Epilepsie und Migräne - Swiss Medical Forum

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C U R R I C U LU M                           Schweiz Med Forum Nr. 7 13. Februar 2002   139

Epilepsie und Migräne
M. Mumenthaler

                                   Epilepsie und Migräne weisen gemäss epidemiologischen Studien
                                   eine überzufällige Komorbidität auf. In der nachfolgenden Arbeit
                                   werden die möglichen Gründe hierfür anhand der vorliegenden
                                   ausgedehnten Literatur untersucht. Sie sind zum Teil genetischer
                                   Natur, zum Teil liegen gemeinsame pathophysiologische (elektro-
                                   physiologische) Phänomene vor. Auch bestehen vergleichbare und
                                   verwechselbare klinische Phänomene.

                                   Einführung                                          Auch in neueren Werken über Epilepsie wird
                                                                                       die Beziehung zur Migräne noch diskutiert.
                                   Aus historischer Sicht sei darauf hingewiesen,      In China ist sogar die Diagnose einer «Head-
                                   dass schon in frühen Beschreibungen der Mi-         ache-Epilepsy» geläufig [1]. Auch zahlreiche
                                   gräne versucht wurde, deren Ursachen zu er-         neuere Publikationen diskutieren die Bezie-
                                   klären. Eine Übersicht der diesbezüglichen An-      hung zwischen den beiden Erkrankungen [2].
                                   sichten und Theorien hat unter anderem Ed-
                                   ward Liveing in seinem 1873 erschienenen
                                   Buch «On megrim, sick-headache, and some            Welches sind die Gemeinsam-
                                   allied disorders» gegeben. So zitiert er den        keiten von Epilepsie und Migräne?
                                   Veterinär-Chirurgen Blaine, welcher in der
                                   3. Auflage seines Werkes «Veterinary Surgery»       Schon frühere Beobachter sahen Gemeinsam-
                                   schrieb: «The megrims, sturdy, or turn-sick,        keiten zwischen den beiden Erkrankungen:
                                   may be considered as a species of epilepsy, to      – Für beide Affektionen war damals noch
                                   which horses are not unfrequently subject and          keine eindeutige Ursache bekannt;
                                   in which, without previous notice, the animal,      – Der anfallsartige Charakter, der beiden
                                   if in exercise, stops short, shakes the head,          Krankheiten gemeinsam war;
                                   looks irresolute and wandering: in which state      – Gleichzeitiges Vorkommen der beiden – an
                                   he continues a few minutes, and then proceeds          sich häufigen – Affektionen bei ein und dem-
                                   as before. In more violent cases he falls at once      selben Individuum;
                                   to the ground, or first runs round and then sinks   – paroxysmale (sensible) Phänomene, die so-
                                   senseless.» Bei dieser Beschreibung hat man            wohl beim Epileptiker als auch bei der «Mi-
                                   allerdings den Eindruck, dass der tierärztliche        graine accompagnée» vorkamen.
                                   Autor einen echten epileptischen Anfall, im
                                   Sinne eines – sekundär generalisierten – kom-       Auf welcher Basis eine solche Beziehung wohl
                                   plex partiellen Anfalles schildert.                 zustande kommen mochte, wurde erst später
                                   Marshall Hall schrieb in seinem Artikel in Lan-     näher analysiert, als mehr über die beide Er-
                                   cet 1849 («Of a distinct class of paroxysmal ner-   krankungen begleitenden biologischen und
                                   vous affections») über die Beziehung von Mi-        elektrophysiologischen Phänomene bekannt
                                   gräne und Epilepsie: «Sick headache, sickness,      wurde.
                                   vertigo, sickness, the effect of disgust, are not   Grundsätzlich stellte sich die Frage, ob
                                   dissimilar from minor epilepsy …»                   – eine gemeinsame genetische Prädisposition
                                   Du Bois-Reymond äusserte sich in seinen «Mé-           vorlag;
                                   moires» ähnlich: «… then my migraine would          – eine gemeinsame zerebrale Pathologie bei-
                                   be distinguished from this kind of epilepsy less       den anfallsartigen Geschehen zugrunde lie-
                                   by the nature of the disturbance which prevails        gen konnte;
                                   in it, than by its degree and extent.»              – migränebedingte strukturelle Veränderun-
Korrespondenz:
                                   Kein geringerer als Gowers wies auf diese Be-          gen des Gehirns epileptische Anfälle ver-
Prof. Dr. med. Marco Mumenthaler
Witikonerstrasse 326
                                   ziehung im Untertitel seiner 1907 erschienen           ursachen könnten;
CH-8053 Zürich                     Monographie «The borderland of epilepsy»            – oder ob ein Migräne-Anfall einen epilepti-
                                   hin: «faints, vagal attacks, vertigo, migraine,        schen Anfall triggern könnte.
mumenthaler@smile.ch               sleep symptoms and their treatment».
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Epidemiologie                                       Aber auch bei Erwachsenen wurde die Bezie-
                                                    hung analysiert. Bei 395 erwachsenen Epilep-
Die Migräne ist sehr häufig, aber die Epilepsie     tikern hatten 20% auch eine Migräne [12]. Von
ist auch nicht selten. Man geht von einer Mi-       dieser Gesamtpopulation hatten 13 (3%) An-
gräne-Häufigkeit von etwa 10% und einer Epi-        fälle während oder unmittelbar anschliessend
lepsie-Häufigkeit von 0,5% in der Gesamt-           an eine Migräne-Aura. Patienten mit einer ka-
bevölkerung aus. Dies macht ein zufälliges          tamenialen Epilepsie und Patienten mit einer
Zusammentreffen der beiden Erkrankungen             Migräne mit Aura hatten eine höhere Wahr-
beim gleichen Individuum durchaus möglich.          scheinlichkeit einer Co-Morbidität von Epilep-
Es drängte sich deshalb auf, mittels sauberer       sie und Migräne. Sechs der erwähnten 13 Pa-
epidemiologischer Studien die Co-Morbidität         tienten, bei welchen eine Migräne einen epi-
von Migräne und Epilepsie genauer zu studie-        leptischen Anfall auszulösen schien, waren
ren. Ottman und Lipton taten dies bereits 1994      therapieresistent, sprachen jedoch auf eine
[3]. Sie untersuchten 1948 Erwachsene mit           Kombination von Antimigräne-Medikamenten
Epilepsie sowie 1411 von deren Eltern und Ge-       und antiepileptischen Medikamenten gut an.
schwistern. In dieser Population war die ku-        Die Autoren schlossen gesamthaft auf eine ein-
mulative Inzidenz der Migräne bei den Epilep-       deutige Assoziation zwischen Migräne und
tikern bis zum Alter von 40 Jahren mit 24%          Epilepsie bei 3% der erwachsenen Patienten
und bei jenen Verwandten, die ebenfalls Epi-        mit Anfällen. Eine Mehrzahl dieser Patienten
lepsie hatten 23%, bei denjenigen ohne Epi-         sprachen nicht auf eine Routine-Behandlung
lepsie jedoch nur 12%. Das Migräne-Risiko war       mit Antiepileptika an, aber zeigten eine bes-
am höchsten bei jenen Probanden, deren Epi-         sere Kontrolle der Anfälle bei gleichzeitiger
lepsie durch ein Schädel-Hirn-Trauma verur-         Anwendung von Antimigräne-Medikamenten.
sacht bzw. ausgelöst worden war. In jeder Un-       Die Autoren betonten allerdings auch, dass
tergruppe war das Migräne-Risiko der Epilep-        lediglich eine Migräne mit Aura zeitlich im
tiker höher als bei den nicht-epilepsiekranken      soeben geschilderten Sinne mit Epilepsie asso-
Verwandten. Die Häufigkeit von Migräne war          ziiert war.
bei den Probanden immer nach Auftreten der          Immer wieder ist auf die grössere Häufigkeit
Epilepsie grösser, sie war aber auch schon 1–5      eines abnormen EEGs bei Migränikern hinge-
Jahre vorher überdurchschnittlich. Die Auto-        wiesen worden [7]. So zeigte bei 200 Migräni-
ren folgerten daraus eine Assoziation von Mi-       kern in 35% derselben das EEG Abnormitäten,
gräne und Epilepsie unabhängig vom Anfalls-         während dies nur bei 8% der Kontrollen der
typus und von dessen Ursache, sowie vom             Fall war. Von den abnormen Mustern waren
Alter, in welchem die Epilepsie sich manife-        48% «sharp waves» [7]. Diese Kopfwehpatienten
stierte.                                            sprachen übrigens gut auf Antiepileptika an,
In einer späteren Analyse ihres Materials ge-       zum Beispiel auf Phenobarbital.
langten die gleichen Autoren zum Schluss,           Die Unterscheidung zwischen optischen Phä-
dass diese signifikante Co-Morbidität der           nomenen bei Epilepsie bei okzipitaler Patholo-
beiden Krankheiten wahrscheinlich nicht auf         gie einerseits und bei Migräne andererseits ist
einer gemeinsamen genetischen Anlage be-            oft schwierig. Hier kann das EEG nützlich sein:
ruhte [15].                                         Bilaterale Veränderungen sind häufiger bei der
Die Häufigkeit einer echten Migräne bei Epi-        Migräne, einseitige bei der Epilepsie.
leptikern wurde zwischen 8,5 und 15% ange-
geben.
                                                    Klinische Ähnlichkeiten und
                                                    Verwechslungsmöglichkeiten
Elektroenzephalographie
                                                    Man hüte sich vor oberflächlichen Diagnosen.
Aufgrund von EEG-Studien wurden vielfach die        So muss man die weiter oben zitierten kindli-
Besonderheiten der Elektroenzephalogramme           chen Fälle von gutartiger okzipitaler Epilepsie
bei Epileptikern und Migräne-Patienten ver-         mit Migräne abgrenzen von einer simplen ok-
glichen. Besonders bei pädiatrischen Patienten      zipitalen Epilepsie mit elementaren okzipitalen
mit neuropädiatrisch spezifischen Epilepsie-For-    Halluzinationen, Sehstörungen und postiktalen
men wurden immer wieder Kinder mit konko-           Kopfschmerzen [15]. Überhaupt ist zum Bei-
mitierenden Migräne-Anfällen beschrieben, so        spiel bei Kindern zwar die Migräne die häu-
bei der kindlichen Epilepsie mit okzipitalen        figste Kopfschmerzform, der postiktale Kopf-
«spike wave»-Komplexen [1, 3], bei der gutartigen   schmerz jedoch bereits die vierthäufigste
rolandischen Epilepsie, bei der mitochondrialen     Form.
Enzephalomyopathie mit Laktat-Azidose und           Bei den amnestischen Episoden, die vor allem
Schlaganfall (MELAS), bei der basilären Migräne     bei jungen Migränikern vorkommen können,
mit Anfällen sowie bei der Migräne mit primären     hat der anfallsartige Charakter der Störung
generalisierten Absenzen.                           immer wieder die Frage aufgeworfen, ob es
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sich nicht um eine besondere Form der Epilep-       Pathogenetische
sie handelt. Der französische Neurologe und         Gemeinsamkeiten
Epileptologe Bonduelle hat sogar dem eine
ganze Monographie gewidmet. Es dürfte sich          Erst in jüngerer Zeit machten es die Fort-
allerdings um eine vorübergehende (beidsei-         schritte der Genetik möglich, gewisse Formen
tige) Ischämie im Bereiche des Hippocampus          der Migräne, namentlich die familiäre hemi-
handeln. Möglicherweise beruht dies in man-         plegische Migräne und andere anfallsartige
chen Fällen auf einem venösen Rückstau (bei         Phänomene wie die episodische Ataxie auf eine
Anstrengungen) und eine dadurch bedingte            Mutation des Alpha(lA)-Kalziumkanalgens auf
Ischämie des mesialen Schläfenlappens.              dem Chromosom 19p13 zu beziehen [5, 14].
Epilepsie und Migräne können – besonders im         Diese Krankheiten werden demzufolge als so-
Kindesalter – ähnliche Symptome verursachen.        genannte «Channelopathien» zusammenge-
In erster Linie können zum Beispiel die sich        fasst. Bei der Tottering- und Leaner-Maus fin-
ausbreitenden sensiblen Sensationen bei einer       det sich bei einer Mutation des homologen Gen-
Migräne accompagnée («sans migraine») oft           Lokus auch eine Epilepsie [17]. In einzelnen Fa-
schwer von einem sensiblen Jackson-Anfall bei       milien findet sich eine mit Migräne assoziierte
Epilepsie, einer «march», unterschieden wer-        myoklonische Epilepsie. In einer Familie mit
den.                                                hemiplegischer Migräne hatte ein Knabe
Im weiteren sei an die anfallsweisen Abdo-          während 10 Jahren mehrere Episoden von He-
minalbeschwerden erinnert. Nicht so selten          miparese und Koma, aber auch partielle epi-
haben Kinder, die später eine typische Migräne      leptische Anfälle. Auch auf dem Chromoson
entwickeln, im frühen Kindesalter anfallsartiges    1q21–23 wurde eine Mutation nachgewiesen.
Bauchweh und Erbrechen, eine sogenannte ab-
dominelle Migräne. Aber auch eine Abdominal-
Epilepsie mit elektroenzephalographischem           Gemeinsame elektro-
Korrelat kann sich im frühen Kindesalter ma-        physiologische Mechanismen
nifestieren. Beispiele belegen die oft schwierige
Differentialdiagnose.                               Man hat das von Leao beschriebene Fortschrei-
Aber auch beim Erwachsenen kommen ähn-              ten einer Depression der hirnelektrischen Akti-
liche Symptome bei beiden Affektionen vor, so       vität der Grosshirnrinde bei Versuchstieren im
zum Beispiel Dysmorphopsien und Halluzina-          Anschluss an eine fokale Läsion derselben als
tionen, die sich als Makro- oder Mikro-Soma-        Erklärung für das Wandern der Flimmersko-
tognosie äussern. Dies gehört zum sog. «Alice-      tome über das Gesichtsfeld der Migräniker her-
im-Wunderland-Syndrom». Anfallsweises Er-           angezogen. Man hatte beobachtet, dass die Ge-
brechen, Schwindel und Kopfweh werden oft           schwindigkeit, mit welcher die elektrischen Vor-
zunächst als Ausdruck einer Migräne ange-           gänge über den Okzipitallappen des Versuchs-
sehen. In einzelnen Fällen kann dann aber ein       tieres bei der «spreading depression» sich aus-
EEG typische Epilepsie-Potentiale zeigen.           breitete, mit der Raschheit korrelierte, mit wel-
Bei gewissen Formen der Migräne stehen Ver-         cher die Ränder des Flimmerskotoms über das
wirrtheit und/oder Bewusstseinsstörungen            Gesichtsfeld eines Migränikers sich in die Peri-
derart im Vordergrund, dass nicht so selten         pherie bewegte. Ein solches Wandern eines
eine Epilepsie diagnostiziert wird.                 elektrophysiologischen Vorganges an der Hirn-
                                                    oberfläche der Migräniker konnte im funktio-
                                                    nellen MRT erst kürzlich nachgewiesen werden
Therapeutische Gemeinsamkeiten                      und damit korrelierend ein Wandern einer Ak-
                                                    tivierung der Hirnrindenaktivität in der bild-
Es wurden sehr früh Antiepileptika zur Be-          lichen Darstellung [8]. Bei zwei Patienten mit
handlung der Migräne angewendet. Zunächst           einer sensiblen Migraine accompagnée konnte
war es das Phenobarbital, das besonders bei         durch Antiepileptika das Auftreten neuer Epi-
der Basilaris-Migräne empfohlen wurde. In           soden verhindert werden.
neuerer Zeit sind es vor allem das Valproat [2]     Bei der Untersuchung jener 79 Patienten von
und das Gabapentin, die bei beiden Erkran-          Marks, die unter seinen 395 Epileptikern zu-
kungen verschrieben werden, bei der Migräne         gleich auch eine Migräne hatten [12], wiesen nur
als Prophylaktikum. Die Wirksamkeit beruht          3% eine Auslösung eines epileptischen Anfalles
möglicherweise beim Valproat darauf, dass es        durch eine vorausgehende Migräne-Attacke auf.
die Synthese der Gammaaminobuttersäure er-          Diese hatten eine Migräne mit Aura. In einer
höht und die Freisetzung der epileptogen wir-       anderen Studie fanden sich bei einer grossen
kenden Gammahydrobuttersäure vermindert.            Population von erwachsenen Epileptikern 17%,
Aber auch das Topiramat wurde bei beiden Er-        die auch eine Migräne aufwiesen. Von diesen
krankungen angewendet.                              insgesamt 412 Patienten hatten 1,7% epilepti-
                                                    sche Anfälle, die jeweils durch eine Migräne-
                                                    Attacke – immer mit Aura – ausgelöst wurden [18].
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                                 Weitere Gemeinsamkeiten                                         Auch die Wirkung der Hormone sowohl auf die
                                                                                                 Migräne wie auch auf die Epilepsie muss er-
                                 Auch reversible Veränderungen in der funktio-                   wähnt werden. So können Östrogene bei der
                                 nellen Magnetresonanz-Untersuchung konn-                        Frau eine Epilepsie auslösen. Eine Migräne si-
                                 ten bei einem Patienten beobachtet werden, bei                  stiert bei den meisten Frauen während einer
                                 welchem eine Migräne-Attacke (ohne Aura) einen                  Schwangerschaft. Während der Menstruation
                                 generalisierten Grand-mal-Anfall auslöste [6].                  findet sich nicht selten eine Häufung sowohl
                                                                                                 von epileptischen Anfällen (katameniale Epi-
                                                                                                 lepsie) wie auch von Migräne-Attacken [4, 9].
                                                                                                 Das Absetzen eines Östrogenersatzes bei der
                                                                                                 Altersmigräne wirkt therapeutisch günstig.
Quintessenz
 Migräne und Epilepsie sind beides häufige bzw. relativ häufige Erkran-                         Ausschau
  kungen. Ihr gleichzeitiges Vorkommen könnte deshalb durchaus als
  zufällig erachtet werden. Epidemiologische Studien weisen aber                                 Dass grundsätzlich genetische, phänomenologi-
  nach, dass das gleichzeitige Vorkommen bei ein und demselben                                   sche, pathophysiologische und auch therapeuti-
  Individuum häufiger ist als statistisch erwartet würde.                                        sche Gemeinsamkeiten zwischen Epilepsie und
                                                                                                 Migräne bestehen, ist somit erwiesen. Deren
 Die Gründe für diese gehäufte Co-Morbidität sind allerdings nicht völlig
                                                                                                 exaktes Ausmass und viele der zugrunde liegen-
  klar. Immerhin sind einige Hinweise aus der sehr ausgedehnten Literatur
                                                                                                 den Mechanismen sind allerdings noch nicht
  zu entnehmen. Ein Teil der Fälle ist durch eine gemeinsame genetische
                                                                                                 genügend bekannt. Es ist hier noch viel Raum,
  Disposition zu erklären. Diese ist wohl für eine Anomalie der Kalzium- und
                                                                                                 um unter anderem mit Einsatz moderner In-
  eventuell anderer Ionenkanäle verantwortlich. Ein weiterer gemeinsamer
                                                                                                 strumente der Molekularbiologie und Genfor-
  pathogenetischer Faktor sind pathologische elektrophysiologische Vor-
                                                                                                 schung sowie der funktionellen Hirndiagnostik
  gänge im Bereiche der Hirnrinde bei beiden Erkrankungen. Möglicherweise
                                                                                                 weitere Erkenntnisse anzustreben. Daraus las-
  können auch vorausgegangene ischämische Phänomene im Rahmen der
                                                                                                 sen sich für beide Erkrankungen wohl auch
  Migräne-Attacken zu fokalen Schädigungen von Hirnrindenarealen und
                                                                                                 noch therapeutische Konsequenzen ableiten.
  dadurch zur Auslösung eines epileptischen Anfalles führen.
 Darüber hinaus sind zahlreiche Symptome bei beiden Erkrankungen                                Praktische Hinweise
  gleichartig oder zumindest sehr ähnlich und im Einzelfall nicht leicht der                     Der Arzt soll grundsätzlich bei Patienten mit
  einen oder der anderen Krankheit zuzuordnen. Hierzu gehören zum                                Epilepsie nach familiärer und persönlicher Be-
  Beispiel anfallsweise Bewusstseinsstörungen, anfallsweise sensible und                         lastung mit Migräne fragen und umgekehrt. Er
  motorische Phänomene, Verwirrtheitszustände und Amnesien, optische                             soll unter Berücksichtigung beider Elemente
  Phänomene und Dysmorphopsien.                                                                  die medikamentöse Therapie entsprechend ge-
                                                                                                 stalten und differenziert anpassen.
 Schliesslich sei an die Wirksamkeit von Medikamenten erinnert, die
  die Membran-Eigenschaften der Zellen beeinflussen und die sowohl bei
                                                                                                 Stellungnahme zu «conflict of interest»
  Epilepsie wie auch bei Migräne erfolgreich eingesetzt werden können.
                                                                                                 Diesem Aufsatz liegt ein Referat an einer von
 Migräne und Epilepsie sind zwei Krankheiten, deren gegenseitige                                der Firma Janssen-Cilag organisierten Fortbil-
  Beziehung jeder Arzt immer sorgfältig beachten sollte. Daraus können in                        dung für Neurologen auf dem Mont Pélerin am
  manchen Fällen auch nützliche therapeutische Folgerungen abgeleitet                            7.7.2001 zugrunde. Der Autor verfasste dieses
  werden.                                                                                        Manuskript jedoch vollständig unabhängig von
                                                                                                 Firmeninteressen.

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                                                                                                                          Aktuel Neurol 1999;26:116–20.
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                                                                                      Anfrage beim Autor erhältlich)
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