BIOVERBUNDWERKSTOFFE Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK und Holz-Polymer-Werkstoffe WPC - Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK ...
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biowerkstoffe.fnr.de BIOVERBUNDWERKSTOFFE Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) und Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC) KUNSTSTOFFE WERKSTOFFE
IMPRESSUM Herausgeber Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) OT Gülzow, Hofplatz 1 18276 Gülzow-Prüzen Tel.: 03843/6930-0 Fax: 03843/6930-102 info@fnr.de www.fnr.de Gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Autoren Dipl-Phys. Michael Carus und Dipl.-Ing. Dr. Asta Partanen (nova-Institut GmbH) Redaktion Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR), Abteilung Öffentlichkeitsarbeit Bilder Titel: Four Motors/FotoFlach Gestaltung/Realisierung www.tangram.de, Rostock Druck MKL Druck GmbH & Co. KG, Ostbevern Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier mit Farben auf Pflanzenölbasis Bestell-Nr. 227 3., unveränderte Auflage FNR 2019
©© FNR/Michael Hauri ©© FNR/Hardy Müller INHALT 1 Naturfaserverstärkte Kunststoffe im Wandel der Zeit – am Beispiel Automobilindustrie 4 2 Bioverbundwerkstoffe 6 2.1 Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK) 7 2.2 Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC) 8 3 Die Rohstoffe: Kunststoffe, Biokunststoffe, Naturfasern, Holz und Bio-Carbonfasern 9 3.1 Bewährte petrochemische Kunststoffe 9 3.2 Innovative Biokunststoffe 10 3.3 Starke Naturfasern 11 3.4 Bewährtes Holz: Holzmehl und Holzfasern 17 3.5 Zellulosefasern – im Aufschwung 19 3.6 Bio-Carbonfasern – High-Tech aus Biomasse 20 4 Herstellungsverfahren – viele Optionen für Bioverbundwerkstoffe 21 4.1 Form- und Fließpressen mit Naturfasern – ein neuer, attraktiver Werkstoff 21 4.2 WPC-Extrusion – Erfolgsgeschichte in der Bauindustrie 26 4.3 Naturfaserspritzgießen – ein Bereich mit großem Marktpotenzial 29 4.4 3D-Druck – für vielfältige Formen und kleine Serien 32 4.5 Resin-Transfer-Moulding (RTM) – für hochbelastete Naturfaser-Bauteile 33 4.6 Weitere Verfahren für neue Anwendungsfelder 34 2
©© FNR/Michael Hauri ©© FNR/Hardy Müller 5 Anwendungen und Marktzahlen 36 5.1 Bioverbundwerkstoffe – aktuelle Marktsituation 36 5.2 Naturfaser- und holzfaserverstärkte Kunststoffe in der europäischen Automobilindustrie 37 5.3 Der WPC-Markt 39 5.4 WPC und NFK in Spritzgieß-Serienproduktionen – wachsendes Interesse bei der Industrie 42 6 Potenziale für naturfaserverstärkte Kunststoffe und Holz-Polymer-Werkstoffe 45 7 Ansprechpartner und Internet-Links 47 8 Glossar 48 9 Literatur und weitere Informationen 51 3
1 NATURFASERVERSTÄRKTE KUNSTSTOFFE IM WANDEL DER ZEIT – AM BEISPIEL AUTOMOBILINDUSTRIE Naturwerkstoffe waren über Jahrtausende Im 20. Jahrhundert entwickelten Chemiker die primären Materialien der Menschen. Bindemittel, mit deren Hilfe Naturfasern zu Holz diente zum Haus- und Schiffbau, stabilen Bauteilen verarbeitet und der jun- Flachs- und Hanffasern wurden zu Tauen gen Automobilindustrie zugänglich gemacht und technischen Textilien, wie Segel, Ge- werden konnten. Henry Ford präsentierte treidesäcke und Feuerwehrschläuche, ver- 1941 ein Fahrzeug, dessen Karosserie weit- arbeitet. In der Neuzeit und während der gehend aus harzgebundenen Hanffasern industriellen Revolution kamen weitere An- bestand. wendungsgebiete hinzu. Ab 1950 waren mit Phenolharz gebunde- ne Holz- und Baumwollfasern lange Zeit wichtige Werkstoffe für Kraftfahrzeuge. In Ostdeutschland bestand die Karosserie des Trabants aus einem Duroplast, das mit Baumwollfasern verstärkt war, daher auch der Spitzname „Plastikbomber“. Aber auch der westdeutsche Fahrzeugbau setzte auf nachwachsende Rohstoffe: So fertigte die zur Borgward-Gruppe gehörende Lloyd Ma- schinenfabrik in Bremen die Karosserie ihrer Modelle Lloyd P 300 und 400 Anfang der 1950er-Jahre aus mit Kunstleder bezoge- nem Sperrholz – wofür der Volksmund wie- derum die Bezeichnung „Leukoplastbom- ber“ erfand. Mitte der 1950er-Jahre wurde ©© Michal Durinik/Shutterstock.com bei Lloyd das Sperrholz durch Stahl ersetzt, der Trabant hingegen blieb dem Baumwoll- Phenolharz-Konzept bis zu seinem letzten Baujahr 1990 treu. Heute werden noch viele LKW-Fahrerkabi- nen aus Baumwollfasern und Phenolharzen Trabant produziert. 4
©© Four Motors/BRfoto Bioconcept-Car Während in den 1950er und 1960er-Jah- Ein Beispiel hierfür ist das Bioconcept-Car – ren der Einsatz von naturfaserverstärkten ein Rennwagen, bei dem mehrere Karosse- Kunststoffen seine Ursache in der Material riebauteile aus naturfaserverstärkten Kunst- knappheit der Nachkriegszeit bzw. der DDR stoffen hergestellt sind. Nachdem sich diese hatte, werden Naturfasern heute eingesetzt Bauteile unter den harten Bedingungen auf bzw. erforscht, um genau diese Materialien der Rennstrecke etabliert haben, wird nun zu ersetzen. Zudem macht ihr großes Leicht- an der Umsetzung des Konzepts in die Se- baupotenzial sie hochinteressant für die rienproduktion gearbeitet. Entwicklung moderner kraftstoffsparender Autos und für die Elektromobilität. Ein wei- terer Pluspunkt von Flachs, Hanf, Jute, Kenaf und Co. ist ihre geringere Splitterneigung, die bei Unfällen und bei der Verarbeitung von Vorteil ist. Bei Armaturenbrettern, Kofferraumausklei- dungen und Tür- und Säulenverkleidungen greifen Autobauer deshalb vor allem im Premium-Segment schon seit Jahren auf Na- turfasern als Verstärkungsmaterial zurück. Im Außenbereich haben sich naturfaserver- stärkte Kunststoffe noch nicht durchgesetzt, werden hier jedoch intensiv erforscht und erprobt. 5
2 BIOVERBUNDWERKSTOFFE Ein Verbundwerkstoff oder Kompositwerk- petrochemische Kunststoffe bezeichnet wer- stoff (engl. Composite) ist ein Werkstoff, der den. Werden nachwachsende Rohstoffe für aus zwei oder mehr miteinander verbunde- die Herstellung eingesetzt, spricht man von nen Materialien besteht. In dieser Broschüre bio-basierten Kunststoffen (kurz: Biokunst- geht es dabei vor allem um Faserverbund- stoffen) (s. Kap. 3.2). werkstoffe. Sie bestehen aus einer Kunst- stoff-Komponente, der sogenannten Matrix, Bioverbundwerkstoffe liegen dann vor, und einer Faser-Komponente. In der Regel wenn mindestens eine der beiden Haupt- sind Faserverbundwerkstoffe deutlich steifer komponenten (Matrix und Fasern) bio-ba- und fester als ihre Einzelkomponenten. siert ist, d. h. auf Basis von Biomasse her- gestellt wurde. Kunststoffe bestehen aus langkettigen che- mischen Verbindungen (Polymere), die aus Im Folgenden werden die beiden wichtigs- einzelnen sich wiederholenden Bausteinen, ten Gruppen der Bioverbundwerkstoffe, die den sog. Monomeren zusammengesetzt naturfaserverstärkten Kunststoffe (NFK) und sind, und in linearen oder verzweigten Mo- die Holz-Polymer-Werkstoffe – international lekülen angeordnet sein können. Hergestellt Wood-Plastic-Composites (WPC) genannt – werden sie in der Regel aus fossilen Roh- näher vorgestellt. stoffen, wie z. B. Erdöl, sodass sie auch als Bioverbundwerkstoffe Naturfasern Naturfaserverstärkte Hanf, Flachs, Jute, Kenaf, Kunststoffe (NFK) Sisal, Abaka, ... (Bio-basierte) Kunststoffe Holzmehl und -fasern Holz-Polymer- Werkstoffe (WPC) Quelle: FNR nach Carus & Eder et al. (2015) Abb. 2.1: Bioverbundwerkstoffe im Überblick 6
2.1 Naturfaserverstärkte und ökologischen Eigenschaften attraktiv, Kunststoffe (NFK) sondern weisen im Bauteilkonzept bereits ökonomische Vorteile gegenüber den klassi- Unter naturfaserverstärkten Kunststoffen schen faserverstärkten Kunststoffen, wie z. B. (NFK) werden Werkstoffe verstanden, die glasfaserverstärkte Kunststoffe (GFK), auf. aus einem fossil- oder bio-basierten Kunst- stoff bestehen, der seine Stabilität durch ein- Hinter dem Begriff NFK stehen unterschied- gearbeitete Naturfasern erhält. Bauteile aus liche Verarbeitungsprozesse. Mit einem NFK weisen hohe Steifigkeiten und Festig- Marktanteil von über 90 % ist das Formpres- keiten sowie eine geringe Dichte auf. Einfach sen das bislang erfolgreichste Verfahren, bei gesagt: Sie sind mechanisch stark belastbar dem Naturfaservliese bzw. -filze mit Kunst- und gleichzeitig leicht, also z. B. ideal für den stoffen heiß verpresst werden. Es wird vor modernen Automobilbau. allem bei automobilen Innenraumteilen ein- gesetzt, ebenso wie bei der Produktion von Schalenkoffern und Tabletts (s. Kap. 4.1). Auch das in der Kunststoffindustrie ins- gesamt am häufigsten verwendete Spritz- gießen kann heute für NFK genutzt werden. Unterschiedliche Kunststoff-Naturfaser-Gra- nulate sind am Markt verfügbar und können mit Standard-Spritzgieß-Formen genutzt werden. Am Markt erfolgreich platzierte Pro- ©© FNR/Hardy Müller dukte sind u. a. Schleifscheibenträger, Lade- geräte und Autoinnenteile (s. Kap. 4.3). Will man besonders belastbare Teile aus Autotür aus einer Naturfasermatte, verfestigt mit NFK herstellen, die auch konstruktiv genutzt einem duroplastischen Kunststoff werden können, so gibt es weitere Verfah- ren wie Resin-Transfer-Moulding (RTM) und Pressverfahren, die mit Langfasern in Form Diese Naturfaserwerkstoffe wurden in den von Gelegen und Textilien arbeiten. Die Ver- 1980er-Jahren vor allem in Deutschland ent- fahren erzielen zwar sehr gute mechanische wickelt. In den 1990er-Jahren begann ihre Eigenschaften, werden jedoch nur in Klein- Erfolgsgeschichte in der Automobilindustrie. serien genutzt, was in einem höheren Auf- Mittlerweile konnten sie auch in anderen wand und entsprechenden Kosten resultiert Branchen, wie z. B. im Konsumgüterbereich, (s. Kap. 4.5). Fuß fassen. In vielen Anwendungen sind NFK nicht nur wegen ihrer mechanischen 7
2.2 Holz-Polymer-Werkstoffe Der Einsatz von bio-basierten Kunststoffen (WPC) ist bis jetzt noch die Ausnahme, wird aber in kleinen Nischen wie Spielwaren für Kinder Holz-Polymer-Werkstoffe – Wood-Plastic- bereits eingesetzt. Composites (WPC) – sind Verbundwerkstof- fe, die aus unterschiedlichen Anteilen an Durch die Zugabe von Additiven werden Holzmehl oder Holzfasern, Kunststoffen und die Verarbeitbarkeit und die mechanischen Additiven bestehen. Eigenschaften verbessert. Als Holzanteil werden Sägenebenprodukte WPC lässt sich durch thermoplastische Form- der Holzwerkstoffindustrie wie insbesondere gebungsverfahren, wie Extrusion (s. Kap. preiswertes Holzmehl, selten hochwertige 4.2), Presstechniken (s. Kap. 4.1), Spritzgie- Holzfasern, eingesetzt. Je nach Produkt und ßen (s. Kap. 4.3) und 3D-Druck (s. Kap. 4.4). gewünschter Materialeigenschaft kann der verarbeiten. (Ligno-)Zellulose-Anteil im WPC von 20 bis 80 % variiert werden. Wichtige Anwendungsfelder für ein extru- diertes WPC sind Bauprodukte wie Terras- Die Kunststoffmatrix besteht in der Regel senbeläge, Bootsstege und Promenaden aus preisgünstigen petrochemischen Mas- („Deckings“) sowie Außenfassaden, Sicht- senkunststoffen wie Polyethylen (PE), Poly- schutz für Gärten, Lärmschutzwände, Zäune propylen (PP) oder Polyvinylchlorid (PVC). sowie Geländer, Fensterrahmen und Türen oder auch Schalungselemente im Beton- bau. Seit 2013 gibt es auch Bauplanken für Heimwerker. Im Pressverfahren hergestelltes WPC wird in der Automobilindustrie für Innenraumteile verwendet, ähnlich wie naturfaserverstärk- te Kunststoffe (NFK). Die Holzpartikel oder -fasern sorgen hier für eine gute Steifigkeit, während die Festigkeit meist hinter Naturfa- ser-Formpressteilen zurück bleibt. ©© NATURinFORM GmbH Schließlich finden sich zunehmend auch WPC-Anwendungen im Spritzgießbereich wie diverse Konsumgüterartikel, Gehäuse von Geräten, Möbel (z. B. Stühle) und Kleinteile für die Möbelindustrie und Spielwaren. Schwimmbad-Steg mit WPC-Dielen 8
3 DIE ROHSTOFFE: KUNSTSTOFFE, BIOKUNSTSTOFFE, NATUR- FASERN, HOLZ UND BIO-CARBONFASERN 3.1 Bewährte petrochemische Werden besonders feste und zähe Konstruk- Kunststoffe tionswerkstoffe benötigt, greift man auf teu- re Spezialkunststoffe zurück oder verstärkt Um aus Naturfasern oder auch Naturfaser- Standardkunststoffe wie Polypropylen durch halbzeugen moderne Werkstoffe herstellen Glas- oder Carbonfasern. Jedes Jahr werden zu können, benötigt man Bindemittel oder in Europa etwa 2 Mio. t glasfaserverstärkte eine Kunststoffmatrix zu ihrer Verfestigung. Kunststoffe eingesetzt [10] und können je Traditionell wurden hierzu tierische und nach Anforderung sogar Metallkonstruktio- pflanzliche Leime, Kleber und Harze ver- nen ersetzen. Typische Anwendungen sind wendet, heute vor allem petrochemische Automobilteile, Rotorblätter von Windkraft- Kunststoffe. Eine Alternative stellen bio-ba- anlagen und sogar selbsttragende Brücken. sierte Kunststoffe dar (s. Kap. 3.2). Die weltweite Produktionskapazität von Car- bonfasern lag 2014 bei etwa 80.000 t [10]. In Deutschland wurden im Jahr 2015 ca. Europa hat davon einen Anteil von 24 %. 10,2 Mio. t Kunststoffe erzeugt [8]. Wesent- Dabei wird Carbonfasern in der Flugzeug- liche Anteile an der Produktion haben da- und Automobilindustrie sowie bei Highend- bei Polypropylen (PP) mit ca. 2,0 Mio. t so- Produkten für Sport und Freizeit eine große wie Polyethylen (PE) mit ca. 1,7 Mio. t und Zukunft vorhergesagt. Polyvinylchlorid (PVC) mit ca. 1,6 Mio. t. Hauptanwendungsbereiche sind die Verpa- Eine weitere Option zur Verstärkung der ckungs-, Bau- und Automobilindustrie. Kunststoffe stellen Naturfasern dar – was sie leisten können, ist das Thema dieser Nur in wenigen Fällen kommen bei der Broschüre. Kunststoffherstellung lediglich die reinen Polymere zum Einsatz. In der Regel werden Duro- und Thermoplaste Additive und Füllstoffe zugefügt, um die Grundsätzlich unterscheidet man unabhän- Kunststoffe je nach Anwendung steifer oder gig davon, ob es sich um Kunststoffe auf pe- weicher, UV-beständiger oder auch farbig trochemischer oder nachwachsender Basis zu machen. Hierfür eignen sich neben syn- handelt, zwischen duro- und thermoplasti- thetischen Chemikalien auch Mineralien schen Kunststoffen. wie Talkum oder nachwachsende Rohstoffe wie z. B. Holzfasern und Holzmehl. Thermoplastische Kunststoffe sind Kunst- stoffe, die sich unter dem Einfluss von 9
Wärme plastisch verformen lassen. In der zen sich die Kettenmoleküle dreidimensional Regel bestehen Thermoplaste aus linearen untereinander und werden dadurch sehr sta- oder wenig verzweigten Kettenmolekülen. bil und thermisch belastbar. In Verbindung Sie lassen sich mehrfach einschmelzen und mit Holz- und Naturfasern werden vor allem neu formen. Dies erweist sich beim stoffli- Acrylat-, Epoxid- und Phenolformaldehyd- chen Recycling als wichtiger Vorteil. Thermo- harze, Polyurethan und ungesättigte Polyes- plaste können sowohl im Spritzgießverfah- terharze verwendet. Einige dieser Harze, wie ren (s. Kap. 4.3) verarbeitet werden, als auch z. B. Epoxidharze, können auch vollständig mittels Extrusion (s. Kap. 4.2) und thermo- oder anteilig bio-basiert produziert werden. plastischem Formpressen (s. Kap. 4.1). In Verbindung mit Natur- und Holzfasern kom- 3.2 Innovative Biokunststoffe men vor allem die petrochemischen Thermo- plaste Polypropylen (PP), Polyethylen (PE), Biokunststoffe – also bio-basierte Kunststof- Polyvinylchlorid (PVC) und Polystyrol (PS) zum fe – bestehen teilweise oder vollständig aus Einsatz. Die hohen Schmelztemperaturen der Biomasse wie z. B. Zucker, Stärke, Zellulose, Polyamide (PA), bei denen Bestandteile der Pflanzenölen und Lignin. Der Anteil von Bio- Naturfasern leicht geschädigt werden, stehen kunststoffen am Weltmarkt für Kunststoffe einer Verwendung eher entgegen. liegt heute bei ca. 2 % [1]. Um die Bindung zwischen Kunststoff und Unter den thermoplastischen Biokunststof- Naturfasern zu verbessern, sind in vielen Fäl- fen finden neben Stärkepolymeren vor allem len Haftvermittler notwendig. So verbinden Polymilchsäure (PLA) sowie Polyhydroxy- sich etwa Polypropylen (PP) und Naturfasern alkanoate (PHA/PHB) Verwendung. Aber aufgrund ihrer Polaritäten nur sehr schwer. auch bekannte Thermoplaste wie Poly Ein Haftvermittler überwindet das Problem. ethylenterephthalat (PET) sowie PE können Neue Forschungsarbeiten zeigen, dass auch bereits heute bio-basiert produziert werden. eine Plasmabehandlung der Naturfasern zu In größeren Volumina werden aktuell Bio- einer besseren Bindung an unpolare Kunst- PET und Bio-PE aus brasilianischem Zucker- stoffe führt. rohr hergestellt. Bei den Duroplasten findet man bio-basierte Epoxidharze auf Basis von Neben Haftvermittlern kommen in der Praxis Glyzerin (Beiprodukt der Biodieselproduk- noch eine Reihe weiterer Additive zum Ein- tion), zudem bestehen auch einige Polyure- satz, so z. B. zur Einfärbung oder als UV- und thane anteilig aus nachwachsenden Roh- Flammschutz. stoffen, wie z. B. Sojaöl. Duroplastische Kunststoffe dagegen las- Kunststoffe auf Basis nachwachsender Roh- sen sich, einmal ausgehärtet, nicht mehr ver- stoffe tragen zur zukünftigen Versorgungs- formen. Im Prozess des Aushärtens vernet- sicherheit bei. Sie können petrochemische 10
Kunststoffe ersetzen, deren Herstellung mit auf Grund ihrer besonderen Eigenschaften der Verknappung von Erdöl und -gas tenden- für Textilien und Spezialgewebe genutzt. ziell teurer wird. Die Biokunststoffe sollen dabei – wie die petrochemischen Kunst- Bei Flachs, Hanf, Jute und Kenaf, den so- stoffe auch – möglichst mehrfach stofflich genannten Bastfaserpflanzen, wachsen die genutzt (Recycling) und am Ende ihres Le- Fasern aus den Sprossachsen. Bastfasern bensweges thermisch verwertet werden, um bilden sich im äußeren Teil des Pflanzen- einen großen Teil der Herstellungsenergie stängels und stabilisieren den schlanken zurückzugewinnen und fossile Ressourcen und hohen Stängel, um z. B. ein Abknicken bei der Energiegewinnung zu ersetzen. Dies der Pflanzen bei starkem Wind zu verhin- wirkt sich wiederum positiv auf die Flächen- dern. Der Fasergehalt dieser Pflanzen konnte und Ressourceneffizienz aus. von ursprünglich 5 bis 10 % durch Züchtung auf heute 25 bis 30 % gesteigert werden. Für Bioverbundwerkstoffe stellen Biokunst- stoffe ein besonders interessantes Einsatz- MECHANISCHE EIGENSCHAFTEN gebiet dar, da mit ihnen – zusammen mit VON NATURFASERN [7] Natur- oder Holzfasern – vollständig bio-ba- sierte Verbundwerkstoffe realisierbar sind. • Die Dichten von Flachs, Hanf, Jute, Ke- Mit Naturfasern kann das Eigenschaftsprofil naf, Ramie, Abaka, Nessel sind etwa von Biokunststoffen erweitert werden, ohne alle gleich (1,2 bis 1,6 g/cm3). Sisal auf fossile oder mineralische Fasern zurück- hat eine etwas geringere Dichte. greifen zu müssen. • Die Feinheit ist stark abhängig vom Aufschlussgrad, als grobe Orientierung Generell gilt für Biokunststoffe, dass sie sich dient folgende Reihenfolge: Nessel = in der Verarbeitung und in den Material- Ramie > Flachs = Jute > = Kenaf > Hanf > eigenschaften mit klassischen Kunststoffen Sisal > Abaka = Bambus > Kokos. messen lassen müssen. Erst vergleichba- • Bei Festigkeit kann folgende Reihenfol- re oder bessere Eigenschaften und Her- ge als Orientierung angesetzt werden: stellungskosten werden ihnen den breiten Ramie = Flachs = Hanf > Abaka = Nessel Marktzugang ermöglichen. > Kenaf > Jute = Bambus > Sisal > Kokos. • Für den Elastizitätsmodul wird folgen- de Reihenfolge zur Orientierung vorge- 3.3 Starke Naturfasern nommen: Ramie > Flachs > = Hanf > Ke- naf > = Jute = Abaka > Bambus = Nessel In naturfaserverstärkten Kunststoffen werden > Sisal > Kokos. vor allem Flachs- und Hanffasern sowie Jute-, • Und schließlich für die Dehnung fol- Kenaf-, Sisal- und Abakafasern eingesetzt. gende Reihenfolge: Jute < = Ramie < = Brennnesselfasern spielen für diesen An- Flachs = Hanf = Kenaf < Abaka < = Bam- wendungsbereich keine Rolle, sie werden bus < Sisal < Kokos. 11
Bei Sisal und Abaka dagegen stammen die Fasern aus Blattscheiden und verstärken ©© FNR/Volker Petersen die großen Blätter, bei der Baumwollpflan- ze wachsen die Fasern als Samenhaare aus dem Samen. Diese Broschüre beschäftigt sich vor allem Hanf mit Flachs und Hanf, den beiden Faserpflan- zen, die in Europa angebaut, verarbeitet und in neuen Werkstoffen verwendet werden. Papier. Im 17. Jahrhundert erreichte Hanf als Am Beispiel von Hanf, der im Gegensatz zu Wirtschaftsgut durch den enormen Bedarf Flachs überwiegend in technische Anwen- der Schifffahrt an Seilen und Segeltuch seine dungen geht, soll zunächst die gesamte Pro- größte Bedeutung – 50 bis 100 t Hanffasern zesskette der Naturfaserproduktion exemp- mussten für ein typisches Segelschiff samt larisch dargestellt werden. Im Anschluss wird Besatzung bereitgestellt und jeweils binnen auf die Unterschiede bei Flachs gesondert zwei Jahren erneuert werden. eingegangen. Ab dem 18. Jahrhundert verlor der deut- Hanf sche Hanf kontinuierlich an Bedeutung: Die Hanffasern werden seit Jahrtausenden für Konkurrenz durch osteuropäischen Hanf, Kleidungsstücke, Schnüre, Seile oder Netze Naturfasern aus den Kolonien, den Einsatz genutzt. Hanf gehört wie Flachs zu den äl- von Baumwolle im Textilbereich („Spinning testen Kulturpflanzen: Etwa um 2.800 v. Chr. Jenny“) und das Aufkommen der Dampf- wurden in China die ersten Seile aus Hanf- schifffahrt im 19. Jahrhundert ließen die fasern erzeugt. Nachfrage zusammenbrechen. Es folgte die Verwendung als Textilfaser; Anfang der 1990er-Jahre wurde Hanf inner- in einem Grab aus der Chou-Dynastie halb der Europäischen Union (EU) praktisch (1.122 bis 249 v. Chr.) fand sich ein Textil- ausschließlich in Frankreich angebaut – für fragment, das wohl älteste erhaltene Hanf- die Produktion von Spezialzellstoffen mit produkt. Auch das erste Papier wurde aus besonders hohen technischen Anforderun- Hanf hergestellt – so blieb in China ein gen, wie z. B. Zigarettenpapiere, Dünndruck- Stück Hanfpapier aus der Zeit von 140 bis papiere und Banknoten. Als der Anbau und 87 v. Chr. erhalten. die Nutzung von Hanf Ende der 1990er- Jahre wiederentdeckt wurden, mussten in Hanfprodukte sind auch aus dem Europa vielen EU-Ländern zunächst die Anbauver- des Mittelalters nicht wegzudenken – Hanf bote überwunden werden, die im Rahmen war der Rohstoff für die Herstellung von der weltweiten Marihuana-Prohibition auch Seilen, Segeltuch, Bekleidungstextilien und für rauschfreien Nutzhanf erlassen worden 12
waren. Infolge dieser „Wiederentdeckung dicht über dem Boden ab, führen die langen der Nutzpflanze Hanf“ haben sich die An- Stängel durch die Maschine und kürzen sie bauflächen in der EU fast verdreifacht – bei dabei auf ca. 60 cm lange Stücke ein, um die gleichzeitig stetig fallenden EU-Beihilfen für Weiterverarbeitung zu erleichtern. Das ein- den Anbau bzw. die Verarbeitung von Hanf. gekürzte Hanfstroh bleibt zur sogenannten 2016 lag die Hanfanbaufläche in der EU Feldröste für zwei bis vier Wochen auf dem bei 33.000 ha [11], rund 40 % dieser Flä- Feld liegen und wird in dieser Zeit ein- bis che entfallen auf Frankreich. In Deutschland zweimal gewendet. lagen die Flächen in den letzten Jahren zwi- schen 1.000 und 2.000 ha. Wichtigste An- Röste wendungen für Hanffasern sind heute Spe- Bei der Röste lösen sich die Kittsubstanzen zialzellstoff (55 %), Dämmstoffe (26 %) und (Pektine, Lignin) zwischen den Fasern und Verbundwerkstoffe (15 %) [4]. dem Reststängel und legen die Fasern frei. Es handelt sich dabei um einen biologi- Anbau, Ernte und Röste von Hanf schen Prozess, bei dem Mikroorganismen Die Aussaat des Hanfes erfolgt in Deutsch- wie Bakterien und Pilze sowie die von ihnen land Mitte April bis Mitte Mai. Bis zum Hoch- erzeugten Enzyme wirksam sind. Durch die sommer haben die Hanfbestände Höhen Röste wird der spätere mechanische Faser- von zwei bis vier Meter erreicht. Soll die Fa- aufschluss deutlich vereinfacht sowie die ser für technische Zwecke genutzt werden, Ausbeute und Feinheit der Fasern erhöht. ist der optimale Erntezeitpunkt die Vollblüte Nach der Röste wird das Hanfstroh an tro- der männlichen Pflanzen, meist im Juli. ckenen Tagen zu Ballen gepresst und bis zum Faseraufschluss trocken gelagert. Die Ökologie Lagerung kann ohne Qualitätsverluste über Hanf wird ohne Pflanzenschutzmittel ange- mehrere Jahre erfolgen. baut. Der Schädlingsdruck ist meist gering und bedroht die Faserernte nur marginal. Auch der Einsatz von Herbiziden ist nicht erforderlich, weil die Pflanzen schnell und dicht wachsen, sodass Unkräuter keine Chance haben. Hanf wird in der Fruchtfolge gerne gesehen, da er den Boden unkrautfrei und mit verbesserter, lockerer Struktur und nährstoffreich zurücklässt. ©© BAFA Neu GmbH Ernte In den letzten zehn Jahren wurde die Ernte- technik für Hanf neu entwickelt. Moderne Erntemaschinen schneiden die Hanfpflanze Moderne Erntetechnik für Hanf 13
©© BAFA Neu GmbH ©© BAFA Neu GmbH Eingekürztes Hanfstroh während der Feldröste Faseraufschlussanlage Der in den 1990er-Jahren zum Teil propa- wird der verholzte Kern des Stängels (die gierte Grünhanfaufschluss ohne Röste konn- späteren „Schäben“) gebrochen, die Fasern te sich nicht etablieren, Faserausbeuten und trennen sich vom Holz. Je nach Weiterver- -qualitäten waren zu gering. arbeitung bleiben Faserbündel unterschied- licher Feinheit und Längenverteilung übrig. An guten Standorten können jährlich 6 bis Während die Fasern für die textile Verarbei- 9 t Hanfstroh pro Hektar geerntet werden. tung möglichst lang, fein und schäbenfrei Bei einem technisch nutzbaren Fasergehalt sein müssen, stellen technische Anwendun- von ca. 25 % lassen sich demnach pro Hek- gen, insbesondere NFK, geringere Anforde- tar 1,5 bis 2 t Hanffasern produzieren. Der rungen, die sich auch in niedrigeren Faser- nicht nutzbare verholzte Kern des Stängels preisen widerspiegeln. (die späteren „Schäben“), welcher 50 bis 70 % des Gesamtertrages ausmacht, kann Im Spritzgießverfahren (s. Kap. 4.3) können als Baumaterial, Brennstoff, Füllstoff oder kurze Hanffasern verarbeitet werden. Für als Einstreu in der Landwirtschaft genutzt Vliese und Filze zur Produktion von Form- werden. pressteilen (s. Kap. 4.1) dagegen werden 6 bis 10 cm lange „vliesfähige“ technische Faseraufschluss: Fasern benötigt. In beiden Fällen ist ein mög- Vom Hanfstroh zur Faser lichst geringer Schäbengehalt von maximal Baumwollfasern können einfach von der 2 % gewünscht, da die Schäben die weite- Pflanze gepflückt, entkörnt und von Schmutz re Verarbeitung stören können – bis hin zu und Reststoffen gereinigt werden. Bei Bast- sichtbaren Oberflächenstörungen im ferti- fasern wie Flachs und Hanf ist der Vorgang gen Produkt. der Fasergewinnung erheblich aufwändiger. Dies ist einer der wichtigsten Gründe, warum Fasern für Gewebe sich Baumwolle weltweit mit großem Ab- Hanffasern können versponnen und das Garn stand an der Spitze der Naturfasern platzie- zu technischen Geweben verwoben werden, ren konnte. die für hochwertige NFK Verwendung finden. Da dieser Prozessweg – physikalisch, che- Die Verarbeitung der Hanfstrohballen erfolgt misch oder enzymatisch – sehr kostspielig ist, in eigenen Faseraufschlussanlagen. Dabei wird er bislang kaum praktiziert. 14
Fasern für Formpressteile Sisal gemischt, so ergeben sich die besten Preiswerter ist es, die Fasern direkt zu texti- mechanischen Werte in Kombination mit len Halbzeugen wie Vliesen oder Filzen, häu- einer optimalen Verarbeitbarkeit für die Ver- fig auch als „non-wovens“ bezeichnet, zu bundwerkstoffe. Die feinen Fasern schaffen verarbeiten. Während die Fasern bei Filzen mehr Bindung zwischen Faser und Kunst- ineinander verschlungen sind, werden sie für stoff, die gröberen gewährleisten das Ein- Vliese nur geschichtet und durch ein Binde- dringen des Binders in das textile Produkt. mittel, insbesondere duroplastische Harze oder Thermoplaste, verfestigt. Vorprodukte Wirtschaftlichkeit für Formpressteile (s. Kap. 4.1) sind sowohl Abbildung 3.1 zeigt die Preisentwicklung reine Naturfaservliese und -filze als auch bei Flachs- und Hanfkurzfasern vom Jahr Mischfilze aus Natur- und z. B. Polypropylen- 2003 bis heute. Vergleicht man die Preis- fasern. In der Praxis haben sich besonders kurven mit denen anderer Rohstoffe, so fällt Mischungen von verschiedenen Naturfasern eine erstaunliche Preiskonstanz für Hanffa- bewährt. Werden feine Fasern wie Flachs sern bis heute auf. oder Jute mit gröberen Fasern wie Hanf oder PREISENTWICKLUNG BEI FLACHS- UND HANFKURZFASERN PREISENTWICKLUNG BEI FLACHS- UND HANFKURZFASERN Preis von technischen Hanf- und Flachs-Kurzfasern in % 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Flachs Hanf 100 % entsprechen dem Preis von technischen Hanfkurzfasern im März 2003, bei einer Abnahmemenge von 100 Tonnen pro Jahr. Quelle: European Industrial Hemp Association 2017 © FNR 2017 Quelle: European Industrial Hemp Association 2017 (www.eiha.org) © FNR 2017 Abb. 3.1: Preisentwicklung bei Flachs- und Hanfkurzfasern für Vliese und Filze in Europa 15
Die Flachspreise zeigen dagegen immer Flachs (Faserlein) wieder steile Ansteige. Ursache sind zurück- Aus den Fasern von Flachs, auch Faser- gehende Anbauflächen (Flächenkonkurrenz lein genannt, werden seit Jahrtausenden zu Lebensmitteln und Bioenergie), Missern- Kleidungsstücke (Leinen) und andere Ge- ten und die stark steigende Nachfrage der brauchsgegenstände wie Schnüre, Seile chinesischen Textilindustrie. und Netze hergestellt. Im Juni 2016 erhielten Hanfstroh und -fa- Flachs gehört zu den ältesten Kulturpflanzen sern des niederländischen Unternehmens überhaupt. So wurden Leinsamen bereits HempFlax B.V. das etablierte ISCC PLUS-Zer- in einer etwa 9.000 Jahre alten Grabstätte tifikat für Nachhaltigkeit, als weltweit erste im heutigen Iran gefunden. Das Britische Naturfaser. Inzwischen gibt es auch ISCC Museum in London stellt ein altägyptisches PLUS-zertifiziertes Hanfstroh und -fasern Faserleingewebe von 5.000 v. Chr. aus und aus Deutschland und Rumänien. Die Preise ägyptische Darstellungen aus dieser Zeit zei- der zertifizierten Fasern liegen 5–10 % über gen uns die gesamte Wertschöpfungskette nicht-zertifizierten Fasern. des Faserleins, der u. a. für die Mumienbin- den Verwendung fand. Die ältesten Leinfun- Qualitätsmanagement de in Europa datieren auf etwa 2.700 v. Chr. Ohne Qualitätsmanagement über die in der Schweiz. Fäden, Schnüre und Netze gesamte Prozesskette können sich ein- waren die typischen Faserleinerzeugnisse. heimische Naturfasern gegen preiswerte Importfasern nicht behaupten. Die Quali- Bis der Beginn der industriellen Revolution tät der Naturfasern beginnt nicht erst beim den Siegeszug der Baumwollfaser einläu- Faseraufschluss. Die Auswahl der geeigne- ten Anbaustandorte und Sorten, des Ernte- zeitpunkts und der Erntetechnik, die Länge der Röstzeit, die Art der Lagerung und vieles mehr bestimmen die Qualität der Naturfa- sern und damit schließlich auch die Qualität der späteren Verbundmaterialien. Für die technischen Verarbeitungsprozes- se und die späteren Materialeigenschaften gelten insbesondere standardisierte, gleich- ©© FNR/Volker Petersen bleibende Faserqualitäten als wichtige Vor- aussetzung. Flachsfeld 16
tete, war Leinen die wichtigste Textilfaser mehr verloren gegangen und die Konkurrenz Europas. Da die Baumwolle jedoch erheb- aus Frankreich, Belgien und Osteuropa zu lich einfacher zu verarbeiten war und die stark. Heute werden in Deutschland weniger Verarbeitung leicht mechanisiert werden als 20 ha (2016) Flachs angebaut. konnte, verdrängte sie den Flachs rasch. So sank der Flachsanbau in Deutschland von ca. 215.000 ha im Jahre 1850 auf ca. 3.4 Bewährtes Holz: 35.000 ha zur Jahrhundertwende. Holzmehl und Holzfasern Als in den 1980er-Jahren das Interesse an Der Hauptbestandteil von WPC ist in der nachwachsenden Rohstoffen und neuen An- Regel der Rohstoff Holz aus Sägenebenpro- wendungsgebieten für alte Kulturpflanzen dukten des einheimischen Weichholzes, vor wuchs, widmete sich die Forschung auch ver- allem Fichte. Hartholz wie Eiche oder Ahorn stärkt der technischen Nutzung des Flachses. wird dagegen kaum eingesetzt. 2016 lag die Flachsanbaufläche in der EU Sägenebenprodukte sind Holzreste, die bei bei ca. 90.000 ha [5], was einen erheblichen der Verarbeitung von entrindeten Stämmen Rückgang gegenüber ca. 120.000 ha im Jahr zu Nutzholz oder der nachfolgenden Holz- 2004 bedeutet. Ursachen sind die gesunke- verarbeitung anfallen. Dazu zählen Holzhack- nen Exporte nach China und die zunehmen- schnitzel, Holzspäne, Holzmehl und nach de Flächenkonkurrenz mit Energiepflanzen. weiterer mechanischer oder chemischer Aufbereitung auch Holzfasern (z. B. MDF- Wichtigste Anbauländer sind Frankreich, Bel- oder Zellulosefasern). Die unterschiedlichen gien und die Niederlande. Ein Großteil der Holzrohstoffe bzw. -zwischenprodukte haben Flachsproduktion zielt auf hochwertige Flach- sehr unterschiedliche Eigenschaften und füh- langfasern für die Bekleidungsindustrie. Die ren hierdurch in der WPC-Produktion zu ver- meisten Flachslangfasern werden nach China schiedenartigen Materialeigenschaften. So exportiert und dort versponnen, gewebt und haben z. B. die Feinheit und der sogenannte schließlich zu Textilien konfektioniert. Schlankheitsgrad – das Verhältnis von Länge zu Breite bzw. Durchmesser – einen großen Als Nebenprodukt entsteht die Flachskurz- Einfluss auf die mechanischen Eigenschaf- faser (Werg), die für Zellstoffe, Textilien, Ver- ten. Von diesem Schlankheitsgrad hängt es bundwerkstoffe und Dämmstoffe genutzt ab, ob das Holz in der Kunststoffmatrix eher wird. ein Füllmittel oder eine Verstärkung darstellt. Der Anbau und die Verarbeitung von Flachs Entscheidende Kriterien für den Einsatz von konnten sich in Deutschland trotz intensiver Holzmehl und -fasern zur WPC-Produktion Bemühungen nicht wieder etablieren. Das sind neben dem Preis vor allem auch qua- Know-how war über die Jahrzehnte mehr und litative Aspekte, wie die Restfeuchte, die 17
Faserlänge, der Schlankheitsgrad oder der beobachten, die insbesondere durch die Harzgehalt. wachsende Nachfrage aus dem Bereich der Bioenergie, Holz-Heizkraftwerke und Pellet Im Vergleich zu anorganischen Füllstoffen öfen getrieben wurde. Dennoch liegt das weisen die Holzrohstoffe neben anderen Vor- absolute Preisniveau von Holz im Vergleich teilen eine geringere abrasive Neigung auf. zu den meisten Agrarrohstoffen niedrig. Das Preisniveau der produktionsfertigen Holz- In den letzten 10 Jahren ist eine kontinuier- faserprodukte im „Big-Bag“ liegt etwa zwi- liche Preissteigerung bei Sägespänen zu schen 250 und 400 €/t (ab Werk). Holzfasern: Die Dimensionen einzelner Holzhackschnitzel und Holzspäne: Holzfasern reichen je nach Baumart von 0,5 Schnitzel und Späne weisen unterschied- bis 4,5 mm in der Länge und 0,02 mm bis liche Schlankheitsgrade und Formen auf. 0,04 mm im Durchmesser. Typische Werte Sie bestehen aus einer Vielzahl miteinan- für Nadelhölzer, wie sie für WPC verwendet der verbundener Holzfasern und Holzfa- werden, sind 2,5 bis 3 mm (Länge) und serfragmenten. Typische Größen für Holz- 0,03 mm (Durchmesser). Der Schlankheits- hackschnitzel sind folgende Dimensionen grad, das Verhältnis von Länge zu Breite, in Faserrichtung: Länge ca. 25 bis 40 mm, beträgt in diesem Fall 100 : 1. Den genann- Dicke ca. 5 bis 15 mm, Breite ca. 10 bis ten hohen Schlankheitsgrad können in der 100 mm. Praxis sonst nur Zellstofffasern bieten, die von einigen Papierherstellen entweder als Holzspäne (Sägespäne und Hobelspäne) Fasermischung oder in Form von Granu- sind sehr heterogen und mit Feinpartikeln laten, die bereits mit Kunststoff vermischt (Staub) versetzt. Eine Aufbereitung erfolgt sind, vermehrt am Markt für Spritzgießan- durch mehrfache trockene Mahlungen und wendungen angeboten werden. Siebungen, um die Rohstoffe zu homogeni- sieren. Diese Anlagen erfordern allerdings Zur Gewinnung von einzelnen Holzfasern hohe Investitionen, weshalb die meisten werden thermo-mechanische oder auch WPC-Hersteller eher industriell aufbereite- chemische Refiner/Pulping-Prozesse ver- tes Holzmehl bzw. Holzfasern einsetzen. wendet. Holzfasern sind keine Füllmittel, sondern Verstärkungsfasern. Aus Kosten- Holzmehl: Feine Holzpartikel, die etwa gründen werden kaum Holzfasern für die gleich lang wie breit sind (ca. 0,3 bis WPC-Produktion verwendet; zudem kann 0,4 mm) werden als Holzmehl bezeichnet. es bei Holzfasern zu Problemen bei der Ihr Schlankheitsgrad beträgt etwa 1:1. Zufuhr kommen, wenn diese nicht vorher Holzmehl kann nur als Füllstoff eingesetzt verdichtet bzw. pelletiert wurden, was aber werden [9]. weitere Kosten verursacht. 18
3.5 Zellulosefasern – im Aufschwung ©© Elastopoli Oy Zellulosefasern werden aus sog. Chemiezell- stoff hergestellt (engl.: „dissolving pulp“), der zu über 90 % aus Nadel- und Laubholz und zu knapp 10 % aus Bambus und Na- Lautsprechergehäuse aus Zellulose-basiertem turfasern wie Flachs oder Hanf gewonnen Granulat wird. Mit einem Marktanteil von 7 % am Weltmarkt der Textilfasern stellen sie im Jahr 2016 nach Baumwolle (26 %) bereits die talisierung zurückgeht, stellen viele der tra- wichtigsten Naturfasern dar (der Anteil syn- ditionellen Zellstoffhersteller ihre Anlagen thetischer Textilfasern lag 2016 bei 61 %) auf die Produktion von Chemiefaserzellstoff [12]. Das weltweite Produktionsvolumen um und sind auf der Suche nach neuen An- der Zellulosefasern liegt bei etwa 7 Mio. t wendungsfeldern. Hiermit erhöht sich die und wächst jährlich um ca. 10 %. Die wich- Verfügbarkeit der Zellulosefasern und durch tigsten Produktionsverfahren sind Viskose, die Konkurrenz werden auch fallende Preise Modal und Lyocell – aktuell werden z. B. in erwartet. Gleichzeitig werden die Verfahren Finnland weitere Verfahren im Kontext von zur Produktion von Chemiezellstoff und Zel- Bioraffinerien entwickelt. lulosefasern ständig weiterentwickelt. Der Haupteinsatzbereich für Zellulosefasern Vor allem im Norden Europas entstehen ist der Textilbereich. Seit einigen Jahren wer- aktuell neue Bioraffinerien, die u. a. hoch- den Zellulosefasern aber auch in Verbund- wertige Zellulosefasern herstellen. So hat werkstoffen eingesetzt. Sie verfügen über etwa die finnische Metsä-Gruppe in 2017 sehr gute Verstärkungseigenschaften und die größte Lignozellulose-Bioraffinerie Euro- können in Länge und Durchmesser (und pas in Betrieb genommen. Zusammen mit weiteren Eigenschaften) in einer großen dem Unternehmen Elastopoli wurde das Bandbreite variiert und auch als Endlosfaser Zellulose-basiertes Granulat Aqvacomp® geliefert werden. Weitere Vorteile sind Ge- entwickelt. Durch eine neu entwickelte ruchsfreiheit und leichte Einfärbbarkeit. Der Nassmischtechnologie wird aus dem nas- stärkere Einsatz wird bisher vor allem durch sen Zellstoff eine homogene Mischung ihren Marktpreis limitiert. mit verschiedenen Polymeren erreicht, die sehr gute technische als auch haptische Zukünftig wird eine zunehmende Bedeu- Eigenschaften besitzt. Die bekannte Firma tung von Zellulosefasern in Bioverbund- LG Electronics setzt dieses Zellulose-basier- werkstoffen erwartet. Da die Nachfrage im te Granulat wegen seiner guten akustischen klassischen Zellstoff- und Zeitungs-/Buch- Eigenschaften nun erstmals zur Serienher- papierbereich weltweit aufgrund der Digi- stellung von Lautsprechergehäusen ein. 19
3.6 Bio-Carbonfasern – Ein neuer Ansatz ist die Herstellung von Car- High-Tech aus Biomasse bonfasern aus Kraft-Lignin, einem Nebenpro- dukt der Zellstoff- und Papierindustrie, das Kohlenstofffasern, auch Carbonfasern ge- jährlich in großen Mengen anfällt und bisher nannt, weisen eine hohe Festigkeit bei überwiegend zur Wärme- und Stromgewin- einem sehr geringen Gewicht auf und eignen nung verbrannt wird. Bei dieser Methode wird sich daher besonders zum Einsatz als Ver- das vorgereinigte Kraft-Lignin mit einem (Bio-) stärkungsfasern in Kunststoffen für Leicht- Polymer als Hilfsstoff aus der Schmelze zu Fa- bauteile. Dabei werden Gelege oder Gewebe sern gesponnen und auf Spulen gewickelt. aus Kohlenstofffasern in eine Kunststoffma trix eingebracht. Die Verarbeitungsverfahren Die Fasern, die zuvor in einen nicht schmelz- entsprechen denen von langglasfaserver- fähigen Zustand versetzt wurden (Thermosta- stärkten Verbundwerkstoffen, wie Pressfor- bilisierung), werden bei hohen Temperaturen men, Faserwickeln und Handlaminieren. (1.300 bis 1.500 °C) unter Schutzatmosphä- re „carbonisiert“. Dabei verdampfen die meis- Bis jetzt ist der Einsatz der noch sehr teuren ten enthaltenen Substanzen, zurück bleibt konventionellen Carbonfasern (15 €/kg und Kohlenstoff mit einer Reinheit von über 90 %. mehr) auf hochpreisige Bauteile wie z. B. in Je nach angestrebten technischen Eigen- Rennwagen, für High-Tech-Sportgeräte oder schaften können die Fasern dann noch „gra- in der Luft- und Raumfahrt beschränkt. Im phitisiert“ werden (bei Temperaturen über Jahr 2013 wurden in Deutschland die ers- 1.800 °C). Hierdurch wird die Anordnung in ten Serien-PKW mit Carbonfasern gefertigt einer Kohlenstoff-Kristallstruktur bewirkt, die (BMW i3). verbesserte Festigkeitswerte zur Folge hat. Um gute Qualitäten zu erhalten, müssen die Um den Einsatz dieser Leichtbauteile zu er- Vorfasern einen hohen Gehalt an Kohlenstoff höhen und zum Beispiel auf Serienfahrzeu- und wenige Verunreinigungen aufweisen, um ge im unteren Preissegment auszuweiten, eine möglichst gleichmäßige innere Struktur müssen Carbonfasern in großen Mengen zu mit wenigen Fehlstellen zu erreichen. günstigen Preisen zur Verfügung stehen. Bis jetzt weisen die auf Basis von Kraft-Lignin Für die Herstellung von Carbonfasern wer- hergestellten Kohlenstofffasern etwas gerin- den zunächst kohlenstoffhaltige Vorstufen- gere Festigkeitswerte auf als die herkömm- fasern erzeugt. Als Grundstoff dienten zu lich aus fossilen Rohstoffen, allerdings deut- Zeiten der Entwicklung erster Anwendungen lich bessere als Glasfasern. Da es sich bei von Carbonfasern im 19. Jahrhundert Bam- Lignin um ein preisgünstiges, großvolumiges busfasern. Heute werden die Vorfasern über- Nebenprodukt handelt, wird bei entsprechen- wiegend aus Polyacrylnitril (PAN) aber auch der Prozessoptimierung und Ausstoßmenge Öl- oder Kohlepech oder regenerierter Zellu- eine erhebliche Kostenreduktion erwartet, lose (Rayon) gewonnen. womit auch Märkte in unteren Preissegmen- ten erschlossen werden könnten. 20
4 HERSTELLUNGSVERFAHREN – VIELE OPTIONEN FÜR BIOVERBUNDWERKSTOFFE 4.1 Form- und Fließpressen mit Beim Formpressen kommen sowohl duro Naturfasern – ein neuer, plastische als auch thermoplastische Matri- attraktiver Werkstoff zes zum Einsatz. Etwa 45 % der für die euro- päische Automobilindustrie produzierten Von den ersten Forschungsprojekten An- Naturfaserformpressteile besitzen eine duro- fang der 1980er-Jahre zu neuen Anwendun- plastische und 55 % eine thermoplastische gen für Naturfasern und neuen Werkstoffen Matrix. Beide NF-Formpressvarianten liefern auf natürlicher Basis war es ein langer Weg mechanisch stark belastbare, aber leichte bis zu den ersten Erfolgen: Erst seit 1995 Bauteile. Typische Anwendungen reichen etablierte sich mit dem Formpressen von von Türinnenverkleidungen, Hutablagen, Naturfaservliesen und -filzen ein Verfahren Kofferraumauskleidungen, Reserveradmul- mit hohen Zuwachsraten, vor allem für die den und Säulenverkleidungen bis hin zum automobile Mittel- und Oberklasse der deut- Armaturenbrett. Auch für den Außenbereich schen PKW-Industrie. wurden bereits erste Bauteile (z. B. als Unter- boden) in Serie produziert. Formpressen – die Grundidee Von der Vielzahl spezieller Verfahren des Und schließlich sind – zumindest bei kom- Formpressens sollen hier einige typische plexen, hochwertigen Türkonstruktionen Prozessketten aufgezeigt werden. Das Vor- in der Mittel- und Oberklasse – auch die produkt, in der Fachsprache auch Halbzeug Produktionskosten konkurrenzfähig. Und genannt, ist ein Naturfaservlies oder -filz. Zu- das, obwohl ein Formpressteil aufwändiger sammen mit dem gewünschten Kunststoff zu produzieren ist als ein reines Kunststoff- wird das textile Halbzeug in eine offene Form teil. Betrachtet man aber die Gesamtkons- geführt, erhitzt und unter Druck gepresst. Das truktion der Tür, so kann das NFK-Material so entstandene „Formpressteil“ wird aus der punkten, weil sich bei der Produktion von Form gelöst und die Ränder beschnitten. Man Naturfaserformpressteilen mehrere Arbeits- spricht von Formpressen im Gegensatz zum schritte zu einem zusammenfassen lassen. Fließpressen, wenn es zu keinem Fließen von So können schon im Formpressprozess Fasern und Kunststoff im Werkzeug kommt. Halteelemente angebracht und Kaschierung Prozessbedingt können durch Pressvorgän- aufgelegt werden, Folgearbeiten entfallen ge nur „einfache“ dreidimensionale Teile ge- daher (One-Shot-Verfahren). fertigt werden. Komplexe, nahezu beliebige dreidimensionale Teile wie beim Spritzgießen, sind beim Formpressen nicht darstellbar. 21
©© Hennecke GmbH 1 Vortrockner 2 Auftragseinheit mit Hochdruckdosiermaschine mit speziellen Druckknöpfen 3 beheizte Presse Abb. 4.1: Fertigungsprinzip im Polyurethan-Sprühverfahren Duroplastisches Formpressen bei einem Schließdruck von 20 bar und einer Bei einem Formpressverfahren mit duro- Werkzeugtemperatur von über 120 °C ver- plastischer Matrix (s. Abb. 4.1) werden die presst. Die Wanddicken liegen zwischen 1,5 zugeschnittenen Naturfaserhalbzeuge in und 2,0 mm, der Naturfaseranteil kann zwi- der Beschichtungskabine von zwei Hoch- schen 40 und 70 % gewählt werden. druckmischköpfen innerhalb von 10 bis 25 Sekunden auf Vorder- und Rückseite mit Thermoplastisches Formpressen einem duroplastischen Kunststoff, wie z. B. Auch für das Formpressen mit thermoplasti- Polyurethan, beschichtet und anschließend scher Matrix stehen verschiedene Verfahren in einer Metallform aus Aluminium oder Stahl zur Verfügung. Im One-step-Verfahren wer- ©© R+S Technik GmbH Abb. 4.2: Thermoplastisches Formpressen 22
den sogenannte Hybridvliese, hochwertige sern, wie z. B. Schäbenfreiheit, möglich. Bis- Nadelfilze aus Natur- und Polypropylen-Fa- lang hat es noch kein unkaschiertes Bauteil sern, auf 170 bis 180 °C erhitzt und kom- in die Serie geschafft. men in die Formpresse. Wachsendes Interesse dank deutlich Wie in Abbildung 4.2 dargestellt, werden reduzierter Flächengewichte die Sandwichvliese (braun) auf einer Pa- In den letzten Jahren gab es erhebliche Fort- lette angeliefert, zur rot gekennzeichneten schritte beim Flächengewicht von Naturfaser- Kontaktheizung transportiert und erwärmt. Formpressteilen, die diese sehr attraktiv für Zusammen mit dem von der Rolle rechts zu- den Leichtbau machen. Während typische geführten Dekor wird das Vlies oder der Filz GFK für Türinnenverkleidungen Flächenge- dann in Formpresse auf das grün gekenn- wichte von etwa 2.200 g/m2 zeigen, kommen zeichnete Werkzeug aufgebracht, geformt, thermoplastisch gebundene Naturfaser-Form- gepresst und mit dem Dekor verklebt. Das pressteile heute schon auf nur 1.800 g/m2, Endprodukt ist grau dargestellt. mit Haftvermittlern sind sogar 1.500 g/m2 möglich. Mit Duroplasten werden heute schon Der schmelzende Thermoplast, wie z. B. Poly- 1.400 g/m2 realisiert. Das Entwicklungsziel propylen, formt die gewünschte Struktur und sind 1.000 g/m2, manche Experten halten verklebt das Werkstück mit dem Dekorteil. sogar 800 g/m2 für erreichbar. Das Fertigteil muss nun nur noch mit einem Laser beschnitten werden. Diese geringen Flächengewichte erklären, warum in neuen Automodellen verstärkt Na- Der große Vorteil dieses Verfahrens: In einem turfaser-Formpressteile zu finden sind, denn Pressvorgang können komplette Innenver- diese Leichtbaulösungen ermöglichen wei- kleidungsteile inklusive Dekor und Schaum- tere Einsparungen beim Kraftstoffverbrauch stoff sowie Soft-Touch-Oberfläche ohne Ein- und sind somit auch für die Elektromobilität satz von Klebstoffen hergestellt und sogar sehr interessant. mit Halterungs- und Befestigungselementen versehen werden. Aber auch im Two-Step- Ganz neu sind Kombinationen von Form- Verfahren gelingt die Kaschierung besonders pressen und Spritzgießen. Hierbei werden leicht, da die Naturfaserteile luftdurchlässig beim Formpressvorgang gleichzeitig z. B. sind. Haltelemente gespritzt und mit dem Form- pressteil verbunden. Neue Entwicklungen zeigen gänzlich un- kaschierte Naturfaserteile, die lediglich mit Fließpressen einer dünnen, transparenten oder auch far- Beim Fließpressen wird aus Naturfasern oder bigen Folie oder einem Lack geschützt sind. Naturfaserhalbzeugen und einem duro- oder Eine solche Fertigung ist nur bei einer sehr thermoplastischen Kunststoff zunächst eine hohen Homogenität der Natur- oder Holzfa- sogenannte Pressmasse produziert. In das 23
Werkzeug eingebracht wird sie unter Druck- und Hitzeeinwirkung geformt. Bei Drücken ©© studio aisslinger/Michel Bonvin von 60 bis 70 bar und Temperaturen von 130 °C bis 150 °C fließt das Harz-Faser-Ge- misch in alle Konturen des Werkzeugs, re- agiert der duroplastische Matrixwerkstoff und härtet aus. Thermoplaste dagegen wer- den auf ca. 180 °C erhitzt und härten bei der Abkühlung. Mit diesem Verfahren lassen sich hochfeste, große Bauteile mit unterschied- Hemp Chair von Werner Aisslinger lichen Wanddicken herstellen. Durch das Fließen der Pressmasse können auch kom- plexere dreidimensionale Körper als beim Dort, wo zweidimensionale oder einfache Formpressen hergestellt werden. Als erster dreidimensionale Bauteile mit geringer Mas- naturfaserverstärkter, thermoplastischer Ver- se und hoher Festig- und Steifigkeit benötigt bundwerkstoff für den Außenbereich wurde werden, können die Naturfaser-Formpress- über mehrere Jahre eine PKW-Unterboden- teile eine attraktive technische Lösung dar- verkleidung in Serie produziert (erste A- und stellen, wobei sich die Naturfaseroptik hier B-Klasse von Mercedes). sogar zusätzlich als besonderes Designele- ment einsetzen lässt. Dies gilt für transpa- Formpressen für Tablett, Koffer und Möbel rente und weiße ebenso wie auch für farbige Was sich im Automobilbau bewährt hat, ist Kunststoffe. grundsätzlich auch für andere Branchen inte- ressant. Dennoch gibt es bis heute nur weni- Bereits seit einigen Jahren gibt es Geigen- ge Anwendungen der Naturfaser-Formpress- und Gitarrenkoffer, aber auch Aktenkoffer technik außerhalb der Automobilbranche. aus Naturfaserwerkstoffen auf Basis von Hanf, Kenaf und Polypropylen. Gemeinsam sind diesen Produkten das niedrige Gewicht und die gleichzeitig große mechanische Be- lastbarkeit. ©© Jakob Winter GmbH Geigenkoffer aus Naturfasern 24
Im Jahr 2011 wurde der „Hemp Chair“ auf Ökobilanz-Studien. Von der Wiege bis zum der Mailänder Möbelmesse vorgestellt. Hanf Fabriktor der Autofabrik verbrauchen Hanf- und Kenaf bilden die Basis für den Verbund- faser-Formpressteile zwischen 25 und 75 % werkstoff, der durch Verpressen mit einem weniger Energie als ihre konventionellen wasserbasierten Duroplast seine hohe me- Gegenstücke. Das sind beachtliche Werte, chanische Belastbarkeit erhält. Die Tech- die nur von wenigen Biowerkstoffen erreicht nologie, die in der Automobilproduktion werden. Bezogen auf die Einsparung von etabliert ist, wurde bisher bei der Möbelher- Treibhausgasen liegen die Werte zwischen stellung noch nicht genutzt, könnte aber in 12 und 55 %. Bezieht man zudem den vielen Anwendungen zum Einsatz kommen. CO2-Speichereffekt der Naturfaser-Bauteile mit ein, so ergeben sich sogar Einsparungen Ökologische Bewertung von zwischen 28 und 74 %. Naturfaser-Formpressteilen Ökologische Vorteile sind ein weiterer, Noch weitaus mehr Energie lässt sich wäh- wichtiger Pluspunkt für naturfaserverstärkte rend der Laufzeit des Fahrzeugs einsparen. Kunststoffe. Im Rahmen einer nachhaltigen Da die Verkleidungen aus Naturfasern leich- Wirtschaft erlangt dieser Aspekt zunehmend ter sind als beispielsweise aus glasfaserver- an Bedeutung. stärkten Kunststoffen (GFK), benötigt das Fahrzeug auch weniger Kraftstoff. Und auch In den letzten Jahren wurden in Deutschland nach der Nutzungsphase werden geschlos- eine Reihe von Sach-, Energie- und Ökobi- sene Kreisläufe und optimale Verwertungs- lanzen erstellt, die Naturfaser-Formpresstei- und Entsorgungsoptionen angestrebt, um le mit bisherigen Werkstofflösungen vergli- den gespeicherten bio-basierten Kohlenstoff chen. In praktisch allen Fällen schnitten die und die enthaltene Energie so lange wie NFK besser ab. möglich zu nutzen. Eine Meta-Analyse bestehender Ökobilan- Ist ein Recycling nicht mehr möglich, wer- zen aus dem Jahr 2011 [6] bestätigt positi- den die NFK-Teile meist einer energetischen ve Eigenschaften der Naturfaser-Formpress- Verwertung zugeführt, wobei dies für den teile. Alle analysierten Studien zeigten klare Naturfaseranteil – und im Falle einer bio- Einsparungen für die Hanffaser-Formpress- basierten Matrix auch für diesen Teil – weit- teile im Energiebedarf und den Treibhaus- gehend CO2-neutral erfolgt. Bei thermoplas- gasemissionen im Vergleich zu ihren petro- tischem Spritzgießen (s. Kap. 4.3) können chemischen bzw. mit Glasfasern verstärkten die NFK-Bauteile sogar stofflich wiederver- Gegenstücken. wertet werden. Aus dem Altmaterial kann in einem Rezyklierungsprozess neues Gra- Abbildung 4.3 zeigt die Ergebnisse für den nulat hergestellt werden; bei Naturfasern Energiebedarf fünf unterschiedlicher Hanf- leidet der Werkstoff hierbei weniger als bei faser-Materialien aus unterschiedlichen Glasfasern. 25
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