BOKU - RÜCKBLICK REKTORAT GERZABEK TULLN

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BOKU - RÜCKBLICK REKTORAT GERZABEK TULLN
BOKU
DAS MAGAZIN DER UNIVERSITÄT DES LEBENS
                                          Nr. 4 | Dezember 2017
                                                 ISSN: 2224-7416

RÜCKBLICK
REKTORAT GERZABEK

PORTRÄT                         TULLN     REISEBERICHT
LANDSCHAFTSPLANER            IMMUNSERUM            AUS
ANDREAS MUHAR                 GEGEN HIV      ÄTHIOPIEN
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INHALT

                                                 Martin Gerzabek
3    Rektor Gerzabek nimmt Abschied
4    Unser Landschaftsplaner Andreas Muhar
8    Die BOKU auf Besuch in China
10   Internationales Stör-Symposium
12   Donatella Tesei über die
     wunderbare Welt der Pilze
13   Immunserum gegen HIV-Viren
14   Bioplastiksackerln in den Biomüll?
16   Forschungsaufenthalt in Äthiopien
20   Alles WalDzer! Der Boku-Ball 2018
21   Die BOKU-Versuchswirtschaft

                                                                   8     10
     Groß-Enzersdorf
22   Splitter
25   Ethische Fragestellungen in

                                                                              Pierre Ellssel
     Forschungsprojekten
26   Strategische Kooperation mit
     dem Umweltbundesamt
32   Woman Science Circle
33   Innovation Award
34   H2020-Projekte
35   Women Exchange for Disaster
     Risk Reduction
36   BOKU Start-up Tag

37   2009–2017 REKTORAT GERZABEK
38   Prosperierender Standort Tulln
39   Das Zentrum für Lehre: Allround-Service
42   Spezialisierung, Professionalisierung und
     Vernetzung: Der Forschungsservice
                                                                   16
43   Der Standort Muthgasse damals und heute

                                                                              Haroun Moalla
44   Personalmanagement:
     Eine stetige Entwicklung
46   Personalentwicklung: Wie Karriere
     machen an der BOKU?
47   Qualitätsmanagement und -sicherung
48   Ein professoraler Blick auf die BOKU
49   Der Weg zur Professur
50   Lebenslanges Lernen: Wie weiterbilden?
52
53
     Internationale Highlights
     Die Ethikplattform als Motor für
                                                                   38   39
     spannende Diskurse
54   Wein - und Obstbau:
     Aufregende zehn Jahre!
55   Große Veränderungen in der IT
56   Rechnungswesen, Controlling
     und SPA: Ein Rückblick
58   Die BOKU ist barrierefrei!
59   Kinder an die Macht: Die KinderBOKU
60   Feste feiern, wie sie fallen:
     Das Veranstaltungsservice
                                                                   47    59
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EDITORIAL

                                                                                                                                                                                                Robert Newald
                                                                                                                                                        MARTIN H. GERZABEK
u EIN ABSCHIED UND EIN NEUANFANG                                                                                                                        Rektor

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde der BOKU!

F
      ür den Großteil des Rektorates ist Ende Jänner nun die                                     vergangenen Jahren gemeinsam vorangetrieben und die BOKU
      Zeit gekommen, Abschied von der ausgeübten Funktion                                        als ihre Aufgabe gesehen haben. Persönlich danke ich vor allem
      zu nehmen – nicht aber von der BOKU. Das vorliegende                                       meinen RektoratskollegInnen sowie dem Büro des Rektorates
Heft ist einem Rückblick auf die letzten ca. acht bis zehn Jahre                                 und den Stabsstellen für die vielen Initiativen und die exzellente
gewidmet. Daher möchte ich an dieser Stelle keine Details über                                   Zusammenarbeit. Die vergangenen Jahre waren nicht immer ein-
die Entwicklung der BOKU in dieser Zeit sagen – außer, dass sich                                 fach, und einige kleinere und größere Probleme mussten über-
die BOKU in allen Kennzahlen prächtig entwickelt hat, in der                                     wunden werden. Dabei zeigte sich immer wieder der viel gelobte
Studierendenzufriedenheit in Österreich an erster Stelle steht,                                  BOKU-Geist, das Zusammenstehen in schwierigen Situationen,
im Green Metric World University Ranking an 6. (von 516 Uni-                                     das exzellente Zusammenwirken von Studierenden, Lehrenden,
versitäten) und im QS World University Ranking by Subject im                                     administrativem Personal und den Leitungsgremien – ein un-
Bereich Land- und Forstwirtschaft an 35. Stelle. Seit 2009 sind                                  glaubliches Asset, auf das die BOKU stolz sein kann.
ca. 55 Berufungen gelungen, die Standortsinfrastruktur wurde
massiv quantitativ und qualitativ verbessert, die Finanzen sind                                  Mit der neuen Rektoratsperiode ab 1. Februar und der neuen
auf soliden Beinen und die Internationalisierung hat durch die                                   Amtsperiode des Universitätsrates ab 1. März 2018 steht für die
elf englischsprachigen Masterstudienprogramme einen Sprung                                       BOKU in einigen Bereichen ein Neuanfang an. Das scheidende
gemacht.                                                                                         Rektorat wünscht dem neuen Rektor, Univ.Prof. DI Dr. Hubert Ha-
                                                                                                 senauer, und seinem exzellenten Team alles erdenklich Gute, viel
All dies ist das Verdienst von sehr vielen, Lehrenden und For-                                   Erfolg an der und für die BOKU, sowie jene Unterstützung, auf
schenden, den Studierenden, den Serviceeinrichtungen, den                                        die auch wir schon bauen konnten.
EhrenträgerInnen, den Leitungsgremien Universitätsrat und Se-
nat: also aller BOKU-Angehörigen und natürlich auch unserer                                      Mit den besten Wünschen für ein gesegnetes Weihnachtsfest
Partnerinstitutionen, den einschlägigen Fachministerien und den                                  und ein gutes, erfolgreiches und gesundes neues Jahr verbleibt
Landesregierungen – vor allem von Wien und Niederösterreich,
den KooperationspartnerInnen und Förderinstitutionen. Für                                        Ihr
die stete und langjährige Unterstützung dankt das scheidende
Rektorat allen herzlichst, die die Entwicklung der BOKU in den

IMPRESSUM: Medieninhaberin und Herausgeberin: Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Gregor-Mendel-Straße 33, 1180 Wien. Chefredaktion: Michaela
Klement, Redaktion: Hermine Roth, Ingeborg Sperl AutorInnen: BOKU ÖH, Margarita Calderon-Peter, Thomas Christen, Doris Damyanovic, Elisabeth Denk, Eugenio
Diaz-Pinez, Thomas Dirnböck, Pierre Ellssel, Astrid Forneck, Martina Fröhlich, Britta Fuchs, Martin Gerzabek, Reinhard Grabherr, Thomas Guggenberger, Klaus
Hackländer, Andrea Handsteiner, Michael Hein, Simon Huber, Angela Jeitler, Benjamin Klappoth, Bernhard Koch, Rudolf Krska, Elisabeth Laa, Melanie Löffler, Michael
Mirtl, Gerhard Moitzi, Maria Papathoma-Köhle, Carina Pappenreiter, Christina Paulus, Florian Pletterbauer, Marion Ramusch, Alarich Riss, Georg Sachs, Ruth Schei-
ber, Andreas Schildberger, Susanne Schneider-Voß, Hanni Schopfhauser, Ingeborg Sperl, Philipp Steiner, Bernhard Wallisch, Martin Walpot, Karin Weber, Susanna
Wernhart, Sophie Zechmeister-Boltenstern Lektorat: Susanne Hartmann Grafik: Patricio Handl. Coverfoto: Thomas Guggenberger Druck: Druckerei Berger Auflage:
8.500 Erscheinungsweise: 4-mal jährlich Blattlinie: Das BOKU Magazin versteht sich als Informationsmedium für Ange-               UZ24                            Dieses Produkt stammt aus
hörige, AbsolventInnen, Freundinnen und Freunde der Universität für Bodenkultur Wien und soll die interne und externe             „Schadstoffarme                 nachhaltig bewirtschafteten
Kommunikation fördern. Namentlich gekennzeichnete Artikel geben die Meinung der Autorin oder des Autors wieder und                Druckerzeugnisse“               Wäldern und kontrollierten
                                                                                                                                  UW 734                          Quellen
müssen mit der Auffassung der Redaktion nicht übereinstimmen. Redaktionelle Bearbeitung und Kürzung von Beiträgen
aus Platzgründen vorbehalten. Beiträge senden Sie bitte an michaela.klement@boku.ac.at                                                              PEFC/06-39-12

          BOKU Magazin 4 2017
                                                                                                                                                                                            3
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WISSEN HAT
     VIELE GESICHTER

Die Beziehung zwischen Mensch und Natur hat viele Facetten: Begegnung zwischen Wanderer und Weidevieh auf einer Kärntner Alm

Andreas Muhar ist Professor für Nachhaltige Landschaftsentwicklung, Transdisziplinarität und Wissensin-
tegration an der BOKU. In seiner Forschungsarbeit interessiert er sich vor allem für die Schnittstelle zwi-
schen natürlichen und sozialen Systemen und nutzt dazu Wissen aus wissenschaftlichen und nichtwissen-
schaftlichen Quellen.                                                 Von Georg Sachs, Fotos: Andreas Muhar

V
         or Kurzem hat eine an der BOKU       be sich bereits ein Erwartungspotenzial    gebnis an die Öffentlichkeit getragen. Die
         verfasste Studie öffentliche Auf-    von 4,2 Terawattstunden pro Jahr, das      Lorbeeren fallen aber Boris Salak zu, der
         merksamkeit erzielt: Studienautor    entspricht dem durchschnittlichen Jah-     bei uns gearbeitet und nun an die Schwei-
Boris Salak kommt darin zum Schluss,          resstrombedarf von 1,4 Millionen Elek-     zer Forschungsanstalt für Wald, Schnee
dass ein großer Teil des für die Elektromo-   troautos. Andreas Muhar, Professor am      und Landschaft gewechselt hat“, so Mu-
bilität benötigten Stroms durch Photovol-     Institut für Landschaftsentwicklung, Er-   har. Gleichwohl fügt sich die Thematik
taik-Anlagen auf Großparkplätzen erzeugt      holungs- und Naturschutzplanung, unter     gut in ein Forschungsfeld ein, das Muhar
werden könnte. Geht man beispielsweise        dessen Ägide die Studie verfasst wurde,    in den vergangenen Jahren intensiv bear-
davon aus, dass nur 50 Prozent der Park-      zeigt sich bezüglich seiner Beiträge be-   beitet hat: Wie kann die Erzeugung und
platzflächen mit Paneelen zur Erzeugung       scheiden: „Ich war Mentor, habe auch ge-   Nutzung von erneuerbarer Energie in der
von Solarstrom überdacht würden, ergä-        dankliche Beiträge geleistet und das Er-   Landschaftsplanung      Berücksichtigung

                                                                                                          BOKU Magazin 4 2017
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Photos: Andreas Muhar
Bagger für den Braunkohlenabbau in der Lausitz, Deutschland

finden? Ging es dabei zunächst um die           auf die Entwicklungen der Landschaft           fahrungswissen, das Menschen aufgrund
landschaftliche Einbettung von Wasser-          blickt: „Mich interessiert die Schnittstelle   ihrer beruflichen Tätigkeit oder vielleicht
kraftwerken, rückten später immer stärker       zwischen natürlichen und sozialen Syste-       auch aus ihren Freizeitaktivitäten wie
Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen und         men: Wie greift der Mensch in die Natur        beispielsweise als Amateur-Botaniker er-
ihre vielgestaltigen Wechselwirkungen           ein, wie steht er mit ihr in Wechselwir-       worben haben“, erzählt Muhar: „Dieses
mit der Landschaft in den Mittelpunkt des       kung?“, erklärt Muhar, wo er mit seinen        Wissen kann man nicht in einem interna-
Interesses.                                     Fragestellungen ansetzt. Dafür ist eine        tionalen wissenschaftlichen Journal veröf-
                                                Form von Transdisziplinarität gefragt,         fentlichen, aber es kann zur Erarbeitung
Die Nutzung verschiedener Energiefor-           für die es eines eigenen methodischen          nachhaltiger Lösungen in bestimmten Si-
men ist aber nur ein Aspekt der Land-           Rüstzeugs bedarf: „Wir gehen über die          tuationen von großem Nutzen sein.“
schaftsentwicklung, mit dem sich Muhar          Betrachtungsweise einer einzelnen Diszi-
beschäftigt hat. Auch deren Wechselwir-         plin hinaus und bringen das Wissen ver-        Um die verschiedene Arten von Wissen in
kungen mit Freizeitverhalten und Touris-        schiedener Fachgebiete, aber auch das          geeigneter Weise miteinander in Bezie-
mus oder die Planung spezieller Schutz-         Alltagswissen der Menschen zusammen.“          hung zu bringen, beschäftigt sich Muhar
gebiete standen in seiner Arbeit immer          Für einen solchen Ansatz sei es notwen-        auch mit der Stellung, die die wissen-
wieder im Fokus. Diese Interessensgebie-        dig, zu reflektieren, in welcher Beziehung     schaftlichen Disziplinen in der Gesellschaft
te sind dabei in einen größeren Kontext         verschiedene Arten des Wissens zueinan-        haben und mit den unterschiedlichen Ar-
eingebettet, aus dem heraus der Forscher        der stehen. „Es gibt beeindruckendes Er-       ten des Umgangs mit Sprache, die dabei

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                                                                                                                                         5
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zu finden sind. „In der Alltagssprache wird
ein Begriff oft ganz anders verstanden als
in der wissenschaftlichen Fachdiskussi-
on“, bemerkt er und nennt als Beispiel
den Ausdruck „ökologisch“, der in seiner
alltagssprachlichen Bedeutung meist mit
bestimmten Bewertungen verbunden ist,
die der Ökologie als Wissenschaft von
der Beziehung eines Lebewesens zu sei-
ner Umwelt fremd sind: „Wissenschaftlich
gesehen gibt es kein ökologisches oder
unökologisches Verhalten“, so Muhar. Sei-
ner Ansicht nach braucht es daher neue
Kommunikationsformen, um zwischen
den begrifflich präzisen Konzepten der
Wissenschaften und dem Wissen der
Praxis zu vermitteln. Aber auch in den
Wissenschaften selbst werden bestimmte
Konzepte und Sichtweisen verwendet, die
nicht selbstverständlich sind und aus ei-
nem größeren Kontext heraus verstanden
werden müssen: „Es ist üblich geworden,
von Dienstleistungen zu sprechen, die ein
Ökosystem dem Menschen zur Verfügung
stellt“, nennt Muhar ein aktuell disku-
tiertes Beispiel. Bei diesem aus der Um-
weltökonomie kommenden Ansatz wird
versucht, den Nutzen eines Ökosystems
für den Menschen einer monetären Be-            Stupa Nubra
wertung zu unterziehen – etwa der „Rei-
nigungsleistung“, die einem bestimmten          dabei“, erinnert sich der Forscher an eine    die Musikgeschichte, immer wieder kehrt
Bodenaufbau für die Trinkwasserbereit-          Zeit, in der die zukünftige Fachrichtung      er jedoch zum Werk von Johann Sebasti-
stellung zukommt. Nach Muhars Ansicht           erst im Entstehen war. Nicht immer sei        an Bach zurück. Lange Zeit hielt er seine
greift das aber zu kurz, um die vielfältigen    man damals in gut vorbereiteten Vorle-        beiden Interessenssphären klar vonein-
Beziehungen zwischen Mensch und Land-           sungen gesessen, dafür sei das Studium        ander getrennt. Erst in den vergangenen
schaft abzubilden: „Ist die Natur ein Ge-       aber auch noch wenig verschult gewesen,       Jahren hat er damit begonnen, die Musik
schäftspartner? Manche Menschen haben           Studierende konnten selbst Themen fin-        mit seiner wissenschaftlichen Arbeit zu
eine spirituelle Beziehung zu ihrer natür-      den, in die sie sich vertiefen wollten.       verbinden. „Ich bin draufgekommen, dass
lichen Umgebung. Diese Dimension kann                                                         viele Wissenschaftler musizieren“, stellt
man nicht als Dienstleistung erfassen.“         Nach dem Studium arbeitete Muhar zu-          der Ökologe fest. Bei Tagungen beispiels-
                                                nächst am Institut für Landschaftsplanung     weise könne durch einen Abend, bei dem
KAMMERMUSIK STATT YOGA                          der TU Wien mit und studierte nebenbei        gemeinsam Musik gemacht werde, eine
Als Muhar begann, sich mit Landschaft-          Gesang an der Musikuniversität. Eine Zeit-    Form von Zusammengehörigkeit entste-
sökologie zu beschäftigen, gab es dafür         lang blieb unentschieden, ob die Liebe        hen, die sonst nur schwer erreicht wird.
noch gar keine reguläre Studienrichtung.        zur Musik nicht auch seinen beruflichen       „Das bringt auch die wissenschaftliche Ko-
Mitte der 70er Jahre hatten im Gefolge          Lebensweg bestimmen würde. „Letztlich         operation auf eine andere Ebene“, so Mu-
des einflussreichen Buchs „Die Grenzen          war meine Stimme dafür nicht gut ge-          har. Die Komplementarität zwischen Kunst
des Wachstums“ groß angelegte Umwelt-           nug“, sagt er heute. Nichtsdestotrotz blieb   und Wissenschaft nutzt der BOKU-For-
debatten begonnen, Muhar war auf der            die Musik ein sehr wichtiges Element in       scher auch im Rahmen von Kooperationen
Suche nach einer Studienrichtung, bei der       seinem Leben: „Ich bin noch heute ein be-     mit Kunsthochschulen, die er vor Kurzem
der Umweltschutz im Mittelpunkt des In-         geisterter Pianist und mache regelmäßig       ins Leben gerufen hat. Die Annäherung
teresses steht. Durch Zufall stieß er auf die   Kammermusik im Freundeskreis. Klavier-        geht dabei von beiden Seiten aus: „Auch
Pläne, an der BOKU ein Studium der Land-        spielen ist meine Form von Yoga“, bekennt     in der Kunst hat man sich dem Dialog
schaftsökologie aufzubauen. „Ich war im         Muhar. Kompositionen, die ihn besonders       mit der Wissenschaft in letzter Zeit stär-
ersten Jahrgang eines Studium irregulare        ansprechen, findet er dabei quer durch        ker geöffnet“, stellt Muhar fest. Im Rah-

                                                                                                               BOKU Magazin 4 2017
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Stefan Jeitler
                                                                                               ZUR PERSON
                                                                                               Andreas Muhar ist seit 1. Septem-
                                                                                               ber 2017 Professor für Nachhaltige
                                                                                               Landschaftsentwicklung, Transdiszi-
                                                                                               plinarität und Wissensintegration am
                                                                                               Institut für Landschaftsentwicklung,
                                                                                               Erholungs- und Naturschutzplanung.
                                                                                               Er hat an der BOKU Landschaftsöko-
                                                                                               logie und -gestaltung studiert und
                                                                                               in der Fachrichtung Landschaftsbau
                                                                                               dissertiert. Weitere Stationen seiner
                                                                                               Laufbahn waren die TU Wien und die
Fischer am Mekong                                                                              Griffith University Brisbane, Australi-
                                                                                               en. 1991 erfolgte die Habilitation auf
men des Masterstudiums „Art & Science“       biet die Energiepolitik war. Man hat sich         dem Gebiet der Landschaftsplanung.
an der Universität für angewandte Kunst      beim Kopierer getroffen und gemeinsam             In seiner Arbeit hat er sich stets
Wien wird etwa die wissenschaftliche For-    Ideen gewälzt“, erzählt er über eine Form         mit Wechselbeziehungen zwischen
schungspraxis zum Ausgangspunkt für          von Interdisziplinarität, die er in Australien    natürlichen und sozialen Systemen
die künstlerische Auseinandersetzung ge-     kennengelernt hat.                                beschäftigt, Anwendungsfelder und
nommen. Mit dieser Studienrichtung hat                                                         Perspektive haben sich aber immer
er ein Semester lang im Rahmen des Dok-      Für die Zukunft kann sich Muhar eine              wieder verändert. Von 2000 bis 2014
toratskollegs „Nachhaltige Entwicklung“      Ausdehnung seiner Forschungsperspek-              war er Leiter des Instituts für Land-
zusammengearbeitet.                          tive auch auf Technologien vorstellen,            schaftsentwicklung, Erholungs- und
                                             die nicht so einen starken Flächenbezug           Naturschutzplanung, ab 2007 hat
GRENZÜBERSCHREITEND                          haben wie die Nutzung erneuerbarer                er das Doktoratskolleg Nachhaltige
IN MEHRFACHER HINSICHT                       Energie. Beispielsweise könnte die trans-         Entwicklung aufgebaut.
Für seine Dissertation im Bereich Land-      disziplinäre Methodik, der er sich bedient,
schaftsbau kehrte Muhar wieder an die        von Nutzen sein, um die gesellschaftliche        seiner Frau, die an der BOKU am Institut
BOKU zurück. Prägend wurde für ihn da-       Akzeptanz verschiedener Formen von               für Hydrobiologie und Gewässermanage-
bei ein Aufenthalt an der Griffith Univer-   Nanotechnologie zu untersuchen. Mit der          ment arbeitet, widmet er sich derzeit ei-
sity in Brisbane in Australien, wo er mit    Organisation von transdisziplinären Pro-         nem breit angelegten Buchprojekt über
Menschen unterschiedlichster Disziplinen     zessen beschäftigt sich aktuell auch ein         die Flüsse der Alpen. Überdies gehört er
Tür an Tür arbeitete: „Dort gab es das       Projekt mit Universitäten aus Armenien           einer Arbeitsgruppe an, die sich damit be-
Prinzip, dass Wissenschaftler derselben      und Georgien. „In diesen Ländern hat die         schäftigt, die verschiedenen Aspekte der
Disziplin ihre Büros nicht nebeneinander     Partizipation von Akteuren vor Ort keine         Nachhaltigkeit fächerübergreifend in der
haben müssen. Da saß eine Anthropolo-        große Tradition. Ich diskutiere mit den          Lehre der BOKU zu verankern.           
gin neben einem Mathematiker, eine For-      Kollegen daher viel über die Rolle der
scherin, die sich mit Gesundheit beschäf-    Unis in der Gesellschaft, das mache ich          Der Autor ist Chefredakteur der Zeitschrift
tigte, neben einem Kollegen, dessen Ge-      sehr gerne“, meint Muhar. Gemeinsam mit          Chemiereport/Austrian Life Sciences.

       BOKU Magazin 4 2017
                                                                                                                                            7
BOKU - RÜCKBLICK REKTORAT GERZABEK TULLN
Nepal, Kathmandu Valley

BOKU AUF DEM DACH DER WELT
                                                  Text und Fotos: Martin H. Gerzabek

D
        ie Himalaya-Hindukusch-Region         sondern sie sind Rückzugsflächen für ge-    sche Wissenspartnerschaft zu Gebirgsre-
        gehört zu den Biodiversitäts-Hots-    fährdete Arten (SDG 13) und stellen 60–     gionen zwischen Universitäten, ICIMOD
        pots der Erde, so wie viele Ge-       80 % des Frischwassers zur Verfügung        und den Ländern der Region zu schaffen,
birgsregionen. Die Region ist nicht nur aus   (SDG 6) . Es sind also zahlreiche Heraus-   und Forschung und tertiäre Bildung zu för-
dem Blickwinkel der natürlichen Ressour-      forderungen, denen sich die Menschheit      dern. Das Konsortium umfasst seit dieser
cen und deren Nutzung und Management          in Gebirgsregionen gegenübersieht. In       Jahreskonferenz 52 Vollmitglieder aus der
interessant, sondern auch aufgrund der        der Himalaya-Hindukusch-Region wurde        Region und zehn assoziierte Mitglieder aus
hohen Diversität und zahlreicher Schnitt-     1984 von den acht Anrainerstaaten (Af-      anderen Teilen Asiens, Europas, Australi-
stellen von Kulturen, Religionen und Spra-    ghanistan, Bangladesch, Bhutan, China,      ens und den USA. Die BOKU ist traditionell
chen. Fast eine Milliarde Menschen lebt       Indien, Myanmar, Nepal und Pakistan) das    sehr stark sowohl mit wissenschaftlichen
weltweit in Gebirgsregionen, und fast 100     multinationale Forschungszentrum ICI-       Projekten als auch mit Bildungskoope-
Millionen davon in Armut. In ländlichen       MOD (International Centre for Integrated    rationen in der Region präsent. Etwa
Gebirgsregionen liegt die Verwundbar-         Mountain Development) gegründet, das        60 AbsolventInnen des Masterstudiums
keit bezüglich Nahrungsmittelsicherheit       sich mit allen Aspekten der Gebirgsfor-     Mountain Forestry kommen aus Nepal und
bei 36 % . Auf dem Weg zur Erfüllung der      schung beschäftigt und sehr erfolgreich     Bhutan, darüber hinaus haben zahlreiche
Sustainable Development Goals sind Ge-        ist . Seit 2007 (und wiederbelebt seit      DoktorandInnen aus der Region an der
birgsregionen von äußerster Wichtigkeit.      2013) existiert, von ICIMOD organisiert,    BOKU promoviert und bekleiden teils sehr
Nicht nur ist die Armut in diesen Regio-      das Himalaya University Consortium          hohe Positionen in den Regierungen, Nati-
nen weltweit am größten (SDG 1 und 2),        (HUC) . Zielsetzung ist es, eine dynami-    onalparks oder sind bei NGOs tätig. Zum

                                                                                                           BOKU Magazin 4 2017
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BOKU - RÜCKBLICK REKTORAT GERZABEK TULLN
mit dabei. Am zweiten Tag der Konferenz
                                                                                                      führte uns eine Exkursion zum Erdbeben-
                                                                                                      museum in Dujiangyan – im Angedenken
                                                                                                      des großen Erdbebens im Jahr 2008, bei
                                                                                                      dem ca. 100.000 Menschen starben – und
                                                                                                      am selben Ort zu einem Weltkulturerbe,
                                                                                                      nämlich dem Kanalsystem, das vor ca.
                                                                                                      2.000 Jahren errichtet wurde. In nur acht
                                                                                                      Jahren wurde mithilfe von Hitze und ra-
                                                                                                      scher Abkühlung und mit händischer Ar-
Am Panel                                           HUC conference                                     beit ein 20 Meter breiter Kanal in einen
                                                                                                      Berg getrieben, der die Wasserversorgung
                                                                                                      des Chengdu-Tals gewährleistet und da-
                                                                                                      bei durch ein ausgeklügeltes Seitenkanä-
                                                                                                      le-Wehrsystem Hochwässer vermeidet.
                                                                                                      Eine unglaubliche menschliche Leistung!

                                                                                                      Der dritte Tag war der Weiterentwicklung
                                                                                                      des Konsortiums gewidmet und beschäf-
                                                                                                      tigte sich mit den laufenden Projekten,
                                                                                                      der Mitglieder-Policy und der inhaltlichen
                                                                                                      und strukturellen Zukunftsstrategie. Be-
                                                                                                      sonders interessant war die Einsetzung
                                                                                                      von thematischen Arbeitsgruppen, bei
                                                                                                      denen selbstverständlich nun die Mitar-
                                                                                                      beit der BOKU möglich und erwünscht
                                                                                                      ist. Es handelt sich um die folgenden Ar-
                                                                                                      beitsgruppen: (i) mountain agriculture,
                                                                                                      (ii) water, (iii) natural disasters and resi-
                                                                                                      lience, (iv) climate change, (v) trans-Hi-
                                                                                                      malayan environmental humanities, (vi)
                                                                                                      non-traditional securities along Himalay-
                                                                                                      as & beyond (including food security), (vi)
                                                                                                      plant genetic resources and biodiversity,
                                                                                                      (vii) livelihoods and poverty reduction.
Der künstliche Kanal (links) in Dujiangyan. Oben und unten rechts: Im wiedererrichteten Dujiangyan.

                                                                                                      Die Chengdu-Konferenz des HUC war die
2016 gestarteten CO2-Kompensations-                the Hindu Kush Himalayas: Higher educa-            größte bis dato. Die nächstjährige Konfe-
projekt in der Gaurishankar-Region in Ne-          tion research and regional collaboration           renz wird darüber hinaus mit einer Fach-
pal fand im November 2017 an der BOKU              for sustainable mountain development“.             tagung für Master- und PhD-Studierende
ein wissenschaftlicher Workshop statt.             Etwa 140 VertreterInnen der Partneruni-            organisiert. Für die BOKU wurde ein neues
Aus strategischen Überlegungen heraus              versitäten, darunter 22 PräsidentInnen/            Kapitel in der strukturierten Interaktion mit
hatte die BOKU vor mehr als einem Jahr             RektorInnen/Vice-Chancellors diskutierten          einer der Fokusregionen der Internationali-
den Antrag auf assoziierte Mitgliedschaft          einen großen Strauß an Themen, von der             sierungsstrategie, der China- und Himalay-
beim HUC gestellt. Diesem Antrag wurde             Weiterentwicklung der Universitäten („21st         aregion, aufgeschlagen.                   
stattgegeben, sodass nun die BOKU das              century universities“) über die konkre-
sechste europäische Mitglied von HUC ge-           ten Probleme der Region – Nutzung bzw.             1 FAO (2015): Mapping the vulnerability of mountain
                                                                                                         peoples to food insecurity. FOOD AND AGRICUL-
worden ist, an den zahlreichen Aktivitäten         Übernutzung der natürlichen Ressourcen,
                                                                                                         TURE ORGANIZATION OF THE UNITED NATIONS,
voll teilnehmen kann und eine wesentlich           Einfluss von Flüchtlingen und illegaler Ein-          Rome, 82pp.
engere und offiziellere Beziehung mit ICI-         wanderung auf die Degradation von Wäl-             2 Martin H. GERZABEK, Wolfram GRAF, Klaus
                                                                                                         KATZENSTEINER, Andreas MELCHER, Axel
MOD eingeht. Die diesjährige fünfte Jah-           dern und Fischbeständen, Nutzung von
                                                                                                         MENTLER, Georg GRATZER (2017): BOKU: Human
reskonferenz fand von 30.10. bis 1.11.2017         Quellwässern, Resilienz gegen Hochwäs-                Capacity Building for Mountain Livelihoods in the
in Chengdu/China statt und wurde von ICI-          ser, Sediment-Transport – bis hin zu ge-              Himalaya Region. Keynote, Mountain resources and
MOD, HUC und der Sichuan University her-           nerellen Faktoren wie Urbanisierung und               livelihoods in the Hindu Kush Himalayas, Chengdu,
                                                                                                         October 30th, 2017
vorragend organisiert. Das Tagungsthema            Klimawandel. Mehrere enthusiastische BO-            3 http://www.icimod.org
war „Mountain resources and livelihoods in         KU-Alumni – vor allem aus Nepal – waren             4 http://www.icimod.org/huc

        BOKU Magazin 4 2017
                                                                                                                                                        9
BOKU - RÜCKBLICK REKTORAT GERZABEK TULLN
DER LEITHAMMEL DER BIODIVERSITÄT
Beim 8. Internationalen Stör-Symposion, das an der BOKU veranstaltet wurde, konnte man einem außerge-
wöhnlichen Forscher begegnen.                                                   Text und Fotos: Ingeborg Sperl

H
        arald Rosenthal ist ein Erlebnis.     die Radioaktivität zwischen 1955 und 1957    dert, sie sind zum Beispiel durch immer
        Der 80-jährige Wissenschaftler        messen, die durch die Atombombenversu-       mehr Kraftwerksbauten abgeriegelt. Die
        aus Deutschland ist der Traum aller   che im Pazifik freigesetzt wurde.“           Störe können sich nicht mehr vermehren
Interviewenden. Nachfragen überflüssig,                                                    und es ist sehr schwierig, sie wieder an-
man braucht ihm nur zuzuhören. Warum          Rosenthal erzählt von einem 80-jährigen      zusiedeln. Fischaufstiegshilfen müssten
ihn gerade der Stör so fasziniert, dass er    Störweibchen auf einer Forschungsstati-      jetzt gebaut werden, auch wenn sie aus
ihm viele Jahrzehnte seines Forscherle-       on auf Helgoland, für das man erst nach      verschiedensten Gründen nicht immer
bens gewidmet hat? „Stellen sie sich vor,     der Wende im Osten einen Partner su-         effizient sind. Nachzüchten geht, ist aber
den Stör gibt es schon seit 250 Millionen     chen konnte. Störe werden über hundert       problembehafteter als man glaubt.
Jahren auf der Erde, er hat elf Eiszeiten     Jahre alt. Fünf Arten lebten in Donau, der
überlebt, und dem Menschen ist es ge-         Hausen konnte sieben Meter lang wer-         „In einem Fischtank leben die Störe wie
lungen, ihn quasi in einer Sekunde an den     den. Störe pflanzen sich erst mit etwa 20    in einem Sanatorium. Sie brauchen sich
Rand des Aussterbens zu bringen“, legt        Jahren fort, doch bis dahin sind sie meist   nicht vor Feinden in Acht zu nehmen und
er los. Rosenthal zeigt auf seinem Lap-       schon längst im Fischernetz gelandet. Au-    bekommen pünktlich ihr Futter. Wenn
top eine sehr plastische Zeittabelle und      ßerdem erinnern sie sich ihr Leben lang an   man sie aussetzt, gehen die meisten von
erläutert im Schnelldurchgang die biolo-      den Ort, wo sie aus dem Laich geschlüpft     ihnen ein, weil sie nicht fit fürs Überleben
gischen Fakten seines „Leithammels der        sind und an den sie zurückwandern. „Stö-     sind.“
Biodiversität“. Und noch dazu sei er ein      re merken sich viel – im Gegensatz zu Stu-
„kalibriertes Messgerät: Man kann in den      dierenden“, behauptet Rosenthal. Aber        Was machten also Rosenthal und seine
Gehörknöchelchen von alten Tieren noch        inzwischen haben sich die Flüsse verän-      ForscherInnen? Sie konstruierten ring-

                                                                                                             BOKU Magazin 4 2017
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                                                        „In einem Fischtank leben
                                                    die Störe wie in einem Sanatori-
                                               um. Sie brauchen sich nicht vor Feinden
                                         in Acht zu nehmen und bekommen pünktlich ihr
                                       Futter. Wenn man sie aussetzt, gehen die meisten
                                     von ihnen ein weil sie nicht fit zum Überleben sind“.

förmige Aquarien mit unterschiedlichs-       Der Stör hat 150 Chromosomen (der             tung befindliche „Vienna Declaration“
ten Böden, verschiedenen Strömungs-          Mensch 46). Da es nur noch wenige Stö-        soll als Endergebnis des 8. internationa-
geschwindigkeiten und der Möglichkeit,       re gibt, ist es wichtig, sie auf ihren Ver-   len Stör-Symposions an der BOKU zum
Raubtiere zu simulieren. „Das macht die      wandtschaftsgrad hin zu untersuchen,          Schutz der Tiere beitragen. „Die Zusam-
Tiere fit für den Fluss. Diese trainierten   bevor man sie züchtet. Rosenthal erwähnt      menarbeit mit der BOKU funktioniert her-
Tiere entwickelten eine doppelt so hohe      einen iranischen und zwei chinesische Ge-     vorragend“, lobt Rosenthal.
Fluchtgeschwindigkeit wie die Untrai-        netiker, die sich auf diesem Gebiet beson-
nierten, und das, obwohl beide Gruppen       ders gut auskennen.                           Zum Schluss hält er noch ein kleines Pri-
die gleiche genetische Basis hatten, also                                                  vatissimum über die Vorzüge der Ome-
Geschwister waren.“ Die trainierten Tie-     2003 gründete Rosenthal die World Stur-       ga-3-Fettsäuren. „Ich esse dreimal die
re haben 80 % Überlebenschance. Zum          geon Conservation Society e. V., die als      Woche Fisch. Damit kann man die Demenz
Fitnessprogramm gehört auch, dass die        NGO in die Technical Advisory der FAO         hinauszögern; das Gerede über Quecksil-
Störe mit Krankheitserregern in Berüh-       eingebunden wurde, weil sie strikt neut-      ber im Thunfisch soll einem keine Angst
rung kommen, zum Beispiel mit denen          ral ist und ihre Fachartikel einem strengen   machen. Solange man ihn nicht täglich
aus dem Wasser der Elbe, wo sie später       Auswahlverfahren unterzieht. „Weil wir        isst, besteht keine Gefahr.“ Die Folien auf
ausgesetzt werden. Rosenthal mit mil-        neutral sind, haben wir größere Chancen,      seinem Laptop flitzen nur so vorbei, und
dem Spott: „TierschützerInnen haben ge-      Länder zu koordinieren, die ansonsten         bei dem Tempo müsste sich ein auch ein
klagt, wir würden die Fische quälen.“ Der    eher wenig zusammenarbeiten würden“,          50 Jahre Jüngerer sehr zusammenreißen,
letzte Stör in der Elbe wurde übrigens       umreißt Rosenthal das internationale          um mitzukommen. Man kann eben nie
vor einem halben Jahrhundert gefangen.       Grundproblem. Eine neue, in Ausarbei-         früh genug mit Omega 3 anfangen.  

       BOKU Magazin 4 2017
                                                                                                                                    11
DIE WUNDERBARE WELT DER PILZE
                                                          Text und Fotos: Ingeborg Sperl

                                                                                             zarr – wie ein kleines Gehirn. Dieser rosa
                                                                                             „Gehirn“-Mutant ist im Labor des Extre-
                                                                                             mophile Centers entstanden. Er hat kein
                                                                                             Melanin, ist aber überaus ozonresistent.

                                                                                             In der Natur findet man Pilze auf Felsen,
                                                                                             oder an Wurzeln; andere, unsichtbare Kei-
                                                                                             me, können durch Wunden oder durch
                                                                                             Einatmen in den Körper gelangen und gro-
                                                                                             ßen Schaden anrichten. Etwa chronische
                                                                                             Krankheiten oder Hautkrebs auslösen, das
                                                                                             Gehirn befallen oder sich als resistente
                                                                                             Krankenhauskeime etablieren. Man findet
                                                                                             Pilze also im Makro- und im Mikrobereich.
                                                                                             Was aber macht diese schwarzen Pilze auf
                                                                                             ihrer molekularen Ebene so stressresis-
                                                                                             tent? Wenn man das herausfindet, erge-
                                                                                             ben sich viele Anwendungsmöglichkeiten,
                                                                                             nicht nur in der Medizin, sondern auch
                                                                                             in der Kosmetikindustrie. Diese macht ja
                                                                                             schon seit Längerem mit Antioxidantien
                                                                                             in diversen Anti-Aging-Cremes ein Milliar-
                                                                                             dengeschäft.

                                                                                             Ein leichter Hauch von Science Fiction
                                                                                             umweht diese geheimnisvollen, vielge-
                                                                                             staltigen Pilze: Man kann sie dehydrieren,
                                                                                             ins Weltall schicken– und sie überleben
                                                                                             trotzdem. Sobald man sie mit Wasser be-
                                                                                             träufelt, sind sie wieder fit. Kein Wunder,
                                                                                             dass man sie in Berlin in Klimakammern
                                                                                             gesteckt hat, die eine Mars-Atmosphäre
                                                                                             simulieren. Selbst die Theorie, dass die Pil-
                                                                                             ze mit Asteroiden durchs All gereist sein

S
                                                                                             könnten, klingt nicht so weit hergeholt.
        ie überleben extreme Hitze und          unter definierten Bedingungen und zu ei-
        Kälte, sie finden sich in allen Welt-   nem definierten Zeitpunkt vorhandenen        Hilfreich sei jedenfalls, dass Katja Ster-
        gegenden, von der Arktis bis zur        Proteine; extremophil bedeutet einfach,      flinger an der BOKU eine Arbeitsgrup-
Antarktis, sie überleben in der Wüste und       dass diese Pilze weit harschere Umwelt-      pe eingerichtet hat, die sich seit Jahren
sogar im Weltall. Die Biotechnologin Do-        bedingungen aushalten als beispielsweise     mit diesen Pilzen beschäftigt, und eine
natella Tesei aus Italien erforscht an der      der Mensch. Extreme Temperaturen und         Stammsammlung aufgebaut hat, die auch
BOKU diese faszinierenden Lebewesen.            pH-Werte, eine ozonreiche Atmosphäre         externen ForscherInnen zur Verfügung
Sie hat für ihre Arbeit das Hertha-Firn-        – das alles ist für uns nicht optimal, den   steht, meint Tesei, die in Italien Biologie
berg-Stipendium bekommen und wird               Pilzen aber egal.                            studiert hat. Sie wird in den kommen-
sich nun in den kommenden drei Jahren                                                        den drei Jahren nicht nur an der BOKU
am Institut für Biotechnologie der Erfor-       Unter ihnen gibt es eine Gruppe, die be-     forschen und lehren, sondern auch in ei-
schung der Proteomik von extremophi-            sonders gut mit harten Lebensbedingun-       nem speziellen Labor in der Schweiz und
len Pilzen widmen. Das klingt erst einmal       gen zurechtkommt. „Schwarze Pilze“,          in den USA arbeiten. Sehr wichtig ist für
kompliziert, ist aber ungemein faszinie-        die so heißen weil sie Melanin enthalten,    Tesei eine grundsätzliche Neugier: „Wenn
rend: Ein Proteom umfasst die Gesamtheit        können vielgestaltig sein. Sie können wie    wir Urlaub machen, haben wir alle Behält-
aller in einer Zelle oder einem Lebewesen       Brokkoli aussehen, oder – besonders bi-      nisse dabei, um Pilze einzusammeln.“ 

                                                                                                               BOKU Magazin 4 2017
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Shutterstock
WIENER FORSCHER STELLEN
IMMUNSERUM GEGEN HIV HER
Über die Synthese von modifizierten Kohlenhydratstrukturen der Virushülle von HIV ist es dem Department
für Chemie/Abteilung für Organische Chemie der BOKU gemeinsam mit Forschern aus den USA und Kana-
da gelungen, die Bildung HIV-neutralisierender Antikörper zu induzieren.

V
        ersuche, Impfstoffe gegen das       die Kohlenhydrat-Zellwandstruktur von      zeigen, dass die Immunseren neutralisie-
        Aids-Virus zu entwickeln, wa-       pflanzenpathogenen Rhizobien, die eine     rende Aktivitäten gegen fünf von sieben
        ren bisher erfolglos, weil die an   schwache Immunreaktion mit dem ersten      HIV-Stämmen aufwiesen. Darüber hinaus
der Oberfläche der Virushülle veranker-     bekannten HIV-neutralisierenden Antikör-   ist die Spezifität und die breit neutralisie-
ten Kohlenhydrate den körpereigenen         per 2G12 zeigten, einem Antikörper, der    rende Wirkung der erzeugten Antikörper
Strukturen ähnlich sind und daher nur       am Department für Biotechnologie an der    ähnlich zu solchen, die man bei einigen
eine schwache Immunantwort auslösen.        BOKU vor einigen Jahren mitentwickelt      AIDS-PatientInnen findet, die derartige
Ausgehend von vergleichbaren Struktu-       wurde. Computermodellierungen zeig-        Antikörper aber erst im Verlauf von eini-
ren aus der Zellwand von Bodenbakteri-      ten dann, dass durch Erweiterung dieser    gen Jahren ausbilden. Dies konnte in der
en synthetisierten Wiener Forscher eine     Grundstrukturen die Antikörperbindung      Studie durch die Röntgenstruktur eines
leicht abgewandelte HIV-Oberfläche, mit     wesentlich verbessert werden könnte. In    Kohlenhydratliganden in der Bindungs-
der man neutralisierende Impfseren ge-      einem vom Fonds zur Förderung der wis-     tasche des neutralisierenden Antikörpers
gen das Virus herstellen kann. Die Studie   senschaftlichen Forschung (FWF) geför-     der PGT-Familie auch im molekularen De-
erschien im Fachjournal Nature Commu-       derten Projekt modifizierten Paul Kosma    tail bestimmt werden.
nications.                                  und Nino Trattnig vom Department für
                                            Chemie durch chemische Synthese die        Dieser vielversprechende Ansatz, viel-
In dieser Proof-of-concept-Studie ist es    Strukturen dieser Kohlenhydrate, die in    leicht doch noch einen Aids-Impfstoff
nunmehr gelungen, durch Abwandlung          der Folge zu immunogenen Glykokon-         hervorzubringen, kann nunmehr auch
der oligomannosidischen Grundstruktu-       jugaten umgesetzt und zur Erzeugung        durch Forschungsprojekte, die von den
ren die körpereigene Immuntoleranz zu       spezifischer Anti-HIV-Antikörper einge-    National Institutes of Health (USA) und
überwinden und neue Perspektiven für        setzt wurden. In einer Kooperation mit     den Canadian Institutes of Health Rese-
die Vakzinentwicklung gegen HIV aufzu-      ForscherInnengruppen aus Kanada und        arch finanziert werden, für weitere vier
zeigen. Ausgangspunkt der Arbeiten war      den USA konnten die Autoren nunmehr        Jahre intensiv untersucht werden.    

       BOKU Magazin 4 2017
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PLASTIKSACKERLN,
       DIE KEINE LUFT KRIEGEN                                                                  Von Martin Walpot

D
        ie wenigsten wissen es, wir alle tun   langsam abgebaut werden. Sie setzen den       zu identifizieren, die spezifische Enzy-
        es. Aber: Bioplastiksackerln haben     Biomüll nicht frei und stören den Prozess     me zum Plastikabbau produzieren", so
        im Biomüll eigentlich nichts zu su-    erheblich“, weiß Umweltbiotechnologin         Ribitsch. Nach einigen Jahren war es so
chen. Laut DIN EN 13432 Norm schließt          Doris Ribitsch, die für die BOKU und das      weit: „Das Bakterium Clostridium bo-
Bioabbaubarkeit mit ein, dass sich ein         Austrian Centre of Industrial Biotechno-      tulinum, dessen Proteine auch in Botox
Material nach einer festgeschriebenen          logy (acib) forscht. Gemeinsam mit einer      enthalten sind, erfüllt sämtliche Voraus-
Zeit unter definierten Temperatur-, Sau-       Arbeitsgruppe am Standort Tulln geht sie      setzungen. Es ist sogar in geringen Men-
erstoff- und Feuchtebedingungen in der         als erste der Frage nach, ob der Abbau        gen im Biogas-Schlamm vorhanden“,
Anwesenheit von Bakterien oder Pilzen zu       von als bioabbaubar bezeichnetem Plastik      verrät die Biotechnologin. Damit die En-
mehr als 90 Prozent zu Wasser, CO2 und         – aus dem etwa handelsübliche Biomüll-        zyme von Bakterien jedoch großflächig
Biomasse abgebaut haben muss. Neuer-           plastiksackerln, Essensverpackungen oder      und noch dazu in anaerober Umgebung
dings landet ein Teil des Biomülls und mit     Mulchfolien hergestellt sind – auch in Ver-   Plastik abbauen können, ist ein hoher En-
ihm entsorgte Plastiktüten in Biogasanla-      gärungsanlagen funktioniert.                  gineering-Aufwand nötig. In Kooperation
gen. Die dort vorherrschenden, anaeroben                                                     mit der ETH Zürich stellte das acib eine
Bedingungen (der Ausschluss von Sauer-         BOTOX IM BIOSCHLAMM                           optimierte Enzymvariante her, die danach
stoff) führen zu einer Bildung von Biogas      Im Vorfeld führten die Forscher In-si-        in eine Biogasversuchsanlage einge-
als wertvoller Energieträger. „Unter die-      lico-Recherchen durch. Tausende Ein-          bracht wurde. Da bisher keine Informati-
sen Bedingungen können aus bestimm-            träge einer Enzym-Datenbank wurden            onen zur Verfügung standen, wie Enzyme
ten Polymerarten gefertigte Sackerln nur       durchgesehen, um bestimmte Bakterien          aus diesen anaeroben Mikroorganismen

                                                                                                             BOKU Magazin 4 2017
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Shutterstock
Viele Bioplastiksackerln haben im Müll nichts zu suchen. In sauerstoffarmen
Umgebungen wie Biogasanlagen lösen sie sich zu langsam auf und belasten
beim Verbrennen des Mülls die Umwelt. Ein Forschungsprojekt am Austrian
Centre of Industrial Biotechnology (acib) sucht nun nach Enzymen, die das
Plastik auflösen und Emissionen vermeiden. Mit dem Ziel, Plastikberge zu ver-
ringern und langfristig herkömmliche Verpackungen durch biobasierte Poly-
mere zu ersetzen.

„arbeiten“, wurde ebenso eine Methode        Plastikmülls (ca. 45 Mio. Tonnen jährlich)   zubringen. Dort kann die freiwerdende
geschaffen, mit der sich der Abbauvor-       verbrannt werden, könnte der neue Pro-       Energie zur Erzeugung von Strom, Wär-
gang von Polymeren messen lässt. Erste       zess eine Wende im permanenten Abbau         me oder Biomethan herangezogen wer-
Versuche waren vielversprechend: Die im      von Plastik einleiten. Ein weiterführendes   den“, sagt die Forscherin. Langfristig sol-
Labor optimierten Enzyme verteilen sich      Projekt mit einem Industriepartner steht     len die Projektergebnisse dazu beitragen,
auf der Polymerschicht und kurbeln den       in den Startlöchern. Zwei Patente wurden     herkömmliche Verpackungen durch bio-
Zersetzungsvorgang an. „Wie eine gro-        bereits angemeldet.                          basierte Polymere (aus nachwachsenden
ße Schere zerschneiden die Enzyme die                                                     Rohstoffen) zu ersetzen, die sich in we-
langen Polymerketten in immer kürzere        PLASTIK AUS                                  nigen Tagen selbst auflösen. Der Kohlen-
Bausteine, bis nur noch Monomere – die       NACHWACHSENDEN QUELLEN                       stoffkreislauf schlösse sich dadurch, Plas-
kleinsten molekularen Einzelbestandtei-      Die neue Methode stellt jedoch lediglich     tikmüll würde vermieden. Wer sich nun
le – übrig sind, die in weiterer Folge von   einen Zwischenschritt auf dem umwelt-        sorgt, dass sich solche Plastiksackerln
Mikroorganismen metabolisiert werden         bewussten Weg zu einem plastikfreie-         am Weg vom Einkaufszentrum nach Hau-
können. Das Ergebnis: Das Plastiksa-         ren Alltag dar: „Solange sich biologisch     se auflösen, sei beruhigt: „Dazu braucht
ckerl ist zur Gänze aufgelöst und wird       abbaubare Kunststoffe nicht vernünftig       es immer noch die Bedingungen eines
zusammen mit dem enthaltenen Biomüll         recyceln lassen und einer Wiederver-         Komposthaufens oder einer Biogasanla-
in wertvolles Biogas umgewandelt“, er-       wendung zugeführt werden, ist es immer       ge“, so Ribitsch. Der Einkauf bleibt also
läutert Ribitsch. Bedenkt man, dass etwa     noch am sinnvollsten, sie zusammen mit       intakt. Und, so der Gedanke, die Umwelt
zwölf Prozent des weltweit produzierten      biogenen Abfällen in Biogasanlagen ein-      ebenso.                                 

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ÄTHIOPIEN – ZWISCHEN DÜRRE,
     AUFSTAND UND WIRTSCHAFTSBOOM
     EIN REISEBERICHT VOM FORSCHUNGSAUFENTHALT IM OSTEN AFRIKAS

                                                                         Text: Pierre Ellssel und Benjamin Klappoth, Fotos: Pierre Ellssel

N
        ach einer nur sechsstündigen Reise    kannt ist, aber traurigerweise auch für       in Armut aufgrund des kräftigen Bevölke-
        wandeln sich die grauen Töne des      Dürre, Hungersnöte und kürzlich immer         rungswachstums von circa 2,5 % (2014)
        Wiener Winters in die vielfältigen    wieder stattfindende Aufstände mit vie-       konstant geblieben. Das Land befindet sich
Farbvariationen der Tropen. Als wir vor die   len verlorenen Menschenleben.                 auf Platz 173 von insgesamt 189 Ländern im
Türen des Flughafens treten, werden wir                                                     UNDP Human Development Report.
von strahlend grünen Gewächsen begrüßt,       Während der letzten Dekade hat Äthiopien
die ihre pinkfarbenen Blüten in alle Rich-    einen enormen wirtschaftlichen und sozi-      MILLIONEN MENSCHEN
tungen strecken. Insektenhorden drehen        alen Wandel erlebt, mit einem jährlichen      VOM HUNGER BEDROHT
aufgeregt ihre Runden. Ganz neue Gerü-        Wirtschaftswachstum von durchschnitt-         Armut wie auch Ernährungsunsicherheit
che werden aufgesogen, das Gedächtnis         lich 10 %. Die Landwirtschaft ist mit 41 %    sind bei der Landbevölkerung und somit
gleicht die „Duftdatenbank“ ab, kann aber     (2015) der zweitwichtigste Wirtschafts-       den Kleinbäuerinnen und Kleinbauern am
nichts Vergleichbares finden. Das nächs-      zweigin Bezug auf das BIP, wobeijedochcirca   schwerwiegendsten und am weitesten
te Bild in der Szenerie ist ein Soldat in     80 % der Bevölkerung ihren Lebensunter-       verbreitet. Mehr als 50 % von ihnen kulti-
blauem Camouflage, der über der Schul-        halt mit der landwirtschaftlichen Produk-     vieren einen Hektar oder weniger und tun
ter, locker wie einen Einkaufsbeutel, eine    tion verdienen. Äthiopien gehört zu den       sich in der Folge schwer, ihre Haushalts-
Kalaschnikow hängen hat – Welcome to          zehn Ländern mit den höchsten Zuwäch-         mitglieder zu ernähren. Insgesamt sind
Addis Ababa („die neue Blume“)!               sen beim Human Development Index in-          nach Schätzungen der UN 20 Millionen
                                              nerhalb der letzten zehn Jahre. Die weit      Menschen vom Hunger bedroht und jedes
Das soll der Beginn eines Aufenthalts in      verbreitete Armut wurde in urbanen wie        vierte Kind unterernährt. Die Situation wird
einem Land sein, das insbesondere für         auch in ländlichen Gebieten reduziert, je-    zusätzlich immer wieder durch Dürren,
seine AthletInnen und seinen Kaffee be-       doch ist die absolute Anzahl der Menschen     wie im Jahr 2016, oder das andere Extrem,

                                                                                                               BOKU Magazin 4 2017
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Überschwemmungen, verschlimmert. Die           des Potenzials beitragen. Hierbei ist je-      en, als die ersten MarathonläuferInnen
landwirtschaftlichen     Produktionssyste-     doch zu beachten, dass gleichzeitig der        ihre Trainingsrunden drehten, und noch
me sind durch Regenfeldbau mit generell        fortschreitenden Bodendegradation sowie        ehe sich ein Dunst aus Staub und Abga-
niedriger Produktivität charakterisiert. Die   zunehmenden Monokulturen und den da-           sen über die Stadt legte. Wir fuhren weit
Produktionsmethoden sind arbeitsintensiv       mit einhergehenden Problemen entgegen-         in den Süden, in dem die Menschen nicht
und zeichnen sich durch den geringen Ein-      gewirkt werden sollte. Methoden, die die       mehr Amharisch, sondern meist Oromo
satz von externen Produktionsmitteln und       Resilienz der Landwirtschaft gegenüber         sprechen, eine afro-asiatische Sprache, die
Kapital aus.                                   dem Klimawandel erhöhen und auch zur           von ca. 25 Millionen Menschen gesprochen
                                               Mitigation dessen beitragen, sollten hierbei   wird. Wir besuchten dort Kooperativen,
Es gibt jedoch erhebliches Potenzial, die      ebenfalls einbezogen werden.                   die insbesondere ökologisch angebauten
Produktivität und somit das Einkommen                                                         Kaffee und Enset (Ensete ventricosum)
der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu         Während eines zehntägigen Feldfor-             produzieren. Enset wird auch als „Fal-
verbessern. Im Hochland, wo der Großteil       schungsaufenthaltes im Rahmen des Kur-         sche Banane“ bezeichnet und ist eines
der Bevölkerung lebt, sind weite Teile der     ses „Organic Farming in the Tropics and        der wichtigsten Grundnahrungsmittel im
Böden fruchtbar und auch das Klima ist ge-     Subtropics“, begleitet von Prof. Bernhard      Süden des Landes. Alle Farmen waren
nerell für die Landwirtschaft geeignet. Eine   Freyer, haben wir verschiedene Landwir-        nach Agroforstprinzipien organisiert und
Modernisierung sowie Professionalisierung      tInnen im Norden und Süden von Äthiopi-        zeigten eine hohe Diversität. Die Bäue-
des Landwirtschaftssektors einschließlich      en besucht und Daten erhoben.                  rinnen und Bauern sind in Kooperativen
einer Effizienzsteigerung und Reduzierung                                                     und „Unions“ zusammengeschlossen, die
von Verlusten entlang der Wertschöp-           An unserem zweiten Tag in Addis Ababa          wiederum den Kaffeeexport organisieren.
fungskette können zu einer Ausnutzung          verließen wir die Stadt im Morgengrau-         Der Kaffee wird jedoch roh exportiert,

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                                                                                                                                       17
und der meiste Profit wird am Ende von        thoden anzuwenden. Die Gründe dafür           können leider häufig beobachtet werden.
den Röstereien gemacht.                       sind zahlreich: Ein wichtiger Grund ist die   Eines der Hauptrisiken für die äthiopische
                                              Wahrnehmung, dass ökologische Metho-          Landwirtschaft und die Nahrungsmittel-
In Bahir Dar haben wir während der folgen-    den „unproduktiv“ seien. Weitere Gründe       versorgung stellt, neben den Dürreperi-
den Tage mit einer Gruppe von Studieren-      sind u. a. die mangelnde staatliche Un-       oden und dem Klimawandel, die Boden-
den der dortigen Universität zusammenge-      terstützung, das Fehlen von geeignetem        degradation, insbesondere durch Erosion,
arbeitet. Mit ihnen haben wir verschiedene    Saatgut, fehlendes Wissen und fehlende        dar. Hierfür sind die intensive Bodenbear-
Anbausysteme sowie eine Forschungssta-        Wissensvermittlung, die Landbesitz-Ver-       beitung, Überweidung und die Abnahme
tion besichtigt und analysiert. In der Re-    hältnisse und die immer kleiner werden-       von organischer Bodensubstanz maßgeb-
gion ist der Getreideanbau die wichtigste     den Flächen der Bäuerinnen und Bauern.        lich mitverantwortlich.
Einkommensquelle, mit Gemüse, Honig
und tierischen Produkten als weitere Quel-    Der Anbau von Weizen in Monokultur ist        Sechs Monate sind vergangen seit dem
len. Die Anbausysteme waren wenig diver-      in einigen Regionen Äthiopiens zur gän-       Aufenthalt mit der Gruppe um Prof.
sifiziert, und wir empfanden es als überra-   gigen Praxis geworden, während früher         Freyer, als wir unsere Füße wieder auf
schend, dass es kaum Hausgärten für eine      ausgedehntere Fruchtfolgen mit Ölfrüch-       äthiopischen Boden setzen. Dieses Mal
vielfältige Eigenversorgung gab.              ten und Körnerleguminosen die Regel           haben wir die Möglichkeit, im Rahmen der
                                              waren. Die Monokulturen führen zu ei-         Feldforschung für die Diplomarbeit in Ko-
Für uns war die Frage interessant, in-        nem höheren Krankheitsdruck und, wo           operation mit der Deutschen Gesellschaft
wiefern ökologische Anbaumethoden             verfügbar, werden Pestizide eingesetzt.       für Internationale Zusammenarbeit (GIZ),
integriert werden und was es für Hinde-       LandwirtInnen, die Spritzmittel barfuß        das Land und die Menschen intensiver
rungsgründe gibt, mehr von diesen Me-         und ohne Schutzbekleidung ausbringen,         kennenzulernen.

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Das Projekt der GIZ soll die Produktivität    werden müssen, um ein Hektar Land zu         eller Rotation anzubauen. Man ist sich in
und Rentabilität von 70.000 Bäuerinnen        bearbeiten. Mithilfe der Reihensaat könn-    der Regel bewusst, welche Probleme die-
und Bauern um durchschnittlich 30 % stei-     te Saatgut eingespart und höhere Erträge,    se Anbauweise mit sich bringt, hat aber
gern und so die lokale Wirtschaft und die     unter anderem durch einen gleichmäßige-      aufgrund von wenig entwickelten Märkten
Ernährungssicherheit verbessern. Der Fo-      ren Feldaufgang, erzielt werden. Zusam-      und schlechter Verfügbarkeit von Saatgut
kus liegt dabei auf den Wertschöpfungs-       men mit tiefem Traktor-Pflügen und einer     oft geringen Handlungsspielraum.
ketten von Weizen und Ackerbohnen in          Saatbettbereitung mit Traktoren könnten
der Arsi-Region, der Kornkammer Äthio-        die Erträge im Schnitt sogar um etwa         Das Land hat vielfältige Potenziale, um
piens, in der 54 % des Weizens und 50 %       80 % erhöht werden, schätzen ExpertInnen.    die Lebenssituation der Menschen zu ver-
der Ackerbohnen des gesamten Landes                                                        bessern. Beispielsweise gäbe es auch die
produziert werden. Aktuelle Weizenerträ-      Traditionelle Anbauverfahren in Äthio-       Möglichkeit, einen nachhaltigen Touris-
ge liegen bei rund 2,5 t/ha in Gebieten mit   pien waren häufig vielfältiger als heute.    mus zu fördern, der Einkommen schafft,
einem Ertragspotenzial von etwa 6 t/ha.       Die Brachlegung von Flächen ist eine         ohne dabei jedoch Kultur und traditio-
                                              traditionelle Methode, die weitgehend        nelle Lebensweise zu zerstören – hierfür
Aktuell wird die Bodenbearbeitung mit-        verschwunden ist, da der Landbedarf          braucht es aber wiederum auch politische
hilfe eines den Boden oberflächig auf-        durch die stark wachsende Bevölkerung        Stabilität. Die zukünftige Entwicklung und
brechenden ochsengezogenen Boden-             und immer kleiner werdende Parzellen         die Bewältigung der vielen Herausforde-
bearbeitungsgerätes durchgeführt, was         stetig steigt. Die ökonomische Situation     rungen in Äthiopien sind wahrscheinlich
das Überkreuzarbeiten mit bis zu sieben       der Bäuerinnen und Bauern bringt diese       als kritisch für das gesamte Ostafrika zu
Durchgängen notwendig macht. Das be-          dazu, Weizen, der den meisten Profit ver-    sehen, da das Land als der Stabilitätsan-
deutet, dass bis zu 250 km zurückgelegt       spricht, in Monokultur oder nur mit parti-   ker am Horn von Afrika gilt.           

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ALLES WALDZer!
Mit den Klängen einer berauschenden Ballnacht erwecken wir den winterlichen Wald der Hofburg zum Le-
ben. Am 2. Februar feiern wir den BOKU Ball 2018! Der heurige Ball steht ganz im Zeichen des Waldes, eines
der bedeutsamsten Ökosysteme unserer Erde. Auch für die BOKU ist der Wald von großer Wichtigkeit.
                                                                                                                          Von BOKU ÖH

                                                                                                                                            Foto Sulzer
S
        treng genommen definieren wir          1872 als Hochschule geboren war, statt.       denen Geldbeutel lädt das Tüwi-Beisl im
        Wald als eine bestockte Fläche ab      Der Lehrforst Rosalia und der Versuchs-       Gartensaal mit Getränken zu erschwing-
        1.000 Quadratmeter und mit einer       garten auf der Knödelhütte sind die Plätze,   lichen Preisen ein. Im Eingangsbereich
durchschnittlichen Breite von 10 Metern. Es    wo sich unsere ForstwirtInnen zu Hause        begrüßt Sie die BOKU-Jagdhornbläser-
ist unumstritten, dass die „grüne Lunge“       fühlen. Auf dem heurigen BOKU Ball brin-      gruppe mit einer musikalischen Darbie-
ein wichtiger Bestandteil unseres Klimas       gen wir den Wald nun auch in die Hofburg.     tung. Verpassen Sie auf keinen Fall die
ist. Ein Mensch in Österreich verursacht al-                                                 offizielle Eröffnung um 21 Uhr, wenn die
lein in 20 Jahren rund 142 Tonnen CO2, im      DAS ERWARTET SIE                              BOKU-Blasmusikkapelle in den Festsaal
Vergleich dazu bindet ein Hektar Wald in       AM HEURIGEN BOKU BALL                         einmarschiert! Nach dem offiziellen Be-
derselben Zeit fast das Doppelte. Als ver-     Es gibt selten die Gelegenheit, in einer      grüßungsakt unterhalten uns Studierende
bindendes System in der Natur vereint der      lockeren Atmosphäre das Semesterende          mit einer volkstümlichen Tanzeinlage. Ab
Wald Tiere, Pflanzen, Pilze und Menschen.      einzuläuten. Egal ob es ein Student im        Mitternacht sorgt der Publikumstanz für
                                               Smoking, eine Absolventin im Dirndlkleid,     den Höhepunkt des Abends.
Der Wald nimmt auf der BOKU eine be-           eine Mitarbeiterin im Hosenanzug oder
sondere Stellung ein: Das Department für       vielleicht auch der Rektor im Trachten-       Wenn Sie nun das Ballfieber gepackt hat,
Wald- u. Bodenwissenschaften wie auch          anzug ist – die Diversität der Ballgäste      können Sie ab 4. Dezember Ihre Ballkarte
das Studium der Forstwirtschaft oder           garantiert abermals einen ausgelassenen       im Online-Shop auf bokuball.at erwerben.
Holz- u. Naturfasertechnologie sind nur        Ball. Für Vielfalt sorgt auch das Abendpro-   Der Reinerlös des Balls fließt in den ÖH-So-
einige der Einrichtungen an der BOKU, die      gramm, bei dem unter anderem klassische       zialfonds, der Studierenden in finanziellen
sich direkt oder indirekt mit der Materie      und volkstümliche Musik zum Tanzen ver-       Notfällen unterstützt. Weitere Infos finden
auseinandersetzen. Die Geschichte geht         führen. In den Festsälen ist auf alle Fälle   Sie unter bokuball.at oder auf unserer Fa-
aber noch weiter zurück: Allein die Grün-      für jeden Geschmack etwas dabei! Und für      cebook-Seite ÖH BOKU. Wir freuen uns,
dung der forstlichen Sektion an der BOKU       wen es etwas lauter sein darf, der findet     Sie in der Hofburg begrüßen zu dürfen. In
fand nur drei Jahre, nachdem die BOKU          die Disco im Erdgeschoß. Für den beschei-     diesem Sinne: Alles WALDzer!             

                                                                                                               BOKU Magazin 4 2017
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