stängels (die
gierte Grünhanfaufschluss ohne Röste konn-                    späteren „Schäben“) gebrochen, die Fasern
te sich nicht etablieren, Faserausbeuten und                  trennen sich vom Holz. Je nach Weiterver-
-qualitäten waren zu gering.                                  arbeitung bleiben Faserbündel unterschied-
                                                              licher Feinheit und Längenverteilung übrig.
An guten Standorten können jährlich 6 bis                     Während die Fasern für die textile Verarbei-
9 t Hanfstroh pro Hektar geerntet werden.                     tung möglichst lang, fein und schäbenfrei
Bei einem technisch nutzbaren Fasergehalt                     sein müssen, stellen technische Anwendun-
von ca. 25 % lassen sich demnach pro Hek-                     gen, insbesondere NFK, geringere Anforde-
tar 1,5 bis 2 t Hanffasern produzieren. Der                   rungen, die sich auch in niedrigeren Faser-
nicht nutzbare verholzte Kern des Stängels                    preisen widerspiegeln.
(die späteren „Schäben“), welcher 50 bis
70 % des Gesamtertrages ausmacht, kann                        Im Spritzgießverfahren (s. Kap. 4.3) können
als Baumaterial, Brennstoff, Füllstoff oder                   kurze Hanffasern verarbeitet werden. Für
als Einstreu in der Landwirtschaft genutzt                    Vliese und Filze zur Produktion von Form-
werden.                                                       pressteilen (s. Kap. 4.1) dagegen werden
                                                              6 bis 10 cm lange „vliesfähige“ technische
Faseraufschluss:                                              Fasern benötigt. In beiden Fällen ist ein mög-
Vom Hanfstroh zur Faser                                       lichst geringer Schäbengehalt von maximal
Baumwollfasern können einfach von der                         2 % gewünscht, da die Schäben die weite-
Pflanze gepflückt, entkörnt und von Schmutz                   re Verarbeitung stören können – bis hin zu
und Reststoffen gereinigt werden. Bei Bast-                   sichtbaren Oberflächenstörungen im ferti-
fasern wie Flachs und Hanf ist der Vorgang                    gen Produkt.
der Fasergewinnung erheblich aufwändiger.
Dies ist einer der wichtigsten Gründe, warum                  Fasern für Gewebe
sich Baumwolle weltweit mit großem Ab-                        Hanffasern können versponnen und das Garn
stand an der Spitze der Naturfasern platzie-                  zu technischen Geweben verwoben werden,
ren konnte.                                                   die für hochwertige NFK Verwendung finden.
                                                              Da dieser Prozessweg – physikalisch, che-
Die Verarbeitung der Hanfstrohballen erfolgt                  misch oder enzymatisch – sehr kostspielig ist,
in eigenen Faseraufschlussanlagen. Dabei                      wird er bislang kaum praktiziert.

14
Fasern für Formpressteile                                             Sisal gemischt, so ergeben sich die besten
Preiswerter ist es, die Fasern direkt zu texti-                       mechanischen Werte in Kombination mit
len Halbzeugen wie Vliesen oder Filzen, häu-                          einer optimalen Verarbeitbarkeit für die Ver-
fig auch als „non-wovens“ bezeichnet, zu                              bundwerkstoffe. Die feinen Fasern schaffen
verarbeiten. Während die Fasern bei Filzen                            mehr Bindung zwischen Faser und Kunst-
ineinander verschlungen sind, werden sie für                          stoff, die gröberen gewährleisten das Ein-
Vliese nur geschichtet und durch ein Binde-                           dringen des Binders in das textile Produkt.
mittel, insbesondere duroplastische Harze
oder Thermoplaste, verfestigt. Vorprodukte                            Wirtschaftlichkeit
für Formpressteile (s. Kap. 4.1) sind sowohl                          Abbildung 3.1 zeigt die Preisentwicklung
reine Naturfaservliese und -filze als auch                            bei Flachs- und Hanfkurzfasern vom Jahr
Mischfilze aus Natur- und z. B. Polypropylen-                         2003 bis heute. Vergleicht man die Preis-
fasern. In der Praxis haben sich besonders                            kurven mit denen anderer Rohstoffe, so fällt
Mischungen von verschiedenen Naturfasern                              eine erstaunliche Preiskonstanz für Hanffa-
bewährt. Werden feine Fasern wie Flachs                               sern bis heute auf.
oder Jute mit gröberen Fasern wie Hanf oder

                    PREISENTWICKLUNG BEI FLACHS- UND HANFKURZFASERN
                   PREISENTWICKLUNG BEI FLACHS- UND HANFKURZFASERN

  Preis von technischen Hanf- und Flachs-Kurzfasern in %

   180
   160
   140
   120
   100
     80
     60
     40
     20
      0
          2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017

       Flachs               Hanf                                      100 % entsprechen dem Preis von technischen Hanfkurzfasern
                                                                   im März 2003, bei einer Abnahmemenge von 100 Tonnen pro Jahr.

  Quelle: European Industrial Hemp Association 2017                                                                 © FNR 2017
Quelle: European Industrial Hemp Association 2017 (www.eiha.org)                                                     © FNR 2017

Abb. 3.1: Preisentwicklung bei Flachs- und Hanfkurzfasern für Vliese und Filze in Europa

                                                                                                                             15
Die Flachspreise zeigen dagegen immer            Flachs (Faserlein)
wieder steile Ansteige. Ursache sind zurück-     Aus den Fasern von Flachs, auch Faser-
gehende Anbauflächen (Flächenkonkurrenz          lein genannt, werden seit Jahrtausenden
zu Lebensmitteln und Bioenergie), Missern-       Kleidungsstücke (Leinen) und andere Ge-
ten und die stark steigende Nachfrage der        brauchsgegenstände wie Schnüre, Seile
chinesischen Textilindustrie.                    und Netze hergestellt.

Im Juni 2016 erhielten Hanfstroh und -fa-        Flachs gehört zu den ältesten Kulturpflanzen
sern des niederländischen Unternehmens           überhaupt. So wurden Leinsamen bereits
HempFlax B.V. das etablierte ISCC PLUS-Zer-      in einer etwa 9.000 Jahre alten Grabstätte
tifikat für Nachhaltigkeit, als weltweit erste   im heutigen Iran gefunden. Das Britische
Naturfaser. Inzwischen gibt es auch ISCC         Museum in London stellt ein altägyptisches
PLUS-zertifiziertes Hanfstroh und -fasern        Faserleingewebe von 5.000 v. Chr. aus und
aus Deutschland und Rumänien. Die Preise         ägyptische Darstellungen aus dieser Zeit zei-
der zertifizierten Fasern liegen 5–10 % über     gen uns die gesamte Wertschöpfungskette
nicht-zertifizierten Fasern.                     des Faserleins, der u. a. für die Mumienbin-
                                                 den Verwendung fand. Die ältesten Leinfun-
Qualitätsmanagement                              de in Europa datieren auf etwa 2.700 v. Chr.
Ohne Qualitätsmanagement über die                in der Schweiz. Fäden, Schnüre und Netze
gesamte Prozesskette können sich ein-            waren die typischen Faserleinerzeugnisse.
heimische Naturfasern gegen preiswerte
Importfasern nicht behaupten. Die Quali-         Bis der Beginn der industriellen Revolution
tät der Naturfasern beginnt nicht erst beim      den Siegeszug der Baumwollfaser einläu-
Faseraufschluss. Die Auswahl der geeigne-
ten Anbaustandorte und Sorten, des Ernte-
zeitpunkts und der Erntetechnik, die Länge
der Röstzeit, die Art der Lagerung und vieles
mehr bestimmen die Qualität der Naturfa-
sern und damit schließlich auch die Qualität
der späteren Verbundmaterialien.

Für die technischen Verarbeitungsprozes-
se und die späteren Materialeigenschaften
gelten insbesondere standardisierte, gleich-
                                                                                           ©© FNR/Volker Petersen

bleibende Faserqualitäten als wichtige Vor-
aussetzung.

                                                 Flachsfeld

16
tete, war Leinen die wichtigste Textilfaser         mehr verloren gegangen und die Konkurrenz
Europas. Da die Baumwolle jedoch erheb-             aus Frankreich, Belgien und Osteuropa zu
lich einfacher zu verarbeiten war und die           stark. Heute werden in Deutschland weniger
Verarbeitung leicht mechanisiert werden             als 20 ha (2016) Flachs angebaut.
konnte, verdrängte sie den Flachs rasch.
So sank der Flachsanbau in Deutschland
von ca. 215.000 ha im Jahre 1850 auf ca.            3.4 Bewährtes Holz:
35.000 ha zur Jahrhundertwende.                         Holzmehl und Holzfasern

Als in den 1980er-Jahren das Interesse an           Der Hauptbestandteil von WPC ist in der
nachwachsenden Rohstoffen und neuen An-             Regel der Rohstoff Holz aus Sägenebenpro-
wendungsgebieten für alte Kulturpflanzen            dukten des einheimischen Weichholzes, vor
wuchs, widmete sich die Forschung auch ver-         allem Fichte. Hartholz wie Eiche oder Ahorn
stärkt der technischen Nutzung des Flachses.        wird dagegen kaum eingesetzt.

2016 lag die Flachsanbaufläche in der EU            Sägenebenprodukte sind Holzreste, die bei
bei ca. 90.000 ha [5], was einen erheblichen        der Verarbeitung von entrindeten Stämmen
Rückgang gegenüber ca. 120.000 ha im Jahr           zu Nutzholz oder der nachfolgenden Holz-
2004 bedeutet. Ursachen sind die gesunke-           verarbeitung anfallen. Dazu zählen Holzhack-
nen Exporte nach China und die zunehmen-            schnitzel, Holzspäne, Holzmehl und nach
de Flächenkonkurrenz mit Energiepflanzen.           weiterer mechanischer oder chemischer
                                                    Aufbereitung auch Holzfasern (z. B. MDF-
Wichtigste Anbauländer sind Frankreich, Bel-        oder Zellulosefasern). Die unterschiedlichen
gien und die Niederlande. Ein Großteil der          Holzrohstoffe bzw. -zwischenprodukte haben
Flachsproduktion zielt auf hochwertige Flach-       sehr unterschiedliche Eigenschaften und füh-
langfasern für die Bekleidungsindustrie. Die        ren hierdurch in der WPC-Produktion zu ver-
meisten Flachslangfasern werden nach China          schiedenartigen Materialeigenschaften. So
exportiert und dort versponnen, gewebt und          haben z. B. die Feinheit und der sogenannte
schließlich zu Textilien konfektioniert.            Schlankheitsgrad – das Verhältnis von Länge
                                                    zu Breite bzw. Durchmesser – einen großen
Als Nebenprodukt entsteht die Flachskurz-           Einfluss auf die mechanischen Eigenschaf-
faser (Werg), die für Zellstoffe, Textilien, Ver-   ten. Von diesem Schlankheitsgrad hängt es
bundwerkstoffe und Dämmstoffe genutzt               ab, ob das Holz in der Kunststoffmatrix eher
wird.                                               ein Füllmittel oder eine Verstärkung darstellt.

Der Anbau und die Verarbeitung von Flachs           Entscheidende Kriterien für den Einsatz von
konnten sich in Deutschland trotz intensiver        Holzmehl und -fasern zur WPC-Produktion
Bemühungen nicht wieder etablieren. Das             sind neben dem Preis vor allem auch qua-
Know-how war über die Jahrzehnte mehr und           litative Aspekte, wie die Restfeuchte, die

                                                                                               17
Faserlänge, der Schlankheitsgrad oder der       beobachten, die insbesondere durch die
Harzgehalt.                                     wachsende Nachfrage aus dem Bereich der
                                                Bioenergie, Holz-Heizkraftwerke und Pellet­
Im Vergleich zu anorganischen Füllstoffen       öfen getrieben wurde. Dennoch liegt das
weisen die Holzrohstoffe neben anderen Vor-     absolute Preisniveau von Holz im Vergleich
teilen eine geringere abrasive Neigung auf.     zu den meisten Agrarrohstoffen niedrig. Das
                                                Preisniveau der produktionsfertigen Holz-
In den letzten 10 Jahren ist eine kontinuier-   faserprodukte im „Big-Bag“ liegt etwa zwi-
liche Preissteigerung bei Sägespänen zu         schen 250 und 400 €/t (ab Werk).

 Holzfasern: Die Dimensionen einzelner          Holzhackschnitzel und Holzspäne:
 Holzfasern reichen je nach Baumart von 0,5     Schnitzel und Späne weisen unterschied-
 bis 4,5 mm in der Länge und 0,02 mm bis        liche Schlankheitsgrade und Formen auf.
 0,04 mm im Durchmesser. Typische Werte         Sie bestehen aus einer Vielzahl miteinan-
 für Nadelhölzer, wie sie für WPC verwendet     der verbundener Holzfasern und Holzfa-
 werden, sind 2,5 bis 3 mm (Länge) und          serfragmenten. Typische Größen für Holz-
 0,03 mm (Durchmesser). Der Schlankheits-       hackschnitzel sind folgende Dimensionen
 grad, das Verhältnis von Länge zu Breite,      in Faserrichtung: Länge ca. 25 bis 40 mm,
 beträgt in diesem Fall 100 : 1. Den genann-    Dicke ca. 5 bis 15 mm, Breite ca. 10 bis
 ten hohen Schlankheitsgrad können in der       100 mm.
 Praxis sonst nur Zellstofffasern bieten, die
 von einigen Papierherstellen entweder als      Holzspäne (Sägespäne und Hobelspäne)
 Fasermischung oder in Form von Granu-          sind sehr heterogen und mit Feinpartikeln
 laten, die bereits mit Kunststoff vermischt    (Staub) versetzt. Eine Aufbereitung erfolgt
 sind, vermehrt am Markt für Spritzgießan-      durch mehrfache trockene Mahlungen und
 wendungen angeboten werden.                    Siebungen, um die Rohstoffe zu homogeni-
                                                sieren. Diese Anlagen erfordern allerdings
 Zur Gewinnung von einzelnen Holzfasern         hohe Investitionen, weshalb die meisten
 werden thermo-mechanische oder auch            WPC-Hersteller eher industriell aufbereite-
 chemische Refiner/Pulping-Prozesse ver-        tes Holzmehl bzw. Holzfasern einsetzen.
 wendet. Holzfasern sind keine Füllmittel,
 sondern Verstärkungsfasern. Aus Kosten-        Holzmehl: Feine Holzpartikel, die etwa
 gründen werden kaum Holzfasern für die         gleich lang wie breit sind (ca. 0,3 bis
 WPC-Produktion verwendet; zudem kann           0,4 mm) werden als Holzmehl bezeichnet.
 es bei Holzfasern zu Problemen bei der         Ihr Schlankheitsgrad beträgt etwa 1:1.
 Zufuhr kommen, wenn diese nicht vorher         Holzmehl kann nur als Füllstoff eingesetzt
 verdichtet bzw. pelletiert wurden, was aber    werden [9].
 weitere Kosten verursacht.

18
3.5 Zellulosefasern –
    im Aufschwung

                                                  ©© Elastopoli Oy
Zellulosefasern werden aus sog. Chemiezell-
stoff hergestellt (engl.: „dissolving pulp“),
der zu über 90 % aus Nadel- und Laubholz
und zu knapp 10 % aus Bambus und Na-              Lautsprechergehäuse aus Zellulose-basiertem
turfasern wie Flachs oder Hanf gewonnen           Granulat
wird. Mit einem Marktanteil von 7 % am
Weltmarkt der Textilfasern stellen sie im Jahr
2016 nach Baumwolle (26 %) bereits die            talisierung zurückgeht, stellen viele der tra-
wichtigsten Naturfasern dar (der Anteil syn-      ditionellen Zellstoffhersteller ihre Anlagen
thetischer Textilfasern lag 2016 bei 61 %)        auf die Produktion von Chemiefaserzellstoff
[12]. Das weltweite Produktionsvolumen            um und sind auf der Suche nach neuen An-
der Zellulosefasern liegt bei etwa 7 Mio. t       wendungsfeldern. Hiermit erhöht sich die
und wächst jährlich um ca. 10 %. Die wich-        Verfügbarkeit der Zellulosefasern und durch
tigsten Produktionsverfahren sind Viskose,        die Konkurrenz werden auch fallende Preise
Modal und Lyocell – aktuell werden z. B. in       erwartet. Gleichzeitig werden die Verfahren
Finnland weitere Verfahren im Kontext von         zur Produktion von Chemiezellstoff und Zel-
Bioraffinerien entwickelt.                        lulosefasern ständig weiterentwickelt.

Der Haupteinsatzbereich für Zellulosefasern       Vor allem im Norden Europas entstehen
ist der Textilbereich. Seit einigen Jahren wer-   aktuell neue Bioraffinerien, die u. a. hoch-
den Zellulosefasern aber auch in Verbund-         wertige Zellulosefasern herstellen. So hat
werkstoffen eingesetzt. Sie verfügen über         etwa die finnische Metsä-Gruppe in 2017
sehr gute Verstärkungseigenschaften und           die größte Lignozellulose-Bioraffinerie Euro-
können in Länge und Durchmesser (und              pas in Betrieb genommen. Zusammen mit
weiteren Eigenschaften) in einer großen           dem Unternehmen Elastopoli wurde das
Bandbreite variiert und auch als Endlosfaser      Zellulose-basiertes Granulat Aqvacomp®
geliefert werden. Weitere Vorteile sind Ge-       entwickelt. Durch eine neu entwickelte
ruchsfreiheit und leichte Einfärbbarkeit. Der     Nassmischtechnologie wird aus dem nas-
stärkere Einsatz wird bisher vor allem durch      sen Zellstoff eine homogene Mischung
ihren Marktpreis limitiert.                       mit verschiedenen Polymeren erreicht, die
                                                  sehr gute technische als auch haptische
Zukünftig wird eine zunehmende Bedeu-             Eigenschaften besitzt. Die bekannte Firma
tung von Zellulosefasern in Bioverbund-           LG Electronics setzt dieses Zellulose-basier-
werkstoffen erwartet. Da die Nachfrage im         te Granulat wegen seiner guten akustischen
klassischen Zellstoff- und Zeitungs-/Buch-        Eigenschaften nun erstmals zur Serienher-
papierbereich weltweit aufgrund der Digi-         stellung von Lautsprechergehäusen ein.

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3.6 Bio-Carbonfasern –                           Ein neuer Ansatz ist die Herstellung von Car-
    High-Tech aus Biomasse                       bonfasern aus Kraft-Lignin, einem Nebenpro-
                                                 dukt der Zellstoff- und Papierindustrie, das
Kohlenstofffasern, auch Carbonfasern ge-         jährlich in großen Mengen anfällt und bisher
nannt, weisen eine hohe Festigkeit bei           überwiegend zur Wärme- und Stromgewin-
einem sehr geringen Gewicht auf und eignen       nung verbrannt wird. Bei dieser Methode wird
sich daher besonders zum Einsatz als Ver-        das vorgereinigte Kraft-Lignin mit einem (Bio-)
stärkungsfasern in Kunststoffen für Leicht-      Polymer als Hilfsstoff aus der Schmelze zu Fa-
bauteile. Dabei werden Gelege oder Gewebe        sern gesponnen und auf Spulen gewickelt.
aus Kohlenstofffasern in eine Kunststoffma­
trix eingebracht. Die Verarbeitungsverfahren     Die Fasern, die zuvor in einen nicht schmelz-
entsprechen denen von langglasfaserver-          fähigen Zustand versetzt wurden (Thermosta-
stärkten Verbundwerkstoffen, wie Pressfor-       bilisierung), werden bei hohen Temperaturen
men, Faserwickeln und Handlaminieren.            (1.300 bis 1.500 °C) unter Schutzatmosphä-
                                                 re „carbonisiert“. Dabei verdampfen die meis-
Bis jetzt ist der Einsatz der noch sehr teuren   ten enthaltenen Substanzen, zurück bleibt
konventionellen Carbonfasern (15 €/kg und        Kohlenstoff mit einer Reinheit von über 90 %.
mehr) auf hochpreisige Bauteile wie z. B. in     Je nach angestrebten technischen Eigen-
Rennwagen, für High-Tech-Sportgeräte oder        schaften können die Fasern dann noch „gra-
in der Luft- und Raumfahrt beschränkt. Im        phitisiert“ werden (bei Temperaturen über
Jahr 2013 wurden in Deutschland die ers-         1.800 °C). Hierdurch wird die Anordnung in
ten Serien-PKW mit Carbonfasern gefertigt        einer Kohlenstoff-Kristallstruktur bewirkt, die
(BMW i3).                                        verbesserte Festigkeitswerte zur Folge hat.
                                                 Um gute Qualitäten zu erhalten, müssen die
Um den Einsatz dieser Leichtbauteile zu er-      Vorfasern einen hohen Gehalt an Kohlenstoff
höhen und zum Beispiel auf Serienfahrzeu-        und wenige Verunreinigungen aufweisen, um
ge im unteren Preissegment auszuweiten,          eine möglichst gleichmäßige innere Struktur
müssen Carbonfasern in großen Mengen zu          mit wenigen Fehlstellen zu erreichen.
günstigen Preisen zur Verfügung stehen.
                                                 Bis jetzt weisen die auf Basis von Kraft-Lignin
Für die Herstellung von Carbonfasern wer-        hergestellten Kohlenstofffasern etwas gerin-
den zunächst kohlenstoffhaltige Vorstufen-       gere Festigkeitswerte auf als die herkömm-
fasern erzeugt. Als Grundstoff dienten zu        lich aus fossilen Rohstoffen, allerdings deut-
Zeiten der Entwicklung erster Anwendungen        lich bessere als Glasfasern. Da es sich bei
von Carbonfasern im 19. Jahrhundert Bam-         Lignin um ein preisgünstiges, großvolumiges
busfasern. Heute werden die Vorfasern über-      Nebenprodukt handelt, wird bei entsprechen-
wiegend aus Polyacrylnitril (PAN) aber auch      der Prozessoptimierung und Ausstoßmenge
Öl- oder Kohlepech oder regenerierter Zellu-     eine erhebliche Kostenreduktion erwartet,
lose (Rayon) gewonnen.                           womit auch Märkte in unteren Preissegmen-
                                                 ten erschlossen werden könnten.

20
4 HERSTELLUNGSVERFAHREN – VIELE
  OPTIONEN FÜR BIOVERBUNDWERKSTOFFE

4.1 Form- und Fließpressen mit                     Beim Formpressen kommen sowohl duro­
    Naturfasern – ein neuer,                       plastische als auch thermoplastische Matri-
    attraktiver Werkstoff                          zes zum Einsatz. Etwa 45 % der für die euro-
                                                   päische Automobilindustrie produzierten
Von den ersten Forschungsprojekten An-             Naturfaserformpressteile besitzen eine duro-
fang der 1980er-Jahre zu neuen Anwendun-           plastische und 55 % eine thermoplastische
gen für Naturfasern und neuen Werkstoffen          Matrix. Beide NF-Formpressvarianten liefern
auf natürlicher Basis war es ein langer Weg        mechanisch stark belastbare, aber leichte
bis zu den ersten Erfolgen: Erst seit 1995         Bauteile. Typische Anwendungen reichen
etablierte sich mit dem Formpressen von            von Türinnenverkleidungen, Hutablagen,
Naturfaservliesen und -filzen ein Verfahren        Kofferraumauskleidungen, Reserveradmul-
mit hohen Zuwachsraten, vor allem für die          den und Säulenverkleidungen bis hin zum
automobile Mittel- und Oberklasse der deut-        Armaturenbrett. Auch für den Außenbereich
schen PKW-Industrie.                               wurden bereits erste Bauteile (z. B. als Unter-
                                                   boden) in Serie produziert.
Formpressen – die Grundidee
Von der Vielzahl spezieller Verfahren des          Und schließlich sind – zumindest bei kom-
Formpressens sollen hier einige typische           plexen, hochwertigen Türkonstruktionen
Prozessketten aufgezeigt werden. Das Vor-          in der Mittel- und Oberklasse – auch die
produkt, in der Fachsprache auch Halbzeug          Produktionskosten konkurrenzfähig. Und
genannt, ist ein Naturfaservlies oder -filz. Zu-   das, obwohl ein Formpressteil aufwändiger
sammen mit dem gewünschten Kunststoff              zu produzieren ist als ein reines Kunststoff-
wird das textile Halbzeug in eine offene Form      teil. Betrachtet man aber die Gesamtkons-
geführt, erhitzt und unter Druck gepresst. Das     truktion der Tür, so kann das NFK-Material
so entstandene „Formpressteil“ wird aus der        punkten, weil sich bei der Produktion von
Form gelöst und die Ränder beschnitten. Man        Naturfaserformpressteilen mehrere Arbeits-
spricht von Formpressen im Gegensatz zum           schritte zu einem zusammenfassen lassen.
Fließpressen, wenn es zu keinem Fließen von        So können schon im Formpressprozess
Fasern und Kunststoff im Werkzeug kommt.           Halteelemente angebracht und Kaschierung
Prozessbedingt können durch Pressvorgän-           aufgelegt werden, Folgearbeiten entfallen
ge nur „einfache“ dreidimensionale Teile ge-       daher (One-Shot-Verfahren).
fertigt werden. Komplexe, nahezu beliebige
dreidimensionale Teile wie beim Spritzgießen,
sind beim Formpressen nicht darstellbar.

                                                                                              21
©© Hennecke GmbH
         1    Vortrockner
         2    Auftragseinheit mit Hochdruckdosiermaschine mit speziellen Druckknöpfen
         3    beheizte Presse

Abb. 4.1: Fertigungsprinzip im Polyurethan-Sprühverfahren

Duroplastisches Formpressen                        bei einem Schließdruck von 20 bar und einer
Bei einem Formpressverfahren mit duro-             Werkzeugtemperatur von über 120 °C ver-
plastischer Matrix (s. Abb. 4.1) werden die        presst. Die Wanddicken liegen zwischen 1,5
zugeschnittenen Naturfaserhalbzeuge in             und 2,0 mm, der Naturfaseranteil kann zwi-
der Beschichtungskabine von zwei Hoch-             schen 40 und 70 % gewählt werden.
druckmischköpfen innerhalb von 10 bis
25 Sekunden auf Vorder- und Rückseite mit          Thermoplastisches Formpressen
einem duroplastischen Kunststoff, wie z. B.        Auch für das Formpressen mit thermoplasti-
Polyurethan, beschichtet und anschließend          scher Matrix stehen verschiedene Verfahren
in einer Metallform aus Aluminium oder Stahl       zur Verfügung. Im One-step-Verfahren wer-

                                                                                           ©© R+S Technik GmbH

Abb. 4.2: Thermoplastisches Formpressen

22
den sogenannte Hybridvliese, hochwertige         sern, wie z. B. Schäbenfreiheit, möglich. Bis-
Nadelfilze aus Natur- und Polypropylen-Fa-       lang hat es noch kein unkaschiertes Bauteil
sern, auf 170 bis 180 °C erhitzt und kom-        in die Serie geschafft.
men in die Formpresse.
                                                 Wachsendes Interesse dank deutlich
Wie in Abbildung 4.2 dargestellt, werden         reduzierter Flächengewichte
die Sandwichvliese (braun) auf einer Pa-         In den letzten Jahren gab es erhebliche Fort-
lette angeliefert, zur rot gekennzeichneten      schritte beim Flächengewicht von Naturfaser-
Kontaktheizung transportiert und erwärmt.        Formpressteilen, die diese sehr attraktiv für
Zusammen mit dem von der Rolle rechts zu-        den Leichtbau machen. Während typische
geführten Dekor wird das Vlies oder der Filz     GFK für Türinnenverkleidungen Flächenge-
dann in Formpresse auf das grün gekenn-          wichte von etwa 2.200 g/m2 zeigen, kommen
zeichnete Werkzeug aufgebracht, geformt,         thermoplastisch gebundene Naturfaser-Form-
gepresst und mit dem Dekor verklebt. Das         pressteile heute schon auf nur 1.800 g/m2,
Endprodukt ist grau dargestellt.                 mit Haftvermittlern sind sogar 1.500 g/m2
                                                 möglich. Mit Duroplasten werden heute schon
Der schmelzende Thermoplast, wie z. B. Poly-     1.400 g/m2 realisiert. Das Entwicklungsziel
propylen, formt die gewünschte Struktur und      sind 1.000 g/m2, manche Experten halten
verklebt das Werkstück mit dem Dekorteil.        sogar 800 g/m2 für erreichbar.
Das Fertigteil muss nun nur noch mit einem
Laser beschnitten werden.                        Diese geringen Flächengewichte erklären,
                                                 warum in neuen Automodellen verstärkt Na-
Der große Vorteil dieses Verfahrens: In einem    turfaser-Formpressteile zu finden sind, denn
Pressvorgang können komplette Innenver-          diese Leichtbaulösungen ermöglichen wei-
kleidungsteile inklusive Dekor und Schaum-       tere Einsparungen beim Kraftstoffverbrauch
stoff sowie Soft-Touch-Oberfläche ohne Ein-      und sind somit auch für die Elektromobilität
satz von Klebstoffen hergestellt und sogar       sehr interessant.
mit Halterungs- und Befestigungselementen
versehen werden. Aber auch im Two-Step-          Ganz neu sind Kombinationen von Form-
Verfahren gelingt die Kaschierung besonders      pressen und Spritzgießen. Hierbei werden
leicht, da die Naturfaserteile luftdurchlässig   beim Formpressvorgang gleichzeitig z. B.
sind.                                            Haltelemente gespritzt und mit dem Form-
                                                 pressteil verbunden.
Neue Entwicklungen zeigen gänzlich un-
kaschierte Naturfaserteile, die lediglich mit    Fließpressen
einer dünnen, transparenten oder auch far-       Beim Fließpressen wird aus Naturfasern oder
bigen Folie oder einem Lack geschützt sind.      Naturfaserhalbzeugen und einem duro- oder
Eine solche Fertigung ist nur bei einer sehr     thermoplastischen Kunststoff zunächst eine
hohen Homogenität der Natur- oder Holzfa-        sogenannte Pressmasse produziert. In das

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Werkzeug eingebracht wird sie unter Druck-
und Hitzeeinwirkung geformt. Bei Drücken

                                                                                          ©© studio aisslinger/Michel Bonvin
von 60 bis 70 bar und Temperaturen von
130 °C bis 150 °C fließt das Harz-Faser-Ge-
misch in alle Konturen des Werkzeugs, re-
agiert der duroplastische Matrixwerkstoff
und härtet aus. Thermoplaste dagegen wer-
den auf ca. 180 °C erhitzt und härten bei der
Abkühlung. Mit diesem Verfahren lassen sich
hochfeste, große Bauteile mit unterschied-      Hemp Chair von Werner Aisslinger
lichen Wanddicken herstellen. Durch das
Fließen der Pressmasse können auch kom-
plexere dreidimensionale Körper als beim        Dort, wo zweidimensionale oder einfache
Formpressen hergestellt werden. Als erster      dreidimensionale Bauteile mit geringer Mas-
naturfaserverstärkter, thermoplastischer Ver-   se und hoher Festig- und Steifigkeit benötigt
bundwerkstoff für den Außenbereich wurde        werden, können die Naturfaser-Formpress-
über mehrere Jahre eine PKW-Unterboden-         teile eine attraktive technische Lösung dar-
verkleidung in Serie produziert (erste A- und   stellen, wobei sich die Naturfaseroptik hier
B-Klasse von Mercedes).                         sogar zusätzlich als besonderes Designele-
                                                ment einsetzen lässt. Dies gilt für transpa-
Formpressen für Tablett, Koffer und Möbel       rente und weiße ebenso wie auch für farbige
Was sich im Automobilbau bewährt hat, ist       Kunststoffe.
grundsätzlich auch für andere Branchen inte-
ressant. Dennoch gibt es bis heute nur weni-    Bereits seit einigen Jahren gibt es Geigen-
ge Anwendungen der Naturfaser-Formpress-        und Gitarrenkoffer, aber auch Aktenkoffer
technik außerhalb der Automobilbranche.         aus Naturfaserwerkstoffen auf Basis von
                                                Hanf, Kenaf und Polypropylen. Gemeinsam
                                                sind diesen Produkten das niedrige Gewicht
                                                und die gleichzeitig große mechanische Be-
                                                lastbarkeit.

                                                    ©© Jakob Winter GmbH

Geigenkoffer aus Naturfasern

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Im Jahr 2011 wurde der „Hemp Chair“ auf          Ökobilanz-Studien. Von der Wiege bis zum
der Mailänder Möbelmesse vorgestellt. Hanf       Fabriktor der Autofabrik verbrauchen Hanf-
und Kenaf bilden die Basis für den Verbund-      faser-Formpressteile zwischen 25 und 75 %
werkstoff, der durch Verpressen mit einem        weniger Energie als ihre konventionellen
wasserbasierten Duroplast seine hohe me-         Gegenstücke. Das sind beachtliche Werte,
chanische Belastbarkeit erhält. Die Tech-        die nur von wenigen Biowerkstoffen erreicht
nologie, die in der Automobilproduktion          werden. Bezogen auf die Einsparung von
etabliert ist, wurde bisher bei der Möbelher-    Treibhausgasen liegen die Werte zwischen
stellung noch nicht genutzt, könnte aber in      12 und 55 %. Bezieht man zudem den
vielen Anwendungen zum Einsatz kommen.           CO2-Speichereffekt der Naturfaser-Bauteile
                                                 mit ein, so ergeben sich sogar Einsparungen
Ökologische Bewertung von                        zwischen 28 und 74 %.
Naturfaser-Formpressteilen
Ökologische Vorteile sind ein weiterer,          Noch weitaus mehr Energie lässt sich wäh-
wichtiger Pluspunkt für naturfaserverstärkte     rend der Laufzeit des Fahrzeugs einsparen.
Kunststoffe. Im Rahmen einer nachhaltigen        Da die Verkleidungen aus Naturfasern leich-
Wirtschaft erlangt dieser Aspekt zunehmend       ter sind als beispielsweise aus glasfaserver-
an Bedeutung.                                    stärkten Kunststoffen (GFK), benötigt das
                                                 Fahrzeug auch weniger Kraftstoff. Und auch
In den letzten Jahren wurden in Deutschland      nach der Nutzungsphase werden geschlos-
eine Reihe von Sach-, Energie- und Ökobi-        sene Kreisläufe und optimale Verwertungs-
lanzen erstellt, die Naturfaser-Formpresstei-    und Entsorgungsoptionen angestrebt, um
le mit bisherigen Werkstofflösungen vergli-      den gespeicherten bio-basierten Kohlenstoff
chen. In praktisch allen Fällen schnitten die    und die enthaltene Energie so lange wie
NFK besser ab.                                   möglich zu nutzen.

Eine Meta-Analyse bestehender Ökobilan-          Ist ein Recycling nicht mehr möglich, wer-
zen aus dem Jahr 2011 [6] bestätigt positi-      den die NFK-Teile meist einer energetischen
ve Eigenschaften der Naturfaser-Formpress-       Verwertung zugeführt, wobei dies für den
teile. Alle analysierten Studien zeigten klare   Naturfaseranteil – und im Falle einer bio-
Einsparungen für die Hanffaser-Formpress-        basierten Matrix auch für diesen Teil – weit-
teile im Energiebedarf und den Treibhaus-        gehend CO2-neutral erfolgt. Bei thermoplas-
gasemissionen im Vergleich zu ihren petro-       tischem Spritzgießen (s. Kap. 4.3) können
chemischen bzw. mit Glasfasern verstärkten       die NFK-Bauteile sogar stofflich wiederver-
Gegenstücken.                                    wertet werden. Aus dem Altmaterial kann
                                                 in einem Rezyklierungsprozess neues Gra-
Abbildung 4.3 zeigt die Ergebnisse für den       nulat hergestellt werden; bei Naturfasern
Energiebedarf fünf unterschiedlicher Hanf-       leidet der Werkstoff hierbei weniger als bei
faser-Materialien aus unterschiedlichen          Glasfasern.

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