BRÄUCHE UND TRADITIONEN - APPENZELLER - Appenzellerland Tourismus AI
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2 APPENZELLER ALPSTOBEDE INHALT 24 HANDWERK DAS APPENZELLERLAND 42 Silvesterkläuse 04 EIN ORT ZUM SEIN 06 Fasnacht Funkensonntag 08 Im Appenzellerland werden Bräuche und T raditionen noch aktiv gelebt. Bis heute prä- gen das sennische und das kirchliche Brauchtum den Lebensalltag. Mit Stolz zeigen wir 12 Stosswallfahrt Ihnen die Schönheit der Landschaft, mit Hingabe erklären wir Ihnen unsere Bräuche, Fronleichnam 14 und mit Freude verweisen wir auf das reiche kulturelle Angebot. 16 Alpfahrt «Chönd zonis!» Betruf 18 Appenzeller ALPWIRTSCHAFT TRACHTEN 22 Tierrassen 20 30 Appenzeller Musik 26 Rugguusseli und 28 Talerschwingen Berggottesdienste 32 34 Markttage Viehschau 36 38 Weihnachtsbräuche Räuchle ond Omsinge 40 LANDSGEMEINDE 44 Bauernmalerei 10 Handstickerei 46 48 Gebetsheilen Sprachführer 50
4 SILVESTERKLÄUSE Wenn am 31. Dezember oder am 13. Januar, dem alten Sil- ernleben dargestellt sind, umrahmt von Tausenden bun- vester nach julianischem Kalender, das erste Tageslicht ten Perlen und Spiegelchen. In der Dunkelheit werden sie die verschneiten Hügel blau schimmern lässt, hört man beleuchtet – ein magisches Lichtspiel. Die «Wüeschte» im Urnäscher Tal von weit her den rhythmischen Schel- (Hässlichen) tragen Fratzen aus Knochen, Tierzähnen, lenklang der Silvesterkläuse. Prächtig kostümiert ziehen Papiermaché und Hörnern und wild zerzauste Kleider sie von Hof zu Hof. Vor dem Bauernhaus stellen sie sich aus Reisig, Stroh, Hobelspänen, Stechlaub und Heu. Die im Kreis auf, um zu «chlausen». Sie schellen und rollen «schö-wüeschte» Wald- und Naturkläuse gestalten ihr nach überlieferter Choreografie und stimmen ein «Zäuer- Gewand mit Ornamenten aus Tannzapfenschuppen, li» an, den Ausserrhoder Naturjodel ohne Worte. Danach Moosen, Rinden, Schneckenhäusern, Bucheckern und wünschen sie dem Hausherrn und seiner Familie ein gu- Eicheln. Manchmal tragen auch sie Hauben mit szeni- tes neues Jahr. Die Silvesterkläuse erhalten dafür Geld- schen Darstellungen. geschenke und etwas zu trinken. Dann ziehen sie in der typischen Reihenfolge weiter. Das Silvesterklausen ist im Appenzellerland Männer- sache. Vereinzelt sind auch Bubengruppen und Mädchen Ein «Schuppel», eine Gruppe Silvesterkläuse, wird vom unterwegs. Man müsse das Klausen im Blut haben, sagen «Vorrolli» angeführt, in der Mitte gehen die «Schelli» und die Einheimischen. zuletzt der «Noerolli» (Nachrolli). «Vor- und Noerolli» tra- gen an Ledergurten über Schultern, Rücken und Brust Bis zum Mittag treffen die Klausengruppen auf ihren Stri- 13 grosse runde, geschlitzte Rollen. Die andern vier haben chen (Routen) in den D örfern ein, erwartet von Scharen sich Kuhschellen in unterschiedlichen Grössen auf Bauch von Schaulustigen. Vor und in den Wirtschaften klausen Ort und Rücken geschnallt. Mit rhythmischem Wiegen, mit sie bis in die Nacht hinein. Appenzeller Hinterland bis Hüpfen, Trippeln und Schütteln und beim Gehen bringen ins Mittelland sie sie zum Klingen. Zeit Am «neuen» Silvester, Die «Schöne», die Rollenweiber, tragen Frauenkleider DAS KLAUSEN 31. Dezember, und am alten und eine Larve, die dem Gesicht einer Porzellanpuppe Silvester nach dem julianischen gleicht. Die «Mannevölcher» tragen bunte Samttrachten Kalender am 13. Januar. und eine bärtige Maske. Auf dem Kopf prangen eigenhän- dig hergestellte, mächtige Hauben und Hüte, rechteckig Fällt das Datum auf einen Sonntag, wird am Samstag MUSS MAN IM BLUT HABEN oder radförmig, auf denen Szenen aus dem Dorf- und Bau- davor geklaust.
6 FASNACHT Am Vorabend des Schmutzigen Donnerstags galoppieren nachtsverein alte Exemplare restauriert. Heute traben Schimmel, Rappen, Füchse, Braune und Gescheckte wieder Scharen von «Botzerössli» aller Farben und Grös- durch die Gassen von Appenzell. Im Rhythmus, den die sen als Vorhut dem grossen Fasnachtsumzug am Sams- Tambouren vorgeben, traben sie ausgelassen hierhin und tag voraus und machen beim Kinderumzug am Donners- dorthin, sodass die Glöckchen am Zaumzeug in wilder tagnachmittag ihre Spässe. Die Mädchen und Buben und Fröhlichkeit bimmeln. die Erwachsenen tragen alte Feuerwehruniformen und schminken sich Schnauzbärte, Sommersprossen und Die Fasnacht im Innerrhoder Hauptort beginnt jeweils rote Wangen ins Gesicht. mit dem traditionellen «Ommetrommere». Dazu versam- meln sich die kleinen und grossen Trommler sowie auch die «Botzerössli» am späten Mittwochnachmittag auf dem Landsgemeindeplatz. Die närrische Rasse der «Botzerössli» sind Holzpferd- chen. Reiter in Uniform stülpen sich diese durch das aus- gesägte Loch im Rumpf über. Der menschliche Oberkör- per ragt aus dem Pferd heraus, das mit Lederriemen über die Schultern des Reiters befestigt ist. Die Beine der Rei- ter sind unter einem farbigen «Rock» am Pferdeleib ver- steckt. Ross und Reiter erschrecken in ihrem Übermut Ort gerne die Zaungäste, und manches Tier bekommt Durst Appenzell und Aussen- und muss am Brunnen getränkt werden. gemeinden Der Brauch der «Botzerössli» stammt ursprünglich wohl Zeit Schmutziger Donnerstag aus dem süddeutschen Raum. In der zweiten Hälfte des (und Vorabend) bis Ascher- 19. Jahrhunderts sollen Reiter in Militäruniformen derbe Sprüche vorgetragen haben. mittwoch EINE VOM AUSSTERBEN Heute leben die «Botzerössli» nur noch in Appenzell In- BEDROHTE RASSE nerrhoden. Kurz bevor sie ausgestorben sind, hat der Fas-
8 FUNKENSONNTAG Einen Spitzenplatz in der Hitliste der Innerrhoder Bräu- Mitglieder früher mit wechselnden Sujets auf und lärm- che belegt bei Kindern und Jugendlichen der Funken- ten mit verbeulten Blecheimern. sonntag. Höhenfeuer zum Frühlingsbeginn haben ihre Anfänge wohl in altheidnischen Bräuchen, die den Win- Der lokalpatriotische Anlass ist für die «Riedler» ein Hö- ter vertreiben und die Fruchtbarkeit der Felder beschwö- hepunkt im Jahr. Auf der Kuppe oberhalb des Quartiers, ren sollten. in der Nähe des Ortes, wo bis 1874 der Galgen stand, wird eine 15, früher bis 25 Meter hohe Pyramide aus Brennholz Kaum sind die letzten Guggenmusikfanfaren der Fas- aufgebaut. Bei Einbruch der Dunkelheit ziehen Gross und nacht verklungen, sammeln die Schulkinder in Appen- Klein mit brennenden Fackeln und wilden Rufen – «Ried zell und in den Aussengemeinden eifrig brennbares Ma- lebede hoch, dreimal hoch!» – zum Funkenplatz. Auf ein terial. Seit einigen Jahren dürfen sie nur noch Zeichen hin werfen alle ihre Fackeln in den Feuerstoss, unbehandeltes Holz zusammentragen. Beliebt sind die und ein grandioses Feuerwerk wird gezündet. Traditions- verdorrten Christbäume, die extra für die Funkenbuben gemäss glimmt in manchem Kindermund die erste Ziga- aufbewahrt werden. Früher schichtete man alles auf, was rette oder ein Stumpen. Die «Funkebaabe» explodiert, schön brannte: ausgediente Pneus, Matratzen, Möbel, Pa- und der Funken lodert stundenlang – oft glüht und raucht letten, Schaltafeln. der Rest noch am Montag. Vor dem Laetaresonntag, dem vierten Sonntag der Fas- tenzeit, wird das Brennmaterial mit Hilfe von Erwachse- nen an gut sichtbaren Stellen aufgeschichtet. Auf den Ort Gipfel setzt man die mit Feuerwerkskörpern gefüllte Appenzell und Aussen- «Funkebaabe». Sie steht für den Winter, dem man den Ga- gemeinden raus machen will. Unter den Appenzeller Quartieren ent- brannte früher ein Wettstreit um den höchsten, schöns- Zeit Vierter Sonntag in der Fasten- ten Funken – den Hehrfunken. DIE SCHÖNSTE NACHT zeit Am intensivsten pflegt in Appenzell der südliche Dorfteil Ried, ein ehemaliges Armenquartier mit spannender So- zialgeschichte und eigener Verwaltung, den Brauch. Es FÜR DIE RIEDLER gibt einen Funkenverein; am Fasnachtsumzug traten die
10 LANDSGEMEINDE Nie wird deutlicher als am Landsgemeindesonntag: Die Vor den Abstimmungen über Sachgeschäfte werden Be- Staatsgewalt liegt beim Volk. Die Landsgemeinde ist der stätigungs- oder Neuwahlen für die Mitglieder der Stan- Inbegriff der lebendigen direkten Demokratie. Seit 1403 deskommission und des Kantonsgerichts vorgenommen findet sie einmal im Jahr unter freiem Himmel am letz- sowie alle vier Jahre für den Ständerat. Die Regierung legt ten Sonntag im April statt. An diesem Tag werden die Rechenschaft ab über ihre Tätigkeit und die Staatsrech- sieben Mitglieder der Standeskommission (Kantons- nung. Dabei und bei Sachvorlagen haben die Stimm- regierung) und die Kantonsrichter gewählt oder bestä- berechtigten die Möglichkeit, auf den Stuhl zu treten und tigt, und es wird über Sachgeschäfte wie Verfassungs- für oder gegen ein Geschäft zu argumentieren, eine Anre- und Gesetzesvorlagen oder Kredite abgestimmt. gung anzubringen oder eine Einzelinitiative einzurei- chen. Dazu fordert der Landammann auf mit der Formel: Nach dem festlichen Landsgemeinde-Gottesdienst in der «S Woot ischt frei.» Gewählt und abgestimmt wird mit of- Pfarrkirche ziehen die Regierungsräte und die Mitglieder fenem Handmehr. des Kantonsgerichts im Radmantel (genannt «Liiche- maantl»), begleitet von Ehrengästen, Punkt zwölf Uhr Nach der Landsgemeinde feiert das Volk ein ausgelasse- mittags vom Rathaus zum Versammlungsplatz. Ihnen nes Dorffest. voran schreitet der Landweibel mit dem Zepter. Der Rat- schreiber trägt das silberne Landbuch zum Lands- gemeindestuhl, einer zweistufigen Holztribüne, auf der die Landammänner sowie «Secklmeischte», Statthalter, «Landshopme», Bauherr und «Landsfehnrich» (Departe- Ort mentsvorsteher) und die Kantonsrichter ihre Stehplätze Appenzell einnehmen. Angeführt wird der Zug von der Musik gesellschaft Harmonie, die seit dem 19. Jahrhundert den Zeit langsamen Landsgemeindemarsch spielt. Letzter Sonntag im April, 12.00 Uhr Wenn die grosse Glocke vom Kirchturm verstummt, er- öffnet der regierende Landammann die Versammlung S WOOT mit einer Ansprache. Nach der Wahl schwört zuerst der regierende Landammann und danach die stimmberech- ISCHT FREI tigten Frauen und Männer den Landsgemeinde-Eid.
12 STOSSWALLFAHRT Noch vor dem Morgengrauen weckt die grosse Glocke der Das Land Appenzell war, als es sich von fremden Vögten Pfarrkirche St. Mauritius die Gläubigen. Das «Schreckläu- und vom Diktat des Abtes von St. Gallen befreite, noch ten» am zweiten oder dritten Sonntag im Mai ist um halb ungeteilt. Die Landteilung in einen katholischen und ei- fünf Uhr morgens fast im ganzen Kanton zu hören und nen reformierten Halbkanton erfolgte 1597, dank ge- erinnert an das Gelöbnis der Appenzeller: Nach der sieg- schickter Vermittlung durch sechs andere Kantone, ohne reichen Schlacht am Stoss im Juni 1405 gelobten sie, im- Blutvergiessen. mer am Fest des heiligen Bonifatius (14. Mai), noch vor der Heuet also, zum Schlachtfeld zu wallfahren, um Dank Ein grosser Teil des Pilgerwegs führt heute über Ausser- zu sagen für die errungene Freiheit und um der Gefalle- rhoder Boden. Auf Teilen der Wegstrecke – je nach Witte- nen zu gedenken. Die Stosswallfahrt gehört zu den ältes- rung entlang der Strasse oder über Wiesen – beten 300 bis ten und urtümlichsten Traditionen im Appenzellerland. 500 Wallfahrende den Rosenkranz. Nach der Ankunft bei der Schlachtkapelle wird im Freien der feierliche Gottes- Um sechs Uhr morgens setzt sich bei der Pfarrkirche dienst abgehalten, umrahmt von der Musikgesellschaft St. Mauritius in Appenzell die Prozession zum neun Kilo- Harmonie Appenzell. Nach einer kurzen Rast fahren die meter entfernten Stoss in Gang. Aus jedem Haus sollte ein Pilgerinnen und Pilger mit Extrazügen wieder zurück ehrbarer Mann daran teilnehmen, lautete einst das Ver- nach Appenzell. sprechen. Für die Mitglieder der Standeskommission und des Kantonsgerichts sowie die Innerrhoder Bezirks- hauptleute ist die Wallfahrt Pflicht. Voraus gehen Polizei und Fahnenträger; ihnen folgen Ministranten und die Ort Geistlichkeit, danach die Regierungsmitglieder und zum Appenzell Schluss Studenten und Bevölkerung, seit 1991 auch Frau- en und Mädchen. Zeit Zweiter oder dritter Maisonn- tag, 6.00 Uhr Auf halbem Weg, beim historischen Sammelplatz, ver- liest der Ratschreiber den Fahrtbrief. Darin wird das le- gendäre Schlachtgeschehen im Zuge der Appenzeller Be- AUS JEDEM HAUS freiungskriege geschildert, und die gefallenen Appen- zeller werden aufgezählt – unter ihnen auch der Held Ueli EIN EHRBARER MANN Rotach. Für sie werden fünf Vaterunser gebetet.
14 FRONLEICHNAM Frühmorgens wecken Kanonenschüsse die Gläubigen. ligstes werden vom prunkvollen Baldachin beschirmt, Fronleichnam ist für die katholischen Innerrhoderinnen den Mitglieder des Kirchenrats tragen. Ihnen folgen Ban- und Innerrhoder «Ösehegottstag». Seit dem Hochmittel- nerträger kirchlicher und weltlicher Gruppen, dahinter alter wird das hohe kirchliche Fest zur Verehrung des hei- wehen die Rhodsfahnen. Andächtig schreiten Behörden- ligen Altarsakraments zehn Tage nach Pfingsten gefeiert. vertreterinnen und -vertreter, der Kirchenchor, Angehö- In Appenzell und den Aussengemeinden werden die rige des Pfarreirats und des Seelsorgeteams, Ministran- prächtigsten Prozessionen des Kirchenjahres abgehalten. ten, Erstkommunikanten, die Pfadfinder, die Fronleich- Schon morgens um sechs Uhr herrscht emsiges Treiben namsschützen und die Musikgesellschaft durch die Gas- im Dorfkern von Appenzell und in den Aussengemein- sen. Die klare Ordnung gilt seit Generationen. den. Die Bewohnerinnen und Bewohner schmücken ihre Häuser mit frischem Buchenlaub; Heiligenbilder und -fi- Ihren besonderen Glanz erhält die Prozession durch die guren und Blumenschmuck werden platziert. bis zu hundert Frauen in der Festtagstracht und die 15 «Täfelimeedle». Diese jungen Frauen in der schwarz- Der Festtagsgottesdienst wird bei schönem Wetter um weissen Tracht der Unverheirateten tragen bemalte Holz- neun Uhr unter freiem Himmel im Innenhof des Gymnasi- tafeln mit den 15 Geheimnissen des freudenreichen, ums St. Antonius zelebriert. Dann zieht die farbenprächti- schmerzhaften und glorreichen Rosenkranzes. ge Prozession zu den zwei üppig geschmückten Segenssta- tionen auf dem Landsgemeindeplatz und beim Schulhaus Chlos. Dort werden jeweils – angezeigt durch weiteren Ka- nonendonner – kurze Andachten mit Lesungen gehalten Ort und der eucharistische Segen erteilt. Auf den Wegstrecken Appenzell und Gonten, kleinere dazwischen wird der Rosenkranz gebetet. Prozessionen auch in anderen Innerrhoder Gemeinden Die Fronleichnamsprozession hat in jeder Pfarrei ihre Be- Zeit sonderheiten. Im Zentrum steht das Allerheiligste, das Donnerstag, vor Prozessionsbeginn in der Kirche abgeholt wird. 10 Tage nach Pfingsten, Vormittag In Appenzell begleiten Herrgottsgrenadiere in napoleoni- schen Uniformen die Monstranz bis zum Schlusssegen «ÖSEHEGOTTSTAG» zwei Stunden später in der Kirche. Pfarrer und Allerhei-
16 ALPFAHRT Je nachdem, wie hoch das Gras steht, wird im Mai oder im Acht bis zehn Wochen bleibt das Vieh auf den Alpen. Spä- Juni «öberegfahre». Die Alpfahrt ist für viele Bauernfami- testens am 30. September ist Alpabfahrt. Sie verläuft lien der schönste Tag im Jahr. nach dem gleichen Muster wie der Aufzug. Die Tiere werden eingereiht und vielleicht der Lediwagen Im Gegensatz zu Appenzell Ausserrhoden, wo die Sen- mit allen Sennereigeräten beladen. Der Senn geht den nen der Alpen am Fuss des Säntis an einem einzigen Tag Schellenkühen voran. Er trägt die Festtagstracht und Alpabtrieb feiern, verkünden in Innerrhoder Dörfern im über der linken Schulter den Fahreimer. Die drei aufein- Spätsommer an vielen Nachmittagen Schellenklänge ander abgestimmten Schellen am Hals der Tiere sind und Naturjodel das Ende der Alpzeit. wohl die einzigen Instrumente auf der Welt, die von Kü- hen gespielt werden. Angeführt wird der Alpaufzug von Appenzeller Ziegen. Kinder halten sie im Zaum. Dahinter folgen die Kühe, Rin- der und Kälber und manchmal ein Stier. Am Schluss geht der stolze Besitzer der Viehherde, begleitet vom treuen «Bläss». Der Appenzeller Sennenhund gibt acht, dass kein Tier vom Weg abkommt. Die wichtigste Aufgabe der vier Sennen hinter den Schel- Ort lenkühen ist das Singen und Zauren (Jauchzen). Auch sie Überall an den Zugängen sorgen dafür, dass die Herde beisammenbleibt. Stärkung zu den Alpgebieten für den mehrstündigen Alpauftrieb erhalten sie unter- wegs: Bei vielen Wirtschaften wird «usekhäbed», das Zeit Alpauffahrten Mitte Mai bis Juni heisst, den Vorbeiziehenden werden Getränke angeboten. Trifft der Alpfahrtszug auf der Alp ein, tragen die Sennen Zeit Alpabfahrten Mitte August bis DER SCHÖNSTE TAG die Schellen in gleichmässigem Schritt zur Hütte. Wäh- rend das Vieh auf die Weide getrieben wird, s ingen sie Ende September IM BAUERNJAHR «Rugguusseli».
18 BETRUF Die Bergflanken glühen im letzten Sonnenlicht. Kuh- sprochene, halb gesungene Form verleiht dem Alpsegen glocken und Tierstimmen verstummen. Nach dem har- seinen volkstümlichen Charakter. Manchen Herrgotts- ten Tagwerk stellt sich der Senn auf eine Erhebung seiner winkel der Alphütten ziert ein Pergament, auf dem der Alp, führt den geschnitzten Holztrichter zum Mund und Betruf in schöner Schrift festgehalten ist. ruft den Alpsegen – ein anrührender Moment der An- dacht und Demut. Erforscher des Betrufs sind der Ansicht, dieser werde stellvertretend für das im Tal übliche Betläuten («Betlüü- Auf mehreren Innerrhoder Alpen wird während der Söm- te») angestimmt. Wie dieses soll auch der über die Alp merungszeit allabendlich der Alpsegen gerufen. Wer ihn gerufene Segen Schutz und Schirm für die Nacht gewäh- hört, wird an Klänge aus dem Mittelalter erinnert. Ar- ren. Er soll im bannenden Kreis alles, was dem Schutz chaisch ist auch der Text – halb im Dialekt, halb im «alt- anbefohlen wird, vor zeitlichem und ewigem Feuer, vor möödege» Schriftdeutsch vorgetragen. Tief religiöses, ur- Hagel, Blitz, Steinschlag und Seuchen, vor Hunger und altes katholisches Brauchtum kommt hier zum Ausdruck. Krieg bewahren. Älteste Quellen erwähnen eine Art Sennengebet bereits Bis vor kurzem war der Betruf auf Innerrhoder Alpen im 15. Jahrhundert für die Weiden im Alpsteingebiet, da- Männersache. Unterdessen pflegen auch Frauen diesen mals auch als «Ave-Singen» oder «Ave-Maria-Rufen» be- schönen Brauch. zeichnet. In der Zwischenzeit geriet der Brauch in Verges- senheit. Ort Der heute gebräuchliche Innerrhoder Betruf ist nicht sehr Auf mehreren Alpen alt: Anlässlich des Appenzeller Landifestspiels 1939 ge- langte ein «Innerrhoder» Alpsegen auf die Bühne. Melo- Zeit die und Text waren aus anderen Regionen entlehnt, was Während der Alpzeit, beim Einnachten für manche Innerrhoder beschämend war. So liess man von den Kapuzinerpatres Erich Eberle und Ekkehard Högger im Jahr 1946 einen eigenen Betruf schreiben. «BHÜETS GOTT Nach Textanpassungen wird seit 1948 diese Version ge- rufen. Die litaneiartig geführte Melodie kommt mit fünf OND EHAALTS GOTT» Tönen aus und erinnert an Gregorianik; die halb ge-
20 ALPWIRTSCHAFT Von Tagesanbruch bis zum Einnachten hat der Senn auf Auf einer Appenzeller Alp stehen meist drei getrennte grossen Alpen alle Hände voll zu tun: melken, käsen, but- Holzbauten: die Sennhütte, der Stall und ein kleiner tern, Tiere füttern, Klauen pflegen, Weiden ausräumen, Schweinestall. In der dreiräumigen Alphütte betritt man Holz hacken, kochen oder auch Tiere einfangen, die sich direkt die Küche; dort hing früher das «Chääschessi» über verstiegen haben. dem offenen Feuer. Die einfachen Mahlzeiten kochen die Bewohner auf dem Holzherd oder dem Gaskocher. Unter Auf den 3792 Hektar Innerrhoder Weiden auf 1 000 bis der Küche liegt der gemauerte Käsekeller. Die Hütten sind 2 200 m ü. M. werden von Mitte Mai bis September Kühe, selten mit Elektrizität ausgerüstet; fliessendes Wasser Jungvieh wie auch Ziegen und Schafe gesömmert. Schon spendet der Brunnen draussen. 1071 wird das Bestossen der Alpen im Alpstein erwähnt. Gemein- und Genossenschaftsalpen werden von mehre- ren Bauern bestossen. Die Alpwirtschaft dient der Zucht von widerstandsfähi- gen und wirtschaftlichen Tieren. Gleichzeitig wird durch die Sömmerung der Futterbestand im Tal geschont. Frü- her wurde vor allem Käse produziert. Heute hingegen nehmen regionale Milchverwertungsbetriebe den Sen- nen die Milch ab, um Spezialitäten herzustellen. Einen Aufschwung erlebte in den letzten Jahren die Direktver- Ort marktung von Alpkäse. Auf mehreren Alpen Manche Bauern pendeln heute dank der Erschliessung Zeit der Alpen mit Fahrwegen zwischen Berg- und Talbetrieb. Während der Alpzeit Die Landschaftspflege durch das Bestossen der Alpen hat auch touristisch an Bedeutung gewonnen. Und einige Sennen verdienen sich mit der Bewirtung und Unterbrin- IM EINKLANG MIT DEM gung von Gästen einen Zustupf. LAUF DER SONNE
22 APPENZELLER TIERRASSEN Er sei oft noch angriffiger als sein Meister, behaupten böse Milch, Kosmetikprodukte oder Heilsalben gegen Rheu- Zungen über den schlagfertigen Innerrhoder «Bläss». Der ma – erfreuen sich wieder grösserer Beliebtheit. Gitzibra- Appenzeller Sennenhund, der zu den gefährdeten Rassen ten und «Gitzic hüechli» sind zur Osterzeit in vielen In- gehört, geht auf die Bauernhunde zurück, die früh als nerrhoder Familien Tradition. Hüte-, Trieb- und Wachhunde eingesetzt wurden. Anfang des 20. Jahrhunderts begann man, eine reine Rasse des Geradezu exotische Schönheiten sind die Appenzeller mittelgrossen dreifarbigen Tieres zu züchten. Spitzhauben-Hühner und -Gockel. Das Federkleid gefällt mit seinen schwarzen Tupfen auf silberweissem oder gold- Sein Wesen ist geprägt von der jahrhundertelangen Ver- blondem Grund. Adrett wippt die Federhaube auf ihrem wendung im Alpengebiet. Er ist temperamentvoll und Kopf. Ebenfalls zu den seltenen Hühnerrassen gehören die ausdauernd. Der «Bläss» ist ein schlauer Beobachter, ein Appenzeller Barthühner. Stolz tragen sie ihr schwarzgrün unkomplizierter, wetterfester, wenig krankheitsanfälli- glänzendes Gewand, den Rosenkamm auf dem Kopf sowie ger und treuer Begleiter. Fremden gegenüber zeigt er sich ihren Kinn- und Backenbart. jedoch gern misstrauisch. Der «Bläss» ist der geborene Wächter und Beschützer von Haus und Familie. Immer öfter ist er auch als Begleithund beliebt und wird sogar als Blinden-, Lawinen- und Katastrophenhund geschätzt. Besonders liebenswert, aber auch eigensinnig ist die Ap- penzeller Ziege. Auch sie gehört zu den gefährdeten Tier- rassen in der Schweiz. Sie ist vor allem Milch- und Fleischlieferantin. Viele halten Appenzeller Ziegen heute aus reiner Liebhaberei. Sie ist eine sogenannte «Motsch- gääss», das heisst, durch genetische Veränderung kommt sie meist hornlos zur Welt. Sie hat weisses, langes Haar und ist eine gute Berggängerin. Typisch sind die Zottel am Un- terkiefer, die «Mingeli», und das Ziegenbärtchen. Jährlich DER TREUSTE gibt sie etwa 700 Kilogramm gut verträgliche, fettarme Milch. Die Produkte daraus – zum Beispiel Frischkäsli, BEGLEITER
24 ALPSTOBEDE Mitten im Alpsommer laden die Sennen auf grösseren Einzig an vier Tagen pro Jahr war in alter Zeit das Tanzen Gemeinalpen zur «Alpstobede» ein. Zum Teil unter frei- in Innerrhoden offiziell erlaubt. So ist es nicht erstaun- em Himmel spielt eine Appenzeller Musikformation auf; lich, dass bis Anfang des 20. Jahrhunderts die «Alpstobe- Volkstanzgruppen und das Publikum drehen sich auf der de» äusserst beliebt waren: Hier fanden – fernab der Holzbühne im Kreis. M änner sorgen mit der Tanzfigur wachsamen Augen von Staat und Kirche – vergnügliche «Mölirad» für Furore; ein Trachtenpaar tanzt den «Hie- Anlässe statt. In Appenzell Ausserrhoden wurden 1726 rig», einen pantomimischen Paartanz. Es wird gejodelt, die «Alp- und Weidstuberten» endgültig verboten. und es werden «Ratzliedli» gesungen. Dort, wo Bergwirtschaften stehen, wird auch bei schlech- tem Wetter oder am Abend gefeiert. Die Sennen der Um- gebung nehmen in der Tracht daran teil; Landwirte aus dem Tal besuchen die Sommerfeste und heute auch viel anderes Volk. Mit «Stobede» war ursprünglich eine Zusammenkunft in der Stube gemeint. «Zo Stobede goh» bedeutet noch heu- te, jemanden in seinem Wohnraum zu besuchen, mit ihm zu reden. Der Begriff wurde auf die geselligen Zu- sammenkünfte der Sennen übertragen – eben «Alp-Sto- Ort bede», früher auch «Weidstobede» genannt. Diese hän- Auf verschiedenen Alpen und gen mit den Alpbesuchen zusammen, welche Ange- in diversen Berggasthäusern hörige der Sennen und die Viehbesitzer alljährlich unter- nahmen. Der sportliche Teil – Steinstossen, Schwingen, Zeit Um die Mitte des Alpsommers «Hoselopf», «Hööggle» – ging unterdessen verloren. Eine (Juni bis August) Neuauflage von «sennischen Wettkämpfen» wurde 2006 beim Gasthaus Mesmer gestartet. 2012 wurde in der Bol- DAS SOMMERFEST lenwees während der «Stobede» erstmals ein «Bollewöf- fe» veranstaltet. DER SENNEN
26 APPENZELLER MUSIK Unverkennbar ist der Klang der typischen Appenzeller Um die Zukunft der Appenzeller Musik aller Sparten zu Musik. Das klassische Quintett setzt sich zusammen aus sichern, wurde im Jahr 2003 die Stiftung Zentrum für Ap- zwei Geigen, Cello, Hackbrett und Streichbass. Das Hack- penzellische Volksmusik gegründet. Im «Roothuus» in brett rhythmisiert dabei die Kompositionen und füllt die Gonten wird seit 2007 das einmalige Kulturgut gefördert, Lücken mit schillernden Tonkaskaden. gesammelt und dokumentiert. Die Streichmusik tritt seit 1892 in Quintettbesetzung auf, Das Hackbrett nachdem früher nur mit Geige und Hackbrett, später Das trapezförmige Hackbrett gehört zu den Kasten- dann im Trio und Quartett gespielt worden ist. Parallel zithern. Die mehrchörig gebündelten Saiten werden mit zur Formationsentwicklung entstand auch das entspre- zwei Ruten (Schlägern oder Klöppeln) angeschlagen. Je chende Repertoire mit Walzer, Schottisch, Polka, Marsch, nach Beschaffenheit der Ruten klingen die Saiten silbrig Ländler, Mazurka und Galopp. Schon um 1900 kom- hell oder samtig weich. Als Urform des Hackbretts gilt das ponierten Appenzeller Musikanten Stücke, die bis heute persische Santur, das seit dem Mittelalter belegt ist. Im gespielt werden. Z ahlreiche Werke sind harmonisch sehr Lauf der Jahrhunderte hat es den Weg über den Balkan anspruchsvoll, enthalten überraschende Wendungen nach Europa gefunden. Beim alpenländischen Appenzel- und oft eigenwillige Modulationen. Ein typisches Merk- ler Hackbrett sind die Saiten zur Hälfte durch einen Steg mal der «schlääzigen» Tänze sind die abrundenden in Quinten und Sexten aufgeteilt und chromatisch ange- Schlusstakte. ordnet. Eine neue Generation gut ausgebildeter Musikerinnen Ort und Musiker verleiht heute der Appenzeller Musik frische Im Appenzellerland Impulse und wagt auch Experimente und Grenzüber- schreitungen. Der Streichmusik in Originalbesetzung be- Zeit gegnet man meist nur noch an konzertanten Auftritten. Ganzjährig Für Tanzmusik wird anstelle von Cello und zweiter Geige gerne die Handorgel eingesetzt. Sie bringt einen speziel- len «Zoog» in die Appenzeller Musik. Auch Besetzungen DAS HACKBRETT – mit Klavier oder mit zwei Handorgeln sind anzutreffen. Was aber allen Appenzeller Formationen eigen ist: Sie DER HEIMLICHE STAR spielen ein typisches Repertoire.
28 RUGGUUSSELI UND TALERSCHWINGEN Die Männer stehen im Kreis, völlig auf sich selbst und den der «Alpstobede», im Wirtshaus und natürlich zur Alp- Ton konzentriert, die Hände in den Hosentaschen. Der fahrt. Vorsänger stimmt eine Klangfolge an, einer nach dem an- dern stimmt ein. Gesungen wird nach Gefühl. Kaum ein «Schölleschötte» und Talerschwingen anderer Jodel klingt so anrührend wie das Innerrhoder «Schölleschötte», bei dem grosse Kuhschellen durch «Rugguusseli» und das Ausserrhoder «Zäuerli». rhythmisches Schwingen zum Klingen gebracht werden, ist eine eigenständige musikalische Aufführung; das «Rugguussele» oder «zäuerle» bedeutet, mehrstimmige «Rugguusseli» dazu ist Beigabe. Anders verhält es sich textlose Naturjodel aus klingenden Vokalen und Silben zu beim Talerschwingen: Hier steht im Vordergrund der Na- singen. Typisch für die erste Stimme ist der schnelle turjodel, und der Beckendreiklang liefert den Bordun, den Wechsel von der Brust- in die Kopfstimme (Falsett), be- Halteton, der zur Begleitung erklingt. Es existiert keine zeichnet als Kehlkopfschlag. Die Melodie des «Voozaurers» vorgegebene Becken-Stimmung, am beliebtesten ist aber wird gestützt durch eine improvisierte Mehrstimmigkeit jene mit Intervallen wie bei den Schellen (E-G-A) oder in mehrerer Sänger, was «graadhäbe» genannt wird. Dreiklang-Terzen. Die Begriffsherkunft ist nicht geklärt. Bereits in einer «Ratzliedli» Schrift von 1606 begegnet man den Ausdrücken von «sau- In fröhlichen Runden singen die Appenzeller gern. Und ren» und «rungusen» als Lockrufe (Alfred Tobler in «Kuh- manchmal werden sie übermütig. Einer singt die erste reihen», 1890). «Zaure» ist eine der typischen Kommunika- Strophe eines «Ratzliedli», eine weitere folgt – und noch tionsformen im Alpenraum. Es ist ein Jauchzer, ein eine und noch eine. Witzige, freche, spottende, kokette Ort Lebenszeichen, ein Ausdruck von Freude an Klang und oder banale Zeilen reimen sich auf die einfachen – manch- Im Appenzellerland Echo. mal von bekannten Volksliedern entlehnten – Melodien. In den gejodelten Refrain stimmen alle ein. Die ganze Wirt- Zeit JODEL OHNE In Innerrhoden waren es ursprünglich die Sennen, die den schaft wird zum Jodelchor. Der Name «Ratzliedli» charak- Ganzjährig Jodel sangen, doch um 1900 wurde er durch Solojodlerin- terisiert mit dem Wortteil «ratz» die Art der Lieder im Sin- nen weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt ge- macht. «Rugguusseli» und «Zäuerli» sind schlichte, langsa- ne von «zom Tratz», will heissen: necken, scherzen, hänseln. Die Texte werden zum Teil seit Generationen WORTE UND me Melodien. Melodien in Moll existieren nicht, und trotzdem empfinden Aussenstehende den Gesang oft als überliefert, aber immer wieder auch neu erfunden – sie sind pure Volkspoesie! FRECHE LIEDER schwermütig. Man hört sie an zahlreichen Konzerten, an
30 TRACHTEN Für die Innerrhoder Trachtenträgerinnen und -träger ist Jacke und die Kranzrocktracht, die nach altem Vorbild die Innerrhoder Tracht einfach das schönste Kleid. Die wieder neu gestaltet wurde. aufwendige Herstellung in Handarbeit macht sie zu einer der schmucksten und vielgestaltigsten Trachten in der Männertrachten Schweiz. Am häufigsten sieht man Appenzeller Männer im braunen, wollenen Beinkleid mit Hosenladen zum kurzärmeligen, Frauentrachten bestickten weissen Sennenhemd. Darüber wird das rote Beeindruckend ist die prunkvolle Festtagstracht der In- «Liibli», eine Weste aus seidenbesticktem rotem Wollstoff nerrhoderin. Zum fein plissierten, knöchellangen Rock mit quadratischen Silberknöpfen, getragen. Schmuckstü- wird eine Schlottenjacke getragen, darunter über der ge- cke sind die beschlagenen Hosent räger und die Uhren- stärkten Bluse ein Samtmieder mit silbernen Filigran- kette am Hosenbund. spangen und einem reich bestickten Brustblätz. Über dem Rock schimmert die lange, mit Hohlsaum und Glas- Typisch für Appenzeller ist der schlangenförmige golde- perlen verzierte Damastschürze. Aus demselben Stoff ist ne Ohrring. An Festtagen oder für Auftritte wird darin das goldbestickte «Brüechli» gefertigt. Wunderschön das goldene «Schüefli» – eine winzige Rahmschöpfkelle – sind der gefältelte, handbestickte weisse Schlottenkra- eingehängt. gen und die dazu passenden Stulpen. Der Kopfputz ist eine schwarze Flügelhaube mit seitlichen Rosen, mit ei- Bei Alpfahrten und an der Viehschau tragen die Sennen ner weissen Spitzenhaube, Goldkäppi und karmesinroter die gelben, ledernen Kniebundhosen. Die Hosenbeine Seidenschleife zwischen den Tüllflügeln. Wertvolle Zier werden über weissen, gestrickten Kniestrümpfen mit be- Ort sind die filigranen Trachtenschmuckstücke, die oft über schlagenen Riemen festgehalten. Über dem Hemd wird Appenzell Innerrhoden Generationen vererbt werden. auch die rote, kragenlose Weste getragen. Über die Hüfte schlingt der Senn ein buntes, zum Dreieck gefaltetes Zeit UNSER Viel öfter tragen die Innerrhoderinnen die Werktags- Tuch; auf dem Kopf trägt er den flachen, mit Bändern und In Appenzell Innerrhoden wird oft die Tracht getragen, nicht im tracht. Mieder, Vorstecker, «Brüechli» und Schürze sind Blumen geschmückten schwarzen Hut. Nicht mehr jeder SCHÖNSTES Alltag, sondern zu besonderen ähnlich wie bei der Festtagstracht, aber weniger reich ge- Trachtenträger schmaucht die typische Pfeife, das mit Anlässen: an hohen katholi- schmückt. Dazu wird keine Jacke getragen und in der Re- Silber beschlagene «Lendaueli» mit seinem Klappdeckel. schen Feiertagen, zu Familien- gel kein Kopfputz. Der Rock ist wadenkurz, der Schmuck einfacher gehalten. Weitere Trachtenformen sind diejeni- festen, «Stobede», beim «Öbere- fahre» und an der Viehschau. KLEID ge der «Täfelimeedle», die «Bareemeltracht», Rock und
32 BERGGOTTESDIENSTE Die Verbundenheit von kirchlichem und weltlichem Le- dachten in den Bergen ermöglichte sowohl den Alphirten ben zeigt sich in Appenzell Innerrhoden deutlich in den als auch den Wanderfreunden den sonntäglichen Messe- katholischen Festtagen wie Fronleichnam, Mariä Emp- besuch. fängnis, dem «Augschthäligtaag» (15. August, Mariä Him- melfahrt) und in den traditionellen Berggottesdiensten. Bei etlichen der kleinen Heiligtümer werden regelmässig Rosenkranzgebete abgehalten. Die Marienverehrung Die Bergkapellfeste im Plattenbödeli und in der Bollen- spielt in Appenzell Innerrhoden eine grosse Rolle. wees, das Fest Maria zum Schnee auf der Meglisalp, die Messen in der Wallfahrtskapelle im Ahorn, das Gedenken Neben den Gipfelkreuzen und Bildstöcken findet man an Bruder Klaus auf Seealp und die Jakobifeier auf dem im Berggebiet zahlreiche christliche Zeichen der Erinne- Kronberg besuchen neben den Sennen und ihren Angehö- rung an verstorbene und verunglückte Sennen und Berg- rigen viele gläubige Berggänger. Die Feiern werden unter gänger. Jedes dieser Zeichen der Volksfrömmigkeit hat freiem Himmel abgehalten. Als Höhepunkt gilt das Schutz- seine eigene – oft leidvolle – Geschichte. engelfest bei der Höhlenkapelle Wildkirchli, der wohl be- rühmtesten Kapelle im Alpstein. Das anschliessende gemütliche Zusammensein in den Bergwirtschaften, meist mit Musik, Tanz und Gesang, ge- hört selbstverständlich zum Festtag. Ort Das Innerrhoder Alpsteingebiet und die Hügel und Täler Im Alpstein zu seinen Füssen sind geradezu übersät mit Kapellen, Bergkreuzen und Bildstöcken. Die Errichtung der ersten Zeit Bergheiligtümer geht auf das frühe 17. Jahrhundert zu- Während der Sommerzeit rück, als man im katholischen Halbkanton glaubte, den Katholizismus gegenüber den «vom rechten Glauben ab- gefallenen» Protestanten sichtbar machen zu müssen. VOLKSFRÖMMIGKEIT Der Grossteil der gegen 50 Kirchlein, Kapellen und Bild- stöcke steht jedoch mit dem touristischen Aufschwung UNTER FREIEM HIMMEL in Verbindung. Das Angebot an Gottesdiensten und An-
34 MARKTTAGE Wenn der Sommer sich dem Ende zuneigt, locken süsse am ersten Mittwoch im Dezember ist die Gelegenheit, Düfte, Schiessbuden, Karusselle und Marktstände die Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Geschenke kaufen Innerrhoder in die Dörfer. Anfang August beginnt der nennt man im Innerrhoder Dialekt denn auch «chläuse- Reigen der «Chölbene» in Oberegg, wenig später organi- le». Seit einigen Jahren veranstaltet ein Verein am zwei- siert eine «Dorfkommission» die «Stenegge Chölbi». Am ten Sonntag im Dezember einen Weihnachtsmarkt auf zweiten Sonntag im September werden auf dem Betriebs- dem Postplatz. Die zauberhafte Adventsstimmung mit gelände von Appenzeller Alpenbitter in Appenzell seit Leuchtsternen und Weihrauchschwaden und die an den 1972 von einem Verein eine altertümliche «Riitschuel», Adventssonntagen geöffneten Geschäfte locken Scharen eine nostalgische Schifflischaukel, eine historische Orgel von Besucherinnen und Besuchern an. und ein «Hau den Lukas» aufgestellt. An der «Schwend- ner Chölbi» wird traditionell ein Steinstoss-Wettbewerb An Bedeutung verloren hat der Mittwoch, der früher auch durchgeführt. Anfang und Mitte September haben auch Bauernsonntag genannt wurde. An diesem Tag war in Gonten und Haslen ihre «Chölbi» im kleinen Rahmen. vergangener Zeit traditionell Markttag – daher das Dia- lektwort «Mektig». Man sah die Landwirte und Vieh- Die grösste Attraktion ist die «Hofer Chölbi» in Appenzell. händler an den Wirtshaustischen jassen oder in Gruppen Traditionell findet sie am Wochenende nach dem Festtag in den Gassen stehend diskutieren, Besorgungen erledi- des Landespatrons St. Mauritius (22. September) statt. gen und Geschäfte machen. Spektakuläre Fahrgeschäfte, dröhnende Musik, blinken- de Lichter, Zuckerwatte, Magenbrot, Raclette und Brat- würste begeistern Jung und Alt. Am Montag lockt der grosse Warenmarkt; sogar ein kleiner Viehmarkt wird abgehalten. Appenzell, bis 1597 Hauptort des ungeteilten Landes Ap- penzell, ist seit 1353 mit dem Marktrecht ausgestattet. Von jeher sind hier Markttage an bestimmten Tagen fest- gelegt: Am ersten Mittwoch im Mai füllen sich die Gassen EIN BUNTER REIGEN mit den Ständen des Maimarktes. Am «Chölbimeentig» (Montag) drängt sich das Volk am Warenmarkt im Dorf- VON VERGNÜGUNGEN kern und auf dem Landsgemeindeplatz. Der «Chlöösler»
36 VIEHSCHAU Die Kühe und Stiere sind geputzt und gestriegelt. Die Sen- Aufregend ist das «Abloo» zur Vesperzeit. Im Minutentakt nen tragen ihre Festtagstracht. Unter Singen und Zauren verlassen die Viehherden den Schauplatz, begleitet von und mit Schellenklang ziehen sie morgens aus allen Him- heftigem Schellenklang und fröhlichem Naturjodel. Am melsrichtungen kommend unter dem mit Tannengrün Abend treffen sich Viehbesitzer und Begleitsennen wie- und Blumen geschmückten «Triumphbogen» hindurch der zum traditionellen Schauanlass im Hotel Säntis am auf den Brauereiplatz in Appenzell. Am ersten Dienstag Landsgemeindeplatz. Dann werden im feierlich-volks- im Oktober zeigen sie hier alljährlich ihre Zucht- tümlichen Rahmen die Auszeichnungen der Schönheits- erfolge. und Leistungskonkurrenz vergeben. Die Viehschau ist für die Viehzüchter und ihre Familien ein wichtiger Tag Nach Alter und Geschlecht geordnet, werden die Tiere an im Jahr. langen Kettenreihen angebunden. Die Leiber dampfen nach deren Auffuhr in der noch kühlen Morgenluft; hie Die Appenzeller Viehschau wird seit Mitte des 19. Jahr- und da bringt ein kläffender Bläss eine verwirrte Kuh zur hunderts durchgeführt. In der Exklave Oberegg wird eine Vernunft. Wo nötig werden verkotete Flanken und zerz- eigene Schau abgehalten. Im Gegensatz zu Innerrhoden auste Schweife der Kühe schnell mit Stroh abgerieben finden in Ausserrhoden die Viehschauen ab Mitte Sep- oder mit einem Schwamm gewaschen. tember gemeindeweise statt. Strenge Experten beurteilen Kühe, Rinder und Stiere Am Tag nach der Grossviehschau lockt in Appenzell – auf nach deren Schönheit und Leistung. Entsprechend der demselben Platz und nach demselben Muster – die Zie- Rangierung werden die Tiere wieder an die Kettenhäge genschau Interessierte an. Ort gebunden – das dauert bis in den Nachmittag hinein. Die Appenzell besten und schönsten bekommen einen Kranz aus Pa- pierblumen. Früher wurden diese in Frauenklöstern an- Zeit INNERRHODER gefertigt. Die grossen Senntumsschellen und Fahreimer Erste Oktoberwoche der Sennen werden auf Holzgestellen zur Schau gestellt. Es wird viel gesungen an diesem Tag. Und die Jugend darf straffrei rauchen. SCHÖNHEITS- KONKURRENZ
38 WEIHNACHTSBRÄUCHE Die Weihnachtszeit in Appenzell Innerrhoden ist ein Fest Die «Chlausebickli» wurden früher den Kindern ab No- für alle Sinne. Sie beginnt eigentlich schon an Allerheili- vember von Patinnen und Paten oder den Grosseltern gen, am 1. November: Dann werden die neuen «Chlause- geschenkt. Sie stellten sie zwischen die doppelten Fens bickli» in die Schaufenster der Konditoreien gestellt. Seit terscheiben, dort waren sie hübsch anzusehen und blie- Beginn des 20. Jahrhunderts stellen die Innerrhoder Kon- ben weich. Je nach Familientradition wurde ab Weih- ditoren die ungefüllten Honiglebkuchen von Hand her. nachten oder Neujahr die imposante Lebensmittel- Viele der handbemalten Zuckerbilder darauf haben pyramide Stück für Stück verspeist – am liebsten mit viel Kunstmaler entworfen. «Bickli» kommt von «bicke» im «Schmaalz» (Butter) und «Steendlihung», einem speziel- Sinne von «ausstechen, ins Auge stechen». Das Wort len Kunsthonig. Heute werden «Chlausebickli» und «De- «Bickli» wurde früher allgemein für etwas Hübsches, wiisli» nicht mehr aufgegessen, sondern wie Kunstwerke Wertvolles verwendet. aufbewahrt und über Jahre wiederverwendet. Die Bäcker flechten im Advent überlieferte Formen von Nachdem sie fast verschwunden sind, erfreuen sich «Be- Zopfgebäck. Dazu zählen «Tafel-Vögl», «Tafel-Zöpf», «File- chüe» neuerdings wieder grosser Beliebtheit. Vom abge- ring» und «Filebrood». räumten Christbaum wird im Januar der Stamm zwi- schen Astgabeln in Stücke gesägt. Zwei Abzweigungen Das Prachtstück jeder weihnachtlichen Stube ist der sind die Vorderbeine. Mancher Bastler hängt der «Be- «Chlausezüüg». Noch bis vor wenigen Jahrzehnten traf chue» ein Glöckchen um und klebt ihr Lederohren an. man ihn genauso oft an wie den Christbaum. Damals be- Aber sie ist auch ohne derlei Zutaten ein herrlich archai- stand der «Züüg» aus symbolträchtigen Gebildebroten, sches Spielzeug. Ort die kegelförmig auf einem mit Nüssen und gedörrten Bir- Appenzell Innerrhoden nen gefüllten Milchnapf aufgeschichtet wurden. Heute wird eine fünfeckige Holzpyramide mit «Chlausebickli» Zeit ZÜÜG und «Dewiisli» bestückt. Das sind kleine Schmuckbild- Weihnachtszeit chen, ähnlich den Anis-Springerle aus Zuckerteig. Dazwi- schen steckt man rotbackige Äpfel. Das Gestell versteckt man hinter Flitterfransen. Auf die Spitze – früher von Bi- OND berfladen gebildet – kommt ein künstliches Tannen- bäumchen zu stehen. BICKLI
40 RÄUCHLE OND OMSINGE Räuchle Omsinge Für viele Innerrhoderinnen und Innerrhoder ist erst Sporadisch wurde in Eggerstanden und wird nun auch Weihnachten, wenn die bläulichen Schwaden des Weih- wieder in verschiedenen Quartieren Appenzells und in rauchs in der Nase kitzeln. An Heiligabend, am Altjahr einzelnen Aussengemeinden um den Jahreswechsel der abend (Silvester) und am Vorabend zum Fest der Heiligen Brauch des «Omsinge» gepflegt. Er ist angelehnt an das Drei Könige wird an vielen Orten ein altes Schutzritual Neujahrssingen, das in Varianten vielerorts im deutsch- für Mensch, Tier, Heim und Stall ausgeübt. In einer sprachigen Raum seit Jahrhunderten praktiziert wird. «Räuchlipfanne» werden auf glühender Holzkohle Weih- Die von kleinen Gruppen oder Chören vorgetragenen Lie- rauchkörner und ein seit Palmsonntag aufbewahrter ge- der sollen Freude machen und für das neue Jahr Segen segneter Zweig abgebrannt. Die Wölkchen – und damit und Glück bringen. der Segen – ziehen beim Umgang mit der qualmenden Pfanne in alle Winkel des Hauses und des Stalls. Im Dorf Appenzell gehen an Heiligabend – auf Bestellung – Ministranten mit Rauchfass und «Schiffli» durch Woh- nungen und Häuser. Auf dem Land «räuchled» meist der Hausherr; mancherorts beten derweil die Familienange- hörigen in der Stube. Als passendes Gebet wurde früher der kleine Psalter gegen «Öbel ond Oofall» (Übel und Un- fall) gesprochen. Ort Appenzell Innerrhoden Zeit SEGEN Weihnachten, Altjahrabend, Dreikönigsabend FÜR HOF UND STALL
42 APPENZELLER HANDWERK Innerrhoderinnen und Innerrhoder bringen ihre Liebe Eine Zeit lang war Haarschmuck in Innerrhoden begehrt. zur Heimat gern in schönen Dingen zum Ausdruck. Im Zuerst bei Trachtenträgerinnen, dann auch über die Kan- kleinen Land erblühte über die Jahrhunderte eine eigen- tons- und Landesgrenzen hinaus. Berühmtheit in der ständige Handwerkskultur. Sie ist vom Leben und Arbei- Fertigung der Schmuckstücke aus menschlichem Haar ten geprägt. erlangte Elisabeth Signer (1824 – 1908), die diese besonde- re Schmuckherstellung in England erlernt hatte. Erst seit Zum Beispiel die Weissküferei: Ab dem 18. Jahrhundert, kurzem widmen sich der filigranen symbolträchtigen im Zug des wirtschaftlichen Aufschwungs dank der Mol- Flechtkunst wieder einzelne Freizeit-Kunsthandwerker. kenkuren, wurden die Sennereigerätschaften durch Kerb- Ähnlich wie beim Klöppeln werden Bündel von einigen schnitzerei verziert. Sie wurden zu Zierstücken des bäu- wenigen Haaren, die beschwert an einem ringförmigen erlichen Brauchtums und bald einmal zu Sammel- Flechtstock hängen, kunstvoll verschlungen, sodass objekten. Aus feinem weissen Ahorn- und Tannenholz spinnwebzarte Bänder, «Rölleli», Kugeln und «Röhrli» fertigt der Weissküfer Fahreimer, Butterfässer, das «Suur- entstehen. Diese werden – in Edelmetall gefasst – zu Ohr- fass», Näpfe, Schottenkübel, Butterbretter und Milchtan- gehängen, Arm-, Hals- und Uhrenketten. sen. Verziert sind sie mit stern- und rautenförmigen Or- namenten, mit stilisierten Pflanzenmotiven, mit Bändern Nur noch wenige Goldschmiede verstehen sich auf das aus eingekerbten Punkt-, Strich- und Halbrund-Formen. Gestalten von Trachtenschmuck. Die mit Edel- und Halb- edelsteinen besetzten Filigranstücke aus Gold und Silber Die Sennensattlerei: Die frühesten Messingarbeiten wa- erinnern in ihrer Pracht an Rokoko-Zier. Eine Zeit lang ren gegen Ende des 18. Jahrhunderts Schmuckelemente waren bei Trachtenträgerinnen Kamee-Broschen und für Pferderiemen. Seither werden Messingstücke ausge- -Ohrschmuck beliebt, und winzige Hinterglasbildchen sägt und ziseliert, die Schellenriemen, Hosenträger und (Gläslischmuck) wurden zu Broschen, Medaillons und allerlei traditionelle und moderne Lederwaren zieren. Ohrgehängen verarbeitet. Die Riemen der Senntumsschellen werden vom Sennen- sattler mit unterlegten Messingbeschlägen, Wollfransen Zu den Kunsthandwerkern der Region zählen auch Hack- und Stickereien aus farbigen Lederbändern geschmückt. Auf den kunstvoll bearbeiteten Messingplatten finden brettbauer, Drechsler, Trachtenschneiderinnen und Sil- berschmiede wie auch die Herstellerinnen der «Dewiisli» QUALITÄT sich Darstellungen aus dem Sennenleben und oft auch die Besitzerinitialen. für den «Chlausezüüg». Zu den berühmtesten Vertretern des überlieferten Handwerks gehören die Handstickerin- AUS TRADITION nen und die Bauernmaler und -malerinnen.
44 BAUERNMALEREI Die Liebe der Bewohnerinnen und Bewohner des Alp- malen der Fahreimer-Böden kam auf, und Sennenstrei- steins zum Schönen zeigt sich in den leuchtenden Farben fen auf Holz oder Papier bildeten den ganzen Besitz des der Bauernhäuser, in kunstvoll geschnitzten Möbeln, in Bauern ab. Details wie den Messingbeschlägen der Sennentracht oder im filigranem Trachtenschmuck. Auf den Tafelbildern standen zwar immer noch die Tiere, vor allem die Alpfahrten, im Mittelpunkt, nun kamen je- Eine besondere Stellung hat die Bauernmalerei. Älteste doch Liegenschaften, Menschen und die Umgebung so- Zeugnisse stammen aus dem 16. Jahrhundert. Zuerst wie die imposanten Bergkulissen hinzu. Richtig Erfolg wurden repräsentative Räume, später Möbel mit Orna- hatten die Bauernmaler damit ab der zweiten Hälfte des menten aus der Tier- und Pflanzenwelt bemalt. Im 19. Jahrhunderts. Selten waren Malerinnen dabei. Tech- 18. Jahrhundert waren allegorische Szenen beliebt, Jagd- nik, Stil und Motive änderten sich seither kaum mehr. geschichten, Darstellungen des höfischen Lebens oder Heute erwerben vor allem Liebhaber und Sammler die aus der Bibel. Die meisten Möbelmaler blieben unbe- Werke der zeitgenössischen Bauernmaler und -malerin- kannt. Man vermutet, dass sie trotz des später eingebür- nen, die ganz selten Bauern sind. Die Sujets sind nicht gerten Begriffs «Bauernmalerei» selten Landwirte waren. mehr auf das bäuerliche Leben beschränkt, sondern er- Viel eher handelte es sich wohl um Wandermaler. Wie bei zählen vom Alltag, von Festen und Bräuchen. der Kirchendekoration, bei der Innerrhoder Tracht und bei etlichen Bräuchen ist auch in der Bauernmalerei in ihrer Entstehungszeit eine Verbindung zur süddeutschen und zur österreichischen Kultur auszumachen. Ende des 18. Jh.s verbanden Maler aus der Region die ba- rocken Elemente mit dem, was sich in ihrem Alltag ab- spielte. Die Möbelmalerei wurde zur Volkskunst. Als de- ren Begründer gilt der Gontner Conrad Starck (1769 – 1817); VON BAROCKER er hat wahrscheinlich als Erster einen Alpaufzug darge- stellt – das Hauptmotiv für die spätere Senntumsmalerei. MÖBELMALEREI Wegbereiter für die Tafelbilder, die nach dem Rückgang der Möbelmalerei in Mode kamen, dürfte Bartholomäus ZUR VOLKSKUNST Lämmler (1809 – 1865) aus Herisau gewesen sein. Das Be-
46 HANDSTICKEREI «D Fraue ond d Saue erhaaltid s Land», lautete das geflü- weniger gefragt war. Heimarbeiterinnen übernahmen gelte Wort zur Hochblüte der Appenzeller Handstickerei. das Roulieren (Handsäumen) der Stücke. Aufgekommen ist das gewerbsmässige Verzieren von Textilien – zuerst mit Grob- und Kettenstickerei – um «Weltwunder der weiblichen Geschicklichkeit» wurde 1800. Bis 1914 lebte ein Drittel der berufstätigen Bevölke- die Innerrhoder Handstickerei genannt. Die mit weissem rung Innerrhodens davon. Gestickt wurde allerdings oder zartblauem feinen Garn auf Baumwollbatist ge- nicht für den Eigengebrauch und selten für Einheimi- stickten Motive und Ornamente haben Stickereizeichner sche. Die aufwendig bestickten Kostbarkeiten waren teu- und oft Künstler entworfen. er und weltberühmt. Manche Innerrhoder Unternehmerin und einige Fabri- Mit Sticken verdiente manche Innerrhoderin den Le- kanten eröffneten in Schweizer und ausländischen No- bensunterhalt für die Familie. Eine Zeit lang war die belkurorten Stickereigeschäfte. Handstickerei für den Kanton überlebenswichtig. Die Mädchen lernten schon im Primarschulalter die ersten Mit dem Aufkommen der Maschinenstickerei und vor al- Stiche und halfen nach dem Schulunterricht und in den lem, als ab den 30er-Jahren aus Asien billigere Stickereien Ferien mit, die Aufträge zu erfüllen. Europa überfluteten, war die wertvolle Handarbeit vom Aussterben bedroht. Heute sticken noch einige wenige Stundenlang sass die Stickerin am Stickstock am Fenster; Frauen in Innerrhoden im privaten Rahmen. in der Dämmerung beleuchteten mit Wasser gefüllte Glaskugeln die Arbeit. Mit Platt-, Stepp- und Figurensti- Das Museum Appenzell beherbergt eine international chen, mit Hohlsäumen und feinen Durchbrucharbeiten beachtete Stickereisammlung. zauberte sie eine Vielfalt von Motiven auf Taschentücher, Trachtenkragen, Unterwäsche und Aussteuerwäsche – sogar für Königshäuser. WELTWUNDER Die Stickerei florierte derart, dass ganze Geschäftszweige daraus entstanden wie die Ferggerei (Händlerinnen und WEIBLICHER Händler und Lieferanten der Rohware) und später Tex- tilfabriken, die sich auf die Herstellung von Taschen- FERTIGKEIT tüchern und Foulards verlegten, als die Handstickerei
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