Brussels calling: Engagement Schweizer Think-Tanks in der EU

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Europäische Union

Fachbeitrag

Brussels calling: Engagement
Schweizer Think-Tanks in der EU
Nicola Forster und Michael Bimmler

Entwicklungen und Entscheide in der Europäischen             Die politischen Prozesse innerhalb der EU und die
Union sind oft von höchster Relevanz für die            Weiterentwicklung des EU-Rechts (acquis communau-
Schweiz. Von Schweizer Seite sind aber in Brüssel       taire) sind deshalb für die Schweiz von eminent wich-
(fast) nur Vertreter der Regierung und der Wirtschaft   tiger Bedeutung. Dies betrifft nicht nur die öffentliche
tätig. Ein stärkeres Engagement von Nonprofit-Or-       Verwaltung, die Wirtschaft und die politischen Partei-
ganisationen jeglicher Art wäre lohnenswert, wie        en, sondern insbesondere auch alle schweizerischen
hier am Beispiel eines Think-Tanks aufgezeigt wird.     Nonprofit-Organisationen (NPOs), die ihren Einfluss
                                                        zur Zeit nur national geltend machen. Für sie wird es
Die Schweiz und die EU                                  wichtig, zu überprüfen, ob und in welcher Form sie
Trotz ihrer Nicht-Mitgliedschaft ist die Schweiz mit    sich auch in Brüssel engagieren wollen.
der Europäischen Union (EU) seit langem wirtschaft-          Dieser Artikel beschreibt zunächst kurz die Stellung
lich und politisch eng verknüpft.1 Drei Viertel der     von Lobbyisten und NPOs gegenüber den EU-Instituti-
Schweizer Importe kamen im 2012 aus der EU und          onen. Danach wird erläutert, inwiefern Schweizer Ak-
mehr als 55% der Exporte hatten die EU als ihr Ziel.    teure bereits im EU-Bereich tätig sind. Im Hauptteil soll
Täglich werden im Wert von mehr als einer Milliarde     dann anhand des Beispiels eines Think-Tanks skizziert
Franken Waren oder Dienstleistungen zwischen der        werden, welche Möglichkeit eine Schweizer NPO hat,
EU und der Schweiz ausgetauscht. Mehr als 1,4 Milli-    um ihre Aktivitäten in Brüssel auszubauen und alleine
onen EU-Bürger sind entweder in der Schweiz wohn-       oder in Kooperation mit europäischen Partnern aktiv zu
haft oder arbeiten hier als Grenzgänger, dazu haben     werden.
Schweizer Unternehmen im EU-Raum mehr als 1,25
Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Die Schweiz ist     Lobbying, Nonprofit-Organisationen
derzeit für die EU drittwichtigster Absatzmarkt und     und die EU
insgesamt viertwichtigster Handelspartner nach den      Neben Washington D.C. gilt Brüssel als eines der
USA, China und Russland, aber noch vor der Türkei,      wichtigsten Zentren für Nonprofit-Organisationen al-
Japan, Brasilien oder Indien. Im Gegenzug war die EU    ler Art. Aufgrund der vielen Aufgaben- und Tätig-
für die Schweiz im letzten Jahr wichtigster Handels-    keitsfelder der Europäischen Union sowie der von ihr
partner in jeglicher Hinsicht.2                         verteilten Finanzmittel besteht eine grosse Zahl von
    Mehr als hundert Verträge bilden den juristi-       Interessengruppen (stakeholders), welche auf die Ar-
schen Rahmen der bilateralen Beziehungen, darunter      beit der EU Einfluss nehmen möchten. Für diese ist
die berühmten «Bilateralen I und II», das weiterhin     eine physische Präsenz in Brüssel unabdingbar. Denn
relevante Freihandelsabkommen aus dem Jahr 1972,        mit den Möglichkeiten der modernen Kommunikati-
aber auch technische Abkommen zur Zusammenar-           onstechnologie kann zwar der Informationsfluss ge-
beit der Zoll- oder Polizeibehörden. Qualitativ be-     währleistet werden, aber decision shaping bedarf nach
treibt die Schweiz somit nicht nur klassischen Frei-    über längere Zeit etablierten und institutionalisierten
handel mit der EU, sondern ist substanziell in den      Zugängen zu Entscheidungsträgern und Beeinflusse-
EU-Binnenmarkt eingebunden. Über die Schengen-          rinnen.3
Dublin-Abkommen ist die Schweiz zudem an einem              Für die Europäische Kommission als Hauptarbeit-
Kernstück der europäischen Sicherheitszusammen-         geberin innerhalb der EU-Institutionen arbeiten etwa
arbeit beteiligt.                                       38 000 Angestellte, was gemessen an ihren Aufgaben

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     erstaunlich wenig ist. Zum Vergleich: Der Kanton Zü-            Typischerweise sind die Mitglieder dieser Verbän-
     rich allein beschäftigt schon ca. 33 000 Mitarbeitende.     de wiederum Verbände auf nationaler Ebene, wobei
     Entsprechend ist die Verwaltung stark auf das Exper-        einflussreiche, europaweit tätige Unternehmen auch
     tenwissen aussenstehender Kreise angewiesen: Im Re-         über Direktmitgliedschaften eingebunden sind. Zudem
     gister der Interessenvertreter, die bei der Europäi-        sind letztere oft zusätzlich mit einem separaten, unter-
     schen Union akkreditiert sind, finden sich zurzeit          nehmenseigenen Büro präsent. Durch ein ständiges Se-
     knapp 5 900 eingetragene Organisationen.4 Die Eintra-       kretariat in Brüssel betreiben die Verbände Lobbying
     gung im Register ist freiwillig, aber Voraussetzung für     bei den EU-Institutionen sowie Öffentlichkeitsarbeit
     die Zuteilung eines permanenten Zugangspasses zum           und nehmen verschiedene Querschnittsfunktionen für
     Europäischen Parlament. Daneben gibt es deshalb             ihre Mitglieder wahr (z.B. Konferenzorganisation, Wei-
     eine Dunkelziffer von nicht akkreditierten Organisati-      terbildung usw.).
     onen.5 Eine aktuelle österreichische Studie schätzt die         Weiter sind fast alle international tätigen Hilfs-
     Anzahl in Brüssel tätiger Lobbyisten auf 15 000 –           werke und Entwicklungsorganisationen in Brüssel
     20 000 Einzelpersonen.6 Damit ergibt sich also ein Ver-     vertreten, zurzeit etwa 1 500. Die EU-Institutionen
     hältnis von etwa einem Lobbyisten auf zwei Mitarbei-        sind momentan der weltweit zweitgrösste Beitragsge-
     tende der Europäischen Kommission.                          ber in der Entwicklungs- und humanitären Hilfe und
         Die in der EU-Politik tätigen nichtstaatlichen Akteu-   verteilen jährlich mehr als 17,5 Milliarden Dollar an
     re können grob in drei Kategorien eingeteilt werden, wo-    Unterstützungsgeldern.7 Für viele Entwicklungsorga-
     bei sich Überschneidungen ergeben. Am zahlreichsten         nisationen ist die EU deshalb ein namhafter Geldgeber
     sind die Verbände, welche im Namen einer bestimmten         und Partner. Zudem treffen sich die Vertreter der EU-
     Branche klassisches Lobbying betreiben. Diese Kategorie     Mitgliedsstaaten regelmässig in Brüssel, um ihre nati-
     umfasst momentan knapp 3 000 Einträge im oben er-           onalen Entwicklungspolitiken zu koordinieren. Für
     wähnten Register. Vom «European Chemical Industry           globale Organisationen wie Oxfam, Save the Children
     Council» über «InsuranceEurope» bis zum «Standing           oder Médecins sans Frontières ist es deshalb beson-
     Committee of European Doctors» finden sich diverse          ders wichtig, auf die Entwicklungspolitik der EU Ein-
     Vereinigungen von Unternehmen und Selbständigen.            fluss nehmen zu können und sich an ihren Program-
     Nicht nur die Arbeitgeber, auch die Arbeitnehmer (z.B.      men zu beteiligen.
     «European Transport Workers Federation») und die                Zuletzt finden sich im Umkreis der EU auch diver-
     Konsumenten (z.B. «European Federation of Financial         se Think-Tanks, welche Policy-Analysen durchführen
     Services Users») sind durch Dachverbände vertreten.         und (öffentliche oder nicht-öffentliche) Empfehlungen

10                                                                                    Verbands-Management 3/2013
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abgeben. Die Zahl dieser Think-Tanks hat sich in den        zweiten Runde meist von den EWR-Staaten sowie der
letzten 15 Jahren stark vergrössert.8 Verschiedene          Schweiz übernommen wird.
Think-Tanks konzentrieren sich dabei spezifisch auf              Banken, Pharma-, Strom- und Lebensmittelbran-
die Politik der EU – so etwa das European Policy Cen-       che haben dies schon längst bemerkt und investieren
tre (EPC) oder der Wirtschafts-Think-Tank BRUEGEL.          erhebliche Mittel. Novartis ist beispielsweise mit
Weiter haben viele Think-Tanks aus europäischen und         knapp zehn Personen in einem Büro in Sichtweite des
aussereuropäischen Ländern ein «EU-Büro» in Brüs-           EU-Parlaments stark präsent. Economiesuisse hat sich
sel, welches den Kontakt zur europäischen Politiksze-       im gleichen Gebäude wie der europäische Wirtschafts-
ne sicherstellt, zum Beispiel die deutsche Stiftung Wis-    dachverband BusinessEurope angesiedelt, wobei der
senschaft und Politik (SWP) oder die amerikanischen         Cheflobbyist François Baur gar einmal pro Monat für
Think-Tanks Carnegie und RAND.                              alle Schweizer Unternehmensvertreter in Brüssel eine
     All diese Organisationen vertreten ihre Interessen     «Happy Swiss Hour» in einer coolen Bar organisiert.
in vielfältiger Weise in Brüssel: vom traditionellen Lob-   Viele Unternehmen lassen sich auch vertreten, bei-
bying von Europaparlamentarierinnen, EU-Kommissa-           spielsweise durch Public Affairs-Agenturen mit Sitz in
ren und Beamtinnen über die Teilnahme an formellen          Brüssel wie etwa Furrer.Hugi & Partner (u.a. Swiss-
Vernehmlassungen und Anhörungen und Mitarbeit in            com, Post, Finanzindustrie) oder Anwaltskanzleien
Expertenkommissionen bis zu Pressearbeit, Organisati-       wie Steptoe & Johnson LLP (v.a. Energiebranche), die
on von thematischen Veranstaltungen und Finanzie-           dank zwei etablierten Schweizer Partnern vergleichs-
rung oder Durchführung von Studien. Dabei profitieren       weise viele Schweizer Mandate betreuen.
sie häufig von der Unterstützung ehemaliger «EU-Insi-            Wer sich in Brüssel auf die Suche nach Büros von
der», die als Politikerinnen oder Beamten tätig waren.9     Schweizer NPOs macht, wird jedoch kaum fündig:
                                                            Eine Suche im Transparenzregister fördert von den
Schweizer Akteure und die EU                                bekannten Schweizer NPOs – neben der FIFA – nur
Eine aktive Interessenvertretung in Brüssel lohnt sich      Terre des Hommes und die Erklärung von Bern zu
auch für Schweizer Akteure: Mit einem erfolgreichen         Tage. Auch Think-Tanks wie Avenir Suisse oder das
Lobbying kann hier EU-Recht beeinflusst werden, das         Gottlieb-Duttweiler-Institut haben keine regelmässige
dann für alle 28 Mitgliedsstaaten gilt und in einer         Präsenz in Brüssel, über das dem Center for Security

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Verbands-Management 3/2013                                                                                           11
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     Studies der ETH Zürich angegliederte International          Mehrwert und das Alleinstellungsmerkmal eines Brüs-
     Security Network bestehen wenigstens einige etablier-       seler Ablegers eines Schweizer Think-Tanks? Zum ei-
     te Partnerschaften. Eine Präsenz vor Ort scheint aber       nen könnte ein Schweizer Think-Tank an die helveti-
     Mangelware, die Aktivitäten der Schweizer NPOs              sche Tradition der «Guten Dienste» anknüpfen. Als
     werden bisher meist vom Schweizer Hauptsitz oder            Nicht-Mitglied ist die Schweiz, obwohl häufig mitbe-
     von einer Mutterorganisation (z.B. WWF oder Am-             troffen, (zu) weit von den direkten Verhandlungen un-
     nesty International) koordiniert.                           ter den EU-Staaten entfernt. Ein Think-Tank, welcher
                                                                 mit der Schweiz assoziiert wird, hätte somit die Mög-
     Der Schweizer Think-Tank in Brüssel                         lichkeit, einen glaubwürdigen und offenen «Hub» für
     als Brücke für Ideen und Personen                           innovative Diskussionen bereitzustellen. Dieser sollte
     Bereits einleitend wurde die Relevanz der Entwicklun-       sich explizit nicht nur mit für die Schweiz relevanten
     gen auf EU-Ebene für die Schweiz beschrieben: Ent-          bilateralen Themen befassen, sondern könnte den Mit-
     scheide, Rechtsakte und (Industrie-)Standards gelten        gliedsstaaten eine neutrale Plattform für den Aus-
     oft, zumindest indirekt, auch für Schweizer Akteure.        tausch von Ideen zur Zukunft der Union anbieten; die
     Zudem haben diese auch ein Interesse an den von der         Schweiz verfügt hier durchaus über Kompetenzen und
     EU verteilten Geldern, zum Beispiel im Bereich For-         Erfahrungen, die die EU interessieren könnten.
     schung. Für schweizerische Interessensvertreter gibt es          Zum anderen könnte dieser Think-Tank auch eine
     also gute Gründe, in Brüssel aktiv zu werden und diese      wichtige Rolle in der sogenannten «Track-2-Diploma-
     Aktivität mit einem institutionellen Unterbau zu stär-      tie» spielen, als Gegenstück zu den Verhandlungen auf
     ken. An dieser Stelle soll der Fokus nicht auf eine klas-   Regierungsebene zwischen der Schweiz und den EU-
     sische Lobbying-Organisation, sondern auf ein Modell        Institutionen («Track 1»).10 Intensivierte Kontakte auf
     eines Brüsseler Büros für einen Schweizer Think-Tank        inoffizieller Ebene könnten gerade bei zukünftigen Pro-
     gerichtet werden; hier besteht ein ungenutztes Potenzi-     blemen zwischen EU und Schweiz zu einer einfacheren
     al, das durchaus einen langfristigen Ertrag bringen         und schnelleren Lösungs- bzw. Kompromissfindung
     könnte. Die Schlüsse aus der vorliegenden Analyse           beitragen. Gleichzeitig kann über einen solchen Think-
     dürften – mutatis mutandis – teilweise auch für weitere     Tank die EU-Politik der Schweizer Öffentlichkeit näher-
     schweizerische NPOs Gültigkeit haben.                       gebracht werden, zum Beispiel in Kooperation mit ei-
          Worin, neben der wissenschaftlich interessanten        nem Schweizer Medium, welches einen «Brief aus
     Analyse von Politikprozessen, liegt der potenzielle         Brüssel» oder andere Formate in seine EU-Berichter-

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stattung einbaut. Der Think-Tank kann so als Radar in           Um die obengenannten Ziele zu erreichen, sehen
Brüssel dienen, welcher aktuelle Entwicklungen in der       wir vier Schritte, die Erfolg versprechen. Diese können
EU frühzeitig in die Schweiz transportiert und die in-      einzeln, zeitlich gestaffelt oder parallel umgesetzt wer-
nenpolitische Debatte zu Europathemen anstösst. Da-         den und verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung.
neben könnte er auch eine institutionalisierte «Brücke»
zwischen der Schweiz und der EU herstellen, welche             Gründung eines Liaison-Office in Brüssel
diverse Akteure – andere NGOs, Verwaltungen, Medi-          Die Gründung eines Brüsseler Büros bietet einem
en etc. – nutzen könnten; ein regelmässigerer Dialog        Schweizer Think-Tank wohl am meisten Möglichkei-
auf allen Stufen wäre die erwünschte Folge davon.           ten, in Brüssel aktiv zu sein und im Umfeld der EU
     Ein Schweizer Think-Tank hat auch ein klares Ei-       Einfluss zu nehmen. Dabei ist zumindest anfangs
geninteresse an einer Präsenz in Brüssel: Er kann so sei-   kein grosser Personalaufwand notwendig. Bereits die
ne eigene Relevanz und internationale Ausstrahlung          Schaffung eines einzelnen Arbeitsplatzes für einen
stärken. Zudem schärft er seine Authentizität und           «EU Representative», allenfalls unterstützt von einem
Glaubwürdigkeit – gerade auch gegenüber der Schwei-         Praktikanten, verschafft dem Think-Tank ein erstes
zer Öffentlichkeit! –, da er nah am Geschehen vor Ort       Standbein in Brüssel. In der Tat funktionieren viele
ist sowie in der Lage, auch unveröffentlichte Dokumen-      NPO-Sekretariate und Think-Tank-Ableger in Brüssel
te zu analysieren. Brüssel als Zentrum europäischer Po-     mit 1 bis h3 Festangestellten, die sowohl inhaltliche
litik bietet Gelegenheit, von den wichtigen Akteuren        wie auch administrative Arbeit leisten. Schlussend-
und Beobachtern wahrgenommen zu werden, insbe-              lich zählt die Anzahl Kontakte, Besuche und Auftritte
sondere wenn ein Think-Tank eine attraktive Diskussi-       in Brüssel mehr als der tatsächliche Personalbestand.
onsplattform zur Verfügung stellt. Zudem kann er die             Der Schweizer Think-Tank sollte sich in diesem
von ihm entwickelten Ideen einem breiteren Publikum         Modell einer breiteren europäischen Öffentlichkeit
vorstellen und somit besser «verkaufen».                    vorstellen, indem er selbst in Brüssel regelmässig Ver-
     Zur Finanzierung der Präsenz in Brüssel wäre           anstaltungen organisiert. Bei diesen Veranstaltungen
hauptsächlich auf Unterstützungsbeiträge von Wirt-          kommen Think-Tank-Mitarbeitende wie auch externe
schaft und Stiftungen bzw. Privatpersonen zurück-           Referenten zu Wort, etwa Schweizer Politiker, Füh-
zugreifen. Während Beiträge des Bundes zwar insbe-          rungspersonal von Institutionen wie Nationalbank
sondere für einzelne Projekte denkbar sind, sollte          oder SBB, Akademikerinnen oder Vertreter von Zivil-
eine allzu starke Abhängigkeit von der öffentlichen         gesellschaft und Wirtschaft. Dadurch kann eine regel-
Hand vermieden werden, um weiterhin als neutrale            rechte «Bühne für Schweizer Ideen» entstehen, an de-
Institution aufzutreten. Eine schweizerische Adapti-        nen best practices und Schweizer Erfolgsgeschichten
on des Modells «Goethe-Institut»/«British Council»          wie direkte Demokratie, Föderalismus, duales Bil-
im Rahmen der Kulturaussenpolitik (beispielsweise           dungssystem oder die Schuldenbremse erläutert und
ein «Wilhelm Tell-Institut»?) wäre zwar auch interes-       diskutiert werden können. Diese könnten dann, in Zu-
sant, ist jedoch vom hier besprochenen Ansatz klar          sammenarbeit mit europäischen Partnern, auf den
zu trennen.                                                 Kontext einzelner EU-Mitgliedsstaaten oder der EU

       â    Gründung eines Liaison-Office in Brüssel

       â    Strategische Partnerschaft mit einer etablierten Brüsseler Organisation

       â    Mitgliedschaft in einem Dachverband

       â    Kooperation mit Brüsseler Universitäten

Abbildung 1: Vier Schritte zum Erfolg

Verbands-Management 3/2013                                                                                              13
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                               selbst adaptiert und als Idee in laufende politische
                               Diskussionen eingebracht werden.
                                   Durch Aufbau und Pflege eines breiten Kontaktnet-
                               zes sowie die regelmässige Teilnahme an relevanten
                               Veranstaltungen ergeben sich zudem Einladungen auch
                               zu nicht-öffentlichen Veranstaltungen, einschliesslich
                               geschlossener Briefings der Kommission oder Experten-
                               anhörungen des Parlaments. Der Think-Tank sollte Ko-
                               operationen mit anderen Organisationen anstreben und
                               selbst initiieren, etwa bei internationalen Studien, Ver-
                               anstaltungsreihen oder Vernehmlassungsantworten.

                                 Strategische Partnerschaft mit einer etablierten
                                 Brüsseler Organisation
                               Als erster Schritt zu einer stärkeren Ausrichtung nach
                               Brüssel ist eine strategische Partnerschaft mit einem
                               oder mehreren etablierten Brüsseler Think-Tank(s)
                               möglich; diese kann auch vor bzw. ohne Aufbau einer
                               physischen Präsenz in Angriff genommen werden.
                               Ziel einer solchen Partnerschaft wäre ein strukturier-
                               ter gegenseitiger Austausch von Forschern und Ideen.
                               Zum Beispiel könnten Mitarbeiter beider Think-Tanks
                               ein «Sabbatical» als Gastwissenschaftler bei der je-
                               weils anderen Partnerorganisation verbringen, even-
                               tuell unterstützt durch ein Stipendium. Beide Think-
                               Tanks könnten sich prinzipiell verpflichten, sich bei
                               gewissen Kategorien/Themen von Studien gegenseitig
                               anzufragen, ob Interesse für eine Kooperation besteht
                               bzw. ob der andere Think-Tank Experten vermitteln
                               kann. Auch gemeinsame Veranstaltungen, die sukzes-
                               sive in Brüssel und in der Schweiz (oder sogar parallel
                               mit Videolink) durchgeführt werden, sind denkbar.

                                 Mitgliedschaft in einem Dachverband
                               Weiter empfiehlt sich für einen Schweizer Think-
                               Tank, der europäische Ausstrahlung anstrebt, auch
                               die Beantragung der Mitgliedschaft in einem der
                               zwei Dachverbände TEPSA (Trans European Policy
                               Studies Association; http://www.tepsa.eu) oder EPIN
                               (European Policy Institutes Network; http://www.
                               epin.org). Beide Vereinigungen verfügen noch über
                               kein einziges Schweizer Mitglied – die Mitgliedschaft
                               ist aber nicht auf EU-Mitglieder beschränkt, auch Or-
                               ganisationen aus der Türkei und Island sind invol-
                               viert. TEPSA und EPIN vereinfachen die Kooperati-
                               on unter ihren Mitgliedern und ermöglichen einen
                               ständigen Austausch sowohl informell wie auch an

14                                                  Verbands-Management 3/2013
Europäische Union

regelmässigen Treffen. Zudem übernehmen die bei-                Insbesondere den Think-Tanks, welche vorliegend
den Organisationen die Rolle von Koordinatoren,            im Fokus stehen, könnte ein stärkeres Engagement in
wenn für grössere Projekte Konsortien von Think-           der Hauptstadt der EU-Politik attraktive Kooperati-
Tanks gebildet werden, z.B. für eine Rahmenaus-            onsmöglichkeiten und Chancen zur Profilierung eröff-
schreibung des Europäischen Parlaments. Eine Mit-          nen. Doch auch die schweizerische Europapolitik ins-
gliedschaft bei TEPSA oder EPIN bietet für einen           gesamt würde profitieren. Es entsteht die Chance,
relativ geringen finanziellen Aufwand (Mitglieder-         früher über relevante Entwicklungen Bescheid zu wis-
beitrag) einen einfachen Zugang zum Netzwerk eu-           sen sowie Empfehlungen für die Schweiz auf soliderer
ropäischer Think-Tanks und zu spannenden Koope-            Basis formulieren zu können. Die Tradition der
rationsmöglichkeiten.                                      Schweizer «soft power» könnte auf europäischer Ebe-
                                                           ne eingebracht werden, indem Modelle wie Föderalis-
  Kooperation mit Brüsseler Universitäten                  mus, kantonale Konkordate, Schuldenbremse oder
Zuletzt empfiehlt sich für Schweizer Think-Tanks           das duale Bildungssystem vorgestellt und für den EU-
auch die Aufnahme von Kontakten zu den zwei gro-           Kontext adaptiert werden. Wenn nicht gleich als Ver-
ssen Brüsseler Universitäten, der flämischen Vrije         mittler, so könnten schweizerische Think-Tanks doch
Universiteit Brussel und der französischsprachigen         zumindest als Ideen- und Impulsgeber in Brüssel auf-
Université libre de Bruxelles. Beide haben starke Kom-     treten. Zudem wäre es möglich, die formellen Ver-
petenzen in der europäischen Politikwissenschaft           handlungen zwischen Schweiz und EU im Sinne von
und Analyse der Abläufe auf EU-Ebene, was zu inte-         «Track-2-Diplomatie» mit inoffiziellen Kontakten zwi-
ressanten Kooperationen führen könnte, insbeson-           schen schweizerischen und europäischen Persönlich-
dere auch unter Einbezug von Schweizer Universitä-         keiten im strukturierten Rahmen zu ergänzen, etwa an
ten mit entsprechenden Interessen. Zu denken wäre          geschlossenen und offenen Veranstaltungen eines
etwa an das gegenseitige Angebot von Fellowships           schweizerischen Think-Tanks.
in Brüssel und der Schweiz, gerade auch für Nach-               Der finanzielle und personelle Aufwand für die
wuchsforschende. Hier bietet sich allenfalls eine Ko-      verschiedenen vorgeschlagenen Modelle, wie etwa
operation mit der Schweizerischen Studienstiftung          ad-hoc-Kooperationen oder eine strategische Partner-
an. Europäische bzw. schweizerische Perspektiven           schaft mit einem europäischen Think-Tank, ist zu Be-
könnten auf diese Weise einfacher Eingang in den           ginn wohl relativ hoch, lohnt sich aber. Jeder schwei-
jeweils anderen politischen und öffentlichen Diskurs       zerische Think-Tank (und in Analogie auch jede
finden. Im Erfolgsfall kann so der europäisch-             schweizerische Nonprofit-Organisation), der Entwick-
schweizerische Dialog über Schlagwörter wie «frem-         lungen in der EU-Politik als relevant für seine Arbeit
de Richter» oder «Schwarzgeld- und Steueroase» hi-         erachtet, sollte letztendlich die Eröffnung eines Brüs-
naus erweitert werden.                                     seler Büros zumindest mittel- bis langfristig in Erwä-
                                                           gung ziehen. Brussels calling!
Fazit
Schweizer Aktivitäten in Brüssel konzentrieren sich        Fussnoten
zum heutigen Zeitpunkt auf die offiziellen politischen     1
                                                               Wir verdanken die wertvollen Kommentare von Daniel Beck, Tho-
                                                               mas Held, Philippe Lorenz, Florian Rittmeyer, Johan Rochel und
Beziehungen sowie auf direktes oder indirektes wirt-           Maximilian Stern.
schaftliches Lobbying. Nonprofit-Organisationen aus        2
                                                               Zahlenquelle: Direktion für Europäische Angelegenheiten (2013);
der Schweiz sind nur sehr vereinzelt, Think-Tanks so-          European Commission (2013).

gar überhaupt nicht präsent. Wie in diesem Artikel
                                                           3
                                                               Dinan & Wesselius (2010).
                                                           4
                                                               Gemeinsames Transparenzregister-Sekretariat der Europäischen
aufgezeigt, stellt diese Absenz des dritten Sektors eine
                                                               Kommission und des Europäischen Parlaments 2013
bisher ungenutzte Chance für schweizerischen «Im-          5
                                                               Beyers et al. (2008), S. 1106.
pact» dar, womit zugleich Einfluss und Gestaltungs-        6
                                                               Plehwe (2012), S. 6.
möglichkeit als auch Wahrnehmung der Schweiz au-           7
                                                               OECD (2013).
sserhalb der politischen und unternehmerischen             8
                                                               Berkhout & Lovery (2010), S. 455.
Domäne gemeint ist.                                        9
                                                               Vaubel et al. (2012).

Verbands-Management 3/2013                                                                                                       15
Europäische Union

     10
          Als Track-2-Diplomatie werden informelle Kontakte und Gesprä-      European Commission, DG Trade (2013). Switzerland – Trade Sta-
          che in einem organisierten Rahmen bezeichnet, die zwischen         tistics. URL: http://trade.ec.europa.eu/doclib/html/113450.htm.
          Nicht-Regierungsvertretern zweier oder mehrerer Länder stattfin-
          den (z.B.: Akademikerinnen, Politiker und Beamtinnen im Ruhe-      Gemeinsames Transparenzregister-Sekretariat der Europäischen
          stand, Vertreter der Zivilgesellschaft).                           Kommission und des Europäischen Parlaments (2013). Statisti-
                                                                             ken des Transparenzregisters. URL: http://ec.europa.eu/transpa-
                                                                             rencyregister/public/consultation/statistics.do?action=prepareVi
     Literatur                                                               ew&locale=de#de.
     Berkhout, J. & Lovery, D. (2010). The changing demography of
                                                                             OECD (2013). Net Official Development Assistance from DAC and
     the EU interest system since 1990. European Union Politics, 3, S.
                                                                             other Donors in 2012. URL: http://www.oecd.org/development/
     447-461.
                                                                             stats/ODA2012.pdf.
     Beyers, J., Eising, R. & Maloney, W. (2008). Researching Interest
                                                                             Plehwe, D. (2012). Europäisches Kräftemessen – europäische Kräfte
     Group Politics in Europe and Elsewhere: Much We Study, Little
                                                                             messen: Eine Auswertung von verfügbaren statistischen Daten zur
     We Know? West European Politics, 6, S. 1103-1128.
                                                                             Entwicklung und zum ungleichen Stand der Interessenvertretung in
     Dinan, W. & Wesselius E. (2010). Brussels: A lobbying paradise?         Brüssel (Organisationen, Finanzen, Personal). Wien.
     In: ALTER-EU (Hrsg.), Bursting the Brussels Bubble. Brüssel.
                                                                             Vaubel, R., Klingen, B. & Müller, D. (2012). There is life after the
     Direktion für Europäische Angelegenheiten (2013). Wirtschaft-           Commission: An empirical analysis of private interest represen-
     liche Bedeutung. URL: http://www.europa.admin.ch/themen/                tation by former EU commissioners, 1981-2009. The Review of In-
     00499/00755/00761/index.html?lang=de.                                   ternational Organizations, 1, S. 59-80.

     Die Autoren

                                  Nicola Forster/forster.nicola@gmail.com
                                  Nicola Forster ist Gründungspräsident des Think-Tanks foraus – Forum Aussenpolitik
                                  und Jurist mit Studien an den Universitäten Zürich, Montpellier und Lausanne. Aktuell
                                  beschäftigt er sich bei der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) in Brüssel als Visiting
                                  Fellow des Mercator Kollegs mit neuartigen Think-Tank-Formaten für die internationale
                                  Politik. Daneben ist er Curator der WEF Global Shapers Zürich, Stiftungsrat von Science
                                  et Cité sowie Vizepräsident des Law & Economics Clubs und wurde soeben in die welt-
                                  weiten «99 Foreign Policy Leaders under 33» aufgenommen.

                                  Michael Bimmler/mbimmler@gmail.com
                                  Michael Bimmler hat an der Universität Oxford Geschichte und Politologie studiert und
                                  mit dem Bachelor of Arts abgeschlossen. Nun absolviert er am Institut de hautes études
                                  internationales et du développement (IHEID) in Genf den Master in International Affairs.
                                  Er arbeitete unter anderem für die Stiftung Wissenschaft und Politik in Brüssel, die Dele-
                                  gation der Europäischen Union in Bern, das Human Security Report Project in Vancouver
                                  sowie das Global Humanitarian Forum in Genf. Bei foraus beschäftigt er sich mit europa-
                                  politischen Fragestellungen.

          Zu foraus – Forum Aussenpolitik:
          Der unabhängige Think-Tank foraus – Forum Aussenpolitik – Forum de politique étrangère entwickelt Ideen,
          Empfehlungen und Werkzeuge für aussenpolitische Entscheidungsträger/innen und die breite Öffentlichkeit
          und bildet so eine Brücke zwischen Wissenschaft und Politik. foraus ist eine Graswurzel-Bewegung: Der
          Erfolg basiert auf dem ehrenamtlichen Einsatz von schweizweit über 600 Akademikern/innen und jungen
          Berufstätigen, die auf Basis ihrer Expertise Studien verfassen und Veranstaltungen organisieren. foraus wurde
          im Herbst 2009 in Bern gegründet, hat seine Geschäftsstelle in Zürich und Genf und ist heute in allen Univer-
          sitätsstädten der Schweiz aktiv.

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