Medikamente und verlängertes QT-Intervall

 
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                                                                         CURRICULUM                 Schweiz Med Forum 2007;7:814–819   814

      Medikamente und verlängertes
      QT-Intervall
      Etienne Delacrétaz
      Klinik und Poliklinik für Kardiologie, Inselspital, Bern

                                                                                           Einleitung
      Quintessenz
      쎲 Zahlreiche Medikamente verlängern die kardiale Repolarisation und können           Zahlreiche Medikamente beeinflussen die Re-
      somit Auslöser eines erworbenen Long-QT-Syndroms (LQTS) sein (eine Liste ist         polarisation des Herzens, was im EKG durch ein
      zu finden unter www.qtsyndrome.ch).                                                  verlängertes QT-Intervall zum Ausdruck kommt.
                                                                                           Eine Verlängerung des QT-Intervalls kann mit
      쎲 Die Diagnose des erworbenen Long-QT-Syndroms ist gegeben, wenn die fol-
                                                                                           Episoden einer polymorphen Kammertachy-
      genden drei Bedingungen erfüllt sind:
                                                                                           kardie mit ständig wechselnder Vektorachse des
      – Korrigierte QT-Zeit (QTc) von über 470 ms (Frauen) und über 450 ms
                                                                                           QRS-Komplexes, den sogenannten Torsades de
      (Männer);
                                                                                           pointes, einhergehen (Abb. 1 x). Diese Arrhyth-
      – Einnahme mindestens eines die QT-Zeit verlängernden Medikamentes oder
                                                                                           mie kann sich in wiederholten Synkopen und
      klinische Begleitumstände, die die QT-Zeit verlängern (Hypokaliämie usw.);
                                                                                           Anfällen von Unwohlsein äussern; in seltenen
      – Patienten mit einem Vergleichs-EKG ohne Verlängerung der QT-Zeit
                                                                                           Fällen kann sie aber auch zu plötzlichem Herz-
      (früheres EKG oder Normalisierung der QT-Zeit nach Absetzen der Behand-
                                                                                           tod durch Kammerflimmern führen. Das Risiko
      lung/Beseitigung des äusseren Faktors).
                                                                                           dieser letalen Komplikation war eine der häufig-
      쎲 Wie bei den Patienten mit einem kongenitalen LQTS können bei Patienten             sten Ursachen für den Rückzug von Medikamen-
      mit einem erworbenen LQTS polymorphe ventrikuläre Tachykardien, auch als             ten nach Markteinführung in den 90er Jahren
      Torsades-de-pointes-Tachykardien bezeichnet, auftreten. Diese manifestieren          [1]. Das bekannteste Beispiel sind bestimmte
      sich in Form von wiederholten Synkopen oder Herzrhythmusstörungen und                Antihistaminika, die mit plötzlichen Todesfällen
      können sich in seltenen Fällen zu einem Kammerflimmern ausweiten.                    durch kardiale Arrhythmie in Zusammenhang
                                                                                           gebracht wurden und heute vom Markt zurück-
      쎲 Das erworbene Long-QT-Syndrom wurde bisher dem kongenitalen QT-
                                                                                           gezogen sind.
      Syndrom gegenübergestellt. Es gibt jedoch auch genetische Faktoren, welche
      die Entstehung eines erworbenen LQTS begünstigen.
                                                                                           Kongenitales und erworbenes
      쎲 Abgesehen von Antiarrhythmetika wie Sotalol oder Ibutilid oder der Über-           Long-QT-Syndrom
      dosierung von Arzneimitteln, löst in nur seltenen Fällen ein einzelnes Arznei-       Ursache des kongenitalen Long-QT-Syndroms ist
      mittel Torsades-de-pointes-Tachykardien aus. Im allgemeinen treten sie im Rah-       eine genetisch bedingte Anomalie der Ionen-
      men komplexerer klinischer Fälle auf:                                                kanäle, die eine Verlängerung der Repolari-
      – Behandlung mit mehreren die QT-Zeit verlängernden Arzneimitteln;                   sationsphase zur Folge hat [2]. Typisch ist eine
      – Wechselwirkungen zwischen einem QT-verlängernden Arzneimittel und                  Verlängerung des QT-Intervalls mit Torsades
      einem anderen, das die Ausscheidung des ersteren verlangsamt;                        de pointes, die Synkopen oder den plötzlichen
      – Behandlung mit einem QT-verlängernden Arzneimittel bei Vorbelastung                Herztod hervorrufen können. Häufiger ist jedoch
      durch Risikofaktoren, wie Bradykardie, Hypokaliämie, schwere Kardiopathien           die erworbene Form des verlängerten QT-Inter-
      etc. Frauen haben ein dreimal höheres Arrhythmierisiko als Männer.                   valls, meist durch Medikamente bedingt, selte-
                                                                                           ner durch äussere Faktoren. Zu den Medika-
      쎲 Bei allen klinischen Fällen mit erhöhtem Risiko ist eine EKG-Kontrolle mit
      Messung der frequenzkorrigierten QT-Zeit angezeigt.                                  menten, welche die Repolarisation beeinflussen,
                                                                                           gehören Antiarrhythmika der Klassen I und III
                                                                                           sowie eine grosse Anzahl nichtkardialer Arznei-
      Summary
                                                                                           mittel, z.B. gewisse psychotrope Medikamente
      Drugs and long QT                                                                    oder Antibiotika [3, 4]. Die Liste dieser Medika-
      쎲 Many drugs alter cardiac repolarisation and cause drug-induced long QT             mente wird regelmässig aktualisiert (Tab. 1 p)
      syndrome, the commonest form of acquired long QT syndrome (see drug list,            und auf verschiedenen Websites aufgeführt
      www.qtsyndrome.ch).                                                                  (z.B. www.qtsyndrome.ch aus der Schweiz oder
                                                                                           www.qtdrugs.org aus Amerika). Frauen haben
      쎲 The diagnosis of drug-induced long QT syndrome is based on the following           verglichen mit Männern ein zwei- bis dreimal
      three features:                                                                      höheres Risiko für Herzarrhythmien bei einem
      – a corrected QT interval (QTc) of more than 470 ms (women) or 450 ms (men);         erworbenen Long-QT-Syndrom [5]. Auch gewisse
      – drug therapy with at least one drug prolonging the QT interval;                    pathologische Zustände können eine QT-Verlän-

      CME zu diesem Artikel finden Sie auf S. 811 oder im Internet unter www.smf-cme.ch.
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                                                                                                            Tabelle 1. Liste der Medikamente, die das QT-Intervall
      – a previous ECG with a normal QT interval or reversion to normal following
                                                                                                            verlängern.
      withdrawal of the drug.
                                                                                                            Antiarrhythmika
      쎲 Like patients with congenital long QT syndrome, those with the acquired                             Amiodaron (Cordarone®, Amiodaron-Mepha®)
      syndrome may suffer from the polymorphic ventricular tachycardias known
                                                                                                            Disopyramid (Norpace®)
      as “torsades de pointes”. These tachycardias may cause recurrent syncope or
                                                                                                            Chinidin** (Kinidin-Duriles®)
      near-syncope, and ventricular fibrillation in rare cases.
                                                                                                            Sotalol** (Sotalex®, Sotalol-Mepha®)
      쎲 There is strong evidence that individuals who develop acquired long QT                              Flecainid (Tambocor®)
      syndrome have an underlying genetic predisposition.
                                                                                                            Ibutilid** (Corvert®)
      쎲 Torsades de pointes may be due to a single drug, i.e. class III antiarrythmic                       Andere kardiovaskuläre Medikamente
      agents (sotalol, ibutilide), or may be secondary to overdosing of non-cardiac                         Dobutamin, Dopamin
      drugs lengthening the QT. However, they most often occur in more complex                              Ephedrin (Ephedrin, Streuli Demo®, Elixier usw.)
      clinical situations including:
                                                                                                            Epinephrin (Adrenalin, Sintetica, EpiPen® usw.)
      – treatment with two or more drugs lengthening the QT interval;
                                                                                                            Indapamid (Fludapamid®, Fludex® SR usw.)
      – pharmacological interaction with a drug that decreases the catabolism of
                                                                                                            Isradipin (Lomir SRO®)
      a drug prolonging the QT interval;
      – additional risk factors such as hypokalaemia, bradycardia or severe heart                           Midodrin (Gutron®)
      disease. In women the risk of ventricular arrhythmias is 2–3 times higher than                        Norepinephrin (Scandonest)
      in men.                                                                                               Psychotrope Medikamente
                                                                                                            Amitriptylin (Saroten®, Retard Tryptizol®, Limbitrol)
      쎲 The QT interval should be monitored in all at-risk clinical situations.
                                                                                                            Chloralhydrat (Chloraldurat®, Medianox®, Nervifene)
                                                                                                            Citalopram (Citalopram-Mepha® usw.)
                                                                                                            Chlorpromazin (Chlorazin®)
        A                                                                                                   Clomipramin (Anafranil®)
                                                                                                            Doxepin (Sinquan®)
                                                                                                            Droperidol
                                                                                                            Felbamat (Taloxa®)
                                                                                                            Fluoxetin (Fluctine®, Fluocin® usw.)
                                                                                                            Flupentixol (Fluanxol®, Deanxit®)
                                                                                                            Galantamin (Reminyl®)
        B
                                                                                                            Haloperidol (Haldol®, Sigaperidol®)
                                                                                                            Imipramin (Tofranil®)
                                                                                                            Levomepromazin (Nozinan®)
                                                                                                            Lithium (Priadel®, Neurolithium® usw.)
                                                                                                            Methadon (Ketalgin®, Methadon)
                                                                                                            Methylphenidat (Concerta®, Ritalin®)
                                                                                                            Nortriptylin (Nortrilen®)
                                                                                                            Olanzapin (Zyprexa®)
                                                                                                            Paroxetin (Deroxat®, Parexat®)
                                                                                                            Quetiapin (Seroquel®)
      Abbildung 1
                                                                                                            Risperidon (Risperdal®)
      A Typische Torsades de pointes mit progressiver Rotation der Vektorachse des QRS-Komplexes
         im Rahmen einer QT-Verlängerung.                                                                   Sertindol (Serdolect®)
      B Ventrikuläre Bigeminie, extrem verlängertes QT mit anormaler U-Welle (QTU = 640 ms),                Sertralin (Zoloft®, Gladem®)
         Warnzeichen für einen Anfall von Torsades de pointes bei einer 70jährigen Frau unter Sotalol-
                                                                                                            Thioridazin (Melleril®, Melleretten®)
         Langzeitbehandlung mit einer Kaliämie von 3,1 mmol/L.
                                                                                                            Tizanidin (Sirdalud®/-MR)
                                                                                                            Trimipramin (Surmontil®, Trimin®)
                                                                                                            Venlafaxin (Efexor®)
                                                                                                            Medikamente gegen Erkrankungen
                                                                                                            des Verdauungstrakts
                                                                                                            Dolasetron (Anzemet®)
                                                                                                            Domperidon (Motilium®/-lingual®)
                                            Nach www.qtsyndrome.ch adaptiert
                                                                                                            Granisetron (Kytril®)
                                            Der Effekt dieser Medikamente auf die Verlängerung des
                                            QT-Intervalls ist sehr unterschiedlich. Der doppelte Stern **   Octreotid (Sandostatine®)
                                            weist auf ein erhöhtes Risiko für Torsades de pointes hin.      Ondansetron (Zofran®)
                                            «usw.» bedeutet, dass noch weitere Präparate mit entspre-
                                                                                                            Phentermin (Adipex®)
                                            chendem Wirkstoff existieren.
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                                Sibutramin (Reductil® 10/15, Ionamin®)                        Tabelle 2. Risikofaktoren für die Entwicklung
                                                                                              von Torsades de pointes.
                                Medikamente gegen Erkrankungen
                                des Respirationstrakts                                        Weibliches Geschlecht
                                                       ®        ®
                                Salbutamol (Ventolin , Ecovent usw.)                          Bradykardie (
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                                                                            CURRICULUM                       Schweiz Med Forum 2007;7:814–819    817

                                          sion); daraus kann sich eine Arrhythmie durch             QT-Zeit verlängern, wirken direkt auf die für den
                                          Re-entry entwickeln. Überdies weisen bestimmte            Kaliumstrom IKr verantwortlichen Kanäle [6].
                                          Zellen eine elektrische Instabilität auf und ent-         Diese Kanäle werden durch Proteine gebildet, für
                                          wickeln eine neue Depolarisation gerade vor               die ein Human ether-à-gogo (HERG) oder gemäss
                                          dem Ende der Repolarisationsphase (Nachde-                neuerer Nomenklatur ein als KCNH2 bezeich-
                                          polarisation). Diese Extrasystolen, die sich auf          netes Gen kodiert. Der repolarisierende Strom
                                          unterschiedliche Weise im elektrisch inhomoge-            durch diese Kanäle wird aufgrund einer Blockie-
                                          nen Myokard ausbreiten, initiieren die Torsades           rung durch bestimmte Medikamente verlangsamt.
                                          de pointes. Oft treten im Vorfeld von Torsades de         Bestimmte Substanzen können auch durch Ver-
                                          pointes mehrere Extrasystolen auf. Die ausge-             langsamung des Abbaus über eine Hemmung
                                          prägte Verlängerung der QT-Zeit nach den extra-           der Cytochrome (speziell des Isoenzyms P-450
                                          systolischen Pausen verstärkt die Dispersion der          CYP3A4) zu einer Erhöhung des Plasmaspiegels
                                          Repolarisation, bis es zur Entwicklung der Tor-           von Medikamenten mit QT-verlängernder Wir-
                                          sades de pointes kommt (sogenanntes «warm-                kung führen. Dies trifft für Ketoconazol, Makro-
                                          up», Abb. 1B). Die meisten Medikamente, die die           lidantibiotika, in der HIV-Therapie verwendete
                                                                                                    Antiproteasen, Valproinsäure sowie Haloperidol,
                                                                                                    aber auch für Grapefruitsaft zu. Ketoconazol ist
        A
                                                                                                    insofern ein spezieller Fall, als es eine doppelte
                                                                                                    Hemmung bewirkt: sowohl der Kaliumkanäle
                                                                                                    (mit Verlängerung des QT-Intervalls) als auch von
                                                                                                    CYP3A4.

                                                                                                    Klinisches Bild
                                                                                                    Die Diagnose eines erworbenen Long-QT-Syn-
                                                                                                    droms kann gestellt werden, wenn folgende drei
                                                                                                    Bedingungen erfüllt sind:
                                                                                                    – Messung einer korrigierten QT-Zeit (QTc) von
                                                                                                       mehr als 470 ms bei Frauen bzw. mehr als
                                                                                                       450 ms bei Männern;
                                                                                                    – Medikamentöse Therapie oder klinische Be-
                                                                                                       gleitumstände, die die QT-Zeit verlängern
                                                                                                       (Hypokaliämie usw.);
                                                                                                    – Normales QT in einem Vergleichs-EKG (frühe-
                                                                                                       res EKG oder Normalisierung nach Absetzen
                                                                                                       des verdächtigten Medikaments).

                                                                                                    Patienten/-innen mit Long-QT-Syndrom können
                                                                                                    Palpitationen, Unwohlsein im Vorfeld von Synko-
                                                                                                    pen oder Synkopen mit Torsades de pointes auf-
        B
                                                                                                    weisen. Selten können Torsades de pointes sich
                                                                                                    zu einem Kammerflimmern entwickeln und einen
                                                                                                    plötzlichen Herztod herbeiführen.
                                                                                                    Im Vorfeld von Torsades de pointes beobachtet
                                                                                                    man Abfolgen von kurzen, langen, kurzen RR-
                                                                                                    Intervallen, manchmal auch auffällig grosse T-
                                                                                                    und U-Wellen. Die unkorrigierte QT-Zeit liegt
                                                                                                    sehr oft über 500 ms.
                                                                                                    Die Analyse des QT-Intervalls kann Schwierig-
                                                                                                    keiten bereiten. Dieses muss in allen Ableitungen
                                                                                                    analysiert und da gemessen werden, wo das Ende
                                                                                                    der T-Welle am besten sichtbar ist (Abb. 2 x)
       Corrected QT Bazett’s formula                                                                [7]. Manchmal, zumindest bei einem Teil der Ab-
                                                                                                    leitungen, liegt eine abnorme U-Welle mit Beginn
       Qtc = QT/았앙앙
                 RR                                                                                 vor dem Ende der T-Welle oder mit erhöhter
       0.52/았앙앙
             0.86 = 0.574                                                                           Amplitude vor. Einige Spezialisten/-innen emp-
                                                                                                    fehlen, in dieser Situation das Ende der T-Welle
                                                                                                    zur Bestimmung des QT-Intervalls graphisch zu
      Abbildung 2
                                                                                                    extrapolieren. Vorzuziehen ist aber die Messung
      A EKG mit zwölf Ableitungen, das eine Verlängerung des QT-Intervalls zeigt. Das QT muss
         in allen zwölf Ableitungen überprüft und die QT-Zeit da gemessen werden, wo das Ende der   des QTU-Intervalls. Die Differentialdiagnose zu
         T-Welle am besten sichtbar ist.                                                            einer normalen U-Welle ist nicht einfach. Eine
      B Messung von QT in Ableitung III und Korrektur für die Herzfrequenz nach der Formel von      U-Welle kann als bedeutungslos interpretiert
         Bazett (die Repolarisation reagiert direkt auf Änderungen der Herzfrequenz).               werden, wenn sie eine kleine Amplitude hat oder
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                                 Tabelle 3. Normalwerte für QTc in Millisekunden.
                                                                                     Prävention
                                                                                     Einfachste präventive Massnahme ist es, die Ver-
                                                    Männer             Frauen
                                                                                     schreibung von mehr als einem Medikament mit
                                 Normal             470          mehrere psychotrope Medikamente zur Behand-
                                                                                     lung nötig sind. In diesen Situationen muss das
                                                                                     QT-Intervall vier bis sieben Tage nach Beginn der
                                                                                     Behandlung kontrolliert werden. Eine EKG-Kon-
                                wenn die Kurve zwischen der T- und U-Welle zur       trolle ist bei hochdosierter Therapie mit psycho-
                                isoelektrischen Linie zurückkehrt. Das QT-Inter-     tropen Substanzen oder nach Beginn einer Be-
                                vall variiert mit der Herzfrequenz und muss daher    handlung mit Antiarrhythmika der Klasse I oder
                                mittels der Formel von Bazett korrigiert werden      III zu empfehlen. Es besteht kein Konsens dar-
                                (Abb. 2). Die Normalwerte für die korrigierte QT-    über, ab welchem QTc das verantwortliche Medi-
                                Zeit (QTc) liegen bei Frauen 20 ms höher als bei     kament abgesetzt werden muss. Bei einer Behand-
                                Männern (Tab. 3 p). Bei Unsicherheiten bei der       lung, die nicht wirklich essentiell ist, rechtfertigt
                                Messung von QT kann man das EKG wieder-              eine Erhöhung des QTc um 30 ms oder ein Wert
                                holen und ein Belastungs-EKG durchführen, um         von mehr als 470 ms das Absetzen des Medika-
                                zu prüfen, wie stark sich das QT-Intervall bei       ments. Ist die Behandlung wichtig und besteht
                                Tachykardie verkürzt.                                keine therapeutische Alternative, akzeptieren die
                                                                                     meisten Spezialisten/-innen – sofern die Verträg-
                                Risikosituationen                                    lichkeit gut ist und im 24-Stunden-EKG keine
                                In der Praxis ist ein Medikament selten allein       Arrhythmien vorliegen – noch einen QTc-Wert
                                für die Entwicklung von Torsades de pointes ver-     von 500 ms [7].
                                antwortlich, ausgenommen bei Antiarrhythmika         Liegen aber Torsades de pointes vor oder ist der
                                der Klassen I und III oder bei Überdosen, z.B. bei   QTc-Wert über 500 ms, muss die Behandlung
                                einem psychotropen Medikament oder bei Metha-        in den meisten Fällen abgebrochen werden. Aus-
                                don. Meist liegt dem Problem eine Kombination        nahmen gibt es immer, beispielsweise. bei einem
                                verschiedener das QT-Intervall verlängernder         durch einen Pacemaker vor Bradykardieepisoden
                                Faktoren zu Grunde. Es kann beispielsweise ein       geschützten Patienten, der wegen rezidivierender
                                additiver Effekt mehrerer Medikamente mit QT-        Arrhythmien mit starken Beschwerden Sotalol
                                Intervall-verlängernder Wirkung vorliegen. In        erhält. Eine QT-Verlängerung unter Cordarone
                                anderen Fällen handelt es sich um eine medika-       ist nur sehr selten mit Torsades de pointes asso-
                                mentöse Wechselwirkung durch Verlangsamung           ziiert. Auf der anderen Seite muss man vor allem
                                des Katabolismus und als Konsequenz deutlicher       bei Frauen, bei älteren Patienten/-innen und bei
                                Erhöhung des Plasmaspiegels eines Wirkstoffs         Patienten/-innen mit bekannter Bradykardie (z.B.
                                mit QT-verlängernder Wirkung (Hemmung von            bei Sick-Sinus-Syndrom) ganz speziell vorsichtig
                                CYP3A4). Häufiger liegt eine komplexe klinische      sein [3]. Patienten/-innen, die ein erworbenes
                                Situation vor, wie beispielsweise bei einem Pa-      Long-QT-Syndrom entwickelt haben, müssen
                                tienten, der unter Behandlung eines psychotro-       darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie
                                pen Medikaments plötzlich einen AV-Block mit         ein solches Syndrom unter zahlreichen weiteren
                                schwerer Bradykardie entwickelt. Gewisse Anti-       Medikamenten entwickeln könnten, wie sie in
                                arrhythmika wirken gefährlich, vor allem bei älte-   Tabelle 1 aufgeführt sind. Patienten/-innen mit
                                ren Patienten/-innen und bei Bradykardie. Ein        dem seltenen kongenitalen Long-QT-Syndrom
                                klassisches Beispiel ist ein an Tachy-Bradysyn-      müssen unbedingt darüber informiert werden,
                                drom erkrankter Patient mit Episoden von Vorhof-     dass sie keinesfalls irgendein Medikament aus
                                flimmern, der mit Sotalol behandelt wird, einem      dieser Liste erhalten dürfen. Eine Liste mit kon-
                                derjenigen Medikamente, die am häufigsten Ur-        traindizierten Medikamenten muss ihnen abge-
                                sache von Torsades de pointes sind. Ältere Pa-       geben werden, die sie jedes Mal dann dem Arzt
                                tienten/-innen mit veränderter Nierenfunktion        und dem Apotheker vorweisen müssen, wenn sie
                                und Bradykardie sind besonders gefährdet, und        ein neues Medikament benötigen. Schliesslich
                                die Verschreibung von Medikamenten mit QT-           sollte man bei Personen, die ein QT-verlängern-
                                verlängernder Wirkung darf in solchen Fällen         des Medikament einnehmen, auf Diuretika ver-
                                nur unter grösster Vorsicht erfolgen. Schliesslich   zichten oder ein kaliumsparendes Präparat hin-
                                können Torsades de pointes ohne medikamentöse        zufügen.
                                Ursache und auch ohne jede medikamentöse Be-
                                handlung vorkommen, insbesondere wenn eine           Behandlung von Torsades de pointes
                                ausgeprägte Bradykardie (z.B. bei paroxysmalem       Entwickelt ein Patient Torsades de pointes, muss
                                AV-Block oder bei mangelhaft funktionierendem        er unverzüglich hospitalisiert und sein Herzrhyth-
                                Herzschrittmacher einer älteren Person) vorliegt     mus überwacht werden. QT-verlängernde Medi-
                                oder zusätzlich erschwerende Faktoren wie eine       kamente sind unverzüglich abzusetzen und Fak-
                                Hypokaliämie hinzukommen.                            toren, die das Risiko einer Arrhythmie erhöhen,
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                                    zu korrigieren [8]. Bei Hypokaliämie muss not-                    Konklusion
                                    fallmässig eine intravenöse K+-Behandlung ein-
                                    geleitet werden, bis ein K-Spiegel von 4,5 bis                    Es gibt zahlreiche Medikamente, die eine Repo-
                                    5 mmol/L erreicht ist. Ebenfalls sollte eine Magne-               larisation des Herzens beeinflussen und für be-
                                    siumbehandlung (1–2 g intravenös) eingeleitet                     stimmte Patienten/-innen die Gefahr von letalen
                                    werden (bei Niereninsuffizienz mit reduzierter                    Komplikationen mit sich bringen, insbesondere
                                    Dosis). Führen diese Massnahmen nicht zum                         dann, wenn weitere Risikofaktoren vorliegen. Es
                                    Ziel, muss die Herzfrequenz auf 80 bis 100 (wenn                  ist daher wichtig, dass der verschreibende Arzt
                                    nötig auch bis auf 120) pro Minute mittels pro-                   über die möglichen Nebenwirkungen und die Ri-
                                    visorischen Pacemakers oder eventuell mit Iso-                    sikofaktoren Bescheid weiss und sich versichert,
                                    prenalin per infusionem erhöht werden, um die                     dass die vorgesehene Behandlung durchgeführt
                                    Torsades de pointes zu vermindern. In manchen                     werden darf.
                                    Fällen muss ein definitiver Pacemaker eingesetzt
                                    werden, aber nur bei schwerer Bradykardie oder
                                    wenn auf Medikamente, die eine Bradykardie
                                    hervorrufen, nicht verzichtet werden kann. Die
                                    Implantation eines Defibrillators ist im allgemei-
                                    nen beim erworbenen Long-QT-Syndrom nicht
                                    indiziert.

                                    Literatur
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