BIOVERBUNDWERKSTOFFE Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK und Holz-Polymer-Werkstoffe WPC - Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK ...

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biowerkstoffe.fnr.de

BIOVERBUNDWERKSTOFFE
Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK)
und Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC)

                               KUNSTSTOFFE
                               WERKSTOFFE
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IMPRESSUM

Herausgeber
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR)
OT Gülzow, Hofplatz 1
18276 Gülzow-Prüzen
Tel.: 03843/6930-0
Fax: 03843/6930-102
info@fnr.de
www.fnr.de

Gefördert durch das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages

Autoren
Dipl-Phys. Michael Carus (nova-Institut GmbH), Dipl.-Ing. Dr. Asta Eder (nova-Institut GmbH &
Asta Eder Composites Consulting, Wien) und Dipl.-Wirtsch. Ing. Lena Scholz (nova-Institut
GmbH, heute: Tecnaro GmbH)

Redaktion
Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR), Abteilung Öffentlichkeitsarbeit

Bilder
Titel: FNR/Hardy Müller
Sofern nicht am Bild vermerkt: Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR)

Gestaltung/Realisierung
www.tangram.de, Rostock

Druck
www.druckerei-weidner.de, Rostock

Gedruckt auf 100 % Recyclingpapier mit Farben auf Pflanzenölbasis

Bestell-Nr. 227
FNR 2015
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BIOVERBUNDWERKSTOFFE
Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK)
und Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC)
BIOVERBUNDWERKSTOFFE Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK und Holz-Polymer-Werkstoffe WPC - Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK ...
©© FNR/Michael Hauri
                                      ©© FNR/Hardy Müller
INHALT

1     Naturfaserverstärkte Kunststoffe im Wandel der Zeit –
      am Beispiel Automobilindustrie                                                          4

2     Bioverbundwerkstoffe                                                                    6
2.1   Naturfaserverstärkte Kunststoffe (NFK)                                                  7
2.2   Holz-Polymer-Werkstoffe (WPC)                                                           8

3     Die Rohstoffe: Kunststoffe, Biokunststoffe, Naturfasern,
      Holz und Bio-Carbonfasern                                                    9
3.1   Bewährte petrochemische Kunststoffe                                          9
3.2   Innovative Biokunststoffe                                                   10
3.3   Starke Naturfasern                                                          11
3.4   Bewährtes Holz: Holzmehl und Holzfasern                                     17
3.5   Bio-Carbonfasern – High-Tech aus Biomasse                                   19

4     Herstellungsverfahren – viele Optionen für Bioverbundwerkstoffe             21
4.1   Form- und Fließpressen mit Naturfasern – ein neuer, attraktiver Werkstoff   21
4.2   WPC-Extrusion – Erfolgsgeschichte in der Bauindustrie                       26
4.3   Naturfaserspritzgießen – ein Bereich mit großem Marktpotenzial              30
4.4   Resin-Transfer-Moulding (RTM) – für hochbelastete Naturfaser-Bauteile       31
4.5   Weitere Verfahren für neue Anwendungsfelder                                 33

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©© FNR/Michael Hauri

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5     Anwendungen und Marktzahlen                                           35
5.1   Bioverbundwerkstoffe – aktuelle Marktsituation                        35
5.2   Naturfaser- und holzfaserverstärkte Kunststoffe in der europäischen
      Automobil­industrie                                                   36
5.3   Der WPC-Markt                                                         38
5.4   WPC und NFK in Spritzgieß-Serienproduktionen – wachsendes Interesse
      bei der Industrie                                                     42

6     Potenziale für naturfaserverstärkte Kunststoffe und
      Holz-Polymer-Werkstoffe                                               44

7     Ansprechpartner und Internet-Links                                    46

8     Glossar                                                               48

9     Literatur                                                             51

                                                                                       3
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1 NATURFASERVERSTÄRKTE
  KUNSTSTOFFE IM WANDEL DER ZEIT –
  AM BEISPIEL AUTOMOBILINDUSTRIE

Naturwerkstoffe waren über Jahrtausende                                     Im 20. Jahrhundert entwickelten Chemiker
die primären Materialien der Menschen.                                      Bindemittel, mit deren Hilfe Naturfasern
Holz diente zum Haus- und Schiffbau,                                        zu stabilen Bauteilen verarbeitet und der
Flachs- und Hanffasern wurden zu Tauen                                      jungen Automobilindustrie zugänglich ge-
und technischen Textilien, wie Segel, Ge-                                   macht werden konnten. Henry Ford prä-
treidesäcke und Feuerwehrschläuche ver-                                     sentierte 1941 ein Fahrzeug, dessen Ka-
arbeitet. In der Neuzeit und während der                                    rosserie weitgehend aus harzgebundenen
industriellen Revolution kamen weitere An-                                  Hanffasern bestand.
wendungsgebiete hinzu.
                                                                            Ab 1950 waren mit Phenolharz gebunde-
                                                                            ne Holz- und Baumwollfasern lange Zeit
                                                                            wichtige Werkstoffe für Kraftfahrzeuge. In
                                                                            Ostdeutschland bestand die Karosserie
                                                                            des Trabants aus einem Duroplast, das mit
                                                                            Baumwollfasern verstärkt war, daher auch
                                                                            der Spitzname „Plastikbomber“. Aber auch
                                                                            der westdeutsche Fahrzeugbau setzte auf
                                                                            nachwachsende Rohstoffe: So fertigte die
                                                                            zur Borgward-Gruppe gehörende Lloyd
                                                                            Maschinenfabrik in Bremen die Karosserie
                                                                            ihrer Modelle Lloyd P 300 und 400 Anfang
                                                                            der 1950er Jahre aus mit Kunstleder bezo-
                                                                            genem Sperrholz – wofür der Volksmund
                                                                            wiederum die Bezeichnung „Leukoplast-
                                                                            bomber“ erfand. Mitte der 1950er Jahre
                                       ©© Michal Durinik/Shutterstock.com

                                                                            wurde bei Lloyd das Sperrholz durch Stahl
                                                                            ersetzt, der Trabant hingegen blieb dem
                                                                            Baumwoll-Phenolharz-Konzept bis zu sei-
                                                                            nem letzten Baujahr 1990 treu.

                                                                            Heute werden noch viele LKW-Fahrerkabi-
                                                                            nen aus Baumwollfasern und Phenolharzen
Trabant                                                                     produziert.

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©© FOUR MOTORS
Bioconcept-Car

Während in den 1950er und 1960er Jah-           durchgesetzt, werden hier jedoch intensiv
ren der Einsatz von naturfaserverstärkten       erforscht und erprobt.
Kunststoffen seine Ursache in der Material­
knappheit der Nachkriegszeit bzw. der DDR       Ein Beispiel hierfür ist das Bioconcept-Car –
hat, werden Naturfasern heute eingesetzt        ein Rennwagen, bei dem mehrere Karos-
bzw. erforscht, um genau diese Materia-         seriebauteile aus naturfaserverstärkten
lien zu ersetzen. Zudem macht ihr großes        Kunststoffen hergestellt sind. Nachdem sich
Leichtbaupotenzial sie hochinteressant für      diese Bauteile unter den harten Bedingun-
die Entwicklung moderner kraftstoffsparen-      gen auf der Rennstrecke etabliert haben,
der Autos und für die Elektromobilität. Ein     wird nun an der Umsetzung des Konzepts in
weiterer Pluspunkt von Flachs, Hanf, Sisal,     die Serienproduktion gearbeitet.
Kenaf und Co. ist ihre geringere Splitternei-
gung, die bei Unfällen und bei der Verarbei-
tung von Vorteil ist.

Bei Armaturenbrettern, Kofferraumausklei-
dungen und Tür- und Säulenverkleidun-
gen greifen Autobauer deshalb vor allem
im Premium-Segment schon seit Jahren
auf Naturfasern als Verstärkungsmaterial
zurück. Im Außenbereich haben sich na-
turfaserverstärkte Kunststoffe noch nicht

                                                                                                  5
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2 BIOVERBUNDWERKSTOFFE

Ein Verbundwerkstoff oder Kompositwerk-             Rohstoffen, wie z. B. Erdöl, sodass sie auch
stoff (engl. Composite) ist ein Werkstoff, der      als petrochemische Kunststoffe bezeichnet
aus zwei oder mehr miteinander verbunde-            werden. Werden nachwachsende Rohstoffe
nen Materialien besteht. In dieser Broschüre        für die Herstellung eingesetzt, spricht man
geht es dabei vor allem um Faserverbund-            von biobasierten Kunststoffen (kurz: Bio-
werkstoffe. Sie bestehen aus einer Kunst-           kunststoffen) (s. Kap. 3.2).
stoff-Komponente, der sogenannten Matrix,
und einer Faser-Komponente. In der Regel            Bioverbundwerkstoffe liegen dann vor, wenn
sind Faserverbundwerkstoffe deutlich stei-          mindestens eine der beiden Hauptkomponen-
fer und fester als ihre Einzelkomponenten.          ten (Matrix und Fasern) biobasiert ist, d. h.
                                                    auf Basis von Biomasse hergestellt wurde.
Kunststoffe bestehen aus langkettigen che-
mischen Verbindungen (Polymere), die aus            Im Folgenden werden die beiden wichtigs-
einzelnen sich wiederholenden Bausteinen,           ten Gruppen der Bioverbundwerkstoffe, die
den sog. Monomeren zusammengesetzt                  naturfaserverstärkten Kunststoffe (NFK) und
sind, und in linearen oder verzweigten Mo-          die Holz-Polymer-Werkstoffe – international
lekülen angeordnet sein können. Herge-              Wood-Plastic-Composites (WPC) genannt –
stellt werden sie in der Regel aus fossilen         näher vorgestellt.

                                          Bioverbundwerkstoffe

          Naturfasern                     Naturfaserverstärkte
    Hanf, Flachs, Jute, Kenaf,             Kunststoffe (NFK)
        Sisal, Abaka, ...

                                                                               (Biobasierte)
                                                                                Kunststoffe

     Holzmehl und -fasern                    Holz-Polymer-
                                            Werkstoffe (WPC)

Abb. 2.1: Bioverbundwerkstoffe im Überblick (Carus & Eder et al. 2015)

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2.1 Naturfaserverstärkte                                            nischen und ökologischen Eigenschaften
    Kunststoffe (NFK)                                               attraktiv, sondern weisen bereits ökonomi-
                                                                    sche Vorteile gegenüber den klassischen fa-
Unter naturfaserverstärkten Kunststoffen                            serverstärkten Kunststoffen, wie z. B. glasfa-
(NFK) werden Werkstoffe verstanden, die                             serverstärkte Kunststoffe (GFK), auf.
aus einem fossil- oder biobasierten Kunst-
stoff bestehen, der seine Stabilität durch                          Hinter dem Begriff NFK stehen unterschied-
eingearbeitete Naturfasern erhält. Bautei-                          liche Verarbeitungsprozesse. Mit einem
le aus NFK weisen hohe Steifigkeiten und                            Marktanteil von über 90 % ist das Formpres-
Festigkeiten sowie eine geringe Dichte auf.                         sen das bislang erfolgreichste Verfahren, bei
Einfach gesagt: Sie sind mechanisch stark                           dem Naturfaservliese bzw. -filze mit Kunst-
belastbar und gleichzeitig leicht, also z. B.                       stoffen heiß verpresst werden. Es wird vor
ideal für den modernen Automobilbau.                                allem bei automobilen Innenraumteilen ein-
                                                                    gesetzt, ebenso wie bei der Produktion von
                                                                    Schalenkoffern und Tabletts (s. Kap. 4.1).

                                                                    Auch das in der Kunststoffindustrie insge-
                                                                    samt am häufigsten verwendete Spritzgie-
                                                                    ßen kann heute für NFK genutzt werden.
                                                                    Unterschiedliche Kunststoff-Naturfaser-Gra-
                                                                    nulate sind am Markt verfügbar und können
                                                                    mit Standard-Spritzgieß-Formen genutzt
                                                                    werden. Am Markt erfolgreich platzierte
                                              ©© FNR/Hardy Müller

                                                                    Produkte sind u. a. Schleifscheibenträger,
                                                                    Ladegeräte und Autoinnenteile (s. Kap. 4.3).

                                                                    Will man besonders belastbare Teile aus
Autotür aus einer Naturfasermatte, verfestigt mit                   NFK herstellen, die auch konstruktiv genutzt
einem duroplastischen Kunststoff                                    werden können, so gibt es weitere Verfah-
                                                                    ren wie Resin-Transfer-Moulding (RTM) und
                                                                    Pressverfahren, die mit Langfasern in Form
Diese Naturfaserwerkstoffe wurden in den                            von Gelegen und Textilien arbeiten. Die Ver-
1980er Jahren vor allem in Deutschland                              fahren erzielen zwar sehr gute mechanische
entwickelt. In den 1990er Jahren begann                             Eigenschaften, werden jedoch nur in Klein-
ihre Erfolgsgeschichte in der Automobil-                            serien genutzt, was in einem höheren Auf-
industrie. Mittlerweile konnten sie auch in                         wand und entsprechenden Kosten resultiert
anderen Branchen, wie z. B. im Konsumgü-                            (s. Kap. 4.4).
terbereich, Fuß fassen. In vielen Anwendun-
gen sind NFK nicht nur wegen ihrer mecha-

                                                                                                                7
BIOVERBUNDWERKSTOFFE Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK und Holz-Polymer-Werkstoffe WPC - Naturfaserverstärkte Kunststoffe NFK ...
2.2 Holz-Polymer-Werkstoffe                                           Terrassendecks aus Polymethylmethacrylat
    (WPC)                                                             (PMMA, Plexiglas®) und Holzmehl (s. Kap.
                                                                      4.2). Der Einsatz von biobasierten Kunst-
Holz-Polymer-Werkstoffe – Wood-Plastic-                               stoffen ist bis jetzt noch die Ausnahme, wird
Composites (WPC) – sind Verbundwerkstof-                              aber in kleinen Nischen wie Spielwaren für
fe, die aus unterschiedlichen Anteilen an                             Kinder bereits eingesetzt.
(ligno)zellulosehaltigen Materialien, Kunst-
stoffen und Additiven bestehen.                                       Durch die Zugabe von Additiven werden die
                                                                      Verarbeitbarkeit und die mechanischen Ei-
Als Holzanteil werden Sägenebenprodukte                               genschaften verbessert.
der Holzwerkstoffindustrie wie insbesonde-
re preiswertes Holzmehl, selten hochwerti-                            WPC lässt sich durch thermoplastische
ge Holzfasern, eingesetzt. Je nach Produkt                            Formgebungsverfahren, wie Extrusion (s.
und gewünschter Materialeigenschaft kann                              Kap. 4.2), Presstechniken (s. Kap. 4.1) oder
der (Ligno-)Zellulose-Anteil im WPC von 20                            Spritzgießen (s. Kap. 4.3) verarbeiten.
bis 80 % variiert werden.
                                                                      Wichtige Anwendungsfelder für ein extru-
Die Kunststoffmatrix besteht in der Regel                             diertes WPC sind Bauprodukte wie Terras-
aus preisgünstigen petrochemischen Mas-                               senbeläge, Bootsstege und Promenaden
senkunststoffen wie Polyethylen (PE) oder                             („Deckings“) sowie Außenfassaden, Sicht-
Polypropylen (PP). Seit 2014 gibt es auch                             schutz für Gärten, Lärmschutzwände, Zäune
                                                                      sowie Geländer, Fensterrahmen und Türen
                                                                      oder auch Schalungselemente im Beton-
                                                                      bau. Seit 2013 gibt es auch Bauplanken für
                                                                      Heimwerker.

                                                                      Im Pressverfahren hergestelltes WPC wird in
                                                                      der Automobilindustrie für Innenraumteile
                                                                      verwendet, ähnlich wie naturfaserverstärk-
                                                                      te Kunststoffe (NFK). Die Holzpartikel oder
                                                                      -fasern sorgen hier für eine gute Steifigkeit,
                                         ©© NATURinFORM GmbH (2011)

                                                                      während die Festigkeit meist hinter Naturfa-
                                                                      ser-Formpressteilen zurück bleibt.

                                                                      Schließlich finden sich zunehmend auch
                                                                      WPC-Anwendungen im Spritzgießbereich
                                                                      wie diverse Konsumgüterartikel, Gehäuse
Schwimmbad-Steg mit WPC-Dielen                                        von Geräten, Möbel (z. B. Stühle) und Klein-
                                                                      teile für die Möbelindustrie und Spielwaren.

8
3 DIE ROHSTOFFE:
  KUNSTSTOFFE, BIOKUNSTSTOFFE, NATUR-
  FASERN, HOLZ UND BIO-CARBONFASERN

3.1 Bewährte petrochemische                     Werden besonders feste und zähe Konstruk-
    Kunststoffe                                 tionswerkstoffe benötigt, greift man auf teu-
                                                re Spezialkunststoffe zurück oder verstärkt
Um aus Naturfasern oder auch Naturfaser-        Standardkunststoffe wie Polypropylen durch
halbzeugen moderne Werkstoffe herstellen        Glas- oder Carbonfasern. Jedes Jahr werden
zu können, benötigt man Bindemittel oder        in Europa etwa 2 Mio. t glasfaserverstärkte
eine Kunststoffmatrix zu ihrer Verfestigung.    Kunststoffe eingesetzt [10] und können je
Traditionell wurden hierzu tierische und        nach Anforderung sogar Metallkonstruktio-
pflanzliche Leime, Kleber und Harze ver-        nen ersetzen. Typische Anwendungen sind
wendet, heute vor allem petrochemische          Automobilteile, Rotorblätter von Windkraft-
Kunststoffe. Eine Alternative stellen bioba-    anlagen und sogar selbsttragende Brücken.
sierte Kunststoffe dar (s. Kap. 3.2).           Die weltweite Produktionskapazität von Car-
                                                bonfasern lag 2014 bei etwa 80.000 t [10].
In Deutschland wurden im Jahr 2013 ca.          Europa hat davon einen Anteil von 24 %. Da-
10.5 Mio. t Kunststoffe erzeugt [8]. Wesent-    bei wird Carbonfasern in der Flugzeug- und
liche Anteile an der Produktion haben da-       Automobilindustrie sowie bei Highend-Pro-
bei Polyethylen (PE) mit ca. 1,7 Mio. t sowie   dukten für Sport und Freizeit eine große Zu-
Polyvinylchlorid (PVC) und Polypropylen         kunft vorhergesagt.
(PP) mit jeweils ca. 1,8 Mio. t. Hauptanwen-
dungsbereiche sind die Verpackungs-, Bau-       Eine weitere Option zur Verstärkung der
und Automobilindustrie.                         Kunststoffe stellen Naturfasern dar – was
                                                sie leisten können, ist das Thema dieser
Nur in wenigen Fällen kommen bei der            Broschüre.
Kunststoffherstellung lediglich die reinen
Polymere zum Einsatz. In der Regel werden       Duro- und Thermoplaste
Additive und Füllstoffe zugefügt, um die        Grundsätzlich unterscheidet man unabhän-
Kunststoffe je nach Anwendung steifer oder      gig davon, ob es sich um Kunststoffe auf pe-
weicher, UV-beständiger oder auch farbig        trochemischer oder nachwachsender Basis
zu machen. Hierfür eignen sich neben syn-       handelt, zwischen duro- und thermoplasti-
thetischen Chemikalien auch Mineralien          schen Kunststoffen.
wie Talkum oder nachwachsende Rohstoffe
wie z. B. Holzfasern und Holzmehl.              Thermoplastische Kunststoffe sind Kunst-
                                                stoffe, die sich unter dem Einfluss von Wärme

                                                                                           9
plastisch verformen lassen. In der Regel         men. Im Prozess des Aushärtens vernetzen
bestehen Thermoplaste aus linearen oder          sich die Kettenmoleküle dreidimensional un-
wenig verzweigten Kettenmolekülen. Sie           tereinander und werden dadurch sehr stabil
lassen sich mehrfach einschmelzen und neu        und thermisch belastbar. In Verbindung mit
formen. Dies erweist sich beim stofflichen       Holz- und Naturfasern werden vor allem Ac-
Recycling als wichtiger Vorteil. Thermoplas-     rylat-, Epoxid- und Phenolformaldehydharze,
te können sowohl im Spritzgießverfahren (s.      Polyurethan und ungesättigte Polyesterhar-
Kap. 4.3) verarbeitet werden, als auch mit-      ze verwendet. Einige dieser Harze, wie z. B.
tels Extrusion (s. Kap. 4.2) und thermoplasti-   Epoxidharze, können auch vollständig oder
schem Formpressen (s. Kap. 4.1).                 anteilig biobasiert produziert werden.

In Verbindung mit Natur- und Holzfasern
kommen vor allem die petrochemischen             3.2 Innovative Biokunststoffe
Thermoplaste Polypropylen (PP), Polyethy-
len (PE), Polyvinylchlorid (PVC) und Polysty-    Biokunststoffe – also biobasierte Kunststof-
rol (PS) zum Einsatz. Die hohen Schmelz-         fe – bestehen teilweise oder vollständig aus
temperaturen der Polyamide (PA), bei denen       Biomasse wie z. B. Zucker, Stärke, Zellulose,
Bestandteile der Naturfasern leicht geschä-      Pflanzenölen und Lignin. Der Anteil von Bio-
digt werden, stehen einer Verwendung eher        kunststoffen am Weltmarkt für Kunststoffe
entgegen.                                        liegt heute bei ca. 1,5 % [1].

Um die Bindung zwischen Kunststoff und           Unter den thermoplastischen Biokunst-
Naturfasern zu verbessern, sind in vielen        stoffen finden neben Stärkepolymeren
Fällen Haftvermittler notwendig. So ver-         vor allem Polymilchsäure (PLA) sowie
binden sich etwa Polypropylen (PP) und           Polyhydro­xyalkanoate (PHA/PHB) Verwen-
Naturfasern aufgrund ihrer Polaritäten nur       dung. Aber auch bekannte Thermoplaste
sehr schwer. Ein Haftvermittler überwindet       wie Poly­ethylenterephthalat (PET) sowie PE
das Problem. Neue Forschungsarbeiten zei-        können bereits heute biobasiert produziert
gen, dass auch eine Plasmabehandlung der         werden. In größeren Volumina werden aktu-
Naturfasern zu einer besseren Bindung an         ell Bio-PET und Bio-PE aus brasilianischem
unpolare Kunststoffe führt.                      Zuckerrohr hergestellt. Bei den Duroplasten
                                                 findet man biobasierte Epoxidharze, zudem
Neben Haftvermittlern kommen in der Pra-         bestehen auch einige Polyurethane anteilig
xis noch eine Reihe weiterer Additive zum        aus nachwachsenden Rohstoffen.
Einsatz, so z. B. zur Einfärbung oder als UV-
und Flammschutz.                                 Kunststoffe auf Basis nachwachsender Roh-
                                                 stoffe tragen zur zukünftigen Versorgungs-
Duroplastische Kunststoffe dagegen lassen        sicherheit bei. Sie können petrochemische
sich, einmal ausgehärtet, nicht mehr verfor-     Kunststoffe ersetzen, deren Herstellung

10
mit der Verknappung von Erdöl und -gas            auf Grund ihrer besonderen Eigenschaften
tendenziell teurer wird. Die Biokunststoffe       für Textilien und Spezialgewebe genutzt.
sollen dabei – wie die petrochemischen
Kunststoffe auch – möglichst mehrfach             Bei Flachs, Hanf, Jute und Kenaf, den soge-
stofflich genutzt (Recycling) und am Ende         nannten Bastfaserpflanzen, wachsen die
ihres Lebensweges thermisch verwertet             Fasern aus den Sprossachsen. Bastfasern
werden, um einen großen Teil der Herstel-         bilden sich im äußeren Teil des Pflanzenstän-
lungsenergie zurückzugewinnen und fossile         gels und stabilisieren den schlanken und
Ressourcen bei der Energieerzeugung zu er-        hohen Stängel, um z. B. ein Abknicken der
setzen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf      Pflanzen bei starkem Wind zu verhindern.
die Flächen- und Ressourceneffizienz aus.         Der Fasergehalt dieser Pflanzen konnte von
                                                  ursprünglich 5 bis 10 % durch Züchtung auf
Für Bioverbundwerkstoffe stellen Biokunst-        heute 25 bis 30 % gesteigert werden.
stoffe ein besonders interessantes Einsatz-
gebiet dar, da mit ihnen – zusammen mit               MECHANISCHE EIGENSCHAFTEN
Natur- oder Holzfasern – vollständig bioba-              VON NATURFASERN [7]
sierte Verbundwerkstoffe realisierbar sind.
Mit Naturfasern kann das Eigenschaftsprofil        • Die Dichten von Flachs, Hanf, Jute, Ke-
von Biokunststoffen erweitert werden, ohne           naf, Ramie, Abaka, Nessel sind etwa
auf fossile oder mineralische Fasern zurück-         alle gleich (1,2–1,6 g/cm3). Sisal hat
greifen zu müssen.                                   eine etwas geringere Dichte.
                                                   • Die Feinheit ist stark abhängig vom
Generell gilt für Biokunststoffe, dass sie sich      Aufschlussgrad, als grobe Orientierung
in der Verarbeitung und in den Materialei-           dient folgende Reihenfolge: Nessel =
genschaften mit klassischen Kunststoffen             Ramie > Flachs = Jute > = Kenaf > Hanf >
messen lassen müssen. Erst vergleichbare             Sisal > Abaka = Bambus > Kokos.
oder bessere Eigenschaften und Herstel-            • Bei Festigkeit kann folgende Reihenfol-
lungskosten werden ihnen den breiten                 ge als Orientierung angesetzt werden:
Marktzugang ermöglichen.                             Ramie = Flachs = Hanf > Abaka = Nessel
                                                     > Kenaf > Jute = Bambus > Sisal > Kokos.
                                                   • Für den Elastizitätsmodul wird folgen-
3.3 Starke Naturfasern                               de Reihenfolge zur Orientierung vorge-
                                                     nommen: Ramie > Flachs > = Hanf > Ke-
In naturfaserverstärkten Kunststoffen werden         naf > = Jute = Abaka > Bambus = Nessel
vor allem Flachs- und Hanffasern sowie Jute-,        > Sisal > Kokos.
Kenaf-, Sisal- und Abakafasern eingesetzt.         • Und schließlich für die Dehnung fol-
                                                     gende Reihenfolge: Jute < = Ramie < =
Brennnesselfasern spielen für diesen An-             Flachs = Hanf = Kenaf < Abaka < = Bam-
wendungsbereich keine Rolle, sie werden              bus < Sisal < Kokos.

                                                                                            11
Bei Sisal und Abaka dagegen stammen die
Fasern aus Blattscheiden und verstärken
die großen Blätter, bei der Baumwollpflan-
ze wachsen die Fasern als Samenhaare aus
dem Samen.

Diese Broschüre beschäftigt sich vor allem
mit Flachs und Hanf, den beiden Faserpflan-       Hanf
zen, die in Europa angebaut, verarbeitet
und in neuen Werkstoffen verwendet wer-
den. Am Beispiel von Hanf, der im Gegen-          Wirtschaftsgut durch den enormen Bedarf
satz zu Flachs überwiegend in technische          der Schifffahrt an Seilen und Segeltuch sei-
Anwendungen geht, soll zunächst die ge-           ne größte Bedeutung – 50 bis 100 t Hanf-
samte Prozesskette der Naturfaserproduk-          fasern mussten für ein typisches Segelschiff
tion exemplarisch dargestellt werden. Im          samt Besatzung bereitgestellt und jeweils
Anschluss wird auf die Unterschiede bei           binnen zwei Jahren erneuert werden.
Flachs gesondert eingegangen.
                                                  Ab dem 18. Jahrhundert verlor der deut-
Hanf                                              sche Hanf kontinuierlich an Bedeutung: Die
Hanffasern werden seit Jahrtausenden für          Konkurrenz durch osteuropäischen Hanf,
Kleidungsstücke, Schnüre, Seile oder Netze        Naturfasern aus den Kolonien, den Einsatz
genutzt. Hanf gehört wie Flachs zu den äl-        von Baumwolle im Textilbereich („Spinning
testen Kulturpflanzen: Etwa um 2.800 v. Chr.      Jenny“) und das Aufkommen der Dampf-
wurden in China die ersten Seile aus Hanffa-      schifffahrt im 19. Jahrhundert ließen die
sern erzeugt.                                     Nachfrage zusammenbrechen.

Es folgte die Verwendung als Textilfaser;         Anfang der 1990er Jahre wurde Hanf inner-
in einem Grab aus der Chou-Dynastie               halb der Europäischen Union (EU) praktisch
(1.122–249 v. Chr.) fand sich ein Textilfrag-     ausschließlich in Frankreich angebaut – für
ment, das wohl älteste erhaltene Hanfprodukt.     die Produktion von Spezialzellstoffen mit
Auch das erste Papier wurde aus Hanf herge-       besonders hohen technischen Anforderun-
stellt – so blieb in China ein Stück Hanfpapier   gen, wie z. B. Zigarettenpapiere, Dünndruck-
aus der Zeit von 140 bis 87 v. Chr. erhalten.     papiere und Banknoten. Als der Anbau und
                                                  die Nutzung von Hanf Ende der 1990er
Hanfprodukte sind auch aus dem Europa             Jahre wiederentdeckt wurden, mussten in
des Mittelalters nicht wegzudenken – Hanf         vielen EU-Ländern zunächst die Anbauver-
war der Rohstoff für die Herstellung von Sei-     bote überwunden werden, die im Rahmen
len, Segeltuch, Bekleidungstextilien und Pa-      der weltweiten Marihuana-Prohibition auch
pier. Im 17. Jahrhundert erreichte Hanf als       für rauschfreien Nutzhanf erlassen worden

12
waren. Infolge dieser „Wiederentdeckung          gen Stängel durch die Maschine und kürzen
der Nutzpflanze Hanf“ haben sich die An-         sie dabei auf ca. 60 cm lange Stücke ein,
bauflächen in der EU fast verdreifacht – bei     um die Weiterverarbeitung zu erleichtern.
gleichzeitig stetig fallenden EU-Beihilfen für   Das eingekürzte Hanfstroh bleibt zur soge-
den Anbau bzw. die Verarbeitung von Hanf.        nannten Feldröste für zwei bis vier Wochen
2014 lag die Hanfanbaufläche in der EU bei       auf dem Feld liegen und wird in dieser Zeit
17.500 ha [11], rund 60 % dieser Fläche          ein- bis zweimal gewendet.
entfallen auf Frankreich. In Deutschland lag
die Anbaufläche bei 715 ha. Wichtigste An-       Röste
wendungen für Hanffasern sind heute Spe-         Bei der Röste lösen sich die Kittsubstanzen
zialzellstoff (55 %), Dämmstoffe (26 %) und      (Pektine, Lignin) zwischen den Fasern und
Verbundwerkstoffe (15 %) [4].                    dem Reststängel und legen die Fasern frei. Es
                                                 handelt sich dabei um einen biologischen Pro-
Anbau, Ernte und Röste von Hanf                  zess, bei dem Mikroorganismen wie Bakterien
Die Aussaat des Hanfes erfolgt in Deutsch-       und Pilze sowie die von ihnen erzeugten En-
land Mitte April bis Mitte Mai. Bis zum Hoch-    zyme wirksam sind. Durch die Röste wird der
sommer haben die Hanfbestände Höhen              spätere mechanische Faseraufschluss deut-
von zwei bis vier Meter erreicht. Soll die Fa-   lich vereinfacht sowie die Ausbeute und Fein-
ser für technische Zwecke genutzt werden,        heit der Fasern erhöht. Nach der Röste wird
ist der optimale Erntezeitpunkt die Vollblüte    das Hanfstroh an trockenen Tagen zu Ballen
der männlichen Pflanzen, meist im Juli.          gepresst und bis zum Faseraufschluss trocken
                                                 gelagert. Die Lagerung kann ohne Qualitäts-
Ökologie                                         verluste über mehrere Jahre erfolgen.
Hanf wird ohne Pflanzenschutzmittel ange-
baut. Der Schädlingsdruck ist meist gering
und bedroht die Faserernte nur marginal.
Auch der Einsatz von Herbiziden ist nicht
erforderlich, weil die Pflanzen schnell und
dicht wachsen, sodass Unkräuter keine
Chance haben. Hanf wird in der Fruchtfolge
gerne gesehen, da er den Boden unkraut-
frei und mit verbesserter, lockerer Struktur
und nährstoffreich zurücklässt.

Ernte
                                                 ©© Hemcore Ltd.

In den letzten zehn Jahren wurde die Ern-
tetechnik für Hanf neu entwickelt. Moderne
Erntemaschinen schneiden die Hanfpflanze
dicht über dem Boden ab, führen die lan-         Moderne Erntetechnik für Hanf

                                                                                           13
©© 2 x nova-Institut
Eingekürztes Hanfstroh während der Feldröste                       Faseraufschlussanlage

Der in den 1990er Jahren zum Teil pro-                             nen sich vom Holz. Je nach Weiterverarbeitung
pagierte Grünhanfaufschluss ohne Röste                             bleiben Faserbündel unterschiedlicher Fein-
konnte sich nicht etablieren, Faserausbeu-                         heit und Längenverteilung übrig. Während die
ten und -qualitäten waren zu gering.                               Fasern für die textile Verarbeitung möglichst
                                                                   lang, fein und schäbenfrei sein müssen, stel-
An guten Standorten können jährlich 6 bis 9 t                      len technische Anwendungen, insbesondere
Hanfstroh pro Hektar geerntet werden. Bei                          NFK, geringere Anforderungen, die sich auch
einem technisch nutzbaren Fasergehalt von                          in niedrigeren Faserpreisen widerspiegeln.
ca. 25 % lassen sich demnach pro Hektar
1,5 bis 2 t Hanffasern produzieren. Der nicht                      Im Spritzgießverfahren (s. Kap. 4.3) können
nutzbare verholzte Kern des Stängels (die                          kurze Hanffasern verarbeitet werden. Für Vlie-
späteren „Schäben“), welcher 50–70 % des                           se und Filze zur Produktion von Formpress-
Gesamtertrages ausmacht, kann als Bauma-                           teilen (s. Kap. 4.1) dagegen werden 6 bis
terial, Brennstoff, Füllstoff oder als Einstreu                    10 cm lange „vliesfähige“ technische Fasern
in der Landwirtschaft genutzt werden.                              benötigt. In beiden Fällen ist ein möglichst
                                                                   geringer Schäbengehalt von maximal 2 %
Faseraufschluss:                                                   gewünscht, da die Schäben die weitere Verar-
Vom Hanfstroh zur Faser                                            beitung stören können – bis hin zu sichtbaren
Baumwollfasern können einfach von der                              Oberflächenstörungen im fertigen Produkt.
Pflanze gepflückt, entkörnt und von Schmutz
und Reststoffen gereinigt werden. Bei Bastfa-                      Fasern für Gewebe
sern wie Flachs und Hanf ist der Vorgang der                       Hanffasern können versponnen und das Garn
Fasergewinnung erheblich aufwändiger. Dies                         zu technischen Geweben verwoben werden,
ist einer der wichtigsten Gründe, warum sich                       die für hochwertige NFK Verwendung finden.
Baumwolle weltweit mit großem Abstand an                           Da dieser Prozessweg – physikalisch, che-
der Spitze der Naturfasern platzieren konnte.                      misch oder enzymatisch – sehr kostspielig ist,
                                                                   wird er bislang kaum praktiziert.
Die Verarbeitung der Hanfstrohballen erfolgt
in eigenen Faseraufschlussanlagen. Dabei                           Fasern für Formpressteile
wird der verholzte Kern des Stängels (die spä-                     Preiswerter ist es, die Fasern direkt zu texti-
teren „Schäben“) gebrochen, die Fasern tren-                       len Halbzeugen wie Vliesen oder Filzen, häu-

14
fig auch als „non-wovens“ bezeichnet, zu                   bundwerkstoffe. Die feinen Fasern schaffen
verarbeiten. Während die Fasern bei Filzen                 mehr Bindung zwischen Faser und Kunst-
ineinander verschlungen sind, werden sie für               stoff, die gröberen gewährleisten das Ein-
Vliese nur geschichtet und durch ein Binde-                dringen des Binders in das textile Produkt.
mittel, insbesondere duroplastische Harze
oder Thermoplaste, verfestigt. Vorprodukte                 Wirtschaftlichkeit
für Formpressteile (s. Kap. 4.1) sind sowohl               Abbildung 3.1 zeigt die Preisentwicklung
reine Naturfaservliese und -filze als auch                 bei Flachs- und Hanfkurzfasern vom Jahr
Mischfilze aus Natur- und z. B. Polypropylen-              2003 bis heute. Vergleicht man die Preis-
fasern. In der Praxis haben sich besonders                 kurven mit denen anderer Rohstoffe, so fällt
Mischungen von verschiedenen Naturfasern                   eine erstaunliche Preiskonstanz für Hanffa-
bewährt. Werden feine Fasern wie Flachs                    sern bis heute auf.
oder Jute mit gröberen Fasern wie Hanf oder
Sisal gemischt, so ergeben sich die besten                 Die Flachspreise zeigen dagegen in den letz-
mechanischen Werte in Kombination mit                      ten Jahren einen starken Anstieg. Ursache
einer optimalen Verarbeitbarkeit für die Ver-              sind zurückgehende Anbauflächen (Flächen-

                     PREISENTWICKLUNG BEI FLACHS- UND HANFKURZFASERN
                    PREISENTWICKLUNG BEI FLACHS- UND HANFKURZFASERN

  Preis von technischen Hanf- und Flachs-Kurzfasern in %
   170
   160
   150
   140
   130
   120
   110
   100
     90
     80
             2003         2004         2005   2006     2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014

       Hanf                   Flachs            100 % entsprechen dem Preis von technischen Hanf- und Flachs-Kurzfasern
                                                        im März 2003, bei einer Abnahmemenge von 100 Tonnen pro Jahr.

  Quelle: Carus & Eder et al. 2015                                                                         © FNR 2015
Quelle: Carus & Eder et al. 2015                                                                            © FNR 2015

Abb. 3.1: Preisentwicklung bei Flachs- und Hanfkurzfasern für Vliese und Filze in Deutschland

                                                                                                                    15
konkurrenz zu Lebensmitteln und Bioener-        bleibende Faserqualitäten als wichtige Vo-
gie), Missernten und die stark steigende        raussetzung.
Nachfrage der chinesischen Textilindustrie.
                                                Flachs (Faserlein)
Qualitätsmanagement                             Aus den Fasern von Flachs, auch Faser-
Ohne Qualitätsmanagement über die ge-           lein genannt, werden seit Jahrtausenden
samte Prozesskette können sich einhei-          Kleidungsstücke (Leinen) und andere Ge-
mische Naturfasern gegen preiswerte Im-         brauchsgegenstände wie Schnüre, Seile
portfasern nicht behaupten. Die Qualität        und Netze hergestellt.
der Naturfasern beginnt nicht erst beim
Faseraufschluss. Die Auswahl der geeigne-       Flachs gehört zu den ältesten Kulturpflanzen
ten Anbaustandorte und Sorten, des Ernte-       überhaupt. So wurden Leinsamen bereits in
zeitpunkts und der Erntetechnik, die Länge      einer etwa 9.000 Jahre alten Grabstätte im
der Röstzeit, die Art der Lagerung und vieles   heutigen Iran gefunden. Das Britische Muse-
mehr bestimmen die Qualität der Naturfa-        um in London stellt ein altägyptisches Faser-
sern und damit schließlich auch die Quali-      leingewebe von 5.000 v. Chr. aus und ägyp-
tät der späteren Verbundmaterialien.            tische Darstellungen aus dieser Zeit zeigen
                                                uns die gesamte Wertschöpfungskette des
Für die technischen Verarbeitungsprozesse       Faserleins, der u. a. für die Mumienbinden
und die späteren Materialeigenschaften gel-     Verwendung fand. Die ältesten Leinfunde in
ten insbesondere standardisierte, gleich-       Europa datieren auf etwa 2.700 v. Chr. in der

                                                                                          ©© Elena Elisseeva/Fotolia.com

Flachsfeld

16
Schweiz. Fäden, Schnüre und Netze waren         Der Anbau und die Verarbeitung von Flachs
die typischen Faserleinerzeugnisse.             konnten sich in Deutschland trotz intensiver
                                                Bemühungen nicht wieder etablieren. Das
Bis der Beginn der industriellen Revolution     Know-how war über die Jahrzehnte mehr
den Siegeszug der Baumwollfaser einläu-         und mehr verloren gegangen und die Kon-
tete, war Leinen die wichtigste Textilfaser     kurrenz aus Frankreich, Belgien und Osteu-
Europas. Da die Baumwolle jedoch erheb-         ropa zu stark. Heute werden in Deutschland
lich einfacher zu verarbeiten war und die       weniger als 20 ha (2012) Flachs angebaut.
Verarbeitung leicht mechanisiert werden
konnte, verdrängte sie den Flachs rasch.
So sank der Flachsanbau in Deutschland          3.4 Bewährtes Holz:
von ca. 215.000 ha im Jahre 1850 auf ca.            Holzmehl und Holzfasern
35.000 ha zur Jahrhundertwende.
                                                Der Hauptbestandteil von WPC ist in der
Als in den 1980er Jahren das Interesse an       Regel der Rohstoff Holz aus Sägenebenpro-
nachwachsenden Rohstoffen und neuen An-         dukten des einheimischen Weichholzes, vor
wendungsgebieten für alte Kulturpflanzen        allem Fichte. Hartholz wie Eiche oder Ahorn
wuchs, widmete sich die Forschung auch ver-     wird dagegen kaum eingesetzt.
stärkt der technischen Nutzung des Flachses.
                                                Sägenebenprodukte sind Holzreste, die bei
2012 lag die Flachsanbaufläche in der EU        der Verarbeitung von entrindeten Stämmen
bei 87.600 ha [5], was einen erheblichen        zu Nutzholz oder der nachfolgenden Holz-
Rückgang gegenüber ca. 120.000 ha im Jahr       verarbeitung anfallen. Dazu zählen Holzhack-
2004 bedeutet. Ursachen sind die gesunke-       schnitzel, Holzspäne, Holzmehl und nach
nen Exporte nach China und die zunehmen-        weiterer mechanischer oder chemischer
de Flächenkonkurrenz mit Energiepflanzen.       Aufbereitung auch Holzfasern (z. B. MDF-
                                                oder Zellulosefasern). Die unterschiedlichen
Wichtigste Anbauländer sind Frankreich,         Holzrohstoffe bzw. -zwischenprodukte haben
Belgien und Großbritannien. Ein Großteil der    sehr unterschiedliche Eigenschaften und füh-
Flachsproduktion zielt auf hochwertige Flach-   ren hierdurch in der WPC-Produktion zu ver-
langfasern für die Bekleidungsindustrie. Die    schiedenartigen Materialeigenschaften. So
meisten Flachslangfasern werden nach China      haben z. B. die Feinheit und der sogenannte
exportiert und dort versponnen, gewebt und      Schlankheitsgrad – das Verhältnis von Länge
schließlich zu Textilien konfektioniert.        zu Breite bzw. Durchmesser – einen großen
                                                Einfluss auf die mechanischen Eigenschaf-
Als Nebenprodukt entsteht die Flachskurz-       ten. Von diesem Schlankheitsgrad hängt es
faser (Werg), die für Zellstoffe, Textilien,    ab, ob das Holz in der Kunststoffmatrix eher
Verbundwerkstoffe und Dämmstoffe ge-            ein Füllmittel oder eine Verstärkung darstellt.
nutzt wird.

                                                                                           17
Entscheidende Kriterien für den Einsatz        Im Vergleich zu anorganischen Füllstoffen
von Holzmehl und -fasern zur WPC-Produk-       weisen die Holzrohstoffe neben anderen
tion sind neben dem Preis vor allem auch       Vorteilen eine geringere abrasive Neigung
qualitative Aspekte, wie die Restfeuchte,      auf.
die Faserlänge, der Schlankheitsgrad oder
der Harzgehalt.

 Holzfasern: Die Dimensionen einzelner         Holzhackschnitzel und Holzspäne:
 Holzfasern reichen je nach Baumart von 0,5    Schnitzel und Späne weisen unterschied-
 bis 4,5 mm in der Länge und 0,02 mm bis       liche Schlankheitsgrade und Formen auf.
 0,04 mm im Durchmesser. Typische Werte        Sie bestehen aus einer Vielzahl miteinan-
 für Nadelhölzer, wie sie für WPC verwendet    der verbundener Holzfasern und Holzfa-
 werden, sind 2,5 bis 3 mm (Länge) und         serfragmenten. Typische Größen für Holz-
 0,03 mm (Durchmesser). Der Schlankheits-      hackschnitzel sind folgende Dimensionen
 grad, das Verhältnis von Länge zu Breite,     in Faserrichtung: Länge ca. 25 bis 40 mm,
 beträgt in diesem Fall 100:1. Den genann-     Dicke ca. 5 bis 15 mm, Breite ca. 10 bis
 ten hohen Schlankheitsgrad können in der      100 mm.
 Praxis sonst nur Zellstoffasern bieten, die
 von einigen Papierherstellen entweder als     Holzspäne (Sägespäne und Hobelspäne)
 Fasermischung oder in Form von Granu-         sind sehr heterogen und mit Feinpartikeln
 laten, die bereits mit Kunststoff vermischt   (Staub) versetzt. Eine Aufbereitung erfolgt
 sind, vermehrt am Markt für Spritzgießan-     durch mehrfache trockene Mahlungen
 wendungen angeboten werden.                   und Siebungen, um die Rohstoffe zu ho-
                                               mogenisieren. Diese Anlagen erfordern
 Zur Gewinnung von einzelnen Holzfasern        allerdings hohe Investitionen, weshalb die
 werden thermo-mechanische oder auch           meisten WPC-Hersteller eher industriell
 chemische Refiner/Pulping-Prozesse ver-       aufbereitetes Holzmehl bzw. Holzfasern
 wendet. Holzfasern sind keine Füllmittel,     einsetzen.
 sondern Verstärkungsfasern. Aus Kosten-
 gründen werden kaum Holzfasern für die        Holzmehl: Feine Holzpartikel, die etwa
 WPC-Produktion verwendet; zudem kann          gleich lang wie breit sind (ca. 0,3 bis
 es bei Holzfasern zu Problemen bei der        0,4 mm) werden als Holzmehl bezeichnet.
 Zufuhr kommen, wenn diese nicht vorher        Ihr Schlankheitsgrad beträgt etwa 1:1.
 verdichtet bzw. pelletiert wurden, was        Holzmehl kann nur als Füllstoff eingesetzt
 aber weitere Kosten verursacht.               werden [9].

18
In den letzten 10 Jahren ist eine kontinu-       ge im unteren Preissegment auszuweiten,
ierliche Preissteigerung bei Sägespänen zu       müssen Carbonfasern in großen Mengen zu
beobachten, die insbesondere durch die           günstigen Preisen zur Verfügung stehen.
wachsende Nachfrage aus dem Bereich der
Bioenergie, Holz-Heizkraftwerke und Pellet­      Für die Herstellung von Carbonfasern wer-
öfen getrieben wurde. Dennoch liegt das          den zunächst kohlenstoffhaltige Vorstufen-
absolute Preisniveau von Holz im Vergleich       fasern erzeugt. Als Grundstoff dienten zu
zu den meisten Agrarrohstoffen niedrig.          Zeiten der Entwicklung erster Anwendun-
Das Preisniveau der produktionsfertigen          gen von Carbonfasern im 19. Jahrhundert
Holzfaserprodukte im „Big-Bag“ liegt etwa        Bambusfasern. Heute werden die Vorfasern
zwischen 250 und 400 €/t (ab Werk).              überwiegend aus Polyacrylnitril (PAN) aber
                                                 auch Öl- oder Kohlepech oder regenerierter
                                                 Zellulose (Rayon) gewonnen.
3.5 Bio-Carbonfasern –
    High-Tech aus Biomasse                       Ein neuer Ansatz ist die Herstellung von
                                                 Carbonfasern aus Kraft-Lignin, einem Ne-
Kohlenstofffasern, auch Carbonfasern ge-         benprodukt der Zellstoff- und Papierindus-
nannt, weisen eine hohe Festigkeit bei ei-       trie, das jährlich in großen Mengen anfällt
nem sehr geringen Gewicht auf und eignen         und bisher überwiegend zur Wärme- und
sich daher besonders zum Einsatz als Ver-        Stromgewinnung verbrannt wird. Bei dieser
stärkungsfasern in Kunststoffen für Leicht-      Methode wird das vorgereinigte Kraft-Lignin
bauteile. Dabei werden Gelege oder Gewebe        mit einem (Bio-)Polymer als Hilfsstoff aus
aus Kohlenstofffasern in eine Kunststoffma­      der Schmelze zu Fasern gesponnen und auf
trix eingebracht. Die Verarbeitungsverfahren     Spulen gewickelt.
entsprechen denen von langglasfaserver-
stärkten Verbundwerkstoffen, wie Pressfor-       Die Fasern, die zuvor in einen nicht
men, Faserwickeln und Handlaminieren.            schmelzfähigen Zustand versetzt wurden
                                                 (Thermostabilisierung), werden bei hohen
Bis jetzt ist der Einsatz der noch sehr teuren   Temperaturen (1.300–1.500 °C) unter
konventionellen Carbonfasern (15 €/kg und        Schutzatmosphäre „carbonisiert“. Dabei
mehr) auf hochpreisige Bauteile wie z. B. in     verdampfen die meisten enthaltenen Sub-
Rennwagen, für High-Tech-Sportgeräte oder        stanzen, zurück bleibt Kohlenstoff mit einer
in der Luft- und Raumfahrt beschränkt. Im        Reinheit von über 90 %. Je nach angestreb-
Jahr 2013 wurden in Deutschland die ers-         ten technischen Eigenschaften können die
ten Serien-PKW mit Carbonfasern gefertigt        Fasern dann noch „graphitisiert“ werden
(BMW i3).                                        (bei Temperaturen über 1.800 °C). Hier-
                                                 durch wird die Anordnung in einer Kohlen-
Um den Einsatz dieser Leichtbauteile zu er-      stoff-Kristallstruktur bewirkt, die verbesser-
höhen und zum Beispiel auf Serienfahrzeu-        te Festigkeitswerte zur Folge hat. Um gute

                                                                                           19
Qualitäten zu erhalten, müssen die Vorfa-
sern einen hohen Gehalt an Kohlenstoff und
wenige Verunreinigungen aufweisen, um
eine möglichst gleichmäßige innere Struk-
tur mit wenigen Fehlstellen zu erreichen.

Bis jetzt weisen die auf Basis von Kraft-
Lignin hergestellten Kohlenstofffasern et-
was geringere Festigkeitswerte auf als die
herkömmlich aus fossilen Rohstoffen, aller-
dings deutlich bessere als Glasfasern.

Da es sich bei Lignin um ein preisgünstiges,
großvolumiges Nebenprodukt handelt, wird
bei entsprechender Prozessoptimierung
und Ausstoßmenge eine erhebliche Kosten-
reduktion erwartet, womit auch Märkte in
unteren Preissegmenten erschlossen wer-
den könnten.

20
4 HERSTELLUNGSVERFAHREN – VIELE
  OPTIONEN FÜR BIOVERBUNDWERKSTOFFE

4.1 Form- und Fließpressen mit                   Beim Formpressen kommen sowohl duro­
    Naturfasern – ein neuer,                     plastische als auch thermoplastische Ma-
    attraktiver Werkstoff                        trizes zum Einsatz. 45 % der für die euro-
                                                 päische Automobilindustrie produzierten
Von den ersten Forschungsprojekten An-           Naturfaserformpressteile besitzen eine duro-
fang der 1980er Jahre zu neuen Anwendun-         plastische und 55 % eine thermoplastische
gen für Naturfasern und neuen Werkstoffen        Matrix. Beide NF-Formpressvarianten liefern
auf natürlicher Basis war es ein langer Weg      mechanisch stark belastbare, aber leichte
bis zu den ersten Erfolgen: Erst seit 1995       Bauteile. Typische Anwendungen reichen
etablierte sich mit dem Formpressen von          von Türinnenverkleidungen, Hutablagen,
Naturfaservliesen und -filzen ein Verfah-        Kofferraumauskleidungen, Reserveradmul-
ren mit hohen Zuwachsraten, vor allem für        den und Säulenverkleidungen bis hin zum
die automobile Mittel- und Oberklasse der        Armaturenbrett. Auch für den Außenbereich
deutschen PKW-Industrie.                         wurden bereits erste Bauteile (z. B. als Un-
                                                 terboden) in Serie produziert.
Formpressen – die Grundidee
Von der Vielzahl spezieller Verfahren des        Und schließlich sind – zumindest bei komple-
Formpressens sollen hier einige typische         xen, hochwertigen Türkonstruktionen in der
Prozessketten aufgezeigt werden. Das Vor-        Mittel- und Oberklasse – auch die Produkti-
produkt, in der Fachsprache auch Halbzeug        onskosten konkurrenzfähig. Und das, obwohl
genannt, ist ein Naturfaservlies oder -filz.     ein Formpressteil aufwändiger zu produzieren
Zusammen mit dem gewünschten Kunststoff          ist als ein reines Kunststoffteil. Betrachtet man
wird das textile Halbzeug in eine offene Form    aber die Gesamtkonstruktion der Tür, so kann
geführt, erhitzt und unter Druck gepresst. Das   das NFK-Material punkten, weil sich bei der
so entstandene „Formpressteil“ wird aus der      Produktion von Naturfaserformpressteilen
Form gelöst und die Ränder beschnitten. Man      mehrere Arbeitsschritte zu einem zusammen-
spricht von Formpressen im Gegensatz zum         fassen lassen. So können schon im Form-
Fließpressen, wenn es zu keinem Fließen von      pressprozess Halteelemente angebracht und
Fasern und Kunststoff im Werkzeug kommt.         Kaschierung aufgelegt werden, Folgearbeiten
Prozessbedingt können durch Pressvorgän-         entfallen daher (One-Shot-Verfahren).
ge nur „einfache“ dreidimensionale Teile ge-
fertigt werden. Komplexe, nahezu beliebige       Duroplastisches Formpressen
dreidimensionale Teile wie beim Spritzgießen,    Bei einem Formpressverfahren mit duro-
sind beim Formpressen nicht darstellbar.         plastischer Matrix (s. Abb. 4.1) werden die

                                                                                              21
©© Hennecke GmbH
1                     Vortrockner
2                     Auftragseinheit mit Hochdruckdosiermaschine mit speziellen Druckknöpfen
3                     beheizte Presse

Abb. 4.1: Fertigungsprinzip Nafpur-Tec-Verfahren für Polyurethan (Duroplast)

zugeschnittenen Naturfaserhalbzeuge in                        Thermoplastisches Formpressen
der Beschichtungskabine von zwei Hoch-                        Auch für das Formpressen mit thermoplasti-
druckmischköpfen innerhalb von 10 bis 25                      scher Matrix stehen verschiedene Verfahren
Sekunden auf Vorder- und Rückseite mit                        zur Verfügung. Im One-step-Verfahren wer-
einem duroplastischen Kunststoff, wie z. B.                   den sogenannte Hybridvliese, hochwertige
Polyurethan, beschichtet und anschließend                     Nadelfilze aus Natur- und Polypropylen-
in einer Metallform aus Aluminium oder                        Fasern, auf 170 bis 180 °C erhitzt und kom-
Stahl bei einem Schließdruck von 20 bar                       men in die Formpresse.
und einer Werkzeugtemperatur von über
120 °C verpresst. Die Wanddicken liegen                       Wie in Abbildung 4.2 dargestellt, werden
zwischen 1,5 und 2,0 mm, der Naturfaser-                      die Sandwichvliese (braun) auf einer Pa-
anteil kann zwischen 40 und 70 % gewählt                      lette angeliefert, zur rot gekennzeichneten
werden.
©© R+S Technik GmbH

                                                                    Abb. 4.2: Thermoplastisches Formpressen

22
Kontaktheizung transportiert und erwärmt.        turfaser-Formpressteilen, die diese sehr at-
Zusammen mit dem von der Rolle rechts zu-        traktiv für den Leichtbau machen. Während
geführten Dekor wird das Vlies oder der Filz     typische GFK für Türinnenverkleidungen
dann in Formpresse auf das grün gekenn-          Flächengewichte von etwa 2.200 g/m2 zei-
zeichnete Werkzeug aufgebracht, geformt,         gen, kommen thermoplastisch gebundene
gepresst und mit dem Dekor verklebt. Das         Naturfaser-Formpressteile heute schon auf
Endprodukt ist grau dargestellt.                 nur 1.800 g/m2, mit Haftvermittlern sind
                                                 sogar 1.500 g/m2 möglich. Mit Duroplasten
Der schmelzende Thermoplast, wie z. B. Po-       werden heute schon 1.400 g/m2 realisiert.
lypropylen, formt die gewünschte Struktur        Das Entwicklungsziel sind 1.000 g/m2,
und verklebt das Werkstück mit dem Dekor-        manche Experten halten sogar 800 g/m2
teil. Das Fertigteil muss nun nur noch mit       für erreichbar.
einem Laser beschnitten werden.
                                                 Diese geringen Flächengewichte erklären,
Der große Vorteil dieses Verfahrens: In ei-      warum in neuen Automodellen verstärkt
nem Pressvorgang können komplette In-            Naturfaser-Formpressteile zu finden sind,
nenverkleidungsteile inklusive Dekor und         denn diese Leichtbaulösungen ermögli-
Schaumstoff sowie Soft-Touch-Oberfläche          chen weitere Einsparungen beim Kraft-
ohne Einsatz von Klebstoffen hergestellt         stoffverbrauch und sind somit auch für die
und sogar mit Halterungs- und Befesti-           Elektromobilität sehr interessant.
gungselementen versehen werden. Aber
auch im Two-Step-Verfahren gelingt die Ka-       Fließpressen
schierung besonders leicht, da die Naturfa-      Beim Fließpressen wird aus Naturfasern
serteile luftdurchlässig sind.                   oder Naturfaserhalbzeugen und einem
                                                 duro- oder thermoplastischen Kunststoff
Neue Entwicklungen zeigen gänzlich unka-         zunächst eine sogenannte Pressmasse
schierte Naturfaserteile, die lediglich mit      produziert. In das Werkzeug eingebracht
einer dünnen, transparenten oder auch far-       wird sie unter Druck- und Hitzeeinwir-
bigen Folie oder einem Lack geschützt sind.      kung geformt. Bei Drücken von 60 bis
Eine solche Fertigung ist nur bei einer sehr     70 bar und Temperaturen von 130 °C bis
hohen Homogenität der Natur- oder Holzfa-        150 °C fließt das Harz-Faser-Gemisch in
sern, wie z. B. Schäbenfreiheit, möglich. Bis-   alle Konturen des Werkzeugs, reagiert der
lang hat es noch kein unkaschiertes Bauteil      duroplastische Matrixwerkstoff und här-
in die Serie geschafft.                          tet aus. Thermoplaste dagegen werden
                                                 auf ca. 180 °C erhitzt und härten bei der
Wachsendes Interesse dank deutlich               Abkühlung. Mit diesem Verfahren lassen
reduzierter Flächengewichte                      sich hochfeste, große Bauteile mit unter-
In den letzten Jahren gab es erhebliche          schiedlichen Wanddicken herstellen. Durch
Fortschritte beim Flächengewicht von Na-         das Fließen der Pressmasse können auch

                                                                                          23
komplexere dreidimensionale Körper als
beim Formpressen hergestellt werden. Als
erster naturfaserverstärkter, thermoplasti-
scher Verbundwerkstoff für den Außenbe-
reich wurde über mehrere Jahre eine PKW-
Unterbodenverkleidung in Serie produziert
(A- und B-Klasse Mercedes).

                                                                                      ©© BASF SE (2011)
Formpressen für Tablett, Koffer und Möbel
Was sich im Automobilbau bewährt hat, ist
grundsätzlich auch für andere Branchen
interessant. Dennoch gibt es bis heute        Hemp Chair von Werner Aisslinger
nur wenige Anwendungen der Naturfaser-
Formpresstechnik außerhalb der Automo-
bilbranche.                                   Bereits seit einigen Jahren gibt es Geigen-
                                              und Gitarrenkoffer, aber auch Aktenkoffer
Dort, wo zweidimensionale oder einfache       aus Naturfaserwerkstoffen auf Basis von
dreidimensionale Bauteile mit geringer        Hanf, Kenaf und Polypropylen. Gemeinsam
Masse und hoher Festig- und Steifigkeit       sind diesen Produkten das niedrige Ge-
benötigt werden, können die Naturfaser-       wicht und die gleichzeitig große mechani-
Formpressteile eine attraktive technische     sche Belastbarkeit.
Lösung darstellen, wobei sich die Natur-
faseroptik hier sogar zusätzlich als beson-   Im Jahr 2011 wurde der „Hemp Chair“ auf
deres Designelement einsetzen lässt. Dies     der Mailänder Möbelmesse vorgestellt.
gilt für transparente und weiße ebenso wie    Hanf und Kenaf bilden die Basis für den
auch für farbige Kunststoffe.                 Verbundwerkstoff, der durch Verpressen  ©© Jakob Winter GmbH

Geigenkoffer aus Naturfasern

24
mit einem wasserbasierten Duroplast sei-        Energie als ihre konventionellen Gegenstü-
ne hohe mechanische Belastbarkeit erhält.       cke. Das sind beachtliche Werte, die nur von
Die Technologie, die in der Automobil-          wenigen Biowerkstoffen erreicht werden. Be-
produktion etabliert ist, wurde bisher bei      zogen auf die Einsparung von Treibhausgasen
der Möbelherstellung noch nicht genutzt,        liegen die Werte zwischen 12 und 55 %. Be-
könnte aber in vielen Anwendungen zum           zieht man zudem den CO2-Speichereffekt der
Einsatz kommen.                                 Naturfaser-Bauteile mit ein, so ergeben sich
                                                sogar Einsparungen zwischen 28 und 74 %.
Ökologische Bewertung von
Naturfaser-Formpressteilen                      Noch weitaus mehr Energie lässt sich wäh-
Ökologische Vorteile sind ein weiterer,         rend der Laufzeit des Fahrzeugs einsparen.
wichtiger Pluspunkt für naturfaserverstärkte    Da die Verkleidungen aus Naturfasern leich-
Kunststoffe. Im Rahmen einer nachhaltigen       ter sind als beispielsweise aus glasfaserver-
Wirtschaft erlangt dieser Aspekt zuneh-         stärkten Kunststoffen (GFK), benötigt das
mend an Bedeutung.                              Fahrzeug auch weniger Kraftstoff. Und auch
                                                nach der Nutzungsphase werden geschlos-
In den letzten Jahren wurden in Deutsch-        sene Kreisläufe und optimale Verwertungs-
land eine Reihe von Sach-, Energie- und         und Entsorgungsoptionen angestrebt, um
Ökobilanzen erstellt, die Naturfaser-Form-      den gespeicherten biobasierten Kohlen-
pressteile mit bisherigen Werkstofflösun-       stoff und die enthaltene Energie so lange
gen verglichen. In praktisch allen Fällen       wie möglich zu nutzen.
schnitten die NFK besser ab.
                                                Ist ein Recycling nicht mehr möglich, wer-
Eine Meta-Analyse bestehender Ökobilan-         den die NFK-Teile meist einer energetischen
zen aus dem Jahr 2011 [6] bestätigt po-         Verwertung zugeführt, wobei dies für den
sitive Eigenschaften der Naturfaser-Form-       Naturfaseranteil – und im Falle einer bioba-
pressteile. Alle analysierten Studien zeigten   sierten Matrix auch für diesen Teil – weitge-
klare Einsparungen für die Hanffaser-Form-      hend CO2-neutral erfolgt.
pressteile im Energiebedarf und den Treib-
hausgasemissionen im Vergleich zu ihren         Bei thermoplastischem Spritzgießen (s. Kap.
petrochemischen bzw. mit Glasfasern ver-        4.3) können die NFK-Bauteile sogar stoff-
stärkten Gegenstücken.                          lich wiederverwertet werden. Aus dem Alt-
                                                material kann in einem Rezyklierungspro-
Abbildung 4.3 zeigt die Ergebnisse für den      zess neues Granulat hergestellt werden;
Energiebedarf fünf unterschiedlicher Hanffa-    bei Naturfasern leidet der Werkstoff hierbei
ser-Materialien aus unterschiedlichen Ökobi-    weniger als bei Glasfasern.
lanz-Studien. Von der Wiege bis zum Fabriktor
der Autofabrik verbrauchen Hanffaser-Form-
pressteile zwischen 25 und 75 % weniger

                                                                                          25
KUMULIERTERENERGIEAUFWAND
                    KUMULIERTER  ENERGIEAUFWANDFÜR
                                                 FÜRDIE
                                                     DIEHERSTELLUNG
                                                        HERSTELLUNG
                       UNTERSCHIEDLICHER HANFFASER-FORMPRESSTEILE
                      UNTERSCHIEDLICHER HANFFASER-FORMPRESSTEILE

   Energiebedarf in %: fossil- und hanf-basierte Komposite im Vergleich
     100

      80

      60

      40

      20

        0
            Hanffaser/PP vs.      Hanffaser/PP vs.   Hanffaser/PP vs. Hanffaser/Epoxy      Hanffaser/PTP
              GF/PP-Matte           GF-Komposit        PP-Komposit    vs. ABS Automotive   vs. GF/PES Bus
                                                                            Türpanel        Außenpanel

        hanf-basierte Komposite                  fossil-basierte Komposite
  Quelle:
Quelle:    Haufe
        Haufe    & Carus
              & Carus    (2011)
                      (2011)                                                                      ©©FNR
                                                                                                     FNR2015
                                                                                                         2015

Abb. 4.3: Kumulierter Energieaufwand (KEA) für die Herstellung unterschiedlicher Hanffaser-Formpress-
teile aus unterschiedlichen Ökobilanz-Studien

4.2 WPC-Extrusion – Erfolgsge-                              sind extrudierte Terrassendielen („Deck-
    schichte in der Bauindustrie                            ings“). An zweiter Stelle folgt das Formpres-
                                                            sen, das vor allem im Automobilbereich
Auch Holz-Polymer-Werkstoffe (Wood-Plas-                    eine Rolle spielt, und erst an dritter Stelle
tic-Composites, WPC) können mithilfe un-                    das Spritzgießen für technische und Kon-
terschiedlicher Produktionsverfahren herge-                 sumgüterartikel jeglicher Art.
stellt werden, u. a. mit Formpressen (s. Kap.
4.1), Spritzgießen (s. Kap. 4.3) und Extrusion              Mit dem Beginn der Produktion von WPC-
(„Strangpressen“).                                          Bodendielen betraten sowohl die Holz- als
                                                            auch die Kunststoffindustrie Neuland:
Abbildung 4.4 zeigt die Anteile der unter-                  • Werkstoff Holz(mehl) mit seinen Quali-
schiedlichen WPC-Produktionsverfahren,                        tätsschwankungen, Staub- und Feuchte-
wobei die Extrusion mit etwa 80 % deutlich                    problemen war der Kunststoffindustrie
dominiert. Das erfolgreichste WPC-Produkt                     fremd, bot aber Preisvorteile,

26
• Produktion von WPC auf Extrudern, den            Grundprinzip
  Standardmaschinen der Kunststoffindu-            Bei der Extrusion wird das aufgeschmol-
  strie, war der Holzindustrie fremd und           zene Holz-Kunststoff-Additiv-Gemisch in
  verglichen mit der Produktion von Holz-          einem kontinuierlichen Verfahren bei 100
  plattenwerkstoffen langsam und teuer.            bis 300 bar durch eine Düse und anschlie-
                                                   ßend ein Werkzeug gepresst. Holzfüllgrade
In den letzten zehn Jahren ist es gelungen,        bis ca. 80 % sind ebenso möglich wie eine
beide Industrien erfolgreich zusammen zu           Direkt-Extrusion.
bringen, Know-how zu entwickeln und Er-
fahrungen zu sammeln. Heute findet sich            Im Extruder wird der für das Durchfließen
eine Vielzahl an hochwertigen extrudierten         der Düse notwendige Druck aufgebaut.
WPC-Produkten am Markt, die aus beiden             Nach dem Austreten aus der Düse erstarrt
Roh- und Werkstoffen das Beste gemacht             das Holz-Kunststoff-Additiv-Gemisch in ei-
haben. Der Kunststoff macht WPC haltbar,           ner Kalibrierung. Der Querschnitt des so
pflegeleicht und formbar, das Holz sorgt für       entstehenden geometrischen Körpers ent-
angenehme Optik und Haptik sowie hohe              spricht annähernd dem verwendeten Profil-
biobasierte Anteile.

                             WPC-PRODUKTIONSPROZESSE IN EUROPA 2012
                             WPC-PRODUKTIONSPROZESSE IN EUROPA 2012

  81 %
  Extrusion

                                                                                        6%
                                             gesamt
                                                                                 Spritzgießen
                                            260.000
                                             Tonnen

                                                                                       13 %
                                                                                 Formpressen

                                                                                      0,4 %
                                                                                      Andere

Quelle: Carus & Eder et al. (2015)                                                   © FNR 2015

  Quelle: Carus & Eder et al. (2015)                                               © FNR 2015
Abb. 4.4: WPC-Produktionsprozesse in Europa 2012

                                                                                           27
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