Arbeitsrechtliche Folgen einer Pandemie

 
WEITER LESEN
Arbeitsrechtliche Folgen einer Pandemie

                                          BDA Bundesvereinigung der
                                          Deutschen Arbeitgeberverbände

                                          Hausadresse:
                                          Haus der Deutschen Wirtschaft
                                          Breite Straße 29
                                          10178 Berlin
                                          Briefadresse:
                                          11054 Berlin
                                          Tel. +49 30 2033-0
                                          Fax +49 30 2033-1055
                                          http://www.bda-online.de
Berlin, 10. April 2006
Das Robert Koch-Institut weist wie die Weltgesundheitsorganisation
darauf hin, dass das Pandemierisiko derzeit so hoch ist wie seit Jahr-
zehnten nicht mehr. Seit 2003 breitet sich die Vogelgrippe aus, zunächst
in Asien, in den letzten Wochen auch in Eurasien und Teilen Europas.
Die Vogelgrippe ist eine Viruskrankheit, die Wildvögel, Ziervögel und
Geflügel in Tierhaltung, vor allem Hühner und Puten, befällt. Die Über-
tragung vom Tier auf den Menschen kam bisher ausschließlich bei en-
gem Kontakt zu infizierten Tieren vor. Seit Ende 2003 traten in ver-
schiedenen Regionen Asiens Erkrankungen beim Menschen auf.

Mittlerweile hat die Vogelgrippe auch Deutschland erreicht. Auch wenn
in Deutschland bisher noch kein Mensch infiziert worden ist, stellen sich
aus Sicht des Arbeitsrechts zahlreiche Fragen, wie im Fall einer Pan-
demie zu verfahren ist.

I.   Aktuelle Situation

1.   Leistungsverweigerungsrecht der Arbeitnehmer

Leistungsverweigerungsrecht im Falle einer Entsendung

Arbeitnehmern steht im Fall der Entsendung in ausländische Gebiete, in
denen die Vogelgrippe auftritt, grundsätzlich kein Leistungsverweige-
rungsrecht zu. Ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB
besteht nur, wenn die Leistung dem Arbeitnehmer unzumutbar ist. Dazu
muss die Erbringung der Arbeitsleistung nur unter Umständen möglich
sein, die für den Arbeitnehmer mit erheblichen Gefahren für Leben oder
Gesundheit verbunden sind. Solange eine Übertragung von Mensch zu
Mensch nicht stattfindet, ist dies nicht der Fall.

Wenn für einzelne Länder oder Regionen eine Reisewarnung des Aus-
wärtigen Amtes vorliegt (zur Zeit gibt es aufgrund der Vogelgrippe H5N1
keine Reisewarnungen des AA), könnten die Arbeitnehmer ausnahms-
weise berechtigt sein, einer Entsendung in diese Gebiete zu widerspre-
chen – auch wenn die genetischen Grenzen noch nicht übersprungen
sind. Das Auswärtige Amt spricht nur in Ausnahmefällen Reisewarnun-
gen aus, dann nämlich, wenn generell vor Reisen in diese Regionen
gewarnt werden muss. In diesem Zusammenhang fordert sie auch die in
diesen Ländern lebenden Deutschen auf das Land zu verlassen.

Bei bloßen Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes kommt dage-
gen kein Leistungsverweigerungsrecht in Betracht. Sicherheitshinweise
machen in den Ländern, in denen es erforderlich erscheint, auf länder-
spezifische Risiken für Reisende und Deutsche im Ausland aufmerksam
                                                                            Arbeitsrechtliche Folgen einer Pandemie
und enthalten nur die Empfehlung vor Reisen in diese Regionen Ab-
stand zu nehmen. Dies ist zur Begründung eines Leistungsverweige-
                                                                            Berlin, 10. April 2006
rungsrechts nicht ausreichend.

                                  2
Ob für Arbeitnehmer, die sich bereits im Ausland aufhalten ein Anspruch
auf vom Arbeitgeber finanzierte Rückkehr besteht, wird vom Einzelfall
abhängig sein. Dabei kommt es z.B. auf die geplante Aufenthaltsdauer
des Arbeitnehmers und die Perspektive im Hinblick auf die Ausbreitung
der Krankheit in den entsprechenden Regionen an.

Leistungsverweigerungsrecht im Falle der Rückkehr eines Mitar-
beiters aus einer von einer Reisewarnung betroffenen Region

Ein Recht zur Leistungsverweigerung kommt für in Deutschland tätige
Arbeitnehmer bei der Rückkehr eines Mitarbeiters aus einer gefährdeten
Region (d.h. einer solchen Region, die von einer Reisewarnung betrof-
fen ist) ebenfalls nicht in Betracht. Das Leistungsverweigerungsrecht
setzt eine objektiv erhebliche Gesundheitsgefährdung voraus. So ent-
schied das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 6.9.2005 - 9 AZR
492/04, in der es sich mit der Frage des Sonderurlaubs für Personen
beschäftigte, die mit gefährlichen Materialien arbeiten, dass nur tatsäch-
liche Gesundheitsgefährdungen zu berücksichtigen seien. Vermeintliche
Gefährdungen reichen nicht aus.

Der Arbeitgeber kann aufgrund seiner arbeitsrechtlichen Fürsorgepflicht
gehalten sein, mögliche Ansteckungen durch zurückkehrende Arbeit-
nehmer durch Aufklärungs- und andere Vorsichtsmaßnahmen zu ver-
hindern. In diesem Zusammenhang ist der Arbeitgeber berechtigt, aus
einem privaten Auslandsaufenthalt zurückkehrende Arbeitnehmer dar-
aufhin zu befragen, ob sie sich in einer gefährdeten Region aufgehalten
haben. Der Anspruch ist dabei auf eine Negativauskunft beschränkt, der
Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, Auskunft über den genauen Aufent-
haltsort zu geben.

2.   Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers

Entgeltfortzahlungsanspruch bei Weigerung einer Entsendung

Der aufgrund einer Reisewarnung nicht zu einer Dienstreise verpflichte-
te Arbeitnehmer behält seinen vertraglichen Vergütungsanspruch. Der
Arbeitgeber kann diesem Arbeitnehmer jedoch aufgrund seines Direkti-
onsrechts eine andere Arbeit zuweisen.

Entgeltfortzahlungsanspruch bei Krankheit

Der Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Fortzahlung
seiner Vergütung, wenn er infolge der Krankheit arbeitsunfähig ist. Der
Arbeitnehmer hat die Arbeitsunfähigkeit dem Arbeitgeber unverzüglich
                                                                             Arbeitsrechtliche Folgen einer Pandemie
anzuzeigen, und durch ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
nachzuweisen. Dieser Entgeltfortzahlungsanspruch besteht, wenn die
                                                                             Berlin, 10. April 2006
Arbeitsunfähigkeit unverschuldet eingetreten ist. Liegt für einzelne Län-
der oder Regionen eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vor,

                                  3
dürfte davon auszugehen sein, dass ein Verschulden des Arbeitneh-
mers bei einer Erkrankung dann vorliegt, wenn er z.B. zu Urlaubszwe-
cken in diese Regionen reist. Auch bei einem Verstoß gegen die Emp-
fehlungen des Auswärtigen Amtes oder der Bundesregierung, den Kon-
takt mit lebendem oder totem Geflügel in den Regionen zu vermeiden,
die von der Vogelgrippe betroffen sind, dürfte von einem Verschulden
des Arbeitnehmers auszugehen sein.

Das BAG (Urteil vom 21.1.1960 - 2 AZR 523/58) legt dem Arbeitgeber
die Darlegungs- und Beweislast für diese Verschuldensfrage auf. Je-
doch ist der Arbeitnehmer verpflichtet, auf Verlangen des Arbeitgebers
die für die Entstehung der Krankheit erheblichen Umstände, die aus
dem Lebensbereich des Arbeitnehmers herrühren, im einzelnen darzu-
legen. Verletzt der Arbeitnehmer diese Mitwirkungspflichten, so geht
dies zu seinen Lasten.

II.   Arbeitsrechtliche Fragen nach dem Ausbruch einer Pandemie
      in Deutschland

1.    Leistungsverweigerungsrecht

Dem Arbeitnehmer steht im Falle einer Pandemie in Deutschland kein
Leistungsverweigerungsrecht zu, d.h er ist grundsätzlich weiterhin ver-
pflichtet, die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen sowie den Anord-
nungen der Vorgesetzten Folge zu leisten. Es obliegt ausschließlich
dem Arbeitgeber, die einzelnen Arbeitnehmer in Ausnahmefällen, d.h.
sollte eine unmittelbare Gefahr für Leben und Gesundheit vorliegen, von
ihrer Pflicht zur Erbringung der Arbeitsleistung zu entbinden.

Dies gilt auch für den Fall, dass sich das Ausbreitungsrisiko dadurch
erhöht, dass der Arbeitnehmer durch Fahrten zur Arbeit oder durch Kon-
takt zu Kollegen und Kunden einem zwangsläufig erhöhtem Anste-
ckungsrisiko ausgesetzt ist.

Auf Wunsch des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber diesem unbezahl-
ten Urlaub gewähren. Der Arbeitgeber ist bei seiner Entscheidung frei,
ob unbezahlter Urlaub gewährt wird

2.    Betriebsrisiko im Falle einer Pandemie

Soweit der Arbeitgeber bei massenweiser Erkrankung seiner Arbeit-
nehmer den Betrieb nicht aufrecht erhalten kann, trägt er das Betriebsri-
siko, soweit Arbeitnehmer arbeitswillig und -fähig sind. In diesem Fall ist
er zur Entgeltleistung verpflichtet.
                                                                              Arbeitsrechtliche Folgen einer Pandemie

Um den Eintritt des Betriebsstillstandes zu verhindern, verbleiben dem
                                                                              Berlin, 10. April 2006
Arbeitgeber unterschiedliche Handlungsalternativen:

                                   4
•   Der Arbeitgeber kann in Abstimmung mit dem Betriebsrat gemäß
         § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG Kurzarbeit anordnen, um den Betrieb
         durch Senkung der Personalkosten zumindest vorübergehend
         wirtschaftlich zu entlasten. Sofern kein Betriebsrat vorhanden ist,
         kommt Kurzarbeit in Frage, soweit dies einzelvertraglich verein-
         bart ist.

     •   Ebenfalls ist der Arbeitgeber bei Notfällen berechtigt, auch ohne
         entsprechenden Vorbehalt dem Arbeitnehmer zumutbare Aufga-
         ben zuzuweisen, die arbeitsvertraglich nicht geschuldet sind.
         Aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Treuepflicht, Schaden vom
         Arbeitgeber abzuwenden, ist der Arbeitnehmer in diesen Situati-
         onen verpflichtet diese Arbeiten zu übernehmen. Eine in diesem
         Sinne außergewöhliche Sachlage kann nach der sehr restrikti-
         ven Rechtsprechung des BAG angenommen werden, wenn es
         sich um Engpässe handelt, die durch rechtzeitige Personalpla-
         nung nicht rechtzeitig und ohne weiteres behoben werden kön-
         nen. Da die Folgen der Vogelgrippe nunmehr seit Wochen inten-
         siv in der Öffentlichkeit diskutiert werden, kann es sein, dass im
         Streitfall dem Arbeitgeber die Pflicht auferlegt wird, Fragen der
         Personalplanungen bereits im Voraus mit den Arbeitnehmern zu
         klären. Gleiches dürfte für den Bereich der Heim- bzw. Telearbeit
         gelten. In Notfällen dürfte der Arbeitgeber auch diese einseitig
         anordnen. Dies dürfte aus den dargestellten Gründen auch in
         diesem Fall jedoch umstritten sein.

     •   Der Arbeitgeber ist ebenfalls berechtigt, den Arbeitnehmer bei
         Verdacht einer Erkrankung unter Fortzahlung seiner Vergütung
         einseitig von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung
         freizustellen. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers
         steht dem nicht entgegen. Der Arbeitgeber ist bei Vorliegen ei-
         nes sachlichen Grundes berechtigt, den Arbeitnehmer von der
         Arbeitsleistung freizustellen.

3.   Maßnahmen zu Vorbereitung

Zur Vorbereitung kann sich der Abschluss einer Rahmenbetriebsverein-
barung für den Pandemiefall anbieten. Im Rahmen einer solchen Ver-
einbarung können folgende Fragen angesprochen werden:

     •   Sachlicher Geltungsbereich: Umfasst werden sollten sämtliche
         Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Auftreten einer
         Pandemie zum Schutz vor Beeinträchtigungen von Leben und
         Gesundheit der Mitarbeiter erforderlich sind.                         Arbeitsrechtliche Folgen einer Pandemie

     •   Maßnahmen der Prävention, d.h. Verhaltensregeln die im Falle          Berlin, 10. April 2006
         einer Pandemie von den Mitarbeitern zu beachten sind, wie das
         Tragen von Schutzmasken, Tragen von Schutzkleidung, regel-

                                    5
mäßiges Desinfizieren der Hände, Wechseln der Kleidung beim
    Betreten des Betriebes etc.

•   Arbeitspflicht auch im Pandemiefall: Es sollte vereinbart werden,
    dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern im Falle einer Pan-
    demie auch solche Arbeiten zuweisen darf, die vertraglich nicht
    geschuldet sind. Umfaßt werden könnten in diesem Zusammen-
    hang ein Weisungsrecht in örtlicher, zeitlicher und sachlicher
    Hinsicht.

•   Anordnung von Heim- oder Telearbeit und Kurzarbeit im Falle
    einer Pandemie: es sollte geregelt werden, dass der Arbeitgeber
    jederzeit berechtigt ist, z.B. Heim- bzw. Telearbeit oder Kurzar-
    beit anzuordnen.

•   Urlaubsregelungen, d.h. es kann festgelegt werden, in welchem
    Umfang Arbeitnehmer berechtigt sind Überstunden abzubauen,
    unbezahlten Urlaub zu beantragen etc.

•   Geltungsdauer: Die Betriebsvereinbarung sollte ab dem Zeit-
    punkt des behördlich festgestellten Pandemiefalls gelten und so-
    lange fortbestehen, bis eine Pandemiewarnung von den behörd-
    lich zuständigen Stellen aufgehoben wird.

                                                                        Arbeitsrechtliche Folgen einer Pandemie

                                                                        Berlin, 10. April 2006

                              6
Sie können auch lesen