BOKU - COVID-19: DAS VIRUS UND WIR Anstoß für neue Perspektiven
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BOKU DAS MAGAZIN DER UNIVERSITÄT DES LEBENS Nr. 2 | Juni 2020 ISSN: 2224-7416 COVID-19: DAS VIRUS UND WIR Anstoß für neue Perspektiven WIE UNS CORONA E-LEARNING: VIZEREKTORIN AUF DIE STRASSE VIRTUELLE REALITÄT SIKORA-WENTENSCHUH BRINGT AN DER BOKU IM INTERVIEW
INHALT Adobe Stock 3 Vizerektorin Baumgartner über die Herausforderungen durch COVID-19 4 E-Learning an der digitalen BOKU 7 Vizerektorin Sikora-Wentenschuh im Interview 9 BOKU stellt Infrastruktur für Antikörpertest bereit 10 Virologe Krammer über Coronaviren und ignorierte Epidemien 12 Wer was über Eiweiß weiß: Eva Stöger und Chris Oostenbrink 4 15 Lockdown ließ NO2-Belastung sinken Claudia Paul | Mount Sinai Health System 16 COVID-19 und die Auswirkungen auf die Umwelt 19 Mehr Lebensmittel als gedacht landen im Müll 20 Wie uns Corona auf die Straßen bringt 23 Klimataugliche Gebäudebegrünung 24 Ein historischer Rückblick auf die Cholera-Epidemien 25 Wien und das Wasser, 10 16 Spurensuche mit Teamgeist Adobe Stock 26 Wildtierforschung in Zeiten von Corona 28 Splitter 29 Nachruf Kerstin Brandstätter-Scherr 30 ISAM: Reportage aus Mosambik 32 Zu Gast an der BOKU: Maria Vassilakou 33 26 Haus der Zukunft mit thermischer Bauteilaktivierung 34 Digitale ELLS-Konferenz BOKU Medienstelle/Christoph Gruber an der BOKU 36 Erfahrungsaustausch unter Lehrenden 38 Soziales Engagement bei „Service Learning“ 40 BOKU-Nachhaltigkeitsbericht 42 Citizen Science 44 Strategische Kooperation BOKU-Umweltbundesamt 32 42
EDITORIAL Foto Georg Wilke u GEMEINSAM DIE HERAUS- FORDERUNG MEISTERN SABINE BAUMGARTNER Vizerektorin für Lehre und Weiterbildung Sehr geehrte BOKU-Angehörige, liebe Mitarbeiter*innen, liebe Studierende, C OVID-19, BOKU-Krisenstab, von 100 auf 0 in wenigen Ta- gen in einem Hörsaal sein dürfen. Zusätzlich mussten Annahmen gen, Mitarbeiter*innen und Studierende von heute auf getroffen werden, z. B. die Prüfung muss ohne Maske durchführ- morgen alleine oder mit der Familie zu Hause, Homeoffice, bar sein, da sonst weitere gesundheitliche Risiken entstehen, wie digitales Semester, Umstellung des Lehr- und Prüfungsbetrie- erhöhte CO2-Konzentrationen hinter der Maske. bes, langsames Wiederhochfahren, reduzierter Normalbetrieb ... Alles was bis jetzt an Umstellungen passiert ist, ist unheimlich Alles Dinge und noch vieles mehr, das uns seit Mitte März in die- wichtig. Denn auch wenn wir jetzt wieder langsam hochfahren, sem Sommersemester 2020 im Zusammenhang mit der Virus- im nächsten Studienjahr werden uns diese Dinge weiter be- Pandemie betroffen hat (und voraussichtlich noch weiter betref- treffen. In der Lehre werden nach wie vor Lehrveranstaltungen fen wird), wo reagiert werden musste, Entscheidungen zu treffen digital abzuhalten sein. Nur so können wir gemeinsam die Prü- waren. Dem/der einen ging alles viel zu langsam. Dem/der ande- fungen, die nicht umgestellt werden können, mit unseren vor- ren ging wieder alles viel zu schnell. Ganz ehrlich, ich weiß nicht, handenen Raumressourcen abwickeln. wie es Ihnen/Euch geht, aber mir ist schon ganz schwindelig ob der vielen Kurven, Wendungen und Kreisbahnen, die wir inner- Diese Ausgabe des BOKU-Magazins steht ganz im Zeichen von halb kürzester Zeit schon gezogen haben. Wobei das „Runter- COVID-19. Einige Berichte sollen auch als Anregung dienen, wo fahren“ eigentlich noch einfach und straight-forward funktio- man sich Ideen für weitere notwendige Umstellungen holen niert hat, wenn man das jetzt mit dem schrittweisen Hochfahren kann. Lassen Sie sich inspirieren, denn COVID-19 wird uns noch vergleicht. Und da sind wir noch nicht fertig! länger begleiten und unser Handeln und unsere Tätigkeiten be- einflussen. Aber ich bin fest davon überzeugt, GEMEINSAM, mit Denn dieses Hochfahren gestaltet sich viel schwieriger, als man Rücksicht und mit einer guten Portion Hausverstand, wird es uns sich vorstellen kann. Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, gelingen, auch mit dieser Situation fertig zu werden! dass ja Hotels auch wieder hochfahren und endlich den Betrieb wieder aufnehmen. Warum geht das denn nicht bei den Univer- G’sund bleiben ist die Devise! sitäten? Na ja, da muss ich leider sagen, eine Universität ist kein In diesem Sinne passen Sie auf sich und Ihre Mitmenschen auf! Hotelbetrieb, alleine schon erkenntlich daran, dass die Vorgaben Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen! unterschiedlich sind bzw. für uns an der Universität – auch wenn viele das gerne hätten – nicht genau definiert sind. Es liegt in unse- Ihre/Eure Sabine Baumgartner rer Verantwortung, das Risiko nach bestem Wissen und Gewissen zu minimieren. Alleine, wenn wir uns anschauen, welche Flächen- berechnungen (für die gesamte Universität an allen Standorten!) angestellt wurden, um zu ermitteln, wie viele Personen für Prüfun- IMPRESSUM: Medieninhaberin und Herausgeberin: Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien Chefredaktion: Bettina Fernsebner- Kokert Redaktion: Hermine Roth, Ingeborg Sperl Autor*innen: Sabine Baumgartner, Lisa Bohunovsky, Alexander Bomatter, Florian Borgwarth, Daniel Dörler, Pierre Ellßel, Franz Esberger, Herbert Formayer, Bernhard Freyer, Jürgen Furchtlehner, Klaus Hackländer, Reingard Grabherr, Florian Heigl, Gabriela Heilmann, Miriam Klausberger, Franziska Klauser, Astrid Kleber, Teresa König, Lilli Lička, Dmytro Mekh, Claus-Rainer Michalek, Alexandra Penicka, Gregor Sachs, Kyrill Sattlberger, Ruth Scheiber-Herzog, Stefan Schreier, Rosemarie Stangl, Helene Steiner, Alexandra Strauss-Sieberth, Verena Vlajo, Magdalena Wolf, Andreas Zitek Lektorat: Michaela Kolb Grafik: Patricio Handl Coverfoto: Adobe Stock Druck: Druckerei Berger Auflage: 5.500 Erscheinungsweise: 4-mal jährlich Blattlinie: Das BOKU Magazin versteht sich als Informationsmedium für Angehörige, Absolvent*innen und Freund*innen der Universität für Bodenkultur Wien und soll die interne und externe Kommunikation fördern. Namentlich UZ24 Dieses Produkt gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder und müssen mit der Auffassung der Redaktion „Schadstoffarme stammt aus nachhaltig nicht übereinstimmen. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung von Beiträgen aus Platzgründen vorbehalten. Beiträge senden Druckerzeugnisse“ bewirtschafteten UW 734 Wäldern und Sie bitte an: public.relations@boku.ac.at Bei Adressänderung wenden Sie sich bitte an: alumni@boku.ac.at kontrollierten Quellen PEFC/06-39-12 BOKU Magazin 2 2020 3
Virtuelle Realität und digitale Lehre an der BOKU E-LEARNING UND DIDAKTIK IN ZEITEN VON CORONA Von Andreas Zitek Shutterstock B lended Learning, die Kombination nikation, didaktisches Design, Implemen- zuerst selbstständig mit den Lehrinhalten von Präsenzunterricht mit E-Lear- tierung zeitlicher Abläufe und von Voraus- auseinandersetzen, und dann danach im ning, spielt an der BOKU seit der setzungen zur Unterstützung selbstge- Rahmen von Online-Meetings offene Fra- Einführung von Moodle als Lernmanage- steuerten Lernens, Online-Prüfungen etc.) gen und zusätzliche tiefergehende Details mentsystem eine zunehmend wichtige Rechnung zu tragen. Die Lernplattform geklärt bzw. erarbeitet werden können. Rolle. Im Jahr 2012 nutzten ca. 30 % der BOKU learn lässt sich hierbei in vielfälti- Lehrveranstaltungen BOKU learn, für das ger Weise nutzen. In Tabelle 1 ist ein kurzer Ein besonders innovatives, neu entwickel- SS 2020 werden rund 85 % Lehrveran- Überblick über ausgewählte Aktivitäten in tes Format stellt die erste erfolgreiche staltungen erwartet (siehe Tabelle 2). Die BOKU learn sowie der Anstieg ihrer Nut- Umsetzung von virtuellen Ganz- und COVID-19-Pandemie hat hier nicht nur zu zung bisher im SS 2020 dargestellt. Halbtagesexkursionen im Bereich der einer deutlichen Steigerung der Nutzung, Bodenkunde dar. Die Exkursionen wer- sondern auch zu einer gesteigerten Kom- Durch die Anforderungen der Pandemie den um acht Uhr in der Früh mit einem plexität der Anwendungen geführt. Dies sind hier viele kreative didaktische For- gemeinsamen ZOOM-Meeting gestartet, war notwendig, um den vielfältigen An- mate entstanden, wie z. B. die Implemen- während danach die selbstständige Aus- forderungen einer ausschließlich online tierung des „Flipped classroom“-Kon- einandersetzung mit selbstgedrehten Vi- durchgeführten Lehre (vermehrte Kommu- zepts, bei dem sich die Studierenden deos zu einzelnen Exkursionsstandorten 4 BOKU Magazin 2 2020
Tabelle 1: AKTIVITÄTEN IN BOKU LEARN-KURSEN 2020 Aktivitäten in BOKU learn Aktivität Aktueller Stand Zuwachs 2020 S bislang Aufgabe 17.705 11,12 % Videokonferenz 679 475,42 % Chat 411 53,93 % Abstimmung 3.930 15,55 % Datenbank 1.458 4,37 % Feedback / Umfragen 1.046 15,45 % Forum 26.678 4,23 % Glossar 142 13,60 % Lektion 259 14,10 % INFO-BOX Online-Test 7.640 15,72 % Lernpaket 316 19,70 % u Deutlicher Anstieg von Lehrveran- Wiki 1.366 4,75 % staltungen, die BOKU learn nutzen, sowie deutliche Steigerung der Workshop (Peer Assessment) 481 8,58 % Komplexität der Anwendungen u Neue Formate für Lehrveranstal- Tabelle 2: LEHRVERANSTALTUNGEN UND BOKU LEARN-KURSE tungen und Prüfungen bei fast allen 1200 100 % Lehrveranstaltungstypen 90 % s Beispiel: Erste virtuelle Halbtags- 1000 80 % und Ganztagsexkursionen zur 70 % 800 Bodenkunde 60 % 600 50 % u Interaktive Online Fortbildungen im 40 % 400 30 % Bereich Didaktik und E-Learning 20 % u Neue BOKU-interne didaktische 200 10 % Austausch- und Vernetzungsplatt- 0 0% form „E-Learning & Didaktik-Couch“ W 3S W S W S W S W 7 S W S W S W S 12 0 1 13 014 014 015 015 016 016 01 017 018 018 019 019 020 https://learn.boku.ac.at/course/view. 20 2 2 0 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 php?id=14143 Lehrveranstaltungen BOKU learn-Kurse % tels Videos, Live-Streams, Selbsttests und Zunehmende Nutzung von BOKU learn, 2020 S wird ein Zuwachs von 10 % erwartet. Berechnungen in die Online-Lehre trans- feriert werden. Zusätzlich wird in diesen Fällen jedoch explizit darauf hingewiesen, stattfindet. Nach jedem Exkursionsstand- renden war durchwegs positiv. Eine wich- welche Kompetenzen gegebenenfalls erst ort müssen Fragen und Kommentare zum tige Grundlage für die Umsetzung der später, bei Wiederöffnung der Labors, vor jeweiligen Standort abgegeben sowie ein virtuellen Exkursionen bildeten hier vor Ort erworben werden können. Nach der- Kommentar/eine Frage der Mitstudieren- allem qualitativ hochwertige Videos zu zeitigem Stand können nach Meldung an den diskutiert bzw. kommentiert werden. den Standorten, die von Lehrenden zum und Freigabe durch das Rektorat unter Erst dann kann zum nächsten Standort Teil noch selbst bedarfsorientiert erstellt Einhaltung einer 14-tägigen Ankündi- gewechselt werden. Nach Absolvierung wurden. gungsfrist ab Anfang Juni Laborübungen aller Standorte findet wieder ein gemein- wieder abgehalten werden. sames ZOOM-Meeting statt, bei dem die Aber natürlich können nicht alle Typen Fragen und Kommentare noch einmal von von Lehrveranstaltungen digital abgehal- Vor allem die Entwicklung und Umset- den Lehrenden beleuchtet werden. Die ten werden, wie zum Beispiel Laborübun- zung digitaler Prüfungsformate stellten Halbtagesexkursionen wurden zusätz- gen. Aber auch hier konnten zum Beispiel und stellen Lehrende und Serviceeinrich- lich mit Selbstlerntests ergänzt, bei dem bei einigen speziellen laborbezogenen tungen vor große Herausforderungen. 80 % der Fragen richtig beantwortet wer- Lehrveranstaltungen nach einer gründli- Gemeinsam konnten jedoch Verfahren zur den müssen, um sich für weitere Schritte chen gemeinsamen didaktischen Analyse Identitätskontrolle sowie technisch-orga- zu qualifizieren. Die Reaktion der Studie- bestimmte Teile der Laborerfahrung mit- nisatorische Maßnahmen zur Gewährleis- BOKU Magazin 2 2020 5
IT UND INFRASTRUKTUR BIGBLUEBUTTON Das speziell für E-Learning konzipier- te Videokonferenz-System ist unter dem Namen Learn.Conference seit 2014 an der BOKU im Einsatz. Das macht die BOKU zur Pionierin auf diesem Gebiet und die BOKU-IT ge- meinsam mit dem E-Learning-Team zu begehrten Expert*innen für ande- tung der eigenständigen Erbringung der rechtlichen Bereich systematisch zu sam- re Universitäten, die im Zuge der Co- Prüfungsleistung durch die Studierenden meln, hat die Abteilung E-Learning und rona-Krise nun auch dieses Tool nut- entwickelt und erfolgreich, auch bei Groß- Didaktik eine neue BOKU-interne didak- zen. Die Teilnehmer*innen-Zahl hat prüfungen, umgesetzt werden. Nur durch tische Austausch- und Vernetzungsplatt- sich seit Beginn der Covid-19-Maß- die hohe Bereitschaft der Lehrenden, sich form „E-Learning & Didaktik-Couch“ ins nahmen an der BOKU versechsfacht. den Herausforderungen zu stellen, eine Leben gerufen. Allen Lehrenden, die sich BOKU learn umfassende bedarfsorientierte Beglei- dort selbst einschreiben können, stehen Die E-Learning-Plattform, die auf tung bei der didaktischen Planung und dort systematisch geordnete Informatio- dem weit verbreiteten Moodle-Sys- technischen Umsetzung sowie das Feed- nen zur Verfügung, Foren bieten die Mög- tem basiert, das an vielen Universitä- back der Studierenden war es möglich, lichkeit, sich austauschen und zu vernet- ten, aber auch Schulen, genutzt wird, hier erfolgreich gemeinsam die Grund- zen. Derzeit sind in die BOKU „E-Learning hat seit dem „Shut-down“ eine Ver- lagen für dieses „digitale Semester“ zu & Didaktik-Couch“ rund 300 BOKU-Leh- doppelung der gleichzeitigen Nut- schaffen, und ist somit die Grundlage rende eingeschrieben. zer*innen erlebt. für einen erfolgreichen Abschluss dieses Semesters für unsere Studierenden. Zen- Bedarfsorientierte virtuelle interaktive BEWÄLTIGUNG tral dabei war und ist in erster Linie die Fortbildungen (z. B. „Digitale Didaktik DER DATENLAWINE intensive Zusammenarbeit der Abteilung für Lehrende“, „Erste Schritte in ZOOM“, Bis zu 3 Gbit/s (1 Gigabit = 125 MB, also E-Learning und Didaktik mit dem Stu- „Digitale Didaktik/Didaktik Digital“, „Prü- z. B. 2.500 E-Mails oder 12.500 Text- diendekan, der Rechtsabteilung, den Stu- fungsfragen online“ und „Open Book Fra- nachrichten) müssen zu Spitzenzeiten dienservices und dem Vizerektorat. gen für Online-Prüfungen“) ergänzen das verarbeitet werden. Damit das mög- Angebot der Abteilung E-Learning und lich ist, reichte es nicht, einige Tera- Insgesamt kann festgehalten werden, Didaktik, um die Lehrenden bestmöglich byte (1 TB = 1 Million MB) zusätzlichen dass eine erfolgreiche Bewältigung des zu unterstützen. Speicher quasi über Nacht zur Ver- Semesters nur durch den Einsatz aller zu fügung zu stellen, dieser muss auch meistern ist. Das Engagement der Lehren- Es ist sehr wahrscheinlich, dass die digi- ausfallsicher verteilt werden. Das ist den, die enge Zusammenarbeit der unter- tale Lehre an der BOKU, auch nach der durch das seit Langem an der BOKU schiedlichen Serviceeinrichtungen und COVID-19-Krise, angesichts des derzeit etablierte Clustersystem, bei dem die deren Beitrag im direkten Support sowie gemeinsam generierten Mehrwerts in Be- Last auf mehrere Server verteilt wird, das Feedback und die Bereitschaft der zug auf Online-Inhalte und Online-Forma- und einen Open-Source-Objektspei- cher gelungen. Dabei handelt es sich Studierenden, sich auf diese Situation ein- te sowie Know-how eine weitere Entwick- um eine speziell entwickelte Software zustellen, sind dabei unerlässlich. lung erleben wird. für die Verwaltung großer Mengen an kleineren, unstrukturierten Dateien Um die vielen seit Beginn der COVID-19- LINK (wie Text-, Bild-, Tondateien unter- Pandemie gesammelten Ergebnisse und E-Learning & Didaktik-Couch schiedlicher Formate). Empfehlungen aus den Supportanfragen https://learn.boku.ac.at/course/view. https://learn.conference.boku.ac.at im didaktischen, technischen, aber auch php?id=14143 6 BOKU Magazin 2 2020
Medienstelle BOKU/Christoph Gruber „Die BOKU ist eine der wichtigsten Universitäten“ Nora Sikora-Wentenschuh, die am 1. Juli ihre Funktion als Vizerektorin für Finanzen antritt, über Unis als Orte des freien Denkens und ihre persönlichen Zielsetzungen für die BOKU. Interview: Bettina Fernsebner-Kokert und Ingeborg Sperl BOKU Magazin: Welche spontanen As- Eigentlich habe ich mit Jus begonnen, einem bestimmten Spezialgebiet fördern. soziationen haben Sie, wenn Sie an die aber mein Interesse galt immer schon den Ergänzend dazu fand ich die freien Wahl- BOKU denken? Zahlen – da schien mir Wirtschaft und fächer gut, die Aufforderung, über den Nora Sikora-Wentenschuh: Meine ers- Recht die perfekte Kombination. Meine Tellerrand zu schauen, hat mir immer im- te Assoziation war immer mein Schwa- Mutter war Professorin für Mathematik poniert. ger, der an der BOKU Lebensmittel- und und Geografie an einem Gymnasium und Biotechnologie studiert hat. Bei seiner mein Vater interner Revisor bei der Bank Wodurch ist die die BOKU für Studieren- Sponsion hatte ich im Festsaal gleich ein Austria, Zahlen liegen also wohl schon in de attraktiv? heimeligeres Gefühl als bei der damals der Familie. Viele verschiedene Fachrichtungen in schon sehr großen Wirtschaftsuniversität. einem Bereich, der gesellschaftspolitisch Besonders erinnere ich mich daran, dass Was macht für Sie eine Universität aus? sehr wichtig ist – und das in einer unfass- jede Diplomarbeit auch mit kurzen Wor- Eine Universität ist für mich ein Ort, an baren Breite. Das macht auch die Attrak- ten vorgestellt wurde, unter anderem eine, dem man freies Denken fördert. Ein Ort, tivität der BOKU aus, die zwar nach wie die sich mit der Festigkeit von Waffeln an dem man das Rüstzeug bekommt, sich vor eine Fachuniversität ist, die sich aber beschäftigt hat. Untersucht wurde neben selbst Themen zu erarbeiten und anzueig- wegen der Aktualität der Themen mittler- anderen Eigenschaften, wann eine Waffel nen, ohne ständig angeleitet zu werden. weile zu einer der wichtigsten Universitä- wirklich bricht, was mir nachhaltig in Er- Diese Art von Lernen zu lernen halte ich ten des Landes entwickelt hat. innerung geblieben ist. für ausgesprochen wichtig, um im Beruf seinen Weg gehen zu können. Eine Fä- Gibt es an der BOKU eine Studienrichtung, Was haben Sie studiert? higkeit, die mir erst an der Uni so richtig für die Sie sich entscheiden würden? Ich habe Wirtschaft und Recht an der WU vermittelt wurde. Eine Universität sollte Als zweites Studium hat mich immer Ar- studiert, ein damals ganz neues Studium. zudem eine breite Allgemeinbildung in chitektur interessiert, das habe ich auch BOKU Magazin 2 2020 7
noch begonnen, kurz bevor ich ins Be- positiv ist. Könnte das aber in Zukunft rufsleben eingestiegen bin. An der BOKU auch ein Argument für gewisse Einspa- würde daher Landschaftsplanung und rungen sein? -architektur mein Interesse wecken. Digitale Kommunikation darf nicht als Argument verwendet werden, dass ein Was haben Sie über das Fachliche hinaus Unibetrieb nur mehr digital und virtuell an der Universität gelernt? stattfindet, weil es etwa vielleicht kosten- In der späteren Phase meines Studiums günstiger wäre. Es ist dies nicht allein eine war der Zusammenhalt untereinander Kostenfrage. Ich bin grundsätzlich kein sehr wichtig für mich. Für die WU waren Freund von Extremen, weil diese selten wir im Studienzweig Wirtschaft und Recht zu etwas führen. Die Krise hat gezeigt, am Anfang sehr wenige Studierende – dass das Vorurteil, dass Menschen im etwa 200. Da gab es auch noch engen Homeoffice nichts arbeiten, nicht stimmt. Kontakt zu den Professor*innen. Wichtig Sie hat aber auch gezeigt, dass wir Men- war mir, Eigenständigkeit zu erlangen und schen nicht dafür geschaffen sind, allein ZUR PE RSON ein Netzwerk aufzubauen, Teamwork zu daheim im Kammerl zu sitzen. Man darf Nora Sikora-Wentenschuh hat nach lernen. Ich habe noch heute Kontakt zu nicht vergessen, dass viele keine Kernfa- der Matura am Gymnasium Geringer- meinen Studienkolleg*innen von damals. gasse in Wien ein Jusstudium begon- Die Phase, in der man sich ausschließlich nen. Nach zwei Semestern wechselte aufs Lernen konzentrieren konnte, war „Die Privatwirtschaft ist sie zum damals neuen Studienzweig sehr bereichernd, was mir jedoch erst gewinnorientiert, das gilt für Wirtschaft und Recht an die WU, den später so richtig zu Bewusstsein gekom- Universitäten nicht. Der sie 2007 abschloss. Im Anschluss war men ist. Ich habe nach dem Studium die sie u. a. als Prokuristin bei Deloitte Output einer Uni ist ein Steuerberatungsausbildung gemacht, die tätig und verantwortete zuletzt als berufsbegleitend ist und nicht zu verglei- völlig anderer und wird Head of Accounting and Group Tax chen mit der Zeit an der Uni. Daher habe auch anders gemessen.“ die Agenden der Finanzbuchhaltung ich vor den Studierenden, die das berufs- des Do & Co-Konzerns. Die geprüfte begleitend machen, immer höchsten Res- Steuerberaterin ist verheiratet und Nora Sikora-Wentenschuh pekt, weil das eine Zwei- bis Dreifachbe- hat ein Kind. lastung ist. Wie beurteilen Sie das Spannungsfeld zwi- milie haben. Wenn diese Leute auch noch Unternehmen hin zu einer Organisation schen den Universitäten und der Politik? auf Dauer isoliert arbeiten, kann das si- wie der BOKU besonders spannend. Dar- Bei der Frage, wie man den Output einer cher Auswirkungen haben, wenngleich es auf freue ich mich auch sehr. Der Bereich Universität misst, prallen sicher manchmal dazu noch keine expliziten Studien gibt. der Finanzen ist bis zu einem gewissen unterschiedliche Interessen aufeinander. Wenn man sich trifft, hat man eine ande- Grad vergleichbar – dieser ist in beiden Das sieht wahrscheinlich jemand, der in re Art der Kommunikation, in einer Lehr- Welten eine Art Gerüst, aber nicht der der Forschung ist, unterschiedlich zu je- veranstaltung ist der persönliche Kontakt eigentliche Sinn und Zweck. Der liegt bei mandem, der in der Lehre ist und jemand, wichtig. Man kommuniziert ja auch über einer Universität in Forschung und Lehre. der in der Politik ist, bewertet das wieder die Körpersprache. Und manches, wie anders. Daran schließt sich die Frage an, etwa Laborarbeiten, geht an einer Uni auf Was sind Ihre persönlichen Zielsetzungen wie man den Erfolg von Universitäten der Dauer auch gar nicht nur digital oder aus für die BOKU in den kommenden Jahren? Gesellschaft vermitteln kann. Das Bild der dem Homeoffice. Was die Art der digi- Mein Ziel ist es, die BOKU finanziell sta- Unis hat sich in meiner Wahrnehmung in talen Kommunikation allerdings gezeigt bil zu halten, um auch weiterhin eine gute Österreich in den vergangenen 15 Jahren hat: Es ist nicht immer notwendig, für alle Grundlage für Forschung und Lehre zu zum Positiven gewandelt, weil gesell- Meetings in Flugzeug, Bahn oder Auto zu bieten. Den Studierenden würde ich ger- schaftlich erkannt wurde, dass für ein klei- steigen. ne mitgeben, dass sie Freigeister sein sol- nes Land eine der wichtigsten Ressourcen len, die ihre Ideen weiterentwickeln und Wissen und Bildung ist. Darin muss man Welche privatwirtschaftlichen Maßstäbe umsetzen. Das ist mir persönlich ein An- langfristig investieren, um später auch Er- können nicht für Unis gelten? liegen. Etwas zu wagen, ist in unserer Ge- folge zu sehen. Die Privatwirtschaft ist gewinnorientiert, sellschaft noch immer zu wenig präsent. das gilt für Universitäten nicht. Der Output Ich möchte eine Service- und Anlaufstelle Die Coronakrise hat auch an den Universi- einer Uni ist ein völlig anderer und wird für Fragen sein und die Budgetmittel zur täten einen Schub in der Entwicklung der auch anders gemessen. Für mich persön- Verfügung stellen, um die Ziele der BOKU digitalen Kommunikation bewirkt, was lich ist diese Transformation von einem bestmöglich zu verfolgen. 8 BOKU Magazin 2 2020
Hilfe gegen Corona: BOKU stellt für die Entwicklung eines neuen Antikörpertests Infrastruktur bereit Um SARS-CoV-2 zu bekämpfen und gezieltere Maßnahmen einzusetzen, ist ein Immuntest unerlässlich. Mitte März hat sich an der Universität für Bodenkultur Wien ein Covid-19-Team zusammengefunden, um in kürzes- ter Zeit die dafür notwendigen Komponenten herzustellen. Von Reingard Grabherr und Miriam Klausberger D ie Zahl der Infizierten lässt sich BOKU/Department für Biotechnologie nicht beziffern. Was wir wissen, ist, wie viele Menschen bereits positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Die Dunkelziffer der Infizierten ist jedoch hoch, da es in 30 bis 40 Prozent der Fäl- le zu einem asymptomatischen Verlauf kommt, d. h. die Personen waren infiziert, haben aber nie Erkrankungserscheinun- gen gezeigt. Zusätzlich zu den derzeitig verwendeten PCR-Tests, die über eine akute SARS-CoV-2-Infektion Auskunft ge- ben, wird es daher immer wichtiger, auch den Immunstatus der bereits genesenen Personen zu erfassen. Einerseits, um die schützenden Antikörper zu detektieren und eine Auskunft über Protektivität bei den. Diese sind notwendig, um Antikörper stellen. Weiters beteiligten sich die BOKU einer erneuten Infektion zu geben, ande- im Blut von Patient*innen aufzuspüren. Core Facilites Biomolecular & Cellular rerseits, um die Dauer dieses Schutzes Dabei ist die Authentizität und Qualität Analysis und Mass Spectrometry an der feststellen zu können. (Reinheit) äußerst kritisch. Antigencharakterisierung. Derzeit werden solche Antikörpertests Am DBT stehen verschiedene zellbasierte PROFESSIONELLES NETZWERK auch für epidemologische Studien heran- Produktionssysteme sowie Produktions- Durch die infrastrukturelle und finanziel- gezogen. Es gibt bereits mehrere solcher prozesse in verschiedenen Maßstäben zur le Unterstützung der BOKU, den beiden Testverfahren auf dem Markt und sie wer- Verfügung. Darüber hinaus gibt es dort BOKU-Departments sowie einer Förderung den in Zukunft immer wichtiger, da sie auch auch die Expertise, komplexe virale Ober- des WWTF, der Ludwig Boltzmann-Gesell- nach einer Impfung Aussage über Wirkung flächen-Antigene in authentischer Form schaft und eines privaten Spenders konnte und Langzeitschutz geben können. herzustellen. Um schnell neue Proteine innerhalb kürzester Zeit genügend hoch- in ausreichender Menge und Qualität wertiges Material hergestellt und ausge- PROTEINE FÜR ÖSTERREICH- herstellen zu können, ist ein Zusammen- geben werden, sodass gemeinsam mit den WEITE ANTIKÖRPERTESTS wirken von Molekularbiologie, Protein Partner*innen Vetmeduni Vienna, MedUni Mitte März hat sich an der BOKU ein Co- Engineering und Bioprozesstechnik not- Wien und dem AIT ein österreichi scher vid-19-Team zusammengefunden, um wendig. Am DBT und DAGZ gemeinsam Antikörpertest zur Verfügung gestellt wer- durch sehr verlässliche Tests, deren Nach- mit dem Austrian Centre of Industrial Bio- den kann. Um dieses Projekt und die welt- produktion gesichert ist, für Österreich technology (ACIB) und dem BOKU Start- weiten Anfragen, die an der BOKU zu den einen Beitrag leisten zu können. Auf Ba- up Engenes konnten Proteine in Bakterien entwickelten Produkten eintreffen, verwal- sis verschiedener biotechnologischer Ex- (E. coli), Chinese hamster ovary-Zellen ten zu können, wurde ein zentraler point pressionssysteme, die am Department für (CHO), Human embryonic kidney-Zellen of communication mit Hilfe des BOKU Biotechnologie (DBT) und am Department (HEK) und auch in Insektenzellen und Start-ups Novasign eingerichtet. Mit einem für Angewandte Genetik und Zellbiologie Pflanzen hergestellt werden. Spezielle professionell aufgesetzten Online-Tool (DAGZ) zur Verfügung stehen, konnten Reinigungstechnologien, die am DBT und können Informationen und Anfragen von mehrere relevante SARS-CoV-2-Antigene im ACIB entwickelt wurden, dienten dazu, Interessent*innen und Helfer*innen zentral hergestellt, gereinigt und analysiert wer- qualitativ hochwertiges Material herzu- bearbeitet und verwaltet werden. BOKU Magazin 2 2020 9
Eine erwartbare Pandemie Der Virologe Florian Krammer hat an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York den ersten Covid-Immuntest entwickelt, seine Forschungsergebnisse hat der Absolvent der Biotechnologie „nach Hause“ an die BOKU geschickt. Die Corona-Pandemie kam für ihn wenig überraschend. Interview: Teresa König (am 17. April 2020) Claudia Paul | Mount Sinai Health System BOKU Magazin: Ihr Labor hat den ersten herzustellen. Diese Oberflächenproteine zustellen. Dieses Verfahren, bei dem man Corona-Immun-Test entwickelt. Wie funk- kann man dann mit Antikörpern reagieren sehr leicht herausfinden kann, wer infiziert tioniert dieser Test? lassen und an einem Patienten, der an CO- war und wer nicht, wird jetzt schon in ver- Florian Krammer: Was ich mir im Nor- VID-19 erkrankt bzw. mittlerweile wieder schiedener Art und Weise angewandt. Für malfall in meinem Labor anschaue, sind genesen ist, anwenden. Hier kann man die Forschung ist das natürlich hochinte- Interaktionen zwischen Antikörpern, also sich anschauen, wie stark diese Reaktion ressant, wenn man sich anschauen kann, im Prinzip Moleküle, die B-Zellen produ- wirklich ist. Genau das haben wir dann wie intensiv jemand reagiert, der stärker zieren, um Viren zu neutralisieren, um sie auch gemacht und einen Test entwickelt. infiziert war als jemand, der eine asymp- dann zwischen diesen Antikörpern und Es handelt sich um einen Standard-ELI- tomatische Reaktion hatte. Man kann sich den Oberflächen-Proteinen zu drapieren. SA-Test, welcher ein sehr alter Test ist und auch anschauen, wie lange diese Anti- Das machen wir für Influenza-, Hantavi- sich fachsprachlich „enzyme-linked im- körper im Blut vorhanden sind, und vieles ren und viele mehr. Das hat mich natür- munosorbent assay“ nennt. mehr. Das sind aktuell die Sachen, die wir lich auch für das Coronavirus interessiert, uns anschauen und an denen wir forschen. wo wir am 10. Jänner die Sequenz des Wir haben festgestellt, dass es bei Leuten, Virus von Kollegen der Fudan University die noch nicht mit diesem Virus infiziert Wie wird der Test in der Praxis in Shanghai, praktisch zum Download, be- waren und absolut keine Immunantwort angewendet? reitgestellt bekommen haben. Die haben gegen das Virus haben, keine Reaktion Die erste Anwendung, die wir in New York das Virus in Rekordzeit sequenziert und gibt. Anders aber bei Leuten, die schon in- gestartet haben, war, Leute ausfindig zu dann für jeden frei zugänglich gemacht. fiziert, speziell wenn die Personen wieder machen, die schon sehr hohe, starke Anti- Wir haben dann angefangen, diese Ober- am Weg der Besserung waren. Hier ist es körperantworten haben. Diese kann man flächenproteine im Labor rekombinant möglich, eine sehr starke Reaktion fest- dann bitten, Plasma zu spenden, um es 10 BOKU Magazin 2 2020
in Folge für infizierte Leute, speziell jene Sind Sie als Virologe nicht überrascht, mit schweren Infektionen, verwenden zu dass es dann nicht viel häufiger zu Virus- können. Das war die erste praktische An- ausbrüchen oder Pandemien kommt? wendung, die wir hatten. Man kann sich Ich denke, das wird oftmals von der Öf- mit diesem Test somit anschauen, wie fentlichkeit ignoriert. Beispielsweise hat viele das Virus bereits hatten, was natür- es in den letzten paar Wochen einen gro- lich eine sehr brauchbare Information ist, ßen Lassavirus-Ausbruch in Nigeria ge- um herauszufinden, wie weit verbreitet geben, und ich denke, die meisten wer- das Virus in der Population bereits ist. Wir den davon nichts mitbekommen haben. hatten in den USA ähnliche Lockdowns „Impfstoffe wird es Ich bin überhaupt nicht überrascht, dass wie in Österreich. Und da wäre die Idee es jetzt zu einer Pandemie gekommen wahrscheinlich sehr viele dahinter, nach und nach Leute wieder ins ist. Wir hatten in den letzten 100 Jahren normale Leben zurückführen zu können. verschiedene geben, jedenfalls vier Influenzapandemien, das passiert in Das sind die gängigen Anwendungsfelder hoffe ich das. Das wird der Regel alle 25-30 Jahre einmal. Ich für solche Immuntests. aber vermutlich noch würde mich anzunehmen trauen, dass bis 2021 dauern.“ es in Zukunft öfter zu Pandemien kom- Sie kooperieren mit der BOKU im Zuge men könnte. Das hat damit zu tun, dass des Immuntests? Florian Krammer wir oft Viren feststellen, die in Wildtieren Ja, ich habe meine Dissertation an der vorkommen. Wie wir wissen, zerstört der BOKU bei Reingard Grabherr geschrieben, Mensch Lebensraum und somit gibt es und nachdem wir hier die Plasmide herge- Virus, von dem wir vieles aus bisherigen mehr Kontakt mit Wildtieren. Auch gibt stellt und den Test dazu aufgesetzt haben, Coronaviren ableiten können. es mehr Kontakt mit Nutztieren. Der An- haben wir das natürlich gleich „nach Hau- stieg der Bevölkerung bietet immer mehr se“ geschickt. Reingard arbeitet daran, Es gab Gerüchte, dass SARS-CoV-2 im Reibungsfläche zwischen Menschen und diese Proteine aufzuexprimieren und hilft Labor designt wurde. Wie kann man das Tieren. Das alles erhöht natürlich die allen möglichen anderen Labors in Öster- wissenschaftlich entkräften? Chance, dass wir öfters Epidemien oder reich, den Immuntest aufzusetzen. Also das ist recht einfach zu entkräften. Es Pandemien sehen werden. existiert mittlerweile sehr viel Information, Wie sieht SARS-CoV-2 aus nachdem das SARS-Virus 2003 aufgetre- Was wird jetzt speziell gegen biologischer Sicht aus? ten ist, aufgrund der vielen Studien, die im SARS-CoV-2 angedacht? Es handelt sich um ein typisches Coro- Zuge dessen gestartet wurden. Hier wurde Medikamente sind mittlerweile in klini- navirus. Im Prinzip sind diese Coronavi- nachgeforscht, ob ähnliche Viren in Fleder- schen Studien. Da sollte es relativ bald ren für die Wissenschaft ja nichts Neues. mäusen in Südostasien oder China zirku- Ergebnisse geben. Bei einigen hat sich Neu ist natürlich, dass so ein Virus eine lieren. Diese Viren kommen normalerweise schon gezeigt, dass sie nicht funktionie- Pandemie auslöst. Das ist aber auch aus Fledermäusen. Man hat dann natürlich ren. Was jetzt wirklich übergeblieben ist nicht wirklich überraschend, denn wenn viele Viren und viele Sequenzen gefunden, an potenziellen Kandidaten, sind Rem- man sich anschaut, was 2003 mit SARS aus welchen man einen phylogenetischen desivir, das ist ein Nucleotideanalog, der passiert ist, hätte man sagen können, Baum basteln kann. Festgestellt wurde die Replikation des Virus verhindern soll. dass so etwas passieren wird. Die Viren jedenfalls, dass das SARS-CoV-2 sehr nahe Eine weitere Therapiemöglichkeit ist das an sich verhalten sich recht interessant, mit dem SARS-Virus verwandt ist. Also um Plasma von Personen, die die Erkran- denn das Virus weist nach der Infektion die Frage zu beantworten: Hier ist defini- kung bereits hatten und deswegen eine eine relativ lange Inkubationszeit, zwi- tiv nicht im Labor herumgebastelt worden. starke Antikörperantwort gegen das Vi- schen 3 und 14 Tagen, auf. Es gibt auch Das ist vereinfacht gesagt ein „Fleder- rus haben. Dazu gibt es momentan auch Fälle, wo es noch eine Woche länger dau- mausvirus“, das entweder direkt auf Men- viele Studien. Impfstoffe wird es wahr- ert. Influenzainfektionen haben hingegen schen übergesprungen ist oder einen Zwi- scheinlich sehr viele verschiedene geben, eine sehr kurze Inkubationszeit. Das Vi- schenwirt hatte, was durchaus möglich ist. jedenfalls hoffe ich das. Das wird aber rus schlägt sehr schnell zu und man ist Das war beispielsweise 2003 mit SARS der vermutlich noch bis 2021 dauern. Ich neh- sofort krank, erholt sich aber dann auch Fall, wo eine Zibetkatze der Auslöser war. me auch an, dass China möglicherweise relativ schnell wieder. Bei SARS-CoV-2 Jedoch glaube ich, brauchen wir bei diesen ein bisschen früher einen Impfstoff ha- kann man feststellen, dass Patienten Viren nicht wirklich „Bioterroristen“, die das ben wird. Ich denke, bis es in Europa und manchmal wirklich ein Monat lang oder im Labor zusammenbasteln. Die Natur ist Nordamerika einen Impfstoff gibt, kann auch länger krank sind, und es sehr lan- wirklich der größte „Bioterrorist“, den wir das schon bis ins erste Quartal 2021 an- ge dauert, bis man sich wirklich wieder kennen. Es schwirren wahrscheinlich Hun- dauern. erholt hat. Es ist aber wichtig zu wissen, derte oder Tausende ähnliche Viren in der dass es kein komplett neues Virus ist, Natur umher, speziell in Südostasien, die Mehr zur Person Florian Krammer im welches wir nicht verstehen, sondern ein sowas jederzeit wieder auslösen könnten. Alumni-Teil des Magazins, Seite 12. BOKU Magazin 2 2020 11
Wer was über Eiweiß weiß Proteine werden an der BOKU von zahlreichen Gruppen und aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln be- forscht. Die Forschungsarbeiten von Eva Stöger und Chris Oostenbrink gehören dazu – und bekommen in Zeiten von COVID-19 besondere Relevanz. Von Georg Sachs Menschliches ACE2-Protein (Magenta) und das SARS-CoV-2- Spike-Protein (Grün). Glykane sind in Pink und Gelb angegeben. D as Coronavirus SARS-CoV-2 hat Ansatzpunkte gibt es daher für Impfstof- BOKU mitwirken. Chris Oostenbrink und uns in den vergangenen Monaten fe und Arzneimittel – und wie stellt man Eva Stöger sind zwei davon. viele Aufgaben gestellt: Woher diese dann her? Beinahe alle biowissen- stammt es und warum ist es plötzlich hu- schaftlichen Disziplinen sind an einem Die erste Wechselwirkung von SARS- manpathogen geworden? Welche mole- umfassenden wissenschaftlichen Pro- CoV-2 mit humanen Zellen erfolgt zwi- kularbiologischen Mechanismen benutzt gramm beteiligt, das diese Fragen klären schen dem Spike-Protein an der Außen- es für seine Vervielfältigung und wie ver- soll. Seit dem ersten Auftreten des Virus seite des Virushülle und dem Rezeptor ursacht es dabei jene epidemisch auf- Ende Dezember 2019 wurden enorme Ak- ACE2, der an der Membran bestimmter tretende Atemwegserkrankung, die den tivitäten rund um den Globus entfaltet, an Zelltypen ausgeprägt wird. „Es gibt ex- Namen COVID-19 bekommen hat? Welche denen auch zahlreiche Forscher*innen der perimentelle Daten, die darauf hinweisen, 12 BOKU Magazin 2 2020
dass die Bindung zwischen ACE2 und Stöger, Professorin am Institut für Pflan- dem Spike-Protein des Virus nicht optimal zenbiotechnologie und Zellbiologie der ist – die Zuckerreste sind im Weg“, erklärt BOKU. Chris Oostenbrink, Professor für Moleku- lare Modellierung und Simulation an der Um diese herzustellen, haben sich Wis- BOKU. Wie an die meisten Proteine sind senschaftler*innen des Departments für auch an ACE2 und Spike zahlreiche Koh- Biotechnologie und des Departments für lenhydrat-Moleküle gebunden, die ihre Angewandte Genetik und Zellbiologie, Struktur und Funktion wesentlich mitbe- dem auch Stögers Institut angehört, zu- stimmen – man spricht auch vom Glykosy- sammengetan: „Da sind alle dabei, die ein lierungsmuster. „Es sind bereits zahlreiche bestimmtes Expressionssystem zur Ver- Daten zur Struktur dieser beiden Proteine fügung haben, um Proteine zu erzeugen“, erarbeitet worden, aber die Glykosylie- sagt Stöger. Bei den Arbeitsgruppen in rung ist dabei nicht berücksichtigt. Dabei ihrem Institut sind das vor allem Pflanzen sitzen oft ganze Bäume an Zuckerresten „Es gibt experimentelle Daten, der Art Nicotiana benthamiana, einer Ver- auf ihnen drauf. Wir analysieren, wie diese die darauf hinweisen, dass die wandten des Tabaks. „Es handelt sich hier die Wechselwirkung zwischen Virus und Bindung zwischen ACE2 und nicht um stabil transgene Pflanzen, die Zelle beeinflussen“, sagt Oostenbrink. dem Spike-Protein des Virus das artfremde Protein dauerhaft erzeugen würden“, sagt Stöger, „wir verwenden viel- nicht optimal ist – die Zucker- Mit „analysieren“ ist dabei das Anwenden mehr eine Methode, die sich Agroinfiltra- molekulardynamischer Simulationen ge- reste sind im Weg. Es sind tion nennt“. Dabei fungieren Bakterien der meint. An Oostenbrinks Institut sind kei- bereits zahlreiche Daten zur Gattung Agrobacterium als Überträger ne Labors und keine spektroskopischen Struktur dieser beiden Protei- von Genen auf die Pflanze, die das ge- Großgeräte zu finden. Sein Team arbeitet ne erarbeitet worden, aber die wünschte Biomolekül nur vorübergehend mit Algorithmen. Es simuliert die Bewe- („transient“) erzeugt. Im Vergleich zum Glykosylierung ist dabei nicht gung der Bausteine von Biomolekülen un- Einsatz gentechnisch veränderter Pflanzen ter denjenigen Kräften, die diese Moleküle berücksichtigt. Dabei sitzen oft führt eine solche Vorgehensweise schneller zusammenhalten oder Wechselwirkungen ganze Bäume an Zuckerresten zu größeren Mengen an Proteinen. zwischen ihnen bewirken. „Biomoleküle auf ihnen drauf. Wir analysieren, stehen nie still, sie sind ständig in Bewe- wie diese die Wechselwirkung Diese Vorgehensweise ist ein Beispiel für gung. Wie sie sich unter dem Einfluss be- einen wissenschaftlichen Ansatz, der mit zwischen Virus und Zelle stimmter Kraftfelder bewegen, untersu- dem Begriff „Molecular Farming“ bezeich- chen wir in der Molekulardynamik“, sagt beeinflussen.“ net wird. Dabei werden Pflanzen als Vehi- Oostenbrink. kel zur Herstellung von Proteinen verwen- Chris Oostenbrink det, wie sie in Pharmazie, Diagnostik oder Das gilt auch für die Zuckermolekü- industrieller Produktion benötigt werden. le, die an den ACE2-Rezeptor und das „Wir haben auch schon früher diagnos- Spike-Protein gebunden sind. Beson- PFLANZEN ALS PROTEIN-FABRIK tische Reagenzien mithilfe von Pflanzen dere Relevanz erhalten diese Studien Arzneimittel wie das von Apeiron kom- erzeugt, aber ebenso pharmazeutische durch die Zusammenarbeit Oostenbrinks men zur Anwendung, wenn jemand be- Wirkstoffe oder Vakzine“, sagt Stöger. mit einem Forscherteam rund um Josef reits an COVID-19 erkrankt ist und ein Viele pflanzliche Zellen bilden Speicheror- Penninger. Das von dem heute in Kana- schwerwiegender Verlauf droht. Vielfach ganellen für Proteine (so genannte „Pro- da tätigen Forscher gegründete Wiener läuft die Krankheit aber mit sehr leichten tein Bodies“) aus, die natürlicherweise der Startup-Unternehmen Apeiron hat eine Symptomen ab. Um aber festzustellen, ob Anreicherung benötigter Substanzen die- wasserlösliche Form des ACE2-Rezeptors jemand bereits infiziert war und daher Im- nen, beispielsweise um Keimlinge zu ver- entwickelt, die als Arzneimittelkandidat munität gegen das Virus aufweist, bedarf sorgen. Bringt man auf künstlichem Wege gegen COVID-19 getestet wird. „Unsere es Tests, die die spezifisch gegen SARS- rekombinante Proteine in den Organis- Hypothese ist, dass man die Glykosylie- CoV-2 gebildeten Antikörper im Blut des/ mus ein, sammeln sie sich ebenfalls dort rung des löslichen ACE2 so optimieren der Patient*in nachweisen. An dieser an. Diese pflanzlichen Strukturen könnten kann, dass es leichter an das Virus bindet Aufgabe wirken derzeit auch viele For- sogar Prinzip neuartiger Darreichungs- als das Rezeptorprotein und damit das scher*innen an der BOKU mit. „Um solche formen pharmazeutischer Proteine sein: Andocken und Eindringen in die mensch- Tests zu entwickeln, braucht man Reagen- „Wir haben Impfstoffe in Proteinkörper lichen Zellen verhindert“, erklärt Oosten- zien, vor allem Antigene – also jene Virus- eingebettet und damit im Mausmodell brink die Zielrichtung der gemeinsamen proteine, gegen die das Immunsystem die eine sehr gute Immunantwort erzielt“, be- Forschungsarbeit. Antikörper gebildet hat“, erklärt dazu Eva richtet Stöger. BOKU Magazin 2 2020 13
ZÜRICH, AMSTERDAM, mit dem untersuchten Protein bildet. NORWICH, AACHEN Komplizierter sind die Verhältnisse bei Dass sie auf dieses Forschungsfeld kam, Protein-Protein-Wechselwirkungen. „Ein war für Stöger nicht von Anfang an vor- Ansatz, den man dafür verwendet, ist, die gezeichnet. „Ich habe in Salzburg Biolo- Proteine gleichsam auseinanderzuziehen gie mit Schwerpunkt Genetik studiert und und die dabei auftretenden Energieunter- dann in Wien dissertiert“, blickt die Wis- schiede zu berechnen“, sagt Oostenbrink. senschaftlerin zurück: „Dann wollte ich in Basis für die meisten Methoden ist dabei die Welt hinausgehen.“ Nach einer Station die klassische Newtonsche Mechanik, nur in Florida kam sie am John Innes Centre in Einzelfällen kommen auch quantenme- in Norwich (UK) erstmals mit dem The- chanische Ansätze zum Tragen. „Gemein- ma Molecular Farming in Berührung. Ein sam mit Christian Obinger vom Institut Forschungspreis der Humboldt-Stiftung für Biochemie haben wir Häm proteine ermöglichte ihr danach, dieses Thema an untersucht. Da wird das Metallzen- der RWTH Aachen auszubauen. Von dort „Um die Produktion und trum quantenmechanisch betrachtet, al- wurde sie 2009 an die BOKU berufen. Speicherung von pflanzlichen les rundherum aber mit klassisch-mecha- „Pflanzen sind ein sehr interessantes For- Proteinen zu verstehen, ist sehr nischen Ansätzen.“ schungsgebiet, das nicht so groß ist, wie viel an Grundlagenforschung es sein könnte. Schließlich sind sie ganz Auch im Forschungsteam von Eva Stö- erforderlich. In den vergan- wichtige Lebensgrundlagen für den Men- ger wird eine Vielzahl unterschiedlicher schen“, gibt Stöger ihre Begeisterung für genen Jahren sind dazu Methoden angewandt. „Um die Produk- ihr Fachgebiet weiter. Methoden des Genome Editing tion und Speicherung von pflanzlichen gekommen, mit denen Gene Proteinen zu verstehen, ist sehr viel an Eine solche Leidenschaft ist auch Oos- gezielt ausgeschaltet werden Grundlagenforschung erforderlich“, sagt tenbrink anzumerken, wenn er über sei- die Genetikerin. Von besonderem Interes- und die hervorgerufenen ne Forschung spricht. Nach Studien der se ist dabei das System von Membranen, Pharmazeutischen Wissenschaften und Veränderungen beobachtet das die pflanzliche Zelle in Kompartimen- theoretischen Chemie in den Niederlan- werden können.“ te teilt und Transport- und Speicherorga- den vertiefte er sich im Rahmen seiner nellen ausbildet. Zu dessen Untersuchung Dissertation an der ETH Zürich in die Eva Stöger steht die ganze Bandbreite von Mikro- physikalisch-chemischen Grundlagen der skopie-Methoden ebenso zur Verfügung molekularen Simulation. Mit diesem Rüst- wie genetische Techniken und ausgefeil- zeug ausgestattet, kehrte er an die Freie te Proteinanalytik. „In den vergangenen Universität Amsterdam zurück und baute Jahren sind dazu Methoden des Genome dort eine eigene Gruppe auf, die sich mit Editing gekommen, mit denen Gene ge- computerunterstützter Toxikologie be- zielt ausgeschaltet werden und die her- schäftigte. „Nach vier Jahren war es Zeit, vorgerufenen Veränderungen beobachtet sich nach etwas Neuem umzuschauen“, werden können“, ergänzt Stöger. erzählt der Forscher. Dass an der BOKU eine Stiftungsprofessur des Wiener Wis- Neben dem aktuellen Bezug zu Diagnos senschafts-, Forschungs- und Techno- tik und Therapie von COVID-19 verbin- logiefonds auf dem Gebiet der Modellie- det Stöger und Oostenbrink auch das rung von Biomolekülen ausgeschrieben PhD-Programm „BioToP“ (Biomolecular war, kam da gerade recht. „Ich habe mich Technology of Proteins), in dem von der an der BOKU von Anfang an sehr will- Struktur-Funktions-Analyse über die Pro- kommen gefühlt. Es gibt viele Leute hier, duktion in entsprechenden Expressions- die an sehr interessanten Proteinen for- systemen bis hin zu Computermodellie- schen“, meint Oostenbrink. terschiede in der Freien Energie zwischen rung und Bioinformatik alle Disziplinen molekularen Strukturen zu berechnen.“ rund um Proteine versammelt sind. Stö- EIN WAHRER METHODENSCHATZ Ein Beispiel dafür ist das Andocken von ger: „Es ist wirklich ein Highlight, dass es FÜR DIE PROTEINFORSCHUNG kleinen Molekülen an Proteinstrukturen hier gelungen ist, so viele BOKU-Gruppen Der Wissenschaftler wendet das ganze („molekulare Erkennung“). Dabei wer- miteinander zu vernetzen.“ Repertoire an Simulationsmethoden an, den strukturell verwandte Verbindungen die sein Team auch selbst weiterentwi- betrachtet und verglichen, welche davon Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift ckelt: „In vielen Fällen geht es darum, Un- einen energetisch günstigen Komplex Chemiereport/Austrian Life Sciences. 14 BOKU Magazin 2 2020
Rückgang der NO2-Belastung in Zeiten von Corona MESSUNGEN DES INSTITUTS FÜR METEOROLOGIE UND KLIMATOLOGIE ERGABEN UM BIS ZU 40 PROZENT NIEDRIGERE WERTE N ur wenige Wochen nach dem Be- ckelt wurden, hat Schreier mit nationalen schungsverhältnisse zwischen Standort ginn des Lockdowns in Wuhan Partner*innen von der Veterinärmedizi- BOKU und Südosttangente in den unters- wurden erste Satellitenbilder ver- nischen Universität Wien und der A1 Te- ten Luftschichten (< 250 m) abgeleitet öffentlicht, die eindrucksvoll den Rück- lekom im Zuge eines FWF-Projekts rund werden. Wir haben Messdaten aller Werk- gang der Konzentration von Stickstoff um die inneren Bezirke Wiens positioniert. tage seit Inkrafttreten der Ausgangsbe- dioxid (NO2) über Ost-China zeigten. „Die Messgeräte nehmen Spektren in zwei schränkungen (16. März 2020) bis Karfrei- Diese Reduktion ist auf die Beschränkung verschiedenen Konfigurationen auf. Einer- tag (10. April 2020) ausgewertet und mit von Aktivitäten in der Industrie sowie seits werden horizontale Blickrichtungen in Daten der Vergleichszeiträume der Jahre des Verkehrs zurückzuführen, erlassen unterschiedlichen Azimutalwinkeln (Anm. 2018 und 2019 verglichen“, so Schreier. mit dem Ziel, das öffentliche Leben auf d. Red.: Horizontalwinkel, in waagerechter Das Gesamtergebnis zeigt, dass es heuer das Allernotwendigste herunterzufahren Ebene gemessene Winkel) realisiert, ande- eine deutliche Reduktion der mittleren und so die Coronavirus-Pandemie einzu- rerseits sind es Blickrichtungen nach oben NO2-Mischungsverhältnisse über den in- dämmen. Ähnliche Bilder gab es auch für unter verschiedenen Elevationswinkeln, neren Bezirken Wiens gab. So ergeben Norditalien, das ebenfalls sehr stark von die das Teleskop nacheinander abscannt“, sich im Vergleich zu 2019 Abnahmen über Covid-19 betroffen war. erklärt Schreier die Messgeometrie. dem Stadtzentrum von rund 40 % bei vor- herrschender Windrichtung Südost und Einen Rückgang der NO2-Belastung in Fol- RICHTUNG ZENTRUM rund 30 % bei Nordwest. ge der Ausgangsbeschränkungen konnte Seit 2017 nimmt eines der drei MAX- ein Team um Stefan Schreier vom Institut DOAS-Instrumente auf der Messplattform Neben den Analysen zur Veränderung für Meteorologie und Klimatologie der des Schwackhöferhauses Streulichtspek- der NO2-Belastung in Wien widmet sich BOKU auch für Wien nachweisen – mittels tren im UV und sichtbaren Spektralbe- das Institut auch einer gesamtheitli- bodengebundener Fernerkundung. Das reich auf. Die gemessenen Spektren aus chen Betrachtung der Luftgüteverände- MAX-DOAS Messverfahren, kurz für Multi den niedrigsten Elevationen werden zur rung während des Corona-Lockdowns in AXiale Differentielle Optische Absorp- Ableitung mittlerer NO2-Mischungsver- Österreich. Hierzu koordiniert das Team tions-Spektroskopie, bei dem das atmo- hältnisse entlang der horizontalen Licht- um Prof. Harald Rieder eine Studie mit sphärische Streulicht von einem beweg- wege herangezogen. Die Lichtweglängen Kolleg*innen der TU Wien, ZAMG, des lichen Teleskop eingesammelt und über schwanken dabei je nach Aerosolgehalt, Umweltbundesamtes sowie Referent*in- ein Lichtleiterkabel in ein Spektrometer Jahreszeit und Spektralbereich zwischen nen der Bundesländer, welche neben NO2 geleitet wird, liefert Informationen über 5 und 20 Kilometern. „Eine dieser Azi- auch Veränderungen in der Ozon- und die troposphärische NO2-Säule, nur eben mut-Richtungen haben wir so gewählt, Feinstaubbelastung berücksichtigt und vom Boden aus. Drei solcher Instrumen- dass das Teleskop in Richtung Stadtzen- den Einfluss von meteorologischen Be- te, die von den Projektpartner*innen vom trum blickt“, sagt Schreier. So können dingungen und Emissionsreduktionen zu Bremer Institut für Umweltphysik entwi- aus den UV-Spektren mittlere NO2-Mi- quantifizieren versucht. KONTAKT Mittlere NO2-Mischungsverhältnisse Ing. Mag. Dr. Stefan Schreier Projektleiter VINDOBONA 8 Institut für Meteorologie 6 und Klimatologie stefan.schreier@boku.ac.at [ppb] 4 LINKS 2 2020 2020 Projekt-Webpage 2018 2018 2019 2019 www.doas-vindobona.at 0 SE NW Instituts-Wetterstation Windrichtung https://meteo.boku.ac.at/wetter/ aktuell BOKU Magazin 2 2020 15
Auswirkungen der COVID-19- Pandemie auf die Umwelt in Österreich Das Frühjahr 2020 war weltweit geprägt durch die Ausbreitung von COVID-19. Während die Viruserkrankung im Jänner und Februar hauptsächlich zu Auswirkungen in China und Südostasien führte, verbreitete sich die Erkrankung ab Anfang März rasant in Europa und dann weiter auf dem ganzen Globus. Von Herbert Formayer N eben den gesundheitlichen Aus- ALLE FAHRZEUGE LKW (> 3.5 t) wirkungen, deren Ausmaß erst Werktags Wochenende Werktags Wochenende dann abschließend bewertet wer- den kann, wenn ein Impfstoff zur Ver- 2019 214.295 162.674 16.335 2.193 fügung stehen wird, wurden zum Schutz 2020 155.531 81.542 13.012 1.718 vor der Ausbreitung der Viruserkrankung weltweit Maßnahmen gesetzt, welche Änderung -27 % -50 % -20 % -22 % weitreichende Folgen zeitigen. Sicherlich Tabelle 1: Verkehrszahlen im April 2019 und 2020 auf der Wiener Südosttangente. sind die negativen Auswirkungen auf die (Zählstelle A23 Donauinsel, Fahrzeuge pro 24 Stunden). Datenquelle ASFINAG1 Weltwirtschaft und der damit verbundene Anstieg der Arbeitslosigkeit der gravie- rendste Effekt, aber der so genannte Lock- etwa die Meldung die Runde, down wirkt sich auch vielfältig auf unsere dass man in Teilen des Punjab Arbeitswelt (Homeoffice etc.) und gene- in Indien das erste Mal seit 30 rell auf unser Sozialverhalten (Social Dis- Jahren wieder den Himalaya tancing) aus. Neben diesen überwiegend gesehen hat. Aber nicht nur negativen Auswirkungen der Coronakrise, in Indien, auch bei uns kam es gibt es aber auch positive Wirkungen, wel- zu einer deutlichen Verbesse- che vor allem die Umwelt betreffen und rung der Luftqualität. In Ab- auf diese möchte ich hier näher eingehen. bildung 1 sind Satellitenmes- sungen von Stickstoffdioxid Eine zentrale Maßnahme des Lockdowns (NO2)-Konzentrationen über weltweit war die Eindämmung der Mobi- Österreich von Mitte März bis lität der Menschen. Dies führte nicht nur Mitte April für die Jahre 2019 zu einem starken Rückgang der Nutzung und 2020 dargestellt. Man von öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern erkennt sehr deutlich die Ab- auch des motorisierten Individualverkehrs nahme der Konzentrationen – sprich dem Auto. Vergleicht man etwa in den großen Ballungszen die Anzahl der Fahrzeuge auf der Südost- tren, aber etwa auch im Inntal. tangente in Wien – der am stärksten be- Auswertungen von boden- fahrenen Autobahn Österreichs – im April gestützten Messungen der 2020 mit April 2019 (siehe Tabelle 1), so BOKU2 in Wien ergeben eine waren 2020 an Werkstagen etwa 27 % we- Reduktion der NO2-Konzen- niger Fahrzeuge unterwegs als 2019, am Abbildung 1: Messungen des NO2-Säuleninhaltes trationen über dem Wiener Wochenende beträgt der Rückgang sogar [µmol/m²] durch den Satellit Sentinel 5p von Mitte Stadtkern von rund 40 % an 50 %. Beim Lkw-Verkehr ist der Rückgang März bis Mitte April 2019 (unten) und 2020 (oben). Werkstagen mit Südostwind, nicht so stark ausgeprägt und erreicht so- Man erkennt deutlich die niedrigeren NO2-Konzentra- also Schönwettertagen (siehe tionen 2020 in den Ballungsräumen. (Quelle ZAMG3) Beitrag Seite 15). Das Institut wohl unter der Woche als auch am Wo- chenende etwa 20 %. Dies liegt einerseits für Meteorologie und Klimato- daran, dass auch während der Krise eine Nun ist aber der Verkehr ein wesentlicher logie koordiniert zurzeit auch eine öster- Versorgung der Bevölkerung notwendig Verursacher von Luftschadstoffen, vor al- reichweite Analyse der Auswirkungen der war, andererseits aber sicherlich daran, lem Stickoxiden und Feinstaub. Eine der- COVID-19-Maßnahmen auf die Luftgüte dass die Europäische Union großen Wert art drastische Reduktion des Verkehrs- unter Beteiligung von Umweltbundesamt, darauf legte, den freien Warenverkehr in- aufkommens muss sich daher auf die ZAMG, TU Wien und einzelnen Bundes- nerhalb von Europa zu gewährleisten. Luftqualität auswirken. Mitte März machte ländern. 16 BOKU Magazin 2 2020
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