BULLETIN DER BUNDESREGIERUNG

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BULLETIN
                                DER
                          BUNDESREGIERUNG
                             Nr. 46-4 vom 26. April 2023

Rede des Bundesministers der Verteidigung,
Boris Pistorius,

zur militärischen Evakuierung aus Sudan
vor dem Deutschen Bundestag
am 26. April 2023 in Berlin:

Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete!

Die Lage im Sudan war und ist dramatisch. Der innersudanesische Machtkampf zwi­
schen dem Präsidenten al-Burhan und Vizepräsident General Daglo ist in den vergan­
genen Wochen sehr schnell mit wirklich großer Geschwindigkeit und Brutalität eska­
liert. Landesweit kommt es trotz der neuverhandelten Waffenruhe – auch die letzte hat
schon nur sehr rudimentär gehalten – weiter zu gewaltsamen Auseinandersetzungen
und zum Teil schweren Gefechten. Der Konflikt – wir haben es gehört – hat bereits
mehrere Hundert Tote und Tausende Verletzte gefordert, darunter zahlreiche Zivilis­
tinnen und Zivilisten. Auch ausländische Staatsangehörige zählen zu den Opfern. Es
gab gewaltsame Angriffe auf diplomatische Einrichtungen und Konvois sowie Angehö­
rige internationaler Hilfsorganisationen.

Auch zahlreiche Deutsche wurden von der Situation überrascht, saßen fest unter Ge­
fahr für Leib und Leben. Es war deshalb sehr schnell klar: Es ist erforderlich, schnell
und entschlossen zu handeln. Das haben wir getan.

In dieser dramatischen Sicherheitslage und bei dieser anhaltenden Gewalteskalation
im Sudan musste die Bundesregierung ihrer Verantwortung umgehend gerecht wer­
den. Die Situation duldete keinen Aufschub. Eine Mitte vergangener Woche zunächst
geplante sogenannte schnelle Luftabholung, also eine diplomatische Evakuierung,
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mussten wir abbrechen. Die Sicherheitslage war zu angespannt und zu gefährlich, als
dass man das Risiko hätte eingehen können. Daher war es auf Grundlage der Zustim­
mung der sudanesischen Regierung – in den Tagen davor waren alle Planungen zur
Vorbereitung ebendieses robusten Einsatzes auf Hochtouren gelaufen – endlich am
Samstag möglich, die Entscheidung für den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte
zur militärischen Evakuierung zu treffen. Die Entsendung erster Einsatzkräfte erfolgte
am Sonntag.

Außenministerin Annalena Baerbock und ich haben die Vorsitzenden aller im Deut­
schen Bundestag vertretenen Fraktionen über den Beginn dieser Operation und die
Grundzüge unseres Vorgehens vor Beginn des Einsatzes mündlich unterrichtet. Es
ging uns darum, zügig einen Weg zu finden, die Menschen dort herauszubekommen,
schnell und sicher und ohne dass deutsche Soldatinnen und Soldaten zu Schaden
kommen, und das alles in einer äußerst engen zeitlichen Taktung und mit einer sehr
unübersichtlichen und sehr besonderen Gefahrenlage vor Ort und natürlich in engem
Kontakt, sobald der hergestellt war, mit den sudanesischen Kräften, die sich grund­
sätzlich bemüht haben, für die Sicherheit der vor Ort tätigen Partner zu sorgen. Bei der
Vorbereitung dieser Operation haben wir alles getan, um den Einsatz so sicher wie
möglich zu gestalten.

Die Bundeswehr hat bewiesen, dass sie da ist, wenn sie gebraucht wird, dass sie kom­
plexe Operationen – und das war eine sehr komplexe Operation –, bei denen viele
Bausteine in kürzester Zeit zusammengefügt werden müssen, stemmen kann, und das
auch sehr, sehr kurzfristig. Es zeigt sich einmal mehr: Das Vertrauen, das wir in unsere
Truppe setzen, ist mehr als gerechtfertigt. Danke sage ich an die Soldatinnen und Sol­
daten für diesen schnellen, mutigen und vor allem engagierten und professionellen
Einsatz.

Rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten waren im Nahen Osten und in Nordafrika im
Einsatz. Zudem waren auch in Deutschland noch etliche in Bereitschaft. Sie hätten
jederzeit in das Einsatzgebiet gebracht werden können.
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Gestern Abend haben wir die Evakuierungsflüge beendet. Mehr als 700 Menschen
konnten wir in Sicherheit bringen, davon etwa 200 Deutsche, zahlreiche EU-Angehö­
rige und Bürgerinnen und Bürger anderer Staaten, so alleine fast 130 Menschen aus
Kanada, 60 aus den Niederlanden und weitere Menschen aus vielen anderen Ländern.
Die Bundeswehr hat die Koordination am Flughafen Khartum geordnet und planmäßig
an unsere britischen Partner übergeben. So ist sichergestellt, dass die Luftevakuierung
für die internationale Staatengemeinschaft auch nach unserem Abzug ordnungsge­
mäß weiterlaufen kann. Falls erforderlich, werden auch deutsche Staatsangehörige
weiter mit ausgeflogen.

Insgesamt ist die Evakuierungsmission ein beeindruckendes Zeichen internationaler
und europäischer Kooperation. Insbesondere – das will ich hervorheben – hat die Zu­
sammenarbeit mit unseren französischen Freunden ausgezeichnet funktioniert, übri­
gens auch dank des guten Drahtes unserer Militärs zu unseren Nachbarn. Dass die
Evakuierungsmission so reibungslos verlaufen konnte, lag aber auch – das will ich hier
deutlich unterstreichen – an einer sehr guten Zusammenarbeit mit dem Auswärtigen
Amt, zwischen der Kollegin Baerbock und mir und mit den beteiligten Ministerien sowie
an der engen Abstimmung mit den Ansprechpartnern im Sudan. Dafür bin ich sehr
dankbar.

Jordanien – und auch das verdient besondere Erwähnung – hat die Evakuierung als
Gastland und logistisches Drehkreuz sehr spontan, sehr professionell und sehr ver­
trauensvoll unterstützt. Die Evakuierten wurden von dort ausgeflogen und kehrten
nach Deutschland zurück. Die meisten sind bereits sicher hier bei uns angekommen.
Deswegen war es auch eine Selbstverständlichkeit, 20 jordanische Staatsangehörige
ebenfalls auszufliegen.

Mein Dank geht deswegen in besonderer Weise auch an unsere Partner in Jordanien
für die ausgezeichnete Zusammenarbeit, die schnelle Unterstützung und das Ver­
trauen, das zwischen uns herrscht. Dank auch an die Vertreter der Bundespolizei, die
ihren wesentlichen Beitrag bei der Sicherung geleistet haben, auch vielen Dank ans
BMI!
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Für diejenigen Deutschen, die sich immer noch im Sudan befinden, stellen wir sicher,
dass diese bei Bedarf in Sicherheit gebracht werden, sei es mit Flügen von Partnern,
auf dem Land- oder dem Seeweg.

Die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr haben in einer instabilen, gefährlichen
und unabsehbaren Lage und bei andauernden Gefechten im Sudan eine hochkom­
plexe Evakuierungsoperation durchgeführt. Unsere Männer und Frauen leisteten unter
Einsatz ihres Lebens – das muss man so sagen – in einem unübersichtlichen und
brandgefährlichen Umfeld Außerordentliches. Dafür gebührt ihnen unser aller Res­
pekt, unsere Anerkennung und von Herzen Dank.

Ich kann nur erahnen, in welcher Sorge die Angehörigen der Soldatinnen und Solda­
ten, die im Einsatz waren, hier vor Ort gewesen sein müssen. Umso mehr hoffe ich,
dass jetzt auch die letzten unserer Soldatinnen und Soldaten im Laufe des heutigen
Abends oder morgen zurückkehren werden.

Diese Evakuierungsoperation stellt einen Einsatz zur Rettung von Menschen aus be­
sonderen Gefahrenlagen dar. Wir mussten unverzüglich handeln. Daher holen wir die
Zustimmung des Deutschen Bundestages heute nach. Das ist nicht nur rechtlich not­
wendig, es ist auch für die Truppe besonders wichtig; denn dieser politische Rückhalt
zeigt unseren Frauen und Männern, dass der Deutsche Bundestag hinter ihnen, hinter
seiner Parlamentsarmee steht, hinter den rund 1.000 Soldatinnen und Soldaten, die
im Einsatz waren oder weiterhin sind.

Ein Wort, sehr geehrter Herr Abgeordneter Hardt, an Sie: Am Freitag, als Sie sich, wie
Sie gerade sagten, gewünscht hätten, hierzu Vorlagen zu bekommen, waren die Opti­
onen noch nicht klar.

Erst am Samstagmittag war klar, was wir würden tun können, immer noch unter dem
Eindruck einer höchst brisanten und volatilen Lage. Am Freitag hätten wir Ihnen allen­
falls einige Optionen nennen können, und ich glaube nicht, dass Sie damit zufrieden
gewesen wären, wenn wir aufgeschrieben hätten: Sie haben die Wahl zwischen Option
eins, zwei und drei. Das war der Punkt, der ein anderes Handeln nach meiner Über­
zeugung nicht zuließ.
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Der zweite Punkt: Geheimhaltung. Ja, glauben Sie mir: In diesem Haus gibt es wohl
kaum jemanden, der sich mehr über dieses Leck geärgert hat als ich. Lecks und Leaks
und Durchstechereien gibt es in allen Häusern. Darüber kann man sich ärgern; das
tue ich auch. Aber die wissentliche Durchstecherei einer Operation mit Einzelheiten,
deren Bekanntwerden Leben gefährden kann, ist für mich nicht akzeptabel.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir alle strafrechtlichen Mittel ausschöpfen werden,
um hier den Täter, die Täterin dingfest zu machen. Ob uns das gelingt, wird sich zei­
gen. Wir werden alle Möglichkeiten, die wir haben, dafür verwenden. Das kann ich
Ihnen zusichern.

Mit dem bisherigen Verlauf der Operation sind wir zufrieden. Wir sind erleichtert, ich
bin erleichtert. Ich sage auch: Ich bin stolz auf die Bundeswehr und für diesen Einsatz
dankbar. Aber wir müssen die Lage täglich neu bewerten. Die Sicherheitslage bleibt
angespannt. Niemand kann sagen, wie es im Sudan in einer Woche aussieht. Der
Einsatz ist deshalb bis zum 31. Mai befristet, dieses Jahres wohlgemerkt. Der gewählte
Mandatszeitraum und die Obergrenze von 1.600 Soldatinnen und Soldaten geben uns
die nötige Flexibilität, um den Evakuierungsauftrag bei Bedarf schnell und wirksam
wieder aufzunehmen. Wir beobachten die Lage weiter sehr genau und werden auch
weiter dafür sorgen, dass deutsche Staatsangehörige in Sicherheit gebracht werden
können.

Ich bitte Sie daher um Ihre Unterstützung und Zustimmung für das Mandat, das wir
heute einbringen, und freue mich sehr, dass der Verteidigungsausschuss und einige
andere der Einladung nach Wunstorf für Freitagabend, 17 Uhr, folgen, wenn unsere
Soldatinnen und Soldaten dort wieder eintreffen.

Vielen Dank.

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